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„Ye Qiu, da bist du ja. Wie lief das heutige Training?“, grüßte Tao Xuan, Eigentümer des professionellen E-Sport-Unternehmens Excellent Era, den Kapitän der zugehörigen Profimannschaft, als dieser am Mittag sein Büro betrat.
Ye Qiu, dessen Name eigentlich Ye Xiu war, was sein Vorgesetzter wie die meisten seiner Kollegen allerdings nicht wusste, sah wenig begeistert zu Xuan, während er sich zu dem Schreibtisch begab und sich Xuan gegenüber auf einen Stuhl fallen ließ. Er beantwortete die Frage nicht. Das heutige Morgentraining, das vielmehr eine Besprechung des letzten Wettkampfes gewesen war, war überaus schlecht verlaufen. Xiu war sich sicher, dass Xuan das bereits wusste. Es war nichts Neues mehr, dass Excellent Eras Profispieler immer weniger auf ihren Kapitän hörten. Sie hatten am letzten Samstag miserabel gegen Parade, einer nicht einmal sehr guten Mannschaft, gespielt und verloren. In der heutigen Besprechung hatte es vieles gegeben, das man aus den Videoaufnahmen des Wettkampfes hätte lernen können, doch jede Erwähnung eines Fehlers endete in Schuldzuweisungen und Streit. Heute hatten sogar zwei Spieler die Besprechung mitten drin verlassen.
Xuan räusperte sich.
„Die Beschwerden über dich häufen sich. Zhang Jiaxing und Guo Yang waren vorhin bei mir. Du sollst laut geworden sein und sie beleidigt haben. Mal wieder.“
I'm not a criminal
Xius Hand ballte sich zur Faust. Der Vorwurf stimmte. Er selbst war nicht stolz darauf. Er hatte sich provozieren lassen, aber er hatte nicht angefangen.
Sein Blick hob sich zu Xuan. Er blickte dem Älteren wütend entgegen, welcher ihn diplomatisch belächelte.
„Weißt du, wieso Zhang Jiaxing One Autumn Leaf und Total Darkness im Teamkampf hat sterben lassen?“, begann Xiu, die Situation zu erklären. „Weil ich ihm nicht sagte, dass er heilen soll. Als ob er nicht wisse, wozu ein Heiler im Team ist!“
„Nun. Soweit ich weiß, hattest du vor dem Spiel ausdrücklich gesagt, dass kein Spieler einen Alleingang wagen, sondern sich nur nach deinen Anweisungen richten soll“, entgegnete Xuan ruhig.
„Damit war doch nur gemeint, dass sie nicht wie vorletzte Woche versuchen sollen, einen Gegner zu erledigen, wenn ich ihnen sage, dass diese scheinbare Gelegenheit eine Falle ist!“
„Dann sag ihnen das ohne auszurasten. Sie können deine Gedanken nicht lesen. Das sollte dir eigentlich klar sein.“
I'm not the villain
Xiu stand der Mund offen. Sein Blick fragte, ob der Andere das ernst meinte. Seit sieben Jahren war Xiu Excellent Eras Mannschaftskapitän. Seine Trainingsmethoden hatten sich mit der Zeit verändert, den technischen Entwicklungen und Möglichkeiten angepasst, sowie auch den jeweiligen Spielern. Er war ein erfahrener Kapitän und er war auch ein guter Kapitän. Xuan wusste das. In all den Jahren hatte Xiu nicht verlernt, die Persönlichkeit eines jeden Spielers zu berücksichtigen, um sich sicher zu sein, dass dieser verstand, wovon er sprach. Jedoch ging es hier nicht darum, dass man ihn nicht verstand. Seine Kollegen wussten, was er meinte, und sie ignorierten es. Absichtlich.
Yeah this is personal
Bei den Besprechungen, in den Trainingseinheiten und sogar in den Wettkämpfen stand für sie nicht länger der Sieg im Vordergrund, sondern ihrer Verachtung für Xiu Ausdruck zu verleihen. Sie wollten ihn loswerden und das um jeden Preis. Xiu wusste das und doch hatte er sich, seit inzwischen über einem Jahr, mehr als nur darum bemüht, mit seinen Kollegen auszukommen. Er verlangte von ihnen nicht, dass sie ihn mochten oder als Freund ansahen, aber dass sie wenigstens auf ihn als erfahrenen Spieler hörten, um gemeinsam Wettkämpfe zu gewinnen. Wollten sie nicht alle Excellent Era als Gewinner der Glory-Liga sehen? Liebten sie nicht alle dieses Team, herausfordernde, spannende Kämpfe und den Sieg? Wie kam es, dass seine Kameraden bereit waren, all das aufzugeben, das Verbessern ihrer eigenen Fertigkeiten und des Teamworks zu vernachlässigen, bloß um ihn davonzujagen?
A drive-by killing
Obwohl Xiu sich diese Fragen stellte, kannte er die Antwort bereits. Sie saß direkt vor ihm.
Er lachte auf. Ihm wurde klar, dass dieses Gespräch nichts Neues ergeben würde. Seine Kollegen in der Profimannschaft waren auch bloß Spielfiguren und die Auswirkungen auf ihre Karrieren ein Kollateralschaden. Es ging nicht um sie, es ging nicht um seine Fähigkeiten als Kapitän, um Excellent Era oder das MMORPG Glory. Es ging nur um ihn und Xuan, darum, dass Xuan die Verbindung zwischen ihnen auflösen wollte, aber das aufgrund des noch eineinhalb Jahre gültigen Arbeitsvertrages nicht ohne Weiteres konnte.
Your guns are loaded
Xiu war ein erfahrener Stratege, hatte innerhalb der professionellen Glory-Community den Ruf eines Meistertaktikers. Er wusste, wie man seine Gegner in die Enge trieb, und er erkannte auch, wenn er in die Enge getrieben wurde. Die letzten Monate ähnelten gewissermaßen einer Strategie, die er sonst lediglich auf den virtuellen Schlachtfeldern anwendete. Innerhalb der Mannschaft bezogen seine Kollegen Position, um ihn einzukesseln, ihm das Handeln zu erschweren.
Es war Xuan, der Xius Kollegen suggerierte, dass Ye Qiu der Tumor in Excellent Era war. Er hatte es damit nicht schwer, denn wie die Vorsitzenden der Glory Professional Alliance ging es Excellent Eras Profispielern, die Xuan in den letzten Jahren eingestellt hatte, nicht ausschließlich um den Sieg, sondern vor allem um den Ruhm und das Geld. Durch Xius hartnäckige Ablehnung, an Interviews teilzunehmen oder sein Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen, hatte die Allianz sowie die Presse bereits keine gute Meinung von ihm. Durch sein überragendes Können stahl er seinen Kollegen das Rampenlicht. Er legte es nicht darauf an, doch wer würde ihm glauben, wenn die Leute, die ihn länger als seit Anbeginn der Glory-Liga kannten, gar Excellent Eras Boss persönlich, erzählten, dass Ye Qiu nicht zuließ, dass ein Kamerad besser sein würde als er selbst, dass Ye Qiu alles unternahm, um den Ruhm nicht mit mehr Leuten als nötig teilen zu müssen?
And your lies are the bullets
Xiu konnte seinen Kollegen nicht erklären, was wirklich los war. Wenn er versuchte, zu verdeutlichen, dass Xuan sie gegen einander aufhetzte, dann machte es die Situation nur noch schlimmer. Bei ihnen kam es wie ein Vorwurf, selbst nicht mitdenken zu können, an. Sie wollten sich nicht unterstellen lassen, ohne es zu bemerken benutzt zu werden. Es änderte jedoch nichts daran, dass dem so war. Xiu wusste das. Xuan wusste das. Wieso mussten sie dieses Spiel noch spielen, wenn sie doch genauso direkt auf den Punkt kommen konnten?
Xiu streckte seinen Rücken durch und beugte sich mit seinem Kopf über die Tischkante, sah seinen Gegenüber eindringlich an.
“Was soll das Ganze? Was willst du erreichen, Bruder Tao? Du hast es geschafft, dass die Spieler mir nicht glauben und mir nicht zuhören. Egal, was ich versuche, ich kann nicht zu ihnen durchdringen. Das Team will mich loswerden. Es sieht so aus, als ob ich all meine Kompetenz als Kapitän verloren hätte und Excellent Eras Erfolg im Weg stünde. Glückwunsch! Du hast mich geschlagen. Du hast gewonnen. Bist du stolz darauf?“
So here is the trigger
Die Worte ließen Xiu verkrampfen. Trotz all der aktuellen Differenzen und der Ausgrenzung im Team, liebte er Excellent Era. Er wollte für die Mannschaft kämpfen, er wollte mit seinen Kollegen kämpfen, allerdings lag es nicht mehr in seiner Hand, ob er dazu überhaupt noch eine Chance haben würde.
Schweren Herzens und mit gebrochener Stimme fuhr er fort: „Es sind alle Bedingungen erfüllt, so dass du ohne Abfindung unseren Vertrag kündigen kannst. Also worauf wartest du noch? Schmeiß mich raus.“
Go ahead and pull it now
Xuan lehnte sich in seinem Chefsessel zurück. Einen Moment lang hielt er mit dem starren, scheinheiligen Lächeln auf seinen Lippen Blickkontakt zu Xiu, dann brach er bei dem Anblick seines ernsten und doch so zu bemitleidenden, alten Freundes in Gelächter aus.
Das Gelächter hielt nur kurz an. Xuan fasste sich schnell wieder, richtete sich auf und strahlte Xiu mit einem freudigen, aufrichtigem Lächeln entgegen, während sein Blick dem Jüngeren nichts anderes als Verachtung entgegenbrachte.
„Dich rausschmeißen? Sei nicht albern. Wieso sollte ich unseren Vertrag kündigen? Nein. Nein, Ye Qiu, das ist ganz und gar nicht das, was ich will“, entgegnete Xuan bestimmt.
Xius Blick sank gen Boden.
„Dir reicht es also nicht, wenn ich dir den Sieg, mir meinen Platz im Team genommen zu haben, zuspreche. Du willst mich vor allen aufgeben und am Boden liegen sehen.“
Xius Worte waren keine Frage, sie waren eine Feststellung und doch hoffte er innig, sich zu irren.
Are you sure you wanna play this game?
Xuan widersprach nicht, er schwieg.
Xiu hob den Blick, sah dem Anderen in das Antlitz und hoffte, wenigstens darin einen Einwand zu sehen, allerdings lächelte der Ältere ihn weiterhin unbeirrt an.
„Ich habe nichts falsch gemacht, Bruder Tao. Und ich werde dir auch nicht die Genugtuung gönnen, indem ich so tue als ob. Ich spiele nicht nach deinem Drehbuch. Vergiss es. Ich habe Excellent Era nie aufgegeben und ich werde es auch nie. Also … Xuan, noch ist es nicht zu spät, wieder zusammen an unserem Traum zu arbeiten. Ich bin nicht dein Feind. Überlege doch einmal: Willst du wirklich alles aufgeben, um mich fertig zu machen, wenn wir doch auch zusammen Excellent Era wieder groß rausbringen könnten?“
Are you sure you wanna play it?
“War es das? Bist du fertig mit deiner Ansprache oder hast du noch etwas hinzuzufügen, allwissender Gott Ye Qiu?“, spottete Xuan.
„Nein“, antwortete Xiu, erkennend, dass seine Worte den Älteren nicht erreicht hatten.
Xiu war enttäuscht, denn er hatte sich Mühe gegeben, an den Verstand des Anderen zu appellieren.
„Gut, dann ist das Gespräch an dieser Stelle beendet. Ich will immerhin nicht meine ganze Mittagspause verschwenden. Bevor du gehst, Ye Qiu, vergiss nicht, dass heute Sun Xiang ankommt und die Mannschaft ihm einen herzlichen Empfang bereiten soll.“
„Keine Sorge. Selbst wenn ich wollte, könne ich das nicht vergessen“, murrte Xiu.
Dann erhob er sich und nickte Xuan noch einmal zum Abschied zu. Mit jedem Schritt, den er tat, um das Büro zu verlassen, war Xiu, als spüre er Xuans zufriedenen Blick in seinem Rücken, so stechend wie die Klinge eines Messers.
The only thing worse than a hater
Gewöhnlich war Xiu kein zartbesaiteter Mensch. Seien es Neider, Fans rivalisierter Mannschaften, das Komitee der Glory-Liga, Reporter oder solche, die E-Sport ablehnten, von all diesen hatte Xiu sich im Verlauf der Jahre viel an den Kopf werfen lassen müssen. Beleidigungen, falsche Anschuldigungen, Drohungen. All das war an ihm abgeprallt ohne dass er dem viel Beachtung geschenkt hatte. Nie hatte es eine Rolle gespielt, wie tief diese feindlichen Äußerungen gingen oder wie groß die Gruppe war, die sich gegen ihn und das, was er liebte, aussprach. Dachte er an diese Momente, so glaubte er, er sei standfest, abgehärtet, doch jetzt reichte das Puppenspiel eines einzigen Mannes, der zu keiner dieser Gruppen zählte, um ihn in das belastende Chaos aus Zorn, Enttäuschung und Trauer zu stürzen. Nein, allein, dass er wusste, dass Xuan dieses Gespräch als Erfolg feierte, während Xiu sich weder an dem Gespräch, noch an Xuans Einstellung erfreuen konnte, reichten dafür aus.
The only thing worse than a hater
Würde all das hier doch bloß auf fehlender Sympathie beruhen. Würden sie doch einfach nur wie zwei Menschen sein, die sich nicht verstanden und nicht miteinander harmonieren konnten, es wäre so viel einfacher. Selbst wenn Xuan ihn auch dann hassen und ihm das Leben zur Hölle machen wolle, Xiu könne es abblocken, ignorieren. Allerdings waren sie Freunde, die mehr mit einander geteilt hatten als mit irgendwem sonst. Doch das alles schien in der Vergangenheit zu liegen. Obschon Xiu weiter daran festhielt, für Xuan schien es nichts mehr zu zählen.
Is a traitor
Der Wunsch, Excellent Era weiterhin an der Spitze der Liga stehen zu sehen.
A traitor
Menschlichkeit und das Vertrauen in seine Mitmenschen an erste Stelle zu setzen.
A traitor
Das Versprechen, nichts zu verlangen, das der andere nicht will, und die fehlende Erfüllung unausgesprochener Erwartungen dem Anderen nicht vorzuwerfen.
You put a knife out in my back
Inzwischen schien Xuan diesen Ansichten gänzlich entgegengestellte Meinungen zu vertreten. Er wertete Mitarbeiter in Geld auf, riskierte schlechte Teamleistungen und Platzierungen der Mannschaft in der Liga, ersetzte gar seinen besten Spieler durch einen Anderen. Das Schlimmste für Xiu war an all dem jedoch, dass Xuan ganz vergessen zu haben schien, wie nah sie sich einst gestanden waren, dass sie all diese Ansichten geteilt hatten und dass es die richtigen Ansichten gewesen waren. Xuan schien vergessen zu haben, wie glücklich sie gewesen waren, als sie nach diesen Ansichten gelebt hatten. Es hatte gereicht, es hatte sie sogar erfüllt und doch hatte Xuan all das Glück weggeworfen und wofür …?
Killed any history we had and now it's war
Um einander grundlos zu bekriegen?
War
Ja, ein Krieg schien das zu sein, was Xuan wollte. Doch wusste der Ältere denn nicht, dass es im Krieg keine Gewinner gab? Jeder verlor. Das war selbst in Glory so. Der Sieger gewann meist nicht ohne einstecken zu müssen. Ein virtueller Charakter empfand kein Leid, wenn er Lebenspunkte verlor, doch in der Realität, zwischen ihnen war das anders.
Xuan, wie viel bist du bereit, zu verlieren, um mich zu besiegen?
Xiu stellte sich diese Frage und mehr noch fragte er sich, wie es kommen konnte, dass der Mann, der einst gesagt hatte, er würde immer das Beste für den Jüngeren wollen, ihn nun mit jedem verfügbaren Mittel auf die grausamste Art vernichten wollte.
Excellent Eras Mannschaftskapitän erreichte derweil sein Apartment. Er hatte noch nicht zu Mittag gegessen, jedoch war ihm der Appetit längst vergangen. Xiu setzte sich an seinen Computer und startete Glory. Er wusste, dass der Einkauf Sun Xiangs bedeutete, dass Xiu seinen Platz im Team und auch seinen geliebten Charakter One Autumn Leaf hergeben müssee. Er wollte noch einmal Glory mit One Autumn Leaf genießen. Allerdings fiel es ihm schwer. Seine Gedanken waren nicht im Spiel, sondern bei Xuan und ihrer gemeinsamen Vergangenheit, bei der Zeit, in der er sich den heutigen Tag nicht einmal im Traum hatte vorstellen können.
You were just like the weathers
Xuan war Xius Boss gewesen. Ihre beruflichen Gespräche waren nie leicht gewesen. Für Xuan war der Erfolg Excellent Eras als Unternehmen stets an oberster Stelle gestanden, für Xiu dagegen Siege in herausfordernden, komplexen Wettkämpfen zu erringen. Diese verschiedenen Prioritäten hatten schon früher für manche Differenzen gesorgt, allerdings hatten sie in ihren gemeinsamen Plänen, gegnerische Mannschaften fertig zu machen, aufgehen können. Xuan war ohnehin eine andere Art Geschäftsmann als heute gewesen. Bemüht um Wachstum und Gewinnoptimierung, ja, aber seine Mitarbeiter waren seine Freunde gewesen. Er hatte Verständnis für ihre privaten Situationen aufbringen können. Im Privaten war er ohnehin viel rücksichtsvoller, großzügiger sowie hingebungsvoller und genügsamer gewesen.
Er war wie sie alle ein Gamer gewesen, der ihre Leidenschaften, Wünschen und Sorgen gekannt und geteilt hatte. Selbst wenn Xuan nur ein mittelmäßiger PvPler gewesen war, in seiner Leidenschaft, ihre Gilde Excellent Dynasty an die Spitze zu bringen, hatte er ihnen in nichts nachgestanden.
Und daneben hatte Xuan ein romantisches Interesse an Xiu bekundet, Xiu überredet, sich auf eine Beziehung einzulassen.
And we had each other
Xiu lehnte seinen Kopf gegen die Stuhllehne, schloss die Augen, um sich besser an die Zeit vor zwei bis fünf Jahren zu erinnern.
Xuan war ein liebevoller Liebhaber gewesen. Er hatte nie zu viel von Xiu verlangt, dafür umso mehr gegeben, hatte dem Jüngeren all die Freiräume gegeben, die dieser brauchte. Er hatte Xiu, für den es die erste und einzige Liebesbeziehung gewesen war, eine neue Welt gezeigt, in der dieser zumindest vorrübergehend das Gefühl gehabt hatte, niemanden außer Xuan zu brauchen.
We were down for the good times
Wie viele Stunden hatten sie beide Abseits der Arbeitszeiten nebeneinander vor dem PC verbracht? Sie hatten gemeinsam Glory gespielt, ohne dass ihr Könnensunterschied ein Problem dargestellt hatte. Wieso auch? Xiu hatte versucht, Xuan im PvP etwas beizubringen und über Erfolge hatten sie sich ebenso freuen wie über Misserfolge lachen können.
Und wenn sie manchmal denselben Charakter zusammen gespielt hatten, Xuan an der Tastatur und Xiu an der Maus, dann hatte sich gezeigt, was für ein gutes Team sie abgaben. Xuan hatte den Charakter gesteuert und die Attacken gewählt, während Xiu durch eine präzise Steuerung der Maus dafür gesorgt hatte, dass sie ihr Ziel effektiv treffen. Auf diese Weise hatten sie es alleine mit zahlreichen Gegnern aufnehmen können.
We were live for the trouble
Und sie hatten es gerne mit Gegnern aufgenommen. Insbesondere mit jenen aus den anderen, großen Gilden. Wie viele wilde Bosse hatten sie gestohlen? Wie viele Profispieler, die nicht schnell genug gelernt hatten, sich nicht mit ihren Profi-Account einzuloggen, hatten sie überfallen, in der Hoffnung, Silberequipment zu stehlen?
Auch abseits des Bildschirms hatten sie sich gemeinsam gegen andere gestellt. Solange sie zusammen waren, hatte Xuan Xius Wunsch, sein Gesicht nicht zu zeigen, vor dem Ligakomitee intensiver denn je verteidigt und die Kosten, die es für Excellent Era bedeutete, dass der Mannschaftskapitän an keinen Interviews teilnahm, getragen. Sie hatten sich bei Auswärtsspielen heimlich in einem ihrer Hotelzimmer getroffen und Xuan war auch hier an vielen Abenden in Xius Zimmer geschlichen und am Morgen vorsichtig verschwunden, darauf bedacht, dass ihre Beziehung ein Geheimnis bleiben würde.
Wie viele Skandale hätte es gegeben, wäre ihr Verhältnis ans Licht gekommen? Eine Beziehung zwischen Chef und Angestelltem, eine Beziehung zwischen zwei Männern …
Xiu öffnete die Augen wieder. Er kramte Zigaretten und Feuerzeug hervor, dann begann er sowohl zu rauchen als auch mit seinem Avatar One Autumn Leaf in der Arena im Spiel zufälligen Duellen beizutreten. Gedanklich war er dennoch weiterhin in der Vergangenheit. Es war nicht schlimm. Ein Kampf gegen einfache Spieler forderte ihn im Regelfall kaum heraus.
Ihre gemeinsame Zeit hatte für Xiu einen Gegenpol zu seinem Job dargestellt. Stets hatte er seine Tätigkeit als Profispieler geliebt, doch nicht die Richtung, in die sich die Liga entwickelt hatte. Bei Xuan hatte er diese Entwicklung vergessen und abschalten können.
Like a thief in the night
Wenn Xiu sich jetzt daran erinnerte, dann wirkte es noch immer, als sei es damals kein Fehler gewesen, sich auf die Liebesbeziehung einzulassen.
Er erinnerte sich noch gut daran, wie Xuan ihm mit einem plötzlichen Kuss seine Liebe gestanden und schließlich um eine Beziehung gebeten hatte. Als erste Reaktion hatte Xiu dem Älteren einen Korb gegeben. Er hatte Beziehungen aus Fernsehserien gekannt. Sie waren zum Scheitern verurteilt und zerstörten Freundschaften. Also hatte er abgelehnt, doch Xuan hatte ihm versprochen, dass es in ihrer Beziehung anders laufen würde.
Xuan hatte ihm versprochen, nichts zu verlangen, das Xiu nicht will, nichts als in einer Beziehung selbstverständlich zu erwarten und die fehlende Erfüllung einer solch unausgesprochener Erwartung Xiu niemals vorzuwerfen.
Robbed daylight
Also hatte Xiu sich überreden lassen. Und zunächst war es gut gelaufen.
Xiu hatte gemerkt, wie seine Liebe für Xuan immer mehr entfacht wurde. Mit jedem Tag, den sie zusammen verbracht hatten, hatte Xuan mehr von seinem Herzen erobert und das hatte sich großartig angefühlt.
You stole my sanity, and now
Doch die Professional Glory Alliance hatte sich weiterentwickelt.
Sie war gewachsen und hatte von ihren Mitgliedern Veränderungen erwartet.
Teams aus Freunden waren zu E-Sport-Unternehmen geworden.
Kämpfe um den Sieg waren zu Kämpfen um das Rampenlicht geworden.
Als Eigentümer Excellent Eras war Xuan den Erwartungen nachgekommen. Xiu dagegen hatte sich geweigert. Das hatte einen Keil zwischen sie getrieben und zu ihrer jetzigen Situation geführt.
You are the enemy, yeah
Noch immer war es für Xiu kaum zu glauben. Wie hatte sich ihr Verhältnis um 180° drehen können?
Xiu kannte die Antwort, er hatte die Entwicklung erlebt, doch wirklich begreifen, konnte er sie noch immer nicht. Alles, was er wusste, war, dass er lang genug versucht hatte, Xuan und ihre Beziehung zu retten. Bei ihrer Trennung hatte er sich noch selbst die Schuld gegeben, doch inzwischen sah er es anders. Immerhin gehörten immer zwei dazu und während Xiu bereit war, Kompromisse einzugehen, war es Xuan ganz eindeutig nicht. Konnte Xuan den nicht einsehen, dass er sich nicht an Xiu für das Scheitern ihrer Beziehung rächen brauchte, wenn er doch ebenso Schuld trug? Wer hatte denn seine Versprechen gebrochen?
Xius Zigarette war bis zum Filter abgebrannt. Er nahm sie von seinen Lippen und drückte sie in den gläsernen Aschenbecher in Form eines Ahornblattes. Bei dem Anblick schmerzte es Xiu wieder. Der Aschenbecher war ein Geschenk Xuans gewesen und das Ahornblatt das Symbol Excellent Eras.
Nicht nur, dass Xuan ein für alle Mal mit Xiu abschließen wollte, er würde dabei Excellent Era in den Ruin treiben. Konnte er das wirklich wollen? Excellent Era war doch ebenso Xuans Lebenswerk und Lebensgrundlage.
Are you sure you wanna play this game?
Aber vielleicht entschied sich Xuan ja noch um, bevor er wirklich den letzten Akt seines Plans ausführte. Noch war es nicht zu spät. Noch konnte Xiu dem Älteren all seine Intrigen verzeihen. Vielleicht saß Xuan in diesem Augenblick in seinem Büro und fand zur Vernunft zurück.
Are you sure you wanna play it?
Xiu trug noch immer diese letzte Hoffnung in seinem Herzen, als es an seiner Tür klopfte. Gleich darauf trat Su Mucheng, eine der Wenigen, die um seine Beziehung zu Xuan wusste und die auch Xius wahren Namen kannte, hinein.
„Da?“, fragte Xiu und bezog sich darauf, ob seine Ablöse Sun Xiang inzwischen angekommen war.
„Da“, bestätigte Mucheng knapp.
Die Zeit war schneller vergangen als es Xiu bemerkt hatte. Aus Mittag war Abend geworden. Es sollte genug Zeit für Xuan gewesen sein, seine Entscheidung zu überdenken, in Kürze würde Xiu das Ergebnis sehen.
“Dann mal los”, sprach Xiu und erhob sich dabei von seinem Stuhl.
The only thing worse than a hater
Während Xuan darauf wartete, über Xiangs Ankunft informiert zu werden, bereitete er sich auf die Besprechung, die er daraufhin mit der Mannschaft abhalten wollte, vor. In Gedanken spielte er durch, wie der Abend verlaufen sollte. Wie er Qiu erst One Autumn Leaf und dann seinen Platz in der Mannschaft nehmen würde. Wie er ihn dazu bringen würde, die Mannschaft aufzugeben und die Rücktrittserklärung, die Xuan bereits aufgesetzt und nun ausgedruckt vor sich liegen hatte, zu unterschreiben.
In dieser kurzen Besprechung sollte Qiu alles verlieren, was diesem wichtig war. Es sollte Qiu zerstören, er sollte leiden, auf dieselbe Art und Weise wie Xuan vor einigen Jahren durch Qiu gelitten hatte. Heute würde er ihre offene Rechnung endlich begleichen.
Der heutige Abend sollte der Schlussakt seiner Rache werden. Unweigerlich musste Xuan an die Ursache, die ihn dazu trieb, denken, beginnend bei den letzten Wochen ihrer Beziehung, vor zwei Jahren.
The only thing worse than a hater
Damals hatten sie nur selten für einander Zeit gehabt. Xuan war von früh bis spät beschäftigt gewesen, bemühte sich darum, Excellent Era neu zu strukturieren, um erfolgreicher zu werden. Doch viele Vorgänge erforderten einen Mannschaftskapitän, der diese Vorgänge unterstützte. Qiu hatte das Meiste abgelehnt. Es war dem Jüngeren egal gewesen, ob es Excellent Eras Spiel oder das einer anderen Mannschaft war, dass im Fernsehen übertragen wurde, ob ein positiver, langer Artikel über Excellent Era in bestimmten Zeitungen und Zeitschriften landete. Die Meinung der Fans, der Sponsoren, die Präsenz und der Ruf der Mannschaft im öffentlichen Leben, das war Qiu vollkommen gleichgültig gewesen. Hauptsache, seine neuste, verzwickte Strategie verschaffte Excellent Era den Sieg. Doch außer den Profispielern verstand keiner diese Strategien und da das höhere Einkommen den anderen Mannschaften bessere Ausrüstung und bessere Spieler verschaffte, wurden die Siege schwerer zu erlangen.
Es war offensichtlich, dass Excellent Era auf diese Weise auf der Strecke bleiben würde, doch Qiu hatte sich nicht dafür interessiert. Er hatte Xuan in keiner Weise unterstützt und das, obwohl sie ein Liebespaar gewesen waren.
Is a traitor
Als wäre das nicht schlimm genug, hatte Xuan mit ansehen müssen, wie großzügig Qiu mit anderen umgegangen war. Andere Kollegen hatten mehr Zeit mit Qiu verbracht. Xuan hatte es verabscheut, nicht selbst als Profi an Qius Seite spielen zu können.
Für ehemalige Teamkameraden, die zwar im PvP Xuan weit überlegen gewesen waren, aber dennoch den Ansprüchen der wachsenden Profiszene nicht genügen konnten, hatte Qiu Geld beiseitegelegt. Er hatte die alten Freunde, die es brauchten, finanziell unterstützt, während er zugleich dafür gesorgt hatte, dass seine aktuellen Kameraden in Excellent Era finanziell weit weniger Gewinn machten als möglich.
Und dann war da noch Su Mucheng. Wenn sie etwas brauchte, war Qiu immer zu stelle. Was immer sie wollte, er schlug ihr keine Bitte ab. Es hieß, Qiu betrachtete sie als kleine Schwester, doch Xuan hatte einen anderen Eindruck. Sie war Qiu immer nähergestanden als Xuan, schien alles über Qiu gewusst zu haben, all seine Geheimnisse.
Xuan hatte gewusst, dass Qiu Geheimnisse vor ihm hatte. Er hatte nicht nachgehakt, Qiu Zeit gegeben, ihn einzuweihen, vor Jahren hatte es ihm dann gereicht. Er hatte eingesehen, dass Qiu diese Geheimnisse nie mit ihm teilen würde und da hatte sich Xuan gefragt, ob der Jüngere seine Liebe überhaupt erwidert. Er hatte den Glauben daran verloren.
A traitor
Diese Dinge hatten Xuan dazu getrieben, sich von Qiu zu trennen. Mit der Hoffnung, ein Liebesgeständnis zu hören, gebeten zu werden, seinen Entschluss zu überdenken und ihnen beiden noch eine Chance zu geben, war er vor zwei Jahren zu Qiu gegangen.
Er wusste noch genau, wie aufgeregt er gewesen war, als er Qiu in dessen Apartment gebeten hatte, eine Pause beim Zocken zu machen, da er mit diesem reden wollte.
„Klar. Was gibt’s?”, hatte Qiu locker gefragt und von seinem PC zu Xuan gesehen.
„Ich mache Schluss. Wir sind kein Paar mehr“, hatte Xuan schweren Herzens verkündet.
Qiu hatte seine Augen leicht geweitet, doch nicht überrascht gewirkt. Es war der Moment gewesen, in dem Xuan am angestrengtesten versucht hatte, aus Qius Miene schlau zu werden, doch nichts in Dieser hatte erkennen können. Qius Gesichtszüge waren einfach frei von jeglichen Emotionen gewesen.
Schließlich hatte der Jüngere den Mund geöffnet: „Okay.“
Das war alles, was Qiu damals gesagt hatte.
Ein paar Sekunden hatten sie sich noch angesehen, dann hatte Xuan das Apartment verlassen.
A traitor
‚Okay.‘
Auch jetzt noch erfüllte die Erinnerung an dieses eine Wort, dass so ruhig und wie alltäglich ausgesprochen worden war, Xuan mit Wut.
Damals, vor der Tür, war es Xuan klar geworden: Qiu hatte längst mit ihnen abgeschlossen, doch anstelle selbst den Schlussstrich zu ziehen, hatte er dafür gesorgt, dass Xuan die Beziehung beenden würde. Auf diese Weise hatte sich Qiu nicht all die Worte, die Xuan zu diesem Zeitpunkt von Qiu hatte hören wollen, von Xuan anhören müssen. Qiu hatte nicht begründen müssen, wieso er nicht um ihre Beziehung kämpfen wolle, weil er nicht Schluss gemacht hatte, sondern Xuan. Auf diese Weise war es nicht Qiu, der als der Schuldige dastand, sondern Xuan, obwohl es Qiu war, der Xuan zu Ziehen des Schlussstrichs getrieben hatte.
You put a knife out in my back
Xuan füllte das Glas auf seinem Schreibtisch mit Whisky und leerte es in einem Zug. Das war nicht sein erstes Glas an diesem Abend, doch alle bisherigen Gläser hatten nicht ausgereicht.
Obwohl er seine Gefühle mit Alkohol betäuben wollte, gelang es ihm nicht. Nicht nur, weil ihm die Erinnerung schmerzte, sondern auch, weil er sich vor den Schlussakt seiner Rache fürchtete. Er fürchtete sich davor, welche Reaktion Qiu zeigen würde.
Wie sehr würde Qiu unter dem, was Xuan ihm antun würde, leiden? Würde das Leid sichtbar sein? Doch würde Xuan diesen Anblick genießen können? Er hätte sein Ziel erreicht, aber das hieße auch, dass er nicht einmal mit einem einfachen Computerspiel hatte konkurrieren können. Qiu hätte dieses Spiel mehr geliebt als er je Xuan geliebt hatte. Vor einer Reaktion, die das verdeutlichte, fürchtete er sich.
Killed any history we had and now it's war
Es klopfte an der Tür. Mannschaftsmanager Ciu Li trat ein.
„Sun Xiang ist da“, verkündete dieser.
Xuan nickte, erhob sich von seinem Stuhl. Er wollte an seinem Schreibtisch vorbeigehen, doch Schwindel ergriff ihn und ließ ihn taumeln. Er stützte sich an der Schreibtischkante.
„Du siehst schrecklich aus, Bruder Tao“, seufzte Li mit Blick auf die Whiskyflasche.
„Es geht schon“, entgegnete Xuan.
„In dem Zustand wird dein Plan nicht aufgehen. Dein Anblick wird ihm bloß zeigen, wie sehr er dich zerstört hat, dass er längst gewonnen hat.“
„Sei still!“, zischte Xuan.
Er wollte so etwas nicht hören. Die heutige Schlacht wollte er gewinnen. Er musste der Sieger sein, nicht Qiu.
Li war am Schreibtisch angekommen und griff nach den Rücktrittsunterlagen.
„Du willst doch, dass er zurücktritt und dann sieht, dass es ein Fehler war, sich mit dir anzulegen, nicht? Er dachte, er könne dir alles nehmen, aber du wirst letztendlich der sein, der ihm alles nimmt, nicht andersherum. So soll es doch ausgehen.“
Xuan ließ sich zurück in seinen Drehstuhl fallen und nickte zustimmend.
„Dann überlasse das mir und bleib hier. Du bist immer noch Excellent Eras Geschäftsführer. Als solcher gibt es für dich gar keinen Grund bei diesem Gespräch mit einem einfachen Mitarbeiter wie Ye Qiu anwesend zu sein. Bleib hier und zeige ihm mit deiner Abwesenheit, dass er nur ein kleiner Wurm ist, der deine Aufmerksamkeit nicht wert ist.“
„Stimmt. Du hast Recht“, stimmte Xuan ein. „Aber ich muss seine Reaktion sehen.“
„Ich informiere dich später, wie es lief“, versicherte Li.
Er legte eine Hand auf Xuans Schulter und drückte diesen gegen die Stuhllehne.
„Vertrau mir einfach und warte hier. Du bist der Feldherr, ich der ausführende Soldat. Die wichtigen Leute begeben sich nicht direkt in die Schlacht, aber ihnen schreibt man den Sieg zu. Genauso ist es hier. Er wird verschwinden und du wirst deinen Sieg auskosten können, auch ohne direkt vor ihm zu stehen.“
Schließlich überzeugten die Worte Xuan. Er nickte mehrfach und blieb letztendlich sitzen, während Li mit den Papieren verschwand.
War
Im Besprechungsraum lag die Aufmerksamkeit der Anwesenden ganz auf dem jungen Blondschopf, welcher ab heute zu ihrem Team gehörte und welcher bereits auf dem Platz des Mannschaftskapitäns am Tisch saß. Xius Platz.
„Ye Qiu“, erhob Mannschaftsmanager Li das Wort, als die gesamte Mannschaft versammelt war.
Die freudigen Gespräche, die die Profispieler bereits mit Xiang führten, ebbten ab. Stattdessen richteten sich die Blicke nun auf den Angesprochenen.
„Der Verein entschied bereits, dass unser Neuzugang Sun Xiang deine Position als Mannschaftskapitän übernehmen wird. Von heute an wird Sun Xiang die Kontrolle über deinen Account One Autumn Leaf haben“, fuhr Li ohne mit der Wimper zu zucken fort.
Die Entscheidung war also gefallen. Und nicht einmal Xuan persönlich überbrachte sie, doch Xiu wusste, dass Li ganz als Vertreter des Chefs handelte. Dennoch, es enttäuschte ihn. Nach all den Jahren, war er es nicht einmal mehr wert, wichtige Nachrichten direkt vom Boss zu erfahren.
„Bruder Ye, es tut mir so leid, dass ich deine Position übernehme, kaum dass ich ankomme“, sprach Xiang und sah dabei nicht zu Xiu, sondern zu Mucheng.
„Haha, Bruder Xiang, mit diesen Worten wirst du deiner Position definitiv gerecht“, ertönte es von einem der anderen Profispieler.
„Richtig, manche Leute sind einfach zu alt und von gestern!“
Verachtung und Spott war alles, was dieses Team für Xiu übrighatte. Außer Mucheng, der das Entsetzen in ihr Gesicht geschrieben stand, schien jeder die Entscheidung zu unterstützen.
I still feel sorry for you
Es war bedauerlich. Nicht nur, dass Xuan Xiu als Schandfleck betrachtete, sie alle taten es.
„Ye Qiu, übergebe One Autumn Leafs Accountkarte an Sun Xiang!”, forderte Li.
Wahrscheinlich glaubten die anwesenden Spieler wirklich, dass Xiu seine Blütezeit als E-Sportler hinter sich hatte, dass er der Grund war, wieso Excellent Era der Abstiegszone näher denn je war und sich das alles mit Xiang ändern würde.
Xiu schritt auf Xiang zu, reichte ihm One Autumn Leafs Accountkarte, während er den Jüngeren eindringlich musterte. Wunderkind Sun Xiang, Excellent Eras Hoffnungsträger.
“Lass los, Bruder Ye. Sieh dir deine Hände an, wie sie zittern! Wie könnten diese Hände die Stärke des Battle Gods zur Schau stellen? Überlass das besser mir! Ich werde den Titel des Battle Gods einmal mehr durch ganz Glory hallen lassen. Und du? Tritt zurück!”, sprach Xiang, nachdem Xiu die Accountkarte noch nicht losgelassen hatte.
Die Worte brachen durch Xius Gedanken.
„Magst du das Spiel?“, fragte er, um zu sehen, wie gut die Chancen standen, dass Xiang Excellent Era zu einer zweiten Blüte verhelfen würde.
„Was?“, entgegnete Xiang irritiert.
“Solltest du das Spiel mögen, dann betrachte all das hier als Ehre, nicht als Grund für Prahlerei.“
„Was sagst du da? Was hat das mit dir zu tun?“
Xiang konnte Xiu offensichtlich nicht folgen. Es enttäuschte Xiu. Was dachte Xuan sich dabei, diesem undankbaren Kind gleich das Kommando über das Team zu überlassen? Xiang mochte sich auf Interviews und Werbekampagnen einlassen, aber wie solle so jemand die Mannschaft anführen? Das waren doch Dinge, die Li und Xuan nicht egal sein konnten!
Watching you drown in your denial
„Behandle ihn rücksichtsvoll”, sprach Xiu schließlich, als er One Autumn Leafs Accountkarte losließ.
Er wollte gehen, doch erneut richtete Li das Wort an ihn: „Ye Qiu! Der Verein hat keine geeigneten Accountkarten, die man dir aktuell geben könnte. Für’s Erste kannst du als Trainingspartner bleiben!”
Damit hatte er also die Antwort, die endgültige Entscheidung, die Xuan getroffen hatte und durch Li verkündete. Xiu war kein Teil der Mannschaft mehr.
Xiang lachte derweil auf.
“Bei Bruder Xius Niveau ist es kein Problem, wenn er beim Trainieren hilft. Nur du verdienst es, der Nummer Eins Trainingspartner der Glory Professional Alliance zu sein!“, spottete Xiang.
Xiu lachte auf, während er seinen Blick auf Li richtete. Sie beide wussten doch, worum es hier wirklich ging und dass es nicht Xuans Plan war, dass Xiu als Trainingsparnter weiter bei Excellent Era angestellt blieb. Für wen sollte diese Show hier sein?
But I can't feel sorry for you
„Trainingspartner? Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Kündige den Vertrag!“
Xiu verstand nun, wieso Xuan den Vertrag nicht gekündigt hatte. Dieser wollte, dass Xiu den Vertrag kündigte. Anders als Excellent Era hatte Xiu keinen rechtfertigenden Grund, den Vertrag zu künden. Das bedeutete, dass er eine Entschädigungssumme an Excellent Era zu zahlen hatte, die er nicht aufbringen konnte. Auf diese Weise wollte Xuan ihm alles nehmen, was er hatte. Da war sich Xiu sicher, selbst wenn Li noch nachfragte, ob sich Xiu mit seiner Entscheidung sicher sei, als habe er nun zum ersten Mal von einer möglichen Vertragskündigung gehört.
„Den Vertrag kündigen? Du ersuchst den Vertrag zu kündigen?“, hakte Li nach.
„Richtig. Ich erbitte, den Vertrag zu kündigen“, bestätigte Xiu.
„Sei nicht voreilig!”, mischte sich nun Mucheng ein.
Sie wusste, wie sehr Xiu Excellent Era am Herzen lag und wie sehr Excellent Era Xiu brauchte.
„Der Chef ist noch nicht hier. Wartet auf ihn, bevor ihr das weiter beredet!“, fügte sie hinzu.
Ja, Xuan, der Chef, war nicht da. Doch was würde seine Anwesenheit ändern? Sein Vertreter, Cui Li, war immerhin hier und Excellent Eras Eigentümer brauchte hierfür nicht anwesend zu sein.
“Mucheng, verstehst du nicht? Dass ich gehe, ist das Ziel des Chefs. Ich bin für den Verein nicht länger von wert. Ich bin nur ein Geldfresser.“
„Nicht doch, wie könntet du ein Geldfresser sein? Deine Stärke unterliegt niemanden“, widersprach Mucheng.
„Das ist keine Frage der Stärke. Das ist Wirtschaft und ich? Ich hatte nie einen wirtschaftlichen Wert“, erklärte Xiu.
„Du hättest einen Wert haben sollen. Du entschiedst, ihn aufzugeben“, unterbrach Li.
„Richtig, das ist meine Entscheidung“, betonte Xiu. „Die Kommerzialisierung er Allianz erlaubte uns, zu überleben, aber jetzt …“
„Nachdem das so ist, ich …“, begann Mucheng, doch diesmal fiel Xiu ihr in’s Wort.
„Das braucht es nicht.“
Er schenkte ihr ein Lächeln. Sie sollte ihm nicht folgen, nicht ihren Unterhalt leichtfertig aufgeben, bloß weil zwischen ihm und Xuan ein Krieg entbrochen war. Ein Krieg, in dem es schien, als hätte er verloren, obwohl die Kriegserklärung erst heute gefallen war.
„Keine Sorge, ich habe noch nicht alle Hoffnung verloren. Ich werde zurückkommen.“
Watching you trying to show the traitor
„Nicht schlecht. Das ist der ambitionierte Ye Qiu, den ich kenne. Nun, lass uns über die Strafzahlung reden! Ehrlich gesagt, da du uns so viele Jahre lang begleitetest und so viel zu Excellent Era beigetragen hast, werden wir dich nicht drängen. Wenn du gehen möchtest, dann lass uns alle uns setzen und über die Details der Vertragskündigung reden. Wie ist es damit?“, sprach Li.
„Sag es mir direkt. Wie lauten die Bedingungen?”, entgegnete Xiu.
Er war die Show leid. Li wusste, dass Xiu die Strafsumme nicht zahlen konnte. Also mussten sie sich anders einig werden. Nachdem Xuan wollte, dass Xiu Excellent Era verließ, musste sein Plan bereits eine Alternative vorsehen, unter der Excellent Era bereit war, Xiu gehen zu lassen.
„Die Bedingung ist einfach: Verkünde deinen Rücktritt“, sagte Li.
Na bitte, Rücktritt. Das bedeutete, dass Xiu erst wieder nach einem Jahr der Glory Professional Alliance beitreten dürfe. In einem Jahr würde er 26 sein, ein Alter, in dem viele Profispieler ihre Karriere bereits an den Nagel hängen.
„Rücktritt! Diese Bedingung bezeichnest du als nicht drängen?“, äußerte Mucheng erzürnt.
„Ich bin einverstanden“, erklärte Xiu.
„Bist du wahnsinnig?“, rief Mucheng.
„Ich habe viele Jahre lang so hart gearbeitet, was ist so schlecht an einem Jahr Pause?“, wendete sich Xiu lächelnd an Mucheng.
„Was … was denkst du dir?“, fragte Mucheng verwirrt.
„Nicht viel“, entgegnete Xiu wahrheitsgemäß.
Li schob ihm bereits die Dokumente zur Vertragskündigung über den Tisch. Wie erwartet, das alles war von langer Hand geplant. Ihm war danach, zu lachen. Nun war es also wirklich so weit gekommen und er verließ Excellent Era als der Verräter, der die Mannschaft aus eigenem Willen im Stich ließ. Zumindest konnte es nach außen so wirken.
Xiu nahm den Stift. Schnell unterzeichnete er die vorgefertigte Rücktrittserklärung mit dem Namen Ye Qiu.
Dann stand er auf und ging aus dem Raum.
The only thing worse than a hater
Mucheng begleitete Xiu zum Gebäudeausgang. Sie weinte und der Anblick schmerzte Xiu. Es hätte wohl keine Möglichkeit gegeben, ihr das Leid zu ersparen, nachdem Xuan Xiu alles nehmen wollte, doch war es notwendig? Oder waren sogar Muchengs Tränen von dem Geschäftsmann kalkuliert worden?
“Ich ruhe mich ein Jahr aus, dann komme ich zurück“, sprach Xiu zum Abschied.
Er ließ Mucheng an der Pforte zurück. Er ächelte ihr aufmunternd zu, winkte ihr, versuchte, sie zu beruhigen, bis sie schließlich nicht mehr zu sehen war.
Doch was er ein paar Meter weiter von der Straße aus immer noch sehen konnte, war das Fenster zu Xuans Büro. Dort brannte Licht und Xiu meinte, eine menschliche Silhouette im Licht ausmachen zu können. Xuan.
Ob dieser schon wusste, dass sein Plan aufgegangen war?
Ob es Xuan freute? Es ihn mit Stolz erfüllte?
Würde es Xuan wenigstens ein bisschen leidtun?
The only thing worse than a hater
Xuan hatte inzwischen einen Anruf von Li sowie ein Foto der unterschriebenen Rücktrittserklärung erhalten. Es erfreute ihn, dass sein Plan aufgegangen war und Qiu ihm nicht wie sonst einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Er war stolz und es erleichterte ihn, dass Qiu laut Li kaum Emotionen gezeigt hatte, selbst wenn es ihn im selben Augenblick verärgerte. Er hatte Xiu immerhin Leid zufügen wollen. Immerhin waren sie nun quitt.
Was hatte Xuan während ihrer Beziehung alles für den Jüngeren gegeben? Ihn kaum mit Sponsoren genervt, die Strafzahlungen der Allianz für das Fernbleiben von Interviews übernommen, ihm all seine Geheimnisse zugestanden. Er hatte den Mannschaftskapitän vor all seinen Neidern und Feinden verteidigt, was viel Mühe gekostet hatte.
Im Gegenzug hatte er nie viel verlangt, doch letztendlich hatte er im Gegenzug gar nichts bekommen. Qiu war nicht bereit gewesen, sein Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen, als es notwendig geworden war. Qiu hatte nicht einmal versucht, ihre Beziehung zu retten, als Xuan sie beendet hatte. Qiu hatte Xuan bloß ausgenommen, solange sich dieser hatte ausnehmen lassen.
Was für ein Narr der Ältere doch gewesen war!
Is a traitor
Xiu wusste, auch er hatte Fehler gemacht. Er hätte Xuan seinen echten Namen, seine Herkunft, warum er sich als jemand anderes ausgab und sein Gesicht versteckte, erklären sollen. Er fragte sich, ob die Dinge anders gekommen wären, wenn er Xuan in seine Lügen und Geheimnisse eingeweiht hätte, doch er glaubte nicht daran. Er hätte Xuan damit bloß mehr Probleme bereitet und das hatte Xiu nie gewollt.
Er wendete den Blick ab und setzte seinen Weg durch die nächtliche Straße fort.
A traitor
Xuan sah die Schneeflocken durch die Luft treiben. Wie kalt musste es draußen sein? War es grausam, bei diesem Wetter seinem Ex-Freund das Dach über dem Kopf zu nehmen?
Xuan dachte an Qiu, wollte sich an dessen Situation, in der Qiu nichts mehr besaß, erfreuen, doch tatsächlich konnte er einen Funken der Sorge nicht vermeiden. Der Gedanke verschwand jedoch schnell wieder. Er brauchte kein schlechtes Gewissen haben, nicht er war hier der Übeltäter! Qiu war selbst an seiner Situation schuld! Er bekam nun nur die Konsequenzen dafür, dass er sich von Xuan ernährt hatte wie ein Parasit von seinem Wirt, zu spüren.
Xuan legte eine Hand an die Fensterscheibe. Er erkannte auf der Straße eine einsame, dunkle Gestalt. Ob das sein verbannter Ex-Freund war?
Ob er es war oder nicht, Xuan fragte sich, wie sich Qiu nun fühlte und ob dieser einsah, dass er an all dem selbst schuld war. Denn wäre es nach Xuan gegangen, es hätte nicht so weit kommen müssen.
A traitor
Xiu lief ziellos durch die Gegend. Der fallende Schnee legte sich auf sein dunkles Haar, die Kälte fraß sich in seine Ohren und Hände. Er fror.
Wenn er zurückdachte, dann bedauerte er, dass er nicht hatte verhindern können, dass aus Xuan ein Mann geworden war, der seine Stellung ausnutzte. Der Mann, den er geliebt hatte, hätte das nicht getan, doch Xuan war nicht mehr derselbe wie damals.
Xiu ein Jahr von professionellen Wettkämpfen fernzuhalten, war wie einen Menschen ohne Wasser in die Wüste zu schicken. Und dann entließ Xuan ihn auch noch im Winter, nahm ihm den Platz, an dem er wohnte. Das tat man nicht mal einer Person an, die man hasste.
Niemals hätte Xiu etwas Vergleichbares getan.
Niemals wollte er etwas Vergleichbares tun.
You put a knife out in my back
So wie Ye Qiu für Excellent Era nun Vergangenheit war, so wusste Xuan, müsse auch er endlich mit seinem Ex-Freund abschließen. Er atmete tief durch, wollte den Jüngeren aus seinen Gedanken verbannen, doch ganz gelang es ihm nicht.
Li hatte ihm gesagt, dass Qiu es gewagt hatte, zu behaupten, in einem Jahr zurückzukommen. Xuan glaubte nicht, dass Qiu es überhaupt soweit schaffen würde. Aktuell hatte Qiu nichts. Sein Selbstvertrauen trotz seiner Lage erschien Xuan kein Zeichen für Mut, sondern für Dummheit zu sein.
Xuan wendete sich vom Fenster ab und brach in schallendes Gelächter aus.
Solle der Jüngere es doch versuchen, in die Welt des professionellen Glory zurückzukehren! Wenn er einen Krieg anfangen wollte, dann solle er das tun! Xuan war es recht. Er hatte diese Schlacht gewonnen, er würde auch den Krieg gewinnen, denn er und nicht der elende Parasit verdiente den Sieg!
Killed any history we had and now it's war
Nach einer Weile stellte Xiu fest, dass er wieder vor Excellent Era stand, nur diesmal auf der anderen Straßenseite.
Er seufzte.
Xuan hatte mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen, er musste das auch tun. Wenigstens vorerst.
Er wendete den Blick ab, musterte die Gebäude auf seiner Straßenseite. Ein Internetcafé.
Xiu schmunzelte. Wohin er auch ging, es würde ihn nur wieder zu Glory führen. Damit konnte und wollte er nicht abschließen. Und Glory war nichts, das Xuan ihm ganz nehmen konnte.
Der Ältere und Excellent Dynasty würden schon sehen: Sie mochten ihn verstoßen können, doch um ihn wirklich loszuwerden, brauchten sie eine Welt, in der Glory nicht existierte.
And now it's war
In dieser Nacht, nur eine Straße von einander entfernt, akzeptierten Xiu und Xuan, dass ihre gemeinsame Zeit, alles Vertrauen und alle Liebe Vergangenheit war. Ein jeder von ihnen war bereit, die Vergangenheit endgültig ruhen zu lassen, um in die Zukunft blicken zu können. Eine Zukunft, in der sie Gegner sein würden.
War
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