»Du bist Heim!«
Mit einem freudigen Quietschen sprang Tsunade von ihrem Aussichtsposten herab und rannte Tobirama entgegen. Sobald er sie sah, hellte sich sein Gesicht auf und er fing sie lächelnd auf. Lachend schlang Tsunade ihre Arme um seinen Hals und vergrub ihr Gesicht in seinem Pelz. Dem vertrauten Kleidungsstück haftete der ganz charakteristische Duft ihres Großonkels an, den sie immer wiedererkennen würde, der erdige Geruch eines Waldes nach einem erfrischenden Regenguss.
Er rieb seine Nase an ihrer und gab ihr einen Kuss auf die Wange, was sie zum Lachen brachte.
»Was hast du mir mitgebracht? Was hast du mir mitgebracht?«, verlangte sie zu wissen und zappelte aufgeregt mit den Beinen. Onkel Tobirama brachte ihr immer etwas mit, wenn er von einer seiner Reisen wiederkam.
Er kitzelte ihren Bauch, und da sie immer noch auf seinem Arm saß und er so viel größer war als sie, konnte sie ihm nicht entkommen. Sie lachte hell auf und wand sich in seinen Armen.
»Die kleine Prinzessin ist ungeduldig«, schollt er sie neckend.
»Ich will‘s wissen!«
»Gönnst du nicht einmal diesem alten Mann seine wohlverdiente Ruhe?«
Sie streckte ihm die Zunge raus. »Oma sagt immer, dass du dein Alter immer dann vorschiebst, wenn du keine Lust hast, ihr im Haus zu helfen. Aber dabei bist du gar nicht so alt!«
»Du kleiner Teufel. Ich sollte dich nicht so oft mit Mito allein lassen«, stellte Tobirama fest.
Er ließ sie dennoch auf seinen Schultern sitzen, als sie sich auf den Heimweg machten. Es war für die Dorfbewohner kein ungewohnter Anblick, ihren Hokage so mit Tsunade oder Nawaki oder oft auch beiden zu sehen. Während ihres Heimweges fragte Tobirama sie, was sie inzwischen alles an der Akademie gelernt hatte und wie es Nawaki während seiner ersten Wochen mit seinen neuen Klassenkameraden ergangen war. Er hatte seine Reise extra verschoben, sodass er bei Nawakis Einschulung hatte dabei sein können.
»Nawaki ist faul«, beschwerte sich Tsunade schmollend. »Er träumt den ganzen Tag vor sich hin und Mama will, dass ich ihm mit seinen Hausaufgaben helfe. Das nervt, weil ich ja meine auch machen muss.«
»Ihr lernt immer noch am besten voneinander«, sagte Tobirama in seiner ruhigen, aber unnachgiebigen Art.
»Ja, ich weiß«, quengelte Tsunade. »Das sagst du immer, Tobi-oji.«
»Dann ist da vielleicht etwas dran.«
Als Antwort zog sie ihm an den Haaren, leicht nur. Er ließ es durchgehen.
Als sie nur noch wenige Häuser von ihrem Heim entfernt waren, wurde ihr Gespräch von einem gellenden Schrei unterbrochen.
»Überfall!«
Nawaki sprang aus dem Schatten einer Gasse und warf ein Shuriken. Tobirama pflückte es mühelos aus der Luft. Nawaki schmollte.
»Manno. Tu doch wenigstens so, als wärst du überrascht, Tobi-oji.«
Tobirama setzte Tsunade ab und reichte Nawaki sein Shuriken zurück. »Deine Wurftechnik hat sich verbessert.«
Nawakis Gesicht hellte sich auf. »Ich hab richtig fleißig trainiert, damit ich eines Tages auch so groß und stark werde wie du und Opa!«
Tobirama zerwuschelte ihm die Haare und führte die Kinder nach drinnen. »Deine Schwester hat mir gesagt, dass du deine Hausaufgaben nicht machst.«
»Hausaufgaben sind langweilig. Ich will lieber trainieren!«
Erstaunlicherweise folgte daraufhin keine Lektion, und Tobirama ließ es einfach so stehen.
Großmutter Mito begrüßte sie und erlöste Tobirama von den beiden Kindern, die ihn noch immer belagerten. Später sei immer noch Zeit für eine Geschichte von seiner Reise. Um sich die Zeit bis dahin zu vertreiben, forderte Nawaki daher Tsunade zu einem Duell heraus, und erstaunlicherweise stimmte Mito zu, ihnen dabei zuzusehen. Eines Tages wäre Tsunade so stark wie ihre Großmutter, das hatte sie sich fest vorgenommen, und Mito hatte ihr versprochen, ihr dabei zu helfen.
Später am Tag fanden sie sich alle auf dem engawa ein, um den Garten zu betrachten und gemeinsam Zeit zu verbringen. Es war noch immer Sommer und überall summten die Insekten von Blume zu Blume. Mito hatte an diesem Tag wieder einmal einen großen Korb voller Erdbeeren geerntet, die sie nun alle genüsslich verspeisten. Immer wieder wanderte eine Hand in den Korb, um sich eine der roten Früchte zu stibitzen. Die Erdbeeren ihres eigenen Gartens schmeckten noch immer am besten.
»Sagst du uns jetzt, was du uns mitgebracht hast, Tobi-oji?«, fragte Tsunade.
»Schaut her.« Tobirama holte aus seinem yukata eine Muschel hervor und reichte sie den Kindern.
Die Muschel hatte ein gewundenes, spitz zulaufendes Gehäuse und war blass rosa gefärbt mit dunkleren Streifen. Die Innenseite hatte einen schönen perlmuttfarbenen Glanz, der im Sonnenlicht schimmerte. Fasziniert betrachtete Tsunade, wie sich der Schimmer veränderte, je nachdem, wie sie die Muschel hielt.
Mito beugte sich vor, um zu sehen, was sie dann in Händen hielt. Dann musste sie schmunzeln. »Die Strände von Uzushio sind voll von solchen Muscheln. Man kann in ihnen das Rauschen des Meeres hören.«
Nawaki machte große Augen. Tsunade reichte ihm die Muschel und er hielt sie sich an das Ohr. Seine Augen wurden noch größer.
»Tatsächlich!«, staunte er. »Warum ist das so?«
»Der Hohlraum des Schneckengehäuses erzeugt Rauschgeräusche«, erklärte Tobirama.
Mito gab ihm einen Klaps auf die Finger. »Erzähl doch nicht sowas!«
Tobirama kniff die Augen zusammen. »Das sind die Fakten.«
»Man hört in Muscheln natürlich das Meer rauschen, weil sie kleine Juwelen des Ozeans sind, die an Land gespült wurden«, widersprach Mito ihm. »Sie haben ihr ganzes Leben lang im Meer verbracht und haben daher seine Essenz in sich aufgenommen. Aber das Meer gibt gern seine Schätze und daher werden manchmal kleine Kostbarkeiten wie diese an die Strände gespült. Es heißt, je mehr die Geister des Meeres die Menschen wertschätzen, die an den Ufern leben, umso reicher werden ihre Strände beschenkt.«
Tsunade musste kichern. Natürlich hatte Tobirama für alles eine rationale Erklärung parat, aber Mito erzählte immer die schönen Geschichten.
»Und was müssen die Menschen machen, damit die Geister sie mögen?«, fragte Nawaki. Auch er liebte die Geschichten ihrer Großmutter.
»Nun, sie müssen das Meer schätzen und dürfen seine Kostbarkeiten nicht für selbstverständlich nehmen. Sie dürfen nur nehmen, was sie selbst brauchen. Und natürlich sollten sie durch Opfergaben dafür sorgen, dass die Geister des Meeres ihnen wohlgesonnen sind. Es ist schließlich ein Geben und Nehmen.«
Nawaki betrachtete die Muschel in seinen Händen, als wäre sie das kostbarste, was er jemals gesehen hatte. Und vielleicht war sie das ja auch, auf ihre ganz eigene Weise.
Tsunade schmiegte sich lächelnd in Mitos Arme. Sie war froh, dass Tobirama wieder da war. Es war jedes Mal furchtbar, wenn er weg war, dann war das Haus noch leerer als ohnehin schon. Großvater war nicht mehr, und jedes Mal, wenn Onkel Tobirama auf eine Reise ging, hatte Tsunade Angst, dass er vielleicht nicht wieder heimkehren würde. Wie Großvater damals.
Das Leben ging weiter seinen gewohnten Lauf. Tsunade und Nawaki gingen weiter zur Akademie, und jetzt, da Tobirama wieder da war, konnte Tsunade auch wieder aufmerksamer dem Unterricht lauschen, ohne sich die ganze Zeit zu fragen, wie es ihrem Onkel ginge. Als Hokage war er immer so beschäftigt, aber er schaffte es dennoch, immer Zeit für seine Familie zu finden. Und wenn er einmal einen Anflug von Humor zeigte, dann schickte er einfach einen Doppelgänger in sein Büro, der für ihn die Arbeit machte, während er selbst von Nawaki zu irgendeiner Albernheit angestiftet wurde.
Tsunade spürte dennoch, dass unter der Oberfläche ein Schatten lag. Als sie eines Nachts ein Gespräch zwischen Mito und Tobirama belauschte, ahnte sie, dass etwas Großes auf sie zukam.
»Ich wünschte wirklich, ich könnte selbst nach Uzushio gehen«, sagte Mito leise.
Sie saß mit Tobirama in einem der vielen leeren Zimmer des Hauses. Die Tür war einen Spalt weit aufgeschoben und der schwache Schein einer Kerze fiel auf den Flur. Tsunade schlich über die tatami, um sich nicht zu verraten, und lauschte.
»Es war schön, dass du den Kindern die Muschel mitgebracht hattest«, fuhr Mito fort. »Das hatte mich an meine Heimat erinnert.«
»Jeden Tag bedauere ich, was dir widerfuhr«, erwiderte Tobirama. »Wenn es nur irgendetwas gäbe, das ich tun könnte.«
»Ich weiß, dass meine Pflicht dem Dorf gegenüber liegt und es erfüllt mich mit Stolz, meinen Teil dazu beitragen zu können, und wenn es nur ist, Kyubi sicher in mir zu verwahren. Vielleicht wird die Lage ja bald schon wieder stabiler, sicher genug, dass ich selbst wieder in meine Heimat reisen kann.«
»Deinen Brüdern geht es gut und sie lassen ausrichten, dass sie dich vermissen. Du hast übrigens noch eine Nichte bekommen.«
»Ach Gott, dafür sind wir doch langsam wirklich zu alt.«
»Sie ist rothaarig wie ihr alle und mit einer bemerkenswert kräftigen Stimme. Nami heißt die Kleine.«
»Lass mich raten, sie ist Itsukis.«
»In der Tat.«
Für einen Moment herrschte Stille. Tsunade wagte es nicht, auch nur einen Finger zu krümmen. Sie wusste, Onkel Tobirama würde es bemerken. Ihm entging nie etwas.
»Also wirst du wirklich nach Kumogakure gehen?«, fuhr Mito schließlich fort.
Tsunade glaubte, ihr würde das Herz stehen bleiben.
Tobirama seufzte schwer. »Wenn du einen anderen Vorschlag hast, lass es mich wissen.«
»Es ist riskant. Aber das muss ich dir nicht sagen.«
»Es ist auch der einzige Weg, den ich sehe, um die Situation zu entschärfen. Wenn nicht, nun …«
»Dann haben wir Krieg«, sagte Mito düster.
Tsunade erstarrte. Ein schreckliches Gefühl lähmte ihre Glieder und raubte ihr den Atem. Etwas sagte ihr, dass Tobirama auf keinen Fall gehen durfte, dass er unbedingt in Konoha bleiben musste.
»Ich werde so bald als möglich aufbrechen und Hiruzen, Kagami, Danzō, Koharu, Homura und Torifu mit zu den Verhandlungen mit dem Raikage nehmen.«
Tsunade sprang auf und riss die Tür auf. Sie stolperte in den Raum und warf sich Tobirama in die Arme.
»Nein, geh nicht!«, schluchzte sie. »Du darfst nicht gehen!«
Tobirama schien etwas überrascht ob ihrer Reaktion. Er tätschelte ihr beruhigend den Rücken. »Es ist doch nicht für lang und ich gehe auch nicht allein.«
Sie krallte ihre Hände in seinen yukata und presste ihr Gesicht in den Stoff, während ihr die Tränen über die Wangen rannen. »Aber dieses Mal wird was furchtbares passieren. Ich weiß es einfach. Ich will nicht, dass du gehst, ich verbiete es dir! Ich will nicht, dass du gehst und nie wiederkommst, wie Opa.«
Tobirama erstarrte, wie jedes Mal, wenn jemand in seiner Gegenwart Hashirama erwähnte. Die Wunde war bei ihm noch genauso tief wie bei ihnen allen.
»Tsunade, Liebes, du musst dir keine Sorgen machen«, sagte Mito sanft. Sie rückte zu ihnen auf und strich Tsunade über die Haare. »Dein Onkel ist in guten Händen, dafür hat er selbst gesorgt.«
»Ihr versteht nicht!«, rief Tsunade aufgebracht. »Ich weiß es einfach. Wenn du gehst, wird was schlimmes passieren, Tobi-oji.«
Tobirama drückte sie an sich, was wohl beruhigend wirken sollte, es aber nicht tat. »Tsunade, du weißt vielleicht, wie angespannt die Lage zwischen den Nationen ist. Ich rede wenig mit dir oder Nawaki darüber, weil ich euch nicht beunruhigen will, aber es ist nun einmal so, dass die Situation zu eskalieren droht. Der Raikage ist bereit für Gespräche mit uns und ich muss diese Gelegenheit nutzen, weil es vielleicht einen offenen Konflikt verhindern kann. Verstehst du, warum das so wichtig ist?«
Tsunade schniefte und schüttelte den Kopf. »Aber du bist auch wichtig. Für mich. Und für Nawaki auch.«
Mito umarmte sie beide. Tobirama seufzte schwer. Er wirkte so müde.
»Ihr seid mir auch wichtig. Mehr als alles andere. Aber dennoch muss ich gehen. Es tut mir leid.«
Nur eine Woche später verließ er Konoha. Tsunade bettelte und flehte, doch nichts konnte ihn umstimmen. Sie wusste ja selbst nicht einmal, woher dieses grauenhafte Gefühl kam. Doch die ganze Zeit über saß ihr die Angst im Magen und die Vorahnung von etwas Furchtbarem raubte ihr den Schlaf.
Tag für Tag wartete sie am großen Tor von Konoha auf die Rückkehr Tobiramas. Tag für Tag hielt sie nach seinem charakteristischen weißen Haarschopf und seinem Pelzkragen Ausschau. Doch er war nirgends auszumachen.
Und dann, eines Tages, kam sie von der Akademie heim und fand Sarutobi Hiruzen bei ihnen zuhause vor. Er kniete vor Mito, welche anscheinend geweint hatte. Ihre Schminke war verwischt und und ihre Augen gerötet. Als er merkte, dass Tsunade das Zimmer betreten hatte, sah er auf und warf ihr einen mitfühlenden Blick zu.
Tsunade erstarrte. Ihr glitt die Tasche aus der Hand. Das Geräusch der aufprallenden Bücher lenkte Mitos Aufmerksamkeit auf sie. Sie raffte ihren Kimono, trat eilig zu ihrer Enkelin und zog sie in ihre Arme.
Tsunade wusste: Sie hatte Recht behalten. Ihre Vorahnung hatte sie nicht betrogen.
Die Welt drehte sich um ihr herum. Sie klammerte sich an ihre Großmutter und kniff die Augen zusammen. Nein. Nein, das konnte nicht wahr sein. Das konnte nicht geschehen sein. Das war alles nur ein furchtbarer Alptraum und gleich würde sie erwachen und Onkel Tobirama würde zur Tür hereinkommen und alles wäre in Ordnung. Er würde ihr eine Kleinigkeit aus Kumogakure geben und dann würden sie sich wieder alle zusammensetzen und Geschichten erzählen.
»Es tut mir leid, meine Prinzessin. Es tut mir so leid.«
Doch Tobirama würde nicht mehr Heim kommen. Nie wieder.
Tsunade brach in Tränen aus.
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