Tobirama wusste, dass er ein toter Mann war, in dem Moment, in dem er Tsunas Chakra in Hashiramas Büro spürte – seinen Büro, wie er sich korrigierte, da Hashirama abgedankt hatte und das Dorf aus Tobirama unerfindlichen Gründen entschieden hatte, dass das Amt des Hokage ihm gut zu Gesicht stünde. (Izuna, die kleine Kröte, hatte sich köstlich über Tobirama amüsiert, als das Wahlergebnis feststand.)
Tsunas Chakra in seinem Büro und nicht in dem Zimmer, wo er auf sie hätte aufpassen sollen, bedeutete mit absoluter Sicherheit genau eines: Mito würde ihn vierteilen und Miyazaki ihn ausweiden. Vielleicht auch umgedreht. So oder so, er war erledigt.
Sofort und ohne einen weiteren Gedanken teleportierte er sich zu der Hiraishin-Markierung im Büro. Die Katastrophe nahm ihren Lauf.
»Opa, Onkel Madara, schaut mal, was für einen hübsch schimmernden Käfer ich gefunden habe!«, quäkte eine kleine, fünfjährige Tsunade und zeigte ihr strahlendstes Zahnlückengrinsen. Doch dann erstarb das Grinsen auf ihren Lippen und ein konzentrierter Ausdruck trat auf ihre Züge. »Ähm, warum habt ihr nichts an? Und warum steckt Opa sein Holz in dich, Onkel Madara?«
Die Szenerie erstarrte. Tod war gar kein Ausdruck für das, was Tobirama von seiner Schwägerin und Nichte drohte.
Dann kam Bewegung in die Erwachsenen. Madara war für seine Geschwindigkeit bekannt, doch Hashirama ließ ihn alt aussehen, als er mit Lichtgeschwindigkeit von dem Tisch wegstolperte und sich seine Kleidung überwarf. Tobirama hatte außerdem noch nie gesehen, dass sich Mokuton-Holz so schnell zurückbilden konnte. Zudem war auch dieser Gesichtsausdruck bei Madara neu. War das … Todesfurcht? Nur vernünftig in Anbetracht ihrer Situation.
Hashirama bleckte die Zähne im Versuch eines kinderfreundlichen Lächelns. »Das ist ein wirklich hübscher Käfer, den du da hast, Tsuna-chan. Aber ich bin sicher, du hast ganz tolle Sachen mit Onkel Tobirama vor.«
Tsunade war gewiefter, als gut war – jedenfalls für ihre Mitmenschen. Sie kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Was habt ihr gemacht?«
Tobirama spürte, wie unsichtbare Hände seine Kehle zuschnürten. Auf der Streckbank gefoltert und an den eigenen Gedärmen aufgehangen wäre noch ein gnädiges Schicksal. »Das erklärt dir Opa«, brachte er eilig hervor im verzweifelten Versuch, seine eigene Haut zu retten.
Hashirama wurde verräterisch blass im Gesicht, als sein eigener Bruder ihn so hinterrücks ans Messer lieferte. Madara sah aus, als würde er am liebsten etwas anzünden und bohrte sein Sharingan direkt in Tobiramas Hirn.
»Tsuna-chan, geh bitte kurz nach draußen. Wir haben langweilige Erwachsenendinge zu besprechen«, sagte der Uchiha erstaunlich zivilisiert, ohne den Blick von Tobirama zu wenden.
Tsunade schmollte und stampfte mit dem Fuß auf. »Manno!« Dann tat sie dennoch, was Madara ihr gesagt hatte.
Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, explodierte Tobirama. »Warum habt ihr die Tür nicht zugemacht? Und … was sollte das überhaupt? In meinem Büro?!«
Madara sagte noch immer nichts, während er noch immer mehr schlecht als Recht seine Blöße zu bedecken versuchte. Sein Gesicht war knallrot angelaufen und das ausnahmsweise einmal nicht vor Zorn. Tobiramas Blick wanderte zu seinem Tisch, und das Bild von Madaras blanken Hintern auf der Tischplatte drängte sich in seine Gedanken. Er brauchte dringend einen neuen Tisch. Das Bedürfnis, das ganze Zimmer unter Wasser zu setzen, wallte übermächtig in ihm auf. Oder besser noch, Feuer legen …
»Was habt ihr hier überhaupt zu suchen?«, zischte Tobirama.
Hashirama kratzte sich verlegen am Kopf. »Wir wollten dir ein paar Dokumente vorbei bringen, aber du warst nicht da. Und na ja, alte Gewohnheiten …«
Tobirama musste wirklich an sich halten, um den Schreibtisch nicht sofort in Flammen aufgehen zu lassen. Er würde diesen Tisch nie wieder mit denselben Augen sehen können. Am besten, wenn er ihn gar nicht mehr sehen musste.
»Warum habt ihr die verdammte Tür nicht zugemacht?«, fauchte er.
»Sie war zu, aber du weißt, wie Tsunade ist!«, rechtfertigte sich Madara.
Als würde sich Tsunade von einer geschlossenen Tür aufhalten lassen. Zur Not rannte sie sie einfach ein.
»Wir werden definitiv noch ein paar zusätzliche Regeln aufstellen müssen«, sagte Tobirama bestimmt.
Hashirama machte ein langes Gesicht. »Aber ich bin nicht einmal mehr Hokage, ich habe abgedankt.«
»Diese Regeln sind augenscheinlich von Nöten«, betonte Tobirama.
»Kontrollfreak«, bemerkte Madara.
»Raus!«, donnerte Tobirama.
»Mit Vergnügen!« Madara packte Hashirama und zerrte ihn zur Tür. Mittlerweile hatten sich beide wieder mehr schlecht als recht angekleidet, wenn auch noch weit entfernt von präsentabel.
»Hashirama«, hörte Tobirama Madara noch leise sagen.
»Hm?«
»Deine Schläfen werden grau.«
»Wenn ich nur tief genug in deinen Haaren wühle, finde ich bestimmt auch eine graue Strähne.«
»Blödsinn. Wir Uchiha haben überragende Gene. Ich werde nicht grau.«
Tobirama überlegte, ob er verraten sollte, dass er schon recht früh graue Haare bei Izuna gefunden hatte. Dann entschied er sich allerdings dagegen. Wenn Izuna herausfand, dass Tobirama das ausgeplaudert hatte, nur um Madara eins auszuwischen, würde er für den Rest seines Lebens auf dem Sofa schlafen dürfen.
Dann wandte er sich wichtigeren Dingen zu. Er musste eine gewisse Tür absichern.
Die Jahre gingen ins Land und Tobirama bemühte sich, einen solchen Vorfall nicht mehr vorkommen zu lassen. Hauptsächlich bestand das daraus, Hashirama und Madara nicht mehr unbeaufsichtigt in sein Büro zu lassen.
Außerdem ersetzte er den Schreibtisch schnellstmöglich und übergab das alte Möbelstück rituell den Flammen von Izunas Katon. Izuna fragte nicht nach dem Grund, er hatte einfach Spaß am Zündeln.
Tsunade begann alsbald, die Akademie unsicher zu machen, und auch wenn sie die Jungs liebend gern verprügelte und ihnen an den Haaren zog, waren ihre Noten sehr gut. Sie bestand die Akademie mit Bravour und Hiruzen wurde die (zweifelhafte) Ehre zuteil, ihr sensei zu werden.
Tobirama merkte schon früh, dass dieses Amt nichts für ihn war. Er tat, was in seiner Macht stand, und natürlich stand er nicht allein da, denn Hashirama, Izuna, Mito und Madara waren ja immer noch da. Wie schon damals zu der Zeit, als sie das Dorf gegründet hatten, teilten sie das Amt faktisch unter sich auf – und die meiste Arbeit blieb noch immer an Tobirama hängen.
»Das bildest du dir ein«, sagte Izuna, als sich Tobirama nicht zum ersten Mal nach einem langen Arbeitstag darüber beschwerte.
»Du weißt, was unsere Brüder am liebsten treiben«, maulte Tobirama.
»Und Mito macht mit.«
Tobirama schwieg und versuchte mit aller Macht, an etwas anderes zu denken. Aber das hatte er sich selbst zu verschulden, er hatte es zuerst angesprochen.
Tobirama war in seinen sechzigern, als Tsunade ihre Chūnin Prüfung bestand. Er war mittlerweile fast doppelt so alt wie sein Vater und damit mindestens doppelt so alt, wie er jemals gedacht hatte zu werden. Als er fast jeden Morgen beim Aufstehen seine Gelenke spürte, beschloss er, dass diese Prüfung das letzte wäre, was er als Hokage veranlasste.
Er dankte ab und wie es der Zufall so wollte, beschloss das Dorf, dass Saru eine geeignete Nachfolge wäre.
Nun, einige Wochen später, fand endlich die Amtsüberführung statt. Tobirama klatschte seinem ehemaligen Schüler einen beachtlichen Stapel Dokumente auf den Tisch. Was für ein gutes Gefühl, den ganzen Mist endlich abschieben zu können, damit er nun seinen Ruhestand mit Izuna genießen konnte. Er hatte ihn sich weiß Gott verdient.
Saru saß etwas steif auf dem Bürostuhl und verschwand hinter dem Stapel. Er wurde ein wenig blass um die Nase.
»Durcharbeiten«, sagte Tobirama knapp. Dann drückte er Saru ein etwas abgegriffenes Büchlein in die Hand. »Und am besten fängst du damit an. Ignoriere die Anmerkungen. Also einige, nicht alle.«
Hiruzen drehte das Büchlein und her und betrachtete es etwas verwirrt. »Was ist das?«
»Das Hokage-Handbuch. Sozusagen.«
Hiruzen schlug es auf und wurde sogleich von der ordentlichen Handschrift seines sensei begrüßt. Tobirama hatte hier also minutiös seine Erfahrungen aus seiner Amtszeit und der von Hashirama-sama festgehalten. Sah ihm ähnlich, so ordnungsliebend, wie er war. Er schrieb absolut alles auf, um es dann fein säuberlich abheften zu können. Hiruzen blätterte durch die Seiten, hin und wieder blieb sein Blick an dem einen oder anderen Eintrag hängen.
Einige ließen ihn jedoch stutzen.
»Kein Mokuton im Büro, unter keinen Umständen. NIEMALS.« Das letzte hatte Tobirama energisch unterstrichen. »Und ganz bestimmt nicht deine Ranken, anija! Nicht einmal, wenn Lebensgefahr droht!«
Hiruzen runzelte die Stirn und rätselte über die Bedeutung dessen nach.
»Der Schreibtisch ist zum Arbeiten und allein dafür da. Für nichts anderes!« Daneben fand sich eine Anmerkung in Hashirama-samas Handschrift: »Otōto, du bist echt langweilig.«
Darunter hatte eine dritte Person ein »Verklemmter Spießer!« gekritzelt und ein rudimentäres Strichmännchen hinzugefügt. Madara-sama vielleicht?
Noch ein Eintrag weckte Hiruzens Aufmerksamkeit. Dabei handelte es sich um ein elaboriertes Sicherheitssystem für die Bürotür, das eindeutig Tobirama-senseis Handschrift trug. Er las es aufmerksam. Dann sah er auf und begegnete den roten Augen Tobiramas.
»Ist das eine … Kindersicherung?«, fragte er vorsichtig.
Tobirama zögerte einen winzigen Moment. Ungewöhnlich. »Natürlich«, sagte er dann mit Nachdruck. »Kinder dürfen auf keinen Fall freien Zutritt zu den Informationen dieses Raumes haben, zu ihrer eigenen Sicherheit.«
»Und warum ist es dann so spezifisch auf Tsunade zugeschnitten?«
»Zufall!«
Dieses Mal kam die Antwort einen Hauch zu schnell. Ohne Hiruzen die Gelegenheit für eine Antwort zu geben, drehte Tobirama auf dem Absatz um und stürmte aus dem Büro. Wenn er es nicht besser wüsste, Hiruzen hätte gesagt, dass er floh.
In einem Moment glasklarer Erkenntnis ging Hiruzen einige Wochen später auf, wie diese rätselhaften Anmerkungen und Regeln zustande gekommen waren. Er wünschte sich seine glückseelige Unwissenheit zurück und wäre vor lauter Scham am liebsten im Boden versunken.
Die Welt drehte sich weiter und auch Hiruzen wurde alt in seinem Amt. Er gab sich Mühe, in die Fußstapfen der Riesen vor ihm zu treten, und tat sein Bestes, ihrem Erbe gerecht zu werden. Gleichzeitig sah er auch seine Schüler erwachsen werden und selbst Schüler annehmen. Zumindest Jiraya, der sich irgendwo in Amegakure herumtrieb. Tsunade hatte nach dem Tod ihres Großvaters das Dorf verlassen und streifte durch die Welt. Und was Orochimaru trieb, wusste niemand so wirklich.
Schließlich wurden auch die Schüler seiner Schüler Jōnin, und Hiruzen beschloss, dass er jetzt auch genug hatte. Mittlerweile konnte er Tobirama-sensei, möge er selig im Jenseits ruhen, verstehen, warum dieser damals so froh gewesen war, dieses Amt endlich loszuwerden. Es lag einfach nicht in der Natur der Shinobi, so alt zu werden und noch aktiv im Dienst zu sein. Also dankte er ab.
Wie es der Zufall so wollte, wählte das Dorf Namikaze Minato zu seinem Nachfolger. Auch er erhielt die selbe Amtseinführung, die damals schon Hiruzen zuteil geworden war. Er drückte Minato das Handbuch in die Hand.
»Streng geheime Informationen«, merkte er an.
Minato nickte ernst und begann genau wie Hiruzen damals durchzublättern. Dann jedoch breitete sich ein allzu wissendes Grinsen auf seinen Lippen aus.
»Streng geheime Informationen also«, wiederholte der Yondaime Hokage. »Ich verstehe.«
Minato mochte vergleichsweise jung sein, aber das hinderte ihn nicht daran, sich energisch gegen die altehrwürdige (und mittlerweile in erster Linie alte) Elite des Dorfes durchzusetzen. Die Zeiten waren moderner geworden, und mit ihm kam allmählich ein neuer Wind ins Dorf.
Dann wurde er Vater und auch für ihn wehte nun ein neuer Wind. Kushina herrschte mit eiserner Hand über ihren Haushalt und tat ihr bestes, um ihre alte Lehrmeisterin Mito-hime stolz zu machen, würde sie noch leben. Uzumaki mochten mit einem langen Leben gesegnet sein, aber die Frau des Shodai Hokage war schließlich doch vor einigen Jahren im stolzen Alter von neunundneunzig Jahren verschieden, als sie Kushina Kurama übertragen hatte.
Doch als jinchūriki und nun auch Mutter hatte Kushina alle Hände voll zu tun. Minato beschloss, dass es angebracht wäre, mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen, und begann, seinen Rücktritt vorzubereiten.
Irgendwie schien es ihm da nur passend, das Amt wieder in die Hände der Gründerfamilie zu geben.
Es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, aber schlussendlich kehrte Tsunade-hime doch in das Dorf zurück. Wenige Monate später stürmte sie Minatos Büro und ließ sich natürlich immer noch nicht von der Tür aufhalten, Onkel Tobiramas Kindersicherung hin oder her. Minato setzte gerade an etwas zu sagen, als Tsunade das Handbuch auf seinem Schreibtisch sah. Ein mörderischer Ausdruck trat auf ihre Züge. Mit drei langen Schritten stand sie vor dem Schreibtisch, riss das Buch an sich und warf es ins Feuer.
Minato starrte sprachlos in den Kamin.
Tsunade schnaubte abfällig. »Meine Familie hat mir eindeutig zu viel Plunder vermacht.«