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Kapitel: | 101 | |
Sätze: | 17.074 | |
Wörter: | 255.519 | |
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4 Tage später legten die Schiffe in dem kleinen französischen Hafen an. Es war später Nachmittag und dieser Anblick war wirklich mehr als malerisch! Als meine Füße festen Untergrund berührten fühlte es sich einfach fantastisch an, Edward hingegen war etwas irritiert, nachdem ich ihn auf seine Füße gestellt hatte. Wer weiß, wie es sich für ihn anfühlt, wenn wir nach einigen Monaten auf See zu Hause ankamen!, ging es mir durch den Kopf und dachte etwas wehmütig an Virginia!
Wir waren also alle von Bord, da eilte uns auch schon ein kleiner Mann entgegen. Und wenn ich klein sage, dann meine ich es auch so! Er erinnerte mich an Mr. Doyle, welcher mir ebenfalls nur bis zum Ausschnitt reichte!
„Maîtresse Kenway, Maître Kenway, mein Name ist Adrien Martineau! Zu euren Diensten!“ vernahm ich seine wohlklingende tiefe Stimme mit einem wunderschönen französischen Akzent. „Madame Jomphe hat mich geschickt, um euch in Empfang zu nehmen.“ dann richtete er seinen Blick auf unseren Sohn. „Und ihr seid demnach Maître Edward, nehme ich an.“ und reichte auch ihm seine Hand.
Skeptisch sah er mich an, dann zu dem fremden Mann, nahm seinen Daumen aus dem Mund und reichte ihm die leicht angesabberte Hand.
Unsere Beschützer und Bediensteten hatten sich bereits auf die Kutschen und Pferde aufgeteilt, welche uns zur Verfügung gestellt wurden von unseren Kontakten hier, während ein Teil der Wachen die Kisten begann zu verladen. Ich konnte nicht anders, ich behielt ein Auge darauf, bis alles entsprechend sicher verstaut war.
Wir verabschiedeten uns noch von Mr. Higgins und Mr. Hargreaves, welchen wir entsprechende Börsen an die Hand gaben, damit sie Unterkünfte für sich und die Mannschaften beziehen konnten! Schweren Herzens ließ ich mein Schiff mal wieder alleine, weil die Fahrt bis nach Troyes rund 7 Tage in Anspruch nahm.
Monsieur Martineau bestieg mit uns gemeinsam eine der insgesamt 4 Kutschen und so machte sich unser Tross langsam auf den Weg aus dem Hafenviertel hinaus Richtung Stadtmitte.
Eigentlich war ich froh, dass ich diesem starken Gestank nach Fisch, Schweiß, verfaulten Lebensmitteln und dahin rottendem Holz nicht mehr ausgesetzt war. Aber schlimmer als in Nassau war es keinesfalls, vielleicht könnte sich die Nase auch daran gewöhnen.
Nach gut einer Stunde verließen wir die kleine Hafenstadt und jetzt sah ich, warum es mir so vor dieser Überlandfahrt eigentlich graute. Es gab noch keine wirklich befestigten Straßen, es war wie die Reise nach London. Holprig! SEHR holprig.
Als ich einen Blick auf Edward warf, welcher bei Sybill auf dem Schoss saß und aus dem kleinen Fenster sah, konnte ich aufatmen. Er fand dieses Schaukeln lustig, weil er auf und ab wippte! NOCH fand er es gut.
Wir unterhielten uns über die Unterkunft, welche wir für diese Nacht beziehen würden.
„Ich habe dafür gesorgt, dass es euch an nichts fehlen wird. Die Herbergen sind sauber und geräumig und vor allem sind uns die Inhaber bekannt. Alle durch die Bank weg loyal und vertrauenswürdig.“ gab Adrien als Erklärung und ich fragte mich, in wieweit er in die ganze Geschichte eingeweiht war. Ich vermutete, über die Götter wisse er nicht Bescheid, nur über Templer und Assassine war er im Bilde.
Kurz bevor wir in London ablegten, hatte Francis noch ihr Versprechen eingelöst und mir die goldene Schale übergeben, welche ich auf meiner Liste der zu suchenden Artefakte nun streichen konnte. Sie ruhte in einer der gesicherten Truhen.
Der Moment, als ich dieses Gefäß in den Händen hielt, fühlte sich an, als würde die Zeit für einen Moment still stehen. So als könne ich in der Schale mein Spiegelbild auf einer Wasseroberfläche sehen. Es war aber nicht MEIN Gesicht. Es war tätowiert über dem linken Auge und die Frau hatte seltsam geflochtene Haare in einem fast schwarzen Ton. Mich umspülte das Gefühl, dass ich mich aber tatsächlich selber sah und lächelte dieses Bild an.
„Mi sol, dieses Spiegelbild ist wunderschön und diese Augen sind wirklich die deinen!“ hörte ich Haytham damals neben mir leise sprechen.
„Aber bin ich das wirklich?“ fragte ich immer noch leicht verwirrt.
Wir alle haben Ahnen und Vorfahren, mein Kind. Auch DU! Bei dir sind ihre körperlichen und geistigen Merkmale aber stärker ausgeprägt, als bei normalen Menschen! Odin hatte diese Worte leise und mehr flüsternd gesprochen, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. Was bitte meinte er mit „normalen“ Menschen? Doch auf diese Frage erhielt ich keine Antwort mehr und wir gingen dann an Bord.
Ich sah zu Adrien und versuchte herauszufinden, was oder wer er war. Er war der Diener der Eheleute Jomphe, soviel war klar. Aber auch die Bediensteten bei Finley waren ja nicht eingeweiht in die Hintergründe der Familiengeschichte. Ich hoffte, dass ich im Laufe der Fahrt einmal einen ruhigen Moment mit dem Herrn abpassen konnte.
Als die Sonne bereits untergegangen war, erreichten wir unser erstes Etappenziel und Monsieur Martineau hatte Wort gehalten! Das Gasthaus war sauber, die Zimmer war perfekt für uns mit den entsprechenden Durchgangstüren und es gab sogar ein Kinderbett für unseren Sohn.
Edward war auf dem Schoß seines Kindermädchens eingeschlafen, als sie ihm eines der Märchen erzählte aus dem Buch von Faith. Beim Aussteigen jedoch schlug er die Augen auf, brüllte laut „Mamaaaaa aaaaaam“ und reckte seine kleinen Ärmchen. Soviel verstand ich nun, er meinte ARM!
Wir aßen noch eine Kleinigkeit, während unsere kleine Reisetruhe für die Nacht hoch gebracht wurde. Der Rest wurde in der großen Scheune nebenan bewacht.
Mir tat mein Rücken weh und ich freute mich auf das weiche Bett mit meinem Mann darin.
Adrien hatte eine kleine Kammer mit Michael zusammen bezogen, während Magda und Sybill sich das Zimmer neben unserem teilten. Mir fiel wieder die Verlobung ein und ich freute mich schon, wenn es dann auch offiziell war.
„Mi sol, ich kann dich lesen und ich freue mich auch für die beiden. Und jetzt… komm ins Bett!“ hörte ich meinen Mann fast flüsternd reden, während ich noch die Kerzen auf der Kommode löschte. Vor allem war ich froh aus den Schuhe zu sein und als ich endlich lag, bewegte ich wohlig seufzend meine Füße.
„Das hört sich ziemlich verlockend an…“ und seine Finger begannen über meinen Körper zu wandern. Leider musste ich Haytham unterbrechen.
„Wir sind nicht alleine! Denk an Edward.“ ich gab ihm noch einen Kuss und schmiegte mich dann an ihn. Es war etwas kühler mittlerweile, weswegen ich diese Körperwärme gerade einfach genoss.
Ein resigniertes Seufzen „Es gäbe doch auch die Scheu….“
„Nein, Haytham! Da schlafen unsere Wachen! Ich verspreche dir, wir finden einen passenden Moment!“
Die halbe Nacht lang machte ich jetzt kein Auge zu, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte, ihn abgewimmelt zu haben. Im Morgengrauen weckte ich meinen Mann leise, da ich einen Einfall hatte, wie ich es wieder gut machen konnte.
„Ist etwas passiert, mi sol?“ leicht alarmiert sah er sich im Zimmer um.
„Nein, aber zieh dir deinen Morgenrock an und folge mir!“ flüsterte ich verschwörerisch.
Auf unserem Stockwerk gab es, laut des Herbergswirtes noch eine kleine Kammer, sollte man eine Ausweichmöglichkeit brauchen. Und wenn man es genau nahm und ich meinen Gatten betrachtete, war es notwendig. Bei Odin, ich wurde bei diesem Gedanken knallrot, weil wir uns wie Teenager fort stahlen um etwas, nicht ganz, verbotenes zu tun.
„Alex… das ist unfassbar…“ kam es leise lachend von ihm und ich zog ihn hinter mir her, über den Korridor zur besagten Kammer.
Ich schob ihn hinein, schloss die Tür hinter uns und lehnte mich für einen Moment daran. In Haythams Augen war dieser fast schwarze Ton getreten, als er langsam auf mich zukam, mein Nachthemd über meine Schulter auf den Boden gleiten ließ und mich dann auf seine Hüften hob.
Mit seinem Gewicht drückte er mich gegen das Holz in meinem Rücken und seine Erregung war deutlich zu spüren. Sein Atem beschleunigte sich und als er mich nahm, war es auch mit mir vorbei.
Ich klammerte mich an ihn, presste meine Beine um ihn weiter zusammen und bog ihm mein Becken entgegen. Mehr, ich will mehr!, ging es mir durch den Kopf! Ich war nach den Tagen auf der Jackdaw wieder wie ausgehungert und ihm ging es nicht anders. Es war ein leises und leider auch sehr schnelles Vergnügen, wenn auch überaus befriedigend und ich war entspannt, als wir wieder in unserem Bett lagen.
„Du hast eine enorme Kraft in den Beinen, mi sol. Weißt du das eigentlich? Ich hoffe, ich habe morgen keine blauen Flecken.“ hörte ich meinen Mann lachend neben mir.
„Und wenn, dann weißt du ja, wo ich zu finden bin, falls du jemandem die Schuld zuweisen möchtest. Ich stehe da jederzeit zur Verfügung.“ hauchte ich an seiner Brust und spürte, wie mich die Müdigkeit packte.
„Das hört sich vielversprechend an.“ und ein Kniff in meinen Po war alles was ich noch bekam.
Die letzten beiden Tage verliefen mehr als anstrengend, weil unser Sohn genau jetzt wieder mit ein paar Zähnen begann. Hätte er das nicht noch in London machen können? Ich war in dem Moment mehr als Dankbar für die Tinktur von Jenny, welche sie mir noch in ausreichendem Vorrat mitgegeben hatte.
Leider waren nun alle etwas angeschlagen und unausgeschlafen, als wir in einem kleinen Dorf Rast machten und uns ein Gasthaus suchten.
Vor besagter Taverne tummelten sich einige Menschen, die sich lautstark über etwas beschwerten. Haytham übersetzte für uns wie selbstverständlich und Monsieur Martineau, welcher schon ansetzen wollte, sah ihn erstaunt an.
„Sie verlangen eine Wiedergutmachung! Der Wirt hat den Sohn dieser Familie aus dem Dorf jagen lassen, weil dieser seine Tochter erst geschwängert hat und sie dann der Hexerei bezichtigt hat.“ Oh bitte, nicht schon wieder diese Hexenjagd!
„Das Mädchen hat sich ein paar Tage darauf aber selber das Leben genommen und man hatte das Teufelsmal auf ihrer Schulter gesehen!“ Das war unmöglich… Diese Kennzeichnung rührte, wenn man Zeichnungen aus dieser Zeit genauer betrachtete, von einer alten Pockenimpfung her, die bis in die 1970er gemacht wurde. Du hast sie nicht mehr., dachte ich erleichtert und fasste mir unwillkürlich an den Oberarm. Oder meinte man vielleicht doch etwas anderes, so etwas wie ein Muttermal? Gab es doch noch mehr Menschen wie mich, die in andere Zeiten gereist waren? So wie Marius es ja auch getan hatte!
Zum Grübeln blieb aber keine Zeit, als plötzlich die Blicke die Straße runter gingen, wo ein verwahrloster junger Mann humpelnd auf die Leute zukam.
„Der verstoßene Sohn kehrt zurück.“ kam es zynisch von Haytham und er schüttelte den Kopf. „Sie wollen, dass er wieder in die Dorfgemeinschaft aufgenommen wird, weil er nichts unrechtes getan hätte. Angeblich hat er sogar um die Hand des Mädchens angehalten!“ seine Augenbraue hob sich, als der Wirt auf diesen dreckigen Menschen zuging und unvermittelt einen Dolch aus seinem Gürtel zog.
„Verschwinde du Nichtsnutz! Wir wollen keine geisteskranken in unserem Dorf! VERSCHWINDE!“ rief er dem Jungen zu, welcher ihn mit offenem Mund anstarrte. Jetzt sah ich, dass wirklich etwas nicht mit ihm stimmte. Seine linke Körperhälfte war schief, sein Arm hing schlaff herunter und er humpelte.
Was hatte man dem Armen nur angetan? Eine Frau trat vor und schlang ihre Arme um ihn, so weit ich das verstand, muss es seine Mutter gewesen sein!
„Sie ist froh, dass er den Weg zurück gefunden hat. Sein Name ist Phillippe und sie verspricht ihm, sich wieder besser um ihn zu kümmern, damit ihm nicht noch einmal so etwas passiert!“
Ich stand wie angewurzelt da und betrachtete diese absurde Szenerie. Dieser geistig behinderte junge Mann hatte also die Tochter des Wirtes geschwängert? Natürlich wollte dieser keinen, wie nannte er gerade diesen armen Tropf?, Idioten in der Familie haben und es sei auch besser ums Kind gewesen, dass es nicht auf die Welt kam.
Haytham hatte sichtlich Mühe nicht aus der Haut zu fahren, weil auch ihm gerade der Gedanke kam, dass die junge Frau KEINEN Selbstmord begangen haben wird. Vielerorts war es Gang und Gebe, wenn man keine Engelmacherin fand, sich das Leben zu nehmen um Schande von der Familie abzuwenden. Auch wenn in diesen abergläubischen und sehr christlichen Zeiten der Selbstmord verpönt war, weil man dann ins Fegefeuer kam.
Dieses Jahrhundert war einfach so unglaublich unaufgeklärt, dass es mir schlecht wurde!
Jetzt trat ein Herr vor, welcher nach seiner Kleidung zu deuten, der Dorfpriester sein dürfte. „Ah, der Advokat und Pastor der Gemeinde.“ meinte Adrien und wartete, wie alle, gespannt auf dessen Worte.
„Er sagt, er habe das Mädchen in der Beichte gehabt und sie hätte ihm gesagt, dass der Teufel wollte, dass sie mit dem Jungen das Bett teile. Auch sei der Teufel persönlich dabei gewesen… Mi sol… muss ich das wirklich weitergeben? Es klingt einfach völlig absurd und…“ ich sah Haytham mit hochgezogener Augenbraue an.
„Also schön…“ ein Seufzen und er übersetzte weiter „… ein paar Tage später nach der besagten Nacht, war Phillippe zum Wirt gegangen und hat ihn um die Hand der Tochter gebeten. Der Pastor war gerade zugegen und hat dann alles erforderliche in die Wege geleitet…. Du meine Güte, das ist die reinste Verschwörung hier. Wir sollten besser ein anderes Dorf finden, hier ist…“ doch weiter kam er nicht.
„Ihr da…!“ kam es von dem Pastor und er eilte auf uns zu und mein Mann übersetzte weiter. „Was wollt ihr hier? Seid ihr gekommen um dem Spektakel beizuwohnen, welches Phillippe nun erwarten wird? Wollt ihr euren reichen Freunden von diesem Teufelswerk berichten?“ Dieser Mann war mir unheimlich, weil ich überhaupt nicht verstand, was er gerade meinte.
„Maîtresse Kenway, bitte sagt nichts weiter. Der Gottesmann wird euch in keinster Weise Glauben schenken!“ hörte ich die warnende Stimme von Adrien neben mir und die Hand meines Mannes lag auf meinem Arm.
„Alex, beruhige dich. Die Zeichen auf deiner Haut und… verdammt…“ irritiert sah ich zu Haytham und dann folgte ich seinem Blick. Edward war bei Sybill auf dem Arm und auch bei ihm waren die leuchtenden Zeichen zu sehen und er hatte die Hand in Richtung des Pastors erhoben, während er diesen bösen anstarrte!
Nein… nein… bitte nicht hier und jetzt… schoss es mir durch den Kopf! Um uns kam Bewegung in die Menge und sie teilte sich wie bei Moses das Meer! Der Pastor starrte von mir zu meinem Sohn und brüllte dann etwas…
„Da seht ihr sie! Die Heiden sind unter uns! Sie verschmähen unseren Gott und machen sich über uns lustig! Sie verhöhnen die Worte, welche uns der Herr lehrte! Ihre gottlosen Bräuche werden ihnen aber hier nichts nützen!“ schrie dieser Herr nun schon fast panisch, während er weiterhin zwischen Edward und mir hin und her blickte!
Edwards Mund öffnete sich und man hörte ein hämisches Lachen, welches zu seinem Ausdruck im Gesicht passte und ich bekam es mit der Angst zu tun! Und nicht nur ich!
Ich schnappte mir meinen Sohn und begann ihn im Geiste zuzureden!
„Schätzchen, lass das. Du machst den Menschen gerade Angst. Lass uns gemeinsam ruhig werden…“ und ich formte ein Lied in meinem Kopf und suchte eine Strophe von den 115 Versen…
Meine Hand hielt dabei seinen dunklen Schopf an meine Brust, damit er nicht abgelenkt wurde… doch es war zu spät!
Auch wenn ich kein Französisch verstand, soviel wusste ich aus den Gesten und den Mimiken der umstehenden Bewohner. Sie fürchteten, dass ihr Gott sie nun bestrafen würde, weil sie in unserer Nähe gewesen waren! So als wären wir wie eine Seuche, eine ansteckende Krankheit. Eine älter Frau baute sich vor Sybill auf und beschimpfte sie wüst und bespuckte sie, bevor ein Herr sie zurückhalten konnte! Edward hatte sich mittlerweile beruhigt, aber ich nicht…
Wie aus dem Nichts umhüllten uns plötzlich Wolken oder war es einfach Nebel, der uns umgab? Doch woher kam er?
(Leider weiß ich nicht, wer der/die Künstler*in hinter dem Bild ist, sorry!)
Diese Wand umschloss uns, die wir gerade erst in diesem Dorf aufgetaucht waren und schützte uns. Unsere Wachen waren zwar schon in Gefechtsstellung gegangen um uns zu verteidigen, doch das war nicht nötig.
Dann hörte ich ihre Stimme! Frigg sprach zu uns…
Ich muss nun doch in das irdische Geschehen eingreifen, obwohl ich es nie tun wollte. Mein Gatte hat es ja sonst in der Hand… und in diesem Satz konnte man den vorwurfsvollen Blick Richtung Odin förmlich sehen! … Ihr werdet euch nun mit den Wächtern langsam von hier entfernen und seht nicht mehr zurück. Ihr werdet nichts ändern können!, die letzten Worte waren an mich gerichtet mit einem befehlenden Unterton!
„Wir können doch nicht zulassen, dass diesem jungen Mann …“ weiter kam ich aber nicht!
Du gehst jetzt, Kind! Sie werden sich wie an eine alte Legende an diesen Tag erinnern!
Und ich fühlte, wie wir regelrecht aus einem Bild geschoben, ausradiert wurden.
Als ich wieder klar sehen konnte und meine Sinne beieinander hatte, sah ich mich um und wir standen auf einem Feldweg. Die Kutschen, die Wachen, Monsieur Martineau … einfach alles war da …
Adrien ergriff als erster das Wort. „Maîtresse Kenway, ich wusste, wir können uns auf euch verlassen. Loki sprach lobend von euch und eurem Gatten!“ verwirrt sah ich diesen kleinen Mann an.
„Entschuldigt, aber… ihr wisst…“ stammelte ich vor mich hin, weil ich noch nicht realisiert hatte, was gerade passiert war.
„Ich bin ein Diener Freyrs, man nennt mich Skirnir! Ich habe Fenrir, verzeiht mir Loki, mit einer Kette gebunden! Ich weiß, wer und was ihr seid und nicht ohne Grund hat man mich ausgewählt, an der Seite von Bragi und Idun zu stehen. Auch ihnen diene ich in dieser Welt. Wir wollen die Menschheit vor sich selber schützen!“ wieder hörte ich diesen Satz, doch wie wollte man das schaffen?
Ich hatte selber eine Pandemie erlebt, in welcher es kaum möglich war, alle an einem Strang ziehen zu lassen.
War es aber möglich, wenn wir alles vereinen, jedwede Katastrophe abzuwenden? Ein völlig utopisches Ziel, nur Verrückte und Geisteskranke… auch Phillippe hatte diese Gedanken, aber niemand glaubte ihm, auch nicht seine Geliebte! Deswegen wurde er ausgelacht und verstoßen! Und sie? Sie konnte nicht weiter leben, mit dem Gedanken, so tief gefallen zu sein. Die Schande war einfach zu groß, also hat ihr Vater dem ein Ende gesetzt!
Dann hatte ich tatsächlich recht mit meiner Vermutung!
Jetzt wo wir hier auf diesem Weg standen, fühlte es sich an, als wäre man aus einem Märchenwald herausgetreten und blicke der Realität wieder in die Augen.
Edward hatte sich beruhigt und ich mich langsam auch!
Es war Mrs. Wallace welche uns aus all den wirren Gedanken riss.
„Mistress Kenway, ich glaube… mir … ist nicht…“ Michael konnte sie gerade noch halten und sanft auf den Boden legen, als sie schon ohnmächtig war. Erst jetzt sah ich diesen Schweißfilm auf ihrer Stirn!
„Sybill ist ganz warm und sie zittert….“ hörte ich Magda ängstlich sagen.
Haytham, Michael und einer der Kutscher verbrachten das Kindermädchen in unsere Kutsche und wir beschlossen nun weiter zureisen. Der nächste Ort wäre nur 2 Stunden entfernt, erklärte Adrien.
Edward hingegen war wieder völlig nervös und jammerte leise vor sich hin. Immer wieder sah er zu seinem Kindermädchen, streckte seine Hand nach ihr aus und wollte zu ihr.
„Edward, Mrs. Wallace ist krank, sie muss sich ausruhen. Wenn es ihr besser geht, dann kannst du wieder zu ihr.“ sprach Haytham leise und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht.
„NEIN! MEIN!“ brüllte er auf einmal und wir alle sahen ihn entsetzt an! Es wurde heute nicht besser mit den Neuigkeiten, den Erkenntnissen und der Lehrstunden wie es schien. WAS war auf einmal in unseren Sohn gefahren?
Ich konnte ihn kaum auf dem Schoß halten, so zappelte er herum. Erst als ich ihn zu Michael gab, welcher den Kopf von Sybill hielt, gab er Ruhe und schniefte angelehnt an Haythams Kammerdiener herum.
Seine kleine Hand fuhr kontinuierlich und bedächtig über die Wange von Mrs. Wallace und hinterließ eine leichte goldene Spur. So ging es einige Zeit, bis sein Kopf einfach zur Seite kippte und Edward eingeschlafen war. Er hatte sich zu sehr verausgabt!, ging es mir durch den Kopf, doch gerade als ich ihn zu uns nehmen wollte, riss er die Augen auf und schrie „NEIN!“
Resigniert saß ich da und ließ ihn bei Sybill, es dauerte nicht lange, da war er wieder eingenickt.
Als wir nun an unserem nächsten Reiseziel angekommen waren, brachte man, unter lautem Protest von Edward, Sybill als erstes ins Haus und wir folgten der Truppe. Haytham klärte mit Adrien alles für die Übernachtung, während uns eine ältere Dame die Zimmer oben zeigte.
Die übermüdeten Wachen wurden hier unten und in einigen Zimmern untergebracht. Man versprach uns aber noch Frühstück am nächsten Morgen, leider wäre vom Abendessen nichts mehr übrig. Ich vermutete, niemandem war mehr nach Essen nach diesem Tag. Aber ich könnte jetzt etwas alkoholisches vertragen und zwar etwas starkes!
Ich muss es wohl nicht erwähnen, aber diese Nacht war alles andere als erholsam für uns. Sybill hatte neben uns eine Kammer, doch Edward wollte nicht von ihrer Seite weichen. Immer wieder leuchteten seine Augen und seine Hände berührten ihre Wangen, die Arme… es war, als würde er wie ein Reiiki-Lehrer agieren.
Er nimmt ihr ihren Schmerz, Kind! Edward bringt sie wieder zurück, langsam und erholsam, damit sie nicht überfordert ist. Ein Mensch könnte sonst großen Schaden nehmen, würden wir es wie bei uns angehen!, hörte ich Iduns Stimme plötzlich!
Wie aufs Stichwort trat ein wahres Leuchten in Edwards Gesicht! „Ich kann das schon!“ hörte ich ihn stolz sagen und Haytham neben mir zitterte plötzlich. Ich sah zu ihm auf und seine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt!
„Was sind wir nur für eine eigenartige aber faszinierende Familie geworden?“ flüsterte er und sah gebannt zu seinem Sohn.
Magda und Michael blieben genau wie wir hier, wir wechselten uns im Stundentakt mit Wache halten ab, damit nichts mehr passieren konnte.
Ein paar Stunden später dann plötzlich, legte sich mein Sohn auf die Brust seines Kindermädchens und kuschelte sich an sie mit einem seligen Lächeln.
„MEIN!“ hörte ich noch und ich brach in Tränen aus, ob nun aus Übermüdung oder einfach nur, weil es ein göttlicher Anblick war… ich weiß es nicht!
Und wir alle wurden Zeuge von einer sprichwörtlichen Eingebung!
Endlich ist es soweit. Ich kann mich ganz meiner Bestimmung widmen! Diese Stimme kannte ich nicht, sie war aber sanft, melodisch und meine Arme überzogen sich mit einer wohligen Gänsehaut!
Und dann sah ich die goldene Gestalt einer Frau vor mir, welche sich vor mir verbeugte. Ihr kennt mich nicht, aber ich war die ganze Zeit bei eurem Sohn und werde es auch bei eurer späteren Tochter und eurem anderen Sohn sein! Ich wache über die Tugend, die Sittsamkeit und bin eng verbunden mit meiner Freundin Freya! Es ist jetzt an der Zeit, dass ihr wisst, ihr seid alle beschützt. Freya und ich werden eine Brücke zu EURER Freundin schaffen, welche uns ebenfalls zur Seite stehen wird. Und nun lasst uns meine menschliche Gestalt wieder genesen!
Ich starrte diese Silhouette immer noch an, doch es war Haytham welcher recht schnell wieder Worte fand, oder aber auch nicht, je nachdem wie man es sah.
„Ich… weiß gar nicht… was ich sagen soll.“ Sybill war schon eine gefühlte Ewigkeit in seinem Haushalt, war auch das schon von den Göttern erdacht? Sollte es so sein?
Was glaubt ihr denn? Nichts passiert ohne Grund! Und diese Worte schienen von allen Göttern der Erde gleichzeitig zu kommen und ließen mich erzittern. Das ging einfach alles zu schnell, selbst für meine Begriffe und ich hatte Probleme diesen Übergang zu verstehen und zu verinnerlichen.
Sybill schlug plötzlich die Augen auf, sah Edward auf sich ruhen und brach ebenso in Tränen aus. „Ich habe es nicht nur geträumt, er ist wirklich hier.“ sanft strich sie meinem Sohn über die dunklen Haare und sah ihn liebevoll an.
In mir keimte eine gewisse Eifersucht auf! Es war MEIN Sohn! Nur ich konnte ihn wie eine Mutter lieben…
„Alex! Beruhige dich…“ kam es sanft von Haytham und er hielt meine Hand.
Plötzlich stand ich mit dieser leuchtenden Gestalt Snotras in einem grell erleuchteten Raum, genauso wie damals bei Odin oder eben Elias… mir dröhnte mein Kopf mit einem Male und ich sah mich fragend um. Erst jetzt bemerkte ich meinen Mann, welcher neben mir stand und auch nicht so recht wusste, was er davon halten sollte.
Ich sah, ihr habt viele Fragen. Haytham, als erstes beantworte ich dir die Frage, warum ich schon so lange an deiner Seite stehe. Erinnerst du dich an den Tag, als du mich eingestellt hast? Oder besser Sybill, welcher ich bis dahin noch nicht wirklich erschienen war. Doch das ist eine andere Geschichte und sie wird sie sicherlich noch erzählen. Erwartungsvoll sah sie ihn an und er grübelte mit gerunzelter Stirn.
„Es war direkt nach meiner Ankunft in Boston, als ich dort das kleine Haus gemietet hatte. Sie kam aufgrund meines Aushangs zu mir und bat um eine Anstellung…“ sprach er leise und überlegte weiter. „Wir waren uns sofort einig und, wenn ich es jetzt recht betrachte, war es als würde sie mich schon mein Leben lang kennen!“ In sein Gesicht trat ein erstaunter Ausdruck, als ihm klar wurde, WER sie geschickt haben muss. Sein Vater!
Genauso war es, Haytham. Heimdall hat mich zu Mrs. Wallace geschickt, damit wir ein Auge auf dich haben können. Und wie ich sehe, hat das wunderbar funktioniert. Ihr Strahlen wurde noch intensiver, als sie nun mich ansah.
Alexandra, auch du siehst jetzt, wie die Fäden oder wie du es genannt hast, die Puzzleteile zusammen geführt werden! Deine Aufgabe bestand schon immer darin, diese Reise anzutreten! Wir haben bereits vor mehreren hundert Jahren kleinere Einflüsse und Ereignisse in das Leben deiner Vorfahren einfließen lassen. Aus diesem Grunde besitzt du tatsächlich fast reines Wikinger-Blut, dass war entscheidend, damit du deine Bestimmung erfüllen kannst. Du musst diesen Glauben an uns Götter verinnerlicht haben, uns und unsere Bräuche verstehen und ebenso unsere Riten!
Ich stand immer noch reglos dort und sah sie an.
„Warum hat man mich nicht schon früher eingeweiht? Warum wurde ich damals mit dem Armreif ins kalte Wasser geworfen? Es hätte doch auch alles ganz anders verlaufen können… Und warum beherrsche ich dänisch oder einige gälische Ausdrücke? Warum erst JETZT????“ ich wurde lauter, weil auch diese Eifersucht noch nicht abgeklungen war.
Die Erklärung was die Sprachen anging, war einleuchtend! Ich beherrschte sie, weil wir mittlerweile enge Bindungen eingegangen sind. Außerdem waren wir im Besitz der Artefakte und der Schmuckstücke.
Vergiss auch nicht, es ist nicht das reine dänisch, sondern eine Mischung aus der alten Sprache. Du singst deinem Sohn abends immer ein Lied vor, welches den alten Wortstamm nutzt. Und ja, eure Enkelin hat dieses Talent der Sprachen mit bekommen, weil sie es in der Zukunft sein wird, die dein Werk fortsetzt! Es klingt alles noch neu für euch beide, aber ihr werdet euch daran gewöhnen. Jedoch darf ich dir noch nicht alles kundtun, Alexandra, weil deine Schwester im Geiste deine Geschichte ebenso miterleben wird. Es ist aber noch nicht an der Zeit, so leid es mir tut. Ihre Stimme wurde immer sanfter und ich hatte den Eindruck, ihre schimmernde Silhouette würde sich festigen.
Eine Frage brannte mir aber noch unter den Nägeln. Warum hatte Sybill nie etwas zu Haytham oder mir gesagt. Es gab nicht einmal Andeutungen oder den kleinsten Hinweis, woran wir bei ihr sind!
Nenne es eine Absicherung! Es war ausschließlich für euren Schutz gedacht, solange ihr beide euer Schicksal noch nicht kanntet. Zudem wollte ich euch nicht beunruhigen, weil ich auch nicht wusste, ob ich euch nicht doch überfordere. Das kam tatsächlich entschuldigend über ihre Lippen und ein warmes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
Plötzlich schoss mir der Satz in den Kopf, dass sie auch für unsere Tochter und den weiteren Sohn da sein würde! Wir würden noch weitere Kinder bekommen? Aber auf meine Frage WANN, erhielt ich keine befriedigende Antwort, lediglich, wir würden es dann wissen, wenn es soweit ist.
Langsam drifteten wir aus diesem hellen Raum und ich musste mich an Haytham festhalten, weil mir wahnsinnig schwindelig wurde.
Als ich jetzt auf Edward sah, welcher immer noch an sein Kindermädchen gekuschelt lag, liefen mir Tränen über die Wangen. Es verband die beiden wirklich eine Art Familienbande. Edward Senior in seiner Funktion hatte Snotra geschickt, um seinen Sohn und die Enkelkinder beschützen zu können und das so unauffällig wie nur möglich!
„Mi sol, ich bin immer noch sprachlos. Aber nun verstehe ich auch, was mich mit dieser Frau so verbunden hat und warum ich sie nicht gehen lassen würde.“ uns beiden fiel wieder ein, dass wir ja eigentlich noch eine Unterstützung für Mrs. Wallace einstellen wollten und ich sah meinen Mann fragend an.
„Nur zur Sicherheit sollten wir eine weitere Aufsichtsperson haben…“ doch weiter kam Haytham nicht, weil Sybill ihn mit leuchtenden Augen ansah.
„Master Kenway, dagegen ist nichts einzuwenden! Ich werde das neue Kindermädchen sicherlich gut und nach euren Wünschen einarbeiten.“ und dann veränderte sich etwas an ihr. Es war als würde sie… jünger werden…
Neben mir hörte ich ein Flüstern „Es ist wie bei dir …“ Idun hatte auch hier ein paar Jahre verschenkt, damit uns Sybill noch lange erhalten bleiben wird.
Bevor wir uns versahen, schlug Edward die Augen auf, sah von Sybill zu seinem Vater und dann zu mir. Hellwach auf einmal setzte er sich auf und meinte laut „Sisi… daaaa… min“ Ja, sie war sein ein und alles wie es schien. Gerührt nahm ich ihn auf den Arm und lächelte auf die noch etwas erschöpfte Sybill hinab.
„Es war eine gute Entscheidung, euch diese Anstellung zu geben. Ich bin sehr dankbar, Sybill!“ heulte ich und drückte meinen Sohn an mich!
Mittlerweile war es kurz vor Sonnenaufgang, aber wir alle waren uns einig, dass wir noch ein wenig Schlaf finden sollten! Sogar Edward ließ sich ohne Meckern hinlegen und schloss lächelnd die Augen, nachdem ich ihm noch etwas Tinktur verabreicht hatte.
Sybill hatte Magda bei sich im Zimmer, Michael und Adrien teilten sich ein Nachbarzimmer. Als ich endlich neben Haytham im Bett lag, schniefte ich immer noch. Meine Gefühle waren kaum zu bändigen!
„Mi sol, wie es scheint, sind wir von Anfang füreinander bestimmt gewesen. Und wenn ich so darüber nachdenke, vielleicht war ich einfach als Test für dich angedacht gewesen, um zu sehen, ob wir uns irgendwann annähern können. Wer weiß das schon…“ ich spürte sein Zucken, als er in sich hinein lachte.
„Ja, du warst die reinste Herausforderung für mich! Und du weißt ja, du warst wirklich ein süßer Fratz damals… und jetzt? Wer könnte da schon widerstehen?“ und auch ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen!
„Wie es scheint, DU nicht…“ und seine Lippen verschlossen meinen Mund, bevor ich noch etwas erwidern konnte.
Edward James Kenway
Gjallarhorn (Das Horn, mit welchem die Ragnarök angekündigt wird!)
Tessa Kenway
Hüterin des Schmuckkästchens der Göttermutter Frigg
Elias Lestrange (Duke of Ironside)
Speer und Schwert - Odins Thron befähigt ihn, alle 9 Welten zu sehen, weswegen Elias in seinem Studierzimmer einen reichverzierten Stuhl hat. Dieser begleitet ihn auf jeder Reise!
Mistress Lestrange (Odins Gemahlin!)
Spinnrad (sie soll laut Überlieferung, die Wolken gewoben haben!) Frigg gehört zum Götter-Geschlecht der Asen. Sie ist die Gemahlin des Göttervaters Odin und Mutter des Lichtgottes Balder, des blinden Gottes Högur, von Hermor und Bragi, Gott der Dichtkunst und auch die Mutter der Walküren.
Frigg ist die Göttin des Hausstandes, der Sippe und der Familie. Sie ist Hüterin und Bewahrerin der göttlichen Ordnung, greift jedoch nicht, wie ihr Gatte Odin, in das irdische Geschehen ein.
Finley Bradshaw
Ring der die Midgardschlange darstellt.
Loki ist eine der vielschichtigsten Gestalten des nordischen Pantheons: Einerseits hilft er den Göttern, andererseits spielt er ihnen auch Streiche und hintergeht sie. Dabei macht er von seiner Fähigkeit als Gestaltwandler Gebrauch und erscheint zum Beispiel in der Gestalt eines Lachses oder einer Fliege. Aufgrund dieser ambivalenten Rolle wird er häufig als Trickster-Figur interpretiert. Es gibt viele Geschichten in der Edda, in denen Loki eine Rolle spielt:
- Loki, Thjazi und die Entführung Iduns
- Loki und der Bau von Asgard
- Loki und Thor
- Loki und die Kleinode der Götter
- Loki als Räuber des Brisingamens
- Loki und Andvari
- Loki und Balders Tod
- Loki und Ragnarök
- Loki und Celty
Francis Bradshaw (Lokis Ehefrau)
Eine goldene Schale, mit welcher sie das Schlangengift auffing, damit ihr Mann nicht leiden musste! Sie ist das Sinnbild der ehelichen Treue!
Artem Alexeeva
~kein Schmuck~ Ein Riese, welcher als das erste Lebewesen gilt in der nordischen Mythologie. Später wird er von Odin und seinen Brüdern zerrissen! Und aus seinem Körper entsteht die Welt!
Eugene Avdeyev
~kein Schmuck sondern sein Schiff ist besonders~ Naglfar, das Totenschiff, mit welchem er durch die Welten reisen kann! Hrymr (altnordisch), auch Hrym oder Hrymir, ist in der nordischen Mythologie ein Riese, der in der Ragnarök auftritt. Nach der Prosa-Edda steuert er das Totenschiff Naglfar, nach der Völuspá kämpft er in Waffen gegen die Götter. (Nicht zu verwechseln mit der Naglfar aus „The Witcher 3“!!! Man hat sich dort nur der nordischen Mythologie bedient!!!!)
Mrs. Wallace
Snotra ist die Göttin der Klugheit, der Tugend und der Sittsamkeit. Sie gilt als kluge, zierliche Asin und schützt tugendhafte Menschen, besonders die edlen und sittsamen Jungfrauen und Jünglinge. Sie ist eine Freundin der Freyja und hält sich in deren Gefolge auf.
Monsieur Jomphe (Kontakthändler Frankreich und Niederlande!)
Bragi gehört zum Götter Geschlecht der Asen. Er ist ein Sohn von Odin und Frigg. Bragi ist der Gott der Dichtkunst.
Bei den Germanen, hatte die Dichtkunst eine sehr hochgeschätzte Bedeutung: Dichtkunst war heilig. Alles Wissen sowie alle historischen Ereignisse, ja ganze Familienchroniken wurden so weiter vermittelt. Was der Nachwelt erhalten bleiben sollte, musste in Gedichtform gebracht werden.
Magie ist ein anderer Aspekt der Dichtkunst. In der germanischen, magischen Tradition sind Zaubersprüche, welche direkt auf das Unterbewusstsein einwirken und nur durch gezielte Anwendung der Dichtkunst funktionieren ein wichtiger Angelpunkt. Dies alles müssen wir wissen, wenn wir den Bereich des Gottes Bragi verstehen wollen. Seine Gemahlin ist Idun.
Madame Laurette Jomphe (Kontakthändlerin Frankreich und Spanien)
Idun wird dem Götter Geschlecht der Asen zu gerechnet, obwohl sie die Tochter eines Zwerges sein soll. Sie ist die Gemahlin des Dichtergottes Bragi. Ihr Zuständigkeitsbereich ist Jugend und Unsterblichkeit. Mit ihren goldenen Äpfeln versorgt sie die Götter und verhilft ihnen zu ewiger Jugendlichkeit.
Als Loki die Göttin Idun samt ihrer goldenen Äpfel dem Frostriesen Thiazi ausliefert, altern die Götter sofort. Treffsicher haben die Götter sofort Loki in Verdacht und befehlen ihm, Idun zurückzubringen. Das tut Loki denn auch. Er verwandelt sich in Falken, verwandelt Idun in eine Nuss und fliegt mit ihr zurück nach Asgar. Thiazi bemerkt den Raub und verfolgt den flüchtenden Falken Loki in Gestalt eines Adlers.
So können die Götter von Asgard den Frostriesen töten, indem sie über den Mauern von Asgard seine Flügel verbrennen.
Als Ragnarök sich ankündigt, sinkt Idun von Asgard in die Unterwelt hinab. Ihr Gemahl Bragi folgt ihr.
Monsieur Adrien Martineau (Diener der Eheleute Jomphe)
Skirnir ist in der nordischen Mythologie Freyrs Freund und Diener. Er wirbt in Jötunheim im Namen Freyrs um die Riesin Gerda. Als Lohn dafür erhält er Freyrs Schwert und sein Pferd. Skirnir wird von den Göttern als zuverlässiger Vasall angesehen und mit Botschaften oder Aufträgen in andere Welten geschickt. Ein weiteres Mal wird Skirnir, im Auftrag Odins, zu den Zwergen nach Schwarzalbenheim geschickt um die unverwüstbare Kette Gleipnir zu holen, um damit den Fenriswolf zu binden.
Wir verbrachten noch zwei Tage hier in diesem kleinen Ort, bis Sybill sich vollends erholt hatte. Wie es schien, hatte sie sich bei diesem widerlichen Weib eine Grippe oder ähnliches eingefangen. Mich schüttelte es immer noch bei diesem Gedanke an dieses spuckende Miststück!
Ich nutzte diese Zeit auch um mich hier umzusehen und um einfach mal etwas Bewegung zu bekommen. Noch waren wir nicht am Ziel, es würde noch mindestens eine Woche dauern bis zum Chateau.
Gerade waren Magda, Edward und ich mit zwei unserer Wachen unterwegs in den umliegenden Wald, als uns auf der Straße der Gottesmann des Nachbardorfes entgegen kam.
Mein Herz begann nervös zu pochen und auch Edward wurde unruhig.
„Mistress Kenway, er sieht nicht so aus, als würde er sich noch an euch erinnern.“ versuchte meine Kammerzofe mich zu beruhigen.
Neben uns jedoch spürte ich die Anspannung der Wachen, welche sich wappneten.
Der Herr ging weiter, sah uns fragend an, runzelte etwas die Stirn und marschierte an uns vorbei. Ich sah ihm hinterher, aber er machte keinerlei Anstalten uns anzugehen. Seltsam…
Aber vermutlich war das Friggs Einfluss und sie hatte die Dorfbewohner wirklich alles an diesen Vorfall vergessen lassen. Mit Schrecken fiel mir aber der junge Mann wieder ein und ich fragte mich, was nun mit ihm passieren wird. Leider erhielt ich keine Antwort.
Endlich als der dritte Tag anbrach, bestiegen wir unsere Kutschen und machten uns auf Richtung Troyes, besser gesagt nach Compiegne. Dort lag das Jagdschloss, welches Reginald vor Jahren erworben hatte, versteckt in einem großen Wald.
„Es ist wirklich wunderschön dort, auch wenn ich seit Birchs Tod nicht mehr dort war.“ kam es gedankenverloren von Haytham, während er grübelnd aus dem Fenster sah.
„Ich vermute mal, es wird sich nicht so großartig verändert haben, mi amor. Aber wie fühlt es sich für dich an, wieder dorthin zu reisen?“ diese Frage hatte ich schon länger im Kopf.
„Wenn ich darüber nachdenke, habe ich gemischte Gefühle in mir. Ein schlechtes Gewissen, Angst und so etwas wie eine Art angewidert sein überkommt mich immer wieder. Sein Zimmer ist, so hatten Jenny und ich es angeordnet, verschlossen und für niemanden zu betreten!“ der letzte Satz kam mit so einer Bestimmtheit, dass es mich schüttelte. ICH wollte bestimmt nicht den Tatort seines begangenen Mordes sehen! Auch wenn in meinem Hinterkopf das kleine neugierige und perverse Teufelchen genau DAS wollte.
Mrs. Wallace erholte sich im Laufe unserer Reise immer mehr und übernahm wieder, kurz vor unserer Ankunft, ihre reguläre Aufgabe. Edward war sichtlich begeistert und brabbelte ihr etwas vor, vermutlich konnten nur die beiden diese Gespräche verstehen. In mir nagte dennoch seit diesem Vorfall mit Snotra eine leise Eifersucht auf diese Frau…
Er bleibt DEIN Sohn, mi sol, mir geht es nicht anders. Sieh es von der anderen Seite, somit brauchen wir kein schlechtes Gewissen haben, sollten wir überstürzt einmal aufbrechen müssen oder länger fort sein!
Ich weiß, Haytham meinte es nur gut, aber… ich atmete tief durch und begann ein neues Mantra für mich zu sprechen. In diesem sagte ich mir immer wieder, dass mein Schatz mein Schatz blieb!
So in etwa stelle ich mir das Chateau vor! (Ein wenig Phantasie und Vorstellungsvermögen ist erwünscht ;))
Nach 9 Tagen fuhren wir aus dem Waldstück heraus und die Sonne, welche sich aufgrund der Mittagszeit voll am Himmel zeigte, blendete uns regelrecht.
Mit Staunen sah ich auf die vor uns aufragende Mauer, noch konnte ich nicht erahnen, wie es dahinter aussah.
Wir näherten uns einem Tor, welches geöffnet wurde, sobald man uns sah. Unsere Ankunft wurde also schon erwartet!
Auf dem Grundstück selber erstreckten sich Rasenflächen, welche unterbrochen wurden von getrimmten Buchsbäumen, oder Kieswege die die Ordnung zu verschieben schienen.
Wer hier Hand anlegte machte es mit Freude und Sorgfalt. Man sah die Liebe zum Detail einfach!
Dann fiel mein Blick auf das eigentliche Schloss und mir blieb der Mund offen stehen.
„Mi sol, willst du nicht aussteigen?“ holte mich mein Mann aus meiner Starre und reichte mir seine Hand.
Langsam stieg ich aus, so als könnte ich etwas falsch machen, sobald ich hier den Boden betreten würde. Unser ganzer Tross wurde nun von einer Gruppe hier arbeitenden Dienern in Empfang genommen und ein großer, grauhaariger Herr trat auf Haytham zu.
„Master Kenway, es freut mich, dass ihr nach so langer Zeit wieder hier seid. Wir haben eure Ankunft schon sehnsüchtigst erwartet und es ist alles für euch und eure Familie vorbereitet und hergerichtet.“ dabei neigte er das Knie vor meinem Mann. Diese Geste hatte ich noch nicht gesehen, ich hatte nur davon gelesen und es als schnulzige Geste in Kitschromanen abgetan. Nein, Haytham galt hier als der hochrangigste Templer und wurde auch so behandelt.
„Monsieur Lacasse, es freut mich wieder hier sein zu können. Darf ich euch meine Frau und unseren Sohn vorstellen?“ damit schob er mich und Edward vor und wir wurden ebenfalls mit Kniefall begrüßt.
Hinter dem Verwalter waren zwei junge Damen aufgetaucht, welche mir dieses Streitgespräch mit meinem Mann wieder ins Gedächtnis riefen. Diese Weiber waren ihm also so gut in Erinnerung geblieben? Ich schüttelte mich, weil ich befürchtete sonst wieder eifersüchtig und zornig zu werden, doch ich konnte sicher sein, dass Hrymr uns nicht, noch nicht, hierher gefolgt war. Wir würden es alle spüren!
Man begrüßte sich und die Damen, Marienne und Adéle, stellten sich als recht nette Personen heraus. Auch sahen sie Haytham weder lüstern noch sonst wie anzüglich an, sondern senkten ihre Blicke in seiner Gegenwart. Aber auch das musste nichts heißen… Bei Odin! Meine Eifersucht…
Nachdem nun das beendet war, wurden wir hinein geleitet und ich war mal wieder überwältigt von der Größe hier. Diese imposante Eingangshalle war schon atemberaubend, von hier aus erstreckten sich rechts und links zwei Treppen aus dunklem Holz, bedeckt mit weinrotem Teppich.
Kurz wurden mir die Räumlichkeiten hier unten erläutert, ehe es hinauf in den privaten Bereich ging. Im Grunde wie üblich gab es den großen Salon, das Arbeitszimmer mit seinem ausladendem Schreibtisch, ein Esszimmer wo locker 100 Gäste Platz hätten und im hinteren Bereich die Küche, Anrichte und von dort ging man in die Vorratsräume im Keller.
Unter der rechten Treppe gab es eine Tür, welche in den zweiten Keller führte.
„Ich erkläre es dir später.“ hörte ich Haytham neben mir und wir gingen nun alle hinauf.
Sogar Edward wollte selber laufen, also nahmen sein Vater und ich ihn zwischen uns an die Hand und hoben ihn die Stufen hoch. Glucksend ließ er sich baumeln und wieder auf seine kleinen Füße stellen.
Diese Etage führte rund um das Untergeschoss und ließ nur eine schmale Aussparung, wo man nach unten auf die schwarz-weißen Kacheln des Eingangsbereich blickte.
Hier gab es besagtes „Mordzimmer“ und 6 kleine Zimmer für die engsten Bediensteten, wo sich schon Magda, Michael und Sybill unterbringen ließen. Rundum verliefen weitere Räume, welche recht großzügig gehalten waren und alle bereits bezugsfertig waren. Man brachte meinen Mann und mich in unser Zimmer, doch als ich mich umsah, fand ich kein Bett für Edward und fragte den Verwalter danach.
„Maîtresse Kenway, euer Sohn hat sein Zimmer direkt neben eurem.“ und er deutete mit einer Handbewegung auf die Durchgangstür zu unserer Linken.
„Ich würde ihn aber gerne, weil er noch fremd hier ist…“ doch mein Mann ließ mich nicht ausreden!
„Das ist wohldurchdacht, Monsieur Lacasse.“ damit war für ihn das Thema mal wieder abgeschlossen und in mir fing es an zu brodeln. Sybills Zimmer lag gegenüber auf dem anderen Korridor und nicht gerade nahe bei Edward und… ich will ihn bei mir haben!, ging es mir durch den Kopf.
Darüber reden wir später, Alex! Seine Worte waren befehlend und ich erschrak im ersten Moment.
Eine gewisse Verunsicherung begann sich in mir breit zu machen. Musste ich wirklich NOCH weiter lernen mein Kind abzugeben? Doch mein Trotz brach durch und in meinem Kopf formte ich schon meine Übernachtung in Edwards Zimmer.
Das wirst du sein lassen! Deine Worte waren, so lange du ihn stillst, bleibt Edward bei uns. Erinnere dich! Wieder musste ich schwer schlucken und sah in den Augen von Haytham eine Wut, welche mich erschauern ließ.
Unwillkürlich sah ich mich nach einer Bedrohung hier um, fühlte und nahm aber keinerlei Präsenz wahr, auch unser Sohn war die Ruhe in Person und machte keine Anstalten, Angst zu haben.
Was war es dann, was uns beide so in Rage versetzte?
„Mama...aaaaaaaam!“ holte mich mein kleiner Schatz aus diesen dumpfen Gedanken.
Wir gingen nun in sein Reich und es war wirklich wunderschön hier, es gab sogar Spielzeug und das Bett war einfach ein Traum. Groß wie ein normales Doppelbett, aber es war etwas niedriger und hatte kleine Gitter an den Seiten, damit er nicht hinausfallen konnte. Da hatte jemand beim Bau mitgedacht! Dieser Anblick beruhigte mich etwas, aber nur ein ganz kleines bisschen, muss ich gestehen.
Auf dem Weg hinunter und in den hinteren Garten, betrachtete ich die Gemälde an den Wänden. Sie hätten auch von sonst wem sein können. Kennt ihr diese Fakebilder in Bilderrahmen, die man so kaufen kann? So kam es mir hier vor, aber Haytham klärte mich auf, dass es die Vorbesitzer dieses Schlosses seien und dann standen wir vor einem Porträt eines Herren, welcher erhaben an einer Stuhllehne stand und mit erhobenem Kinn einem direkt in die Augen zu schauen schien.
„Das ist Maître Birch, Maîtresse Kenway.“ meinte Emanuel, der Verwalter, an mich gerichtet, vermutlich weil er meinen fragenden Ausdruck bemerkte.
Ich hatte mir den gealterten Großmeister des britischen Ritus immer etwas, nunja, imposanter vorgestellt. Dieser Mann war ja nicht mal annähernd so autoritär wie mein Mann, Lucius oder mein Mentor.
Glaub mir, wenn Reginald wollte, konnte er auch ganz anders in Erscheinung treten. Frag einfach mal beizeiten Lucius! Sogar Braddock kuschte hin und wieder vor ihm, bevor er sich vom Orden abwandte! Erklärte Haytham neben mir.
Draußen trafen wir auf einige Angestellte, welche den Mittagstisch deckten und erst jetzt nahm ich das Grummeln in meinem Magen wahr. Es roch herrlich nach Kräutern und Gebratenem!
„Ham“ meinte Edward zappelnd auf meinem Arm und auch bei ihm hörte ich es knurren.
Und ehe wir uns versahen, konnten wir uns setzen mit den Worten, der Rest der Besichtigung würde dann später erfolgen.
Wir aßen zu Mittag und auch Mrs. Wallace hatte wieder Appetit, was mich unendlich freute. Für einen Moment blieb ich an ihrem Gesicht hängen und bestaunte die glatte Haut. Dort wo noch vor einigen Tagen die Falten waren, sah es aus, als hätte man darüber gebügelt und auch ihre Augen hatten einen neuen Glanz angenommen. Wenn ich ehrlich bin, ich hatte mir diese Frau nie genauer angesehen, weil sie einfach da war und… ich hatte tatsächlich ein schlechtes Gewissen plötzlich, weil ich sie immer nur als anwesend wahrgenommen hatte. Es war halt so, sie war da und gehörte dazu…
Du brauchst kein schlechtes Gewissen haben, es freut mich eigentlich, dass du so selbstverständlich von Anfang an mit mir umgegangen bist. Snotras wohlige Stimme ertönte in meinem Geist und ich lächelte ihr zu. Sie war mir von Anfang an sympathisch, sie war… nett und hat mich unterstützt. Auch wenn ich mich über dein Kochverhalten beschwert habe im Fort George. Ihr Lachen klang hell und ließ mich diesen Augenblick wieder vor meinem inneren Augen sehen!
Mrs. Wallace übernahm nach dem Essen unseren Sohn und brachte ihn ins Bett, was er ohne Maulen über sich ergehen ließ.
Somit hatten Haytham und ich jetzt einen Moment für die weitere Besichtigung. Jetzt aber war er es, der mich herumführte und mir die Ställe zeigte, den Gemüse- und Kräutergarten und auch diesen wunderschöne Obstgarten. Es gab Sträucher mit Brombeeren und Himbeeren, leider waren noch nicht alle reif nur ein paar wenige, aber die ließ ich mir einfach schmecken. Eine Wohltat, mal wieder, wenn man nichts abspülen musste!
Plötzlich hielt Haytham inne und stand einfach auf dem Rasen. Sein Blick ging ins Leere und ich folgte ihm, sah aber nichts. Auch konnte ich nicht in seinen Geist eindringen, mein Mann wollte in Ruhe gelassen werden.
Solche Momente machten mich immer nervös und ich ging ein wenig weiter, bis ich die große Sonnenuhr inmitten eines runden Kiesbeetes sah. Für einen Moment war ich an ein altes Videospiel erinnert, wo es ein Rätsel um dieses Konstrukt gab und automatisch sah ich mich genauer um.
„Mi sol, was suchst du? Hast du etwas verloren?“ hörte ich Haytham hinter mir und er klang sehr belustigt. Kein Wunder, ich hockte hier auf dem Schotter und besah mir den Unterbau der Uhr. Das muss für jeden „normalen“ Menschen seltsam aussehen und ich stand grinsend wieder auf.
„Ich habe nichts verloren, aber manchmal… ach vergiss es einfach.“ redete ich abwinkend und hoffte, er gäbe Ruhe.
„Warum sollte ich, ich finde dich hier auf allen Vieren auf dem Boden, was schon sehr verlockend aussah und dann dein prüfender Blick auf den Stein gerichtet dabei… Verzeih wenn ich mich dann frage, was du genau suchst!“ seine hochgezogene Augenbraue brachte mich dann doch zum Reden.
Ich erzählte ihm von diesem Videospiel, wo besagte Lara Croft ein Rätsel um eine Sonnenuhr lösen muss.
„Und du meinst, hier gibt es etwas ähnliches?“ nun begann auch er sich genauer umzusehen. „Vielleicht sollten wir uns demnach mal im Keller etwas genauer umsehen, vielleicht …“ doch ich hörte in seiner Stimme einen spottenden Unterton und stieß ihm meinen Ellbogen in die Seite.
„Verarschen kann ich mich alleine, man. Ich weiß doch auch nicht, es sah halt … seltsam aus.“ meinte ich lachend und hatte seine flache Hand auf meinem Hintern.
„Mi sol, deine lose Zunge und… könntest du mir bitte diesen Ausdruck erklären? Du kannst bitte WAS machen?“ ich sah aber, er hatte bereits eine neue Lektion im Kopf für mich.
„Das heißt, du sollst mich nicht auf den Arm nehmen, Master Kenway.“ hauchte ich an seiner Halsbeuge und zog dann seinen Mund zu mir herunter. Seine Bilder im Kopf ließen mich einfach so an Ort und Stelle zerfließen.
„Ich sagte ja, den Keller sollten wir näher untersuchen beizeiten, Mistress Kenway.“ seine Stimme war rau und atemlos. Seine Arme schlangen sich um mich, hielten mich an sich gepresst, bis wir uns etwas beruhigt hatten.
Auf dem Weg wieder zurück auf die Terrasse, zeigte er mir noch den Taubenschlag und den Fuhrpark. Im Kopf begann ich das Ganze durchzurechnen, was das alles kosten würde, wurde aber von meinem Mann unterbrochen.
„Keine Sorge, das Ganze ist fast selbst tragend und die Angestellten versorgen sich hier selber. Bleiben die Instandhaltungskosten und die Gehälter. Aber auch das habe ich seit Jahren im Griff, mi sol. Und vergiss nicht, die Anlagen, die mein Vater beizeiten getätigt hatte, bieten eine stabile Grundlage.“ das beruhigte mich etwas.
„Es ist wirklich wunderschön hier!“ sprach ich jetzt leise und drückte seinen Arm dabei. „Hast du eigentlich sehr viel Zeit hier verbracht, Haytham?“
„Einige Jahre, bis ich offiziell in den Orden aufgenommen wurde und entsprechend auf die Missionen geschickt wurde. Reginald hatte für mich Hauslehrer angestellt, jedoch hatte ich hier zu meiner großen Freude einen Kammerdiener und keine Kindermädchen mehr!“ wer konnte es ihm verübeln, hier waren diese Damen nicht mehr von Nöten, der junge Kenway brauchte lediglich noch jemanden, der sich um sein Wohl sorgte.
Haytham erzählte mir von seinem Training hier auf dem großen Rasen, wo er vorhin noch Gedankenverloren vor sich hin gestarrt hatte. Deswegen war er so weggetreten, seine Gefühle waren dabei ihn zu übermannen.
„Wenn ich ehrlich sein soll, man hat dich wirklich sehr gründlich ausgebildet. Wirst du auch Edward so intensiv unterrichten?“ kam es mir plötzlich in den Sinn.
„Natürlich, auch er muss vorbereitet werden.“ diese Selbstverständlichkeit in seinen Worten war mal wieder etwas erschreckend für mich, weil ich einfach anders aufgewachsen bin und ich spürte wieder, dass ich loslassen musste und mich den Gepflogenheiten dieser Zeit anpassen musste.
Am Abend, als unser Sohn im Bett war in seinem Zimmer, was mir immer noch sehr missfiel!, zeigte mir Haytham die hiesige Bibliothek und ich konnte wirklich ganz in Ruhe durch die Regale schauen. Er verstand es mich abzulenken. Du meine Güte, es war einfach unglaublich und dieses Gefühl von „ich bin im Paradies“ überkam mich wie immer, wenn ich so etwas sah.
Ich entdeckte Schriften über die irische Mythologie, es gab dicke Wälzer über meine nordischen Götter und was natürlich nicht fehlen durfte, die hauseigene Bibel. Die überging ich aber schnell, weil sie mich nicht interessierte.
Einige Enzyklopädien über Ethik, historische Abhandlungen über das Hängen als Hinrichtungsform zum Beispiel bis hin zu kleinen Romanen von mir unbekannten Autoren, waren hier vertreten!
„Da werde ich in den nächsten Tagen genügend Lesestoff haben, mi amor.“ seufzte ich glücklich und ließ mich auf das kleine Sofa sinken. Haytham reichte mir ein Glas von dem französischen Portwein und ich lehnte mich an seine Schulter.
„Hätte ich Reginald anders bestrafen sollen?“ seine unsichere Stimme ließ mich aufhorchen, zumal dieses Thema so überraschend kam.
„Wenn ich ehrlich bin, ja, dass hättet IHR! Im Grunde hast du dich gerächt und soviel weiß ich über den Templerorden, dass DAS nicht zu den Lehren zählt. Auch wenn Reginald es verdient hat.“ ich seufzte tief und dachte daran, dass auch ich diesen Mann schon früher hätte um die Ecke bringen können. Was wäre aber dann mit Familie Kenway passiert?
„Nein, ich habe damals eine Entscheidung getroffen, welche mir richtig erschien. Du hättest Jenny damals sehen sollen, sie war alt geworden und hatte diesen Hass auf ihn in ihren Augen… Meine Schwester brauchte diese Rache, genau wie ich auch. Oder auch Faith bei Zoe zum Beispiel.“ sprach er mehr zu sich, als mit mir. Doch er hatte recht und ich nahm seine Hand und drückte sie einfach zur Bestätigung.
„Auch ich habe Entschlüsse gefasst, welche vielleicht nicht immer richtig waren. Aber was zählt ist doch das jetzt und hier, oder nicht?“ meine Stimme war kaum zu hören, weil bei mir ein schlechtes Gewissen im Bezug auf Marius wieder hochkam. Ich schüttelte diesen Gedanken aber von mir!
„WIR zählen, mi sol. Unsere Bestimmung und unsere Aufgabe ist wichtig, daran sollten wir festhalten und unseren Sohn immer daran erinnern!“ jetzt trat ein Lächeln in sein Gesicht und ich wurde etwas ruhiger.
Plötzlich stand mein Mann unvermittelt auf, zog mich ohne etwas zu sagen hoch und führte mich in einen Raum neben dem Arbeitszimmer. Dieser war durch eine Geheimtür nur zu betreten und ich staunte nicht schlecht als ich ihn betrat. Nein, nicht weil überall Spinnweben hingen, sondern weil es hier eine beachtliche Sammlung an alten Rüstungen, Schwertern und Pistolen gab.
Haytham entzündete eine Fackel an der Wand und erleuchtete so nach und nach diese Waffen- und Rüstkammer!
In einigen Regalen waren kleine Kisten, welche staubig und völlig eingewebt waren über die Jahre. Hier war schon lange niemand mehr gewesen, vermutlich wusste auch niemand von dieser Geheimtür!
„Alex, wir suchen doch nach einigen bestimmten Artefakten, richtig? Mir ist gerade eingefallen, dass auch Birch einiges zusammengetragen hatte. Leider hatte ich nie die Gelegenheit mir das alles genauer anzusehen. Und als er dann beerdigt war, sind wir von hier aufgebrochen und waren hier gar nicht mehr drin!“ er klang wie ein kleiner aufgeregter Junge und ließ mich schmunzeln. Diese Art stand ihm einfach!
„Gibt es eine Art Bestandsliste von den Dingen, die hier lagern? Vielleicht müssen wir gar nicht immer so weit reisen um die Gegenstände zu finden.“ langsam breitete sich auch in mir eine freudige Stimmung aus, weil wir unserem Ziel näher kamen und das vielleicht ohne großen Aufwand.
„Ja, warte einen Moment… sie ist… hier.“ Haytham hatte in einer der Schubladen des Schreibtisches ein Buch gefunden und reichte es mir.
Ich hielt es in das Licht der Fackeln, doch leider verflog meine Euphorie so schnell wie sie gekommen war. Die Sprache auf dem Einband war hebräisch! Verdammt nochmal! „Kannst du vielleicht diese Sprache, mi amor?“ grinste ich ihn an und Haytham ließ die Schultern sinken.
„Das ist doch nicht wahr! Alles wird immer verschlüsselt, oder in fremden Sprachen verfasst! Vielleicht finden wir hier aber einen Dolmetscher, der uns kurzfristig helfen könnte!“ sein Optimismus reichte für uns beide und ließ mich etwas zuversichtlicher nach vorne sehen.
Ich nahm Stichprobenartig eine kleine Kiste aus einem Regal und stellte sie, nachdem ich sie abgewischt hatte, auf den Schreibtisch. Sie war nicht verschlossen, also ging ich davon aus, dass nichts spektakuläres darin sein konnte.
Ich hob den Deckel an und sah eine goldene Kette mit einem blauen Saphiranhänger, welcher umrahmt von Diamanten war. Das muss ein Vermögen sein!, ging es mir durch den Kopf. Der Saphir hatte einen Durchmesser von locker 3 Zentimetern und war in Herzform geschliffen.
Vorsichtig ließ ich meine Finger darüber gleiten und meine Fingerspitzen begannen zu prickeln. Erschrocken zog ich meine Hand zurück und Haytham zuckte ebenso zurück.
(Beispielbild!!!!!)
„Wir sollten hier nichts anfassen, ehe wir nicht wissen, womit wir es zu tun haben. Ich will keine bösen Geister wecken, Haytham!“ meinte ich ängstlich, weil mir gerade klar wurde, dass die Vorläufer ja auch noch einen Einfluss hatten und der war nicht zu verachten!
„Dann lass uns morgen noch einmal mit unserer Liste hierher kommen. Vielleicht können wir schon einmal grob aussortieren, was für uns wichtig ist und was, nun ja, unnütz ist.“ er stellte die kleine Kiste wieder zurück aufs Regal und wir löschten die Fackeln.
Mittlerweile war es gegen elf Uhr nachts und die Müdigkeit überkam mich.
„Lass uns schlafen gehen, morgen werden wir sicherlich wieder früh geweckt.“ kam es von meinem Mann, als hätte er meine Gedanken… ja, natürlich hatte er das!
In unserem Zimmer war es still und ich lauschte auf Geräusche aus Edwards Zimmer, vernahm aber nichts. Jetzt wurde ich doch wieder etwas unruhig und wollte gerade die Tür öffnen, als mich mein Mann abhielt.
„Alex, lass ihn schlafen. Wenn etwas ist, dann meldet er sich! Es sind nur ein paar Meter zwischen uns.“ damit drehte er mich entschieden zu sich um und ließ Magda und Michael kommen, damit sie uns beim Umziehen helfen konnten.
Ich ließ ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen, weil ich ehrlich gesagt immer noch über sein Verhalten sauer war. Auch wenn ich mir eingestehen musste, dass ich ihm ja versprochen hatte, dass Edward nur solange bei uns bleibt, bis ich ihn nicht mehr stillte. Ich fluchte über mich selber und ließ mich dann frustriert auf das Bett fallen, welches wahnsinnig weich war. Die Matratze bestand also aus Wolle und war frisch befüllt worden! DAS besänftigte mich dann ein wenig und ich rollte mich in meine Decke.
Gerade als ich mich um meinen Mann schlingen wollte, kam er über mich und bedeckte meinen Mund mit Küssen.
„Haytham…“ zu mehr kam ich aber nicht wirklich, weil seine Hände gierig über meinen Körper wanderten und begannen, jeden Zentimeter einzunehmen.
Mein Nachthemd war schnell hochgeschoben und sein Hemd lag in Sekunden neben uns. In diesen grauen Augen las ich seine Lust, seinen Wunsch mich zu haben und seine Lektion von vorhin setzte er in die Tat um.
Bei Gott ich habe dich die ganzen Tage vermisst, mi sol.
Er schob mein Hemd jetzt über meinen Kopf, machte aber keine Anstalten, es mir ganz auszuziehen. Im Gegenteil, er nutzte den Stoff wie eine Art Fessel an meinen Handgelenken.
In seinem Geist las ich, dass er genau DAS gerade sehr genoss und mich jetzt unter Kontrolle hatte. Und ich genoss es umgekehrt, eben diese abzugeben, mich ihm ganz hingeben zu können.
Ein Aufbäumen von ihm mit meinem gestöhnten Namen auf den Lippen, zeigte mir, dass mein Mann dieses kleine Zwischenspiel sichtlich genossen hatte. Vorsichtig fuhr er mit seiner rechten Hand an meinem Po entlang und den Oberschenkel hinunter. Seine Berührungen ließen mich zusammenzucken, da meine Haut durch seine doch sehr intensive Zuwendung gereizt war.
Langsam wanderte sein Mund zu meiner Körpermitte und hinterließ wohlige Schauer auf dem Weg. Seine Lippen und seine Zunge brachten mich zu einem wunderbaren Höhepunkt und ließen mich erzittern. Ein leises „Oh bei Odin…“ während ich ihm mein Becken entgegen reckte, war alles zu was ich gerade fähig war.
Vorsichtig taucht er wieder über mir auf, küsste mich und ließ mich mich selber schmecken.
„Ich bin immer wieder von deiner Hingabe fasziniert, mi sol. Vor allem, dass du ohne zu murren die Arme oben behalten hast.“ ein verschmitztes Grinsen erschien auf seinem Gesicht.
„Hätte ich einfach in deine Haare gegriffen, wäre es vielleicht nicht so schön für mich ausgegangen.“ meinte ich ebenso grinsend und zog ihn wieder zu mir herunter. Mittlerweile lag mein Nachthemd ebenfalls neben mir.
Mein Mann deckte uns beide zu, als er sich neben mich legte und zog mich zu sich. Mein Arm und mein Bein schlangen sich um ihn und ich hörte seinen ruhiger werdenden Herzschlag an meinem Ohr, was mich langsam einschlafen ließ.
„Mamaaaaaaaaaaaaa!!!“
Erschrocken fuhr ich zusammen und musste meine Sinne sammeln. Es war gerade dabei zu dämmern und ich musste mich im Zimmer erst einmal zurecht finden. Wo war Edward? Wo war mein Nachthemd und… hektisch suchte ich danach und stieß etwas unsanft meinem Mann in die Seite, welcher diese Aktion knurrend kommentierte.
„Alex, er ruft nur nach dir. Mach dich nicht verrückt…“ und damit reichte er mir mein zerknittertes Nachtgewand.
„Danke!“ gab ich etwas unwirsch von mir, zog es an… natürlich falsch herum… Bei Odin!!! Endlich angezogen öffnete ich die Tür zum Zimmer unseres Sohnes, welcher schon direkt vor meinen Füßen weinend auf dem Boden saß.
Mrs. Wallace war ebenfalls schon, wenn auch verschlafen, im Raum erschienen, doch ich konnte sie mit ruhigem Gewissen wieder in ihr Quartier schicken. Ein Lächeln auf ihren Schützling und sie verabschiedete sich.
„AAAAAAAAAAAAMMMMMMM!“ brüllte er nun noch lauter und frustrierter. Edward war wirklich sauer, er kam zwar alleine aus seinem Bett, aber noch nicht an diese hohen Türklinken heran!
„Min lille skat, beruhige dich. Komm, wir ziehen dir eine frische Windel an und dann kannst du noch bei Mama und Papa kuscheln.“ sprach ich leise und ging mit ihm auf dem Arm zu der kleinen Kommode.
Während ich ihn saubermachte und neu anzog, begann er wieder zu quasseln. „Nini… nein… Sisi …. daaaaa… mein….“ und über sein kleines Gesicht huschte ein Strahlen. Er sortierte, wer hier war und wer nicht.
„Genau, Tante Jenny kommt uns aber zu Weihnachten zuhause besuchen. Und Sybill ist immer bei dir, min lille skat!“ ich drückte Edward an mich und gab ihm einen dicken Kuss, was er mit einem „iiiiiiiiiiiiihhhhhhhhhh“ quittierte. Aber ich bekam einen seiner nassen Schmatzer auf die Wange, ich nannte sie liebevoll „Schneckenküsse“.
Wieder im Zimmer bei Haytham saß dieser schon im Bett und hatte sich ein Buch geschnappt.
„Du hättest uns ruhig Gesellschaft leisten können, mi amor. Stattdessen bleibst du faul im Bett und gibst dich Abenteuergeschichten hin, so gut hätte ich es auch gerne mal.“ lachte ich und ließ Edward zu seinem Vater krabbeln.
„Ich muss mich doch weiterbilden, damit ich diesem kleinen Quälgeist etwas von den spannenden Abenteuern der Seefahrer berichten kann! Stimmt es nicht, Edward?“ mit Schwung zog er seinen Sohn zu sich auf den Schoß und begann ihm aus dem Buch vorzulesen.
Eine Piratengeschichte, wenn ich es richtig deutete, wenn auch sehr haarsträubend geschrieben und mir ging das Tagebuch von Edward Senior durch den Kopf. „Ich hatte noch nie jemandem die Nase abgeschnitten… aber jetzt musste es auch noch ausgerechnet die vom Smutje sein…“ bei den Worten kicherte ich vor mich hin, weil ich ihn mir gerade in seinem feinen Zwirn dabei vorstellte und nicht in der Assassinen-Montur… doch ich schweife ab, verzeiht.
Plötzlich hörten wir ein leises fragendes „Opaaaaa?“ von unserem Sohn und er sah von einem zum anderen.
Wie schnell begann dieses Kind bitte mit dem Sprechen?
Ich sah meinen Mann an, welcher mich ebenso staunend betrachtete. „Edward, genau, du hast Recht. Dein Großvater war auch ein Pirat, wie hier im Buch!“ kam es von Haytham, wenn auch recht zögerlich. Wir waren uns aber einig gewesen, ihm die Wahrheit von Anfang zu erzählen!
Und dann klatschte der kleine Kenway freudig in die Hände und zappelte auf Haythams Schoß herum und rief immer wieder „Opaaa… Opaaaaaa“ dieser Anblick war einfach herzzerreißend.
Er sieht mich tatsächlich vor sich, wenn ihr ihm Geschichten erzählt, Alex. Und ich sehe jetzt, dass er weit mehr in meine Fußstapfen treten wird, als ich angenommen habe.
Diese Worte hörte ich, sah aber meinen Piraten nicht und dann war er auch schon wieder komplett verschwunden. Ich seufzte, setzte mich zu meinen Männern und lauschte der Geschichte aus dem Buch. Noch war kein Frühstück fertig, was aber klein Edward nicht davon abhielt um seinen kalten Tee zu betteln.
Wir erhielten beim Frühstück die Nachricht von Madame Jomphe, dass sie uns übermorgen besuchen würden. Leider wären sie verhindert gewesen, als wir in Calais angelegt haben und bedauerten es sehr.
Diese Handschrift war so wunderschön geschwungen, dass ich neidisch wurde. Meine geschriebenen Worte sahen immer noch krakelig aus, weil ich es einfach nicht so gut mit der Feder hinbekam. Bei Zeiten sollte ich mir eine Metallfeder fertigen lassen., ging es mir durch den Kopf.
Das hieß jetzt, wir hätten noch zwei freie Tage, in denen wir uns hier einrichten konnten und ich war froh darum. So konnte ich vielleicht auch ein bisschen die Wälder hier erkunden und wir hätten wirklich eine kleine Auszeit von allem Trubel, Stress und den bösen Göttern!
„Mistress Kenway, soll Edward euch auf eurem Spaziergang begleiten?“ fragte Sybill und ich sah, sie würde auch gerne mit dabei sein.
Also machten wir uns fertig und drei Wachen schlossen sich uns an in den Wald.
Mein Mann zog es vor, sich die Liste der zu suchenden Artefakte anzusehen und dann auch gleich den Artefakten-Raum zu inspizieren.
Leider mussten wir nach kurzer Zeit feststellen, dass die Gegend hier recht unspektakulär war und es nichts spannendes zu entdecken gab. Bis auf ein paar Rehe, Eichhörnchen und Hasen sahen wir nichts.
Aber wir sahen auch nicht mit den Augen eines Kleinkindes! „Ha!“ kam es freudig von Edward und er schmiss sich in den Dreck. Langsam rappelte er sich wieder hoch und hielt etwas in seinen kleinen Händchen. Ich kniete mich vor ihn und gerade als ich fragen wollte, was er da gefangen hatte, kicherte klein Kenway vor sich hin.
Vorsichtig hob ich einen seiner Finger und sah einen kleinen Frosch, welcher zusammengekauert in seiner Höhle hockte.
Es war mir nicht möglich meinem Sohn dieses Tier abzunehmen. Weder zureden noch erklären… es brachte nichts. „Mit…. Mein!“ Anscheinend eines von Edwards Lieblingswörtern mittlerweile „MEIN“ … nun gut, dann soll er ihn mitnehmen. So könnte ich ihm auch zeigen, wie man sich um ein Tier kümmert, wie man es füttert und so weiter.
Im Chateau angekommen, bat ich eines der Küchenmädchen um ein großes Glasgefäß. Ich würde nun eine Art Terrarium für diesen Frosch einrichten und Edward konnte mir helfen. Gesagt getan. Der Laubfrosch Mit einem Tuch abgedeckt, in das wir Löcher geschnitten hatten, stellten wir das Behältnis nun hier auf die Terrasse. Mit meinen doch eher dürftigen Kenntnissen hoffte ich, dass dieser kleine Hüpfer länger als nur zwei Tage überleben würde.
Gebannt sah Edward seinem ersten Haustier dabei zu, wie er an den Zweigen und Blättern emporkletterte.
„Wir müssen auch für das Essen sorgen, min lille skat. Auch dein Frosch hat Hunger, genau wie du auch!“ erklärte ich, während seine kleinen Finger das große Glas immer wieder anstupsten.
Eigentlich behagte es mir nicht, dieser Frosch gehörte in die Natur. Sollte ich ihn einfach nachts wieder aussetzen und es wie einen Ausbruch aussehen lassen. Moment mal, plante ich für einen kleinen grünen Hüpfer wirklich so eine Aktion? Aber ich musste selber dabei grinsen.
Doch der neue Mitbewohner hatte schon andere Pläne, ihm behagte seine Unterbringung eben sowenig und als wenn Edward es gespürt hätte, fummelte er an dem Tuch herum.
„Soll ich es abnehmen? Möchtest du den Frosch rauslassen?“ fragte ich meinen Sohn leise.
Mit Tränen in den Augen nickte er und warf sich in meine Arme. Ich war etwas perplex, also übernahm Sybill die Freilassung. Warum ich nun auch in Tränen ausbrach, kann ich gar nicht sagen, aber es war so herzzerreißend, wie Edward hinter diesem kleinen Lebewesen hersah und sogar winkte. Und das mit nicht mal 8 Monaten!, dachte ich und schluckte schwer.
„Habe ich etwas verpasst oder vergessen, weswegen man hier den Tränen nahe ist?“ hörte ich meinen Mann plötzlich und unser Sohn rief gleich „Papaaaa… AAAAAMM!“
Ich erklärte, was vorgefallen war und erntete einen weiteren fragenden Blick.
„Es war nur ein Frosch, Edward!“ Haytham nahm seinen Sohn auf den Arm und begann ihm zu erzählen, woher diese Tiere kamen und dass man sie nicht einsperren sollte. Sagte der Mann, welcher fasziniert vor einem eingepferchten Löwen im Londoner Tower gestanden hatte! Doch ich verkniff mir einen Kommentar!
Am späten Nachmittag erhielten wir eine weitere Nachricht und zwar dieses mal von dem niederländischen Händler, Mr Jon de Gooijer! Ihn hatte ich ehrlich gesagt ein wenig verdrängt und erst jetzt fiel mir sein Amulett wieder ein, welches er geerbt hatte.
Er hatte über die Eheleute Jomphe erfahren, dass wir nun endlich in Frankreich eingetroffen waren und hatte sich sogleich auf den Weg gemacht. Er wollte keine Zeit mehr verlieren. Mr de Gooijer bat um ein Treffen in Paris, weil er einige Zeit dort geschäftlich zu tun hatte und unter anderem auch auf einem Ball zu Ehren von König Ludwig XV. eingeladen war.
In seiner Nachricht lag ein Umschlag mit königlichem Siegel von Ludwig XV. Vorsichtig nahm ich ihn in die Hand und mich durchströmte eine gewisse Ehrfurcht!
„Mi sol, bist du jetzt zu den wahrsagenden weisen Frauen gewechselt, oder warum starrst du diesen Brief an, als könntest du seinen Inhalt erahnen?“ Haythams mehr als amüsierte Stimme klang an mein Ohr und ich warf ihm einen bösen Blick zu. Meine Zunge zeigte dann mein Missfallen um so deutlicher, nicht nur meine, auch Edward tat es mir gleich und kicherte dann drauf los. Ach ja, wir mussten aufpassen, was wir taten, dieser kleine Mann machte uns gerne nach und das könnte mitunter nicht so leicht zu rechtfertigen sein.
Ludwigs Notiz enthielt eine Einladung zu einem Sommerball am 12. August!
Ich starrte immer noch diese an Haytham und mich gerichteten Zeilen an. Es war damals schon eine unglaubliche Erfahrung King George III persönlich zu treffen und nun hier auch den französischen derzeit amtierenden König? Das ging etwas über meinen Horizont und ich reichte meinem Mann das Schriftstück, stand auf und ging in den Garten!
Meine Gefühle fuhren gerade Achterbahn. Ich hatte Angst, etwas falsch zu machen, ich freute mich riesig darüber, so eine historische Persönlichkeit kennenlernen zu können, dazu gesellte sich meine Schüchternheit, was diese großen offiziellen Anlässe anging… Und hatte ich überhaupt etwas passendes zum Anziehen? Bei Odin, ich klang wie so ein schnöseliges neureiches Vögelchen!
Ich hob mein Kinn, straffte die Schultern und sah in den Wasserspiegel des Teiches unter mir. Gerade als ich den Mund auf machte um mir Mut zu zusprechen, sah ich ein Bild, welches nicht wirklich ich war… seltsam geflochtene Haare… über dem linken Auge eine Tätowierung…
Ich schreckte zurück. Das hatte ich schon einmal gesehen! Meine Vorfahrin?
Langsam beruhigte ich mich wieder und blickte vorsichtig erneut in das Wasser. Dieses Mal aber sah ich MEIN Spiegelbild.
„Mamaaaaaaa… Aaaaaaaaaaaaaam!“ kreischte es neben mir und ich fiel unsanft auf meinen Hintern vor Schreck. Ein kleiner kichernder Kenway stand vor mir und warf sich auf meine Brust. Dann erschienen in meinem Blickfeld schwarze Stiefel, welche zu meinem Mann gehörten und ich sah grinsend zu ihm auf.
„Geht es dir besser, mi sol?“ er reichte mir seine Hand und zog mich hoch, mitsamt unseres Sohnes.
„Danke, es geht schon wieder. Es ist einfach unfassbar, was ich an Historie noch alles erlebe und dabei sein kann. Das überwältigt mich einfach.“ dabei sah ich auf meinen kleinen Schatz, welcher an meinen Ketten herumhantierte und vor sich hin brabbelte.
Wir würden jetzt das Treffen mit unseren Kontaktpersonen abwarten und dann nach Paris aufbrechen. Die Reise würde auch noch ein paar Tage in Anspruch nehmen, so sagte man mir später beim Abendessen und innerlich stöhnte ich, weil ich die Befürchtung hatte für diesen Zeitraum meine Blutung wieder zu haben. Das würden ja lustige Tage werden!, im wahrsten Sinne des Wortes.
Haytham brachte mich aber auf andere Gedanken und erzählte von seinem Fund in der Artefaktenkammer.
Wie vermutet gab es 5 Teile von unserer Liste, zumindest dem Aussehen nach, die dort verwahrt wurden.
Besagtes und bereits in Augenschein genommenes „Herz des Ozeans“ konnten wir abhaken und mir fiel ein, woher ich es kannte. Und jetzt nennt mich kitschig, aber es hing mit „Titanic“ zusammen und ich sah diesen Film wieder vor mir.
Hannibals „Trinkpokal“, mit welchem er immer auf Siege mit seinen Leuten anstieß war auch dort versteckt. Nicht zu verwechseln mit dem „Heiligen Grahl“, den suchten wir nämlich tatsächlich NICHT!
In einer Truhe war Haytham dann fündig geworden was die zwei Steintafeln aus dem versunkenen Atlantis anging. „Es fühlte sich seltsam an als sie vor mir lagen. Es war, als würde um mich herum Wasser sein. Leider konnte ich die Hieroglyphen nicht entschlüsseln.“ seufzte Haytham frustriert. Wir würden sicherlich noch jemanden finden, der das alles übersetzen konnte und zur Not schickte ich Bilder in Gedanken an Faith.
Plötzlich sah mein Mann mich aber seltsam an, betrachtete mich fragend von oben bis unten und sagte dann „Dort ist auch das Schwert des Arminius, welches er in der Schlacht im Teutoburger Wald geführt hat. Von ihm ging etwas aus, was mich an dich erinnert hat. Außerdem gibt es auch die römische Standarte mit dem goldenen Adler hier.“ immer noch sah er mich an, als ob er überlegen müsse, ob ich real bin.
„Nun, ich bin Deutsche, Haytham. Da kann es doch durchaus vorkommen, dass Gegenstände, welche dort in Schlachten oder ähnlichem genutzt wurden, das bewirken. Aber lass uns die Übersetzung der Bestandsliste abwarten und schauen, ob Reginald eventuell noch weitere Erklärungen dazu geschrieben hat.“
Es war aber sehr befriedigend zu sehen, dass wir voran kamen und im Stillen musste ich jetzt doch Master Birch loben, dass er so tatkräftig seinen Wunsch, mehr über die Vorläufer zu erfahren, durchgesetzt hat.
„Er war wirklich stellenweise wie besessen. Damals habe ich es oft nicht verstanden, erst als ich auf der „Providence“ Vaters Buch ein paar Mal gelesen hatte, konnte ich seinen Enthusiasmus nachvollziehen!“ Er beschrieb es als eine Art „erleuchtet werden“ und grinste dabei aber, weil es wirklich etwas seltsam klang.
Ein Tritt in meinen Bauch machte mich wach und ließ mich laut fluchen. Verdammt tat das weh!
„Edward, das hast du jetzt nicht gehört und entschuldige dich bei deiner Mutter! Du hast ihr wehgetan damit!“ doch so wirklich ernst klangen die Worte von Haytham nicht und ich warf ihm einen bösen Blick zu. Unser Sohn sah mich aufmerksam dabei an und versuchte ebenso zu gucken, aber es klappte nicht. Im Gegenteil, dieses krampfhafte Runzeln der Stirn und die roten Wangen von der Anstrengung waren zuckersüß. Im Nu war meine Laune wieder gestiegen und ich gab meinen beiden Männern ihre verdienten Guten Morgen Küsse. Nur einer von ihnen erwiderte ihn, der andere meckerte herum.
Nachdem wir angezogen waren, konnten wir hinunter zum Frühstück und ich war gespannt, ob es hier auch diese leckeren fluffigen Croissants gab, wie in der einen Herberge auf unserem Weg. Während meiner Recherchezeit daheim, hatte ich nachgelesen, dass es keine reine französische Speise war, sondern ein Österreicher diese Hörnchen erfunden hatte. Konnte mir aber auch egal sein, sie waren einfach lecker und vermisst hatte ich sie hier im 18. Jahrhundert tatsächlich ab und an.
Der Kaffee hier war ein Traum, sogar noch besser als der in Virginia.
„Vielleicht wissen Eheleute Jomphes wer für die Lieferungen zuständig ist und welcher Händler die Kaffeebohnen woher genau bezieht.“ Haytham war in seinem Element, weil er mal wieder Nachforschungen anstellen konnte. Ich hingegen witterte einen weiteren Zweig für mein Geschäft.
Das Mittagessen fiel etwas mickrig aus, weil wir am Abend mit unseren Kontakten essen würden. Es würde Reh geben, weil man bereits durchsickern ließ, dass ich keinen Hasen essen würde.
Ich ging mit Magda nach dem Essen in die Küche, während Sybill Edward zu Bett brachte. Unser Sohn war nicht begeistert, dass er nun schlafen sollte und hatte sogar um sich gehauen. Haytham hatte ihn kurzerhand auf den Arm genommen und seine Hände eisern festgehalten und in einem festen, bestimmenden Ton ihm gesagt, dass es keine Widerworte gibt! Mit zitternden Lippen sah er zu seinem Vater auf, wehrte sich aber tatsächlich weiterhin gegen diesen Griff, gab es dann aber doch auf, weil er einfach nicht dagegen ankommen würde!
In der Küche erwartete uns das fünfköpfige Fachpersonal, angeführt von Annalies Lacasse, der Frau des Verwalters. Ihre Helferinnen, darunter sogar ein junger Mann von ungefähr 17 Jahren, knicksten brav oder verbeugten sich und warteten auf meine Anweisungen.
„Wie ich sehe, habt ihr schon mit den Vorbereitungen angefangen. Wir werden zu viert sein und die Gäste erscheinen gegen sechs Uhr am Abend. Für den Aperitif hätte ich gerne Sherry, den trockenen, dazu bitte Obst. Für die Vorspeise soll es eine klare Suppe sein mit Einlage und dazu getoastetes Weißbrot und Weißwein. Die Hauptspeise ist, wie ich sehe schon dabei, zu zubereitet zu werden. Steht der Rotwein schon bereit?“ und damit wandte ich mich an Madame Lacasse.
„Ja, Maîtresse Kenway. Wir haben ihn schon aus dem Keller geholt. Die Nachspeise, der Früchtekuchen, ist ebenfalls fertig und steht zum Abkühlen dort auf dem Fenstersims.“ ihr Finger deutete in die Richtung.
„Das hört sich fantastisch an.“ lächelte ich jetzt in die Runde und konnte mich nun unbesorgt wieder verabschieden.
Mit meiner Kammerzofe im Schlepptau ging ich hinauf um ein Kleid für heute Abend auszusuchen. Es sollte nicht zu protzig wirken, aber auch nicht zu billig. Bei der Auswahl mittlerweile kein leichtes Unterfangen, musste sich sogar Magda eingestehen.
Da fiel mir auch wieder ein, dass mein Mann doch die Verlobung hier in Frankreich offiziell machen wollte. Ich hoffte, dass er es noch tat bevor wir nach Paris aufbrachen, weil ich einfach wissen wollte, wie meine Kammerzofe reagierte. Ich komme aber wieder vom Thema ab.
Das Kleid war in weiß gehalten, Schulterfrei und hatte einen kleinen „Unterbau“ für die Unterröcke mit dabei. Aber der Stoff war wunderbar leicht und bei den warmen Temperaturen genau das Richtige. Ich konnte es wagen diesen Traum zu tragen, weil Edward nicht mitessen würde, auch wenn ich es mal wieder nicht gut fand. Andere Zeiten…
Außerdem besprachen wir noch, wie meine Haare gemacht werden sollten und meine Zofe fischte schon Bänder in weiß und dem dunklen grün aus der Schublade meiner Kommode.
Für einen Moment hatte ich jetzt noch etwas Zeit, ehe sich unser Sohn wieder bemerkbar machen würde. Leise schlich ich in sein Zimmer und Mrs. Wallace nickte mir lächelnd zu, während Edward ausgestreckt auf dem Rücken leise vor sich hin säuselte. Ein Anblick der mich einfach zum Dahinschmelzen brachte.
Unten erwartete mich schon Haytham und hielt unsere Liste in der Hand.
„Leider gibt es sonst nichts, was sich damit vergleichen ließe. Aber 5 Stücke haben wir schon beisammen, wenn wir richtig liegen. Das ist doch keine schlechte Ausbeute, oder mi sol?“
Ich stimmte ihm freudig zu und erzählte ihm dann, was ich tragen würde, damit er sich entsprechend anpassen konnte am Abend.
„Dieses Kleid steht dir übrigens wirklich gut, schon bei der Anprobe konnte ich meine Augen kaum von dir lassen und von meinen Fingern ganz zu schweigen.“ raunte er leise an mein Ohr und mich überlief eine warme Gänsehaut. Noch immer hatte ich meine Probleme mit Komplimenten und nickte eifrig grinsend.
Für einen Moment, als ich eingekleidet war, konnte ich noch mit Edward spielen. Er saß auf dem Boden im Salon und sah sich mit einem der Diener und Sybill ein Buch über die Tiere des Waldes an. Dort wurde auch erklärt, was die Tiere gerne fraßen und wie groß sie wurden.
Plötzlich kam ein Knurren aus Edwards Mund und wir sahen ihn alle fragend an. Dann zeigte er auf das Bild eines Wolfes. „Nir…“ hörten wir ihn sagen und seine kleinen Arme breiteten sich aus, als wolle er zeigen, wie groß dieses Tier sei. Nir… meinte er Fenrir? Auf meine Frage nickte er eifrig.
Doch schon hatten es ihm die kleinen Eichhörnchen angetan und er strich vorsichtig über die Bilder.
„Er lernt unglaublich schnell, mi sol. Auf der einen Seite macht es mir Angst, weil er überfordert sein könnte. Umgekehrt bin ich einfach unglaublich stolz auf diesen kleinen Mann!“ hörte ich Haytham hinter mir.
„Wenn wir merken, dass es zu viel für ihn wird, dann können wir das Pensum ja auch verringern…“ doch weiter kam ich nicht.
„Nicht, wenn es um das Kampftraining geht! Bei den wissenschaftlichen oder sprachlichen Fächern kann man sicherlich eine Ausnahme machen!“ seine Arme legten sich beschwichtigend um meine Taille und ich drehte mich etwas, damit ich ihn ansehen konnte.
„Ich denke, dass werden wir individuell dann abklären.“ ich erntete ein Seufzen, welches mir zeigte, dass ich mich an die Regeln hier halten musste und selber auch noch lernen musste. Ich musste lernen, mehr zuzulassen, als ich es gewohnt war.
Bevor es jedoch ausarten konnte, wurden Laurette und Yves angekündigt. Mein Mann nahm Edward auf den Arm und wir begrüßten die Eheleute.
Madame Jomphe war etwas größer als ich, blonde helle Haare, welche schon fast golden schimmerten. Ihr Alter war kaum auszumachen, was sie aber mit einem Zwinkern abtat, weil sie … in mir lesen konnte. Ich hatte es mal wieder vergessen.
Bragi, oder besser Yves, war genauso groß wie seine Gattin, hatte aber leicht schütteres ergrauendes Haar, vielleicht war er Anfang 60. Auch bei ihm war es nicht wirklich zu erkennen.
Als beide Edward erblickten, stahl sich ein breites Lächeln auf ihre Gesichter. „Da ist ja unser kleiner Schützling, welcher schon so groß ist und immer fleißig lernt.“ ihre Stimme war, jetzt wo ich sie hier live hörte, dieselbe wie in dem Tempel damals.
„Ja, er ist wirklich sehr groß und er mag euch.“ stellte ich fest, weil er nach Iduns Arm griff. Zwischen den beiden entspann sich eine leuchtende Verbindung und ein Strahlen huschte über Edwards rotwangiges Gesicht. „Idu!“ hörte ich ihn und es klang so glücklich, dass ich fast in Tränen ausbrach.
„Du bist so artig, mein kleiner Mensch. Du machst das alles schon großartig und jetzt ist es aber Zeit, dass du schläfst.“ meinte sie leise und strich ihm über seine dunklen Haare. Seinen Kopf ließ er an ihre Schulter sinken, nahm seinen Daumen in den Mund und ohne Murren übernahm ihn Sybill. Wir wünschten alle noch ein gute Nacht, dann waren sie verschwunden.
„Seine Fortschritte sind wirklich bemerkenswert!“ begann Bragi ohne Umschweife und sah den beiden noch hinterher. Der Diener räumte die Bücher und das Spielzeug unterdessen weg und wir Erwachsenen konnten uns setzen.
„Für mich ist es immer noch erschreckend, wie weit Edward ist.“ Haytham klang dabei ehrfürchtig und sah zu unseren Gästen.
„Es liegt noch ein weiter Weg vor ihm und auch vor euch. Aber das wisst ihr ja bereits.“ lächelte Idun uns nun an. „Aber wir sind ja eigentlich auch noch aus einem anderen Grund hier. Die Truhe ist heile hier angekommen, nehme ich an? Ich habe keinen Verlust spüren können.“ kam es etwas nachdenklich von der blonden Frau.
„Wohlbehalten steht sie im Arbeitszimmer, neben den anderen Waren. Außerdem wird sie bewacht, 4 Wächter wechseln sich ab, sie zu schützen.“ Haytham war stolz, dass er diese Wachen dann doch noch zusätzlich angeheuert hatte. Bisher hatten sie auch einen guten Job gemacht, musste ich neidlos anerkennen.
„Ich denke, wir werden uns nach dem Essen dem Inhalt widmen. Ich bin doch zu neugierig, wie es euch geht und es ist immer noch aufregend, euch beide nun endlich auch von Angesicht zu Angesicht sehen zu können.“ sie klang wie ein aufgeregtes Schulmädchen und lächelte von uns zu ihrem Mann.
„Meine Frau hat mich die letzten Tage ganz verrückt gemacht. Sie wäre vermutlich schon vor Wochen in London erschienen, hätten uns nicht dringende Geschäfte aufgehalten!“ lachte Bragi und sein Blick hing liebevoll an seiner Frau.
In mir herrschte aber ein ähnliches Gefühl und ein ziemliches Durcheinander. Wenn ich es recht verstanden hatte, dann war er so etwas wie der Bewahrer der Chroniken. Und Idun ist nun einmal selbsterklärend, sie ist für die Erneuerung, Jugend und Unsterblichkeit verantwortlich, grob gesagt. Uns hatte sie ja schon überzeugt, weil Haytham und ich von nun an anders alterten als die normalen Menschen. Und wie wir wissen, hatte auch Sybill eine große Portion Jugend erhalten, was mich immer noch wahnsinnig freute. Gerade auch für Edward oder unsere späteren Kinder…
„Damit hat es noch etwas Zeit, Alex. Ihr müsst erst sicher wieder zuhause sein, dann können wir den Nachwuchs in Angriff nehmen. Und ihr seid übrigens nicht die einzigen die sich darauf freuen dürfen.“ grinste sie uns wissend an und sah von einem zum anderen. „Fenrir und Brida werden nächstes Jahr mit einem Fohlen gesegnet sein, ihr seht, während eurer Abwesenheit sind keine großen Katastrophen passiert dort.“ ihr Lachen war so hell und ansteckend, dass ich mit einstimmte.
„Mein Friese wird Vater? Du meine Güte, da bin ich ja gespannt was uns dann erwartet.“ ich freute mich wirklich auf das Fohlen, auch mein Mann schüttelte ungläubig den Kopf.
„Das sind doch mal gute Nachrichten!“ kam es dann erleichtert seufzend von ihm.
Madame Lacasse kündigte kurz darauf das Essen an und wir nahmen auf der Terrasse Platz, weil es doch recht warm noch war.
Während des Essens unterhielten wir uns über die üblichen Belange, was wir in London sonst noch erlebt haben und wie ich mich eigentlich so zurechtfinde.
„Ich muss gestehen, die erste Zeit war sehr sehr schwer für mich. Weil mich immer wieder großes Heimweh plagte. Aber Haytham tat immer sein bestes mich abzulenken und ich bin ihm sehr dankbar dafür.“ Das war ich wirklich und drückte seine Hand zur Bestätigung.
„Wenn man sieht, wie ihr mit einander umgeht, dann können wir beruhigt sein, dass wir das Richtige in die Wege geleitet haben. Auch wenn ihr alle nicht gleich eingeweiht ward in unsere Pläne.“ kam es etwas leise und entschuldigend von Bragi. Doch wir wären die letzten die deswegen noch böse wären.
Für einen Moment gingen wir nach dem Essen durch den hinteren Bereich des Parks und vertraten uns die Beine. Ich hoffte, dass ich gleich wieder sitzen konnte, da ich dem Reh doch sehr zugesprochen hatte und ziemlich satt war.
„Wie ich gesehen habe, konnte Edward sogar schon kleinere Wunden heilen lassen?“ meinte Laurette etwas nachdenklich.
„Das stimmt, einen Wespenstich hatte er verarztet. Strengt ihn das aber nicht zu sehr an? Ich meine, er ist noch so klein und…“ fragte Haytham besorgt, doch Bragi ließ ihn den Satz nicht beenden.
„Es strengt ihn an, auf jeden Fall. Aber genauso schnell erholt sich Edward dann auch wieder. Außerdem macht er es noch nicht ganz richtig, ich möchte es, auch wenn es ungerecht klingt, halbherzig nennen. Seine Fähigkeit zum Heilen ist noch unausgereift, aber meine Gattin arbeitet mit ihm. Euer Enkel hingegen ist mit seinen 22 Jahren vollständig ausgebildet und besitzt ein großes Wissen über den menschlichen Körper!“ so erzählte er uns nebenbei von Alexanders Werdegang und mich überkam ein so großer Stolz als Großmutter, dass ich vermutlich einige Zentimeter wuchs!
„Franziska hingegen wird die Rolle der Diplomatin und Vermittlerin übernehmen, weswegen wir ihr alle dieses Sprachtalent gaben.“ verkündete Idun zufrieden und sah auf die gerade erst wieder gestutzten Buchsbäume. „Warum lasst ihr der Natur nicht einfach ihren Lauf?“ fragte sie gedankenverloren, während sie über die Blätterstrich.
„Ich brauche eine gewisse Ordnung und Struktur… es sind andere Dinge, welchen wir ihren Lauf lassen.“ auch mein Mann klang als sei er weit weg und ich sah, wie sich ein Band zwischen ihm und Idun auftat. In mir kroch leise Eifersucht hoch, welche ich nicht wirklich bändigen konnte. Plötzlich spürte ich die Hand Bragis auf meinem Arm und hörte seine Stimme in meinem Kopf.
Kind, keine Eifersucht, sie ist fehl am Platz! Deinem Mann wird nur gezeigt, wie sich die Natur auch anders entwickeln kann und trotzdem einer gewissen Struktur und Ordnung unterliegt. Wenn auch ihrer ganz eigenen!
Wir sahen vermutlich gerade beide dieselben Bilder, in welchen sich Bäume ihren Weg suchten für die Wurzeln, Blumen einfach dort wuchsen, wo sie es wollten und die Insekten und Tiere folgten diesem wenn auch schwer zu erkennenden Rahmen, passten sich an.
Wir sollten nicht alles trimmen und uns Untertan machen!, ging es mir durch den Kopf. Aber hier ging es um repräsentative Dinge, wo es die Allgemeinheit nicht verstehen würde, wenn alles einfach wuchern würde.
Dennoch verstand ich, was sie meinten und ich nahm mir vor, dass wir daheim in Virginia ein wenig der Natur ihren Lauf lassen sollten.
Was die Bewirtschaftung der Felder anging, war es selbstverständlich nicht möglich, aber mit unserem privaten Garten konnte ich anfangen! Und jetzt freute ich mich umso mehr auf Virginia und unsere Plantage.
Über Bragis Gesicht lief ein wissendes Grinsen, genauso wie bei seiner Gattin. „Ihr habt es verstanden, das freut mich.“
Im Arbeitszimmer begutachteten die Eheleute Jomphe die Wachen und nickten anerkennend in unsere Richtung. Dann wurde die große Runentruhe auf den Arbeitstisch gehievt und Bragi nahm den formbaren Schlüssel zur Hand.
Dieser war etwas anders. Er sah geschwungener und runder aus. Auch war er an anderen Stellen biegsam, als die bisherigen, wenn ich es recht in Erinnerung habe.
Der Deckel wurde angehoben und zum Vorschein kamen alte Papiere, Papyrusrollen, Bücher und auch das passende Schreibzeug konnte ich ausmachen.
Idun holte sich einen kleinen Stapel zusammengelegter Briefe heraus, die mit einer dicken Schnur umschlungen waren.
„Da sind sie ja. Briefe von Karl dem V.!“ hörte ich sie freudig rufen! Sofort begann sie darin zu lesen und als ich einen Blick darauf warf, konnte ich kein Wort lesen. Es musste wohl spanisch sein, nunja, kein Wunder. Es war der spanische König welcher 1540 – 1544 Krieg gegen Frankreich bis zum Sieg führte. Fragend sah ich nun die Göttin an.
„Oh, ich verstehe. Es geht hier um seine irdischen Dinge, welche in Frankreich verblieben sind. Seht, hier steht eine kleine Liste von Dingen, welche sein Leibdiener erstellt hatte, damit man ihm diese von seinem Lohn abziehen konnte.“ Ich schüttelte unwissend den Kopf, denn ich verstand das nicht wirklich. In diesem Falle wurde dem, damals nannte man ihn Leibdiener heute im 18. Jahrhundert hießen sie Kammerdiener, Diener die Schuld an dem Verlust dieser Sachen gegeben und er musste dafür grade stehen. Es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alles an Ort und Stelle war und auch blieb!
Meine Nackenhaare stellten sich auf, weil ich mir gerade die ärmlichen Verhältnisse vorstellte und wenn dann auch noch Geld fehlte wegen dieses unbeabsichtigten Fehltrittes? Nicht auszudenken.
Idun las ein paar Zeilen vor und es war die Rede von einem kunstvollen Rasiermesser mit Elfenbeingriff, welcher großzügig verziert war. Mein Mann hatte als erster die Eingebung, dass wir davon auf unserer Liste gelesen hatten.
„Madame Jomphe…“
„Nennt mich Laurette, bitte!“ kam es mit hochgezogener Augenbraue.
Nun gut… „Laurette, wir haben ein Rasiermesser, auf welches diese Beschreibung passen würde, auf unserer Liste der zu suchenden Artefakte und Relikte. Haytham holt sie gerade.“
Bragi und Idun warfen sich einen erstaunten Blick zu und dann kam es wie aus einem Mund der beiden.
„Wie? Es ist auf eurer Liste? Das ist aber unmöglich, weil es nicht zu der Art Artefakt gehört, die …“ sie unterbrach sich selber, als sie ihren Fehler bemerkte. „Es ist keines, wo wir Einfluss darauf haben!“
Aber mir lief ein Schauer über den Rücken, also gab es tatsächlich unterschiedliche Gegenstände und beide Seiten wussten nicht immer darüber Bescheid!
„Wie können wir das ganze aber voneinander trennen, oder ist das gar nicht wichtig?“ fragte ich nun nach.
„Du, Haytham und sogar Edward würden es spüren können. Unser Einfluss geht immer mit einem leichten Leuchten einher. Wohingegen der Einfluss dieser Vorläufer eher eines elektrischen Impuls gleichkommt.“ Den letzten Satz sprach Bragi mit einer gewissen Abscheu. Also waren sich die Götter und die Isu gar nicht immer einig? Das würde auch Odins Verhalten gegenüber Faith oder Lucius erklären!
Der Impuls, das Kribbeln an den Fingern, als ich das „Herz des Ozeans“ berührte! Zu weiteren Überlegungen kam ich nicht, weil mein Mann hier wieder erschien und auf den entsprechenden Teil der Liste zeigte.
„Ich verstehe…“ kam es lang gezogen von Laurette und sie griff sich grübelnd ans Kinn, als sie ihren Blick über die Papiere gleiten ließ. „Das erklärt einiges!“ kam es dann resolut von ihr und sie sah uns durchdringend an.
„Es gibt Sachen, bei der Suche können wir euch gar nicht helfen, weil es schlichtweg nicht in unserer Macht liegt. Es übersteigt sogar unseren Horizont, wie ihr Menschen so gerne sagt. Aber wir werden unser Bestes tun, um euch Hilfestellung zu geben. Bis dahin wisst ihr ja jetzt, wo ihr dieses Barbier-Werkzeug finden könnt.“ und ihre Stimme war wieder um einiges friedlicher.
Unnötigerweise fragte ich nach, ob sie wirklich Paris meinte, dort wo Karl damals einmarschiert war. Die Antwort war klar, doch wo genau, dass konnte man jetzt nicht deuten. Also las sie noch einmal die Briefe und die Notizen durch, kam aber zu keinem schlüssigen Punkt. Das hieß, wir müssten in Paris auf die Suche gehen und die Nadel im Heuhaufen ausfindig machen. Was ein ironischer Vermerk… Heuhaufen… Assassinen… ich weiche vom Thema ab.
Ansonsten gaben die anderen Gegenstände keinerlei wichtige Aufschlüsse preis, nicht für mich oder Haytham. Aber auch Bragi besah sich weiter kopfschüttelnd den Inhalt, griff dann zu der am Grund liegenden Krone und hob sie ins Licht eines Kerzenleuchters. Unbemerkt war es schon ziemlich dunkel geworden, stellte ich jetzt erschrocken fest und orderte noch eine Karaffe Wein.
„Diese Krone gehörte Guthfrith von Ivar, das geht aus den anderen Schriften in der Truhe hervor.“ ( Guthfrith - nicht ganz offiziell!) In seinen Händen begannen die vereinzelten Edelsteine in den Spitzen zu leuchten, aber nur sehr schwach, so als seien die Batterien alle.
Vorsichtig streckte ich die Hand danach aus und die Steine strahlten heller, je näher ich mit den Händen kam.
Ich stand in einer Art Scheune und sah mich von Menschen umgeben, welche einfachste Kleidung trugen. Sachen, welche man zu Zeiten des frühen Mittelalters am Leib hatte, oder wenn ich mich zurückerinnerte, so um 1000 nach Christi.
Langsam konnte ich meinen Blick klären, hörte Stimmen und nahm einen stechenden Geruch von Schweiß, Dung, Exkrementen und ähnlichem wahr. Eine Hand vor meiner Nase haltend ging ich durch die Menschenmenge und auf eine Tür zu.
„Wo willst du so eilig hin, Thyra? Hast du etwa schon genug von deiner eigenen Siegesfeier!“ hörte ich eine laute grölende Stimme hinter mir.
Langsam drehte ich mich um und sah einen Mann auf einer Art Thron sitzen. Ein reichverzierter breiter Stuhl aus Holz, wo er sich belustigt vorgebeugt hatte und mich musterte.
Graue Augen sahen mich immer noch fragend an, die Haare nach hinten gebunden, welche einen rötlichen Schimmer hatten. Seine Aufmachung war ähnlich die eines Kriegers… eines mir bekannten Mannes aus Aufzeichnungen… ich schüttelte meinen Kopf, weil es einfach nicht sein konnte.
Auf der anderen Seite der Scheune, nein es war ein nordisches Langhaus, so etwas wie die große Halle des Jarls, saß Sigtryggr und grinste mich breit an.
„Was?“ kam es rau aus meiner Kehle und ich sah mich weiterhin nur ungläubig um… wo war ich bitte, wie kam ich hierher und … WER war ich? Thyra? Der Name sagte mir nichts.
„Du hast mich schon verstanden, Mädchen. Zu deinen Ehren haben wir dieses Fest ausgerichtet, weil du heute diesen britannischen Ärschen gehörig in die Eier getreten hast!“ in sein lautes Lachen stiegen alle Anwesenden mit ein.
„Das habe ich dann wohl gut hinbekommen, wie?“ stammelte ich leise vor mich, ehe mich eine Frau am Arm packte und mich ein Stück an den Rand der Menge zog.
„Wach auf! Was hast du schon alles in dich hineingeschüttet, dass du noch nicht einmal mehr weißt, wie du heißt!“ fauchte sie mich an und ich sah ihr in die dunklen braunen Augen, konnte aber nichts sagen. Stattdessen begann ich zu würgen und erbrach mich vor ihren Füßen!
Lauthals brachen die Menschen um mich in Gelächter aus, klopften mir auf den Rücken und meinten, ich solle alles rauslassen. Danach könnten wir ja dann weiterfeiern! Mir war aber überhaupt nicht mehr danach…
Mir dröhnte der Kopf, mir war übel und ich hatte diesen widerlichen Gallengeschmack im Mund. Mein Blick klärte sich, ich nahm Stimmen wahr und fühlte einen kalten Gegenstand auf meiner Stirn.
„Jesus, Alex… du bist wieder da!“ war das nicht dieser schnöselige Brite wieder, welchen ich endlich unter der Erde sehen wollte? Der rannte mir wohl überall hinterher!, dachte ich genervt und richtete mich auf. Zumindest versuchte ich es.
„Bleib wo du bist…“ mehr hörte ich nicht und ich erbrach mich erneut. Was hatte man mir bitte alles zu trinken gegeben?
„Wolltet ihr mich alle vergiften, oder warum ist mir so schlecht? Und jetzt… lasst mich gehen, verdammt!“ hörte ich mich selber, doch es klang irgendwie anders…
„ALEX! Sieh mich an!“ diese harsche Stimme schien direkt in meinem Kopf zu sein, sie war aber harmonisch, fast schon friedlich.
Ich tat, wie man mir sagte und sah in warme dunkelblaue Augen und ein freundliches Gesicht, welches umrahmt von goldschimmernden Haaren war.
„So ist es gut. Du bist in Frankreich, in eurem Chateau und du bist Alexandra Kenway, Ehefrau von Haytham Kenway! Euer Sohn schläft friedlich oben in seinem Zimmer, beschützt von allen Göttern die du kennst!“ ich fühlte ein Tätscheln auf meiner Wange und öffnete vorsichtig erneut meine Augen.
Neben mir hörte ich wieder dieses erleichterte Seufzen.
„Die Rückführung rückt immer näher!“ hörte ich eine männliche Stimme von der anderen Seite und sah mich blinzelnd weiter um.
„Ich will nach Hause…“ nuschelte ich und wollte mich gerade umdrehen, als mir ein bekannter Duft in die Nase stieg. Lavendel und Seife…
„Du bist zuhause, mi sol!“ hörte ich die tiefe vertraute Stimme… dieses dämlichen Großmeisters, welcher mich immer nur ärgerte!
„Verpiss dich einfach und lass mich gehen!“ und ich spürte einen brennenden Schmerz auf meiner Wange. Hatte mich dieser Idiot jetzt wirklich geschlagen? Wütend richtete ich mich auf, griff aber gleichzeitig, nach dem kalten Tuch auf meiner Stirn und… langsam gewann mein Verstand wieder die Überhand.
Um mich herum standen mein Mann, Laurette und Yves, daneben waren noch zwei Mädchen, welche den Fußboden reinigten und ein Diener hielt einen Eimer neben mich. Ich starrte sie alle nur an und ließ dann meine Beine vom Sofa gleiten, sodass ich richtig saß.
Als ich das Malheur auf dem Teppich sah, fragte ich besorgt, ob ich das gewesen sei. „Ja, aber dass ist nicht schlimm. Das kriegen wir schon wieder weg!“ seine Worte beruhigten mich und ich sah diesem Mann entgegen. Es war Haytham, mein Mann, Vater unseres Sohnes und die Liebe meines Lebens.
Aus einer plötzlich aufkommenden Emotion heraus, schmiss ich mich ihm an den Hals. Ich umklammerte ihn mit Armen und Beinen und weinte nur noch! Warum? Das konnte ich nicht sagen.
Es war Erleichterung, weil ich wirklich zuhause war. Es war Scham, weil ich auf den Teppich gekotzt habe. Es waren Selbstzweifel, weil ich nicht wusste, was in meinem früheren Leben passiert war. Oder war es das Leben meiner Vorfahrin, welche ich schon einige Male in einem Spiegelbild gesehen habe? Zum ersten Mal im Fort George!, ging es mir durch den Kopf! Kurz bevor ich Haytham das zweite Mal alleine lassen musste!
„Kind, wir sind alle bei dir. Habe keine Angst, das was du gerade erlebt hast, war nicht real. Es war nur ein kurzer Einblick in ein Leben, welches deine Vorfahrin führte! Es ist aber noch zu verfrüht, dich dorthin gehen zu lassen! Vorher musst du dich wappnen und weitere Fähigkeiten erwerben!“ hörte ich die Stimme von Bragi und als ich in seine Richtung sah, war ein warmer goldener Glanz in seinen Augen, welcher mich umgehend beruhigte und mich in das Hier und Jetzt zog!
„Verzeiht mir, aber… es war unheimlich… Was habe ich denn getan?“ leider bekam ich nur Andeutungen und ausweichende Antworten. Soviel verstand ich, ich hatte mich vor Iduns Füßen übergeben, nachdem ich in Richtung Haytham gesehen hatte. Nicht gerade schmeichelhaft für meinen Mann, wenn man mich fragt. Doch es wurde als Trugbild, was es ja auch war, abgetan.
„Beizeiten werden wir dich dort näher heranführen.“ vorsichtige, sanfte Worte kamen nun von Idun.
„Für heute sollten wir aber einen Schlussstrich ziehen. Ich denke, es war für uns alle ein anstrengender Tag.“ kam es lächelnd von der Göttin und ich nickte zur Bestätigung, weil ich keine Worte aus meinem Mund bekam. Er war wie mit Kleister vollgestopft, genauso wie mein Kopf.
Es wurden noch Gute Nacht Wünsche ausgesprochen, ehe wir vier uns auf unsere Zimmer verteilten. Laurette und Yves hatten das große Gästezimmer uns gegenüber bezogen, wie mir gerade auffiel.
Magda begann mich mit besorgtem Blick aus meinem Kleid zu befreien. „Mistress Kenway, ihr seid so blass. Ist es schon wieder die Zeit?“ und mir fiel siedend heiß ein, dass sie nicht unrecht hatte. Aber bitte nicht heute schon, ich wollte noch diese Nacht schlafen ohne Bauchschmerzen.
Und so war es mir auch vergönnt und ich kuschelte mich kurze Zeit später an meinen Mann. Diesen schnöseligen, nervenden, Ordnung liebenden, aber überaus gutaussehenden Briten, der mich immer wieder zur Weißglut brachte.
„Es tut mir leid.“ nuschelte ich an seiner Brust und seine Finger fuhren unter mein Kinn, sodass ich ihn ansehen musste. Was im Dunkeln eher schemenhaft war!
„Auch ich hatte vorhin die Gelegenheit, in die Vergangenheit meiner Vorfahren einzutauchen. Wie es aussieht aber nicht so intensiv wie bei dir.“ hörte ich ihn vorsichtig sagen.
Jetzt wurde ich aber hellhörig und wollte es näher wissen. „Mi sol, ich bin erschlagen von diesen ganzen Emotionen, Erinnerungen und Bildern. Lass uns bitte morgen darüber reden, ja?“ kam etwas gequält von Haytham.
Ich spürte, dass mich ebenfalls diese Müdigkeit vereinnahmte und gemeinsam entschleunigte sich unser Atem, der Herzschlag und wir waren wieder eins.
Ich wurde von warmen Lippen auf meinem Mund geweckt und einem lustvoll geraunten „Guten morgen, mi sol.“ während sich geschmeidige Finger ihren Weg in meine Körpermitte bahnten. Ich lag wohlig seufzend da und genoss diese Zuwendung.
Meine Hand hingegen suchte ebenfalls Halt, fand ihn und massierte diese pulsierende Lust.
Ehe ich mich versah, waren meine Arme über meinem Kopf mit seinen Händen fixiert und mich erfüllte seine ganze Leidenschaft, welche ich ebenso wiedergab und Haytham mein Becken entgegen bog. Es fühlte sich einfach wunderschön an, keine Hektik, keine lauten Worte… einfach nur Berührungen und Körpersprache waren von Nöten!
Doch dann war etwas anders zwischen uns, wir beide nahmen es gleichzeitig wahr. Es war eine alte Leidenschaft, welche uns plötzlich übermannte! Etwas das wie aus einem alten Traum nach oben an die Oberfläche driftet und dort verharrt.
„Nimm mich! Jetzt!“ hörte ich mich plötzlich sagen und nahm umgekehrt ein stockendes „Wie du willst!“ wahr und es war schon beinahe animalisch, wie er sein Recht einforderte! Das Recht auf SEINE Frau!
Du gehörst ihm, du trägst seinen Namen, das ist sein gutes Recht!, waren Worte, welche ich hörte und es war mir nicht einmal unangenehm, oder machten mich wütend. Nein, im Gegenteil. Genauso war es, wir standen füreinander ein und waren im Kampf auf Augenhöhe. Hier passierte gerade etwas ganz anderes und ich genoss es, ließ es zu und ich wollte mehr, viel mehr davon haben. Dieser Gedanke durchströmte meinen Körper und pulsierte in meinen Adern wie eine Erinnerung, welche immer wieder unterschwellig auftaucht!
Mein Höhepunkt kam völlig unerwartet und kurz darauf spürte ich eine weitere Welle auf mich zukommen. Mein Mann umschloss mich mit seinen Armen und wir durchlebten beide Zeitgleich diese, im wahrsten Sinne des Wortes, Erschütterung unserer Körper. In kurzer Zeit diese Höhepunkte, das war einfach unglaublich, aber auch wahnsinnig entspannend und ich strich Haytham langsam über den Rücken.
„Verzeih mir, ich habe gar nicht an dich gedacht. Aber…“ druckste er herum und ich lächelte ihn selig an.
„Es war einfach unglaublich und glaub mir, ich bin definitiv auf meine Kosten gekommen. Ich würde gerne mehr davon haben, das war einfach fantastisch.“ hauchte ich und zog seinen Mund zu mir herunter.
„Mehr als unglaublich! Es fühlte sich erst schmerzhaft an, dann aber auch wiederum nicht und dann war es, als würde ich von etwas befreit werden und … auch ich will mehr davon, Alex!“ sein Lächeln war so voller Liebe und Zuversicht, dass ich schon wieder fast anfing zu heulen.
„Ich dachte immer, dass man… du weißt schon… so schnell…“ natürlich war mir klar, worauf Haytham anspielte, es gab halt eine gewisse „Regenerationsphase“ für Männer, aber in diesem speziellen Moment war diese anscheinend außer Kraft gesetzt gewesen.
„Nimm es einfach hin, mi amor und genieße diese Entspannung.“ dabei ließ ich meine Finger weiter über seinen Rücken gleiten, spürte die Gänsehaut welche ich hinterließ und griff dann unangekündigt einfach seinen Po.
„Und DAS fühlt sich auch wahnsinnig gut an!“ meinte ich leise und drängte mich schon wieder an ihn.
Ein leises, quengeliges „Papaaaaaaaaaa“ kam aus Richtung Edwards Zimmer und wir wurden voneinander getrennt. Mein Mann zog sich schnell eine Hose über und einen Morgenrock, während ich mein Nachthemd richtete und ebenfalls aufstand.
Edward saß auf seinem Bett inmitten seiner Spielzeugpferde und plapperte vor sich hin. Als er uns aber sah, krabbelte er flink herunter und watschelte dann auf Haytham zu.
„Papaaaa…aaaaaaaam“ und seine Arme hoben sich. „Guten morgen, mein Sohn! Wie ich sehe, hast du dir deine Pferde selber ins Bett geholt.“ und er lächelte unseren verwuschelten Nachwuchs an.
Sybill erschien ebenfalls und machte sich daran, unseren Schatz fertig zu machen. Auch mein Mann und ich ließen uns einkleiden und machten uns im Anschluss auf zum Frühstück.
Laurette und Yves waren bereits im Esszimmer als wir unten erschienen. Während wir alle genüsslich unserem Essen nachgingen und ich mein göttliches Heißgetränk endlich bekam, erzählten unsere Gäste von ihrem Leben hier in Frankreich.
„Es ist nicht immer leicht für uns, weil wir lange auf diesen Moment, euch zu treffen, warten mussten. Unsere Kinder sind jetzt auch schon erwachsen, haben eigenen Nachwuchs und bereiten sich ihrerseits auf ihre Bestimmungen vor. Wenn wir es genauer betrachten, dann ist es ein immer wiederkehrender Zyklus…“ kam es etwas nachdenklich von Idun.
„Wie eine unendliche Geschichte könnte man auch meinen. Ich hoffe aber, dass es vielleicht doch irgendwann ein friedliches Ende geben wird.“ mir ging nämlich auch noch die Vereinigung der Bruderschaft und dem Orden im Kopf herum. Noch waren wir nicht am Ziel, bei weitem nicht!
„Wenn ihr in Paris seid, werdet ihr auf einen Herren des dortigen Templerordens treffen und auch von den Assassinen wird ein Vertreter vor Ort sein. Wir konnten in den einzelnen kleinen Regionen um Paris und im weiteren Umland schon Zuspruch bekommen und Waffenstillstände herbeiführen. Und es ist erstaunlich, aber eure Taten haben sich herumgesprochen, Alex. Vor allem auch, weil ihr bisher niemanden hintergangen habt und keine Intrigen geschmiedet habt. Das wird euch beiden immer wieder hoch angerechnet. Leider gibt es aber diese Widersacher und spöttelnden Menschen, von denen wir einfach Abstand halten sollten! Überzeugungsarbeit leisten wir ja mittlerweile alle, die diese Vereinigung wünschen. Es wird ein langer und schwieriger Weg werden, aber wem sage ich das.“ Bragi war aber zuversichtlich, als er sprach.
Als der Tisch abgeräumt wurde, gingen wir ins Arbeitszimmer und begannen die Waren, welche wir liefern sollten oder entsprechend laden sollten, zu besprechen. Außerdem bekamen wir noch zwei Kriegsschiffe und eine Fregatte an die Hand, welche uns in Zukunft bei dem Transport von Runentruhen oder Artefakten allgemein begleiten sollten. Diese Geste war ein großer Vertrauensbeweis der Assassinen und in mir breitete sich weiterer Frieden aus.
Ich fragte nach, ob man uns schon Namen nennen könne, von den entsprechenden Personen in Paris und Laurette grinste mich entschuldigend an.
„Verzeiht mir, ich habe nicht daran gedacht. Ihr könnt es vielleicht nicht wissen. Ihr werdet den Großmeister, Maître Francois de la Sèrre antreffen. Er arbeitet zwar hin und wieder schon mit der Bruderschaft zusammen, doch eine wirkliche Verbrüderung hat noch nicht stattgefunden. Von den Assassinen gibt es den Großmeister, Maître Charles Dorian, welcher derzeit ganz und gar nicht vom Orden überzeugt ist. Im Gegenteil muss ich leider sagen und ich hoffe, ihr könnt ihn umstimmen.“ ich sah die beiden mit großen Augen an und brachte kein Wort heraus.
Diese beiden Vertreter der zwei Bünde würden später noch in Erscheinung treten und ich würde ihnen jetzt schon begegnen müssen? Besonders graute mir eigentlich vor dem im Moment noch recht jungen Charles Dorian! Shays Opfer in ungefähr 12 Jahren! Ich musste mich wieder setzen…
Drei Augenpaare sahen mich besorgt an, doch es war Bragi, welchem als erster ein Licht aufging.
„Es ist wegen Dorian, nicht wahr? Wir wissen um sein Schicksal. Ihr beide werdet es aber nicht verhindern können. Sein Tod wird eintreten, selbst wenn euer Freund Shay nicht Hand anlegt.“ seine Worte waren sanft, so als wolle er versuchen uns zu beruhigen.
„Master Cormac hat den Auftrag nach der Schatulle und einigen anderen Artefakten zu suchen, nicht jemanden zu beseitigen.“ hörte ich meinen Mann zweifelnd, fragend und gleichzeitig entrüstet sagen.
„Haytham, ich glaube… also ich sollte da etwas erklären…“ im Grunde wusste ich gar nicht, WIE ich das jetzt anfange. Weil ich damit verrate, WO sich die Schatulle, zumindest in 12 Jahren, befinden wird. „Nun gut… Shay wird weiter nach ihr suchen und wird sie dann in einigen Jahren bei eben diesem Dorian finden. Wie genau und auf welchen Umwegen sie zu ihm gelangt, kann ich nicht sagen, weswegen wir weiter recherchieren müssen.“ ich holte tief Luft und sah zu meinem Mann auf, welcher eine sehr rote Gesichtsfarbe angenommen hatte.
„Sag mir nicht, du weißt das schon die ganze Zeit? Wir müssten eigentlich nur noch diese Zeit absitzen?“ seine Stimme wurde lauter und ungehaltener.
„Im Grunde… ja, so könnte man es auch sehen. Aber sieh es bitte anders herum! Durch die Suche finden Shay und Faith noch weitere Artefakte, welche wichtig sind und erlangen weitere Fähigkeiten. Genau wie wir auch! Und… versprich mir, dass du es den beiden noch nicht sagen wirst! Sie sind sich im Klaren, dass ich über ihre Zukunft Bescheid weiß, aber eben nicht alles preisgeben kann!“ meine Worte kamen leicht flehend über meine Lippen.
„Das ist viel verlangt, Alex. Das ist dir hoffentlich bewusst, oder? Was ist, wenn ich in einem unbedachten Moment doch diesen Namen fallen lassen oder wir hier in Frankreich diesem Dorian einen Wink geben. Selbst wenn es nur aus Versehen ist, das könnte wieder einmal ungeahnte Kreise ziehen.“ sein Seufzen war entnervt und frustriert zugleich.
„Dass diese Reise kein leichtes Unterfangen werden würde, war uns allen, denke ich, bewusst, oder?“ fragte Laurette jetzt leise und sah uns auffordernd an.
„Natürlich hatte ich diese Gedanken, was passiert wenn und so weiter. Es hieß immer, ich darf nicht in die Geschichte eingreifen. Also werde ich auch jetzt nicht damit beginnen.“ sollte ich meinem Mann aber von Shays Tat genauer berichten und ihn wieder an den Tod seines eigenen Vaters erinnern?
Mit einem Male starrte Haytham vor sich hin und ich sah, wie er blass wurde. Yves eilte zu ihm, genau wie die Wache, welche hier mit anwesend war. Gemeinsam hievten sie ihn auf das Sofa und dann konnten wir nur abwarten. Seine Hände fühlten sich eiskalt an… War das auch bei mir immer so, wenn ich diese Art Visionen hatten? Was zeigte man ihm aber gerade?
„Alex, wir müssen Haytham ebenfalls an seine Vorfahren heranführen und dazu gehört, dass er diesen Mord an Dorian jetzt sieht und was danach passiert. Sobald Schatulle und Manuskript wieder vereint sind, wird es für euch auch noch einmal einen neuen Schritt und Fähigkeiten geben.“ diese Worte waren mehr als unbefriedigend, weil ich nicht verstand, warum man die Zukunft zeigt, wenn es doch um Ahnen meines Mannes ginge!
„Das hängt alles zusammen, wie ein großes Spinnennetz. Alles ist miteinander verwoben! So wie wir die Zeitreise für dich schon von langer Hand planen!“ Iduns Stimme drang nur gedämpft zu mir durch, weil mein Verstand gerade nicht ganz folgen konnte. „Du wirst es sehr bald verstehen, ich verspreche es dir. Einiges musst du, oder besser müsst IHR, selber erfahren und begreifen! Wir können nicht immer Hilfestellung geben!“
Plötzlich schüttelte sich Haytham wie ein nasser Hund und das grau seiner Augen klärte sich wieder.
„Ich kann es nicht fassen!“ ungläubig sah er von den Eheleuten Jomphe zu mir und dann auf seine Hände, welche er in seinem Schoß gefaltet hielt. „Der Junge wird nicht nach Shay suchen? Aber warum? Ich verstehe das nicht…“ diese Frage habe ich mir auch schon öfter gestellt, bin aber auch nie zu einem Ergebnis gekommen.
„Arno wird andere Sorgen im Kopf haben und sich damit beschäftigen. Außerdem hat er kaum Zeit darüber nachzudenken. Er verrichtet als Mündel ja auch Arbeiten der einfachen Dienerschaft, was einen Großteil seines Tages einnimmt.“ erklärte Laurette leise.
„Wir könnten ihn aber von einer Vereinigung überzeugen, sehe ich das richtig?“ kam es fragend von meinem Mann.
„Das werden wir bis dahin nicht mehr müssen, wenn unser Plan dann langsam weitere Kreise zieht oder bereits gezogen hat!“ meinte ich zuversichtlich und kniete mich vor Haytham. „Es gibt Dinge, die weder ich noch du verhindern können. Auch ich musste das erst lernen, was mir bis heute noch sehr schwer fällt, aber das weißt du ja.“ ich legte eine Hand auf seine Wange und sah ihn bittend an.
„Du hast Recht, man sollte vielleicht auch den Dingen einfach ihren Lauf lassen. Ich hoffe aber, es kommt nicht zu irgendwelchen Katastrophen, wenn wir erst mal in Paris sind!“ jetzt hörte er sich schon wieder ganz wie mein Templer an und ich atmete erleichtert aus.
„Nein, ich verspreche dir, ich fasse nichts an und verhalte mich ganz still.“ mit einem Kuss besiegelte ich meine Worte und erntete ein hochgezogene Augenbraue.
„Wer es glaubt, mi sol!“
Hinter uns vernahm ich leises Gelächter und ich erhob mich langsam wieder.
„Auf diesen Schrecken brauche ich jetzt etwas zu trinken!“ damit ging Haytham zu dem kleinen Tischchen auf welchem Gläser und eine Karaffe mit Brandy standen. Er goss einfach für jeden eines ein und reichte sie uns. So früh am Tage schon trinken?, ging mir sein Satz von damals im Kopf herum und ließ mich lächeln.
„Ich weiß, dass ist nicht unbedingt meine Art, aber ab und an muss man auch eine Ausnahme machen! Auf gutes Gelingen unserer Missionen und Aufträge!“ wir stimmten mit ein und die goldene Flüssigkeit lief warm in meinem Hals hinunter und wärmte auch noch meinen Magen.
„Wann werdet ihr aufbrechen nach Paris?“ fragte Bragi und wieder einmal fiel mir ein, dass ich die Truhen gar nicht hätte auspacken lassen sollen. Wobei noch nicht alle leer waren und das würde ich gleich den Mädchen noch mitteilen. Sie sollten beginnen zu packen, weil wir spätestens übermorgen, am 3. August, aufbrechen sollten, um pünktlich zum Ball dort sein zu können.
Gemeinsam aßen wir noch zu Mittag und dann verabschiedeten sich Bragi und Idun um wieder nach Hause zu fahren. Sie würden nicht am Ball teilnehmen, was ich sehr schade fand.
„Wir werden uns sicherlich noch wiedersehen, davon bin ich überzeugt.“ lächelte mich Idun an und schloss mich in ihre Arme. „Und vergiss nicht, wenn es an der Zeit für eure Tochter ist, dann lasse ich es dich wissen!“ flüsterte sie mir verschwörerisch ins Ohr und kicherte wie ein kleines Mädchen, aber es stand ihr und war ansteckend.
„Ich danke dir!“ mehr konnte ich nicht sagen, weil ich noch nicht realisiert hatte, dass wir wirklich noch einmal Eltern werden sollten.
Mit Edward auf dem Arm, winkten wir ihnen hinterher, wie sie aus dem Tor des Schlossgartens fuhren und dann waren sie im Wald verschwunden.
„Iduuu…“ flüsterte unser Sohn und sah mit zitternden Lippen hinter ihnen her.
„Wir sehen sie bestimmt bald wieder, min lille skat!“ langsam strich ich über seine dunklen Haare und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
Den restlichen Nachtmittag verbrachten wir mit Edward und Sybill. Haytham begann langsam ihm Englisch beizubringen, was nicht so einfach war, weil die Schneidezähne noch nicht da waren. Aber unser Sohn hörte aufmerksam zu, versuchte die Mundbewegungen seines Vaters nachzuahmen und lachte, wenn er die Grimassen von ihm sah.
„Master Edward ist ein richtiger Sonnenschein, Mistress Kenway.“ ich sah etwas erstaunt zu Sybill und dann fiel mir wieder ein, dass gerade die anderen Bediensteten mit anwesend waren, weswegen sie mich entsprechend betitelte.
„Aber ihr wisst genauso gut wie ich, dass er auch ganz anders kann. Erst gestern haben wir es wieder erlebt.“ ich schüttelte dabei meinen Kopf. Wie würde sich dieser kleine süße Mensch eigentlich noch entwickeln? Edward Senior hatte es ja auch schon angedeutet und wir alle wussten es eigentlich. Er schlug sehr stark nach seinem Großvater, hatte aber das Aussehen seines Vaters geerbt. Wir konnten nur abwarten.
An diesem Abend bat Haytham seinen Kammerdiener und Magda in den Salon, wo er schon den Ring parat hielt und die Dienerschaft ebenso anwesend war.
Die beiden betraten etwas zögerlich den Raum, sahen sich fragend um und standen dann erwartungsvoll vor Haytham.
„Michael, ich glaube, ihr wolltet Magda etwas fragen, oder nicht?“ lächelnd reichte er ihm den kleinen Behälter, welcher den Verlobungsring für meine Kammerzofe enthielt.
Zitternd nahm der junge Mann das Kästchen in die Hände und sein Gesicht war kreidebleich geworden.
Ich stand neben Haytham und drückte seine Hand, gleichzeitig versuchte ich aus Magdas Gesicht schlau zu werden. Sie starrte auf die Bewegungen ihres Angebeteten und zitterte ebenfalls. Für einen kurzen Augenblick sah sie zu mir und ich nickte leicht mit einem zustimmenden Lächeln.
Michael kniete sich vor sie, nahm ihre Hand in seine und sah zu ihr auf. Seine Stimme klang kratzig bei den nächsten Worten.
„Magda Lindstad, du bist… also wir sind… ich habe bei dir meine Liebe gefunden. Ich möchte dich nie wieder verlieren! Willst du meine Frau werden?“ die letzten Worte preschten aus ihm heraus, als hinge sein Leben davon ab. Nun ja, im weitesten Sinne konnte man es auch so deuten.
Meine Kammerzofe sah mit Tränen auf den Wangen, auf Michael herunter und öffnete den Mund, musste sich dann aber doch räuspern, weil kein Ton über ihre Lippen kam. Dann sah sie sich aber noch einmal um, so als suche sie die Erlaubnis eine Antwort geben zu dürfen. Haytham, ganz der Templer wie er so oft auftritt, nickte ihr zu und deutete mit seiner Hand, sie solle antworten!
„Ja… ja, ich will deine Frau werden, Michael Turner!“ und ein erleichtertes Schluchzen war zu vernehmen. Ihr jetzt Verlobter steckte ihr den wirklich wunderschönen goldenen Ring an und erhob sich dann langsam, nur um sich bei meinem Mann zu vergewissern mit einem Blick, ob er sie in unserer Gegenwart küssen durfte.
Und jetzt erstaunte mich mein Templer doch! Er klopfte dem jungen Briten einfach auf die Schulter, nickte und lächelte ihm aufmunternd zu. Das ließ sich der Diener nicht zweimal sagen, schlang seine Arme um seine zukünftige Frau und hob sie hoch.
„Ich liebe dich, Magda! Vom ersten Tag an!“ und dann folgte ein langer Kuss.
Ich stand daneben und mir schossen die Tränen in die Augen, oder vielleicht lag es an einem Windzug oder jemand hatte hier Zwiebeln geschnitten. Schniefend sah ich die frisch Verlobten dort stehen und freute mich einfach für sie. Dann spürte ich Arme um mich herum, welche mich an einen warmen Körper drückten.
Freue dich für die beiden. Auch sie haben dieses Glück verdient, genau wie ich es auch mit dir erleben darf! Und ein Kuss als Bestätigung und Liebesbekundung folgte.
Es wurde noch ein recht feuchtfröhlicher Abend, welchen wir tatsächlich mit den Angestellten hier verbrachten und ich genoss dieses Ungezwungene, diese, ja ich muss es einfach so nennen, Leichtigkeit in allem.
In mir aber wuchs die Angst, dass ich mich bald nach einer anderen Kammerzofe umsehen musste, sollte Magda schwanger werden. Natürlich würde ich mich für die beiden freuen, aber umgekehrt würde ich nur ungerne auf Magda verzichten müssen. Ich seufzte und mein Gatte fragte, was los sei. Meine Sorge teilte er nur bedingt, weil es nur mich beträfe, doch wir würden sicherlich einen Ersatz als Übergang finden, hörte ich ihn zuversichtlich sagen.
Als wir dann gegen Mitternacht im Bett waren, dachte ich an unsere „Verlobung“ und eine leichte Enttäuschung machte sich in mir breit.
Bei Marius und mir war es auch eher ein „Hey, wollen wir zusammenbleiben?“ und das wars damals. Kein Ring, nichts… gar nichts.
Um nicht wieder das Grübeln anzufangen schlang ich mich um Haytham und drückte mich an ihn.
Als hätte er meine… die Gedanken waren frei, oder wie heißt es so schön?
„Ich weiß, du hast eigentlich einen besonderen Antrag verdient. Wie wäre es, wenn wir in Virginia noch einmal eine kleine Verlobungsfeier nachholen? Zu Silvester wäre ideal, weil dann auch der Tag der inoffiziellen Hochzeit ist. Was meinst du?“ sprach er leise an meinen Kopf gelehnt und strich mir immer wieder über den Rücken.
„Das hört sich fantastisch an, Haytham!“ in diesem Moment brach meine Stimme, weil mir bewusst wurde, dass ich den Mann geheiratet hatte, bei dem ich nicht immer alles erklären musste. Mit seinem Versprechen im Kopf und der Szenerie bei Lady Melanie damals schlief ich langsam ein.
„Ich liebe dich über alles, mi sol.“ auch seine Stimme versagte und er klammerte sich an mich.
Am 3. August, machten wir uns auf den Weg gen Paris, naja, ein Stück weiter außerhalb, muss ich korrekterweise schreiben! Ich war schon ganz gespannt, wie das Schloss Versailles heute aussah, weil ich es nur von späteren Bildern kannte.
Die Fahrt war die reinste Hölle für mich, wie befürchtet hatte ich meine Blutung und fühlte mich einfach elend. Leider hatte ich die Kräuter für Faiths Tee nicht mitgenommen und fluchte tagtäglich über meine Schusseligkeit!
„Alex, bitte. Edward übernimmt deine Flüche sonst noch!“ mahnte mich mein Gatte immer wieder, doch das war mir egal.
„Soll er doch, fluchende Menschen sind sehr intelligent!“ dabei streckte ihm in meiner auf Krawall gebürsteten Laune die Zunge heraus.
„Deine Intelligenz werde ich dich bald spüren lassen, verlass dich darauf. Dein Pensum an Lektionen steigt mal wieder ins Unermessliche, mi sol.“ seine Stimme war so dunkel und rau, dass ich für einen kurzen Moment meine Krämpfe vergaß und stattdessen ein wohliges Kribbeln in meinem Unterleib verspürte.
„Werden wir vielleicht in Versailles Zeit für einander haben, mi amor?“ hauchte ich ihm ans Ohr und strich über seine Halsbeuge.
„Das will ich hoffen, ansonsten weißt du ja... du bist so klein, dich verschleppe ich einfach ungesehen!“ seine Lippen waren die reinste Wohltat, doch schon hatten wir die angesabberte Hand unseres Sohnes zwischen uns.
Heute am späten Vormittag fuhren wir auf das Schloss zu und über Versailles hingen Wolken, die schon fast die hohen Tannenspitzen rundherum zu berühren schienen. Ein kalter Wind fegte uns beim Aussteigen entgegen und ich erschauerte leicht. Meinen Umhang schlang ich auch gleich um Edward, weil auch er zitterte, was aber auch daran lag, dass er gerade erst wieder wach geworden war.
Unser Tross wurde nun aufgeteilt, die Diener bekamen ihre Quartiere zugewiesen und als man Sybill auch in einem anderen Teil des Schlosses unterbringen wollte, bat ich einfach darum, sie neben unseren Gemächern wohnen zu lassen. Das brachte mir rollende Augen des hiesigen Hausdieners ein und ein entnervtes Schnalzen mit der Zunge. Die Arroganz in Person, sag ich nur.
Unser Schlafzimmer, oder sollte ich eher sagen Schlafsaal, war… ja riesig. Hier könnte man den Salon aus Virginia zum Vergleich ziehen! Edward bekam ein Zimmer, welches auf dem Korridor zwei Zimmer von uns entfernt war. Das sogenannte Kinderzimmer, weil noch weitere Kleinkinder erwartet wurden. Entsetzt sah ich meinen Mann an, doch konnte da nicht auf sein Verständnis hoffen, wie ich an seinem Gesichtsausdruck bemerkte.
„Sybill, tut mir einen Gefallen. Bleibt bei meinem Sohn, lasst ihn nicht mit den anderen alleine und wenn ihr vor seinem Bett schlafen müsst. Aber ich will nicht, dass er in einer ungewohnten Umgebung ohne ein bekanntes Gesicht schläft!“ flüsterte ich ihr zu.
„Mistress Kenway, meine Kammer ist direkt daneben. Als Kindermädchen bin ich dort mit den anderen Frauen untergebracht. Keine Mutter, oder vielleicht auch nur sehr wenige, würden ihre Söhne oder Töchter sich selbst überlassen! Seid unbesorgt!“ ihre Hand auf meinem Arm beruhigte mich ein wenig.
Edward wurde nun zu den anderen Kindern gebracht und ich wurde für das Mittagessen eingekleidet. Laurette hatte uns noch entsprechend eingewiesen, wann was zu tragen war, wie oft man überhaupt umgezogen wurde, wann welche Aktivitäten anstanden und so weiter. Hier herrschte ein wohldurchdachter Tagesablauf, auch wenn er für mich völlig absurd klang. Gefühlt alle Stunde musste ich neue Kleider anziehen und war jetzt dankbar, dass ich so viele zur Auswahl hatte!
Fertig ausstaffiert wurden wir zum Essen in den großen Speisesaal geleitet. Der Ball stand erst in ein paar Tagen an, doch man könnte meinen, ALLE Gäste seien schon da.
„Maîtresse Kenway, es sind nicht mal annähernd alle geladenen Damen und Herren angereist. In den nächsten zwei Tagen werden es noch mehr werden.“ meinte eine junge Frau neben mir und stellte sich als Comtesse Sophie de Montpellier vor. Und mein erster Gedanke war, dass ich schon wieder zig neue Menschen traf, von denen ich nie wieder etwas hören würde.
Die Speisen waren unsagbar lecker und ich hätte gerne alles gekostet, es war aber einfach zu viel Auswahl. Mit Schrecken stellte ich dann auch fest, dass die Reste so üppig waren, aber einfach abgeräumt wurden. Aus den Aufzeichnungen wusste ich, dass sie einfach entsorgt wurden oder den Tieren gegeben wurden. Was für eine riesige Verschwendung.
Der Nachmittag bestand aus Gesprächen und dem ersten Kennenlernen der hier Anwesenden Damen und Herren. Durch die Bank weg waren es alles Hochwohlgeborene, reiche Händler oder aber Generäle der Armee. Die Herren zogen sich wie gewohnt zurück und überließen uns Damen sich selbst.
Ich begann ein Gespräch mit einer Dame, welche in meinem Alter war, also meinem eigentlich richtigen meine ich. Sie hatte 4 Kinder, davon waren die beiden kleinsten 1 Jahr und 2 einhalb Jahre mit angereist. „Ich werde gleich mal nach ihnen sehen, wer weiß was unser Kindermädchen wieder treibt. Sie ist die Unzuverlässigkeit in Person, mein Liebe. Sie schäkert mit allem was nur Ansatzweise männlich aussieht herum und vernachlässigt ständig ihre Pflicht!“ flüsterte sie mir verschwörerisch zu. „Dieses Weib steigt sogar mit meinem Gatten ins Bett, aber was soll ich machen.“ in ihrer Stimme schwang eine große Traurigkeit plötzlich mit und ich verspürte ein tiefes Mitleid für sie.
„Habt ihr schon einmal daran gedacht, euren Mann darauf anzusprechen? Oder dieses Frauenzimmer zu entlassen?“ für mich war das die einfachste Lösung und auch die logischste.
Entsetzt sah sie mich an. „Und dann? Muss ich mich nach einem neuen Kindermädchen umsehen, welches nicht einfach nur hinter unserem Geld her ist. Es ist nicht so einfach, Maîtresse Kenway, eine zuverlässige Angestellte zu finden! Und mein Gatte, nun ja, er hat da auch seine Vorlieben was das Aussehen angeht, also käme für ihn auch nicht jede in Frage, wenn ihr versteht was ich meine!“ die Regeln des 18. Jahrhundert, da waren sie wieder und dieses mal so deutlich, dass ich hätte kotzen mögen.
„Also müsst ihr sprichwörtlich das hinnehmen, was euch euer Mann vorsetzt? Ohne Murren müsst ihr alles geschehen lassen?“ meine Stimme war zickig geworden und ich wäre dem besagten Mann gerne an den Hals gegangen.
„Mein Gatte mag es halt etwas … ausgefallener… ihr wisst schon… ich habe oft wachgelegen und auf ihn gewartet, weil er im Nebenzimmer noch nicht mit ihr fertig war.“ diese Worte kamen schon fast wie eine Belehrung rüber!
Zum Einen hatte ich verstörende Bilder von wilden Orgien im Kopf und auf der anderen Seite war ich wütend, dass eine Ehefrau das einfach so hinnehmen musste. Doch es dauerte nicht lange, da brachten mich zwei andere Damen auf andere Gedanken. Sie waren nämlich das genaue Gegenteil, sie hatten sich reiche ältere Adelsmänner gesucht und sich nebenbei einen jungen Geliebten zugelegt.
Diese Freizügigkeit in diesen Kreisen war erschreckend und ich war drauf und dran mit Haytham hier wieder zu verschwinden. Wer weiß, welches Weib sich ihm an den Hals werfen würde, weil ihr Gatte eine Niete im Bett war oder mich umgekehrt ein alter knittriger Herr mit sich zerrte.
Vor dem Abendessen hatte ich einen Moment für meinen Sohn, welcher im Kinderzimmer mit den anderen 6 Jungen und Mädchen mit Spielen beschäftigt war. Das besagte unzüchtige Kindermädchen saß gelangweilt auf einem Stuhl und hatte ein Glas in der Hand in welches sie mit glasigen Augen starrte. Sybill sah mich nur kopfschüttelnd an, nahm ein kleines Mädchen hoch und begann sie zu wickeln. In diesem Moment war ich für Mrs. Wallace, oder auch Snotra, unendlich dankbar und konnte mit einem ruhigen Gewissen, nachdem ich ausgiebig meinen Sohn geknuddelt hatte, zum Essen gehen.
Vorher natürlich der obligatorische Kleiderwechsel und sogar Magda meinte, es sei total überflüssig, tat aber ihre Arbeit. Weil es auch noch bei den Haaren besondere Vorschriften gab. Im Grunde graute mir sogar schon vor dem eigentlich Ball oder der Audienz beim König selber!
Nach dem Essen ging man in den Garten und auch die Kinder wurden nun noch eine Weile dazu geholt, was mich unendlich freute und auch Edward war begeistert uns zu sehen.
Gegen neun wurde der gesamte Nachwuchs aber eingesammelt und zu Bett gebracht. Leider hatte ich hier nicht die Möglichkeit, unser Zu Bett bring Ritual mit dem Lied zu machen. „Keine Sorge, ich habe ein passendes Lied für den Kleinen. Und wenn wir wieder daheim sind, dann holt ihr das alles einfach nach!“ Sybills Hand legte sich wieder beruhigend auf meinen Arm und ich gab unserem Nachwuchs noch einen dicken Kuss.
„Mama… nat“ und ich bekam einen Schneckenkuss, ebenso wie Haytham von diesen nassen Zuwendungen seines Sohnes nicht verschont blieb.
Dann waren sie in Richtung Schloss und Kinderzimmer verschwunden. Meine Gefühle konnte ich nicht so richtig verbergen, weil ich es nicht ertragen konnte, dass Edward, na ja, soweit weg war!
„Mi sol, er ist in guten Händen und wenn etwas ist, probiere doch einfach in seinen Geist einzudringen, dann kannst du dich von seinem Wohlergehen auch überzeugen.“ Du meine Güte, was war ich für eine dumme Kuh! Natürlich, mir war noch gar nicht dieser Gedanke gekommen!
Glücklich umschlang ich meinen Mann und drückte ihm einen langen Kuss auf! „Danke, mi amor. Ich hätte selber drauf kommen müssen! Danke!“ und meine Lippen blieben an seinen hängen, weil auch er mit einem Male in etwas anderer Stimmung war. Sein Atem ging schwerer und sein Kuss wurde verlangender, genauso wie seine Finger über meinen Rücken glitten und an meinem Hintern hängen blieben.
„Ähäm… Mistress Kenway? Master Kenway?“ sprach uns ein Herr mit holländischen Akzent an und wie ertappte Teenager ließen wir voneinander ab.
„Ähm… ja? Und mit wem haben wir die Ehre?“ fragte ich höflich und im selben Moment fiel mir dieser Händler wieder ein!
Unnötigerweise stellte er sich nun vor, es war tatsächlich Jon de Gooijer, welchen wir auf dem Empfang bei den Pritchards kennen gelernt hatten. Ich meinerseits entschuldigte mich für mein Unwissen, doch er nahm es mir nicht übel.
Im Gegenteil, er kam auch gleich auf den Punkt, weil er sich mit diesem Amulett anscheinend nicht wohl fühlte.
„Versteht mich nicht falsch, ich bin kein abergläubischer Mann, aber es geht eine Art Schwingung von diesem Schmuckstück aus, welche ich mir nicht erklären kann. Wenn es eure Zeit erlaubt, würde ich gerne morgen alles weitere besprechen. Meine Räumlichkeiten habe ich mit meiner Gattin im Gästeflügel bezogen, unweit eurer Gemächer, wie mir mein Kammerdiener mitteilte. Ach, da muss ich noch gratulieren, dass ihr einen so guten anständigen Mann habt, welcher seiner Angebeteten einen Antrag macht, bevor er sie… ihr wisst schon.“ dieser Holländer war wie das Klischee es immer sagte, offen, redselig und irgendwie immer fröhlich. Er war mir gleich sympathisch und wir verabredeten uns für morgen nach dem Frühstück.
Der Rest des Abends war mit ein bisschen „Smalltalk“ versehen, hin und wieder ein Glas Champagner, welcher wirklich ausgezeichnet schmeckte und diversen Erzählungen und Gerüchten über den König gespickt.
Gegen Mitternacht zerstreuten sich die Gäste und auch wir machten uns auf den Weg zu unserem Schlafzimmer, wo uns Michael und Magda schon erwarteten. Woher wussten sie, wann wir hier erscheinen würden?
„Es gibt einen Diener, welcher uns Bescheid gibt, dass die Herrschaften sich jetzt zu Bett begeben wollen. Somit können wir rechtzeitig anwesend sein.“ kam es erklärend von Michael. Regeln, Ordnung und Struktur. Der Templerorden lässt grüßen und ich schmunzelte in mich hinein.
Den Gedanken hatte ich auch schon, mi sol. Aber ich denke, wir sollten jetzt an deine Regeln und deine Lektionen denken! Hörte ich Haytham in meinem Kopf, als Magda und Michael gegangen waren und er schritt langsam auf mich zu. Seine Augen ruhten dunkel auf mir, aber er sagte kein Wort mehr, sondern schob mich so immer weiter auf das Bett zu.
Was hast du vor? Fragte ich vermutlich unnötig, dennoch war ich verunsichert.
Dreh dich um und beuge dich über das Bett. Wir waren am Fußende angekommen und jetzt wusste ich, was mich erwarten würde. Hier hatten wir Platz, Ruhe und konnten uns ein wenig austoben.
Meine Hände stützte ich auf dem Bett ab und mein Mann stand direkt hinter mir, fuhr mit seinen warmen Fingern über meinen Rücken, hinab zu meinem Hintern und an den Seiten der Oberschenkel entlang. Er bekam den Saum meines Nachthemdes zu packen und hob es Stück für Stück, wie in Zeitlupe hoch, über meinen Po.
Weißt du eigentlich, dass das ein fantastischer Anblick ist, mi sol? Sogar in meinem Kopf klang seine Stimme leicht atemlos und auch ich wurde immer unruhiger. Der einfache Gedanke „Nimm mich endlich“ formte sich unweigerlich.
Nicht so schnell, ich musste wieder einige Zeit auf deinen Körper verzichten, lass es mich einfach genießen. Und seine Finger wanderten über meine Haut und fanden ihren Weg zwischen meine Schenkel, wo sie in mich eintauchten und mir ein leises Stöhnen entlockten. Sagte ich nicht gerade, nicht so schnell? Du bist schon wieder viel weiter!
Ich spürte, wie Haytham sein Hemd auszog und sich hinter mich drängte.
„Du willst, dass ich mir nehme was ich will?“ seine Stimme hallte in diesem großen Raum regelrecht und sein kühler lauernder Ton ließ mich erschauern.
„Ja, das will ich.“ mein gesamter Unterleib zog sich zusammen und pulsierte regelrecht bei dem Gedanken was jetzt kommen würde.
Seine Hand griff in meine Haare, zog mich zu sich heran und seine Lippen waren an meinem Ohr zu spüren.
„Dann werde ich deinem Wunsch nachkommen, aber beschwere dich nachher nicht!“ Haytham klang anders, aber es ließ die Lust in mir weiter wachsen und ich begann nach ihm zu betteln.
Die nächsten Minuten, wie viele genau kann ich nicht mehr sagen, waren wie in einem anderen Körper oder einem anderen Leben. Dieses Gefühl ausgehungert zu sein, breitete sich wieder aus und wir ließen uns ganz darauf ein.
Nicht nur seine Hände hinterließen dieses Mal ihre Spuren auf meiner Haut, sondern auch ein Gürtel zu meinem eigenen Erstaunen. Dieser lag wie aus dem Nichts plötzlich auf dem Bett neben mir!
Es war einfach ein Rausch und ich vergaß alles um mich herum, nahm nur noch die Gegenwart meines Mannes wahr und wollte am liebsten in diesem Taumel bleiben!
Mit einem lauten Aufstöhnen sackte Haytham an meinem Rücken mit einem Male zusammen und krallte sich in meiner Hüfte fest.
Doch er ließ es sich nicht nehmen, mir ebenfalls über die Schwelle zu helfen und ich war über seine geschickten Finger sehr dankbar.
Kurz darauf lag ich neben ihm und strich über seine Brust. „Was ist das plötzlich zwischen uns?“ fragte ich leise. Natürlich waren wir uns über das Machtgefälle im Bett im klaren, doch so intensiv war es völlig neu für mich und auch Haytham schien sich noch ein wenig daran gewöhnen zu müssen.
„Ich bin ehrlich gesagt etwas überfragt. Es fühlt sich wie etwas an, was eigentlich immer da war, aber man es nie wahrgenommen hat. So als hätte ich es seit dieser Vision mit Idun und Bragi ausgegraben und könnte nun erst darauf zurückgreifen. DU fühlst dich an, als hätte ich nie jemand anderes in meinem Bett gehabt… ich kann es nicht erklären.“ ein wenig klang er verzweifelt, was aber verständlich war, weil auch ich es war.
„Wenn ich jetzt sage, dass ich es aber liebe, wie du mich dann nimmst und nicht diese Rücksicht wie sonst an den Tag legst, dass mich das noch mehr erregt, ist das falsch oder bin ich nicht ganz richtig? Weil… eigentlich sollte ich so etwas nicht gut finden, gerade auch wegen… den Katakomben!“ mir lief es bei dem Gedanken eiskalt den Rücken runter.
„Alex, es ist doch eine Sache zwischen dir und mir. Was wir in unserem Bett machen, bleibt bei uns und… ich muss gestehen, dass ich diese neue Hingabe von dir wahnsinnig genieße. Das lässt auch mich darüber nachdenken, ob ich vielleicht in meinem Kopf nicht ganz richtig funktioniere. Es… gehört sich nicht, eine Frau zu schlagen oder ihr wehzutun, aber ich… liebe es bei dir. Ich genieße dein Winden unter mir, wenn du zusammen zuckst.“ seine Stimme war immer ruhiger geworden und ich spürte, dass auch Haytham sich gerade frei geredet hatte und sein Geist zur Ruhe kam.
„Wir wissen, wo wir stehen in unserer Beziehung, das ist das wichtigste! Und ich weiß, dass ich dich unendlich liebe und dir vertraue, egal was wir noch miteinander im Schlafzimmer oder auch woanders, anstellen werden.“ bei diesem Gedanken musste ich kichern, weil es so schmutzige Dinge waren, welche mir wieder durch den Kopf gingen.
„Dachte ichs mir doch, dass wir uns einig sind, mi sol.“ sein Mund fand meinen und wir verloren uns ein weiteres Mal, doch dieses Mal friedlich, liebevoll und einfach nur genießend.
Dieser Mann brauchte nur mit den Fingern schnipsen und ich wäre sein. Doch das ging sonst niemand anderen etwas an.
Ein lautes Klingeln auf dem Korridor kündete von einem Weckdienst. Die gingen nicht ernsthaft mit einer Glocke auf den Gängen entlang um die Gäste zu wecken, oder? Blinzelnd sah ich mich um und sah in ein breit grinsendes Gesicht.
„Guten morgen, mi sol. Ich hoffe, dieser sanfte Klang dieses Weckers ist nach deinem Geschmack?“ lachend zog mich über sich.
„Ist das deren Ernst, ich dachte im ersten Moment, es brennt irgendwo!“ aber auch ich musste lachen, weil es ja schlimmer als beim Militär war.
Haythams Hände glitten Richtung meines Hintern und drückten zu. „AUA!“ kam es nur jaulend aus meinem Mund und ein zufriedener Ausdruck trat auf sein Gesicht.
„Dann habe ich also gestern Nacht ganze Arbeit geleistet. Wir wollen ja keine halben Sachen abliefern und du sollst ja auch deine Lektionen nicht so schnell vergessen.“ kichernd klatschte seine Hand noch einmal auf meinen Po, was ich mit einem zischenden Laut quittierte.
„Danke, ich glaube davon werde ich wirklich länger etwas haben!“
Mit einem Male wurde unsere Tür aufgerissen und ein Diener in königlicher Livree erschien.
„Madame, Monsieur! Das Frühstück wird gleich angerichtet. Hopp hopp aus dem Bett!“ ein solch vertraulicher Wortlaut von einem Bediensteten war selbst mir neu! Und erst jetzt sah ich, wohin sein Blick breit grinsend gegangen war. Schnell zog ich die Decke über mein lädiertes Hinterteil und gerade als ich von Haythams Schoß wollte, hielt mich dieser mit einem Kopfschütteln auf. Erst jetzt bemerkte ich, dass er noch einen kleinen Moment benötigen würde um … nunja, sich zu beruhigen!
Der besagte Eindringling machte sich daran die Vorhänge aufzuziehen und die Fenster zu öffnen. Ein Zimmermädchen war ebenfalls mit erschienen und begann die Waschschüsseln zu befüllen. Ein weiteres Mädchen stand an unserem Bett und wartete.
„Madame, das Bett soll gemacht werden. Wir haben einen Zeitplan einzuhalten. Alle Gäste möchten pünktlich bei Tisch sein!“ kam es von dem Diener und er eilte wieder hinaus, mitsamt des Krüge wechselnden Mädchens.
Augen rollend schob mich mein Mann von sich und bedeckte seine Blöße hastig. Unbeeindruckt, wie es schien, machte sich nun dieses junge Ding daran, schon mal eine Seite des Bettes zu richten. Haytham schlängelte sich unter der Decke hinweg, während ich ihm einen Morgenrock reichte. Kurz darauf erschienen auch schon unsere Zofe und der Kammerdiener. Beide sahen etwas übermüdet, aber glücklich aus.
Für das Frühstück galt es, ein etwas unauffälliges Kleid zu wählen, die Haare sollten ebenso einfach geflochten und hochgesteckt werden. Man steigerte sich im Laufe des Tages um am Abend dann seine volle „Pracht“ entfalten zu können, so hatten mir die Damen das Prozedere auch noch einmal gestern erklärt.
Und wir hatten noch nicht einmal den König selber gesehen. Wo war er überhaupt?, ging es mir gerade durch den Kopf, als es klopfte und Mrs. Wallace mit unserem Sohn erschien.
Edward stiefelte freudig auf uns zu und rief laut nach uns. Dass es hier so hallte schien ihn zu faszinieren und er rief immer wieder etwas und lauschte dann. Anscheinend galt auch schon für die kleinsten eine Kleiderordnung. Unser Sohn trug ein seltsam anmutendes Gewand, was eher einem rosa Mädchenkleid gleichkam und ich war alles andere als angetan davon.
„Mistress Kenway, es ist hier so üblich. Es gibt für die Kleinen eine eigene Garderobe, welche weitergereicht wird. Master Edward wird hier kaum seine eigenen Sachen tragen dürfen.“ kam es entschuldigend von Sybill.
„Das sieht aber schrecklich aus. Wer findet denn so etwas toll?“ schmollte ich und drückte meinem Schatz einen dicken Kuss auf.
„Mamaaaaa… ham…“ da hatte wohl jemand Hunger.
„Ich bringe den jungen Herren dann mal zum Frühstück, Mistress Kenway, Master Kenway.“ Sybill knickste und nahm Edward wieder auf den Arm. Unter Protest seinerseits verließen sie das Zimmer und ich fragte mich, ob er gleich mit am Tisch säße.
Nach einer gefühlten Ewigkeit war auch ich endlich fertig eingekleidet und stand staunend vor Haytham!
Michael hatte ihn in einen dunkelblauen Gehrock mit passenden Hosen gesteckt, dazu die Haare geflochten und mit einem schwarzen Band geschnürt.
„Sehe ich so schrecklich darin aus, mi sol?“ diese Frage war eigentlich unnötig, aber er bekam eine Antwort.
„Ja, grausam. Dieser Anblick ist nicht auszuhalten. Mi amor, du weißt doch, du könntest auch…“
„Nein, denk nicht einmal daran und danke, auch du siehst fantastisch aus und die ganze Aufmachung nur, weil wir frühstücken werden.“ lachend reichte er mir seinen Arm.
Im Speisesaal herrschte schon reger Betrieb und wieder einmal hatte man den Eindruck, als würde der Tisch unter all diesen Speisen zusammenbrechen.
Von unserem Sohn fehlte aber jede Spur und auf meine Frage bekam ich erstaunte Gesichter zu sehen. Die Ammen und Kindermädchen seien dafür doch da. So hätte ich viel mehr Zeit mich den wichtigen Dingen zu widmen. WELCHEN denn bitte? Hier hatte ich nicht wirklich etwas zu tun. Noch nicht, muss ich vielleicht ergänzend erwähnen.
Wir nahmen unsere Plätze ein und dieses mal saß eine ältere Dame neben mir, welche mich in ein Gespräch über meinen deutschen Akzent verwickelte. Sie selber hätte ja Verwandte in Hamburg, aber leider war es ihr noch nicht vergönnt, dorthin zu reisen. Es plage sie die Seekrankheit und die Galle wäre auch nicht mehr in Ordnung und so weiter.
Nach dem ich mit meinem Kaffee und dem Frühstück fertig war, wurde ich erlöst von den Krankheiten der Frau, welche mir zwar leid tat, aber ich Angst hatte, ihre Wehwehchen könnten auch auf mich überspringen und das nur, weil sie ununterbrochen davon sprach!
Ich war froh ein wenig an die frische Luft zu kommen, ehe wir die Verabredung mit Herrn de Gooijer hatten.
„Haytham, ich habe ein wenig Angst, was sein Amulett angeht. Könntest du es bitte im ausreichenden Abstand zu mir inspizieren. Ich ziehe es vor, nicht wieder in eine andere Welt geschubst zu werden.“ meinte ich leise und sah mich dabei um, weil ich befürchtete, jemand könnte uns zuhören.
„Daran hatte ich auch schon gedacht. Was glaubst du, wie viele von diesen Dingern gibt es wohl noch?“ sein Blick ging über den wunderschön angelegten Park und er dachte wahrscheinlich daran, welche Möglichkeiten uns eigentlich damit noch zur Verfügung stehen würden.
Die Anzahl dieser Schmuckstücke entzog sich meiner Kenntnis, von Zweien wusste ich ja nun, aber ob es verstreut auf der Welt noch viele andere Exemplare gab, konnte ich nicht sagen.
Dann war es Zeit und wir gingen zum Gästeflügel und ließen uns das Zimmer von dem Holländer zeigen.
Nach kurzem Klopfen wurde uns geöffnet und er begrüßte uns freudig. Wenn ich ehrlich bin, ich hatte ihn gerade unten am Tisch gar nicht gesehen, was aber auch nicht verwunderlich war. Mittlerweile waren noch eine Fülle an weiteren Menschen hinzugekommen.
„Ahhhhh, Mistress Kenway! Master Kenway! Tretet näher. Darf ich euch meine Gattin vorstellen? Myrte de Gooijer!“ neben dem schlaksigen Mann trat eine recht korpulente Dame mit roten Wangen, braunen Haaren und dunklen grünen Augen. Ihr Lächeln war unglaublich angenehm und ihre Stimme einfach passend zu ihrer Erscheinung.
Wir sprachen noch einmal unser Beileid für den Verlust des Familienmitglieds aus und dann kam der Holländer auch gleich auf den Punkt.
Er schien es wirklich eilig zu haben, was mich für einen Moment misstrauisch werden ließ, weil so ein Verhalten eher für schlechte Ware stand, die schnell den Besitzer wechseln sollte. Doch es war eher diesem Amulett geschuldet, welches er wohl nicht mehr in seiner Nähe haben wollte.
Wir gingen zu einer Sitzgruppe, bestehend aus Sofa, Tisch und zwei Sesseln. Daneben war ein kleiner Schreibtisch und dahinter erstreckten sich drei Regale mit irgendwelchen Büchern, Büsten und Nippes!
„Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber mir brennt es unter den Nägeln. Werft bitte selber einen Blick darauf.“ Seine Hand holte aus einem der Kästen auf dem Schreibtisch besagtes Schmuckstück und wollte es mir reichen, als ich auch schon die Vibrationen spürte. Die Anwesenden nahmen aber auch noch das Leuchten wahr, welches in meiner Nähe intensiver wurde und meine Tätowierung sogar durch die ganzen Lagen Stoff hindurch zu sehen war!
Haytham griff einfach nach dem Anhänger und ging ein Stück von mir weg, sagte aber nichts weiter, sondern hielt den runden Gegenstand gegen das Licht. Drehte es immer wieder hin und her, kniff dabei die Augen zusammen und schüttelte dann den Kopf.
„Es sind andere Schriftzeichen darauf, als auf meinem Anhänger, Alex. Und es leuchtet gelblich in deiner Nähe. Wie es scheint besitzt es die gleiche Kraft wie meines oder das von Marius.“ Haytham reichte es wieder seinem Besitzer, welcher mit offenem Mund dastand und von einem zum anderen starrte.
„Wie ist das möglich? Was ist das? Hexerei?“ ohhhh nein… bitte keine Anschuldigungen oder dergleichen und schon gar nicht hier in der Nähe des Königs!
„Nein, Master de Gooijer, das hier ist… einfach ein Schmuckstück, welches das Sonnenlicht speichern kann und deshalb so leuchtet.“ versuchte ich nun Schadensbegrenzung, weil mein Gatte leider zu offen gesprochen hatte und nun unser Gegenüber völlig verunsichert war.
„Ihr meint, es verzaubert niemanden oder kann böse Flüche über eine Familie bringen?“ diese Worte kamen so zögerlich von Myrte und sie sah ängstlich zu ihrem Gatten.
„Liebling, du glaubst doch nicht wirklich daran, dass dieses Ding an dem Tod… nein, das glaube ich auch nicht. Aber was denkt ihr könnte es auf dem Markt wert sein, Mistress Kenway?“ da kam sehr schnell sein Geschäftssinn hoch und ließ mich wieder stutzen. Er ahnte doch, dass hier etwas nicht stimmte, warum wollte er nun den Wert wissen?
„Master de Gooijer, es ist besser, wenn ihr uns dieses Schmuckstück überlasst und wir werden euch entsprechend entlohnen. Aber es sollte nicht auf den freien Markt gelangen, weil es schon sehr alt und wirklich wertvoll ist. Sagt, wie ist eure Familie in den Besitz gelangt?“ ich war in meine Rolle als Händlerin getaucht und ließ mich auf dem Sofa nieder.
„Das ist wirklich eine sehr seltsame Geschichte wisst ihr, ihr werdet mich für dumm halten…“ stammelte nun Myrte herum und sah immer wieder zu ihrem Mann, welcher aber auffordernd nickte.
Vor 200 Jahren ungefähr, sei ein Vorfahre von Mrs de Gooijer auf ein altes Hügelgrab an der Küste der burgundischen Niederlande (Haus Habsburg) gestoßen. Geschichte der Niederlande Aus reiner Neugierde hatte man dann einfach, Stein um Stein entfernt und einen darunter befindlichen Eingang zu einer Höhle gefunden. Immer noch vom Abenteuergeist beseelt folgte man dem Weg nach unten und fand sich kurz darauf in einer großen Kammer wieder. Diese war aus groben Stein gehauen und etwa so groß wie ein kleiner Salon, wobei diese Bezeichnung eher irre führend für mich war, weil ich diese Größenbeispiele nie zuordnen konnte.
Im besagten Raum befanden sich mehrere hölzerne Truhen, steinerne Sarkophage und diverse herumstehende Gegenstände. Aus welcher Zeit das alles stammte, konnte man nicht deuten und begann alles zu öffnen und genauer in Augenschein zu nehmen. Es dauerte aber nicht lange, bis man dieses Amulett fand und es begann auch dort zu strahlen. Aus Angst, den Teufel persönlich geweckt zu haben, wurde der Gegenstand in eine kleine Kiste aus Metall gepackt und mitgenommen.
Es gab aber noch einige andere Dinge, die dort lagerten. Unter anderem ein seltsam anmutendes Schild aus reinem Metall mit einem komischen Kreuz darauf, eine Rüstung mit ebensolchem Symbol und Schwerter.
In den Sarkophagen jedoch lagen nur Gerippe und die üblichen Darreichungen für Tote. Leider fand man keine Aufzeichnungen dort unten oder Inschriften auf den Särgen. Die Bücher, welche dort zu finden waren, seien beim Berühren direkt zu Staub zerfallen.
Nachdem die gesamte Truppe den Schauplatz wieder verlassen hatte, wohlgemerkt hatte man einiges mitgenommen, unter anderem die Schwerter, die Rüstung und so weiter, begab man sich auf den Rückweg.
Dieser war aber so beschwerlich, dass die Plünderer des Grabes die Befürchtung hatten, verflucht worden zu sein. Und wäre diese Befürchtung nicht schon schlimm genug, erkrankten nach und nach die Männer an den unterschiedlichsten Gebrechen. Ruhr, Cholera (man nutzt eigentlich noch eine andere Bezeichnung im 18 Jahrhundert dafür!), Pocken und am Schlimmsten traf es den Anführer, welcher es als letzter Überlebender mit den ganzen Packtieren in sein Heimatdorf schaffte.
Sein Geist war umnachtet und er war wie von Sinnen, faselte immer wieder etwas von leuchtenden Wesen, welche ihm sagten, sie sollen umkehren und alles an Ort und Stelle lassen, es sei nicht für sie bestimmt.
Kurz darauf verstarb dieser Mann unter mysteriösen Umständen, es war als hätte er sich im Schlaf selber erdrosselt mit dem Amulett um den Hals!
Seine Tochter fand ihn morgens in der Früh und konnte sich keinen Reim darauf machen, weil niemand etwas gesehen, gehört oder überhaupt bemerkt hatte.
Ab diesem Zeitpunkt wurde dieser Anhänger nur unter der Warnung in der Familie weitergegeben, ihn nicht zu lange zu tragen oder ihn länger als eine Stunde zu berühren.
„Ihr glaubt jetzt sicher, ich bin eine von diesen abergläubischen Waschweibern, aber nein! Das bin ich nicht, das ist die Geschichte, die sich erzählt wird.“ sie erhob sich und holte ein Buch aus einer der bereit stehenden Kisten und reichte es mir.
Auf dem Einband stand geprägt der Name der Familie „Griekspoor“ (griechische Spur) und ich schlug es vorsichtig auf. Aufgebaut am Anfang wie ein Tagebuch, wurde es unübersichtlicher von Seite zu Seite, ähnlich wie dem Manuskript von Edward. Es war durch viele Hände gegangen und jeder schien etwas hinzugefügt oder aber auch entfernt zu haben!
Ich besaß doch die Fähigkeit, Menschen zu reinigen und ihnen Informationen einzupflanzen, jetzt wäre der ideale Zeitpunkt., ging es mir durch den Kopf und ich bekam von Odin die Bestätigung und Freigabe für mein Tun.
Haytham, was jetzt passiert, ist zu unserem Schutz und dem Schutz der Familie de Gooijer. Folge mir im Geiste in Myrtes und Jons Kopf bitte.
Im Raum herrschte völlige Stille plötzlich, so als hätte ich die Uhr angehalten und ich konzentrierte mich auf die Eheleute, sah in ihren Geist, drang ein und begab mich auf eine Reise…
…
Es dauerte einen Moment, bis ich einen passenden Korridor gefunden hatte. Ich musste die Erinnerung an die Familiengeschichte finden, was nicht so einfach war, weil Myrte sogar britische Vorfahren hatte und alles etwas durcheinander war.
Ich tastete mich weiter vor und spürte Haythams Gegenwart, welcher mir folgte wie ein Schatten.
Dann endlich sah ich die Tür und folgte dem flackernden Schein von Erinnerungen. Von hier aus konnte ich tatsächlich in die Vergangenheit ihres Geistes eintauchen und wischte im wahrsten Sinne des Wortes unangebrachte oder eben unerwünschte Momente hinfort. Stattdessen gaben Idun und auch Frigg mir wunderschöne Bilder, die ich hinterlassen konnte.
Diese Familie hatte nämlich ein uraltes Templergrab gefunden, welches nur uns vorbestimmt gewesen war. Doch uns kam nun dieser Fund zugute, weil wir nicht extra dorthin reisen mussten. Alles was wir brauchten befand sich hier in diesen Truhen in Frankreich!
So hart wie es klingt, aber ich betrieb wahrste Gehirnwäsche und auch bei Jon machte ich das gleiche, doch in seiner Familienerinnerung herrschte nur ein Krieg untereinander. Das übliche halt und somit verschwand ich dort sofort wieder, als ich auch ihm entsprechend angepasste Bilder schickte.
Bevor wir uns jedoch zurückzogen, musste ich noch die Erinnerung an mein Tun auslöschen und ich wusste, dass ich eigentlich nicht manipulieren sollte… In diesem Falle ist es aber unerlässlich, es wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein. Aber für dein erstes Mal hast du es gut hinbekommen. Elias klang voller Stolz und ich war glücklich in diesem Moment.
Wieder im Hier und Jetzt plauderten wir über die Waren, welche wir übernehmen würden und welche wir liefern sollten. Es schien, als hätten wir wirklich nichts anderes hier getan und ich atmete unmerklich erleichtert aus.
„Dann sind wir uns also einig, dass ich euch mit dem Schmuck betrauen kann?“ hörte ich jetzt de Gooijer fröhlich reden.
„Natürlich und ich denke, dass wir euch umgekehrt mit dem Kakao auch zufrieden stimmen werden. Von dem Kaffee mal ganz abgesehen!“ wir stießen auf unser neues erfolgreiches Handelsabkommen an.
Ab jetzt gehörten auch die Niederländer zu unseren Abnehmern oder auch Lieferanten, was den Blaudruckern in den Kolonien wieder zugute kam, weil die Fliesenbrennerei noch in den Kinderschuhen steckte und auch die Drucke für Tuch oder ähnlichem war noch nicht vollends über den Atlantik gewandert.
Außerdem freute ich mich auf einen Besuch der beiden auf unserer Plantage, weil beide noch nicht in Amerika waren. Die Zeit hatte es noch nicht zugelassen, erklärte Myrte bedauernd.
Die niederländischen Bruderschaften unterlagen aber Bragi und Idun, welche sich bereits dort einen Namen gemacht haben und einige Gefolgsleute hatten. Wir kamen unserem Ziel immer näher!
Wir verließen ihre Räumlichkeiten mit den entsprechenden Truhen, welche vier Diener in unsere Gemächer brachten und den Wachen übergaben.
Ja, unser Wachschutz war hier nicht gerne gesehen, dass hatte ich schon festgestellt, doch diesen Männern vertraute ich mittlerweile blind und wollte keine dieser hochnäsigen Palastwachen in meiner Nähe haben.
Man hatte bei diesen immer den Eindruck, als sei man unwichtig, nichtssagend und nicht Wert beschützt zu werden.
Im Zimmer bat ich meinen Mann erneut, das Amulett in die Hand zu nehmen.
„Gelb, hat das etwas zu bedeuten? Eines leuchtet bläulich, das andere grünlich und jetzt das? Regenbogenfarben? Oder wonach muss man da gehen?“ im Grunde redete ich gerade mit mir selber.
„Willst du es ausprobieren, Alex?“ diese Frage kam sehr zögerlich von meinem Templer und ich sah ihn etwas entsetzt an.
„Nein, bist du wahnsinnig geworden? Ich will nicht schon wieder neben dem Chevalier oder schlimmeren erwachen!“ ich schüttelte mich bei dem Gedanken, dass ich neben Charles Lee stehen könnte!
„Wie finden wir aber heraus, in welche Welt dieses Amulett einen bringen würde?“ diese Neugierde in seiner Stimme war schon wieder ein Grund, weswegen ich in Versuchung war zu sagen, wir sollten es doch ausprobieren. Aber … nein!
„Gar nicht, mi amor. Wir werden es unter Verschluss halten, bis wir weitere finden und wir eine Definition finden konnten! Vorher rühren wir diese Viecher nicht mehr an! Verstanden? Das ist ein Befehl!“ und ich gab ihm einen Kuss.
„hhhhmmmmm… das hat was, mi sol…“ raunte er leise und bevor ich darauf eingehen konnte, klopfte es und ein Diener trat ohne Aufforderung ein.
„Man erwartet die Dame und den Herren zum Mittagstisch!“ eine Verbeugung und er war verschwunden! In meinen Augen einfach nur unhöflich, aber anscheinend eine normale Art hier mit den Gästen umzugehen. Und wieder fragte ich mich, wo eigentlich das Königspaar war?
Prompt erschienen Magda und Michael und erneut hieß es umziehen, Haare machen und für einen Moment bekam ich Edward auch zu sehen. Er steckte jetzt in einem kleinen Anzug, welcher wirklich niedlich aussah, auch wenn er etwas zu groß war. Stolz lief er zu Haytham und rief „Papaaaa… aaaaam!“
„Du siehst aus, als würdest du einen Staatsempfang geben wollen, mein Sohn!“ grinste er ihn an.
„Das ist ein hinreißender Anblick, mi amor. Ihr beide seid farblich aufeinander abgestimmt. Er sieht aus wie du!“ ich schluckte meine mütterlichen Gefühle gerade herunter um nicht in Tränen auszubrechen.
„Weißt du eigentlich, dass meine Mutter ebenso reagierte, wenn sie mich neben meinem Vater sah?“ und er küsste mich liebevoll.
„Mamaaaaaa… mein!“ entschieden schob er seinen Vater von mir weg und wollte auf meinen Arm.
Kinder und ihre Besitzansprüche. Dieser Moment währte leider nur kurz, dann ging Mrs. Wallace mit ihm ebenfalls zum Essen, doch die Kinder waren separiert und wir würden unseren Sohn erst am Nachmittag wieder sehen.
Das Essen war natürlich üppig und es waren noch mehr Menschen an der Tafel. Ein junges Ding saß neben mir, welches ihrem Gegenüber hungrige Blicke zuwarf und sich über die Lippen leckte. Der Herr, welcher gemeint war, überging diese Flirtversuche aber nicht wirklich, obwohl seine Gattin neben ihm für alle hörbar laut knurrte, er solle gefälligst seinen Schwanz in Ruhe lassen. Wenn ich noch einmal auf meine lose Zunge hingewiesen werde, werde ich diese Dame als Referenz angeben!
Zum Glück hatte mein Gatte eine ältere gelangweilte Dame auf der gegenüberliegenden Seite und neben sich eine Frau, welche verliebt an ihrem Mann klebte und nicht den Teller anrührte. Aber wer weiß, auf was man hier nun noch so trifft.
Eheleute de Gooijer saßen uns schräg gegenüber, lächelten uns zu und hoben prostend ihre Gläser.
Im Anschluss ging man in den Park, weil heute das Wetter entsprechend mitspielte und die Kinder wurden dazu geholt. Somit verbrachten wir als Familie den Nachmittag und unsere neuen niederländischen Geschäftspartner lernten Edward kennen.
„Nee, hoe schattig is de kleine! Hij lijkt op zijn vader!” hörte ich Myrte freudig ausrufen, als sie meine beiden Männer nebeneinander sah.
Wir kamen unweigerlich auf ihre Kinder zu sprechen, welche aber zuhause geblieben waren und das Landgut hüteten.
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich die anderen Kinder und ihre Eltern und versuchte herauszufinden, ob ich mich tatsächlich noch weiter anpassen musste. Und ich sah, dass sich die Herren eigentlich gar nicht um ihren Nachwuchs scherten, sondern sich Gesprächen mit anderen Männern widmeten.
Wo hingegen die Frauen sich nur mit den anderen Damen unterhielten und nur vereinzelt mal ein Auge auf die Kleinen hatten. Die Kindermädchen und Gouvernanten waren ja da, das war anscheinend Erziehung und Nähe genug.
Nein, ich wollte und konnte das nicht so ablegen, es war für mich schon schwer genug meinen kleinen Schatz nur so selten hier zu sehen! Daher genoss ich jeden Moment mit ihm gerade!
„Ihr seid ganz anders, als die Frauen die ich kenne, Mistress Kenway. Ist Edward euer erstes Kind?“ kam es plötzlich von Mrs de Gooijer, aber es war keine Neugierde, sondern eher, ja, sanft und vorsichtig, wie sie fragte.
„Nein, ich habe bereits einen erwachsenen Sohn, welcher in meiner Heimat geblieben ist und mein Gatte hat auch bereits einen Sohn. Warum fragt ihr?“ ich fühlte mich etwas ertappt, was mir immer unangenehm war.
„Ihr seid so aufmerksam was den Kleinen angeht, ihr achtet auf seine Schritte, was er tut und was er sagt. Das ist aber doch die Aufgabe des Kindermädchens. Es wundert mich nur, dass ihr den Mut habt, euch so eurem Sohn zu widmen. Eure Aufmerksamkeit sollte eurem Gatten und dessen Wohlergehen gewidmet sein!“ in ihren Worten lag aber kein Tadel, sondern eher Trauer und Wut darüber, dass Frauen mal wieder nur eine begrenzte Auswahl an Betätigungen zugestanden wurde. Wir könnten uns nicht auf so vieles konzentrieren, weil der arme Gatte ja sonst zu kurz kommen könnte.
„Mein Mann und ich haben eine gewisse Aufteilung und auch ich habe meine Verpflichtungen, deren ich mir durchaus bewusst bin. Darüber hinaus aber bin ich Mutter und stehe meinem Kind bei, egal was da komme. Auch wenn man uns Frauen diese Fähigkeit nicht zutraut, wir können viel mehr gleichzeitig bewältigen als die Herren der Schöpfung glauben!“ ich versuchte nicht verbissen zu klingen, eher zuversichtlich und ein wenig zynisch!
Ein breites Grinsen erschien auf Myrtes Gesicht. „Ihr wisst was ihr wollt und setzt es durch. Haytham kann sich glücklich schätzen, eine solche Frau zu haben und so einen prächtigen Sohn!“
Dieses Kompliment gab ich gerne zurück, denn man spürte auch bei den Holländern diese innige Liebe.
Als sie mich nun fragte, wie alt Edward sei, weiteten sich bei „acht Monate“ ihre Augen und sie sah ungläubig auf ihn herab. „Wie ist das möglich? Man könnte meinen er ist schon über ein Jahr alt, so groß wie er ist und er läuft schon und… Die Luft in Virginia muss ihm sehr gut tun!“ lachte Myrte und wir kamen auf das Klima dort zu sprechen.
Ich musste aber erklären, dass wir ja gar nicht so lange mit Edward dort waren, weil er schon mit knapp 3 Monaten über den Atlantik geschleppt wurde, weil unser Auftrag drängte.
„Dann war es die gute Seeluft, die seine Entwicklung voran getrieben hat!“ ihr Blick war immer noch ungläubig auf den kleinen Kenway gerichtet.
So verging der Nachmittag relativ entspannt und als ich abends erschöpft von den vielen Gesprächen und dem ganzen Essen und allem neben Haytham aufs Bett fiel, schlief ich unweigerlich einfach ein. Ich konnte es nicht verhindern.
Wir verlebten eine angenehme Zeit, auch wenn ich meinen Sohn hier schmerzlich vermisste. Letzte Nacht, zum Beispiel, habe ich mich zum Kinderzimmer geschlichen und Edward einfach mit zu uns ins Bett geholt.
„Mistress Kenway, das ist aber nicht gerne gesehen.“ flüsterte Sybill grinsend, als ich ihr mitteilte, dass ich ihn mitnehme.
„Ich weiß, ist mir aber egal.“ kicherte ich verschwörerisch und verschwand auf leisen Sohlen wieder über den Korridor zu unserem Zimmer. Als ich eintrat bedachte mich Haytham mit einer tadelnd hochgezogenen Augenbraue und schüttelte den Kopf. Konnte sich aber ein breites Grinsen dann doch nicht verkneifen!
„Du bist wirklich unmöglich, mi sol.“ und er nahm Edward zu sich auf den Schoß, welcher eigentlich nur müde war und wieder einschlief, als er seinen Vater spürte.
„Ich bin halt eine Glucke manchmal. Ich kann nicht anders!“ meinte ich und kuschelte mich an meine Männer. Meine kalten Füßen fanden die warmen Beine meines Gatten, was er mit einem unterdrückten Aufschrei kundtat.
„Wir haben Sommer und du fühlst dich wie eingefroren an, mi sol.“ maulte er mich jetzt an.
„Stell dich nicht so an, ich musste dich auf der Jackdaw auch schon als Eisblock ertragen. Ich werde es wieder gut machen und dich beizeiten wärmen, wie es sich für eine gute Ehefrau gehört.“ flüsterte ich lüstern an seinem Ohr.
„Dann hättest du Edward nicht mit in unser Bett holen sollen…“ in diesem Moment unterbrach er sich selber. „… es gibt hier ja genügend Räume, in welche wir uns für ein paar Minuten zurück ziehen können, mi sol. Und morgen haben wir auch gar keine Termine oder Gespräche…“ seine Stimme hatte ebenfalls einen sehr dunklen reizvollen Ton angenommen.
„Ist das eine Drohung, Master Kenway?“ und in meinem Bauch begann es schon wieder zu kribbeln, als dann auch noch seine Lippen mich zur Bestätigung liebkosten!
Heute also hatten wir noch Zeit, den Palast etwas zu erkunden und ich stellte mit Staunen fest, dass die Arbeiten noch lange nicht abgeschlossen waren. Es gab eigentlich überall kleinere oder auch größere Baustellen, ob IM oder UM den Palast.
Fasziniert stand ich an einer der Außenfassaden und besah mir das recht wackelige Holzgerüst, auf welchem gefühlt ein Dutzend Männer hin und her eilten um den Putz zu verteilen, oder bereits Farbe aufzutragen. Es wackelte wirklich gefährlich und ich dachte an die Baugerüste im 21. Jahrhundert, welche einer gewissen Norm entsprachen. Das HIER würde niemals durchgewunken und mir taten die Arbeiter leid, welche im wahrsten Sinne des Wortes ihr Leben für den Aufbau des Palastes aufs Spiel setzten.
Mit Edward auf dem Arm schlenderten wir eine Weile durch den Park, bis das Mittagessen angerichtet wurde. Unser Sohn betrachtete mit großen Augen die noch kleinen Büsche und Hecken und Haytham erklärte ihm die Botanik hier.
Als wir an einem Springbrunnen ankamen, welcher bereits Wasser führte, war klein Kenway wieder in seinem Element. Ich ließ ihn mit seinen Füßen in das flache Becken steigen und prompt ließ er sich auf seinen Hintern plumpsen und begann zu planschen!
Ich hatte mitgedacht und wenigstens eine neue Windel und ein trockenes Hemd mitgenommen, außerdem hatte ich noch ein paar von den kleinen Keksen vom Frühstück dabei. Nachdem Edward sich ausgiebig nassgemacht hatte und auch sein Vater nicht verschont geblieben war, verlangte er nach seinen Keksen und ich konnte ihn in Ruhe in eine trockene Windel packen.
So konnten wir uns auf den Weg zurück machen und dieses mal ließen wir ihn zwischen uns an den Händen laufen. Er wurde immer sicherer dabei und freute sich selber über seine Fortschritte. Mit einem „Gaga… lein“ wollte er sich von unseren Fingern befreien! Alleine gehen!
Kaum losgelassen, marschierte dieser kleine Wonneproppen über den Rasen und das in einer unglaublichen Geschwindigkeit, die man ihm nicht zutraute! Haytham eilte ihm nach und ich fand diesen Anblick einfach göttlich, wie er hinter seinem kichernden Sohn her rannte. Er bekam ihn zu packen, hob ihn hoch und schwang ihn hoch über seinen Kopf. „Papa!“ gluckste klein Kenway.
„Na, wolltest du reiß aus nehmen, mein Sohn? Ich freue mich schon, wenn ich dir zeigen kann wie man ganz schnell auf ein Gebäude kommt und wie du dann mit einem Sprung heile wieder unten ankommen kannst.“ ein verschwörerischer Seitenblick auf mich und er fuhr fort. „Deine Mutter hat einen kleinen Helfer an ihrer Hand, welcher sie hat faul werden lassen. Sie klettert nicht mehr.“
„Glaub deinem Vater kein Wort, Edward! Ich weiß sehr wohl, wie man sich an einer Fassade schnell nach oben bewegen kann.“ und ich streckte meinem Mann die Zunge raus und auch der kleine Ausreißer machte die Geste nach. Ach verdammt, ich musste dringend auf so was achten!, ging es mir wieder durch den Kopf.
Zum Nachdenken blieb aber keine Zeit, Magda und Michael erschienen um uns mitzuteilen, dass wir uns für das Essen umziehen sollten. Schweren Herzens überließ ich nun Sybill, welche auch gerade nach draußen gekommen war, wieder ihren Schützling und folgte meinem Mann und den Dienern.
Am Nachmittag erhielten wir eine kleine Notiz von einem der königlichen Dienern. „Monsieur de la Sèrre wünscht euch zu sprechen.“ mit einer tiefen Verbeugung eilte er wieder von dannen.
Auf dem Zettel stand lediglich, WO er zu finden sei und zwar in einem der unteren Freizeiträume. Zu meinem Gefallen war es der Raum, wo auch ein Großteil der Bibliothek untergebracht war und an einem Tisch, wo ein Schachspiel aufgebaut war, fanden wir ihn.
„Ahhhhh, ihr müsst Master Kenway sein, nehme ich an? Und eure bezaubernde Gattin, Mistress Kenway!“ eine tiefe Verbeugung und ein warmer Handkuss folgten.
Der Herr war etwas kleiner als mein Mann, warme braune Augen und dunkelblonde Haare, welche auch er in einem Zopf im Nacken trug. Seine Kleidung ließ keinen Zweifel an seinem Stand aufkommen, er war bereits jetzt, mit etwas über 30 Jahren, der Großmeister des Pariser Templerordens.
„Da geht ihr Recht in der Annahme. Es freut mich, euch nun persönlich kennenzulernen, Monsieur de la Sèrre!“ Haythams Französisch klang einfach so, als hätte er nie eine andere Sprache gesprochen und ich war mal wieder neidisch auf sein Sprachtalent!
Der Höflichkeit halber, sprachen die Herren dann auf englisch weiter und wir setzten uns etwas abseits an einen Spieltisch.
Auch dieser Herr verlor keine Zeit und brachte sein Anliegen gleich auf den Tisch.
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass es eure Absicht ist, Bruderschaft und Orden zu vereinen, oder hat man mich falsch unterrichtet?“ in seiner Stimme klang eine gewisse Neugierde mit, aber er war nicht wütend oder ähnliches.
„So ist es, Monsieur. Wir, das heißt meine Frau und ich haben schon große Fortschritte machen können und versuchen ein Netz aufzubauen, Verbündete zu finden und eine Einigung zu erreichen.“ Haytham sah seinem Gegenüber fest in die Augen, um zu zeigen, dass er unser Vorhaben wirklich ernst meinte.
„Warum sollten wir uns mit den Bruderschaften auf einmal verbünden, wenn sie doch alles daran setzen uns weiter zu schädigen und zu minimieren. Ich muss euch sicherlich nicht an die letzten Jahre erinnern, Master Kenway. Ich habe viele gute Männer durch diese Assassinen verloren und bin nicht gewillt mich mit ihnen zusammen zuschließen!“ er verlor wirklich keine Zeit seinen Unmut über die Meuchelmörder kund zu tun!
„Niemand verlangt, dass ihr von jetzt auf gleich eure Bedenken über Bord werft! Wir alle werden uns langsam annähern müssen! Und wenn ich das anmerken darf, in Amerika und auch England gibt es bereits die ersten Verbindungen. Bedenkt einfach, dass uns auch kleine Schritte ans Ziel führen. Wir müssen sie mit Bedacht setzen und auch die Assassinen wissen das, Monsieur de la Sérre. Ich weiß wovon ich rede und ich konnte durch meinen Handel und die einhergehenden Geschäfte bereits einige der hochrangigen Brüder und Schwestern von unserem Vorhaben überzeugen.“ ich versuchte mein Bestes, doch bei diesem Mann würde es schwer werden, weil er zu hohe Verluste erlitten hatte. Da war es verständlich, dass er mehr als zögerlich war. Vielleicht würde ihm aber auch die Zeit über sein Misstrauen helfen!
„Ich würde gerne von euch wissen, was uns eine Verbindung zu den Assassinen bringen würde, Mistress Kenway.“ mit dieser Frage hatte ich bereits gerechnet und sie passte mir überhaupt nicht. Warum musste es immer nur Vorteile von einem Waffenstillstand geben? Konnte man nicht auch einfach darin seinen eigenen Frieden sehen und finden? Reichte das nicht als „Belohnung“ aus?
Ich seufzte tief und versuchte diese Worte nun in einen freundlichen Satz zu verpacken, doch Haytham kam mir zuvor.
„Es gibt einen entscheidenden Vorteil! Ihr könntet wieder sicheren Fußes reisen, der Orden würde stabil bleiben und sich sogar noch erweitern. Außerdem wäre es von großem Nutzen wenn man, bedingt durch diese ganzen Unruhen die zu spüren sind, eine größere Vereinigung hätte um sich zur Wehr setzen zu können! Wie gesagt, niemand zwingt euch heute, hier und jetzt eine Entscheidung zu treffen. Wägt es richtig ab und denkt darüber nach. Besprecht euch mit euren eigenen Brüdern und Schwestern. Über kurz oder lang werden wir aber nicht drumherum kommen, uns gegenseitig zu stärken.“ seine Worte waren mit Bedacht und sehr ruhig gesprochen und ich sah erwartungsvoll zu dem Franzosen.
„Aber wir hätten keine Garantie, keine 100 Prozentige meine ich, dass wir zukünftig keine weiteren Verluste mehr erleiden werden. Gehe ich da recht in der Annahme?“ de la Sèrres Blick glitt zu mir und er hob fragend eine Augenbraue.
„Nein, die gibt es nie. Und ich kann es euch auch erklären, weil es immer diese extremen Widersacher geben wird. Die Leute, die einfach nicht über den Tellerrand und ihren eigenen Horizont hinaus blicken können. Die die sich keiner Veränderung stellen wollen, weil das Alte so bequem ist, weil man es schon so lange kennt. Aber gerade diese Menschen werden wir nie überzeugen können und ich gehe davon aus und ich hoffe es, dass ihr nicht zu diesen Personen zählt. Ich halte euch für einen Mann der einen gewissen Weitblick hat! Nicht ohne Grund wäret ihr sonst schon in jungen Jahren Großmeister geworden!“ ich zitterte leicht, weil ich befürchtete in meiner Kompetenz zu weit gegangen zu sein. Doch dann rief ich mir meine eigene Position als Großmeisterin wieder vor Augen und straffte die Schultern. Ich hatte diese Befugnisse, ich durfte ihm auch diese Worte einfach sagen!
Sein Blick wurde etwas milder, aber ich sah auch sein Missfallen an unserem Vorhaben. Bei diesem Herren mussten wir noch einiges an Überredungskunst und guten Argumenten aufbringen.
Tief in mir bohrte sich aber ein anderer Gedanke nach oben. Ich sollte ihn vorerst noch außen vor lassen und auf später zählen, wenn er mit dem späteren Großmeister der Assassinen verhandelt. Monsieur Mirabeau war noch kein Großmeister in der Bruderschaft, noch war es Charles Dorian. Und was wäre, wenn ich diese beiden Herren schon einmal an einen Tisch setzen würde, damit sie ihre Differenzen klären konnten? Oder würde das in einem Blutbad enden?
In mir tobte jetzt ein Konflikt, weil ich nicht mehr wusste, was richtig, was falsch oder was ich überhaupt tun sollte.
Wir sind an dem Punkt, an welchem wir dir keine Hilfestellung geben können. Es kommt jetzt auf dein eigenes Urteilsvermögen an. Vertraust du auf dein Herz, deinen Bauch oder deinen Verstand?, hörte ich die Stimme des Allvaters in meinem Kopf und erstarrte. War ich wirklich dieses mal auf mich alleine gestellt?
Mein Verstand sagte mir, ich sollte die beiden Männer zusammenbringen und sehen, was dann passiert. Außerdem wäre es vielleicht auch für Arno dann später von Vorteil, wenn sein Vater bereits bekannt wäre mit der Familie de la Sérre. Auch wenn sie keine Einigung hinbekämen, sie wären sich aber schon mal begegnet, kannten die Namen und würden vielleicht langsam anfangen umzudenken.
„Monsieur de la Sérre, es mag sich jetzt forsch anhören, aber ich wäre mehr als dankbar, wenn ihr wenigstens ein paar Worte mit dem hiesigen Großmeister der Assassinen haben könntet. Ich bin sicher, dass man…“ er ließ mich aber nicht ausreden.
„Ihr meint diesen Dorian? Wisst ihr eigentlich wie er meinen besten Mann, Gilbert Saufrid, dahin gemetzelt hat? Und das nur, weil er einer falschen Fährte gefolgt war! Diese Meuchelmörder folgen nicht mehr ihrem Kredo, in welchem die Klinge fern von unschuldigem Fleisch gehalten werden soll. Nein, im Gegenteil, sie töten oft blindlings und nur aufgrund eines Befehls!“ seine Stimme hatte sich erhoben und wir erweckten langsam Aufmerksamkeit, unerwünschte wenn ich das so sagen darf!
„Das war mir nicht bekannt, verzeiht mir.“ meinte ich leise und setzte an, um ihm doch noch das Treffen schmackhaft zu machen. Aber mein Mann hatte beschlossen, auch seine Meinung einzuwerfen.
„Natürlich ist das ein herber Verlust. Glaubt mir, auch ich kenne so etwas. Mein heutiger bester Mann, Shay Cormac, war einst selber Assassine und hat mir einige unserer Männer genommen, eben wegen eines fehlgeleiteten Befehls seines Mentors. Ich weiß, wie ihr euch dabei fühlt, aber vergesst nicht, jeder Mensch kann sich ändern, wenn er denn gewillt ist, Veränderungen zuzulassen. Das ist ein langwieriger Prozess, welcher eben nicht über Nacht stattfindet. Versteht doch, es geht hier um mehr als nur zwei verfeindete Bünde. Gemeinsam können wir mehr erreichen und der Menschheit zur Seite stehen, den Menschen helfen sich zu verteidigen!“ In Haythams Stimme lag eine solche Leidenschaft für die Sache, dass ich hoffte, sie würde auf den Franzosen überspringen. Doch leider…
„Nein, ich denke, dass wäre alles noch zu verfrüht und ich werde einige Zeit darüber nachdenken und mich beraten müssen! Außerdem wird dieser Dorian am morgigen Ball ebenfalls hier erscheinen, wenn ihr also die Güte hättet, mich nicht in ein Gespräch mit ihm zu verwickeln? Ich wäre euch unendlich dankbar, Master Kenway!“ meine Hoffnung auf die Einigung und den Waffenstillstand in Frankreich verpuffte wie eine Seifenblase und ich rutschte enttäuscht auf dem Sofa zusammen.
„Wenn ihr meint, dann lasst es eben!“ hörte ich mich sagen und erschrak selber über meine patzigen Worte. Beide Herren sahen mich mit großen Augen an. „Was denn? Wer nicht will der hat schon!“ wieder diese ungezügelten Worte und ich hielt mir die Hand vor den Mund, entschuldigte mich und rannte hinaus in den Garten.
Was war das auf einmal? Mein Pirat war nicht in meinem Kopf, Hrymr konnte es auch nicht sein, weil Haytham ihn auch gespürt hätte. Ich fühlte mich aber ganz normal, doch ich würde einfach nicht so reagieren.
… ahhhhhhh, es beginnt langsam … diese Stimme hatte ich schon gehört, als Shay mit dem Chemiker zu tun gehabt hatte. Hing es mit meiner Rückführung zusammen, welche die Götter geplant hatten? War es wie dieser Sickereffekt, von dem ich gelesen hatte? Aber ich war nie im Animus, hatte nie diese genetische Verbindung zu meinen Vorfahren.
Das brauchst du auch nicht Kind, du bist deine Vorfahrin! Hab aber keine Angst, ihre Art und ihr Wesen entsprechen dir völlig. Ihr seid euch mehr als ähnlich, äußerlich wie auch geistig! Auch sie ist eine Kämpferin und trägt ihr Herz auf der Zunge!
Odins Worte waren in diesem Moment zwar verständlich, aber einfach nicht hilfreich! Wie erklärte ich bitte mein Verhalten dem Franzosen?
Langsam beruhigte ich mich wieder und ging zurück zu den beiden Herren, welche sich angeregt unterhielten. Hatten sie doch noch einen gemeinsamen Nenner gefunden? In mir keimte eine kleine Hoffnung auf!
„Ah, Mistress Kenway, ich hoffe, euch geht es wieder besser. Euer Gatte erklärte mir euer Verhalten. Diese schweren Schicksalsschläge, welchen ihr ausgesetzt ward, sind wirklich nicht leicht zu verarbeiten. Ich wünsche euch baldige Genesung für eure Hysterie.“ meinte de la Sérre milde lächelnd. Für einen Moment war ich versucht zu fragen, ob er mich auf den Arm nehmen wollte? Hysterie? Sein Ernst? Wütend funkelte ich Haytham an, welcher nur entschuldigend die Schultern hochzog.
Ich atmete tief durch, ehe ich antwortete. „Das hoffe ich auch, Monsieur de la Sérre. Es waren schlimme Zeiten und es ist noch nicht vorbei.“ da ich nicht wusste, WAS genau mein Mann ihm erzählt hatte, beließ ich es bei diesen wenigen Worten.
„Meine Schwester ist durch eine ebensolche Hölle gegangen, hat sich aber nie davon erholen können. Vor ein paar Jahren hat sie sich dann das Leben genommen, weil sie die Schmach nicht ertragen konnte.“ sprach er von einer Vergewaltigung?
Und jetzt erzählte er mir, wenn auch etwas zögerlich und in mehr als gemilderter Form, was seiner Schwester widerfahren sei.
Eines Nachts seien Männer in ihr Familienanwesen eingedrungen, auf der Suche nach Silber und Wertsachen. Als sie aber nicht fündig wurden, ging man zu der Schändung der weiblichen Bewohner über. Man verschonte niemanden! Mehr sagte er nicht, er ließ nur traurig die Schultern sinken und starrte für einen Moment ins Leere.
Diese Eindringlinge waren aber keine Assassinen, wie er später wohl von seinem Vater erfuhr. Es waren einfache Diebe, welche, wie er es nannte, auf der Durchreise waren. Es waren schon einige Einbrüche, Diebstähle und ähnliches begangen worden, aber die Familie de la Sérre wähnte sich in Sicherheit, weil sie nicht reich gewesen sein.
Danach war seine Schwester, damals gerade mal 15 Jahre alt, in tiefe Depressionen gestürzt und hatte kaum noch das Haus verlassen. Nur ihre Gouvernante hatte noch Zugang zu dem Mädchen und fand sie schließlich an einem Juli Morgen in ihrem Bett mit aufgeschnittenen Pulsadern!
Mir wurde ganz anders bei dem Gedanken und dieser Mann tat mir unendlich leid. Er selber war zu dem Zeitpunkt erst 17 und konnte den Verlust kaum ertragen. Der Franzose beschloss daher, niemandem mehr zu vertrauen, sondern sich den Templern anzuschließen, wie es sein Vater verlangte. Nur sie würden ihm diese Sicherheit, die Ordnung und Struktur geben können, in welcher er Frieden finden würde.
Diese Trauer in seiner Stimme trieb mir die Tränen in die Augen!
„Jetzt wisst ihr, warum ich euer Verhalten gerade sehr wohl nachvollziehen kann. Doch ich kann nicht gutheißen, dass ihr, trotz alle dem, den Assassinen beistehen wollt, wo es doch eben genau DIESE waren, welche die abscheuliche Tat an euch begangen haben…“ sprach er nach einer kurzen Pause.
„Es stimmt, es waren Meuchelmörder. Fehlgeleitete Männer, welche einem Befehl gefolgt waren, der ebenfalls auf einer Lüge aufbaute. Sie haben ihre gerechte Strafe bekommen und ich werde mich auch noch an ihrem Drahtzieher rächen! Dennoch bedenkt, dass nicht ALLE so sind und es auch in den Reihen der Assassinen mitunter kriselt und sie ihr Kredo hinterfragen!“ in seinen braunen Augen sah ich eine gewisse Milde.
Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Ihr seid hartnäckig, Mistress Kenway, das muss ich euch lassen. Aber bitte! Lasst mir Bedenkzeit, ich bin ja auch nicht alleine um eine so große weitreichende Entscheidung zu treffen, welche auch eine so riesige Auswirkung auf die Politik haben kann! Ich möchte nicht unbedacht handeln!“
Er erhob sich und wir verabschiedeten uns noch, mit dem Hinweis, dass wir uns freuen, ihn morgen auf dem Ball wieder zusehen.
Als Haytham und ich wieder alleine waren, saß ich einfach nur da und starrte vor mich hin.
„Wir wussten, dass es nicht immer so leicht werden würden, mi sol. Mach dir keine Sorgen, es ist weder deine noch meine Schuld. Gib ihm Bedenkzeit und er wird sicherlich anders denken.“ in seinen Augen lag ebenfalls diese Zuversicht, dass wir den Franzosen auf unsere Seite ziehen könnten.
„Vielleicht hat er aber recht und wir sollten ihn nicht mit Monsieur Dorian zusammen bringen. Die Zeit ist noch nicht reif, irgendwie spüre ich es auch, so als würde man noch etwas anderes abwarten müssen.“ grübelte ich ein wenig vor mich hin.
„Spätestens wenn de la Sérre den kleinen Arno aufnimmt, wird es anders werden. Aber das ist erst in etlichen Jahren. Ich weiß gar nicht genau wann, ich sah nur Shay, wie er Dorian ermordet und wie der Junge bei der anderen Familie aufgenommen wird. Wird er das wirklich tun? Ich meine Shay!“
Haytham hatte es doch gesehen, oder nicht? „Ja, wird er. Wegen der Schatulle, er erfüllt seinen Auftrag.“ antwortete ich etwas traurig, weil ich ja auch diese Geschichte kannte. Aber keine wirklichen Bilder vor Augen hatte.
„Ich kann sie dich sehen lassen, Alex!“ kam es scharf von meinem Mann und ich sah ihn erschrocken an.
„Das ist nicht nötig!“ meinte ich ebenso hart. „Ich brauche frische Luft!“ mit diesen Worten eilte ich hinaus in den Garten!
Cormac befolgte Haythams Befehle! Warum hatte mein Mann aber mit seiner Autorität plötzlich solche Probleme? Ich war sicherlich nicht Schuld an diesem Dilemma, im Gegenteil, ich würde es jetzt, spätestens morgen einfach nicht geschehen lassen können. Ein Satz und die Geschichte würde sich ändern, doch wo ständen wir dann? Was passierte dann mit dem Artefakt? Das Risiko ist einfach nicht überschaubar!, huschte mir der Gedanke durch den Kopf.
Aus den Augenwinkeln sah ich einen Diener mit einem Tablett an mir vorbei eilen und ich winkte ihn zu mir. Es war Champagner und ich nahm mir dreist gleich zwei Gläser, wer weiß, wann er wieder hier vorbeikommt.
„Danke, dass du auch an mich gedacht hast.“ hörte ich die Stimme meines Mannes hinter mir und drehte mich erschrocken rum.
„Ja… natürlich… hier bitte…“ und reichte ihm eines der Gläser.
„Alex, es tut mir leid. Wirklich. Aber diese Bilder sind in meinem Kopf und lassen mich immer wieder an die Nacht des Überfalls denken. Ich sehe nicht Charles Dorian dort liegen, sondern meinen Vater und wenn ich aufblicke sehe ich Shay dort stehen. Es vermischt sich und das ist einfach nicht richtig, aber ich kann es nicht abstellen.“ seine Worte kamen wie ein Wasserfall aus ihm heraus.
„Daran hatte ich auch schon gedacht, die Geschichte wiederholt sich, Haytham. Deswegen wollte ich dir eigentlich gar nicht davon erzählen. Doch nun weißt du es. Ist es wirklich so besser?“ mein Blick ruhte auf dieser perlenden Flüssigkeit in dem Kelch in meinen Händen, ich traute mich nicht aufzusehen. Dann legten sich Haythams Finger unter mein Kinn und hoben es an, so dass ich ihn ansehen musste.
„Nein, es ist nicht besser. Wir müssen beide anscheinend noch lernen, diese Vergangenheit zu vergessen oder besser auszublenden. Und nein, die Geschichte wiederholt sich nicht ganz. Der Junge wird zu den Assassinen gehen, oder? Also folgt er seinem Vater nach! Während er mit de la Sèrres Tochter ebenfalls den Wunsch hat, Orden und Bruderschaft zu vereinen. Auch sie haben diesen Wunsch! Vielleicht müssen wir hier in Frankreich wirklich noch warten, bis die Zeit reif ist.“ Warten? Geduld haben? Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen!
„Ja, du wirst in diesem Falle wohl wirklich Geduld beweisen müssen, mi sol“ seine Stimme war wieder warm und in seinen Augen lag dieser liebevolle Ausdruck.
„Aber nur, wenn du mir dabei hilfst, mi amor.“ ich konnte nicht anders, ich musste ihn küssen, so wie er auf mich herunter sah und… seine freie Hand mich an sich drückte!
Bevor wir jedoch auf die Suche nach ein wenig Privatsphäre gehen konnten und ich mein Versprechen, meinen Mann zu wärmen, einlösen konnte, hörten wir aufgeregte Stimmen aus dem Freizeitraum!
Als wir näher kamen, klang es aber nicht bedrohlich oder ängstlich! Im Gegenteil, man hörte Getuschel und wir vernahmen die Worte, dass der König Hof hielt. Man sei ja so froh, dass er endlich auch den Weg zu seinem Volk gefunden hätte und so weiter. Zu seinem Volk? Nun gut, ich hätte die Ansammlung hier zwar Gäste genannt, doch nun gehörte ich zum Volk. Solange es kein billiges Fußvolk ist., ging es mir durch den Kopf.
Nachdem Haytham mich durch die Menge an Menschen bugsiert hatte und ich endlich etwas sehen konnte, klappte mir mein Mund auf.
DAS war König Ludwig? Ich hatte Bilder von ihm Kopf, welche ich damals im Internet gesucht hatte. Doch das hier wurde dem nicht gerecht! In feinen weißen Zwirn gehüllt schritt dieser Mann durch die Grüppchen. Dunkle Haare, keine Perücke wie ich eigentlich vermutet hatte, mit einem feinen Gesicht und hohen Wangenknochen. Dazu dunkelbraune Augen und eine sehr imposante Stimme, welche nicht zu überhören war.
Ich sah zu Haytham, welcher ebenso mit offenem Mund da stand und sich nicht rührte. Ich beobachtete die anderen Personen hier im Raum und verinnerlichte das, was sie taten. Sobald der König mit seiner doch sehr großen Gefolgschaft in unsere Nähe kam, sollte ich schon einen ordentlichen Knicks machen.
Eine gefühlte Ewigkeit später kam Bewegung in unsere Reihe, er kam näher und begrüßte tatsächlich alle, mit den Worten er freue sich auf den kommenden Ball und dass man erschienen sei zu diesem Anlass.
Mit zittrigen Knien hing ich gebeugt an der Seite meines Mannes, welcher sich tief beugte und dann sah ich die hellen Schuhe vor mir. Eine beringte Hand tauchte in meinem Blickfeld auf und deutete mir, mich zu erheben.
„Ich freue mich, dass ihr mir die Ehre erweist, an meinem jährlichen Ball teilzunehmen und dass ihr meiner Einladung ganz aus Amerika gefolgt seid.“ damit ging er zu meinem Gatten, auch er wurde mit den gleichen Worten bedacht. Ehe ich aber nachfragen konnte, woher er das wusste, hörte ich seinen Lakaien, welcher ihm die nötigen Informationen immer zuflüsterte. So etwas wie die Souffleuse beim Theater und ich musste ein Kichern unterdrücken.
Sein Gefolge bestand aus eben diesem Lakaien, drei Herren mit gepuderten Perücken und feinen Gehröcken in Seide, einigen Damen, welche sich kichernd hinter ihren Fächern versteckten und einem alternden Mann, der das Schlusslicht bildete. Dieser schien lediglich dafür da zu sein, dass niemand den König hinterrücks belästigen konnte.
Diese ganze Prozedur dauerte ungefähr eineinhalb Stunden und es war eine Erleichterung, als wir uns wieder normal bewegen durften.
„Mi amor, versteh mich nicht falsch, aber Ludwig sieht wirklich gut aus. Auf den Bildern und Portraits konnte ich das gar nicht so erkennen.“ meinte ich etwas abseits jetzt von den anderen Leuten.
„Und wieder hatte ich verdrängt, dass du ja schon weißt, wie diese Personen aussehen. Aber keine Sorge, ich bin dir nicht böse, mi sol. Solange du ihm nicht hinterher schmachtest und gleich das Bett mit ihm teilen willst…“ sein breites Grinsen überspielte seine doch recht ernstgemeinten Worte.
„Muss ich dich immer daran erinnern, dass nur du für meine schmutzigen Gedanken und meine Lust zuständig bist, mi amor?“ hauchte ich an seinem Hals und fuhr mit meinen Lippen hinauf zu seinem Mund.
„Nein, aber du könntest es mir mal wieder beweisen!“ diese raue Stimme ließ mich erschauern und ich wäre am liebsten über Haytham hergefallen.
„Monsieur, Madame! Eure Majestät bittet euch zu einer Audienz um 5 Uhr in sein Studierzimmer!“ kam es von einem jungen Diener, welcher sich tief vor uns verbeugte und uns dann wartend ansah. Mussten wir jetzt zusagen, oder wartete er auf ein Trinkgeld?
„Wir werden pünktlich erscheinen und fühlen uns geehrt von dieser Einladung!“ antwortete Haytham und der junge Mann verschwand in der Menschenmenge.
„Was habt ihr doch für ein Glück, Madame! Wir warten schon seit Wochen auf diese Gelegenheit, aber er scheint uns zu ignorieren.“ hörte ich die wütende Stimme eines Herrn neben mir.
„Das tut mir sehr leid, Monsieur. Aber wir sind auch mehr als überrascht von dieser Audienz, wir hatten nicht damit gerechnet.“ mein Templer war wieder in seine übliche Rolle gerutscht und erntete weiterhin einen bösen Blick.
„Dann wünsche ich gutes Gelingen, Madame… Monsieur…“ damit entfernte sich der Mann.
Missgunst unter den Höflingen war nichts ungewöhnliches, wie ich aus den Geschichtsbüchern wusste. Jetzt wurde sie mir aber vor Augen geführt und ich sah, warum das so war. Es schien eine Art Ordnung zu geben, wer wann zum König vorgelassen wurde. Hier ging es nicht nach Termin, sondern nach der Gunst des Herrschers und die hatten wir anscheinend inne.
Mir erschloss sich aber nicht, warum wir zu ihm sollten. Im Grunde waren wir wegen des Balls hier und weil unser neuer Geschäftspartner ein gutes Wort für uns eingelegt haben muss.
„Du meine Güte, meinst du de Gooijer ist mehr als nur ein einfacher Händler, Haytham?“ dieser Gedanke war nicht einmal abwegig, weil wie konnte dieser Mann so etwas erreichen?
„Könnte sein, mi sol. Ich habe auch schon darüber nachgedacht.“ grübelte er vor sich hin und bevor er noch etwas sagen konnte, hörten wir eine weitere vertraute freudige Stimme.
„Mistress Kenway! Master Kenway!“ und ein kleiner bebrillter Herr eilte freudig auf uns zu! Benjamin Franklin! Sollte er nicht eigentlich noch in London sein und sich um das Gegengift und ähnliches kümmern?
„Master Franklin, es freut mich euch hier zu sehen. Ich hoffe, eure Überfahrt war nicht beschwerlich?“ begrüßte ich ihn erleichtert, weil ich englisch sprechen konnte.
„Es war etwas windig, Mistress Kenway, aber nichts im Vergleich zu der Segelei über den Atlantik.“ lachte er und ließ meine Hand los um auch meinen Mann ebenso herzlich zu begrüßen.
Er wäre hierher eingeladen worden, weil man auf seine Experimente aufmerksam geworden war und seine Hilfe benötigte im Bezug auf ein paar seltsame Vorfälle hier im Palast und allgemein in Paris. Genaueres hatte man wohl auch ihm noch nicht mitgeteilt und hielt sich diesbezüglich sehr bedeckt.
„Dann werdet ihr König Ludwig also auch persönlich vorgestellt werden bei einer Audienz, nehme ich an?“ fragte Haytham und der Wissenschaftler nickte freudig.
„Ich bin gerade rechtzeitig hier erschienen wie es scheint, weil er mich um fünf zu sehen wünscht!“ sein Blick glitt von einem zum anderen.
„Das freut mich, dann werden wir gemeinsam dort erscheinen.“ ich fragte mich allerdings, warum und jetzt fiel mir auch auf, dass wir nicht im Audienzsaal auf ihn treffen würden! Man hatte uns gesagt, er wolle uns in seinem Studierzimmer in Empfang nehmen!
Alles Grübeln würde jetzt aber nicht helfen, wir müssten es abwarten und so machten wir uns daran, mit Benjamin ein wenig in den Park zu gehen. Ich hatte eine unserer Wachen gebeten, Sybill mit Edward zu uns zu bringen, weil wir jetzt etwas Zeit hatten.
Master Franklin zeigte sich erfreut, als er unseren Sohn sah. „Was für ein hübscher Junge. Wie heißt der junge Herr denn?“ und er streckte ihm die Hand entgegen. Skeptisch sah unser Sohn den Herrn vor sich an und zack, hatte er die Brille in der Hand und fing an, sie mit dem Mund zu bearbeiten.
Schnell entzog ich ihm das neue Spielzeug, ging zu einem der Brunnen und versuchte die Augengläser wieder zu reinigen.
„Das ist doch nicht nötig, Mistress Kenway.“ lachte Ben hinter mir und nahm mir seine Sehhilfe aus der Hand. „Glaubt mir, meine Kinder haben schon mehrere Exemplare zerstört, weil sie mit ihnen spielten.“
Mein Sohn war sichtlich enttäuscht, dass er nicht damit spielen durfte und heulte an Haythams Schulter, welcher versuchte ihm sein Verhalten zu erklären. Wie war das? Reden bringt noch nichts! Die Worte des werten Vaters!
Als dann die Gläser wieder frei von Sabber und Patschhänden waren, reichte Franklin sie wieder Edward. Besser er ließ ihn hindurch sehen und für einen Moment hatte ich den Eindruck, als wäre unser Sohn mehr als erstaunt was er nun sehen konnte.
„Kann es sein, dass Master Edward eine Sehschwäche hat? Ich möchte nicht unhöflich sein, aber das Verhalten deutet schon jetzt darauf hin.“ er konnte Recht haben, weil ja auch Haytham damals nicht richtig sehen konnte.
„Mamaaaaa…“ kam es nur atemlos von meinem kleinen Schatz und zeigte auf mich mit offenem Mund. Plötzlich begann er zu lachen und schien um mich herum zu schauen mit diesem Schleier über seinen graublauen Augen. Begeistert begann er nun von einem zum anderen zu sehen und blieb bei Sybill hängen, welche er ohne eine Regung zu zeigen, anstarrte. „Sisi… aaaaaaaaam“
Irgendwie fehlten mir die Worte gerade, nicht nur mir, auch Haytham sah auf diese seltsame Szene.
„Ich… es ist erstaunlich, aber ich hatte ja keine Ahnung, was meine Brille bewirken kann.“ hörte ich Benjamin völlig perplex sagen.
„Wir auch nicht, Master Franklin. Darf ich mir eure Sehhilfe einmal genauer ansehen?“ fragte ich etwas zögerlich und nahm sie dann unserem Nachwuchs ab, unter Protest seinerseits, wohlgemerkt.
Ich sah hindurch und es schien, als sei Franklin kurzsichtig. Ich kannte es aus meiner Familie, da waren einige damit gesegnet. Ich reichte sie aber nun wieder ihrem Besitzer und wir überlegten gemeinsam, wie man einem so kleinen Kind mit Augengläsern weiterhelfen konnte.
Ben und ich fachsimpelten über ein kleines Gestell und wie die Gläser geschliffen werden mussten, damit sie nicht zu groß sind. Neben mir bemerkte ich wie Haytham lächelnd dasaß und seinem Sohn beruhigend zuredete.
„Deine Mutter plant etwas zu bauen, was dich besser sehen lässt und jetzt würde ich zu gerne wissen, WAS du gerade gesehen hast.“ flüsterte er Edward zu.
Es verging mindestens noch eine Stunde, ehe wir übereinkamen, dass wir uns, zurück in Amerika, zusammen setzen werden und eine solche Sehhilfe fertigen werden. Bei diesen Worten hörten wir eine Leibwache des Königs, welche uns nun bat, ihr zu folgen.
War die Zeit so schnell vergangen? Ich verabschiedete mich noch mit einem dicken Schmatzer von meinem kleinen Schatz und wir folgten der Wache in das Studierzimmer des Königs!
Warum ich so nervös wurde konnte ich gar nicht wirklich erklären. Ich war nicht alleine, es war eine Einladung der man folgte… aber es war König LUDWIG… es war eine historische, wichtige Persönlichkeit! Noch nie, bis auf King George III und auch eher beiläufig, war ich so wichtigen Menschen begegnet!
Die Türen wurden geöffnet und wir traten in einen Raum, welcher die Größe unseres Wintergarten hatte! Auch war es genauso hell hier, weil die Fenster bodentief waren und es eine Vielzahl davon ringsum gab. Die Regale mit den vielen Büchern, Skulpturen und Büsten lockten mich regelrecht, doch ich musste mich konzentrieren um beim König zu bleiben.
Dieser stand mit dem Rücken zu uns an einem der geöffneten Fenster – wie unvorsichtig – und schien in Gedanken versunken zu sein.
Erst als die Wache sich räusperte, wandte er sich um und sah uns wohlwollend lächelnd an.
Zu meinem Erstaunen sprach er englisch, eigentlich war ich erleichtert nicht erstaunt, und tat seiner Freude kund, dass wir erschienen sein.
In diesem Raum gab es nur Wachen, seine Gefolgschaft insbesondere die Damen – welche vermutlich seine Mätressen darstellten – waren nicht anwesend. Aber ich wusste, die Wände hatten überall Ohren… ich schweife ab.
„Bitte, nehmt Platz.“ und er setzte sich uns gegenüber an den ausladenden Schreibtisch, auf welchem sich einige Papiere stapelten, Tintenfässer nebst Federn und einem filigranen Kerzenleuchter zu finden waren.
„Es ist mir eine Ehre, heute hier sein zu dürfen, eure Majestät.“ Franklin setzte sich gelassen auf seinen Stuhl.
Mir fehlten noch die Worte, aber Haytham fand sie und bedankte sich ebenfalls für diese Audienz, dann setzten auch wir uns.
„Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich musste abwarten bis Master Franklin ebenfalls angereist ist. Und ich komme auch gleich auf ein sehr delikates Anliegen.“ eine kleine Pause trat ein, in welcher sich Ludwig versuchte eine Strategie zurechtzulegen, so hatte es den Anschein.
„Wie es sicherlich schon bekannt ist, ist Madame de Pompadour vor einigen Monaten auf eine, nunja, eher unerklärliche Weise verstorben. Ihr Verlust schmerzt mich zutiefst. Sie war eine wichtige Person in meinem Umfeld, welche mir immer beratend zur Seite stand! Mein Minister ist seitdem ein treuer Begleiter geworden, welcher aber immer mehr mein Misstrauen erweckt!“ wieder eine Pause und er sah uns nacheinander an, nickte dann, als wolle er eine Zustimmung, dass wir verstanden hatten.
Langsam setzte er nun seine Erzählung fort. „Monsieur Choiseul, mein Minister wie ihr wisst, legt es darauf an, mich in einem guten Licht zu präsentieren. Seit aber Madame de Pompadour verstorben ist, zieht er Marie-Louise O’Murphy in seine Belange mit ein und bespricht sich mit ihr.“ wieder trat eine kurze Pause ein. „Ich muss mittlerweile davon ausgehen, dass der Tod von ihrer Vorgängerin nicht ihrer Gesundheit geschuldet ist, wenn ihr versteht was ich meine.“ seine Stimme hatte einen verschwörerischen Unterton angenommen.
Zur Bestätigung nickten wir lediglich und ich war gespannt, was noch alles aus dem Nähkästchen geplaudert würde. Man vermutete, dass hier mit Gift gearbeitet wurde. Nicht immer sichtbar, sprich es wurde nicht wie üblich unter das Essen oder in die Getränke gemischt, sondern es schien auch über die Luft verabreicht werden zu können. Auch in Paris selber war es zu einigen unschönen und seltsamen Todesfällen gekommen. In der Bevölkerung, wie auch bei Adligen und Mitgliedern der Räte.
Plötzlich verlor Master Franklin jegliche Farbe im Gesicht und stützte seinen Kopf in seine Hände! „Das… ich hatte doch keine Ahnung… Wie kommt es hierher… wir konnten doch die Lager räumen… auch in London!“ Völlige Verzweiflung und vor allem Schuldgefühle waren in seiner Stimme zu vernehmen!
„Master Franklin, seid ihr euch sicher? Deswegen habe ich euch eigentlich auch rufen lassen! Mir ist zu Ohren gekommen, dass ihr von derlei Anschlägen und dem Gift wusstet. Und mir wurde gesagt, ihr seid ein Experte auf dem Gebiet, Gegengifte zu entwickeln!“ die Stimme Ludwigs nahm einen fordernden Ton an und Ben sah ihn wie ein verschrecktes Kaninchen an.
„Eure Majestät, ja… ich… habe… aber ich konnte doch nicht wissen… ich ging davon aus, dass es zum Wohle der Menschen getan wurde. Aber wir haben ein Gegengift, mehrere Varianten, weil ich davon ausgehen muss, dass es auch weiterentwickelt wurde.“ er wurde immer leiser in seiner Erklärung und schien immer kleiner zu werden.
„Wenn ich bitte etwas dazu sagen darf, eure Majestät.“ begann ich und Ludwigs Kopf schoss zu mir herum, mit wütendem Blick, welcher aber nicht meiner Einmischung galt.
„Eine Intrige, ich wusste es!“ fauchte er plötzlich und schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch.
„Nicht unbedingt, eure Majestät. Bitte, lasst es mich erklären!“ meine Stimme klang schon wieder eher bettelnd, weil ich eigentlich gar nicht wusste, wie ich mich diesem Mann gegenüber verhalten sollten. „Wir können dem entgegenwirken. Doch brauchen wir zu aller erst Zeugenaussagen, Personen die etwas gesehen haben, oder auch einfach Gespräche mitangehört haben.“
Ein huldvolles Nicken, welches mich an dieses herablassende von Lady Melanie erinnerte, sagte mir, ich solle fortfahren.
„Es ist wichtig herauszufinden, wo euer Minister zu der Zeit war, oder auch Mrs O´Murphy! Welche Kontakte sie hatten und vor allem, wer Zugang zum Palast hat. Sie gehören zu den Hauptverdächtigen!“ mein Gehirn arbeitete und dachte sich einen Plan aus, welcher alles und jeden hier umfasste. Doch das würde Monate in Anspruch nehmen, also würden wir bei den beiden anfangen müssen. Minister und derzeitige bevorzugte Mätresse, was mir etwas widerstrebte, weil ich diese Frau wie eine Affäre sah. Ludwig ging seiner Frau fremd! Nein, es war nicht meine Zeit, ich musste umdenken… ein neues Mantra? Ja, das sollte ich mir dringend aneignen!
„Wie stellt ihr euch das vor, Mistress Kenway? Ihr könnt nicht einfach so eine Untersuchung beginnen! Es wird Misstrauen und Gerede hervorrufen!“ kam es vorwurfsvoll von Ludwig. „Und ich möchte nicht, dass Miss O´Murphy behelligt wird! Sie steht mir treu zur Seite!“ innerlich rollte ich mit den Augen. Diese Frau hatte ihn um den Finger gewickelt und steuerte ihn und seine Gefühle. Verdammt!
„Wir sollen ein Verbrechen aufklären! Dafür muss man aber alles und jeden in Betracht ziehen!“ sprach Ben wie beiläufig und hatte sich vermutlich auch schon einen Plan zurechtgelegt!
„Gehe ich also recht in der Annahme, dass ihr meine engsten Vertrauten verdächtigt?“ Ludwigs Stimme klang entsetzt und völlig ungläubig. So naiv konnte dieser Mann doch nicht sein, nicht dieser doch recht imposante und autoritäre Monarch, welcher souverän auftritt!
Wir versuchten nun ihn umzustimmen, ihm zu erklären, worauf wir achten müssten und wer als Verdächtiger für den Mord am ehesten in Frage kam. Von dort könnten wir dann die Liste abarbeiten, auch wenn ich hoffte, dass wir das nicht noch monatelang machen mussten. Ich wollte auch irgendwann wieder nach Virginia aufbrechen.
„Wir werden also als erstes Miss O´Murphy befragen, im Beisein eurer Majestät, wenn es gewünscht ist und dann werden wir weiter nach der Liste vorgehen.“ Haytham war in seine Templerrolle gefallen und hatte, wie ich sah, ebenso einen detaillierten Plan vor Augen.
„Ich sehe schon, ich habe meine Wahl sehr weise getroffen, Master Kenway! Euer Ruf eilt euch voraus!“ kam es anerkennend von dem Monarchen und ich sah etwas erstaunt auf meinen Gatten. WELCHER Ruf? Woher wusste er… Das Königshaus wusste um die Templer und Assassinen! Natürlich, sie machten sich diese Organisationen zu Nutze! Je nachdem spielte man eine Partei gegen die andere aus!
Oh, was für ein perfides Spiel diese Könige doch trieben und in mir kroch Wut hoch! Es war doch immer das gleiche.
Man ließ als erstes den Minister rufen, Mrs. O´Murphy wollte der König persönlich informieren, wenn ihre Aussage gewünscht wird. So wirklich passte mir das nicht, so wäre diese Frau vorgewarnt. Leider musste ich mich dem Ganzen nun fügen!
Monsieur Choiseul trat nach einer viertel Stunde ein und verbeugte sich tief vor seinem König!
In diesem Moment fiel mir auf, dass die Königin bisher noch nicht in Erscheinung getreten war und ich fragte mich, ob wir sie nicht auch noch befragen sollten!
„Eure Majestät, ihr ließet mich rufen?“ seine Stimme war sehr melodisch und ruhig. Sein Blick ging erwartungsvoll von einem zum anderen.
„Sehr richtig, Minister! Nehmt bitte Platz!“ der Angesprochene setzte sich und faltete die Hände im Schoß. „Wir müssen annehmen, dass Madame de Pompadour keines natürlichen Todes gestorben ist und diese Herrschaften hätten ein paar Fragen bezüglich eurer Involviertheit!“ sprach Ludwig mit starrem Blick auf den Herren vor sich gerichtet.
„Natürlich gebe ich bereitwillig Auskunft, wenn ich helfen kann, eventuelle Missverständnisse aus dem Weg zu schaffen!“ in sein Gesicht trat ein Lächeln und er straffte die Schultern.
Haytham begann als erster die Befragung und hatte sich dabei erhoben. Er schritt langsam an den Regalen entlang, als müsse er sich sammeln. „Monsieur Choiseul, wie standet ihr zu der Verstorbenen? Wie würdet ihr eure Beziehung beschreiben?“ seine Stimme hatte einen kühlen Ton angenommen.
„Sie war eine Vertraute von mir und wir pflegten eine enge Freundschaft. Auch halfen wir uns gegenseitig, das Beste für den König und seine Königin zu erreichen. Das Wohlergehen ihrer Majestäten liegt uns allen natürlich am Herzen und steht an erster Stelle!“ der letzte Satz kam sehr entschieden vom Minister und ließ keinen Zweifel daran, dass ihm wirklich wichtig war, wie der König auf die Untertanen wirkte.
Natürlich war eine Frage unausweichlich, nämlich ob die beiden eine Affäre pflegten, ob sie jemanden eifersüchtig gemacht haben könnten oder ob eventuell auch Feinde an der Tat beteiligt gewesen sein könnten. Alles verneinte der Herr, meinte aber beiläufig, dass es sicherlich Widersacher des französischen Königshauses gäbe und man davor nie gefeit sei! Damit hatte er Recht, also stand immer noch die Frage im Raum, ob er wüsste, wie die Mätresse des Königs ums Leben kam.
„Ihre Kammerzofe fand sie am Morgen leblos in ihrem Bett vor, Maîtresse Kenway! Es war ein grauenhafter Anblick.“ bei diesen Worten senkte er betrübt den Kopf und sah zu Boden. Die Dame hatte sich in ihrem Todeskampf noch erbrochen und das Bett war völlig zerwühlt. Es fehlte aber nichts aus ihrem Besitz, auch fand man keine Spuren eines Eindringlings. Der Wein auf ihrem Nachttisch war auch rein, das Obst wies auch keine Giftstoffe auf.
„Das hatte man mir bereits alles schon mitgeteilt.“ hörte ich Ludwig resigniert sagen und auch er hatte sich nun erhoben und schritt auf und ab.
„Verzeiht mir, eure Majestät, aber mehr gibt es auch nicht zu berichten.“ kam es entschuldigend vom Minister.
„Lag ein eigenartiger Geruch in der Luft? Roch es anders als sonst im Zimmer von der Madame?“ fragte nun Franklin leise und sah Choiseul auffordernd an.
„Daran kann ich mich nicht erinnern. Als ich dort eintraf, waren die Fenster bereits geöffnet und man nahm nur, verzeiht, diesen widerlichen Geruch des Erbrochenen wahr.“ Natürlich! Man hatte zum Durchlüften, weil es vermutlich mehr als unangenehm dort roch, die Fenster aufgerissen!
Die Kammerzofe! Wenn sie als erste dort war, wird sie sich vielleicht noch an einen bestimmten Geruch erinnern!
Fürs Erste war nun der Minister entlassen und König Ludwig ging mit ihm hinaus, um Madame O´Murphy zu holen. Vielleicht mussten wir sie gar nicht befragen. Mir lag aber eine andere Frage auf der Zunge, nämlich WONACH es gerochen haben sollte. Ben musste es ja wissen!
Etwas verwirrt sah er mich an und meinte dann trocken. „Also, wenn ich das so sagen darf, es riecht leicht wie Dung, vermischt mit einem beißenden säuerlichen Ton! Es ist schon recht widerlich, wenn man mich fragt.“
Das würde dann bei der Kammerzofe zumindest weiterhelfen. Aber wie hat man das Gift in das Zimmer bekommen? Auf meine Frage deutete mein Gatte auf ein Gitter auf Bodenhöhe in der Wand hier. „Lüftungsschächte, mi sol. Vermutlich hat sich da jemand mit diesen ausgekannt und wusste, wo er das Gift platzieren musste! Wenn wir jetzt darüber nachdenken, wer kennt sich mit solchen Dingen aus?“ in seinem Gesicht lag ein wissendes Grinsen.
„Bauarbeiter unter anderem und derjenige, der die Pläne für den Palast mit entwickelt hat. Die Architekten!“ kam es freudig von Benjamin und er strahlte uns an.
„Also hätten wir noch mehr Personen, die es zu befragen gilt!“ seufzte ich laut und ließ mich auf meinen Stuhl sinken!
Nach dieser Erkenntnis, traten Ludwig und seine neue Mätresse ein. Sie war eine kleine hübsche Frau, welche schüchtern von einem Herrn zum anderen sah und mich dann fragend musterte.
Wir stellten uns vor und wie befürchtet, hatte der König bereits erste Fragen gestellt und sie darauf vorbereitet, dass dies hier eine Art Verhör werden wird. Sie war also schon unterrichtet, aber ich hoffte, dass Madame O´Murphy eine ehrliche Person war.
„Mein König hat mir bereits erklärt, worum es geht und ich bin entsetzt, dass man mich für den Tod von Madame de Pompadour verantwortlich machen will!“ ihre Stimme hatte einen harschen vorwurfsvollen Ton und sie sah jetzt böse von einem zum anderen.
„Niemand sagt, ihr seid die Täterin. Wir sind auf der Suche nach einem möglichen Verdächtigen, Madame. Vielleicht könnt ihr uns einfach behilflich sein, die richtige Person ausfindig zu machen. Ihr kennt euch ja hinreichend im Palast aus und hört auch das Gerede der andern Gäste und Bediensteten!“ sprach mein Mann etwas ruhiger um sie zu besänftigen und es half!
„Natürlich kenne ich mich aus, Monsieur! Ich werde euch sicherlich bei der Suche nach dem wahren Mörder zu Diensten sein.“ bei diesen Worten sah sie Haytham mit leuchtenden Augen an und ich stellte mich demonstrativ neben ihn, nahm seine Hand und drückte zu. Wehe sie kommt meinem Mann zu nahe!
Aber leider konnte diese Frau uns kein Stück weiterhelfen, auch sie hatte weder jemanden verdächtiges in oder aus dem Palast gehen sehen. Es waren die üblichen Personen hier. Auch konnte sie keine Auskunft darüber geben, ob es jemand persönlich auf Madame de Pompadour abgesehen haben könnte. Etwas an ihrer Stimme bei dieser Aussage ließ mich aber aufhorchen, auch weil ihr Blick verstohlen Richtung König Ludwig ging! Nein, er war nicht dafür verantwortlich, aber… könnte es seine Frau gewesen sein, die den Mord in Auftrag gegeben hat? Wäre sie so kaltblütig? Ich hatte sie noch nicht zu Gesicht bekommen, geschweige denn wusste ich mehr als das übliche von ihr aus den Aufzeichnungen!
„Ich habe an dem Tag lediglich mit den Bediensteten noch gesprochen und ihnen Beistand geleistet. Alle waren sehr erschüttert durch diesen plötzlichen Tod.“ ihre Worte klangen ehrlich und auch ihre Stimme war fest!
Ich atmete tief durch und mir ging der Ausdruck, welchen Ludwig vorhin auch schon angebracht hatte wieder durch den Kopf. INTRIGEN! Jeder deckte jeden, oder man bestach die richtigen Leute. Es war doch immer so und es würde sich auch nie ändern.
Wir entließen Madame O´Murphy jetzt und Benjamin bat den König um die Blaupausen des Palastes oder zumindest die der Lüftungsschächte. Außerdem möge doch bitte ein entsprechender Experte hinzugezogen werden.
„Ihr glaubt, es war wirklich dieses Gas in der Luft, welches auch in Paris schon Todesopfer gefordert hat?“ in sein Gesicht trat Entsetzen, weil er im Grunde auch um seine Wenigkeit bangen musste! Auch ihm war das Volk nicht zu 100 Prozent wohlgesonnen.
Nun ja, sein Nachfolger wäre noch schlimmer, ging es mir durch den Kopf.
Das Ganze wurde aber nun auf den nächsten Tag verschoben und ich hoffte, dass der Minister und die Mätresse Stillschweigen bewahren konnten, wir hatten es ausdrücklich erbeten!
An diesem Tag leisteten der König und seine Gattin den Gästen Gesellschaft. „Ich kann mich nicht immer verstecken, denke ich.“ diese Worte klangen nicht wie von einem Monarchen gesprochen, sondern skeptisch wie von einem ganz normalen Mann.
Seine Frau war eine ruhige, aber sehr umgängliche Person. Wir hatten interessante Themen über das Theater, die Parkanlagen und deren Bepflanzungen. Außerdem riet uns König Ludwig, wir sollten uns unbedingt die Stallungen ansehen.
Edward war mit Sybill auch dabei und konnte sich kaum sattsehen.
25 prächtige Pferde waren hier untergebracht und eines schöner als das andere.
Mir wurde nun nacheinander erklärt, welche Rasse das Tier war, wie alt es war und woher es kam. Das Königshaus war unter anderem auch stolz auf die eigenen Züchtungen, wobei diese auch gerne weiterverkauft wurden zu einem guten Preis.
Am Abend, als ich mit Sybill meinen Sohn zu Bett gebracht und mich für das Bankett umgezogen hatte, ging ich wieder hinunter und erhaschte einen Blick auf einen Herrn, welcher eng umschlungen mit einer Zofe in einer Ecke stand.
„Nicht, Monsieur. Wenn uns jemand sieht! Ich verliere meine Anstellung!“ hörte ich die Stimme des jungen Mädchens.
„Nun habt euch nicht so, Michéle! Wenn ihr brav seid, lege ich auch ein gutes Wort beim König für euch ein!“ raunte eine tiefe Männerstimme.
Ein Klatschen folgte und der Herr fuhr erbost diese Frau an „Immer das Gleiche mit euch Weibern. Das wird noch ein Nachspiel für dich haben, du dumme Gans!“ es war leider etwas zu dunkel, ich sah nur fliegende dunkle Rockschöße verschwinden. Es folgte ein junges Mädchen, welches schwer atmend die Röcke richtete und sich hastig umsah, dann aber ihrer Wege ging!
Sie gefiel mir, sie ließ sich nicht auf so einen billigen „Anmachspruch“ ein, auch wenn es zu dieser Zeit mehr als unüblich war, weil jede Frau auf gute Fürsprache angewiesen war. Gerade hier im Palast sollte man auf seinen Ruf achten, doch der war, meiner Meinung nach, durch diese Mätressen Geschichten schon oft dahin!
Ich setzte meinen Weg fort in den Ballsaal, wo sich schon alle Gäste prächtig amüsierten. Meinen Gatten fand ich im ersten Moment nicht und schob mich durch die Menge, als ich ihn umringt von einigen jungen Damen fand. Sie alle sahen mit leuchtenden Augen und roten Wangen zu ihm auf. Als er mich sah, erhellte sich seine Miene und streckte die Hand nach mir aus.
„Darf ich den Damen meine Gattin vorstellen? Maîtresse Alexandra Kenway!“ ich lächelte diesem Hühnerhaufen zu und schmiegte mich an Haytham mit einem triumphierenden Lächeln.
„Oh, ihr seid verheiratet, Monsieur…“ durch die Bank weg hörte man große Enttäuschung aus diesen wollüstigen Mündern.
Nur eine Dame funkelte mich überlegen an. Genau die, die neben mir bei einem der ersten Essen gesessen hatte. Als sie nun an mir vorbeiging hörte ich sie leise an meinem Ohr zischen „Passt gut auf ihn auf, er ist schneller in einem fremden Bett und zwischen willigeren Schenkeln als euren, als euch lieb ist!“
Ich sah auf meine rechte Hand, wo sich der wunderschöne Ring mit dem leckeren Pülverchen befand.
„Nein Alex. Tu es nicht. Nicht hier! Wer weiß, was dann passiert. Denk daran, dass wir gerade dabei sind, einen eventuellen Mord aufzuklären!“ mahnte mich Haytham und ja, er hatte Recht. Aber wenn das erledigt war, dann würde dieses Frauenzimmer noch ihre verdiente Dosis bekommen!
All zulange verbrachten wir nicht im Ballsaal, weil es mir zu warm und stickig wurde. Außerdem stand der eigentliche Sommerball morgen an und ich wollte nicht zu spät im Bett sein!
Draußen trafen wir Benjamin, welcher in ein Gespräch mit einer älteren Dame war. Aus den Wortfetzen vernahm ich, welche an mein Ohr drangen, dass es um die Elektrizität und was er schon alles erforscht hatte ging. Als unser Freund uns bemerkte, bat er uns mit einem Winken, dass wir uns dazugesellten. Man stellte uns vor und so berichtete der Wissenschaftler weiter von seinen Fortschritten.
„Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie diese Spannungen kribbeln auf der Haut. Meine Finger waren eine ganze Woche taub…“ lachte er völlig unbekümmert und mir stellten sich die Nackenhaare auf. Da ich aber wusste, dass Franklin nicht daran sterben würde, beruhigte ich mich ein wenig.
„Maître Franklin, ihr müsst unbedingt weiter daran arbeiten. Wer weiß, zu was man dieses… wie nanntet ihr sie? … Spannung noch verwenden kann! Sie soll ja so hell wie ein Blitz sein, kann man sie aber auch berühren?“ für den Bruchteil einer Sekunde lag mir auf der Zunge „Bist du bescheuert Weib?“, aber woher sollte sie es wissen?
In aller Seelenruhe erklärte er nun weiter und hin und wieder streute ich ein paar „Ideen“ mit ein, bei denen ich sicher sein konnte, nicht in die Geschichte einzugreifen.
Wir hatten dann auch noch eine nette Unterhaltung mit dem Königspaar, welche sich etwas später noch unter ihre Höflinge gemischt hatten. Immer noch war es für mich wie in einem Kostümfilm und völlig unwirklich im Grunde.
Mir wurde bewusst, dass auch diese Personen einfach nur Menschen waren, Gefühle hatten und sich, wie alle anderen auch, Sorgen machten.
Bevor ich jedoch ins Grübeln kommen konnte, zog mein Mann mich mal wieder auf die Tanzfläche und wir ließen uns mit den anderen Anwesenden und der Musik durch den Abend gleiten! Je länger wir hier verweilten um so mehr entspannte ich mich seltsamerweise.
Ich fühlte mich wohl!
„Du siehst wunderschön aus, wenn du so versonnen in Gedanken versunken bist, mi sol.“ hauchte mir Haytham an mein Ohr und drehte mich im Takt weiter.
„Dankeschön, mi amor. Ich fühle mich auch gerade ausgesprochen wohl. Was nicht zuletzt deiner ausgesprochen attraktiven Erscheinung geschuldet ist.“ und ich sah ihn mir genauer an. Michael hatte ihn in den schwarzen Anzug gesteckt, welcher mit Goldfäden bestickt war und mich hatte Magda in das passende Pendant gepackt.
„Nein… kein Handtuch… nicht jetzt.“ kam es leise und seufzend aus seinem Mund.
Später auf unserem Zimmer, als meine Zofe und Haythams Diener uns in die Nachtgewänder geholfen hatten, saß ich für einen Moment auf der Bettkante und sah meinem Mann dabei zu, wie er sich noch durch das Gesicht wusch.
„Mi sol. Du siehst mich so seltsam an. Wartest du auf etwas bestimmtes?“ seine hochgezogene Augenbraue zeugte davon, dass er genau wusste, worauf ich spekulierte.
Langsam schritt er auf mich zu und zog mich in seine Arme.
„Sag nicht, dass dir das Spiel von vorletzter Nacht gefallen hat. Du bist ganz schön ungezogen, weißt du das?“ Seine Augen hatten diesen dunklen Ton angenommen, genau wie seine Stimme.
Ich brachte nur ein dümmliches Grinsen zustande und sah zu ihm auf. Krächzend hörte ich mich sagen „Es hat mir sehr gefallen, Master Kenway!“
In seinem Gesicht sah ich ein breites Grinsen und seine Finger öffneten die Schleife an meinem Nachthemd, ließen es damit über meine Schultern auf den Boden gleiten.
„Dann sollten wir dort weitermachen und ich zeige dir, was dir noch alles Freude bereiten kann, Mistress Kenway!“ seine Stimme war jetzt ebenso rau wie meine und ich war wieder Wachs in seinen Händen. Verdammte Axt, ich konnte doch nichts dafür und ehrlich gesagt, wollte ich auch nicht dagegen angehen.
Ich erwachte von einer warmen Hand auf meinem ebenfalls sehr warmen Hintern. Ein Zischen kam über meine Lippen und hinter mir vernahm ich ein „Hmmmm… das gefällt mir, mi sol. Vergiss nicht, du gehörst mir!“ als wären diese Worte noch nötig, aber ich genoss sie dennoch.
Nur leider konnte ich meine Zunge nicht zügeln und meinte nuschelnd „Dann denke daran, dass auch DU nur mir gehörst und diese Weiber von gestern ohne Finger aufwachen, sollten sie dich auch nur in Gedanken anfassen wollen.“ sein Glucksen an meinem Rücken trieb mich dazu ihn böse anzufunkeln.
„Was denn? Diese Frauenzimmer haben dich alle mit den Blicken schon ausgezogen gehabt und …“ ich kam aber nicht weiter.
„… und ich werde mich zu wehren wissen! Eine Frau welche solch hohe Ansprüche an meine Künste hat, reicht mir. Zumal ich meine Vorlieben genauestens kenne und keine dieser Tratschtanten entsprach meinen Wünschen und Phantasien. Sei unbesorgt, mi sol.“ seine warmen Lippen gaben mir die Bestätigung und meine Eifersucht flachte wieder etwas ab. Trotzdem würde ich diese eine Frau im Auge behalten, nahm ich mir vor.
Bevor dieser nervige Weckdienst die Tür aufreißen konnte, hatte ich nach Magda und Michael gerufen. Außerdem wurde Edward, begleitet von Mrs. Wallace, in unser Zimmer gebracht. „Mamaaaaa… Papaaaaaa…“ und er stiefelte mit diesem kleinen dunkelblauen Anzug auf uns zu.
„Na min lille skat, hast du auch gut geschlafen?“ fragte ich und er nickte eifrig. „Sisi…“ und seine Augen leuchteten dabei. Hieß das jetzt, er hatte von ihr geträumt, oder war er einfach froh, dass Sybill bei ihm war? Ich wäre dankbar für ein Kinderwörterbuch und Dolmetscher!
Haytham nahm seinen Sohn auch noch auf den Arm und drückte ihn an sich. „Du siehst wirklich sehr erholt aus. Vielleicht können wir nachher wieder in den Park und zu den Pferden gehen. Was meinst du?“ Bei seinen Worten begann Edward auf seinem Arm vor Freude zu zappeln! Damit war das abgemacht.
Der Vormittag verging mit weiteren Befragungen, unter anderem auch der der Kammerzofe von Madame de Pompadour.
Sie erzählte, wie sie ihre Herrin vorfand und dass es ein grausiger Anblick gewesen wäre. DAS konnten wir uns alle vorstellen.
Also fragte Benjamin nach, ob es seltsam in den Gemächer gerochen hätte. Ob es eventuell „faulig“ gerochen hätte.
Ein erstaunter Blick glitt in die Runde. „Ja, es roch… sehr unangenehm im Raum, aber es ist ja auch kein Wunder…“ die Frau kannte sich also nicht wirklich aus und ging von der Übelkeit ihrer Herrin aus. Auf Drängen schilderte sie ihre Eindrücke aber genauer.
„Es roch, als wäre man auf dem Land und ich hatte einen stechenden Geruch in der Nase. So als würde eine Zitrusfrucht schlecht werden…“ sie sah in die Runde und hoffte, wir würden wissen, was sie meinte.
„Danke, dass reicht schon. Ihr habt uns sehr weitergeholfen, Mademoiselle!“ meinte Franklin freundlich.
Damit hatte sie zumindest bestätigt, dass es sich um das Gift handeln musste, was sich über die Luft übertrug.
Es war an der Zeit, dass wir den Architekten hinzuzogen, weil auch diese Zofe niemanden gesehen hatte, nichts gehört hatte oder ähnliches.
Mir ging ein etwas absurder Gedanken durch den Kopf. Gab es schon so eine Art „Zeitzünder“, oder sowas wie eine Lunte, welche man entsprechend entzündete und die zu einer abgemessenen Zeit einen Behälter sprengen oder öffnen könnte?
Ich sprach Ben darauf an und seine Augen wurden groß.
„Woher wisst ihr solche Sachen? Habt ihr derlei schon einmal gesehen? Ich würde zu gerne mehr darüber erfahren!“ verdammt, Ben hatte noch keine Erfahrung darin, aber Haytham sah mich wissend an.
„Ich habe damit Erfahrungen gemacht, Alex. Denk an die Rauchbomben!“ und dann fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren! Ja natürlich. Dort war eine Art Zeitzünder verbaut, welcher mit Harz wirkte und somit eine Verzögerung der Explosion hervorrief!
Wie aus einem Mund kam es von uns beiden „Assassinen!“ aber im selben Moment fragten wir uns, was für einen Vorteil sie hätten, wenn sie die Mätresse des Königs beseitigten?
König Ludwig ergriff aber das Wort. „Dann bin ich also korrekt unterrichtet worden, dass ihr von diesen Gruppierungen wisst und einer der beiden angehört? Ich nehme an, weil ich den Ring mit dem Symbol an eurem Finger sah, Mâitre Kenway, dass ihr dem Templerorden angehört?“ mein Mann nickte stumm.
Ludwig wandte sich an Franklin. „Ihr habt, wie ich eurem Gesichtsausdruck entnehme, mit beiden Bünden bereits Bekanntschaft geschlossen?“ ein eifriges und etwas eingeschüchtertes Nicken kam vom Angesprochenen.
„Aber WER ist dann der Drahtzieher, eure Majestät? Eine Liste eurer weiteren Vertrauten wäre da hilfreich, eventuell ließe sich daraus schon eine Schlussfolgerung ziehen.“ sagte ich zuversichtlich, weil ich der Annahme war, dass ich die Assassinen ausreichend studiert hatte in dieser Zeit.
Natürlich driftete als erstes Dorian in meinen Kopf, doch das wäre verfrüht, zumal warum sollte er dem König schaden wollen? Gerade er war im späteren Verlauf auf die Gunst des Königshauses angewiesen. Umgekehrt gedacht, war es jetzt schon sein Bestreben?
Für einen Moment versank Ludwig in Gedanken und sinnierte mit gefalteten Händen vor dem Mund.
„Wir haben einen neuen Höfling, welcher sich meine Gunst versucht zu erarbeiten. Ein Herr welcher mir etwas zu forsch ist, aber eine hohe Position in der Armee inne hat und einen einwandfreien Leumund hat. Monsieur Honoré Bellec!“ kaum dass er den Namen ausgesprochen hatte, lief es mir kalt über den Rücken… Bellec… Pierre Bellec, sein Sohn, wird später auf Arno Dorian treffen und versuchen zu verhindern, dass Templer und Assassinen sich vereinen können!
Pierres Vater ist jetzt schon einer der Drahtzieher? Gerade als ich anmerken wollte, dass wir den Herren befragen sollten, unterbrach Ludwig mich in meinen Gedanken.
„Ich sah das Zeichen der Haschaschinen oder wie ich gelernt habe Assassinen… er trägt es offen an seiner Kleidung, für alle sichtbar, auch wenn es nicht jeder zu deuten vermag!“ erklärte Ludwig den Anwesenden im Raum seine Beobachtung. Er wusste also wirklich darum, weswegen ich nun auch nicht mehr zurückhaltend blieb.
„Seht, eure Majestät, es geht darum, jedweden Einfluss, ob nun Templer oder Assassinen, von euch und dem Königshaus abzuwenden. Wir müssen für eure Sicherheit garantieren! Ich frage mich aber, warum man dann gerade Madame de Pompadour ins Auge gefasst hatte. Das ergibt doch keinen Sinn.“ nicht für mich, für alle anderen anscheinend schon!
„Frauen beeinflussen die Männer seit je her! Sie sind es, die für die Intrigen und Komplotte verantwortlich gemacht werden!“ hörte ich Ben leise im Hintergrund reden.
Oh bei Odin, das übliche Klischee… Die Frau, das personifizierte Böse! Ich atmete tief durch und hoffte, dass ich nicht gleich aus der Haut fuhr.
„Aber kommen wir doch noch einmal auf Monsieur Bellec zurück! Also können wir davon ausgehen, dass er der Bruderschaft angehört. Demnach hat er auch Zugriff auf entsprechende Waffen und Mittel um Personen ungesehen zu beseitigen…“ weiter kam ich nicht.
„Ihr wagt es, diesen Mann ohne hinreichende Beweise zu beschuldigen, Mâitresse Kenway?“ kam es hörbar entrüstet von dem Monarchen. Ich hatte vergessen, obwohl er schon sehr aufgeklärt war, dass er noch nicht so weit wie mein Gatte war. Männer… sie galten also wirklich als unantastbar, bis ihre Schuld bewiesen wurde. Auch wenn dieser Herr schon in eine gewisse Missgunst gefallen war beim König.
„Verzeiht, eure Majestät. Es war nicht so gemeint.“ ich sah hilfesuchend zu Haytham.
„Meine Gattin hat aber Recht, wir müssen auch diesen Herren in die Pflicht rufen! Er untersteht eurem Befehl und genießt hier im Palast laut eurer Aussage bereits großes Vertrauen.“ diese Worte halfen und ich war, wenn auch etwas widerstrebend, dankbar dafür. Noch war die Gesellschaft nicht bereit für die Frauenrevolution! Wie gerne würde ich sie JETZT schon ins Leben rufen!
Ludwig ließ nach dem besagten Herren schicken und in dieser Zeit des Wartens war es mehr als unangenehm, weil niemand wusste, was er sagen sollte. Endlich wurden wir erlöst und Monsieur Bellec betrat das Zimmer des Königs.
„Eure Majestät, ihr ließet mich rufen!“ freudige Worte, eine tiefe Verbeugung und ein falsches Lächeln im Gesicht wurde uns gezeigt.
„So ist es, Monsieur Bellec. Setzt euch bitte!“ der Ton des König war unterkühlt und ich nahm eine gewisse Besorgnis war. Ludwig wurde unruhig, weil er nicht wusste, wer auf seiner Seite stand oder wer ihm übel mitspielen wollte.
„Der Abend des großen Balls, an welchem ihr teilgenommen habt, mir zu Ehren. Wo wart ihr im Laufe des Abends?“ Ludwig war leider zu direkt und ich zuckte zusammen, weil ich befürchtete, dass Honoré sofort wusste, dass man ihn in egal welcher Weise für irgendeine Tat beschuldigen würde.
„Eure Majestät, ich war für eure Sicherheit abgestellt und bewachte einen der Eingänge zum Palast!“ kam es mit Inbrunst und diese Stimme kam mir bekannt vor… dieses harsche… dieser erzürnte Unterton…
„Natürlich wart ihr das. Habt ihr aber Personen gesehen und bemerkt, welche nicht auf der Liste standen oder welche nicht dem Personal angehörten?“ Ludwigs Stimme klang gelangweilt, so als wäre er es leid, immer wieder danach zu fragen.
„Nein, ich sah niemanden, welcher sich unbefugt Zutritt verschafft haben könnte. Es waren nur die geladenen Gäste und die üblichen Angestellten, eure Majestät.“
Es war Ben welcher jetzt einfach auf das damalige Feuerwerk zu sprechen kam.
„Dieses Spektakel mit den Lichtern war eine wahrliche Glanzleistung, meint ihr nicht, Monsieur Bellec? Alles war exakt abgestimmt und auf den Punkt schossen die Lichter in die Höhe. Ich war begeistert, so etwas brauchen wir in Amerika auch, damit wir nicht immer so unbesonnen dieses Feuerwerk zünden…“ lachte der Wissenschaftler, ich hoffte, er hatte sich das mit diesem Themenwechsel gut überlegt.
„Das ist das kleinste Problem, Master Franklin! Ihr müsst nur eine Zündschnur nutzen welche unterteilt ist und entsprechend Sekunden vorgibt. Wir haben es bei dem hiesigen Feuerwerk so gemacht und Mâitre Poiton war so freundlich uns entsprechend einzuweisen.“ und er erzählte frei raus, dass es, wie vermutet mit Harz wie eine Zeitschaltuhr funktionierte!
„Oh, ich würde gerne mehr darüber erfahren Mâitre Bellec, wenn ihr ein wenig eurer Zeit erübrigen könntet, wäre ich euch sehr dankbar!“ die beiden Herren waren auf einer Wellenlänge und Bellec redete ohne Unterlass!
Mâitre Poiton war aber gar nicht mehr von Nöten, weil ich jetzt wusste, wer entsprechend die Zünder legen konnte. Bellec war einfach dem ganzen überdrüssig, die Armee war unterbezahlt, lechzte nach Lohn. Man wollte den König mithilfe eines künstlich herauf beschworenen Krieges zu Taten zwingen und entsprechend die Kosten einfordern können. Die Truppen waren unbezahlt in den Kasernen derzeit untergebracht, weil die Staatskasse unangetastet bleiben sollte.
Aber war Bellec alleine für diese Tat verantwortlich oder gab es hier im Palast und im Umfeld des Königs noch weitere Assassinen?
Ich sah wie Haytham seinen Blick über den Befragten gleiten ließ und sich dann hier unauffällig im Raum umsah. Hatte er etwa etwas entdeckt?
„Mâitre Bellec, wie viele Männer unterstehen eurem Befehl derzeit? Außerdem würde ich, mit eurer Zustimmung natürlich nur, eure Majestät, die Quartiere in Augenschein nehmen.“ erklärte mein Mann in seiner neutralen Templerart und musterte dabei weiterhin den Assassinen.
„Ich wüsste nicht, warum ihr …“
„Natürlich gebe ich die Erlaubnis für eine Durchsuchung, Mâitre Kenway!“ sprach Ludwig nun mit hocherhobenem Kopf.
Plötzlich sah man, dass Bellec nervös wurde und sich verstohlen umsah, so als suche er eine Fluchtmöglichkeit.
„Ich habe doch aber nichts verbrochen!“ seine Stimme klang völlig verwirrt.
Es war mehr eine Eingebung, als dass ich seine Handbewegung sah! Honoré zuckte kurz, sprang dann auf und wollte auf den König stürzen! Aber Haytham und ich waren schneller!
Mein Templer bekam den Klingenarm des Assassinen zu packen und riss diesen daran herum. Gleichzeitig hatte ich mich schützend vor den König gestellt, welcher erschrocken aufgesprungen war!
„Lasst mich los!“ brüllte Bellec und wandt sich in Haythams Klammergriff. Dieser verstärkte aber den Druck und schob den Arm immer weiter im Rücken nach oben, so dass der Assassine schmerzerfüllt aufkeuchte.
„Was in Gottes Namen fällt euch ein, mich hier in meinen privaten Räumen anzugreifen? Seid ihr noch bei Verstand, Mann?“ auch Ludwig war außer sich und schob mich zur Seite. „Ihr werdet sofort von den Wachen in Gewahrsam genommen und euch droht die Hinrichtung!“
Man ließ die Wachen rufen und als diese hier im Raum erschienen, sah man in entsetzte Gesichter. Bis auf eines! Ein fieses Grinsen erschien auf dem Gesicht eines Herren und bevor wir uns versahen, stürmte dieser auf Ludwig los mit gezücktem Schwert. In meiner Panik schubste ich den Monarchen zur Seite, ehe die Klinge ihn erwischen konnte und dann stand ich mit erhobener Hand vor dem Attentäter. Die Zeit schien in Zeitlupe zu verlaufen und ich sah dieses goldene Leuchten um mich herum. Ich griff nach der Hand mit der Waffe, welche sich bereits gefährlich nahe an meinem Bauch befand und schlug mit aller Kraft auf den Unterarm! So lockerte sich der Griff und ich konnte das Schwert an mich nehmen.
Und dann lief alles wieder in Normalzeit und die Herren im Raum wirkten verwirrt und erschrocken gleichzeitig!
„Wie habt ihr das gemacht, Weib? Welcher Zauber ist das?“ die anderen Wachen bekreuzigten sich und gingen einen Schritt zurück.
Der Angreifer selber sah mich ebenso mit großen Augen an und begann dann zu zittern!
„Ihr seid des Teufelsweib! Bleibt mir vom Leib!“ schrie er mich an, wollte schon aus dem Zimmer rennen, doch er wurde von den anderen Herren aufgehalten.
Alex, unternimm etwas! Sie dürfen diesen Moment nicht in Erinnerung behalten! Haythams Stimme klang mehr als besorgt in meinem Kopf. Er hatte Recht!
Ich kehrte in mich, atmete tief durch und begann auf meine Fähigkeiten zurück zu greifen. Ich glitt in jeden einzelnen Geist, bis ich alle infiltriert hatte und ersetzte das gerade Geschehene mit einem Verhör, welches einfach aus den Fugen lief!
Langsam zog ich mich wieder zurück und überließ die Anwesenden wieder sich selber! Nur meinen Mann hatte ich verschont.
„Du meine Güte, was ist nur in euch gefahren, Dagenais? Wie könnt auch ihr es wagen, mich anzugreifen? WER hat euch für diese Attentate beauftragt?“ Ludwig verlor allmählich die Beherrschung und ich konnte es ihm nicht verübeln. Gleich zweimal wollte man ihm sein Leben innerhalb von Minuten nehmen!
Doch der Angesprochene schwieg beharrlich, genau wie Bellec, welcher immer noch vor Schmerzen keuchte und sein Gesicht hatte sich mit einem Schweißfilm überzogen!
„Nun gut, ihr werdet schon noch reden! Euer beider Hinrichtung findet in absehbarer Zeit statt, doch vorher werde ich persönlich dafür sorgen, dass ihr redet!“ des Königs Stimme klang mit einem Male so kalt und angewidert, dass sogar ich erschauerte.
„Bringt die beiden Gefangenen jetzt in die Zellen und holt mir den Henker, sowie den Richter!“ fauchte Ludwig seine Wachen an, welche salutierten und sich noch Bellec schnappten, ehe sie die Räumlichkeiten verließen.
Schwer seufzend ließ der König sich jetzt an seinem Schreibtisch nieder und sah von einem zum anderen.
„Eure Majestät, sollten wir nach dem Arzt schicken? Ihr seht nicht gut aus!“ meinte ich leise und stand neben ihm. Gerade als ich ihm ein Glas Wasser geben wollte, ging Franklin dazwischen und nahm es mir ab.
Ich hatte die Etikette vergessen!
„Das ist nicht nötig, Maîtresse Kenway. Aber danke, dass ihr euch sorgt.“ kam es leise von Ludwig, so als hätte auch er gerade keine Lust mehr auf Anstand und das Hofzeremoniell!
Kurz darauf klopfte es und der Henker, sowie der gerufene Richter baten um Einlass.
Bis jetzt hatte Ben noch gar nichts gesagt, sondern saß gedankenverloren auf seinem Stuhl und starrte vor sich hin.
„Master Franklin, geht es euch auch nicht gut?“ fragte ich ihn vorsichtig und als hätte ich ihn aus einer Trance geholt, sah er mich mit trüben Augen an.
„Doch doch… mir geht es gut! Aber ich glaube mein Verstand spielt mir einen Streich, vermutlich habe ich mir das auch nur eingebildet… es fühlte sich an, als könnte ich mich nicht richtig bewegen… dieses Leuchten von der Sonne blendete mich schon fast…“ stammelte er vor sich hin und sah dabei weiter einfach geradeaus!
„Vermutlich steht ihr unter Schock, Master Franklin. Das ist normal.“ erklärte ich zuversichtlich, weil ich bei ihm anscheinend nicht alle Fragmente löschen konnte. Was eigentlich seltsam war. Vermutlich lag es auch einfach daran, dass dieser Mann einen wahnsinnig umfangreichen Verstand besaß, welchen man nicht so leicht überlisten konnte. Beizeiten sollte ich mich noch einmal mit ihm beschäftigen, doch jetzt war nicht die Zeit dafür.
Die beiden neuen Besucher wurden nun vorgestellt. Als erstes war der Richter an der Reihe, Arne van Holten, ein ungefähr 50jähriger dunkelblonder Belgier, welcher sich durch seine gerechten Urteile bei Hofe einen Namen gemacht hatte.
Der Henker war Barabás Radomèr, ein großer stattlicher Herr, welchem man aber seine Berufung nicht unbedingt ansah. Vielleicht hatte ich auch einfach so ein Klischeedenken, dass diese Männer immer irgendwie furchteinflössend aussehen mussten. Dieser Mann hier aber hatte freundliche Gesichtszüge, lange leicht ergraute braune Haare und seine Stimme war tief, sie vibrierte schon fast. Sein Alter vermag ich aber nicht einzuschätzen und nachfragen kam auch nicht Frage.
Wir setzten uns alle wieder vor den Schreibtisch des Königs und dieser begann den beiden zu erklären, was gerade vorgefallen war und was er plante.
„Diese beiden Verbrecher werdet ihr, Monsieur Radomèr, zum Reden bringen! Ich will wissen, wer sie geschickt hat! Außerdem will ich wissen, wie meine persönlichen Wachen so infiltriert werden konnten, dass niemand auch nur ansatzweise diesen Hinterhalt bemerkte!“ sichtlich wütend über diesen nicht akzeptablen Zustand in den Reihen der Soldaten und Wächter, stieß er laut den Atem aus.
„Eure Majestät, wir werden alles daran setzen, Antworten zu erhalten. Verlasst euch auf mich!“ meinte der Henker und ein leicht fieses Grinsen spielte um seinen Mund.
„Monsieur van Holten, das Strafmaß brauchen wir nicht bestimmen, da für diese Anschläge der Tod die einzige Strafe ist. Die beiden Herren werden öffentlich hingerichtet durch den Strang. Sie sollen als Abschreckung dienen und jeden weiteren Mörder von seinem Vorhaben abbringen!“ diese Worte von Ludwig kamen eiskalt beim Richter an, welcher stumm nickte, ehe er antwortete.
„So wird es geschehen! Auf Königsmord, auch wenn es nur der Versuch ist, steht die Todesstrafe. Wollen wir hoffen, dass ihr ab jetzt nicht noch einmal in solch eine Bedrängnis geratet!“ van Holten sprach diese Worte leise, aber bestimmt.
Sie wurden vom König entlassen, um sich um die beiden Attentäter zu kümmern. Der Richter würde bei den Verhören mit anwesend sein, so erklärte man uns das kommende Prozedere. Nur Ludwig selber wird nicht dabei sein. Er bleibt nach wie vor präsent, damit die Höflinge nicht zu sehr beunruhigt oder verunsichert werden.
Außerdem wollte man keinerlei Gerüchte streuen, die den Monarchen womöglich noch in ein schlechtes Licht rücken könnten.
Als wir wieder alleine hier saßen, seufzte Ludwig noch einmal tief und sah uns dann an. „Ich verdanke euch mein Leben, Maître Kenway, Maîtresse Kenway! Ihr habt mich heute gleich zweimal vor dem Tod bewahrt! Als Anerkennung für diese rühmliche Tat, werde ich euch in meinen inneren Hofstaat aufnehmen und euch entsprechende Rechte einräumen. Außerdem wäre es mir eine große Ehre, wenn ihr mir weiterhin beratend zur Seite stehen würdet. Eine Position als meine Leibwache kommt natürlich nicht in Frage, da ihr, wie ich vermute nicht vorhabt, euch in Frankreich niederzulassen.“
Ich sah ihn mit offenem Mund an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Man räumte uns gerade alle Privilegien am Hofe ein, wir würden eigene Gemächer in der Nähe des Königspaares bekommen, außerdem eigene Wachen. Diese waren zwar nicht von Nöten, weil wir bereits welche hatten, dennoch war diese Geste mehr als großzügig.
Auch war uns nun gestattet, unseren Sohn in unseren Räumlichkeiten zu haben. Insgesamt, so erklärte Ludwig, standen uns 5 Zimmer im Westflügel zur Verfügung. Und die konnten wir jederzeit wieder beziehen, wenn wir in späterer Zeit einmal wieder in Versailles verweilen würden. Das Ganze würde noch schriftlich mit einem Advokaten festgehalten werden und der anstehende Sommerball würde die offizielle Bekanntgabe unserer „Beförderung“ darstellen!
Mir wurde die Position der persönlichen Beraterin der Königin und den Hofdamen zugesprochen, was mich wirklich ehrte.
Mein Gatte wäre während unserer Zeit hier am Hofe im Beraterstab des Königs vertreten und Master Franklin bekam ebenfalls einen ähnlichen Posten.
Während des Mittagessens wurde uns im Speisesaal bereits ein Platz oberhalb des Tisches zugesprochen. Man beäugte uns ein wenig kritisch, weil wir weder Einheimische waren, noch lebten wir hier.
„Haytham, ein bisschen unwohl fühle ich mich jetzt schon. Ich mag nicht gerne im Mittelpunkt stehen…“ flüsterte ich ihm zu und seine Hand legte sich beruhigend auf meine.
„Mir geht es ehrlich gesagt nicht anders gerade. Zumal ich ab jetzt auch nicht mehr so viel Zeit mit dir oder Edward verbringen kann, weil der Minister mir schon den Terminkalender überbracht hat.“ kam es etwas traurig von meinem Mann.
„Wirklich? Aber ich vermute, auch ich werde bei der Königin ordentlich eingespannt. Gerade wegen des anstehenden Balls. Wusstest du, dass ich sogar eine weitere Kammerzofe bekommen habe? Was bitte soll ich mit Zweien?“ kicherte ich leise und meine Nervosität verflog allmählich.
Nach dem Essen wurden wir zu unseren Gemächern gebracht und ich stand einfach mit offenem Mund im ersten Zimmer, welches als Empfangszimmer diente. Weiter ging es zu den beiden Schlafgemächern, eines für mich, eines für Haytham und das dritte war für Edward. Nein, ich würde sicherlich nicht getrennt von meinem Mann schlafen, soweit kommt es noch!
Mich freute es aber, dass unser Sohn direkt neben uns war und sogar Mrs Wallace hatte ihr eigenes Reich, welches direkt mit einer Verbindungstür anschloss.
Mit Edward auf dem Arm ging ich die Räume noch einmal ab und er plapperte mit großen Augen vor sich hin. Zeigte ab und an auf einen Gegenstand. Besonders angetan war unser Sohn von seinem Bett. Es war kein Kinderbett, sondern ein recht großes normales Bett mit einem wunderschönen bunten Baldachin und passenden Vorhängen darum.
„Mama… heia…“ und sein Finger zeigte auf das Bett.
„Ja, dass ist dein Bett, min lille skat! Da hast du ja richtig viel Platz zum Toben!“ lachte ich und setzte ihn einfach darauf. Sofort krabbelte er hin und her, doch stehen konnte er auf dem weichen Untergrund nicht wirklich, dafür war er noch nicht soweit mit dem Laufen.
Wieder im Empfangszimmer, setzte ich mich kurz auf eines der Sofas und versuchte langsam alles zu verarbeiten. Lange Zeit hatte ich aber nicht zum Verschnaufen, weil meine Kammerzofe verlauten ließ, ich müsse mich für den Tee bei der Königin fertig machen. Kurzerhand nahm man mir auch Edward ab, damit auch er umgezogen werden konnte.
Haytham war schon eine Weile mit Michael in seinem Zimmer um sich entsprechend für den ersten Termin beim Beraterstab des Königs anzuziehen. Seine normale Kleidung war nicht angemessen, also hatte man ihm eine Art Uniform zukommen lassen und ich war gespannt wie er darin aussah. Ich muss gestehen, ich liebte es, wenn Haytham in offizieller Montur steckte.
Magda und die höfische Kammerzofe Nathalie, begannen nun mich in ein wunderschönes lindfarbenes Seidenkleid zu packen. Außerdem wurden meine Haare, zu meinem Leidwesen, in einem riesigen Turm hochgesteckt. Zumindest fühlte es sich so an, aber es sah gar nicht mal so schlecht aus, musste ich gestehen.
Als ich fertig war, trat mein Mann ein und blieb wie angewurzelt stehen.
„Mi sol, das ist… man erkennt dich ja fast nicht wieder.“ und ein Strahlen trat in sein Gesicht, als er langsam auf mich zukam.
Ich ließ meinen Blick über seine Uniform gleiten und mich überlief ein warmer Schauer der Erregung. Er sah fantastisch darin aus und ich strich vorsichtig über seine Brust und den feinen Stoff des Rockes. „Ich kann das Kompliment definitiv zurückgeben, mi amor. Ich würde dich am liebsten auf der Stelle…“ ein Finger legte sich auf meine Lippen und sein Blick verdunkelte sich.
„Dazu hast du heute Nacht sicherlich ausgiebig Gelegenheit!“ flüsterte er an mein Ohr und hauchte mir einen Kuss auf die Halsbeuge.
Dann war es Zeit für unsere Termine und ich begab mich mit Sybill und Edward zu den Räumlichkeiten von Königin Maria . Die Kinder der anderen Hofdamen wären auch anwesend, weil es ein eher privates Treffen war und sie mich kennen lernen wollte. Ein wenig nervös war ich dennoch, auch wenn ich schon Bekanntschaft mit ihr gemacht hatte. Außerdem wurde mir auf dem Weg dorthin noch ein wenig Tratsch erzählt. Wobei es nicht wirklich einer war, es ging um die Beziehung des Königspaares. Hier hing der Haussegen definitiv schief und man erzählte mir, Maria hätte sich immer weiter in ihren eigenen Freundeskreis zurückgezogen. Auch wenn seit geraumer Zeit die Lieblingsmätresse des Königs nicht mehr lebte, konnten sie sich nicht mehr annähern. Jeder lebte im Grunde sein eigenes Leben.
Wir wurden herzlich empfangen und schon bald war ich in ein sehr angenehmes Gespräch mit der höchsten Hofdame und der Königin selber vertieft.
Sie sprach die hiesigen Gärten an, welche ihr sehr am Herzen lagen. „Die Pläne für den Park habe ich selber mit gestaltet, Maîtresse Kenway. Ich bevorzuge klare Linien, eine gewisse Struktur. Ihr habt es ja selber bereits bemerkt vor ein paar Tagen.“ Dabei hatte ich nicht einmal ansatzweise alles gesehen.
„Würdet ihr mir die Ehre erweisen, eine Partie Whist zu spielen? Die Spielregeln sind sehr einfach.“ dieser Themenwechsel war doch sehr überraschend, aber leider sagte mir dieses Spiel nichts. Haytham hatte es ein paar Mal mit Lucius gespielt, aber mehr wusste ich auch nicht darüber.
Wenn ich darüber nachdachte, dass dies die einzigen Tätigkeiten in meiner Rolle als Beraterin waren, dann würde das mehr als entspannt hier laufen.
Also setzten wir uns an einen kleinen runden Tisch und die Königin begann mir die Spielregeln zu erläutern. Es war wirklich nicht so schwer, wie ich befürchtet habe, auch wenn es ein Batzen an Erklärung war.
Die ersten Partien verlor ich aber haushoch, weil ich noch ungeübt war. Die anderen Damen lobten natürlich das Glück von Maria und sprachen ihr Lob lautstark aus. Während des gesamten Nachmittags wurden immer wieder die kleinen Gläser mit dem Cognac oder was auch immer gereicht wurde, gefüllt. Das sorgte irgendwann für eine sehr losgelöste Stimmung, die ich nicht teilen konnte, weil ich mich zurückhielt. Betrunken wollte ich hier niemandem über den Weg laufen, das wäre unangebracht! Außerdem war Edward auch hier und ich hatte immer wieder einen Blick auf ihn und die anderen Kinder.
Durch den Alkohol lösten sich auch die Zungen der Damen und teilweise schoss mir das Blut in die Wangen bei den doch sehr freizügig geschilderten Bettgeschichten. Die Vorlieben der Frauen waren wirklich nicht ohne, aber oft schien es an den Gatten zu liegen, dass man nicht auf seine Kosten kam.
Auch Maria schilderte ihren Verdruss auf die Mätressen ihres Mannes, auch wenn sie es selber war, die ihm jeglichen Beischlaf verweigerte um nicht wieder schwanger zu werden. „Aber ich weiß mir zu helfen, wenn… ich einmal Sehnsucht habe.“ zwinkerte sie in die Runde und ein Kichern war um mich zu vernehmen.
Gegen Abend verließen wir die Gemächer der Königin und gingen zurück um uns für das Abendessen umzuziehen.
„Mama...hammmm“ maulte Edward plötzlich und zappelte auf Sybills Arm herum.
„Ich glaube dir, dass du Hunger hast. Gleich kannst du dir wieder den Bauch vollschlagen, min lille skat.“ grinste ich und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
„Heute wird Master Edward auch bei euch am Tisch sitzen, dass sagte mir eines der Kindermädchen.“ sagte Mrs. Wallace freudig und lächelte ihren Schützling an. „Und ihr Master Edward, werdet euch benehmen! Ich werde ein Auge auf euch haben.“
Sie würde ebenfalls neben uns sitzen. Eines der neuerworbenen Privilegien!
Während des Essens merkte man dem Königspaar aber nicht an, dass sie solche starken Differenzen hatten. Es war faszinierend zu sehen, wie sie sich zusammen rissen und ein gewisses Bild aufrecht erhielten.
Im Anschluss ging es in die verschiedenen Räumlichkeiten um Karten zuspielen, oder einem Musiker zu lauschen.
Die Kinder wurden zu Bett gebracht und ich freute mich darauf, dass Edward wieder in meiner Nähe schlafen würde.
Zu meinem Leidwesen gesellte sich ausgerechnet diese Frau zu uns, welche mich gewarnt hatte, auf meinen Mann aufzupassen. Dieser steckte nun wieder in einfacher Garderobe und beachtete dieses Frauenzimmer Odin sei Dank nicht, im Gegenteil, er führte ein angeregtes Gespräch mit ihrem Gatten.
„Ihr müsst unbedingt einmal nach Amerika reisen und uns besuchen kommen, Maître Pastice! Ihr werdet eure Meinung sicherlich noch ändern, wenn ihr erst einmal von dem Tabak welcher in Virginia angebaut wird, probiert habt. Einer der besten!“ kam es voller Stolz von Haytham und sein Gesprächspartner bekam leuchtende Augen!
„Auf dieses Angebot komme ich gerne zurück, wenn ich es recht bedenke, dann könnte ich Anfang nächsten Jahres eine Reise planen. Meine Gattin hat hier am Hofe sicherlich genug zu tun und wird meine Abwesenheit gar nicht bemerken.“ lachte der Herr und sah abschätzig zu seiner Frau, welche ihn mit einem vernichtenden Blick bedachte. Auch dort schien einiges im Argen zu liegen, doch das konnte mir egal sein! Geschieht ihr recht.
Ich selber wurde von einer der Hofdamen, welche auch heute Nachmittag mit anwesend war, in Beschlag genommen und sie fragte mich bezüglich Edward aus. Auch sie war fasziniert davon, dass unser Sohn mit 8 Monaten bereits laufen konnte und auch ganz normal aß.
„Wenn ich mir meine kleine Monique ansehe, die mit einem Jahr immer noch nicht laufen will und nur dass isst, was sie von mir bekommt, dann kann man schon neidisch werden. Wie macht ihr das nur? Und dann ist er auch noch so brav bei Tisch.“ seufzte sie und ich erinnerte mich ans Essen, wo ihre Tochter wirklich nur gemäkelt hatte, nichts wirklich gegessen hatte und irgendwann einfach laut geweint hat.
„Ich kann es euch gar nicht wirklich erklären, wir sind selber überwältigt von diesem Fortschritt. Aber ich bin zuversichtlich, dass eure Tochter auch bald einen entsprechenden Schub bekommt. Und bedenkt einfach, jedes Kind ist anders. Ihr könnt nicht immer alle vergleichen.“ sagte ich versöhnlich, da ich eine gewisse Verzweiflung in ihren Augen sah.
„Ich hoffe ihr behaltet recht, Maîtresse Kenway.“ lächelte sie mich an und ich gab ihr noch ein paar kleinere Tipps, was sie vielleicht verändern könnte in ihrer Erziehung. Ihr Mann hielt sich strikt da raus, nur wenn es um die Bestrafung ging, war er ansprechbar. Nicht wirklich wünschenswert, aber auch in diesem Punkt musste ich mich umstellen. Die Männer in dieser Zeit waren halt anders! Und das auf vielen Ebenen, musste ich mir wieder einmal eingestehen.
Die lüsterne Dame an der Seite meines Gatten hatte irgendwann die Nase voll und war verschwunden. Auf meine Frage, ob Haytham sie jetzt endlich vergrault habe, lachte er „Vermutlich, ich habe mich einfach stur mit ihrem Mann unterhalten und sie immer wieder an seine Seite geschoben. Ihre Hände lagen hin und wieder auf meinem Allerwertesten und sie schien es auch noch zu genießen. Sie wurde aber immer anhänglicher, je mehr Champagner in ihr war und ihre Finger begannen an den Knöpfen meines Gehrocks zu spielen.“ er seufzte theatralisch und sah mich grinsend an.
„Dieses Weibsbild … wo ist sie?“ fauchte ich und sah mich suchend um, fand aber besagte Grapscherin nicht!
„Sie ist nach draußen verschwunden, mi sol. Beruhige dich! Denk daran, sie ist weder mein Typ noch mag ich dieses Parfüm von ihr. Ehrlich gesagt ist es wirklich widerlich.“ und Haytham rümpfte angewidert die Nase.
Wir verabschiedeten uns noch von dem armen Mann dieser Frau, welcher aber noch einmal betonte, dass er sich auf den Besuch bei uns in Virginia schon freute.
In unserem Zimmer angekommen, wurden wir aus unserer Kleidung geholt und man schlug das Bett für mich auf. Nathalie stand nun erwartungsvoll daneben und wartete vermutlich darauf, dass ich mich hinlegte.
„Ihr könnt ruhig schon gehen, Nathalie! Ich werde noch nach meinem Sohn sehen.“ war sie enttäuscht bei diesen Worten? Auf jeden Fall drehte sie sich mit einem Knicks um und verließ mein Schlafgemach.
Als ich in Edwards Reich eintrat, sah ich Sybill lesend an seinem Bett sitzen.
„Ah, Mistress Kenway. Ich hoffe, ihr hattet einen schönen Abend.“ meinte sie flüsternd. „Master Edward war nach dem Essen so müde, dass ich ihn kaum wachhalten konnte beim Waschen. Und er kann jetzt auch Katze sagen, auf französisch versteht sich.“ ihr Lachen war leise aber ansteckend.
„Da wird sich aber Master Kenway freuen, dass sein Sohn jetzt schon mit anderen Sprachen beginnt.“ kicherte ich und gab meinem Sohn noch einen Kuss auf die roten Wangen.
Ein „hmmmmm“ war zu vernehmen und auf seinem Gesicht erschien ein Lächeln!
Leise verließ ich das Zimmer und ging hinüber, aber nicht in mein Schlafzimmer sondern in Haythams. Ich wollte nicht alleine schlafen!
Als ich in Haythams Zimmer trat, lag er bereits in seinem Bett und hatte ein Buch vor der Nase. Es sah aus, als hätte er mich weder vermisst, noch würde er auf mich warten.
„Oh, ich glaube, ich störe dich wohl?“ gab ich gespielt launisch von mir und sah ihn traurig an.
„Mi sol, du störst doch nicht. Ich habe schon auf dich gewartet…“ er legte seine Lektüre beiseite und stand auf. Langsam kam er auf mich zu und bei jedem Schritt wurde ich kribbeliger. „Ich kann jetzt nicht mit der Uniform dienen, aber ich hoffe doch, dass du auch einfach nur mit mir Vorlieb nimmst?“ in seinen Augen lag ein schelmisches Blinken und seine Hand legte sich in meinen Nacken.
„Nur mit euch, Master Kenway? Da müsst ihr mich aber schon sehr überzeugen von euren Fähigkeiten!“ meine Stimme wurde immer krächzender und ich schluckte schwer.
Und dann griff er mit beiden Händen den Ausschnitt meines Nachthemdes und riss es kurzerhand entzwei, sodass ich nackt vor ihm stand.
„Meine Fähigkeiten?“ bei diesen Worten schritt er langsam hinter mich und griff sich meinen Po. „Wenn du dir dein Hinterteil ansiehst, dann weißt du um mein Können, mi sol.“ raunte er an meinem Ohr und drückte sich an meinen Rücken. Ich spürte seine Erregung und langsam schob er mich so auf das Bett zu.
Immer noch hinter mir, hieß er mich darauf zu klettern und kam dann selber dazu. „Beug dich vor und gib mir deine Hände!“ ich drehte sie auf meinen Rücken und mit seiner Hand hielt er sie dort fest. Die andere griff nach meiner Hüfte und wieder spürte ich seine Leidenschaft pulsierend an meinem Po. Langsam fand er den Weg in mich, ließ sich aber unendlich viel Zeit dabei.
„Mistress Kenway, eure Vorfreude ist immer noch eine Wohltat und ich liebe es, euch einfach so nehmen zu können.“ bei diesen Worten wurden seine Bewegungen intensiver und der Griff seiner Hand wurde härter, dirigierte meinen Körper.
Diese Nächte hier in Frankreich, speziell in Versailles, waren anders. Es fühlte sich an, als hätte man uns einer Gehirnwäsche unterzogen. Die Gangart im Bett war eine völlig andere, vor allem auch härter, doch es störte mich nicht im Geringsten. Im Gegenteil, ich wollte mehr von der dominanten Art meines Mannes, sie stand ihm und ich konnte mich in meiner devoten Rolle völlig fallen lassen.
Irgendwann lag ich an seiner Seite und strich über die kleinen Härchen auf seiner Brust. „Alex, kann ich dich etwas fragen?“ hörte ich Haytham leise fragen.
„Ja, aber das klingt, als hätte ich etwas falsch gemacht.“ dieses verdammte schlechte Gewissen, welches ich gar nicht haben brauchte, ließ sich nicht abstellen. Ein Glucksen verriet mir, dass auch er es bemerkt hatte.
„Warum findest du es so erregend, wenn ich dir sage, was du tun sollst. Oder auch wenn ich dich mit meiner Hand im Nacken führe. Versteh mich nicht falsch, ich liebe es, wenn du meine Befehle befolgst und dich mir völlig hingibst. Aber im Grunde entspricht es eigentlich nicht deiner Natur.“ zum ersten Mal wurde mir klar, dass wir wirklich noch nie so darüber gesprochen haben.
„Eigentlich kann ich das WARUM auch nicht erklären. Vielleicht liegt es einfach daran, dass ich nicht immer die Oberhand haben will, oder eben die Verantwortung tragen will. Im Alltag ist es völlig normal und auch klar, dass ich für mich selber einstehen muss, aber mit dir im Bett ist es einfach ein wunderbares Gefühl, dir … nun ja… zu Diensten sein zu können. Ich möchte dich glücklich machen, ich genieße diesen Anblick, wenn du… also… wenn ich vor dir knie…“ ich kam immer mehr ins Stottern, doch mein Templer verstand, was ich meinte.
„Du bist darauf bedacht, dass ich zufrieden bin, mi sol. Ist es das?“ diese Frage kam so praktisch, dass ich für einen Moment perplex dalag und nicht wusste, was ich darauf antworten sollte.
„Ja, im Grunde hast du es auf den Punkt gebracht. Wenn ich weiß, dass du dich ausleben konntest, deine Phantasien ausleben konntest, kann auch ich loslassen und ich… habe durchaus auch noch andere Bilder im Kopf…“ meine Wangen wurden kochend heiß in diesem Moment und ich sah zu ihm auf.
„Darauf bin ich schon jetzt gespannt.“ kam es stockend von Haytham, ehe er mich unter sich begrub und mich mit Küssen übersäte.
Am nächsten Morgen wurden wir von einem Diener geweckt, welcher aber nicht wie sonst einfach hineinstürmte sondern klopfte und wartete, bis wir etwas sagten.
Am heutigen Tage spürte man, dass der Ball anstand und alle Gäste bereits aufgeregt auf den Abend warteten.
Edward gab dann auch sein neu erlerntes Wort zum Besten, als eine kleine Katze vor dem Fenster im Empfangszimmer saß. „Das freut mich, dass du sogar schon ein Wort auf französisch beherrschst, Edward. Und wie heißt das auf englisch?“ die nächste halbe Stunde stand ich staunend neben den beiden und sah, wie Haytham mit einer Engelsgeduld unserem Sohn das Wort Cat beibrachte. Doch irgendwie mochte unser Sohn die französische Variante lieber, wie es schien. Man könnte auch meinen, er machte es mit Absicht, nur um seinen Vater zu triezen!
Während des Frühstücks unterhielt ich mich angeregt mit Ludwig, weil er dieses mal links von mir am Kopfende des Tisches saß. Wieder einmal musste ich mir im Klaren darüber werden, dass auch er nur ein Mensch aus Fleisch und Blut ist. Auch ihn plagten Zweifel und Ängste, wie jeden anderen Menschen auch.
Ich möchte es nicht familiär nennen, was wir hier bei Tisch taten, doch es fühlte sich nicht an, als würde ich neben dem König von Frankreich sitzen.
Im Anschluss stand es allen Gästen und Anwesenden frei, zu tun was ihnen beliebte. Ich ging kurzerhand mit meiner kleinen Familie hinaus in den Park und hinüber zu den Ställen. Wir hatten erfahren, dass in der Nacht ein Fohlen zur Welt gekommen war und ich war einfach neugierig.
Edward lief zwischen mir und Haytham, Sybill und zwei ebenfalls neugierige Ehepaare begleiteten uns.
Kaum bei den Boxen angekommen, stiefelte unser Sohn freudig los und stand dann mit offenem Mund vor dem schneeweißen Fohlen. Das Fell war noch struppig und das Tier noch etwas wackelig auf den Beinen, aber das hielt Edward nicht davon ab näher zu kommen.
„Da… hoss…“ sagte ich schon, dass ich einen Kinderdolmetscher benötigte? Ich ging davon aus, dass er Horse meinte. Wie sollte das nur später werden, wenn er alle Sprachen durcheinander warf? In diesem Moment musste ich an Franziska denken, welche ebenso, wenn sie aufgeregt war, alles zusammen würfelte!
„Ein Pferd, richtig Edward!“ meinte Haytham und hob ihn etwas hoch, damit er das Tier streicheln konnte.
„Was für ein wunderschönes Fohlen.“ hörte ich eine der Damen entzückt sagen und auch sie hatte ein Leuchten in den Augen. Ihr Gatte hingegen meinte trocken, dass man damit sicherlich ein kleines Vermögen erwerben würde, er würde sich alsbald über einen Kauf informieren.
Mir kam der Satz von Idun in den Sinn, welche sagte, dass wir tierischen Nachwuchs in Virginia zu erwarten hätten bei unserer Heimkehr. Nicht gleich, vermutlich aber wird Haythams Stute trächtig sein und ich war gespannt, was Fenrir da fabriziert hatte. Ob es auch so ein schönes Fohlen werden würde?
Plötzlich vermisste ich unsere Plantage, vermisste mein, nein unser Zuhause und musste schwer schlucken um die aufsteigenden Tränen zu verbergen. Haythams Hand gab mir ein wenig Trost und ich wusste, auch er wollte so schnell wie möglich wieder zurück.
Nach dem Abendessen wurde es ernst und ich wurde von meinen Zofen für den Ball zurechtgemacht. Auch Haytham bekam heute seine zweite, offizielle Uniform für Bälle und Empfänge angezogen. Diese war in einem dunklen Weinrot mit goldenen Applikationen gehalten.
Mein Kleid für den Ball war farblich entsprechend angeglichen und ich war erstaunt, wie viele Garderoben mal so auf Vorrat vorhanden waren. Zumal hier so viele Frauen mit unterschiedlichen Kleidergrößen herum liefen. Meine Haare wurden nicht aufgetürmt, nur mit einem geflochtenen Zopf im Zaum gehalten, in welchem dunkelrote Seidenbänder eingearbeitet wurden.
Heute trug ich die Kette mit dem Templerkreuz, weil es sich anbot und wir uns entsprechend präsentieren mussten.
Im Empfangszimmer stand mein Mann mit verschränkten Armen auf dem Rücken am Fenster und betrachtete das Treiben auf den Wegen im Park.
Ich räusperte mich und trat hinter ihn.
„Diese Farbe steht dir, mi amor.“ flüsterte ich und schlang meine Arme um seine Taille.
Langsam drehte er sich um, schob mich ein Stück von sich und ein breites Lächeln trat in sein Gesicht. „Dir auch, mi sol.“ der folgende Kuss brachte mich schon wieder in Versuchung… „Denk nicht einmal daran. Wir werden sicherlich später Zeit für einander haben. Komm, wir sollten uns zu den anderen gesellen.“ aber ein leichter Griff an meinen Hintern durfte nicht fehlen und sein verschmitztes Grinsen dabei war einfach göttlich.
Der Ballsaal lag in einem anderen Trakt des Palastes und wir brauchten eine Weile, ehe wir dort waren. Unterwegs trafen wir auch auf bekannte Gesichter unter anderem Benjamin Franklin, welcher in einem feinen Anzug steckte und an seiner Seite schritt eine mir unbekannte Dame nebenher.
„Wie lange habe ich schon auf solche Festivitäten verzichten müssen.“ meinte der Wissenschaftler freudig und wippte dabei hin und her.
Den eigentlichen Ball würde das Königspaar eröffnen, auch wenn die Anschläge ihnen noch in den Knochen steckten. Ich hoffte, es würde zu keinen weiteren kommen.
Wir hatten noch mitgeteilt bekommen, dass die beiden Attentäter bis jetzt noch nicht geplaudert hatten. Aber man sei auch noch nicht zum Äußersten gegangen, was in den nächsten Tagen dann jedoch anstand. „Wir werden euch auf dem Laufenden halten und wenn ihr es wünscht, so könnt ihr dem ganzen Verhör auch beiwohnen.“ so stand es in einer kleinen Nachricht von van Holten! Ob wir auf dieses Angebot zurück kommen werden, wusste ich noch nicht, auch Haytham war noch unschlüssig.
Außerdem trafen wir kurz vor dem Ballsaal auf unsere neuen Geschäftspartner, den Eheleuten de Gooijer. Myrte war ganz in ihrem Element und begann mir von einem der früheren Bälle zu berichten, bei welchem sich unter anderem einer der Diener durch Unachtsamkeit das Bein gebrochen hatte. Manche Treppen schienen mehr als tückisch zu sein hier im Palast.
Wir traten in den Ballsaal und alle Gäste reihten sich an den Seiten auf und warteten nun auf das Königspaar, welches nicht lange auf sich warten ließ. Beide waren im königlichen Ornat gekleidet und ich muss sagen, sie sahen einfach fantastisch aus.
Wir verbeugten, knicksten und huldigten den beiden, während sie mal wieder die Reihen abschritten.
Danach wurde der Tanz eröffnet und da sah man diese unsichtbare Wand zwischen ihnen. Sie waren nicht synchron. Für ungeübte Augen vermutlich kaum zu sehen, oder es lag daran, dass ich die Verhältnisse kannte.
Kurz darauf wurde ich aufgefordert, Ludwig den nächsten Tanz zu schenken und Haytham übernahm derweil Maria. Ich spürte diese recht skeptischen und neidischen Blicke einiger Gäste, welche nicht in diesen Genuss kommen würden heute.
Zwischendurch gab es ein kleineres Essen im großen Speisesaal und dort wurde dann auch unsere neue Berufung kundgetan. Im Anschluss wurde uns noch gratuliert und man wünschte uns alles Gute und vor allem gutes Gelingen.
Und natürlich wurde mein Mann ganz besonders mit Glückwünschen von einer Frau bedacht, welche mich stark an Melody erinnerte. Ihr Gatte stand direkt neben ihr und sie griff einfach zu bei Haytham, mit einem triumphierenden Blick in meine Richtung. Völlig entgeistert riss Maître Pastice seine Frau zur Seite und zerrte sie hinaus in den Park. So schnell konnten wir gar nicht reagieren und ich starrte ihnen hinterher.
„Mi sol, es tut mir leid… ich…“ die Stimme meines Mannes hörte sich ebenfalls mehr als erstaunt, entrüstet und vor allem geschockt an.
„DU kannst doch nichts dafür! Aber… warum sind einige Frauen so… mir wird immer ein loses Mundwerk, Unachtsamkeit und sogar schlechte Manieren vorgeworfen! DIESES Weib besitzt keinen Anstand, nicht ICH!“ brachte ich aufgebracht zwischen meinen Lippen hervor und rannte einfach dem Ehepaar hinterher! Mir reichte es jetzt, ob Haytham nun mit meiner Aktion einverstanden war oder nicht, ich würde dieser Trümmerlotte schon zeigen, mit wem sie sich gerade angelegt hat.
Aber von weitem hörte ich bereits ihre Schreie! Maître Pastice schien zu der Sorte Ehemann zu gehören, welche ihre Ehefrauen züchtigten! Musste das aber in – fast – aller Öffentlichkeit sein? Für einen Moment blieb ich stehen und ich muss zu meiner Schande gestehen ich genoss diesen Gedanken, dass sie bestraft wurde!
Hinter mir spürte ich plötzlich meinen Mann, welcher mich aufforderte, die beiden in Ruhe zu lassen, es würde uns nichts angehen! „Lass dieses Weib sein wie sie will, aber…“ entschieden drehte mich Haytham zu sich um und griff nach meinem Kinn. „Alex! Nein! Du wirst dich dort nicht einmischen, es ist sein gutes Recht so mit ihr umzugehen! Vergiss nicht, du lebst jetzt in einer Zeit, wo auch ich durchaus dieses Recht hätte!“ diese Worte kamen mahnend aus seinem Mund und seine Augen hatten einen kalten Ausdruck angenommen.
„Dann kann ich ja von Glück reden, dass du diese Tradition noch nicht umgesetzt hast!“ fauchte ich ihn an, weil in mir die kleine Frauenrechtlerin erwachte!
„Ja, kannst du! Und nun lass uns hineingehen! Sie wird ihre Lektion gelernt haben, ansonsten kannst du sie dir immer noch zur Brust nehmen!“ widerstrebend folgte ich ihm in den Saal, wo die Feier im vollen Gange war und sich anscheinend auch niemand darum scherte, was dort draußen gerade passierte.
Um mich abzulenken schnappte ich mir ein Glas Champagner, kippte es in einem Zug hinunter und winkte den Diener gleich wieder her. Ein weiteres Glas später und ich war etwas ruhiger, nicht jedoch mein Gatte wie es schien.
„Kann es sein, dass wir noch Redebedarf haben, mi sol?“ diese Frage kam in einem so herablassenden Ton, dass ich versucht war ihm die Zunge raus zu strecken und ihm mitzuteilen, er könne mich mal gerne haben.
„Weiß ich nicht! Ich mag die Frau nicht, ich würde sie am liebsten wie Melody bloß stellen! Muss aber ihr Mann …“ doch mehr konnte ich nicht sagen, da erschienen die beiden in einer der Flügeltüren.
Sie hatte rot geweinte Augen und klammerte sich schniefend an den Arm ihres Mannes, welcher sie durch die Reihen der Gäste führte. Es hatte den Anschein, als würde er sie vorführen und den anderen zeigen, dass immer noch ER derjenige war, der das Sagen hatte. In diesem Moment beschloss ich, dass ich ihn nicht wirklich mochte und auch nicht in Virginia begrüßen wollte! So schnell sieht man den echten Charakter eines Menschen!
Trotzdem tat mir Maîtresse Pastice nicht wirklich leid, da sie anscheinend alles was nicht bei drei auf den Bäumen ist, ins Bett zerren würde!
Wenig später verabschiedeten wir uns für die Nacht und gingen schweigend zu unseren Räumlichkeiten. Nathalie und Magda erwarteten uns schon und halfen mir mit vereinten Kräften aus dem Kleid zu kommen. Lustlos ließ ich mich auf dem Hocker vor der Kommode nieder und dachte an die Schmerzensschreie von dieser Frau.
„Denk nicht mehr daran!“ erschrocken fuhr ich herum und sah, dass Haytham mit verschränkten Armen in der Tür stand.
„Das sagst du so einfach… ich will kein Eigentum sein, mi amor!“ flüsterte ich mehr zu mir selber.
Dann spürte ich seine Hände auf meiner Schulter, welche mich massierten und im Spiegel sah ich, wie er mich musterte. „Das bist du nicht und wirst es auch nicht sein. Ich habe dir etwas versprochen, ich werde dich ehren, dich lieben und dir nie Leid zufügen. Auch wenn du… es mir nicht immer leicht machst, mi sol.“ ein warmes Lächeln umspielte seine Mundwinkel und er gab mir einen Kuss auf den Kopf.
Ich stand einfach auf und schlang meine Arme um meinen Mann. Nein, ich wäre nie sein Eigentum, auch wenn es in dieser Zeit üblich wäre. „Und dafür liebe ich dich!“ meine Lippen suchten seine und ich spürte, dass wir wieder EINS wurden, wir waren eine eigene Einheit.
Die Nacht verbrachte mein Mann in meinem Zimmer und er versicherte mir noch einmal, dass er nie Hand an mich legen würde! In einigen Gesprächen unter den Männern wurde er des öfteren wohl deswegen schon als eher exotisch bezeichnet, weil man davon ausging, das JEDER Ehemann auch seine Rechte entsprechend einfordern würde. Grinsend meinte ich nur, dass ich meinen aus dem Rahmen fallenden Mann gerade deswegen umso mehr lieben würde.
Der nächste Morgen kam zu früh und ich hörte schon Edward freudig brabbeln. Anscheinend wollte er die Katze suchen und zu dem Pferd wollte er auch unbedingt. „Master Edward, bleibt für einen Moment ruhig sitzen, ich kann euch … Nun…“ Sybill hatte in diesem Moment alle Hände voll zu tun, ihren Schützling im Zaum zu halten.
Als ich angezogen war, ging ich in sein Zimmer und unser Sohn sah mich breit grinsend an. „Mamaaa… aaaaaam“ und er marschierte einfach los, ohne auf die mahnenden Worte seines Kindermädchens zu achten. Sein Hemd war nicht zugeknöpft, die kleinen Strümpfe hingen auch noch auf halb acht, aber ihm machte das nichts aus. „Hoss… Mama!“ Edward war wahnsinnig aufgedreht und war wirklich kaum zu halten. Kurzerhand ging ich Mrs. Wallace zur Hand und wir schafften es, ihn in seine Sachen zu packen.
„Master Edward, ihr seid heute wirklich wie aufgezogen.“ lachte Sybill und gemeinsam gingen wir zum Frühstück.
Wir wollten uns im Anschluss gerade auf den Weg zu den Stallungen machen, als uns eine Nachricht von van Holten überbracht wurde.
„Maître Kenway, Maîtresse Kenway.
Wir werden heute die Befragung fortsetzen und es wäre durchaus
wünschenswert, wenn ihr anwesend wäret. In der Nacht hat
Monsieur Bellec in einem Fieberwahn wie es schien, seltsame Dinge
von sich gegeben und wir können uns keinen Reim darauf machen.
Ich erwarte euer Erscheinen gegen 10 Uhr. Der Wächter wird euch zum
Zellentrakt unter dem Besuchertrakt des Palastes bringen.
Hochachtungsvoll, Richter van Holten.“
Also überließen wir Edward seinem Kindermädchen, aber sie waren nicht alleine. Es gab noch zwei weitere Damen, welche sich mit ihren Schützlingen auf den Weg Richtung Ställe machten.
Somit hätten wir ein wenig Zeit um den besagten Wächter zu finden. Lange suchen mussten wir nicht, er stand schon suchend auf dem Korridor vor dem Besuchertrakt.
„Wenn ihr mir dann bitte folgen wollt!“ kam es leise von ihm und er führte uns in die Kellergewölbe von Versailles. Zum einen ging ich staunend hinterher, zum anderen stellten sich mir die Nackenhaare hier auf. Genauso stellte man sich einen Folterkeller vor. Man hörte entfernte Schreie, Ketten rasselten und es war ein modriger Geruch wahrzunehmen. Die Zellen der beiden Attentäter lagen sich gegenüber und ganz am Ende dieses großen Ganges. Der Boden war gepflastert, ebenso die Wände und Decken und ab und an sah man kleinere Öffnungen auf Deckenhöhen, damit die Luft zirkulieren konnte. Bei so vielen Fackeln die hier brannten war das auch von Nöten!
Monsieur Radomèr trat uns mit schnellen Schritten entgegen und begrüßte uns freudig. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde man meinen, wir träfen uns zu einem Kaffeekränzchen.
„Ah, es freut mich, dass ihr es einrichten konntet, Maître Kenway, Maîtresse Kenway.“ und er verbeugte sich vor uns. „Wenn ihr weiter folgen wollt.“ mit einer ausladenden Handbewegung traten wir vor die Zelle von Dagenais, welcher zusammengerollt auf einer Pritsche lag und schwer atmete.
„Hey, ihr da! Aufwachen!“ und der Henker schlug mit einem Knüppel an die Gitterstäbe. Der Insasse fuhr erschrocken hoch und duckte sich gleich wieder unter seine Arme. „Ich habe euch doch alles gesagt…“ jammerte er und schniefte dabei.
Meine Augen hatten sich an dieses Dämmerlicht hier gewöhnt und mir blieb die Spucke weg. Das Gesicht des Gefangenen war geschwollen, überall blau unterlaufen, die Lippen waren aufgesprungen aufgrund von Schwellungen und Flüssigkeitsmangel. Sein Hemd war ebenfalls mit Blutflecken übersät, so auch seine Hosen. Schuhe trug er nicht mehr und an seinen Füßen machte ich seltsame dunkle Punkte aus, woher die rührten vermochte ich aber nicht zu sagen! Ich schluckte noch einmal schwer und wandte mich an den Henker.
„Der Mann sieht ja schrecklich aus! Was habt ihr…“ bevor ich mich jedoch in Rage reden konnte, trat der Richter an unsere Seite, begrüßte uns ebenso freudig und begann eine Erklärung.
„Dieses Individuum hat fast alles zugegeben, jedoch weigert er sich vehement, uns mitzuteilen, wer der Drahtzieher ist. Angeblich wisse er von nichts, es wären immer nur Nachrichten an ihn weitergeleitet worden, nie hätte er jemanden gesehen. Auch als wir ihn mit den glühenden Kohlen bearbeitet haben, sagte er immer wieder das Gleiche!“ van Holten sah abschätzig auf den Mann in der Zelle, als wäre er den Dreck unter seinen Fingernägeln nicht wert.
„Dann wird es vielleicht auch so sein, Monsieur van Holten!“ gab ich jetzt kalt zum Besten, weil diese Herren anscheinend nicht begriffen, dass DAS schon alles war, was sie aus ihm herausholen konnten.
„Verzeiht, aber unsere Erfahrung im Bezug auf die Befragungen lasse ich nicht in Frage stellen!“ auch er war unterkühlt in diesem Moment.
„Was hat Monsieur Bellec zum Besten gegeben? Ihr erwähntet seltsame Dinge in eurer Nachricht!“ brachte Haytham einen Themenwechsel, welcher mir sehr gelegen kam und ich sah noch einmal mitleidig auf Monsieur Dagenais.
„Er faselte etwas von einem Mann und einem Stab, welcher ihm Anweisungen gegeben hätte, wie er das Königshaus untergraben könne. Aber es wäre kein echter Mann gewesen, sondern eine leuchtende Figur, welche ihm in einem Traum begegnet war! Ammenmärchen, wenn man mich fragt!“ prustete der Richter und wandte sich an diesen Gefangenen.
Auch dieser lag auf seiner Pritsche, aber auf dem Rücken und man hatte den Eindruck, er würde meditieren. Die Hände hatte er gefaltet auf dem Bauch liegen und die Augen geschlossen. Sein Atem ging ruhig, auch wenn man vermuten würde, er müsse wahnsinnige Schmerzen haben. Seine Kleidung war ebenfalls mit Blut übersät, seine beiden Augenlider waren geschwollen und seine Wangen wiesen blaue Flecken auf. Ich trat näher an die Gitterstäbe, weil ich versuchen wollte in seinen Geist zu dringen. Diese Aussage, er habe einen Mann mit einem Stab gesehen, ließ mich aufhorchen. Odin konnte es nicht sein…
Natürlich war ich das nicht! Hier müssen diese Isu wieder am Werk gewesen sein! Sprach der Allvater in meinem Kopf. Wir sinnierten beide für einen Augenblick, wer in Frage käme, aber es kam mir niemand in den Sinn. Die bekanntesten Isu Minerva, Juno und Mars führten keine entsprechenden Waffen mit sich. Und wenn es gar kein Isu war? Diese Frage drängte sich mir nun auf, es könnte doch auch durchaus ein Ahne oder Vorfahr sein, welcher sich in den Vordergrund bei Bellec schob.
Das wäre durchaus möglich, aber ich erkenne in seiner Linie niemanden, auf den diese Beschreibung passen würde. Odin klang entmutigt, weil er nicht alles überblicken konnte. Versuche seinen Geist zu nutzen! Kam es jetzt schon fast befehlend von ihm und ich tat wie mir geheißen.
Ich sah, wie Haytham verstand und er lenkte die beiden anderen Herren ab, in dem er noch einmal auf Dagenais zu sprechen kam und alle drei wandten sich von mir ab.
Ich konzentrierte mich, fühlte wie ich diese Mauer um Bellec durchdrang und ging wie schon bei anderen durch die Gänge seiner Gedanken. Hier herrschte eine sonderbare Stille, welche mich erschauern ließ.
Ahhhh, ein Besucher… hörte ich eine raue Männerstimme ganz in meiner Nähe und sah mich um. Konnte aber niemanden ausfindig machen. Geh ruhig weiter, sieh dich nur um… ein höhnisches Lachen war zu vernehmen. Ich weiß was du willst, aber du wirst es hier nicht finden… etwas stimmte nicht, es war nicht wie bei den anderen Personen, welche ich infiltriert hatte.
Es fühlte sich an, als wäre ich in einem völlig sterilen Abschnitt, welcher gerade bereinigt worden war. Ich öffnete eine Tür nach der anderen, aber … nichts! Eine völlige Leere! Verdammter Mist…
Was dachtest du, was du hier vorfindest, Thyra? Der Name! Hatte ich ihn nicht schon einmal… meine Vorfahrin! Aber wie… ich ging jetzt schnellen Schrittes weiter, stellte mir diese Frau erneut vor und plötzlich änderte sich meine Sicht.
Das Langhaus, die Feuerstelle in der Mitte… am oberen Ende der Halle saß er auf dem Thron und sah auf seine Gefolgsleute herab. „Wir haben heute einen Sieg errungen! Das wird aber nicht der einzige bleiben! Wir werden sie weiter zurückdrängen und uns nicht unterkriegen lassen!“ brüllte dieser Mann, erhob sich schwungvoll und nahm einen Speer dabei vom Boden auf!
„Thyra! Was schaust du wie ein verschrecktes Huhn? Seit Tagen bist du schon unausstehlich!“ fauchte er mich an und um uns brachen die Menschen in lautes Gelächter aus. „Mädchen, du brauchst endlich einen Mann, der mit dir das Lager teilt…“ hörte ich einige Männer prustend sagen.
„Was ich brauche und was nicht, geht euch nichts an!“ fauchte ich in die Runde und sah in erstaunte Gesichter.
„Die Götter sollten dir dringend eine Lektion erteilen! Wie sprichst du mit uns!“ ein weiterer Krieger war vorgetreten und starrte auf mich herunter.
„Ragnall, lass deine kleine Schwester doch in Ruhe! Komm…“ sagte eine junge Frau neben mir und zog mich einfach mit sich.
„Mach dir nichts draus und lass sie reden! Es ist jedesmal das Gleiche mit ihnen, im Kampf ist man ihnen ebenbürtig, aber sobald Ruhe einkehrt, ist man nur zum Essen heranschaffen gut.“ ihr Lächeln war herzlich und in ihren dunkelblauen Augen spiegelte sich etwas schelmisches wieder…
Die Bilder verschwammen vor meinen Augen und ich fühlte mich leicht benommen. Zumindest wusste ich nun, oder besser vermutete ich, dass diese Erscheinung dieser Ragnall gewesen sein muss. Aber WER war das? Anscheinend muss es mit den Wikinger zu tun haben, aber wo und wann geschah das, was ich dort gesehen hatte?
Hast du genug gesehen, Verräterin? Hörte ich nun Bellecs Stimme entrüstet in meinem Kopf und mir fiel auch wieder ein, WO ich sie schon gehört hatte. Dieser Moment mit dem Zimmermädchen auf dem dunklen Gang! Trotzdem passte das alles nicht so ganz und ich hatte das Gefühl es fehlte noch eine Kleinigkeit.
Wer hat dich geschickt und aus welchem Grund habt ihr auch Madame de Pompadour ermordet? Es wäre besser du sprichst, weil dich sonst noch viel größere Schmerzen erwarten werden! sprach ich leise, kalt und befehlend.
Diese Frau war einfach lästig! Ludwig sprach von nichts anderem mehr und übersah immer mehr, wie es um sein Volk bestellt war! Sie ließ ihn kaum aus den Augen, auch der Königin entging das nicht! Als ich eines Nachts diesen Traum von dem Wikinger-König hatte, welcher mir große Siege zeigte und mir auch diese selber versprach, wusste ich, was ich zu tun habe. Ludwig brauchte wieder den Fokus auf sein Volk, sein Land und es ist an der Zeit, dass dem Templerorden mit seiner Hilfe endlich das Handwerk gelegt wird! Diese Worte kamen in einem Schwall von ihm und umspülten mich regelrecht. Die Assassinen wollten ernsthaft das Oberhaupt des Königreiches für ihre Zwecke einspannen?
Was habt ihr Ludwig versprochen, was auf ihn warten wird, wenn ihr erfolgreich wäret? Na los, sprecht schon! Oder weiß er gar nicht, dass ihr ihn nur ausnutzt um an euer Ziel zu gelangen? Meine Stimme überschlug sich schon fast wieder, so aufgebracht war ich.
Wir mussten ihm nichts garantieren, keine Versprechen abgeben. Als ich ihm sagte, ich wüsste, wer das Königshaus infiltrieren würde, hatte ich seine volle Aufmerksamkeit. Immer wieder gab ich ihm Namen und Hinweise… so verschaffte ich mir immer mehr Ansehen! Ein fieses, selbstsicheres Lachen zu hören, weil dieser Mann es wirklich geschafft hatte, Ludwig zu täuschen!
Ich schritt immer noch weiter, weil ich diese Erinnerungen suchen wollte, irgendwo mussten sie ja sein. Jetzt wo ich ein wenig das Vertrauen hatte und wir im Gespräch waren, hoffte ich auf noch mehr nützliche Informationen.
Etwas ließ mich inne halten und ich sah nach Rechts, wo sich ein kleiner Spalt auftat in der Wand. Ich ging näher heran und spähte hindurch. Dahinter war ein Raum auszumachen, welcher von ein paar Fackeln beleuchtet wurde und nur spärlich möbliert war. Jemand saß auf einem Stuhl und starrte in meine Richtung, so als warte er auf etwas!
Ich sah mich um, ob es einen Eingang gäbe, eine Geheimtür oder ähnliches. Nach einer gefühlten Ewigkeit und weiteren Beleidigungen durch diesen Bellec, welche mich immer wütender werden ließen, stemmte ich mich mit meinem ganzen Gewicht gegen diese doch recht morsche Wand. Nach dem 5ten Schulterstoß knirschten die Steine und die ersten Brocken stürzten zu Boden! Jetzt trat ich einfach zu und bahnte mir schließlich meinen Weg in diese Kammer!
Dann endlich stand ich im Inneren und sah mich einem älteren Mann gegenüber, welcher einen Speer umklammert hielt.
Du wirst ihn mir schon aus meinen toten Fingern reißen müssen, Weib. Mit einem Kampfschrei sprang er behände auf und begann mich anzugreifen!
Völlig überrumpelt versuchte ich in diesen Kampf zu kommen, doch es wollte mir nicht so richtig gelingen, zumal ich auch gar keine … plötzlich spürte ich ein Gewicht an meiner linken und rechten Hüfte! Beim genaueren Hinsehen waren dort zwei Äxte zu sehen… für eine exaktere Analyse fehlte die Zeit und ich griff kurzerhand nach meinen Waffen… ich begann mich zu wehren, versuchte meinen Angreifer zu attackieren. Dieser aber lachte wie besessen und schlug mit seinem Speer, an dessen Spitze sich Widerhaken befanden, auf mich ein.
Einige Male spürte ich einen stechenden Schmerz in meinem Oberarm, wenn er meine Haut durchbohrte.
Auch ich traf ihn diverse Male, am Oberschenkel oder am seitlichen Oberkörper, doch nichts schien ihn aus der Fassung zu bringen! Im Gegenteil! Durch seine lange Waffe konnte er mich wunderbar auf Abstand halten…
Ich brauchte eine andere Taktik und wieder einmal kam mir meine Größe zugute! Ich schaffte es mich unter seinen Hieben ein paar Mal hinweg zu ducken und kreiselte immer wieder um ihn. So hatte ich seine volle Aufmerksamkeit und er wirbelte seinen Speer so, dass ich entweder darüber springen musste oder unten durch rutschen konnte.
Und dann hatte ich ihn, seine Kraft ließ doch endlich nach und sein Atem ging stoßweise. Kurzerhand warf ich eine meiner Äxte nach ihm, traf sein Knie und brachte ihn so zu Fall. Seine Waffe hielt er nur noch mit einer Hand, die andere umklammerte sein Bein.
Nein, du bekommst ihn nicht. Er ist nicht für euch scheiß Templer gedacht! NIEMALS! Schrie er mit letzter Kraft und wollte schon nach mir schlagen, aber ich ließ meine andere Axt auf seinen Arm mit dem Speer nieder donnern!
Seine Hand hatte ich damit von seinem Körper getrennt, die kalten Finger umklammerten immer noch den Holzschaft und ein entsetzlich schauriger Schrei hallte in meinem Kopf!
Das kann nicht sein, nein, ich kann nicht versagt haben! Der Mann vor mir auf den Knien starrte seinen verstümmelten Unterarm an und sah auf sein ebenso kaputtes Knie, in welchem immer noch der Axtkopf steckte! Wir können nicht so versagt haben! Das ist einfach unmöglich! WER bist du, Weib? Was für eine Macht beherbergt dein Geist? Diese Worte sprach er immer leiser und dann sackte er völlig zusammen.
Auf der Seite liegend, sah er zu mir auf.
Mein Name ist Thyra und ich bin die Wächterin der Artefakte, welche ihr uns gestohlen habt. Mein Bruder Ragnall ist unwissend und blind für diese Mächte der Götter. Doch DU Sichfrith mac Ímair hast sie erkannt, doch konntest du nichts ausrichten. Und jetzt trete deine letzte Reise an! Meine Stimme klang seltsam und ich hatte in der alten Sprache gesprochen, wie es schien.
Es war, als würde ich wieder auftauchen, aber währenddessen wurden mir weitere Bilder geschickt. Jetzt wusste ich, wo ich diesen Speer finden konnte. Er war nicht weit weg, er befand sich mitten in Paris, in den dortigen Katakomben, welche seit Ewigkeiten als Lager, Unterschlupf oder auch Versammlungsräume genutzt wurden!
Langsam wurde mein Verstand wieder klarer und ich fand mich vor den Gitterstäben der Zelle von Bellec wieder. Eine Hand lag auf meiner Schulter und ich hörte die besorgte Frage, ob es mir nicht gut ginge. Erst jetzt spürte ich, dass ich zitterte. Aber nicht vor Kälte, sondern vor Erschöpfung. Mir taten meine Arme weh, mein Kopf dröhnte etwas und ich sah, dass der Gefangene auf seiner Pritsche saß und ebenfalls versuchte wieder klar denken zu können.
„Was ist denn passiert?“ fragte ich leise, weil van Holten und der Henker gerade nicht in der Nähe waren.
„Nichts im Grunde. Du standest ganz ruhig hier, es waren auch nur wenige Augenblicke. Plötzlich regte sich Bellec aber und richtete sich auf. Er versuchte zu sprechen, aber das schien ihm nicht zu gelingen, du siehst es ja. Sehen kann er gerade auch so gut wie nichts durch die geschwollenen Augenlider.“ Haytham betrachtete den Insassen für einen Moment und drehte mich dann zu sich, hob mein Kinn an. „Was hast du gesehen, mi sol? Du scheinst eine Menge Informationen bekommen zu haben.“ seine Stimme war immer noch besorgt.
Für eine Erklärung war es aber zu spät, weil die beiden anderen Herren wieder erschienen.
„Maîtresse Kenway, fühlt ihr euch nicht wohl? Ihr seid mit einem Male so blass. Oder hat dieser Abschaum euch etwa belästigt?“ polterte Radomèr los und wollte schon in die Zelle stürmen, aber ich konnte ihn noch davon abhalten.
„Nichts dergleichen ist passiert, Monsieur Radomèr. Es muss die stickige Luft hier unten sein.“ ich lächelte zuversichtlich und das schien ihn zufrieden zustimmen.
Jetzt schaltete sich der Richter wieder ein. „Dann wollen wir doch mal sehen, ob wir heute etwas mehr erfahren können von diesem Herren.“ damit schloss er die Türe auf und ergriff Honoré, zog ihn auf die Beine und ich hörte ein schmerzerfülltes Zischen aus dem Mund des Gefangenen.
Man führte ihn in einen separaten Raum nebenan, wo sich so einige Werkzeuge und Folterinstrumente befanden. Es sah aus wie in einem SM-Dungeon, nur dass hier die Handlungen definitiv nicht einvernehmlich vorgenommen wurden!
Man setzte den Gefangenen auf einen einfachen Holzstuhl und schnallte seine Arme auf den Lehnen fest. Seine Füße wurden in Eisen an den Stuhlbeinen befestigt und sein Oberkörper wurde ebenfalls an der Rückenlehne fixiert.
Barabás legte sich einige Stechwerkzeuge auf einem kleinen Tisch daneben zurecht, band seine schwere Lederschürze um und trat dann um Bellec herum.
„Na Freundchen, meinst du, du willst heute vernünftig mit mir sprechen?“ höhnte er ihn an und tätschelte dessen Wange. „Ich habe etwas ganz feines für dich, sieh doch mal… ach, das ist aber schade. Du kannst ja gar nichts erkennen. Vielleicht sollten wir den Druck von der Schwellung nehmen, was meinst du?“ Der Henker hatte seinen Beruf wirklich nicht verfehlt, sein Auftreten und die Stimme passten wirklich hundertprozentig.
Seine Finger griffen nach einer Art langer dicker Nadel und für einen Moment hielt er sie einfach gegen das Fackellicht und sein Blick hing verträumt auf diesem Gegenstand. Dann zog er ihn durch die Flamme einer Kerze und erst jetzt bemerkte ich eine Art Gehilfen, welcher hinter Bellec auftauchte. Dieser hielt jetzt den Kopf des Mannes fest und Barabás setzte die Spitze der Nadel auf das Augenlid. Man hörte ein leises Zischen und dann einen erstickten Schrei des Gefolterten.
Diesen Vorgang wiederholte man nun einige Male, unterbrochen von der Frage, wer ihn beauftragt hätte und warum! Doch es kam nicht eine einzige gesprochene Silbe über seine Lippen!
Radomèr war dazu übergegangen, kleine Metallspitzen unter die Fingernägel zu schieben und… verzeiht, aber auch ich bin nicht so abgebrüht, als dass ich hier alles wiedergeben werde.
Keine der weiteren angewandten Folterinstrumente oder -methoden zeigten Wirkung. Das Schweigen des Gefangenen verärgerte van Holten und den Henker nur mehr.
„Monsieur van Holten, haltet ein. Ich denke, es reicht! Wir werden diesen Herren nicht zum Reden bringen! Zur Mahnung findet in ein paar Tagen die Hinrichtung eh auf dem öffentlichen Platz statt, bis dahin hat er noch einmal die Gelegenheit, seine Taten zu bereuen.“ Haytham sprach diese Worte leise, aber bestimmt aus und sah die beiden erwartungsvoll an.
„Sicherlich habt ihr Recht. In meiner gesamten Laufbahn ist mir noch nie so ein sturer Mensch untergekommen!“ in Barabás´ Stimme klang eine gewisse Anerkennung mit und er zog Bellecs Kopf nach hinten und schaute ihn sich an.
„Wir werden auf die Aussage von Dagenais bauen und versuchen in den nächsten Tagen eventuell diese toten Briefkästen aufzuspüren. Irgendeine Spur müssen wir ja finden!“ meinte van Holten seufzend.
„Habt ihr die Zimmer der Herren eigentlich schon durchsuchen lassen?“ fragte ich jetzt nach, aber ich ging davon aus, dass das bereits erledigt war.
„Was? Nein, aber… Verdammt! Verzeiht, Maîtresse Kenway!“ Im Gesicht des Richters war ein Rotton erschienen, welcher keinen Zweifel daran ließ, dass er DARAN nicht mehr gedacht hatte. Und ich bezweifelte, dass wir JETZT noch fündig werden würden dort. Mit Sicherheit hatten Verbündete schon alle belastenden Unterlagen, Schriften und Gegenstände vernichtet oder weggebracht!
Ich sah meinen Mann seufzend und mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Deren Ernst? Was bitte ist denn das für eine Art Untersuchung? Jeder Depp weiß doch, dass man die Zimmer als erstes durchforstet.
Ein Achselzucken und er stimmte mir zu, verstand ebenfalls diese stümperhafte Arbeit nicht. Fürs Lamentieren war es zu spät und van Holten hatte es plötzlich eilig, den Gefangenen wieder wegzusperren und sich in dessen Schlafgemach umzusehen. Bei Dagenais würde ein Gehilfe des Richters das gleiche tun!
Wir folgten also van Holten hinauf und er führte uns zu dem kleinen Bereich, welcher für Wachen und Sicherheitspersonal bereit gestellt wurde. Bellec hatte hier ein recht großzügiges Zimmer bezogen, in welchem Platz für ein großes Bett, Schreibtisch, Regale und Kleiderschrank war.
Beim Eintreten hatte ich ein unwohles Gefühl und sah mich vorsichtig mit meinem Blick um, nahm aber nur die üblichen verblassenden blauen Auren wahr.
Haytham hingegen ging zielstrebig auf den Schreibtisch zu, versuchte eine Schublade zu öffnen und fluchte etwas unflätig. Zog dann aber ein kleines Messer und knackte das kleine Schiebeschloss! Zum Vorschein kamen lose Blätter und ein paar sorgfältig zusammengeschnürte Briefe.
Er überflog einiges, schüttelte aber immer wieder den Kopf und stöhnte frustriert. Leider war ich dem französischen nicht mächtig, also konnte ich beim Lesen nicht behilflich sein. Ich machte mich daran, den Nachtschrank und den Kleiderschrank unter die Lupe zu nehmen. Doch auch hier war nichts ungewöhnliches zu finden. Das einzig Interessante, vermutlich nur für mich, waren seine versteckten Klingen. Es waren aber keine Initialen oder Verzierungen darauf zu sehen, welche uns hätten Aufschluss geben können, wer hinter all dem steckt.
Mir ging wieder Dorian durch den Kopf, ob er nicht vielleicht doch seine Hände hier mit drin hatte?
Haytham, wir haben gestern nicht ein Wort mit Charles Dorian gewechselt. War er überhaupt anwesend? Auch ich war zu unachtsam gewesen und ich ärgerte mich über mich selber!
„Monsieur van Holten, habt ihr eine Liste von den Gästen, welche gestern beim Ball geladen waren. Sicherlich haben nicht alle hier übernachtet.“ kam es beiläufig von meinem Mann und der Richter nickte eifrig.
„Selbstverständlich, Maître Kenway. Ich lasse sie euch umgehend zukommen.“ und so suchten wir hier noch ein wenig nach weiteren Anhaltspunkten oder etwas Verdächtigem, doch Fehlanzeige.
„In seiner Korrespondenz ist nur die Rede von Lieferungen für die Armee oder wie die Truppenstärke besser ausgebaut werden könnte. Außerdem scheint der Herr ein guter Stratege zu sein, er hat unter anderem eine Art Schlachtplan aufgestellt. Die anderen Schreiben sind privater Natur, gehen an seine Frau und er erwähnt seinen Sohn Pierre ab und an. Vielleicht sollten wir diesen auch einmal aufsuchen und befragen.“ Unrecht hatte Haytham nicht, aber ganz wohl war mir einfach nicht dabei.
Zur Sicherheit warf mein Mann noch einen Blick unter das Bett des Attentäters, fand aber nur Staub vor.
Unverrichteter Dinge verließen wir die Räumlichkeiten der Wachen wieder und machten uns auf den Weg in unsere eigenen Gemächer, da das Mittagessen anstand und ich meinen Sohn wiedersehen wollte.
Umgezogen und mit Edward auf dem Arm gingen wir zum Essen hinunter. Ludwig saß dieses mal neben Maître Pastice, welcher ohne seine Gattin hier erschienen war. Verstohlen sah ich mich um, ob sie eventuell woanders Platz genommen hatte. Doch sie war wirklich nicht hier.
Die Gespräche waren wie üblich eher Smalltalk und Maria bat mich, später am Nachmittag noch einmal bei ihr zu erscheinen. Sie hätte noch etwas zu besprechen und dabei hatte sie ein verschwörerisches Lächeln auf den Lippen.
Ich brachte im Anschluss an das Essen Edward noch zu Bett, las ihm vor und stand dann einen Moment gedankenverloren einfach nur da.
„Master Edward wird einmal ein großartiger Anführer werden, Mistress Kenway. Er hat es in seinem Blut. Sein Großvater hat ihm alles was er braucht mitgegeben.“ hörte ich Sybill leise neben mir sprechen und ihre Hand legte sich auf meinen Arm.
„Er ist noch so klein, ich kann mir das alles noch gar nicht vorstellen. Vermutlich ging es mir damals bei Yannick ähnlich.“ lächelte ich auf meinen kleinen Sohn hinab.
„Vertraut mir.“ mehr sagte sie nicht und setzte sich in den Sessel am Kopfende. Leise verließ ich das Kinderzimmer und ließ mich wieder umziehen.
Gerade als ich fast fertig war, trat Haytham ein und wedelte mit einem Blatt herum! „Ich habe die Gästelisten gerade bekommen, mi sol. Du glaubst gar nicht, wer alles so anwesend war!“ auf seinem Gesicht war ein breites Grinsen erschienen und ich fragte mich, WER so wichtiges dort darauf stand.
Doch er wartete, bis die Zofen sich zurückgezogen hatten und wir gingen in das Empfangszimmer.
Mein Mann begann nun aufzuzählen, wer uns dort über den Weg gelaufen sein könnte. Und tatsächlich war es Charles Dorian mit Gattin, aber war diese nicht bereits von ihm getrennt? Oder… nein, Arno wird ja erst 68 geboren. Die Eheleute hatten im Gästeflügel ihre Räumlichkeiten und waren immer noch im Palast! „Glaubst du, er hat auch etwas mit diesem Mordversuchen zu tun?“ fragte ich ungläubig, weil ich es mir einfach nicht vorstellen konnte.
„Könnte sein, wenn wir ehrlich sind, oder? Aber was ich die ganze Zeit schon wissen wollte, WAS hast du bei Bellec gesehen, mi sol? Du sahst völlig geschockt aus und hast mir ehrlich gesagt kurz einen Schrecken eingejagt.“
Also berichtete ich auch Haytham von dem Kampf mit diesem Sichfrith und dass sein Speer eines der Artefakte ist, welches wir noch hier in Frankreich beschaffen mussten. Dann erzählte ich von diesem Moment, wo ich wieder als Thyra in Erscheinung getreten war und dass meine Vorfahrin einen Bruder namens Ragnall hatte. Leider hatte ich keine hinreichende Geschichtskenntnisse und kannte alle irischen, englischen und skandinavischen Könige und Jarls.
„Wir werden uns da wohl noch ein wenig schlau lesen müssen, mi amor.“ seufzte ich resigniert, weil ich befürchtete, dass es ausarten könnte. Vermutlich gab es zig Verbindungen und ich wusste ja, dass Siggtrygr auch irgendwie mit Thyra zu tun haben musste. Warum aber gerade diese irische Linie?
„Das habe ich mich auch schon gefragt.“ kam es zögerlich von Haytham und er sah mich lange an. „Ob wir eventuell einmal Shay diesbezüglich befragen sollten, mi sol? Aber eine wirklich Verbindung gibt es nicht nach Irland. Vielleicht ergibt sich ja irgendwann einmal ein Gespräch darüber.“ und damit war das auch erledigt, fürs Erste.
Jetzt galt es aber, noch ein paar bekannte Namen zu finden und Haytham wurde auch fündig, doch leider sagten mir diese Herrschaften überhaupt nichts. Er hingegen hatte sie im Kopf, weil sie wichtige politische Persönlichkeiten waren, welche mir noch nicht untergekommen waren. Nicht jeder tauchte in den Geschichtsbüchern auf, aber ich hörte ihm aufmerksam zu.
Unter anderem war ein Diplomat namens José Caraces, ein spanischer Vertrauter des Königs zugegen gewesen. Seine Begleitung war aber nicht wie erwartet seine Gattin, sondern, wie sollte es anders sein, seine Mätresse, welche man als „Nichte“ ausgegeben hatte. Dieser Herr war verantwortlich für die guten Beziehungen der beiden Königshäuser und man versuchte anhand von diesen Beispielen auch andere Familien zu vereinen und zu versöhnen. Noch waren die Erbfolgekriege nicht im geringsten beendet. An jeder Ecke züngelten neue Konflikte und neue uneheliche Kinder der Königshäuser tauchten auf. Auf Dauer war sowas schon sehr ermüdend.
Dann gab es noch den englischen Gesandten Michael Brewster, welcher in seiner ebenfalls vermittelnden Stellung, hier ein – noch - gern gesehener Gast war. In ein paar Jahren würde es ganz anders aussehen!
Haytham zählte noch ein gutes Dutzend dieser wichtigen Persönlichkeiten auf und gab mir auch immer die entsprechenden Erklärungen dazu.
„Mi sol, hörst du mir eigentlich noch zu oder rede ich wieder mit einem Stein?“ kam es gespielt säuerlich von ihm, aber er lächelte mich an.
„Doch doch… ich höre schon zu, aber ich kann mir doch nicht alles merken, mi amor. Und seien wir ehrlich, bisher haben diese ganzen Personen auch keinerlei Bezug zu den Morden oder Mordversuchen.“ meinte ich gähnend und gerade als ich nach meinem Glas greifen wollte, unterbrach uns ein Diener.
„Maîtresse Kenway! Ihre königliche Majestät erwartet euch in ihren Gemächern!“ der Ton war etwas vorwurfsvoll und ich schrak hoch. Das hatte ich völlig vergessen! Ein schneller Kuss für Haytham und ich eilte dem Diener hinterher.
Maria erwartete mich bereits in ihrem Empfangszimmer, doch als ich mich umsah, fiel mir auf, dass wir alleine waren!
Ich wurde etwas nervös, weil ich befürchtete, ich hätte sie verärgert oder schlimmeres wäre passiert.
Zu meiner Freude begann sie, mich auf deutsch anzusprechen und lächelte mich freundlich an! „Ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich mich freue auch einmal wieder in einer mir geliebten Sprache zu kommunizieren!“ kam es glücklich von ihr.
„Eure Majestät, dass kann ich mir vorstellen. Mir geht es nicht anders, leider habe ich aber kaum Gelegenheit dazu. Und ich muss auch gestehen, ich beherrsche Französisch so gut wie gar nicht. Auch wenn ich darin unterrichtet wurde, anscheinend aber nicht gut genug.“ ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen und sie fiel mit ein.
„Wir haben alle unsere kleinen Fehler und Makel…“ es entstand eine etwas unangenehme Pause und ihre Augen glitten in weite Ferne. „Ich habe euch aber aus einem doch recht delikaten Grund zu diesem Gespräch gebeten…“ verstohlen sah sie sich um und ich ahnte, dass sie Angst vor den Ohren in den Wänden hatte.
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass mein Gatte nicht nur Beischlaf mit seinen Mätressen pflegt, sondern mittlerweile auch einige junge Zimmermädchen in sein Bett holt oder sein Arbeitszimmer, je nach dem!“ platzte es aus ihr heraus und ich sah sie mit großen Augen an. Das mochte ja sein, aber was sollte ich denn bitte dagegen unternehmen? Oder ging es um etwas anderes?
Nein, darum ging es ihr nicht. Auch sie hatte sich einen Liebhaber zugelegt, welchen ich heute noch kennenlernen sollte. Dieser hätte in Paris ein sehr schlüpfriges Geschäft eröffnet, teilte sie mir nun mit und wurde sehr rot im Gesicht. Aha, also so etwas wie in London, in welches mich Faith geschleift hatte und ich mein Spielzeug erworben hatte! Welches ich immer noch nicht eingeweiht hatte, fiel mir ein.
„Ich habe mir sagen lassen, dass ihr eine sehr aufgeschlossene junge Frau seid, welche… nun ja, auch… unkonventionelle Wege beschreitet und ich… ich habe eine Dame an meiner Seite, welche ich mehr als nur begehre. Doch ich weiß nicht, wie ich… sie ist leider sehr schüchtern und noch unerfahren…“
Ich sollte nicht ernsthaft die Kupplerin spielen, oder? „Majestät, verzeiht, aber ich kann euch nicht ganz folgen. Ihr erwartet hoffentlich nicht von mir, dass ich diese Dame in gewisse Geheimnisse einweise?“ fragte ich jetzt einfach direkt nach und Maria sah mich erleichtert an.
„Nein, nicht ganz, Frau Kenway! Ich bräuchte nur ein wenig Beistand. Wie soll ich auf meine Wünsche aufmerksam machen, wenn sie doch vielleicht nicht so empfindet wie ich? Ihr wisst ja, gleichgeschlechtliche… wenn das an die Öffentlichkeit käme…“ diese so betagte Frau fragte ernsthaft, wie sie eine Beziehung eingehen konnte, ohne zu viel Wind zu machen. Anscheinend waren ihr ihre horrenden Spielschulden egal, welche auch kein gutes Licht auf sie warfen!
„Lasst sie mit kleinen Gesten wissen, wie ihr empfindet. Sucht kleine Schlupflöcher um einen Grund zu haben, mit ihr alleine zu sein. Fragt immer mal wieder nach belanglosen Dingen, welche aber auf ihre Vorlieben hindeuten könnten. So macht ihr euch ein Bild dieser Frau.“ mehr konnte ich ihr auch nicht raten, doch das nächste, was kam ließ mich an ihrem Verstand zweifeln.
„Ich hatte mir bereits überlegt, einen Termin mit meinem Geschäftsfreund und Liebhaber zu vereinbaren. In diesem wollte ich ihr einige besondere Stücke präsentieren, welche man auch im Liebesspiel mit einbringen könnte. Wäre das zu dreist?“ für einen Moment musste ich sie wohl nur angestarrt haben, weil sie meinen Arm griff und mich leicht schüttelte.
„Ähm… also, das wäre einfach zu forsch, eure Majestät. Ihr kennt doch noch gar nicht die Vorlieben dieser Dame. So würdet ihr sie wohl eher verschrecken.“ erläuterte ich ihr meine Sichtweise.
„Ihr habt Recht, am besten wäre es, ihr wäret ebenfalls mein Gast bei diesem Gespräch. Ganz unverfänglich könnten wir…“ nein, das war nicht ihr ernst.
„Bei allem Respekt, aber ihr müsst wirklich mit mehr Fingerspitzengefühl daran gehen. Befolgt erst einmal die kleinen Schritte, welche ich vorschlug.“ in ihren Augen sah ich, wie sich ihre Phantasien bereits überschlugen. Für so forsch hatte ich diese Frau nicht gehalten.
„Habt ihr derlei Erfahrungen schon machen können, Frau Kenway?“ fragte sie, nachdem sie sich erhoben hatte und sich von einem kleinen Beistelltisch ein Glas zu trinken nahm. Mir gefiel es nicht, ihr von meiner Liebe zu Faith zu erzählen.
„Haben wir nicht alle schon einmal so etwas erlebt?“ meinte ich stattdessen leichthin und erntete einen erstaunten Ausdruck.
„Nein, natürlich nicht. Wo denkt ihr hin! Ich komme aus einem strengen katholischen Haus!“ natürlich kam sie von dort! Das hieß aber nicht, dass sie keine unkeuschen Gedanken hatte.
In der nächsten Stunde ging es lediglich immer wieder darum, wie sie vorgehen sollte, was sie sagen sollte, was sie für Gesten machen sollte. Wir übten sogar, weil sie doch recht plump einfach die besagte Dame in den Arm nehmen wollte und sie regelrecht überfallen würde damit.
Also packte ich meine Flirttipps aus und hoffte, sie stießen auf fruchtbaren Boden.
„Euer Gatte… wie habt ihr ihn kennengelernt?“ kam es ganz beiläufig und ich begann „unsere“ Geschichte zu erzählen. In ihre Augen trat ein entzückter Ausdruck und als sie „Wie romantisch…“ seufzte, wusste ich, sie war tief im Inneren eine hoffnungslose Romantikerin. Auch wenn sie den Beischlaf mit ihrem Mann verweigerte… das war aber nicht mein Problem.
Plötzlich schlug das Thema um und sie kam verschwörerisch näher. „Habt ihr auf dem gestrigen Ball auch diese schrecklichen Schreie von Maîtresse Pastice gehört? Was hat sie nur angestellt, dass ihr Mann sie so hart bestraft hat?“ Wir waren doch unter uns, oder? Also erzählte ich von dieser Grapschattacke und Marias Augen weiteten sich vor Entsetzen.
„Ihr meint, sie hat… also wirklich! Vor euren Augen und denen ihres eigenen Gatten? Dann ist die Reaktion selbstverständlich nachzuvollziehen!“ jetzt war es an mir einen entsetzten Gesichtsausdruck an den Tag zu legen.
„Da bin ich aber anderer Meinung, zumal sie heute auch nicht beim Essen anwesend war. Ich hoffe, es geht ihr gut. Auch wenn ich ihre Tat nicht gut heiße!“ in diesem Moment fragte ich mich, ob die Königin sich eigentlich Gedanken über die beiden Mordversuche an ihrem Gatten machte. Wie es schien nicht wirklich, weil sie kein einziges Wort darüber verlor.
Im Endeffekt verblieben wir so, dass übermorgen der besagte Liebhaber beziehungsweise Geschäftsinhaber hier im Palast erscheinen sollte, nicht alleine für die bevorzugte Dame ihrer Majestät, sondern ganz allgemein. Es gab eine kleine, aber exquisite Damenrunde, in welcher man ein paar Modelle vorgeführt bekäme. Sie lud mich herzlich dazu ein und sie hoffte, ich würde gerne Champagner trinken, denn dieser gehöre bei diesen Treffen immer dazu. Sollte ich dem wirklich zustimmen? Wie sollte ich Haytham das erklären, oder müsste ich das überhaupt? Fragen über Fragen und mir schwirrte wieder Kopf.
Als ich mich dann verabschiedet hatte und Maria mir noch einmal dankte für meinen Rat, ging ich in unsere Räume und ließ mich auf das Sofa im Empfangszimmer fallen.
„Mi sol, da bist du ja wieder.“ hörte ich Haytham aus der anderen Ecke sprechen, ich hatte ihn am Schreibtisch dort gar nicht bemerkt.
Ich stand auf und ging zu ihm hinüber, lehnte mich hinter ihm an und seufzte müde.
„Sehe ich eigentlich aus wie eine Kummerkasten-Tante?“ fragte ich gähnend.
„Wie was?“ Sein Kopf fiel nach hinten und er sah zu mir auf.
„Naja, warum glauben immer alle, ich helfe bei ihren Problemen, ob es nun eher normale einfache Dinge sind oder eben die recht delikaten Sachen betrifft.“
Bevor er fragen konnte, erstattete ich einfach Bericht und seine Augen wurden immer größer, seine Wangen röteten sich auch immer mehr. Als ich dann meine Ausführungen beendet hatte, sah er mich immer noch kopfschüttelnd an.
„Na, da hat ihre Majestät ja genau die richtige Ansprechpartnerin gefunden!“ lachte er und konnte kaum damit aufhören. Verärgert stieß ich ihm in die Seite.
„Du hast ja auch nicht über zwei Stunden damit zugebracht, Tipps zu geben, wie man jemanden am besten erobern kann!“ jetzt lehnte ich mit dem Rücken am Schreibtisch neben ihm und verschränkte die Arme schmollend vor der Brust.
„Nein, aber ich finde diesen Anblick gerade sehr anziehend, mi sol.“ langsam erhob er sich, schob mich auf die Arbeitsfläche und schob meine Röcke hoch. „Und dieser Gedanke, dass du dieses Gespräch mit mir teilst, einfach weil du dieses Vertrauen in mich hast, bereitet mir wohlige Schauer!“ meine Arme schlangen sich um seinen Nacken und ich zog seinen Mund zu mir herunter!
„Ich wusste, du würdest mich unterstützen, mi amor. Und ich bin so froh, dass wir uns ohne viele Worte verstehen!“ meine Hände griffen in seine Haare und mein Kuss war fordernd, ich wollte jetzt mehr haben…
Es klopfte, nicht nur einmal, doch ich wollte mich nicht von meinem Mann lösen. Leider war es uns nicht vergönnt ein paar ruhige Minuten zu haben in diesem Moment. Es waren Michael, Nathalie und Magda, welche uns mitteilten, dass das Abendessen anstand.
„Vergiss nicht, wo wir stehen geblieben waren, mi sol.“ hauchte er noch an mein Ohr und zog mich vom Schreibtisch herunter.
„Wie könnte ich das?“ und meine Hand landete auf seinem Hintern!
Edward war heute Abend recht schlecht gelaunt, was anscheinend daran lag, dass man ihm seinen Schimmel kaputt gemacht hatte. „Es gibt wirklich schon in diesem Alter kleine Rüpel, welche sich einfach nicht zu benehmen wissen. Aber ich werde mich, sobald Master Edward im Bett ist, daran setzen sein Stofftier zu flicken!“ meinte Sybill und lächelte ihren Schützling an, welcher traurig auf die Überreste seines Spielzeuges blickte.
Gemeinsam brachten wir ihn später zu Bett und als ich begann zu singen, erschien ein breites Lächeln auf dem Gesicht. „Igda… ho…“ Yggdrasil war ein hoher Baum, da hatte er Recht! Seine Fortschritte waren einfach immer noch bemerkenswert und sehr faszinierend.
Als seine Augen dann zufielen, ging ich leise hinüber ins Empfangszimmer, wo Haytham zu meinem Erstaunen mit Monsieur de la Sérre saß und in ein Gespräch vertieft war.
Beide erhoben sich, als sie mich bemerkten und als ich mit einem Glas des guten Champagners wieder Platz genommen hatte, taten sie es mir gleich.
„Maîtresse Kenway, verzeiht mein unangekündigtes Erscheinen. Aber mir sind die Anschläge auf den König zu Ohren gekommen und ich wollte mich selber davon überzeugen, dass man dem ganzen auch Einhalt gebieten würde!“ wo dachte er denn hin. Wir hofften natürlich, dass es keine weiteren Anschläge gab.
Wir berichteten von den Verhören, von der erfolglosen Suche in Bellecs Zimmer und dass wir uns dringend mit Charles Dorian in Verbindung setzen mussten. Bei der Erwähnung dieses Namens schüttelte Francois den Kopf und lächelte ein wenig überheblich.
„Ihr haltet immer noch daran fest, dass man die Bünde vereinigen kann, verstehe ich das richtig?“ kam es etwas abfällig aus seinem Mund.
„Nein, in diesem Falle geht es darum, sicherzustellen, dass die Assassinen nicht noch weitere Personen hier eingeschleust haben.“ sprach ich etwas zickiger, als beabsichtigt.
„Ich sollte euch bezüglich unserer Leute hier im Palast und in den verschiedensten Ämtern nun aufklären. Und ich weiß, dass es etwas spät ist, aber noch nicht zu spät.“
Und jetzt erfuhren wir, dass van Holten unter anderem ein Templer war, welcher seit einigen Jahren schon gute Dienste hier leistete. Diverse Wachen, Diener und sogar einige Zimmermädchen gehörten dem Orden an. Auch waren einige Zulieferer für die Lebensmittel Templer, wenn auch in niedrigeren Positionen, aber auch das Fußvolk brauchte der Orden um voran zu kommen. Somit deckte man hier in Frankreich fast alle Bereiche ab. Sogar in der Kirche, was nicht wirklich ungewöhnlich erscheint, weil die Lehren der Templer ja auf ihrem Glauben beruhten.
Dann war ich eine große Ausnahme, weil ich nicht christlichen Glaubens war, oder? Doch ich verwarf diesen Gedanken, das würde zu unendlichen Diskussionen führen, befürchtete ich.
Wir kamen jetzt doch überein, dass ein Gespräch mit Charles unausweichlich sei und wir uns mit ihm in Verbindung setzen würden. Monsieur de la Sérre ließ ein Schreiben aufsetzen und schickte einen seiner Diener los, dieses zu überbringen!
„Ich hoffe, dass mir dieser Mann nicht gleich die Kehle aufschlitzen will wie meinem… lassen wir das. Wie sagtet ihr so schön, Maîtresse Kenway? Wir müssen über den Tellerrand schauen und die Scheuklappen ablegen!“ sein Seufzen kam von ganz tief, aber ich spürte, er war über seinen Horizont gesprungen, hatte seine Denkweise überdacht! Bei diesem Gedanken schossen mir schon wieder Tränen in die Augen, weil diese Einigung wieder in greifbare Nähe rückte.
Auch wenn sie noch einmal schwer erschüttert wird, weil Shay … aber das gehört jetzt nicht hierher. Er kann ja nichts dafür, es muss sein!
Nach ungefähr einer Stunde erhielten wir die Rückmeldung von Dorian, dass er sich ein wenig Bedenkzeit erbittet! Aber würde uns kontaktieren, wenn er zu einem Entschluss gekommen sei! Das war nur ein kleiner Rückschlag, nichts schlimmes, redete ich mir ein!
Es war nun schon dunkel geworden und Monsieur de la Sérre verabschiedete sich mit den Worten, wir würden uns in den nächsten Tagen noch einmal zusammen setzen.
Reichlich erschöpft ließ ich mich wieder auf das Sofa plumpsen und nahm mir ein weiteres Glas Champagner.
„Alex, reicht es nicht auch so langsam?“ kam es maulig von meinem Mann.
„Ich weiß es nicht, aber ich kann heute nicht mehr denken. Erst das mit dem Verhör, dann dieses Gespräch mit Maria, dann Edwards schlechte Laune und… können wir nicht einfach auch mal ganz normal wie alle anderen auch leben?“ und ich weiß, ich klang jammernd und meine eigene schlechte Laune brach heraus.
„Ich habe nicht darüber nachgedacht, dass du soviel im Kopf hattest heute. Zumal ich zu gerne wissen möchte, wie deine Vorfahrin aussah, was sie so erlebt hat…“ Haytham saß neben mir und hatte mich an sich gedrückt.
„Sie sieht wirklich aus wie ich, Thyra hat interessant geflochtene Haare und… eine Tätowierung über dem linken Auge. Es sieht aus wie ein Baum…“ ich rief diese Bilder in meinen Kopf und ließ sie meinen Templer sehen.
Dein Ebenbild, fürwahr. Fühlst du sie, kannst du ihre Gedanken spüren? Hörte ich Haytham in meinem Kopf.
Nein, nicht ganz, aber ich mag mich auch täuschen, weil ich deinen Vater hinter einigen Dingen noch vermute. Mittlerweile bin ich mir überhaupt nicht mehr sicher, wer ich wirklich bin…
Bei diesem Gedanken brach ich in Tränen aus, weil mir bewusst wurde, dass ich wie eine gespaltene Persönlichkeit daher kam. WER war ich, WAS war ich und vor allem WARUM passierte das alles?
„Alex, ich weiß wer du bist! Ich habe dich kennengelernt, als du selber noch nicht wusstest, was uns erwartet. Und jetzt? Du bist immer noch dieselbe Frau, welche ich liebe, auf die ich gewartet habe und dann geheiratet habe!“ diese Worte waren alles was ich brauchte! Es brauchte keine Erklärungen, wir waren verbunden, wir gehörten zusammen und würden es auch immer bleiben!
Mit diesem Gedanken beseelt verbrachten wir eine unglaubliche Nacht, in welcher ich ein wenig von dem Wikinger-Gedanken meiner Vorfahrin im Bett einfließen ließ. Meinem Mann gefiel meine ungestüme Art und er ließ sich einfach treiben und ein klein wenig lenken…
Das passende Lied für dieses Kapitel
Waren wir jetzt wieder einen Schritt weiter?
…
Mit diesem Gedanken erwachte ich im Morgengrauen und sah mich verschlafen um. Haytham lag neben mir und schlief noch, was immer wieder erstaunlich für mich war. Die Vorhänge bewegten sich leicht im Luftzug und man spürte diese Frische über sich hinweg gleiten! Es war aber noch zu früh um aufzustehen, also drehte ich mich in die Decke und schlang meinen Arm und Bein um meinen Mann, welcher leise seufzend seinen Arm um mich legte.
Die Rückführung erlebst du ohne unser Zutun wie es scheint, mein Kind! Halte daran fest, versuche Thyra zu fühlen, dann kannst du ihre Gedanken, ihre Erinnerungen und alles was sie umgibt auch verinnerlichen…
Hörte ich da Erleichterung aus Odins Stimme? Hatte er Bedenken vorher gehabt, mich meine Ahnen sehen zu lassen? Bei den Göttern, warum machte ich mir schon wieder solche Gedanken? Ich hatte vorerst ganz anderes zu bedenken, wir mussten diese Attentäter ausfindig machen, wir mussten den oder die Schuldigen ausfindig machen. Meine persönliche Reise stand auf einem ganz anderen Blatt… Nein, ich wollte nicht so egoistisch sein.
Du bist nicht egoistisch! Es ist wichtig, dass du weißt, woher du kommst, wer dich und deinen Geist geprägt hat!
Aber warum bekam ich alles nur Häppchenweise? Wäre es am Stück nicht besser? Schon damals die Träume mit Faith waren anstrengend, weil ich immer wieder herausgerissen wurde!
„Mi sol, was ist los? Du zitterst schon wieder und… du meine Güte, du strahlst ja förmlich!“ Haythams Stimme hatte einen leicht panischen Unterton und er starrte mich an. Erst jetzt sah ich diese Zeichen auf der Haut, welche aber dieses Mal wirklich glühten!
„Ich weiß es nicht… was passiert mit mir?“ ich sprang aus dem Bett und betrachtete mich im Spiegel des Kleiderschrankes, mein Atem ging stoßweise, weil dieser Anblick mehr als beängstigend war!
Plötzlich hörte ich die Stimme von unserem Enkel, welcher mich zur Ruhe mahnte. Auch Idun versuchte mich zur Ruhe zu bringen, doch all das half nicht.
Mit diesen Zeichen beschützen wir die Menschen… hörte ich die Stimme unseres Sohnes! Dann trat Haytham hinter mich und in seinen Augen lag ein goldenes Leuchten, als er mit mir sprach.
Wir sind fast am Ziel wie es scheint… dann nahmen seine Augen wieder den grauen Farbton an und er sah mich dennoch fragend an.
In meiner Panik rief ich jetzt, im wahrsten Sinne des Wortes, Odin an. Ich brauchte eine Erklärung, JETZT!
Ich sehe es und ihr seid durch die Begegnung mit Bellec weiter, als ich es vorausgesehen hatte. Die Nornen haben mich nicht unterrichtet! Etwas scheint dort eine Blockade zu errichten! … und wie aus einem Mund kam es von Haytham, Odin und mir… Hrymr!
Aber ich spürte keinen Hass, keinen Zorn oder ähnliches. Das einzige was ich fühlte war eine gewisse Leichtigkeit, weil wir… man manipulierte uns schon wieder! Man, oder besser dieser Gott, versuchte uns erneut in Sicherheit zu wiegen!
Ihr müsst eine Barriere schaffen! Haltet diese aufrecht, bis wir wieder sicher sein können, dass keine Gefahr mehr droht! Elias klang schon fast panisch in meinem Kopf, aber auch er hatte diese Präsenz gespürt! Doch was oder wer war plötzlich in Haytham gefahren?
Tyr! (Augenmerk auf Mars Thingsus!) war das letzte was ich von dem Allvater vernahm, dann war alles ruhig und ich konnte mich auf mich und diesen Schutzwall konzentrieren!
Als dieser meiner Meinung nach gefestigt war, sah ich zu meinem Mann auf!
„Du? Hast du es nie geahnt oder gefühlt? Du bist der Kriegsgott, du musst doch etwas bemerkt haben!“ meine Stimme überschlug sich beinahe, aber ich sah in seinen Augen diesen Unglauben, weil auch er es nicht begreifen konnte.
„Nein, ich habe nichts dergleichen wahrgenommen! Liegt es vielleicht daran, dass ich nicht diesen Glauben verinnerlicht habe, so wie du?“ eine berechtigte Frage, weil man ja auch Edward damals erst einmal auf seine Fähigkeiten hinweisen musste.
„Bei allen Göttern…“ stöhnte ich laut auf, weil so viele Dinge wieder gleichzeitig oder auch schnell hintereinander passierten, sodass man keinerlei Verschnaufpause hatte.
Und dann schien es, als würde aus meinem Mann eine andere Gestalt treten! Mit großen Augen sah ich die Umrisse vom großen Kriegsgott, wie er mit Schild, Schwert und Helm neben ihm stand!
Deine Aufgabe ist dir bekannt! Du schützt deine Familie und stehst den Menschen zur Seite, welche sich nicht selber verteidigen können. Genau das, was du schon seit jeher gelernt hast, setzt du mit deiner Frau und deinen Kindern an deiner Seite fort!
Seine Worte waren eindeutig und ich erkannte die Parallelen zu Haytham, er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, als Familienoberhaupt uns zu beschützen. Doch war ihm noch nicht klar geworden, dass auch er noch eine weit größere Verantwortung hatte.
Aber… wer, oder WAS war ich? Jeder hatte mittlerweile ein gewisses Pendant, nur mir fehlte noch diese Art der Zuweisung…
Du vereinst viele!
Worte, welche so selbstverständlich daher kamen, dass ich kaum an mich halten konnte! WEN VEREINE ICH! schrie ich in meinem Kopf! Ich wollte Antworten! Vor Wut ließ ich mich auf die Knie fallen und mir liefen die Tränen über die Wangen! Mir fehlte eine Identität! Ich wollte wissen, WER ich bin!
Bald wirst du es erfahren! Doch du musst noch Geduld haben!
GEDULD?
Ich atmete schwer, klammerte mich um meine Knie und wiegte mich hin und her. Nein, ich wollte das alles nicht mehr! Ich wollte ein normales Leben! Dieser ganze Irrsinn sollte ein Ende haben! Fühlte es sich so an, wenn man verrückt wurde? Hatte ich nicht schon einmal dieses Gefühl gehabt? …
Ein warmer Mantel senkte sich über mich, ich spürte Arme, welche mich hochhoben und zum Bett trugen! Dieser goldene Schimmer brachte mir diesen inneren Frieden!
„Alex, ich bin da, beruhige dich. Wir sind noch nicht am Ziel, aber auf einem guten Weg dorthin. Vertrau mir!“ Haythams Stimme beruhigte mich und ließ mich etwas klarer sehen. Woher wollte er das aber wissen? Auch er hatte doch gerade eben erst erfahren, wen er verkörperte. Wie konnte er so schnell schon wieder diese Ruhe inne haben?
„Ich habe es geahnt, dass ich nicht immer alleine agiere. Und jetzt… schließe deine Augen…“
Ich tat, was er von mir verlangte und ich fühlte wie er mich führte, mich einfach an einen ruhigen Ort brachte! Die Weideneiche in Virginia… Die Bank… Der Blick auf den James River in der untergehenden Sonne… wir waren zuhause… ich atmete tief durch…
Nein, das war nicht real! Wir waren in Frankreich, in Versailles! Tausend Alarmglocken begannen mich wachzurütteln!
„Mi sol, wach auf!“ hörte ich Haythams alarmierte Stimme neben mir und sah zu ihm auf!
Er hatte meine Arme gepackt und versuchte mich zu bändigen, wie es schien. „Ich habe es nur gut gemeint, ja… wir sind in Frankreich! Aber es ist alles in Ordnung! Komm zu dir!“ seine Stimme flehte mich förmlich an.
Ich begann eines meiner Mantras zu sprechen… langsam beruhigte ich mich und meinen Geist… Als ich erneut aufsah, sah ich die warmen grauen Augen meines Mannes und alles „göttliche“ war verflogen!
Langsam begann mein Verstand tatsächlich wieder zu arbeiten und ich setzte mich vorsichtig im Bett auf. Mein Blick glitt von Haytham über mich und durch das Zimmer, aber ich nahm nichts ungewöhnliches mehr wahr. Außer, dass es noch stockdunkel war. Moment, gerade war es noch am dämmern oder nicht…?
Die Eindrücke unserer Welt verschmelzen leider oft mit eurer in Midgard! Wir können es nicht lenken!
Zeitzonen? Das war Elias´ Ernst? Es gab auch dort Zeitunterschiede zu unserer Welt? Bei Odin… mir entwich ein dümmliches Kichern, weil mir jedes Mal dabei bewusst wurde, dass ich ihn immer persönlich ansprach. Musste das nicht auf Dauer anstrengend sein? Ich war ja bestimmt nicht die einzige Person, welche solche Ausdrücke nutzte!
Manchmal glaube ich, du hast mir nicht zugehört, Kind. Du nutzt meinen Namen nicht um jemanden zu verfluchen. Du verwendest ihn um kundzutun, dass etwas schwierig wird oder auch einfach nicht so leicht zu bewältigen ist… Denk einfach einmal darüber nach. Ich stehe an deiner Seite und helfe!
Gut gut… ich atmete tief durch, drehte mich in die Richtung des Seife und Lavendel Dufts, schlang meinen Arm und mein Bein um diesen Mann… und kam zur Ruhe!
Mit einem Glucksen hörte ich Haytham noch sagen „Ich bin ein Kriegsgott!! Wer hätte das geahnt?“ doch irgendwie beruhigte mich dieser Satz neben dem von meinem Allvater!
„Wir sind eine sehr illustre Familie wie es scheint! Im Grunde fehlen nur noch die Paparazzi, die uns vor der Tür auflauern…“ kicherte ich leise und bereute meinen Satz!
„Was sind bitte diese… Parazzis?“ ich seufzte resigniert und erklärte meinem Gatten, was es mit dieser Bezeichnung auf sich hat.
„Haben diese Leute nichts zu tun, keine Arbeit, oder warum haben sie Zeit berühmten Persönlichkeiten aufzulauern?“ Dass das durchaus auch ein Beruf ist, konnte ich ihm nicht begreiflich machen, weil er das Prinzip der Regenbogenpresse nicht kannte und auch nicht verstehen würde.
„Stell dir einfach vor, jemand bekommt für jedes gute Bild einen Haufen Kohle wenn es gut läuft. Die Menschen lechzen nach Ablenkung, nach Skandalen und schlüpfrigen Geheimnissen! Das ist auch hier am Hofe so, wenn ich so darüber nachdenke.“ ich konnte ein Gähnen nicht mehr unterdrücken, gab meinem Mann noch einen Kuss und kuschelte mich dann an ihn. „Ich liege tatsächlich mit einem Gott im Bett…“ meinte ich leise kichernd.
„Danke…“ ein Kuss auf meine Stirn und Haytham schlang seinen Arm um mich.
Liste der Götter und Artefakte
Edward James Kenway
Gjallarhorn (Das Horn, mit welchem die Ragnarök angekündigt wird!)
Tessa Kenway
Hüterin des Schmuckkästchens der Göttermutter Frigg
Haytham Kenway
Tyr ist ein Gott in den altisländischen Schriften der Edda, wo er einerseits als Gott des Kampfes und Sieges benannt ist, andererseits aber auch als Bewahrer der Rechtsordnung auftritt.
Elias Lestrange (Duke of Ironside)
Speer und Schwert - Odins Thron befähigt ihn, alle 9 Welten zu sehen, weswegen Elias in seinem Studierzimmer einen reichverzierten Stuhl hat. Dieser begleitet ihn auf jeder Reise!
Mistress Lestrange (Odins Gemahlin!)
Spinnrad (sie soll laut Überlieferung, die Wolken gewoben haben!) Frigg gehört zum Götter-Geschlecht der Asen. Sie ist die Gemahlin des Göttervaters Odin und Mutter des Lichtgottes Balder, des blinden Gottes Högur, von Hermor und Bragi, Gott der Dichtkunst und auch die Mutter der Walküren.
Frigg ist die Göttin des Hausstandes, der Sippe und der Familie. Sie ist Hüterin und Bewahrerin der göttlichen Ordnung, greift jedoch nicht, wie ihr Gatte Odin, in das irdische Geschehen ein.
Finley Bradshaw
Ring der die Midgardschlange darstellt.
Loki ist eine der vielschichtigsten Gestalten des nordischen Pantheons: Einerseits hilft er den Göttern, andererseits spielt er ihnen auch Streiche und hintergeht sie. Dabei macht er von seiner Fähigkeit als Gestaltwandler Gebrauch und erscheint zum Beispiel in der Gestalt eines Lachses oder einer Fliege. Aufgrund dieser ambivalenten Rolle wird er häufig als Trickster-Figur interpretiert. Es gibt viele Geschichten in der Edda, in denen Loki eine Rolle spielt:
- Loki, Thjazi und die Entführung Iduns
- Loki und der Bau von Asgard
- Loki und Thor
- Loki und die Kleinode der Götter
- Loki als Räuber des Brisingamens
- Loki und Andvari
- Loki und Balders Tod
- Loki und Ragnarök
- Loki und Celty
Francis Bradshaw (Lokis Ehefrau)
Eine goldene Schale, mit welcher sie das Schlangengift auffing, damit ihr Mann nicht leiden musste! Sie ist das Sinnbild der ehelichen Treue!
Artem Alexeeva
~kein Schmuck~ Ein Riese, welcher als das erste Lebewesen gilt in der nordischen Mythologie. Später wird er von Odin und seinen Brüdern zerrissen! Und aus seinem Körper entsteht die Welt!
Eugene Avdeyev
~kein Schmuck sondern sein Schiff ist besonders~ Naglfar, das Totenschiff, mit welchem er durch die Welten reisen kann! Hrymr (altnordisch), auch Hrym oder Hrymir, ist in der nordischen Mythologie ein Riese, der in der Ragnarök auftritt. Nach der Prosa-Edda steuert er das Totenschiff Naglfar, nach der Völuspá kämpft er in Waffen gegen die Götter. (Nicht zu verwechseln mit der Naglfar aus „The Witcher 3“!!! Man hat sich dort nur der nordischen Mythologie bedient!!!!)
Mrs. Wallace
Snotra ist die Göttin der Klugheit, der Tugend und der Sittsamkeit. Sie gilt als kluge, zierliche Asin und schützt tugendhafte Menschen, besonders die edlen und sittsamen Jungfrauen und Jünglinge. Sie ist eine Freundin der Freyja und hält sich in deren Gefolge auf.
Monsieur Jomphe (Kontakthändler Frankreich und Niederlande!)
Bragi gehört zum Götter Geschlecht der Asen. Er ist ein Sohn von Odin und Frigg. Bragi ist der Gott der Dichtkunst.
Bei den Germanen, hatte die Dichtkunst eine sehr hochgeschätzte Bedeutung: Dichtkunst war heilig. Alles Wissen sowie alle historischen Ereignisse, ja ganze Familienchroniken wurden so weiter vermittelt. Was der Nachwelt erhalten bleiben sollte, musste in Gedichtform gebracht werden.
Magie ist ein anderer Aspekt der Dichtkunst. In der germanischen, magischen Tradition sind Zaubersprüche, welche direkt auf das Unterbewusstsein einwirken und nur durch gezielte Anwendung der Dichtkunst funktionieren ein wichtiger Angelpunkt. Dies alles müssen wir wissen, wenn wir den Bereich des Gottes Bragi verstehen wollen. Seine Gemahlin ist Idun.
Madame Laurette Jomphe (Kontakthändlerin Frankreich und Spanien)
Idun wird dem Götter Geschlecht der Asen zu gerechnet, obwohl sie die Tochter eines Zwerges sein soll. Sie ist die Gemahlin des Dichtergottes Bragi. Ihr Zuständigkeitsbereich ist Jugend und Unsterblichkeit. Mit ihren goldenen Äpfeln versorgt sie die Götter und verhilft ihnen zu ewiger Jugendlichkeit.
Als Loki die Göttin Idun samt ihrer goldenen Äpfel dem Frostriesen Thiazi ausliefert, altern die Götter sofort. Treffsicher haben die Götter sofort Loki in Verdacht und befehlen ihm, Idun zurückzubringen. Das tut Loki denn auch. Er verwandelt sich in Falken, verwandelt Idun in eine Nuss und fliegt mit ihr zurück nach Asgar. Thiazi bemerkt den Raub und verfolgt den flüchtenden Falken Loki in Gestalt eines Adlers.
So können die Götter von Asgard den Frostriesen töten, indem sie über den Mauern von Asgard seine Flügel verbrennen.
Als Ragnarök sich ankündigt, sinkt Idun von Asgard in die Unterwelt hinab. Ihr Gemahl Bragi folgt ihr.
Monsieur Adrien Martineau (Diener der Eheleute Jomphe)
Skirnir ist in der nordischen Mythologie Freyrs Freund und Diener. Er wirbt in Jötunheim im Namen Freyrs um die Riesin Gerda. Als Lohn dafür erhält er Freyrs Schwert und sein Pferd. Skirnir wird von den Göttern als zuverlässiger Vasall angesehen und mit Botschaften oder Aufträgen in andere Welten geschickt. Ein weiteres Mal wird Skirnir, im Auftrag Odins, zu den Zwergen nach Schwarzalbenheim geschickt um die unverwüstbare Kette Gleipnir zu holen, um damit den Fenriswolf zu binden.
Der nächste Morgen war ein wenig seltsam und ich fühlte mich, als hätte ich einen Albtraum gehabt. Mein Kopf war wie benebelt und ich versuchte wieder einen klaren Gedanken zu fassen!
Was aber leider von den Zofen und Haythams Kammerdiener unterbrochen wurde, die uns für das anstehende Frühstück einkleideten.
Außerdem war unser kleiner Wecker bester Laune heute früh, weil sein Lieblingsspielzeug wieder repariert in seiner Hand war. „Mama ... hos da“ plapperte Edward auf mich ein und hielt mir den Schimmel freudig vors Gesicht.
Familienzeit blieb uns leider nicht, weil wir schon spät dran waren. Eiligen Schrittes gingen wir Richtung Speisesaal, wo man uns schon erwartete.
Im Anschluss hatte Haytham eine Besprechung mit König Ludwig und seinen anderen Beratern. Mir wurde die würdevolle Aufgabe erteilt, mich mit einigen Hofdamen um die Verköstigung des anstehenden Damentreffens zu kümmern.
Königin Maria war ganz in ihrem Element und forderte Fasan, Wachteleier und erlesene Käsesorten. Außerdem durften auch entsprechende Früchte nicht fehlen und gefühlt schmiss diese Frau das Geld nur so aus dem Fenster. Unterstützung bekam sie von den anderen Damen, welche dann auch noch nach einem „Unterhaltungsprogramm“ fragten. Man kam schnell überein, dass man einen Sänger und einen Musiker, welcher das Pianoforte beherrschte, einladen sollte.
„Frau Kenway, ihr macht den Eindruck, als würdet ihr euch nicht so wohl fühlen.“ kam es besorgt von Maria und sie tätschelte meine Hand.
„Verzeiht eure Majestät. Ich war nur ein wenig abgelenkt, weil ich solche Gesellschaften noch nie planen musste und bin, wenn ich ehrlich sein darf, ein wenig überwältigt.“ gab ich ehrlich zur Antwort.
„Oh ich verstehe was ihr meint, aber macht euch um die Kosten keine Gedanken. Mein Gatte weiß, wie er uns finanzieren kann.“ in ihrer Stimme klang aber Skepsis mit und ich fragte mich, ob schon jetzt die Staatskasse leer gefegt war. Auf der anderen Seite war es einfach nicht mein Problem, weil ich es ja nicht bezahlen musste. Nicht mit Geld, nur mit meinen Nerven.
Es wurden dann noch weitere Einladungen an einige Herzoginnen in der näheren Umgebung verschickt, außerdem natürlich die Botschaft für den Musiker an einen Reiter übergeben.
Im Großen und Ganzen würde man mit dem Essen, dem Champagner, Wein und Cognac tatsächlich wieder ein ganzes Heer verköstigen können, über Wochen!
Als es Zeit für das Mittagessen war, war ich erleichtert, dort heraus zu kommen und meine Familie sehen zu können.
„Alex, du meine Güte. Was habt ihr den ganzen Vormittag gemacht? Du siehst völlig erschöpft aus.“ fragte mein Mann, als wir uns zum Essen umziehen ließen.
„Du kannst es dir nicht vorstellen, aber hier wird ein Heiden Geld verprasst für einen einzigen Nachmittag für die Damen der höheren Gesellschaft. Es tut mir in der Seele weh, weißt du das?“ seufzend ließ ich mich auf dem Hocker vor der kleinen Kommode nieder und Magda begann meine Haare zu richten.
„Oh, dann habe ich das tatsächlich richtig verstanden, als ein Diener eine Liste zu König Ludwig brachte, welche dieser mit großen Augen durchlas! Er war nicht gerade sehr angetan, wie es schien.“ lachte Haytham und ich stimmte mit ein. Maria und Ludwig waren sich nie wirklich einig, jeder machte seine Sachen ohne den anderen mit einzubeziehen. Für mich eine völlig undenkbare Sache!
Im Anschluss an das Mittagessen brachte ich Edward zu Bett und folgte dann meinem Mann hinaus in den Schlossgarten, wo noch einige Gärtner mit dem Anlegen der Beete beschäftigt waren.
Langsam schlenderten wir die Kieswege entlang. Ich genoss die Nähe meines Templers und die Sonne über uns.
„Weißt du, dass es diese Momente sind, welche ich so gerne öfter haben möchte, mi amor?“ meinte ich etwas gedankenverloren und besah mir einen wunderschön in Blüte stehenden Rosenbusch an.
„Dann sollten wir sie genießen, mi sol. Auch mir fehlt mitunter diese Ruhe. Gerade in den letzten Tagen war es wieder für den Geist sehr anstrengend.“ seine Stimme hatte einen leisen fast flüsternden Tonfall angenommen.
„Und das aus dem Mund eines Kriegsgottes.“ kicherte ich ebenso leise, man wusste nie, wer hier zuhörte!
„Wie gehe ich jetzt damit um? Ich habe mir den ganzen Tag schon diese Frage gestellt. Steht er mir in Kämpfen zur Seite? Muss ich etwas tun, damit er erscheint oder ist er, wie Odin zum Beispiel immer anwesend?“ bevor er jedoch noch etwas sagen konnte, hörten wir Tyrs Stimme in unseren Köpfen.
Nein mein Sohn. Ich bin wie alle Götter immer bereit, immer da um euch zur Seite zu stehen. Natürlich ziehen wir uns bei einigen … Dingen selbstverständlich zurück. Und sogar im Geiste hörte ich den belustigten Unterton des Gottes!
„Danke!“ kam es verlegen von Haytham und er sah zu mir herunter. „Vielleicht sollten wir ihn auf die Probe stellen? Was meinst du?“ und sein Blick wanderte zu einem kleinen abgelegenen Pavillon umgeben von hohen Hecken.
Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er mich hinter sich her und was soll ich sagen? Mein Mann stellte ALLE Götter auf die Probe, was mir einen wundervollen Höhepunkt bescherte.
Am späten Nachmittag eilte uns, gerade als wir mit unserem Sohn in der Sonne spielten, Monsieur de la Sérre entgegen. Er hielt ein Papier in der Hand und wedelte damit freudig herum.
„Ah, endlich habe ich euch gefunden. Maîtresse Kenway, Maître Kenway!“ eine Verbeugung und er setzte sich etwas atemlos neben uns auf die Bank.
Edward beäugte den Mann fragend und ging dann langsam auf ihn zu. Ich sah, dass er seinen Adlerblick gerade benutzte. Mit offenem Mund stand der kleine Kenway vor dem Herren und plötzlich kam ein freudiges „Mama… daaaaa…“ und Edward blickte in meine Richtung, während er auf den Franzosen zeigte.
Auch ich tat es ihm gleich und sah diese strahlende goldene Aura um Francois. Im Grunde hatte ich nichts anderes erwartet, weil er nie als Feind erwähnt wurde.
Er nahm unseren Sohn auf seinen Schoß und fragte ihn auf französisch, was er meinte, da er es nicht verstehen würde. Edward fuchtelte mit den Armen und deutete so einen großen Kreis an. Fragend sah Monsieur de la Sérre zu uns und ich versuchte eine Erklärung.
„Unser Sohn ist euch wohlgesonnen. Er … erkennt die Menschen anders, als andere.“ stotterte ich etwas verlegen, weil ich nicht so recht wusste, wie ich das erklären sollte.
„Ihr meint, Maître Edward hat ein Gespür für freundliche Menschen und die, die ihm nichts gutes wollen? Das ist faszinierend. Ich hoffe, ich kann meinen Kindern später auch diese Fähigkeit beibringen. Sie ist gerade in unseren Kreisen so wichtig.“
Mir ging mal wieder durch den Kopf, dass seine Tochter Élise ja noch gar nicht auf der Welt war. Würde ich dieses Mädchen überhaupt irgendwann einmal zu Gesicht bekommen?
Er kam aber jetzt auf die Nachricht zu sprechen, welche von Charles Dorian war. Dieser teilte mit, dass er uns in seinen Räumen heute Abend nach dem Abendessen erwarte. Morgen stünde die Hinrichtung der beiden Verräter an und gegen Nachmittag die Damengesellschaft. Also passte es uns allen dreien ganz gut.
Edward war allerdings anderer Meinung nach dem Abendessen und weinte und schrie, als ich ihn in sein Bett brachte. Weder meine Stimme noch die von Sybill brachten ihm Ruhe. Haytham erschien, weil er sich sorgte und nahm seinen Sohn auf den Arm.
„Was hast du denn, Edward? Stimmt etwas nicht?“ und langsam schritt er mit ihm durch das Zimmer. Es schien, als würden sich die beiden unterhalten, aber lautlos… ich wurde eifersüchtig auf diese Verbundenheit und ging einfach in das Empfangszimmer, wo ich mich wütend und traurig auf das Sofa setzte.
Mrs. Wallace war mir hinterher geeilt und stand nun etwas unschlüssig vor mir.
„Darf ich frei reden, Mistress Kenway?“ ich sah mich um und weil niemand sonst hier war, deutete ich, sie solle ganz normal mit mir reden. Ich weiß, meine Stimme klang genervt und es tat mir eigentlich auch leid, aber ich war wirklich wahnsinnig eifersüchtig auf Haytham und Edward!
„Alexandra, Edward braucht auch seinen Vater, welcher ihm zur Seite steht. Gerade jetzt, wo wir wissen, dass Tyr ihn beschützt. Und ich weiß, ihr seid auch auf mich eifersüchtig, aber das braucht ihr nicht zu sein. Wir beschützen nur und stellen keinen Besitzanspruch! Ich liebe euren Sohn wie mein eigenes Kind und Tyr versucht seine schützende Hand über ihn zu legen. Vermutlich ist der Kleine heute deswegen so unruhig, weil auch er sich noch an diese neue Situation gewöhnen muss.“ sie hatte sich neben mich gesetzt und hielt meine Hand. „Ich will nur sein und euer Bestes, Alexandra! Ich habe nie etwas anderes gewollt!“ ihr Blick war so voller Liebe und Zuneigung, dass ich spürte, wie mir die Tränen die Wangen herunterliefen.
„Also sind wir eine immer größer werdende Familie?“ dieser Gedanke war naheliegend, weil immer mehr Götter an unserer Seite waren und vermutlich auch noch einige dazukommen würden.
„Ja, das seid ihr. Und ich bin dankbar und froh, dass ich ein Teil davon sein darf!“ Sybills Umarmung tat mir gut und ich beruhigte mich fast umgehend.
Gerade als ich schniefend mein Taschentuch zur Hand nahm, erschien Haytham im Raum und sah mich fragend an, doch Mrs. Wallace schüttelte leicht den Kopf als Zeichen, er solle jetzt nicht nachhaken.
Etwas kühles Wasser in mein Gesicht und wir konnten uns zu unserem Treffen mit Monsieur Dorian auf machen.
Sein Apartment lag auf der nächsten Etage des Gästeflügels und man hatte von hier einen wunderschönen Blick über die Parkanlage.
Zum ersten Mal sah ich nun diesen Assassinen, welchen ich nur aus den Beschreibungen und verschwommenen Bilder her kannte.
Nach einer etwas steifen Begrüßung, bat man uns Platz zu nehmen.
Und ohne Vorwarnung polterte Dorian auch gleich los.
„Monsieur de la Sérre, wie könnt ihr es eigentlich wagen, um ein Treffen zu bitten, wo ihr doch wisst, dass ich noch eine offene Rechnung mit dem Orden habe. Ihr als des Königs Stiefellecker solltet es doch wohl besser wissen.“ ich starrte diesen Herren mit offenem Mund und großen Augen an. Was bitte war denn zwischen ihnen vorgefallen, dass man gleich so ausfallend werden musste?
„Ich muss doch wohl sehr bitten…“ und Francois Blick glitt entschuldigend in meine Richtung. Keine Sorge, ich habe schon ganz andere Beleidigungen gehört., dachte ich nur.
Dieser Schlagabtausch ging eine Weile hin und her und langsam verstand ich, worum es eigentlich ging.
Mal wieder hatten beide Seiten nicht ganz korrekte Hinweise und Nachrichten erhalten, was sie veranlasste entsprechend falsch zu handeln. Daraus resultierte der Tod des besten Mannes von de la Sérre und Dorian verlor darüber hinaus auch noch seinen Mentor.
Hier in Frankreich war also tatsächlich unsere Lehre von der Zusammenarbeit noch nicht angekommen.
Ich versuchte einen kleinen Vorstoß, in dem ich die Fortschritte in England und den Kolonien ansprach. Beide Herren sahen mich kopfschüttelnd an.
„Das mag ja sein, aber wir haben hier mit ganz anderen Problemen zu kämpfen wie ihr wisst.“ sprach Charles und sah mich dabei ein wenig abwertend an, so als würde er mir meine Position nicht zutrauen.
„Das ist uns bewusst, Monsieur Dorian. Aber bedenkt, was ihr erreichen könntet, wenn die Bruderschaft und die Templer auch hier einen, wenn auch kleinen, Waffenstillstand erreichen würde. Hier in Frankreich steht ebenfalls nicht alles zum Besten und bedenkt, es geht um die Bevölkerung und nicht nur um die Ordens- oder Bruderschaftsbelange. Diesen Kleinkrieg werden wir vermutlich nie ganz beilegen können, aber wir sollten es versuchen.“ ich hatte mich aufgerichtet, Brust raus und mein Kinn vorgestreckt. So schnell wollte ich mich hier nicht geschlagen geben.
„Als wenn ihr wüsstet, wovon ihr sprecht, Maîtresse Kenway. Ihr seid behütet aufgewachsen, habt nie das Leben wie es sich wirklich zuträgt erlebt. Also erzählt mir nicht, wie sich die Bevölkerung fühlt!“ fauchte der Assassine mich an und ich spürte Haytham neben mir, wie er sich anspannte.
„Oh, ich glaube sehr wohl zu wissen, wie es um die Menschheit bestellt ist. Nämlich erbärmlich, wenn sie von zwei Seiten bedrängt wird! Natürlich werde ich euch keine Garantie geben können…“ in diesem Moment fiel mir Francois ins Wort.
„Es gibt immer Widersacher, welche sich aber im Rahmen halten. Ich vermute ein Großteil unserer Bünde würde sicherlich übereinkommen!“
Dorians Blick ging von einem zum anderen und blieb dann bei mir hängen.
„Warum seid ihr so entschlossen eine Vereinigung zu erwirken?“
Für einen Moment überlegte ich, wie ich ihm meine Geschichte plausibel erklären konnte und kam dann zu dem Schluss, dass er um die Vorläufer sicher wusste und baute diese in meine Erklärung ein. Sie wären es, welche uns lehrten gemeinsam zu arbeiten, auch wenn es noch Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern würde, bis wir friedlich nebeneinander leben konnten. Bei jedem Wort wurden seine Augen größer und er schüttelte leicht den Kopf, als ich dann noch erwähnte, dass auch ich mich Kompromissen hingeben musste in dem Moment wo ich dem Orden der Templer beigetreten bin.
„Aber was machen wir dann mit diesen Widersachern, welche unseren Fortschritt nicht wahrhaben wollen?“ in seinem Gesicht lag ein berechnender Ausdruck, er spekulierte darauf, dass ich sagte, sie würden den Tod finden.
„Diese Personen würden versuchen die Spitzen der Bünde zu eliminieren. Also muss man ihnen zuvorkommen und sie aufhalten. Leider wird es nicht ohne Blutvergießen gehen, befürchte ich.“ so ehrlich musste ich sein, weil es einfach die Wahrheit war.
„Aufhalten können wir sie nicht! Was aber auch bedeutet, wir müssten noch mehr vertrauenswürdige Leute haben, die sich um diese Probleme kümmern. Wer aber soll das alles im Auge behalten?“ wieder war Charles sich sicher, dass sein Standpunkt der richtige war.
„Nein, aufhalten könne wir sie nicht wie schon gesagt! Auch kann ich euch keine hundert prozentige Garantie geben, aber ich kann euch sagen, dass mehr Menschen diesem Beispiel folgen werden, wenn sie erst einmal die positiven Seiten erkennen. Und ja, ich weiß! Das wird dauern und ich wiederhole mich! Das passiert nicht von heute auf morgen, aber ich will diese Möglichkeit nicht ungenutzt verstreichen lassen, Monsieur Dorian. Auch ihr wollt sicher für eure eigenen zukünftigen Kinder diesen Frieden haben, oder sehe ich das falsch?“ ob diese Elternkarte nun wirklich seinen Nerv traf, wusste ich nicht, aber es war einen Versuch wert.
„Meine Kinder… wer weiß schon, was irgendwann einmal sein wird.“ diese Resignation war nicht zu überhören, es klang, als hätte er bereits jetzt schon jede Hoffnung und jeden Glauben aufgegeben!
„Entscheidet euch nicht jetzt sofort. Niemand erwartet das von euch, Monsieur Dorian. Aber ich bitte euch einmal darüber nachzudenken. Es geht, wie ich es immer wieder betonen möchte, nicht um die Assassinen oder Templer alleine. Wir tragen Sorge für die gesamte Menschheit und es brauen sich Dinge zusammen, welche größer und tragischer sind, als wir erahnen können!“ Haythams Worte trafen jetzt tatsächlich seinen wunden Punkt und der Assassine sackte in seinem Sessel zusammen.
„Ich weiß, ich weiß… wenn es nicht der Weltuntergang ist, so ist es das Unwissen, die Machtlosigkeit und die Unvernunft, welche uns in das Verderben stürzen wird.“ ein tiefes Seufzen und dann erhellte sich seine Miene. „Ich werde mich mit den Ältesten beraten und dann…“ er machte eine Pause und sah dann wieder von einem zum anderen. „Was machen wir mit Honoré Bellec? Ich hatte keinerlei Einfluss auf seine Taten, dass müsst ihr mir glauben…“ und plötzlich spielten sich wahre Romane in seinem Gesicht ab.
Charles kam die Erkenntnis, dass genau dieses Handeln von Bellec falsch war! Dieser hatte sich nicht beirren lassen, sondern war blind Befehlen gefolgt!
„Jesus, ich weiß jetzt was ihr meint…“
„Wir müssen unser gesamtes Denken überarbeiten!“ diese Erkenntnis von dem Franzosen jagte mir einen wohligen Schauer über den Rücken. Er hatte verstanden, aber würde er es auch entsprechend umsetzen können? Und wieder kam mir dieser Gedanke mit Shay, welcher diesem Mann den Tod bringen würde!
Die folgende Stunde verbrachten wir mit Erklärungen und wie die beiden Bünde eine Annäherung zustande bekämen. Wir würden auch den „stillen“ Zweig des Ordens, welcher seinen Ursprung in London hat, mit einbeziehen um für die Sicherheit einzelner Personen sorgen zu können.
Wenn ich es recht bedachte, war das aber hier in Frankreich nicht so leicht wie in den Kolonien oder England. Frankreich war sich seiner Position sicher, die Bevölkerung glaubte noch an ihre Könige und fühlte sich entsprechend geschützt. Niemand ahnte, was noch kommen würde. Aber ich, ich wusste es bereits! Ob das nun ein Vorteil war, bezweifelte ich wie so oft wieder einmal!
Irgendwann meinte Dorian, dass er sich noch ein wenig Bedenkzeit erbitte, weil er diese weittragende Entscheidung nicht alleine treffen konnte. Natürlich stimmten wir dem zu, weil es sich um eine ziemlich große Bruderschaft handelte.
Ich für meinen Teil verließ relativ zufrieden die Räumlichkeiten, was ich nicht von de la Sérre behaupten konnte.
„Wie lange will er denn noch warten?“ kam es zerknirscht von Francois.
„Auch er braucht einen Moment und ich gehe davon aus, dass seine Entscheidung positiv ausfallen wird.“ Haytham klang zuversichtlich und der Franzose nickte zustimmend.
Mittlerweile war es schon spät und die Nacht war hereingebrochen, weswegen wir uns alle einfach zurückzogen.
Morgen würde für mich der „Frauentag“ stattfinden und wir würden der Hinrichtung von Bellec und Dagenais beiwohnen am Vormittag.
In unserem Schlafzimmer half man mir noch aus dem Kleid und ich ließ mich auf das weiche Bett fallen mit einem zufriedenen Seufzen.
„Es geht voran, Haytham. Ich bin gerade sehr zuversichtlich, dass unsere Mission bald Früchte tragen wird.“
„Ich habe nie an deinen Vorstellungen und Wünschen gezweifelt. Du hast dich wieder gut geschlagen heute und ich glaube, dieser Dorian ahnt selber, dass er sonst auf einsamen Posten stehen wird, sollte er sich gegen unseren Vorschlag stellen.“ ein breites Grinsen ging über Haythams Gesicht.
„Shay wird ihm trotzdem den Tod bringen.“ nuschelte ich vor mich hin.
„Ich weiß, Alex. Aber es ist unvermeidbar, oder?“ war es das wirklich? Konnte ich nicht auch hier einen unsinnigen Verlust vermeiden?
Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich damit Arnos Schicksal in gänzlich andere Bahnen lenken würde. Für einen Moment hatte ich das Gefühl eine der Nornen, der Schicksalsgöttinnen zu sein. War es das? War ich eine von ihnen? Lenkte ich so die Geschicke der Menschheit?
Aber ich erhielt keine Antwort, es war, als würden sich die Götter gerade selber zur Ruhe legen!
Für weitere Überlegungen fehlte mir leider auch die Muße, weil ich einfach müde wurde und als Haytham neben mir lag, war es ganz vorbei. Ich schlang mich um ihn und war schon bald im Land der Träume versunken.
Heute war eine deutliche Anspannung schon beim Frühstück unter den Gästen und Bewohnern von Versailles zu spüren. Jedermann schien auf diese Hinrichtung zu warten. Ein Spektakel, welches man nicht jeden Tag zu sehen bekam und man wollte nichts verpassen.
Während des Essens debattierte man darüber, was diese Männer verbrochen haben könnten, was ihnen eine solch „barbarische“ Methode einbringen würde. Odin sei Dank, hatten sich die Anschläge noch nicht herumgesprochen.
Wie es schien konnte man hier am Hofe doch Geheimnisse für sich behalten und tratschte nicht gleich aus dem Nähkästchen.
Im Anschluss übergab ich Edward Mrs. Wallace und bat sie, nicht wie die anderen Ammen und Kindermädchen mit ihm zum Schafott zu gehen. Ich hatte nämlich von zwei Damen gehört, ihre Söhne sollten schon früh lernen, was es heißt jemanden seiner gerechten Strafe zuzuführen. Sybill nickte und erzählte ihrem Schützling beim Hinausgehen von den vielen Vögeln hier im Park. Tief seufzend sah ich den beiden hinterher und lächelte verliebt.
„Mi sol, dieses Lächeln ist einfach hinreißend.“ hörte ich meinen Mann hinter mir und seine Arme legten sich um meine Taille.
„Danke. Ich liebe unseren Sohn einfach und Sybill natürlich auch. Wenn man die beiden zusammen sieht, wird einem einfach warm ums Herz.“ sprach ich leise an seine Brust gelehnt.
„Wie füreinander gemacht, stimmts?“ grinste Haytham und drehte mich zu sich herum.
„Wie so vieles in unserem Leben, mi amor.“ ich stellte mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen vorsichtigen Kuss. Für Zweisamkeit fehlte uns aber die Zeit, in einer Stunde sollten Bellec und Dagenais das Zeitliche segnen.
Langsam schritten wir den anderen Menschen hinterher, welche sich immer noch fragten, WER denn heute WIE sein Leben lassen musste.
„Ein ganz übler Schurke, wenn ihr mich fragt. Er hat angeblich zwei Kinder seiner Mätresse ermordet, weil sie ihm eine Last wurden!“ oder aber „Der andere Mann hatte sich mit einem… ich mag es nicht sagen… mit einem anderen Herren erwischen lassen, wie sie es… ihr wisst schon…“
Das konnte sich ja keiner mit anhören, also beschleunigte ich meine Schritte und Haytham tat es mir gleich.
Kurz darauf standen wir auf dem großen Vorplatz, welcher auf den Hof zu Versailles führte. Dieser war weder umzäunt noch war er großartig bewacht, was für meine Begriffe eher untypisch war. Vermutlich ging niemand von einer Bedrohung aus oder einem Befreiungsversuch der beiden Delinquenten.
Die Sicht wurde mir jedoch von einigen großgewachsenen Herren versperrt und als Haytham bemerkte, wie ich mir den Hals verrenkte, hob er mich kurzerhand auf einen Karren, welcher neben uns stand. Von dort hatte ich, verzeiht, einen fantastischen Blick über das Geschehen.
Dann endlich kam Bewegung in die Menschenmassen und ich sah einen von einem Pferd gezogenen Wagen, auf dessen Ladefläche Honoré Bellec und Dagenais gefesselt saßen. Beide Männer sahen immer noch zum Fürchten aus, weil ihre Gesichter zahlreiche Blutergüsse aufwiesen und sogar an den Armen und Beinen waren Blaue Flecken zusehen.
„Wie werden die beiden eigentlich hingerichtet?“ fragte ich meinen Mann, welcher aber nur auf das Schafott deutete. Mein Blick wanderte in die Richtung und ich sah einen Hackklotz, wo ein riesiges Beil drin steckte. Daneben war eine Art kleiner Pfahl, an welchem Lederbänder befestigt waren. Der Henker Barabás stand schon parat und hielt ein Breitschwert in den Händen. Natürlich sah man sein Gesicht nicht, es war unter einer Haube verborgen, aber ich konnte mir vorstellen, dass er nicht gerade ein trauriges Gesicht machte.
Beide Herren wurden nun hinauf gehievt und man band sogleich Dagenais mit den Händen an den kleinen Pfahl. Bellec hingegen wurden die Hände auf den Rücken gefesselt und man beugte ihn über den Hackklotz.
Ein Raunen ging durch die Menge als nun der Richter vortrat und das Urteil und die Vergehen verkündete. Als er sagte, dass die beiden Männer sich eines Anschlages auf den König schuldig gemacht hatten, hörte man entsetzte Aufschreie.
Auf meinem Aussichtspunkt stand noch eine weitere Frau, welche mich schockiert ansah. „Man wollte König Louis ermorden? Aber warum denn das? Oder hat auch der König sich etwas zu schulden kommen lassen?“ sie war näher gekommen und erhoffte sich anscheinend neue Gerüchte zu hören. Ich wimmelte sie ab, in dem ich sagte, dass Ludwig sich nichts habe zu Schulden kommen lassen und ich auch nicht mehr wüsste. Enttäuscht und mit einem „Pfffffffft, nicht mal auf die Höflinge ist heute noch Verlass!“ stieg sie von dem Karren hinunter.
Monsieur Dagenais wurde als erstem erklärt, wie er sterben wird. Er würde mit dem Schwert enthauptet werden und ich hörte die Leute um mich jubeln. „Ja, das hat dieser Schmarotzer auch verdient.“ „Man sollte ihn besser vierteilen“ „Nieder mit dem Pack“ und so weiter… Es war, als wohnten diese Menschen einem Theaterstück bei. Man könnte meinen, sie nahmen das Ganze überhaupt nicht ernst und machten sich einen Spaß daraus.
Vom Schafott hörte ich plötzlich ein klägliches Wimmern und sah, wie Dagenais zitterte. Er betete zu Gott, bat um Vergebung und weinte dabei. „Er hat keine Gnade verdient!“ höhnten die Zuschauer und einige lachten auch noch über diese Aussage.
Dann holte Barabás mit dem Schwert aus, welches er in beiden Händen hielt und ließ es mit großem Schwung von der Seite auf den Hals des Verurteilten schnellen! Auch wenn es sich makaber anhören mag, der Schnitt war sauber und der Kopf… nunja, er war ab. In meinem Magen begann es unangenehm zu kribbeln und ich griff nach Haythams Schulter. Sein Blick glitt zu mir empor und ich sah, auch er war alles andere als ruhig. Seine Hand legte sich auf meine und drückte beruhigend zu.
Jetzt war Bellec an der Reihe. Doch er machte kein einziges Geräusch, er rührte sich noch nicht einmal. Er hing vornüber gebeugt auf dem Klotz und harrte der Dinge die jetzt mit ihm geschahen!
Der Richter trat noch einmal vor ihn und sprach ein leises Gebet, genau wie bei Dagenais gerade. Aber Honoré flehte nicht um Gnade. Er hob nicht einmal seinen Kopf. Dieser Anblick war unheimlich und plötzlich hörte ich seine Stimme in meinem Geist. „Ich bin besiegt, ich habe nichts mehr zu verlieren. Aber mein Sohn wird mich rächen, er wird die Bruderschaft aufrecht erhalten! Komme was da wolle!“ und dann rollte auch sein Schädel in den Korb vor ihm und die Stimme verstummte augenblicklich!
Ich spürte wie ich heftig zu zittern begann und mein Mann hob mich schnell vom Karren und drückte mich an sich. Eine Hinrichtung Live zu erleben ist halt doch etwas anderes, als es in einem Film oder Theaterstück zu sehen!
„Shhhhh, es ist vorbei, sieh nicht mehr hin, mi sol.“ sprach er leise und strich mir dabei immer wieder beruhigend über den Rücken. „Ich habe es auch gehört und ich frage mich gerade, ob wir seinen Sohn einmal aufsuchen sollten…“ dieser Gedanke war mir ja auch schon gekommen, doch ich hatte gerade keine wirkliche Meinung.
„Lass uns von hier verschwinden, Haytham. Ich kann das nicht länger mit ansehen.“
Mittlerweile hielten der Richter und auch der Henker die Köpfe der Getöteten in die Höhe und versprachen der Bevölkerung, jeden einzelnen zu finden, der es wagen sollte eine solche Tat noch einmal verüben zu wollen!
Das alles hörte ich nur noch wie durch einen Nebel und wir bahnten uns einen Weg durch die Menge.
Im Palast wieder angekommen, ließ ich mich auf eine der Bänke im Foyer fallen und hielt mein Gesicht in beide Hände. Plötzlich hielt mir Haytham ein Glas mit einer goldenen Flüssigkeit vor die Nase und bat mich eindringlich das zu trinken. Vermutlich dieser Cognac oder was weiß ich. Ich tat, wie mir geheißen und fühlte dieses Getränk langsam meine Kehle hinunterrinnen und sich wohlig in meinem Magen auszubreiten.
„Ich hoffe, ich muss so etwas nie wieder sehen, mi amor. Das ist einfach grausam!“ stöhnte ich und sah zu ihm auf.
„Ich gehe einfach davon aus, dass in deiner Zeit keine Hinrichtungen wie diese stattfinden? Aber wie bestraft man denn dann einen Mörder?“ er ließ sich neben mir nieder und nahm meine Hand in seine.
„Ähm… es gibt die lebenslange Haftstrafe zum Beispiel. Was aber etwas falsch klingt, weil es meistens so 25 Jahre in einem Gefängnis wären, also nicht wirklich für den Rest des Lebens. Aber die Todesstrafe gibt es nur noch in wenigen Ländern. Wenn ich darüber nachdenke, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht, wo genau…“ grübelte ich vor mich hin.
„Man versucht also solche Menschen zu züchtigen, in dem man sie einfach wegsperrt? Ich hoffe doch, sie bekommen nur Wasser und Brot und müssen schwer arbeiten, während sie dort einsitzen.“ ich würde ja gerne sagen, dass es so ist, aber… Also erklärte ich meinem Mann wie so ein „normaler“ Gefängnisalltag aussehen konnte. Auch versuchte ich die Hochsicherheitstrakte zu erklären, oder die Psychiatrischen Dinge… Haythams Augen weiteten sich immer mehr und Unglaube trat in sein Gesicht.
„Das ist eigentlich ein feines Leben für so einen Tunichtgut, Alex. Daraus lernen sie doch gar nichts. Man muss sie hart bestrafen, sonst werden sie immer wieder morden, vergewaltigen oder stehlen!“ kam es entrüstet aus seinem Mund.
„Ich lebte aber in einer Zeit, wo es die Ethik und Moral nicht mehr zulässt, Haytham. Es ist vermutlich wie mit der Erziehung bei Edward. Du würdest ihn sicherlich auch anders bestrafen, wenn er etwas angestellt hat, als ich es tun würde…“ dieses Themen könnte man noch über Stunden weiterführen., dachte ich erschöpft und lehnte mich einfach an meinen Templer.
„Wir sollten unseren Sohn jetzt erst einmal suchen und schauen, ob er auch brav war. Was meinst du, mi sol?“ grinste er und zog mich mit hoch.
Während des Mittagessens benahm sich Edward tatsächlich mal und wartete geduldig bis ich ihm etwas vom Fleisch oder dem Gemüse gab.
Doch schon beim Nachtisch war der kleine Kenway nicht zu halten und grapschte in die Schüssel mit dem Pudding. Genüsslich leckte er danach seine Finger ab und seine Augen strahlten dabei. Leider strahlten die seines Vaters gar nicht, sie waren säuerlich zusammen gekniffen und man hörte ein leises zischendes „Edward, benimm dich gefälligst!“
Spätestens wenn er mit Messer und Gabel umgehen konnte, dann würde es besser werden, versprach ich zum wiederholten Male meinem Mann und wischte dabei das Gröbste von Edwards und meiner Kleidung.
Gerade als ich meinen kleinen Schatz zu Bett gebracht hatte, erhielt ich die Nachricht, dass man sich erst gegen 18 Uhr treffen würde. Es gab hinsichtlich der Musiker wohl noch einige Probleme, sie waren noch nicht eingetroffen. Eigentlich passte mir das nicht, so würde ich den Abend ohne meinen Mann verbringen müssen.
Ich ließ mich seufzend im Empfangszimmer auf dem Sofa nieder, als Haytham eintrat.
„Ist alles in Ordnung?“ und er eilte auf mich zu.
„Ja, es ist nichts passiert. Nur der Damentag findet erst heute Abend statt. Also habe ich den Nachmittag noch frei und… ich weiß gerade nicht, was ich machen soll.“ manchmal klang ich wirklich wie ein bockiges vierjähriges Mädchen und bei dem Gedanken musste ich grinsen.
„Ich werde dir aber auch keine Gesellschaft leisten können, Ludwig hat mich noch einmal zu einem Gespräch gebeten, anscheinend gibt es Neuigkeiten aus Übersee. Ich hoffe, es dauert nicht allzu lange, mi sol. Bis dahin… schließe dich doch den anderen Damen an.“ das konnte unmöglich sein Ernst sein! Ich werde ganz bestimmt nicht zu diesen Teekränzchen gehen, heute Abend bekomme ich sicherlich schon genug Tratsch zu hören.
Mein Mann verabschiedete sich noch mit einem langen Kuss von mir, nachdem Michael ihn neu eingekleidet hatte und ging dann.
Vielleicht sollte ich die Zeit nutzen und einfach ein wenig persönliche Körperpflege genießen. Wann hatte ich schon einmal die Gelegenheit dazu, mich so in Ruhe verwöhnen zu können?
Gesagt getan. Ich schickte nach dem hiesigen Coiffeur, welcher auch für die ein oder andere Haarentfernung verantwortlich war. Seit ich im 18. Jahrhundert lebte hatten meine Beine nämlich keine Rasur mehr gesehen, geschweige denn andere Körperstellen. Was Haytham aber nicht zu stören schien, mich aber hin und wieder schon.
Also ließ ich mich von Magda ausziehen und trug nur noch den Morgenrock. Ein wenig unangenehm war mir das schon, obwohl ich sonst nicht die schüchternste Person bin.
Eine Stunde später erschien der besagte Herr in unseren Räumen mit zwei Helferinnen an seiner Seite. Eine trug eine Art Feuerschale, die andere hatte einen großen Korb dabei, den sie vor sich hertrug.
Zu meinem Erstaunen wurde auch ein großer Zuber von vier Dienern mit hereingetragen, aber noch nicht befüllt.
„Madame Kenway! Es freut mich eure Bekanntschaft zu machen. Mein Name ist Paul Villason! Zu euren Diensten!“ Ich muss gestehen, dieser Mann sah umwerfend aus. Dunkler Teint, bernsteinfarbene Augen und schwarze lange Haare. Seine Garderobe schien auf den Hautton abgestimmt zu sein und seine filigranen Finger umschlossen kühl meine Hand bei dem Handkuss. Ein Kribbeln fuhr mir durch den Körper und ich seufzte unwillentlich auf. Auf seinem Gesicht erschien ein wissendes Grinsen, als er mir mit einer Bewegung deutete, auf der Chaiseloung Platz zu nehmen.
Seine Helferinnen hatten dort schon Handtücher darüber drapiert und es begann angenehm nach Rosen und Vanille zu duften im Raum.
„Wie ihr mir mitteilen ließet, geht es nicht um eure Frisur, Madame Kenway. Aber ich muss eines noch wissen, habt ihr so eine doch recht schmerzhafte Entfernung der störenden Härchen schon einmal erlebt?“ fragte er zögerlich.
„Nein, aber ich denke ich werde es aushalten können. Ich habe schon viel von eurem Können gehört, euer Ruf eilt euch voraus Monsieur Villason.“ und damit hatte ich nicht einmal gelogen, einige Damen schwörten auf diesen Mann, er könne wahre Wunder vollbringen!
Vorsichtig strich er über meine Waden und schüttelte dann den Kopf. „Madame, ihr müsst unbedingt mehr auf euren Körper achten. Diese feine Haut darf doch nicht übersät werden mit diesen fiesen schwarzen Borsten!“ seine Stimme klang nicht tadelnd oder irgendwie böse, es war einfach eine Feststellung. Wieder durchlief mich ein wohliger Schauer bei diesen Berührungen und eine Gänsehaut breitete sich aus.
Dann begann er, die warme Paste aus Honig, Zucker und flüssigem Wachs aufzutragen. Danach kam ein Leinentuch darüber, welches er andrückte und wartete, bis es sich etwas abgekühlt hatte.
„Und nun Madame, beißt die Zähne zusammen!“ und mit einem Ruck riss er dieses Tuch herunter. Ich konnte mir wirklich gerade noch die Hand vor den Mund halten, sonst hätte ich den Laden hier zusammengeschrien. Er ließ sich nicht weiter beirren und setzte seine Arbeit fort, hinauf bis zu den Oberschenkeln, wo es noch mal um einiges schmerzhafter war, musste ich feststellen.
Dann war das andere Bein an der Reihe, ich hatte aber den Eindruck, als wäre es nur halb so schlimm. Vermutlich hatte ich mich an diese Schmerzen gewöhnt?
Als er anschließend mit seinem Werk zufrieden war, sah er mich für einen Moment fragend an. Ähm… er wollte mich auch dort wachsen?
Etwas beschämt klemmte ich mir den Morgenrock jetzt zwischen die Beine und meinte leise, dass ich nicht wüsste, ob ich es wirklich wollte.
„Madame, ich glaube ich sollte etwas erklären. Ich mag Frauen, ja. Aber ich mag die Damen wie meine Freundinnen. Ich bevorzuge einen starken Mann an meiner Seite und in meinem Bett. Alles was ich hier sehe und erlebe bleibt unter uns, darauf habt ihr mein Wort.“ Bei Odin, er klang so liebevoll, dass ich ihn am liebsten in den Arm genommen hätte. Aber genau das waren die Worte die ich brauchte und ließ ihn mit seiner Arbeit fortfahren.
Das erste Tuch wurde abgerissen und ich dachte im ersten Moment ich müsste sterben! Bei allen Göttern, ich hatte zwei Kinder zur Welt gebracht, da konnte ich doch wohl so etwas auch aushalten! Jedes mal legte Paul aber beruhigend seine kühle Hand auf meine Haut und ließ so das Ganze erträglicher werden.
Es dauerte nicht allzu lange und er besah sich das Resultat aus einer Stunde waxen. „So, Madame, kann ich euch wieder gehen lassen. Euer Gatte wird sicherlich seine Freude bei diesem Anblick haben.“ zwinkerte er mir grinsend zu und erhob sich, sammelte seine Utensilien ein und verabschiedete sich.
Ich versicherte ihm, dass ich ihn weiter empfehlen werde und ich erhielt links und rechts einen Kuss auf meine Wangen als Dank.
Erst jetzt sah ich, dass der Zuber befüllt war mit warmen Wasser. „Ihr solltet jetzt ein Bad mit den Ölen nehmen und danach diese Salbe auftragen. So ist eure helle Haut nicht so gereizt nach der Haarentfernung.“ damit verließ Monsieur Villason unser Schlafzimmer und ich blieb einen Moment staunend vor dem Spiegel am Kleiderschrank stehen. Langsam fuhr ich mit den Händen über die glatte Oberfläche meiner Beine und meiner Scham und es fühlte sich fantastisch an.
„Mi sol, es riecht verführerisch hier. Komme ich ungelegen und störe dich bei etwas?“ hörte ich Haythams Stimme hinter mir und drehte mich zu ihm um.
„Nein, im Gegenteil! Wir haben noch etwas Zeit und da der Zuber groß genug ist, sollten wir gemeinsam ein Bad nehmen? Ich gehe davon aus, du könntest diese Entspannung ebenso gut gebrauchen wie ich.“ sprach ich leise und stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss zu geben, welchen er begierig erwiderte.
„Da kann ich schlecht nein sagen…“ raunte er und in Windeseile war er aus seinem Gehrock, den Hosen und stand wie Gott ihn schuf vor mir.
„Geh schon vor, mi amor. Ich komme dann dazu.“ hauchte ich lasziv und wartete, bis er im warmen Wasser war.
Langsam ging ich auf ihn zu, drehte ihm dann aber den Rücken zu und ließ mich so vor ihm in den Zuber gleiten. Mein Kopf lehnte an seiner Brust und seine Hände umfingen meine Brüste, strichen weiter nach unten über den Bauch und über die Oberschenkel. Sein Atem wurde schwerer und ich fühlte dieses Pulsieren an meinem Po.
„Na nu… so weich und glatt…“ hörte ich seine leise erstaunte Stimme und grinste in mich hinein. Seine Hände glitten zwischen meine Schenkel und ich hörte ihn etwas erschrocken Aufkeuchen. „Das… mi sol, es fühlt sich einfach fantastisch an. Steh auf, ich will dich ansehen!“ mit einem Mal hatte er diesen Befehlston angeschlagen und ich konnte nur reagieren, genau wie mein Unterleib einfach dabei vibrierte.
Ich stand langsam auf, drehte mich zu ihm um und lächelte auf ihn hinunter. „Den Fuß auf den Rand!“ dieser raue Ton ließ mich erzittern und als ich nun so offenherzig vor ihm stand, ließ er sich auf die Knie gleiten. Seine Hände umfassten meinen Po und seine Zunge bahnte sich einen Weg zu meiner empfindlichsten Stelle. „Oh bei Odin!“ stöhnte ich laut und griff in seine Haare.
Es wäre aber nicht mein Mann, wenn er mich nicht ärgern würde. Immer wieder unterbrach er das Spiel mit den Fingern und seinen Lippen, nur um mich böse grinsend anzusehen.
Dann endlich zog er mich auf seinen Schoß und nahm sich, was ihm gehörte.
Du solltest mich des öfteren so überraschen, mi sol. Es fühlt sich großartig an! Beweg dich! hörte ich ihn in meinem Kopf und seine Bewegungen wurden ungestümer, so dass wir eine kleine Überflutung anrichteten.
Sein Mund versiegelte meine Lippen, als ich kam. Ich hätte vermutlich seinen Namen geschrien, weil es einfach ein wahnsinnig inniges Gefühl plötzlich war.
Auch Haytham ließ sich fallen und gab sich seinem Höhepunkt einfach hin, indem er mich umklammerte und küsste.
Eine gefühlte Ewigkeit später stiegen wir aus dem abgekühlten Wasser und begannen uns gegenseitig abzutrocknen.
Noch einmal ließ er sich vor mir auf die Knie sinken und liebkoste mich mit seinen Lippen. „Ich kann nicht genug davon bekommen, mi sol.“ hauchte er und es dauerte nicht lange, da lag ich bäuchlings auf dem Bett und erhielt noch eine Lehrstunde bezüglich meines schamlosen Verhaltens einem fremden Mann gegenüber. Ich würde ihm später alles erklären, erst einmal genoss ich seine Zuwendung in vollen Zügen.
Für einen Moment hatten wir noch Ruhe und ich schmiegte mich an Haythams Brust, atmete diesen mit Vanille und Rose vermischten Lavendel Duft von ihm ein.
„Du brauchst dir um Monsieur Villason keine Sorgen machen, mi amor. Er mag nur Männer in seinem Bett und Frauen findet er nett wie eine gute Freundin. Auch wenn ich dir gestehen muss, dass er verdammt gut aussieht.“ flüsterte ich leise und er hob mein Kinn an.
„So so, er sieht gut aus! Ich will hoffen, dass du in deinen Träumen und Gedanken aber weiterhin ausschließlich meinen Befehlen folgst.“ dabei kniff er mir schmerzhaft in meinen Po und lachte leise, als ich schmerzerfüllt zischend die Luft einsog.
Gerade als ich ihm sagen wollte, dass ich ihn diesem Paul nicht alleine überlassen würde für eine entsprechende Haarentfernung bei ihm, klopfte es und ich hörte schon Edward plappern.
Es war für mich aber Zeit, dass ich mich für die Damenrunde umziehen ließ und Magda und Nathalie steckten mich in ein wunderschönes hellblaues Kleid mit beige abgesetzten Applikationen. Meine Haare bekamen entsprechende Bänder verpasst und eine hochgesteckte Frisur gleich dazu.
Mein Sohn hatte die ganze Zeit zugesehen und stand jetzt lächelnd neben mir. „Mamaaaaa…“ dabei klatschte er in die Hände. Sybill hinter ihm lachte „Eure Mutter sieht wunderschön aus, oder nicht, Master Edward?“ und ein eifriges Nicken von ihrem Schützling ließ auch mich lachen. Ich nahm ihn hoch und drückte ihn an mich.
„Danke, min lille skat!“
Lange hielt es ihn aber nicht bei mir, als sein Vater in den Raum trat. Man hatte ihn wieder in eine dieser Uniformen gesteckt, welche ihm aber verdammt gut stand und ich ertappte mich dabei, wie meine Wangen rot wurden.
Ohne mich mussten sich Sybill, Edward und Haytham nun aufmachen zum Abendessen. Ich selber bekäme genügend Häppchen und Kleinigkeiten in der illustren Damenrunde. Wirklich Lust darauf hatte ich nicht, weil ich nicht genau wusste, was mich dort erwarten wird. Ich verabschiedete mich von ihnen und machte mich mit einem Mädchen von Maria in die entgegen gesetzte Richtung auf, zu den Gemächern der Königin!
Auf meinem Weg traf ich auf Myrte de Gooijer und ihren Gatten.
„Ahhh, Mistress Kenway. Wie ich hörte findet eine reine Damenrunde in den Gemächern der Königin statt.“ hörte ich da so etwas wie Erleichterung heraus?
„So ist es, Mrs de Gooijer. Ich bin gespannt, was ich dort heute erlebe.“ und lächelte souverän, obwohl mir alles andere als danach war.
„Diese… nunja, kleinen Runden musste ich für mich absagen, weil sie mir nicht zusagten. Das eine Mal damals vor wenigen Jahren hat mir persönlich gereicht. Aber lasst euch durch mich nicht verunsichern, macht euch selber ein Bild von dem Treiben dort.“ setzte Myrte noch hastig an ihre Worte!
Ich erwiderte lediglich, dass ich das wohl auf mich zukommen lassen müsse und wünschte den beiden noch einen schönen Abend. Gedankenverloren ging ich nun diesem Mädchen weiter hinterher.
Im Gang zu den Räumen von Maria herrschte ein regelrechter Auflauf von Dienern, Zimmermädchen, Küchenhilfen und Hofdamen. Man fühlte sich wie in einem Bienenstock, es summte um einen herum und jeder war mit irgendwas beschäftigt.
Zu meinem Leidwesen war auch Madame Pastice zugegen, auch wenn sie etwas beschämt an einer Wand lehnte und die Menschen um sich beobachtete. Als sie mich sah, verdüsterte sich ihr Ausdruck und sie kam schon fast wutschnaubend auf mich zu.
„Ach, da ist ja die feine Mistress Kenway. Das habt ihr ja wunderbar hinbekommen mit meinem Mann, mich so bloßzustellen!“ bellte sie mich an und ich sah sie verwundert an.
„Ich kann nichts für euer ungezügeltes und unverschämtes Verhalten, Madame Pastice! Ihr ward es, die meinen Mann begrapscht hat vor aller Augen. Vielleicht solltet ihr dem Alkohol nicht immer in so großen Mengen frönen!“ fauchte ich zurück, weil sie mir schon jetzt wieder auf die Nerven ging, auch wenn ich sie vorgestern noch bemitleidet hatte. Anscheinend hatte sie nichts dazugelernt.
„Von wegen Alkohol, ihr habt mir eine eurer Mixturen untergemischt.“ auf ihrem Gesicht erschien ein triumphales breites Grinsen und ihre Arme verschränkten sich vor ihrer Brust. „Schaut nicht so unschuldig, dumme Gans! Jeder hier weiß doch, dass ihr eine Hexe seid!“ Ich verstand gerade gar nichts mehr und sah auf die anderen Menschen, welche sich um uns versammelt hatten.
„Womit habe ich eine solche Anschuldigung verdient? Sprecht!“ meine Stimme hatte sich erhoben und in mir begann Wut hochzukochen.
„Der Anschlag auf den König! Na, klingelt es jetzt bei euch in eurem hohlen Kopf?“ ich atmete tief durch, ballte die Hände zu Fäusten und sprach mein Mantra.
„Und was habe ich damit zu tun? Ich war zugegen, als Monsieur Bellec den König attackierte, ja. Aber was hat das mit mir zu tun?“ langsam senkte sich der Ruhemantel über mich und spürte meinen Atem wieder ruhiger werden.
„Ihr habt diesen Mann angestiftet, genau wie Dagenais. Ihr habt ihnen Wunder weiß nicht was versprochen und ward ihnen zu Diensten! Das weiß doch jeder!“ so langsam zweifelte ich an dem Verstand dieser Frau und sagte das auch so.
„Ich habe mit Honoré gesprochen in seiner Zelle, wo er einsam und geschunden eingesperrt war..“ schluchzte sie plötzlich und sah in die Runde um Bestätigung zu bekommen. „… er sagte mir, dass ihm eine Stimme befohlen hatte, den Mord zu begehen, nachdem ihr in seiner Nähe gewesen wäret. Euch hätte dabei ein Leuchten umgeben, was ganz eindeutig der Teufel hervorgerufen haben muss!“
Mir blieb der Mund offen stehen und ich starrte sie weiterhin an. Plötzlich sackte Madame Pastice zusammen und atmete schwer, so als wäre sie eine weite Strecke gerannt! Als sie zu mir aufsah, bemerkte ich diesen roten Schimmer in ihren Augen und schrak zurück. Ich ließ meinen Blick über sie wandern, doch ich nahm nichts mehr wahr. Wer hatte sie beeinflusst? Hrymr konnte es einfach nicht sein, diesen Zorn würde man deutlicher spüren.
Wer auch immer sich gerade ihrer bemächtigt hatte, ist schlau und gerissen. Aber es war auf keinen Fall Hrymr, er scheint sich fürs erste ganz zurück gezogen zu haben, so als wisse er, dass ihm nun Gefahr droht. Dieser Bellec war von keinem göttlichen Wesen besessen, es war ein Normalsterblicher. Wer kann diese Macht übertragen?, hörte ich Odin in meinem Kopf. Nur das brachte mich auch nicht weiter.
Dieser Sichfrith soll doch ein Nachfahre von Ragnar Lodbrok sein, oder nicht? Könnte es da nicht… doch man ließ mich nicht aussprechen.
Ist er nicht, das wüsste ich ja wohl. Denk einmal darüber nach, Kind. Meine Nachfahren werde ich wohl erkennen können., donnerte er mir entgegen. Du meine Güte, war er heute schlecht gelaunt. Meine menschliche Gestalt ist aber ein direkter Nachfahre in der Blutlinie des Ragnars! Sagt dir der Name Björn Ragnarson etwas? Hmmm?, diese Frage musste ich verneinen, weil ich nicht alle Söhne des berühmten Lodbroks im Kopf hatte. Ivar und Ubba fielen mir noch ein… Björn erhielt den Beinamen Ironside und dieser ist in der nachfolgenden Generation immer weiter gereicht worden, bis hin zu meiner jetzigen Gestalt!
Immerhin hatte ich dafür eine Erklärung, was mir aber nicht wirklich weiterhalf hier und jetzt.
Fürs erste müssen wir es darauf beruhen lassen und Schadensbegrenzung betreiben. Konzentriere dich, schaffe für die Menschen hier eine Erinnerung und lenke sie damit ab. Du hast es schon einmal geschafft, also los!
Hieß es nicht eigentlich, dass ich nicht manipulieren durfte? Aber in solchen prekären Momenten war es dann doch egal? Nun gut, ich umschloss im Geiste die hier umstehenden Personen, ich „überflog“ sie in meinem Kopf, so dass ich alle fokussiert hatte. Anschließend wischte ich diese Beschimpfungen und Verunglimpfungen fort und ersetzte sie mit einem Ohnmachtsanfall von Madame Pastice. Langsam tauchte ich wieder auf dem Gang auf und alles ging gewohnt weiter.
„Madame Pastice, fühlt ihr euch nicht wohl? Soll ich euch lieber zu euren Gemächern bringen?“ fragte ich möglichst ernsthaft besorgt klingend, auch wenn mir das gerade etwas schwerfiel.
„Ja… ja, das wäre sehr freundlich. Ich… glaube… ich bin noch nicht soweit, solange das Bett zu verlassen!“ nuschelte sie und hakte sich bei mir unter. Es war dieser Frau sichtlich unangenehm und ich fragte mich, was ihr Gatte noch mit ihr getan hatte.
Zwei Gänge weiter erreichten wir ihre Tür und Monsieur Pastice griff sofort, ohne ein Wort der Begrüßung, nach seiner Frau.
„Was hast du bloß wieder angestellt, Weib? Immer muss man auf dich aufpassen. Vielleicht sollte ich dich einfach einsperren! Dann lernst du hoffentlich, dass mein Wort hier Gesetz ist!“ schrie er sie an und sie zuckte bei jedem Wort zusammen.
„Monsieur Pastice, eure Gattin fühlte…“ ein böses Funkeln in seinen Augen brachte mich augenblicklich zum Schweigen. Ich fühlte mit einem Mal ein Kribbeln in meinem Nacken und instinktiv ließ ich meinen Blick über ihn gleiten. Rot! Leuchtend rot schimmerte dieser Mann, aber ich nahm aus dem Augenwinkel einen gold leuchtenden kleinen Kasten im Hintergrund wahr.
„Wer seid ihr?“ brachte ich gerade so heraus und hoffte, dass ich nicht allzu verunsichert klang.
„Dann ist es doch wahr! Ihr habt ein Bündnis mit dem ach so großen Allvater geschlossen!“ lachte er und schubste dabei seine Frau von sich, welche sich sofort wieder aufrappelte und auf das Sofa sank.
„Ja, das habe ich. Und noch einmal! Mit wem habe ich die zweifelhafte Ehre zu reden?“ mittlerweile hatte ich mich ein wenig beruhigt und sah ihm fest in die Augen.
Mit einer tiefen Verbeugung kam er näher und starrte dann auf mich herunter. „Egil, zu euren Diensten! Mein Bogen gehört ganz euch, Mistress Kenway!“ dieser zynische Ton in seiner Stimme war widerlich. „Ich habe an der Seite eines unserer gemeinsamen Freunde gekämpft. Er hat ein wunderschönes Schiff müsst ihr wissen und ich reise gerne mit ihm umher!“ er klang immer unheimlicher.
Hrymr! Die beiden waren Verbündete?
„Dieser Widerling steht an eurer Seite? Warum ist er nicht selber hier? Muss er schon seine kleinen Handlanger vorschicken?“ dieser Mut in meiner Stimme passte gerade nicht zu meinem zitternden Körper! „Müsst ihr für ihn die Drecksarbeit erledigen? Oh ich verstehe, dass ist so nervig für euch und unter eurer Würde, dass ihr eure Wut an eurer Frau auslassen müsst? Oder habt ihr sie auch noch mit eingespannt für eure Zwecke?“ immer noch sah ich ihm in die Augen!
„Dafür, dass ihr ganz unbewaffnet hier erschienen seid, seid ihr sehr mutig.“ kam es süffisant über seine Lippen und er grinste mich hämisch an.
„Was wollt ihr jetzt tun? Mich wie Bellec oder eure Frau benutzen, damit ich tue, was ihr wollt? Darauf könnt ihr lange warten!“ langsam begann ich mich in seinen Geist vorzutasten. Irgendwo musste ja noch ein Rest des eigentlichen Monsieur Pastice sein. Allerdings würde ich so Gefahr laufen, dass er mich einfach umbringt, während ich auf der Suche war.
Mach weiter, ich halte ihn derweil auf Abstand, hörte ich Loki plötzlich und ich muss gestehen, ich war ein wenig erleichtert, nicht alleine zu sein.
Also entspannte ich meinen Geist und erkundete die wirren Gänge von meinem Widersacher. Lange suchen musste ich nicht, er hockte in einem kleinen Raum am Ende eines tiefschwarzen Ganges und starrte vor sich hin.
Könnt ihr mich hören?, fragte ich vorsichtig und leise, weil ich Angst hatte, Egil auf mich aufmerksam zu machen. Jedoch schien dieser mehr als beschäftigt zu sein, da ich Kampfgeräusche vernahm.
Ich kann hier nicht raus! Er hat mir gedroht, meiner Frau bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen und dann ihren Körper mit Pfeilen zu spicken! Helft mir, BITTE!, Tränen liefen über seine Wangen und er zitterte. Wie lange er hier schon verweilte, konnte er nicht sagen. Es sei immer nur wie eine Ahnung gewesen, so als würde man ab und an ein Flüstern hören. Erst hier in Paris, an dem Abend wo man uns vorstellte, kam Egil an die Oberfläche und verdrängte ihn. Sogar Madame Pastice war involviert, weswegen sie so ungezügelt war vor einigen Tagen. Sie sollte uns aus der Reserve locken. Als der Bogenschütze jedoch die schockierten Blicke der Gäste sah und hörte, dass er seine Frau umgehend zu züchtigen hätte, ließ er von Haytham und mir ab und ging seiner „Pflicht“ nach. Die Schilderung, WIE seine Gattin gequält wurde, ersparte er mir.
Glaubt mir, ich würde meiner Frau NIE so etwas antun, ich liebe sie. Aber warum ist dieser Egil in meinem Kopf und meinem Körper. Was habe ich mit eurer Fehde zu tun? Ich bin nur ein kleiner Kaufmann…, in seiner Stimme klang Resignation mit und es schien ihn zu erschöpfen, hier noch länger zu verweilen.
Ich habe noch keine Erklärung dafür, aber ich verspreche, dass ich euch helfen werde. Ich werde jetzt nach einer Möglichkeit suchen, euren Schmarotzer loszuwerden. Bleibt hier und versucht euch zu wappnen, vermutlich müsst ihr ebenfalls gegen ihn antreten, erklärte ich immer noch leise und klopfte ihm auf die Schulter.
Ich ging wieder auf den Gang und traute meinen Augen nicht! Loki hatte sich über Egil gebeugt und ihn mit Seilen gefesselt.
Plötzlich holte der Trickreiche ein Beil aus einer Tasche an seinem Gürtel, welche aber nur so groß wie ein Patronenbeutel war! Ich stand dort und sah staunend auf dieses Spektakel.
Was willst du jetzt tun, Egil? Hatten wir dir nicht schon einmal klar gemacht, dass wir dich nicht mehr sehen wollen? Bist du jetzt größenwahnsinnig geworden, ja? Haben dich die Reisen mit der Naglfar verrückt werden lassen?
Langsam hob er die Waffe über seinen Kopf und starrte auf seinen Widersacher herab. Dieser sagte jedoch nichts, im Gegenteil, er lachte nur und schüttelte dabei den Kopf.
Ich werde euch jetzt von dem Leid erlösen und ihr könnt euch vor den Nornen verantworten. Aber glaubt mir, die Tore zu Valhalla bleiben euch verschlossen, dafür werden wir vereint sorgen!
Loki holte weiter aus und ließ das Beil auf den Schädel des Bogenschützen schnellen! Man hörte ein unangenehmes Knirschen und es sah aus, als wäre eine Wassermelone aus großer Höhe auf den Boden gefallen. Mit einem triumphalen Jubel hüpfte der Gott nun um den Toten herum.
Endlich haben wir eine Plage weniger! Kommt, lasst uns das Feiern!, lachte er wie von Sinnen und zerrte mich hinter sich her.
Wartet, wir müssen noch…, weiter kam ich nicht.
Macht euch keine Gedanken mehr, ich bin wohlauf. Fürs erste werde ich etwas Ruhe benötigen, genau wie meine Frau. Ich bin euch unendlich dankbar, Mistress Kenway! Hörte ich Monsieur Pastice erleichtert sprechen und dann folgte ich Loki.
Es dauerte einen Moment, bis ich wieder im Hier und Jetzt war und ich fühlte mich unglaublich erleichtert. Trotzdem verstand ich nicht, warum Loki so leichtes Spiel hatte? Lag es daran, dass Egil kein übermächtiger Gott war, oder dass er schlicht weg nicht kämpfen konnte?
Egil ist ein einfacher Bogenschütze, oder besser gesagt Scharfschütze. Aber für den Nahkampf ist er einfach untauglich. Das konnte ich mir zunutze machen und glaub mir, es war mir mal wieder eine Freude, etwas nützliches tun zu können. Und jetzt… werde ich zu meiner Frau gehen und meine Wunden versorgen lassen., mit einem anzüglichen Grinsen im Gesicht verschwand er einfach.
„Ich fühle mich gerade sehr seltsam. So als hätte man mir ein Stück meiner Selbst genommen.“ sprach der Händler leise und sah sich nach seiner Frau um. „Du meine Güte, was habe ich nur getan?“ er nahm sie in seine Arme und Madame Pastice legte weinend ihren Kopf an seine Brust.
„Ich werde euch jetzt alleine lassen, damit ihr euch erholen und beruhigen könnt. Wir sollten morgen dann über eure Frage reden, warum IHR auserwählt und besessen ward.“ in diesem Moment spürte ich schon wieder dieses Kribbeln in meinem Nacken. Hektisch sah ich mich um mit meinem Blick, aber es waren keine Feinde auszumachen. Nur dieser eckige gold leuchtende Gegenstand. Langsam ging ich darauf zu und erkannte darin eine kleine Schatulle mit geschnitzten Runen und Bildern darauf. Vorsichtig strich ich darüber, aber es war kein Holz oder Metall, es fühlte sich seltsam an.
„Ihr habt meinen Schmuck entdeckt, Mistress Kenway.“ hörte ich Madame Pastice neben mir und sie lächelte mich an. „Normalerweise bewahre ich ihn in einem verschließbaren Kasten auf, aber als wir vor ein paar Wochen bei einem Händler auf dem Markt dieses hier entdeckten, musste ich es einfach kaufen. Es ist aus Walknochen gefertigt, erklärte er und sei ungefähr 900 Jahre alt.“
Staunend besah ich mir die Zeichen und langsam bildeten sich Wörter und ich erkannte, was dort stand. Im Groben wurde die Schlacht der Fylgja dargestellt, es ging auch um die Magie des Runenmeisters und eine Rune erkannte ich dann tatsächlich als „Geschenk“. Diese Stabrune war auch auf den Truhen, welche ich hin und her brachte.
Von diesem Gebilde ging eine warme Strahlung aus und es fühlte sich nicht nach Bedrohung an.
Auf der Innenseite des Deckels sah ich dann ein Symbol, welches mir wohl bekannt war. Das Sonnensymbol und daneben war ein breiter Ring geritzt, welcher Zeichen aufwies, die auch auf Haythams Amulett zu sehen waren!
Ich ging automatisch einen Schritt zurück, weil ich befürchtete, in eine andere Welt gezogen zu werden und konnte so eins und eins zusammenzählen. Egil war wie durch ein Portal getreten und in Monsieur Pastices Geist gedrungen.
„Wisst ihr noch, bei wem ihr dieses Behältnis erworben habt, Madame Pastice?“ fragte ich möglichst um Neutralität bemüht.
„Nein, leider nicht. Auf dem Markt waren viele fahrende Händler. Er könnte von überall her gekommen sein. Aber er sprach französisch, fließend. Warum fragt ihr? Stimmt etwas nicht?“
Ich sah die beiden Eheleute an und wusste nicht so recht, was ich sagen sollte.
„Man hat mithilfe dieses Runenkästchen den Gott auf euch losgelassen, Monsieur Pastice. Die Zeichen deuten darauf hin.“ in seine Augen trat Erkenntnis.
„Ihr habt Recht. Wisst ihr, als wir es ausgepackt und befüllt hatten damals, fühlte ich mich in dieser Nacht beobachtet. Aber am nächsten Morgen war es, als wäre ich nicht mehr ganz ich selber. Ich schob es auf den wenigen Schlaf, oder auf eine Erkältung, welche ich mir eingefangen hätte. Ich fühlte mich… ja, etwas krank!“ kopfschüttelnd stand er vor dem Schmuck seiner Frau.
„Mistress Kenway, ihr habt uns geholfen und ich möchte, dass ihr dieses Relikt an euch nehmt. Es scheint eine gewisse Macht davon auszugehen und ich fühle mich nicht mehr wohl in ihrer Nähe. Bitte, nehmt sie mit.“ sprach Madame Pastice und holte bereits ihre eigentlich Schmuckschatulle und füllte alles um. Danach reichte sie mir in Tücher gewickelt das Walknochenbehältnis.
Ich verabschiedete mich nun noch und wir verblieben so, dass ich morgen mit Haytham nach ihnen sehen würde. Vermutlich würden wir uns beim Frühstück ja schon sehen.
Erleichtert verließ ich die Räume der Eheleute und eilte zurück zu unseren Gemächern. Ich wollte dieses Ding möglichst schnell in meiner Stahltruhe verstauen und nach Möglichkeit auch erst einmal nicht mehr anfassen müssen.
Ich traf dort aber niemanden an, mein Mann war vermutlich bei einer Herrenrunde gelandet. Aber ich ließ es mir nicht nehmen, kurz nach Edward zu sehen, welcher mit Sybill in seinem Zimmer noch ein wenig spielte. Freudig rannte er auf seinen kleinen wackeligen Beinchen auf mich zu. „Mamaaaaa… lieb!“ rief er, als ich ihn hochhob. „Edward! Du kannst ein neues Wort! Ich habe dich auch lieb, min lille skat!“ meinte ich glücklich und drückte ihn an mich.
„Master Edward übt fleißig und er ist ganz begeistert von den Vögeln unten im Park.“ lachte Sybill, welche stolz auf ihren Schützling sah.
„Das glaube ich gerne. Aber leider muss ich mich schon wieder verabschieden, die Königin wartet sicher.“ seufzte ich tief und mein Sohn verzog traurig das Gesicht. „Schätzchen, auch du wirst noch lernen, was es heißt Pflichten zu haben.“ als ich ihn an Mrs. Wallace übergab, sah sie mich für einen kurzen Moment still an.
„Ich habe gesehen, was gerade passiert ist, Mistress Kenway. Ihr habt euch mit Loki gut geschlagen.“ sprach sie leise und lächelte dann und ich machte mich jetzt endlich auf zur Königin!
Ich bog in den Gang zu Marias Gemächern und sah, dass sich hier nur noch die üblichen Wachen herumtrieben. Anscheinend war man bereits dabei, sich dem Champagner hinzugeben. Etwas nervös war ich jetzt doch, weil mir die Worte von Myrte de Gooijer wieder im Kopf herumgeisterten.
Ich straffte meine Schultern und betrat den Raum, wo mich eine Wolke aus Parfüm, Puder, Schweiß und Alkohol sofort umhüllte. Außerdem nahm ich schwach den Geruch von Tabak und einigen netten Inhaltsstoffen wahr.
Der Raum war erfüllt von Gekicher, Flüstern und einer Mischung aus Euphorie und Spannung.
Die Königin bemerkte mich und bat mich näher zu kommen. An ihrer Seite stand ein ungefähr 40jähriger Herr mit dunkelblonden schulterlangen Haaren und einem lilafarbenen Anzug.
„Maîtresse Kenway, ich hatte die Hoffnung schon verloren, dass ihr uns Gesellschaft leisten werdet heute. Ich hoffe doch, dass es Madame Pastice nun besser geht. Die Strafe scheint wohl höher ausgefallen zu sein, als ich vermutet hatte.“ ein verschwörerisches Grinsen und ein fragender Ausdruck auf ihrem Gesicht ließ mich nicht ehrlich antworten. Es war mir zuwider irgendwelche Gerüchte zu streuen, also erzählte ich, sie hätte sich beim Essen vor ein paar Tagen eine Magenverstimmung eingefangen.
„Hmmm, sie sah nicht krank aus… Aber sei es drum. Widmen wir uns den angenehmeren Dingen! Darf ich euch meinen verehrten Geschäftspartner Monsieur Landolph Guérette vorstellen?“ der Herr verbeugte sich und hauchte einen Kuss auf meinen Handrücken. Irgendwie fühlte es sich seltsam an, wie einstudiert und aalglatt. Mich schüttelte es leicht in diesem Moment.
Ich wurde den Hofdamen, den Herzoginnen und einigen anderen Damen vorgestellt und hier und da kam man dann doch ins Gespräch. So schlimm wie ich zuerst dachte, wurde es nicht und ich entspannte mich ein wenig.
Die kleinen Häppchen waren köstlich und auch der Champagner war fantastisch. Es war nicht der, der sonst gereicht wurde, hier handelte es sich um eine Lieblingssorte der Königin. Eine kleine Gemeinsamkeit, wie ich schmunzelnd feststellte.
Die Stimmung lockerte sich von Stunde zu Stunde, von Glas zu Glas.
„Meine verehrten Damen, darf ich um ihre Aufmerksamkeit bitten?“ Landolph hatte sich erhoben und ließ einen Löffel an sein Glas schlagen, damit man ihm zuhörte.
Schweigen senkte sich über die Anwesenden und wir alle waren gespannt, was uns nun erwarten würde.
„Wie versprochen habe ich eine erlesene Auswahl an Schmuck und einigen Freudenspendern für die Damen mit gebracht.“ lächelnd deutete er auf einen Tisch zu seiner Linken, wo alles übersichtlich dekoriert worden war.
Nach und nach hielt er das eine oder andere Stück empor und gab Empfehlungen zur Benutzung oder Reinigung zum Besten. Warum musste man erklären WIE man… aber egal, ich sah, dass hier die ein oder andere Frau keinerlei Ahnung von solchen privaten Dingen hatte.
Ich interessierte mich weniger für die Spielzeuge, mich sprach der Schmuck wieder an. Es gab sehr schöne Ringe mit Saphiren und Rubinen für die Brustwarze oder eben die Stäbe, wie ich schon einen besaß.
„Ah, Maîtresse Kenway, ihr scheint euch damit bereits auszukennen?“ sprach mich der Liebhaber ihrer Majestät freudig an und ich erzählte von meinem Wunsch, mir so etwas stechen lassen zu wollen. Sagte aber auch gleich dazu, dass ich ein wenig Angst vor Nadeln hätte und vor den Schmerzen.
„Da macht euch keine Sorgen. Auf meinen Reisen bin ich weit herumgekommen und habe einige Mittel die die Haut betäuben können, oder auch … euren Geist. Wenn ihr versteht, was ich meine?“ er war näher gekommen, legte seine Hand auf meinen Hintern und drückte verschwörerisch zu.
Mich durchlief ein Kribbeln, aber kein wohliges und ich wich ein Stück von ihm ab.
„Ich… werde mir darüber Gedanken machen müssen… Monsieur Guérette. Wie lange braucht es, bis alles abgeheilt ist?“ ich bemühte mich um einen ruhigen Atem und einen neutralen Ton.
Er war wieder dichter bei mir. „Ihr meint, wann ihr euren Gatten in den Genuss dieses kleinen Lustspenders kommen lassen könnt?“ ein breites wissendes Grinsen erschien in seinem Gesicht.
So meinte ich es eigentlich nicht, aber fragen konnte man ja. Es würde mindestens 2 Wochen dauern, bis sich die Haut entsprechend geschlossen hätte. Vorausgesetzt man befolge die Pflegetipps. Anscheinend musste man hier extra auf Hygiene hinweisen, was mich wieder schütteln ließ. Es war verpönt, oft zu baden oder sich zu waschen. Dass Wasser nicht schädlich war, wenn man sich damit wusch, war noch nicht in den Köpfen bei allen angekommen. Was das trinken anging, da konnte ich es selbstverständlich nachvollziehen.
Ich verabredete mich mit Landolph für den kommenden Tag in unseren Gemächern. Ich hatte mich für ein Brustwarzenpiercing und den schon gekauften Stab aus London entschieden. Beides wollte ich hier erledigen, damit es in Ruhe abheilen konnte.
Es war Maria, welche sich zu uns gesellte und mir eine junge Frau vorstellte, welche kaum älter als 20 sein dürfte, wenn überhaupt. Klein, schüchtern und blondgelockt stand das Persönchen neben der imposanten Erscheinung der Königin. DAS war also die besagte Angebetete? Ihr Name war Dominique Vincent und lebte mit ihren Eltern seit zwei Jahren im Palast. Ihr Vater war einer der Berater von Ludwig.
„Ich habe vor, Dominique in meinem innersten Kreis der Hofdamen aufzunehmen. Dort ist sie mehr als gut aufgehoben und kann ihre Talente sicherlich gut einsetzen.“ Marias Finger glitten liebevoll über den Hals und das Dekolletee des Mädchens, welches aber mehr als ängstlich zu ihr auf sah. Verdammt nochmal, was war denn bitte daran so falsch zu verstehen, sich LANGSAM heranzutasten? Im wahrsten Sinne des Wortes!
Ich rollte innerlich mit den Augen und begann ein unverfängliches Gespräch mit der Angebeteten und entfernte mich immer weiter mit ihr von der Königin.
Als ich sicher sein konnte, dass man uns nicht einfach so hören konnte, hakte ich einfach nach.
„Ihr macht nicht den Eindruck, als wolltet ihr die Avancen eurer Majestät zulassen. Sehe ich das richtig?“ mit vor Entsetzen geweiteten Augen sah sie mich an.
„Woher… Madame, ich weiß nicht… wie muss ich reagieren? Es ist doch sicherlich unhöflich, wenn ich die Zuneigung nicht erwidere, oder? Ihre Majestät wird mich des Hofes sicherlich verweisen, wenn ich nicht mache, was sie sagt!“ und ich sah, wie ihr Tränen in die Augen traten.
„Sollte das passieren, dann tut es mir für euch leid. Aber lasst euch zu nichts zwingen. Und wenn ihr… einem Herren versprochen seid, solltet ihr das die Königin wissen lassen. Vielleicht sucht ihr ein ruhiges Gespräch beizeiten einmal, um diese Missverständnisse und Ungereimtheiten zu klären?“ ging ich jetzt zu weit oder sollte ich sie in ihr Verderben rennen lassen? Es war einfach ziemlich dünnes Eis auf welchem ich mich bewegte., ging es mir durch den Kopf.
„Das sollte ich tun, Madame. Ihr habt sicherlich Recht, da meine Mutter bereits einen Ehemann für mich gesucht hat und… er ist ein stattlicher Soldat und … wir mögen uns!“ dabei umspielte ein schüchternes Lächeln ihre Lippen. Mir ging der Gedanke durch den Kopf, dass sie hier ganz und gar nicht hineinpasste.
Leider wurden wir aber von Maria persönlich unterbrochen, welche besitzergreifend Dominiques Taille umfasste.
„Wenn ihr zwei hier noch weiter so herumsteht, dann verpasst ihr doch das Beste.“ die Stimme der Königin klang leicht lallend und erst jetzt bemerkte ich, dass immer mehr Frauen bedenklich schwankten und ungehalten kicherten.
Man führte uns wieder in den Raum hinein und bat uns, auf einem der großen Sofas Platz zu nehmen.
Gerade als ich mir ein Glas Champagner nehmen wollte, gingen die Türen zum Nebenzimmer auf und herein traten drei mehr als nur leicht bekleidete Sklaven. Jedoch weder gefesselt noch irgendwie abgerissen, sie machten einen gesunden und vitalen Eindruck. In diesem Moment wurde mir klar, was uns jetzt erwarten würde!
Diese Herren waren … in meiner Zeit würde man sie vielleicht Callboys nennen… hier waren sie für die unbefriedigten Frauen zuständig. Jetzt verstand ich auch, was Myrte meinte, als sie die „Zustände“ bei diesen Damenrunden angesprochen hatte.
Ich wurde immer unruhiger und rutschte nervös auf meinem Hintern herum. Ich wollte dieser halben Orgie, welche unweigerlich ins Haus stand, definitiv nicht beiwohnen. War es aber unhöflich, einfach zu gehen? Hätte das irgendwelche Konsequenzen für mich? Verstohlen sah ich mich um, aber ich schien, bis auf Dominique neben mir, die einzige zu sein, welche jetzt lieber gehen würde.
Und schon begannen die ersten Damen mit dem Angrapschen und inspizieren der Sklaven. Man fuhr lüstern mit den Fingern über die mittlerweile entblößten Brüste und… anderen Körperteilen, welche diese Zuwendungen aber sichtlich genossen.
Ich wandte mich ab, weil ich dieses zur Schau stellen grauenhaft fand. Meine moralische Grenze wurde überschritten und ich konnte das nicht zulassen.
„Madame… muss ich wirklich noch hier bleiben…“ flüsterte das Mädchen neben mir und ich sah sie für einen Moment nur an.
„Nein, wir müssen gar nichts.“ sagte ich kalt und wollte mich gerade erheben, als einer der Herren sich vor mir präsentierte und … ich wusste nicht wohin mit meinen Augen. Da ich saß und er stand, nicht nur ER!, hatte ich einen sehr direkten Blick… Bei Odin, ich bin bestimmt nicht prüde, aber…
Im Hintergrund vernahm ich plötzlich freudiges Stöhnen! Also hatte es angefangen! Ich schüttelte meinen Kopf und schob den Herren von mir, stand auf und zog auch Dominique mit hoch.
„Euch geht es nicht gut, wegen des Champagners und ich bringe euch in eure Gemächer. Habt ihr das verstanden?“ flüsterte ich dicht an ihrem Ohr und sie nickte nur. Prompt machte sie ein wehleidiges Gesicht und hielt sich die Hand vor den Mund.
Leider hatte ich die Rechnung ohne Maria gemacht, welche sofort besorgt auf ihre zukünftige Hofdame zu eilte.
„Fühlst du dich nicht wohl, Kind? Komm, ich bringe dich hinüber.“ und damit schnappte sie sich ihre Hand und zog die junge Frau hinter sich her und schloss demonstrativ die Türen hinter sich.
Ich selber stand mit offenem Mund da und wusste nicht, was ich tun sollte.
Plötzlich wurde meine Hand gegriffen und man führte sie an Körperstellen, welche ich nicht bei einem mir völlig fremden Mann anfassen wollte. Erschrocken zog ich sie zurück und funkelte den Sklaven wütend an.
„Lasst das. Ihr braucht solche Dienste nicht verrichten, das ist Menschenunwürdig…“ leider kamen diese Worte zu laut aus meinem Mund und ich erntete böse Blicke. Jedoch nicht lange, anscheinend waren die Frauen hier ausgehungert. Ihnen war egal, wer sie gerade bestieg.
Ich nahm noch einen letzten Schluck Champagner und ging einfach!
Draußen auf dem Gang grinsten mich die Wachen lüstern an. „Na, hat euch gefallen was ihr gesehen habt? Ich könnte euch auch noch einiges bieten, wenn ihr noch nicht genug habt!“ ich musste mehr als tief durchatmen, um diesem Arschloch nicht an die Kehle zu gehen.
Ich lief, nein, ich rannte einfach los und mir liefen die Tränen über die Wangen! Das war doch nicht wahr, was sich hier abspielte oder? Ja, ich wusste, dass man Mätressen, Geliebte und was weiß ich noch so hatte. Aber es gab organisierte Erniedrigungen zur Belustigung der Damen?
Irgendwann fand ich mich draußen in den Parkanlagen wieder und atmete die kühle Nachtluft ein. Ich versuchte meinen Geist zu beruhigen und diese Bilder wieder aus meinem Kopf zu bekommen! Es wollte mir aber nicht gelingen!
Meine Wut über diese Machenschaften und den Sklavenhandel kam wieder hoch und drohte mich zu verschlingen. Diese Zustände konnte ich nicht dulden, aber ändern konnte ich nichts. Und wenn ich eingeschritten wäre, dann nur für den Moment, sobald ich weg wäre, würde alles wieder seinen gewohnten Gang gehen.
Auch hatte ich ernsthafte Bedenken was das junge Mädchen anging. Sie würde sich fügen, davon war ich überzeugt. Dominique wird ihren Soldaten zwar heiraten, aber immer im Dienste der Königin stehen.
Maria wird aber nicht mehr lange leben, oder? Ich versuchte die Daten in meinem Kopf zu sortieren und ich meinte mich zu erinnern, dass sie 1768 sterben wird. So makaber es sich anhört, aber ich wünschte es mir für Dominique und hoffte, dass Ludwig nicht auch noch Gefallen an ihr finden könnte!
Langsam beruhigte sich mein Atem, aber die Bilder würden mich sicherlich noch eine ganze Weile begleiten. Ich machte mich auf zu meinem Mann und hoffte, er würde noch wach sein. Ich musste ihm von dieser Szenerie einfach erzählen.
In unserem Schlafzimmer wurde ich von Magda und Nathalie für die Nacht eingekleidet und konnte mich anschließend aufs Bett fallen lassen.
Haytham war natürlich noch wach und ihn umgab ein Dunst aus Tabakrauch und Alkohol und dieser eigenartige Geruch von Puder, welchen ich nicht wirklich beschreiben kann.
„Mi sol, hast du geweint? Was ist denn passiert?“ er schmiegte sich von hinten an mich und hielt mich fest.
Ich atmete tief durch und berichtete von Madame Pastice, von Egil und dieser Orgie in den Gemächer der Königin. Als ich fertig war, fühlte ich mich erleichtert und die Wut flaute langsam ab.
Mein Mann hatte bis jetzt kein Wort gesagt, sondern mich sprechen lassen.
„Das ist ja… und ich war nicht zugegen. Alex, wir werden mit den Pastices morgen in Ruhe reden und ich würde mir dieses Runenkästchen auch vorher einmal in Ruhe ansehen. Aber… es tut mir leid, dass du einen solch miserablen Abend hattest. Ich… möchte es mir nicht einmal ansatzweise vorstellen!“ seine Stimme klang angewidert, was völlig verständlich war. „Leider werden wir die Zustände hier nicht ändern können, es wäre wirklich nur temporär. Die Menschen sind einfach noch nicht so weit, mi sol.“ Seine Hand fuhr beruhigend über meinen Arm und ich griff danach.
„Ja, leider kann ich nur zusehen.“ seufzte ich und plötzlich fiel mir ein, dass ich ja eventuell morgen den Schmuck bekommen sollte. Allerdings war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich es unter diesen Umständen überhaupt noch wollte. „Du erinnerst dich doch noch an den Schmuck, welchen ich in London neben meinem Spielzeug erstanden habe?“ fragte ich leise und drehte mich vorsichtig zu ihm um.
„Ja, wie könnte ich das vergessen. Was ist damit?“ seine Stimme klang alarmiert und er sah mich auch so an.
„Ich… habe noch ein weiteres schönes Stück erstanden und… ich… habe morgen einen Termin mit dem Herren, welcher sie mir stechen würde…“ nuschelte ich und mir schoss die Röte in die Wangen!
„Bist du dir sicher? Aber wenn du es wirklich willst, dann nur unter der Bedingung, dass ich zugegen sein werde. Ich will nicht, dass dieser Mann alleine mit dir in einem Raum ist und… es ist mir schon nicht recht, dass Monsieur Villason solche Blicke auf dich werfen konnte!“ Es klang Wut in seiner Stimme mit und ich verstand ihn ja.
„Damit bin ich einverstanden, dann fühle ich mich auch geschützter, mi amor.“ meinte ich leise und gab ihm einen Kuss.
Haytham zog mich langsam auf seinen Schoss und ich hörte ihn in meinem Kopf mir befehlen, ich solle mein gläsernes Spielzeug holen. Wir würden vermutlich in den nächsten 2 Wochen keine Gelegenheit mehr bekommen, weil die Wunde verheilen musste.
Ich tat wie mir geheißen wurde und kam langsam wieder aufs Bett geklettert.
Leg dich hin und zeig mir, wie du dir selber Lust verschaffst! Seine Worte in meinem Kopf klangen rau und stockend, während er sich an das Kopfende lehnte und selber begann anzufassen.
Ich hatte ihn in den Jahren nie dabei beobachten können, hatte immer nur diese Vorstellung davon in meinem Kopf, als ich noch in meiner Zeit war. Aber es war wie in Kick und in meinem Unterleib zuckten förmlich tausend Blitze.
Wir genossen es, uns gegenseitig zu anzusehen und dann war es um meinen Mann geschehen.
Er nahm mich einfach und erschrocken nahm ich ihn in mich auf.
Diese Nacht werde ich so schnell wohl nicht mehr vergessen! Sie war einfach im wahrsten Sinne Atemberaubend und einfach heiß!
Nach dem Frühstück waren wir mit den Eheleuten Pastice verabredet. Wir hatten einen Platz im Park vereinbart, weil das Wetter es einfach hergab und ich so auch Edward etwas um mich haben konnte.
Haytham hatte sich dieses Runenkästchen ebenfalls noch einmal genauer angesehen und war zu dem Schluss gekommen, dass es wirklich besser bei uns und gesichert aufgehoben war, als bei unserem neuen Geschäftspartner.
Vielleicht lag es auch nur daran, dass er nun genau wusste, welcher Gott an seiner Seite stand, oder es war die übliche Intuition. Doch mein Mann hatte ähnlich wie ich, dieses Kribbeln im Nacken beim Anblick dieses Kistchens verspürt.
„Das ist ja eigenartig… Alex, ich kann die Runen lesen!“ verblüfft sah er von mir zu unserer neuesten Errungenschaft. „Auch wenn mir die Worte Rätsel aufgeben, aber… das ist fantastisch!“ hörte ich ihn freudig rufen.
Man erwartete uns schon bei dem kleinen Pavillon, welcher etwas abseits der üblichen Laufwege lag.
Wir kamen auch gleich auf den Punkt, weil alles drum herum reden nichts brachte. Außerdem befand ich es für unnötig, den Geist der Pastices zu bereinigen. Mit ihnen hätten wir wissende Personen in Frankreich, welche sich auch weiterhin nach solchen Artefakten mit umsehen konnte.
Ich weiß, die de Gooijers hatte ich nicht einweihen wollen. Das lag aber auch eher daran, dass sie völlig unwissend waren und nicht wie Monsieur Pastice diesen Egil in ihrem Kopf hatten.
„Und ich muss mich noch einmal bei euch entschuldigen, Maîtresse Kenway, dass ich euch so beleidigt habe vor aller Augen und… euch ebenso Maître Kenway…“ dabei brach sie in Tränen aus.
Ich schloss sie in meine Arme, weil es ja nicht SIE war. Madame Pastice war nicht sie selbst in dem Moment und das konnte ich durchaus verzeihen und auch vergessen. Odin sei Dank hatte ich auch nicht mit entsprechend gestreuten Gerüchten bezüglich einer angeblichen Teufelszugehörigkeit zu kämpfen. Es war nichts dergleichen hier zu vernehmen!
Nach dem Mittagessen brachte ich Edward zu Bett, welcher ein weiteres Wort gelernt hatte. Und zwar von Monsieur Pastice! „Ma chére“! Ihm gefiel es so gut, dass er es die ganze Zeit vor sich herplapperte und dabei selig grinste. Haytham klärte seinen Sohn auch gleich darüber auf, wie es in anderen Sprachen hieß und was es damit auf sich hatte. Manchmal war es schwer, nicht aus der Haut zu fahren, bei seinem Zwang alles ins rechte Licht rücken zu wollen. Aber was rede ich, er war Templer. Ordnung, Struktur… Nur leider fand unser Sohn noch gar keinen Gefallen an solchen Dingen!
Gerade als ich mich ein wenig frisch machen wollte, da Monsieur Guérette in einer halben Stunde hier erscheinen sollte, erhielt ich eine Nachricht von Königin Maria. Alleine an ihrer zackigen Handschrift konnte ich erahnen, dass sie nicht ganz so gut zu sprechen auf mich sei. Ich sollte mich in ihren Gemächern heute Abend nach dem Abendessen einfinden! Ich seufzte tief und zeigte Haytham den Brief.
„Vielleicht will sie einfach eine Erklärung! Sie wird dir schon nicht den Kopf abschlagen… oh, verzeih mir. Ich…“ entschuldigte er sich leise.
Nein das würde sie nicht, aber bester Laune wird ihre Majestät auch nicht sein. Aber erst mal musste ich mich für das Piercing wappnen.
Mein Mann hatte sich an den Schreibtisch gesetzt und ging einige Listen bezüglich der Kosten für die Soldaten durch. Ludwigs Finanzberater schien einige Schwierigkeiten zu haben, alles genau berechnen zu können und da Haytham gerne mit Zahlen hantierte, war er dafür wie gemacht.
Dieses Warten auf einen Termin machte mich immer nervös, so auch jetzt und ich wanderte im Empfangszimmer umher.
„Mi sol, setz dich! Es macht mich nervös, wenn du immer an mir vorbei läufst.“ hörte ich ihn genervt sagen und ich ließ mich auf das Sofa plumpsen. Auf dem kleinen Tisch stand eine Karaffe mit Wein und ich goss mir kurzerhand ein Glas ein.
„Möchtest du auch etwas?“ statt einer Antwort bekam ich einen entrüsteten Blick zugeworfen.
„Nein, möchte ich nicht. Stell das Glas hin, ich will nicht, dass du halb betrunken bist, wenn jemand … Lass es einfach sein!“ man möchte ja meinen, dass er bessere Laune nach dieser doch recht sinnlichen Nacht hatte, aber irgend etwas schien ihm sauer aufzustoßen. Ich beschloss nachzuhaken.
„Habe ich etwas falsch gemacht, Haytham? Du bist die ganze Zeit schon so… wütend mir gegenüber!“ ich stand jetzt hinter ihm und hatte meine Arme um seinen Hals gelegt.
„Ich weiß es nicht! Nein, du hast nichts falsch gemacht… oder doch ja. Ich finde es nicht gut, dass andere Männer dich… so sehen und…“ ein tiefes frustriertes Seufzen.
„Der Arzt hat mich als ich mit Edward schwanger war und auch nach der Geburt ebenso gesehen…“ mit einem zischenden Laut fuhr er mir über den Mund.
„DAS war etwas medizinisches… das hier… Alex, du gehörst mir!“ abrupt erhob er sich und schob mich grob auf die Arbeitsfläche und begann meine Röcke hochzuschieben. „Ich will einfach nicht, dass dich jemand Fremdes anfasst…“ und seine Finger zeigten mir, WO er es nicht dulden würde, was mir aber ein lautes Stöhnen auf meine Lippen brachte.
„Es ist eine einmalige Sache…“ hauchte ich und drängte mich an ihn, ich wollte mehr und ich bekam mehr. Vor allem bekam ich seinen Widerwillen und seine Eifersucht zu spüren. Seine Bewegungen waren wieder rücksichtsloser, aber genau das brachte mich über die Schwelle und ich vergrub mit einer Götterpreisung mein Gesicht an seiner Brust.
„Jesus…“ kam es seinerseits an meinem Ohr und ich spürte, wie er kam.
Ich konnte mich gerade noch so erneut waschen, als auch schon der Geliebte von Maria um Einlass bat. Im Nu war meine Nervosität gestiegen und zwar schon fast ins Unerträgliche.
Haytham musterte den Herren genauestens, stellte ihm alle möglichen Fragen und ich spürte, er war ganz der Großmeister des Templerordens. Aber auch Landolph entging diese skeptische Art nicht und er versicherte noch einmal, dass er behutsam vorgehen wird. Es wäre ja auch nicht das erste Mal.
Er bat mich nun, mich zu entkleiden bis auf das Unterkleid. Ich hätte ja auch selber schon daran denken können! Als ich zusätzlich aber noch mit meinem Morgenrock wieder erschien lächelte Monsieur Guérette und bat mich, auf der Chaiseloung Platz zu nehmen. Als erstes würde er das Labial-Majora stechen, laut seiner Aussage oder besser Rates, war es wohl schmerzhafter als die Brustwarze.
Ich begab mich in Pose und beobachtete den Piercer bei seiner Arbeit, genauso tat es Haytham, welcher sich zu meiner Rechten gesetzt hatte.
Landolph wärmte seine Hände kurz auf, dann trug er einen leichten Film einer Paste auf meiner Scham auf und unwillkürlich fühlte es sich kühl an.
„Spürt ihr das noch?“ WAS er gerade tat, sah ich nicht, aber ich spürte lediglich einen Druck, mehr nicht. „Dann ist es gut.“ Er nahm eine lange dicke Nadel zur Hand, welche er mit, ich vermute mit hochprozentigem Alkohol übergoss und an deren Ende der Elfenbeinstab befestigt wurde.
Wie automatisch griff ich nach der Hand meines Mannes, weil dieses Stichwerkzeug mir gefährlich nahe kam. Ich erntete ein aufmunterndes Lächeln, aber er sagte keinen Ton. Und dann ging es ganz schnell.
Mit einem Ruck stach Guérette durch die Haut, entfernte den Stab von der Nadel und tupfte sofort über die Einstichstelle mit einem warmen Tuch, welches nach Kräutern roch. Vor Schreck hatte ich die Luft angehalten und sah erschrocken zu meiner Körpermitte, wo jetzt der kleine Elfenbeingegenstand gesäumt von den beiden kleinen Diamanten prangte.
Ich atmete etwas hektisch vor Erleichterung, weil es schon vorbei war, aber der Schmerz kam jetzt. Es brannte und zwar wie Feuer und ich sog zischend die Luft ein.
„Das vergeht gleich, Maîtresse Kenway. Maître Kenway, würdet ihr mir bitte die kleine Flasche dort reichen.“ hörte ich ihn noch sagen, aber ich war zu sehr abgelenkt, als das ich sagen könnte, was darin war.
„Diese Tinktur müsst ihr nach jeder Wäsche und nach Möglichkeit mindestens alle 4 Stunden auftragen. Aus der Erfahrung weiß ich aber, dass die Wunden an dieser Stelle schneller heilen, als zum Beispiel am Ohr.“ die Worte drangen kaum zu mir durch und ich versuchte sie zu verstehen. Es gelang mir und langsam richtete ich mich nun auf.
„Seid ihr sicher, dass ihr auch den Ring noch haben möchtet?“ in seiner Stimme klang Besorgnis mit und auch mein Mann sah mich fragend an.
Ich atmete tief durch und spürte, dass mir etwas schwindelig war. Aber ich konnte den beiden Herren versichern, dass ich auch das Brustwarzenpiercing heute machen lassen werde.
Gesagt getan, auch hier das gleiche Prozedere. Und es war wirklich nicht so schmerzhaft, auch im Nachgang nicht. Landolph empfahl für den Tag eine Art Verband anzulegen, damit nicht ständig direkte Reibung für Entzündungen sorgen würde.
Mittlerweile zitterte ich am ganzen Körper, weil die Anspannung von mir abfiel. Wir verabschiedeten den Piercer und ich ließ mich langsam auf das Sofa gleiten.
„Und? Wie fühlst du dich, mi sol?“ in Haythams Stimme hörte ich diesen liebevollen Ton heraus, anscheinend war seine Wut abgeklungen.
„Danke, mir geht es gut. Ich bin… erleichtert, dass es vorbei ist und ich bin stolz auf mich, dass ich mich getraut habe.“ und zack, liefen mir die Tränen über die Wangen vor Erleichterung.
„Keine Sorge, ich werde für die Pflege schon sorgen. Du weißt ja, ich will dich schnell wieder für mich haben.“ dieser dunkle Blick dabei versprach mir, dass er Wort halten würde.
Wir gingen hinüber ins Schlafzimmer und ließen Magda kommen, damit sie mich einkleiden konnte. Für einen Moment bestaunte ich meinen neuen, doch recht intimen Schmuck und fand, dass er gar nicht mal so schlecht aussah.
Plötzlich ging mir Faith durch den Kopf! Was würde sie dazu sagen? In einigen Monaten könnten wir uns erst wieder sehen und bis dahin, wäre auch alles abgeheilt. Ich freute mich auf diesen Überraschungsmoment…
In ein stattliches Kleid für das Abendessen gehüllt und einem etwas mauligen Edward, welcher in einem roten kleinen Anzug steckte, machten wir uns auf in den Speisesaal. Im Anschluss stand noch das Gespräch mit Maria an, wovor mir eigentlich graute.
Neben mir saß zu meiner Überraschung Dominique und schien bester Dinge zu sein. Da man aber bei Tisch keine ernsten Gespräche anfing, unterhielten wir uns lediglich über das schöne Wetter und das vortreffliche Essen.
Nachdem man uns vom Tisch aufstehen ließ, gab ich meinem kleinen Schatz noch einen Kuss und wünschte ihm gute Nacht. Haytham würde ihn heute mit Sybill zu Bett bringen, weil ich davon ausging, dass ich sicherlich länger als eine halbe Stunde für die Königin einplanen musste.
Ein Diener begleitete mich zu den Gemächern und ich sah, wie mir Mademoiselle Vincent folgte.
„Madame, ich glaube, wir haben beide diese Nachricht erhalten.“ etwas schüchtern lächelte sie mich an.
„Ich hoffe doch, dass ihre Majestät nicht allzu böse war auf uns gestern? Sie hat euch doch gut behandelt, oder?“ ich weiß, es ist ein wenig vorgegriffen, aber diese Frage brannte mir die ganze Zeit unter den Nägeln.
„Sie war freundlich und hat sich um mich gekümmert. Ihr ist aber mein Verhalten aufgefallen und… ich habe ihr von den Heiratsplänen erzählt. Ihr werdet sicher gleich sehen, dass euch niemand grollt.“ sie hakte sich fröhlich bei mir unter und erzählte mir von ihrem Tag, ihrer Mutter und ihrem Verlobten. Das alles klang noch so unschuldig, so rein und ich stellte mir vor, wie es später mal wird, wenn wir eine Tochter haben.
Man erwartete mich schon und ich nahm der Königin gegenüber Platz, neben mir Dominique. Es entstand eine kurze unangenehme Stille und ich sah mich ein wenig um. Dann ergriff Maria das Wort, doch es war nichts wütendes in ihrer Stimme, im Gegenteil. Sie klang einsichtig!
„Ich habe euch noch einmal hierher gebeten, weil… gestern Abend einiges nicht ganz richtig gelaufen ist. Ich habe … unbedacht gehandelt und nicht über euer beider Unwissenheit, was die höfischen Gepflogenheiten anging, nachgedacht.“ verlegen sah diese stattliche Frau auf ihre Hände in ihrem Schoß und richtete dann ihren Blick wieder auf uns. „… ich muss mich entschuldigen. Mit mir gingen vermutlich die Pferde durch. Doch… ich gebe nicht dem Alkohol die Schuld, das habe ich noch nie und werde es auch nie tun! Dennoch war es berauschend in den gestrigen Stunden. Als mir aber Dominique dann von ihren Plänen erzählte, wurde mir bewusst, dass sie ihr Leben noch vor sich hat und ich meines bald beendet haben werde. Wie kann ich sie dann von einer Liebe, wie sie sie für ihren Verlobten empfindet, fernhalten? Das wäre eine Sünde und ich will mir nicht noch mehr aufladen…“ plötzlich sah ich die gottgläubige Frau vor mir, welche aus einem strengen katholischen Haus kommt. Welche wirklich Angst hatte für so etwas bestraft zu werden! In diesem Moment dankte ich im Stillen Odin, dass meine Götter gnädiger waren und einfach unter uns wandelten. Sie waren greifbar und man musste sie nicht so fürchten!
„Aber eines hat mich irritiert, Maîtresse Kenway! In eurer Wut, gerade als ihr euch erheben wolltet, umgab euch ein… seltsames Leuchten, so als würde Gott selber durch euch die Moralpredigt sprechen! Sagt, seid ihr ihm wirklich so nahe?“ verdammt, dass hatte ich nicht bemerkt und anscheinend auch niemand anderes, nur sie!
„Ich… das wird vermutlich das Kaminfeuer gewesen sein, welches sich auf dem glänzenden hellen Stoff meines Kleides wieder spiegelte, eure Majestät. Nichts weiter. Und nein, ich… bin mit den nordischen Göttern verbunden, falls ihr es wissen möchtet…“ für einen Moment sah sie mich nur an und dann lächelte sie plötzlich.
„Ich verstehe, ihr seid in eurem Glauben sehr frei und der Natur eher verbunden… Das klingt wunderbar…“ ein tiefes Seufzen kam von ihr und sie ging hinüber zu einem der Fenster und starrte hinaus. „Wie gerne wäre ich auch so frei, frei in meinen Entscheidungen oder … meinem ganzen Leben gewesen…“ ich nahm nur noch ein Zittern wahr, dann schlug sie die Hände vor die Augen und weinte.
Konnte ich sie einfach in den Arm nehmen? Doch es war Dominique welche aufstand und sie in ihre Arme schloss.
„Eure Majestät, Madame Kenway und mir ist sicherlich gar nicht bewusst, wie schwer euer bisheriges Leben gewesen sein muss. Auch die ganzen Verluste, welche ihr hinnehmen musstet. Verzeiht mir, eure Majestät!“ und sie knickste tief. Ich trat neben das Mädchen und tat es ihr gleich.
„Das bedeutet mir viel.“ kam es leise und sie nahm unsere Hände in ihre, straffte die Schultern, schluckte die letzten Tränen hinunter. „Wir werden auf uns Frauen anstoßen! Einfach, weil wir es verdient haben!“
Erleichtert, dass dieses Theater von gestern jetzt vom Tisch ist, genossen wir noch ein oder zwei … vielleicht auch mehr Gläser des Lieblings-Champagners der Königin.
Ein wenig beschwipst ging ich später wieder in unsere Gemächer zurück und dachte über diese Frau nach. Sie war nicht böse, sie war nicht intrigant oder sonst etwas. Sie tat das, wozu sie erzogen wurde. Sie musste die Oberhand behalten und dabei souverän wirken, koste es was es wolle.
Als ich ins Schlafzimmer trat, lag mein Gatte bereits im Bett, schlief aber noch nicht.
Selbstverständlich registrierte er meinen Zustand und zog tadelnd eine Augenbraue hoch. „Ich nehme an, das Gespräch war also ein voller Erfolg?“ seine Stimme passte dazu.
„Ja, davon kannst du ausgehen!“ meinte ich nuschelnd, während mich Magda in mein Nachthemd steckte und meine Haare begann zu bürsten.
Endlich konnte ich mich zu meinem Mann ins Bett begeben und ließ mich mit Schwung darauf fallen, als mir schmerzhaft mein Piercing zwischen den Beinen in Erinnerung gerufen wurde und ich jaulend aufkeuchte.
„Strafe muss sein, mi sol.“ lachte Haytham und tätschelte meinen Po.
„Sei bitte vorsichtig, wenn ich mich um dich schlinge, ja?“ diese Position wäre heute vermutlich mehr als ungeeignet, ging es mir durch den Kopf.
„Keine Sorge, dreh dich um und ich werde dich schon nicht in der Nacht weglaufen lassen.“
Mit dem Rücken an ihn gelehnt und seinen Armen um mich, wurde ich ruhiger, auch wenn mir durch den Alkohol etwas schwindelig war.
„Alex, lass das!“ ich spürte ein Pulsieren an meinem Po, welcher sich dichter an ihn schmiegte. Ich brauchte aber ja weder Hände noch … mein Mund reichte völlig aus und… ja der böse Champagner ließ mich ein wenig wollüstig werden! Aber es störte Haytham nicht im Geringsten, im Gegenteil.
„Herr Gott noch eins, womit habe ich so eine Frau verdient…“ kam es schwer atmend und er zog mich zu sich hoch und küsste mich ausgiebig.
„Das werden dir nur die Götter erklären können…“ kicherte ich und nahm wie gewohnt meine Klammerposition ein. Sch… auf die Schmerzen, welche wie weggeblasen waren… bei diesem zweideutigen Gedanken kicherte ich wieder etwas ungehalten, schlief aber schon bald selig ein.
Ein quengeliges und nörgeliges „Mamaaaa“ holte mich aus meinem Schlaf und ich sah mich um. Haytham war nicht im Bett, es war schon hell und ich hatte Kopfschmerzen vom Feinsten! Eine Mischung, welche ich mir morgens verbitte!
Ich hob den Schreihals hoch und Edward begann auf mir herum zu klettern, während er kichernd an der Bettdecke herum zerrte. “Auf! Mama! Auf!“ dieser kleine Kenway war genauso ungeduldig wie sein Vater, verdammt.
„Ja, ist doch schon gut. Ich… stehe ja auf…“ gähnte ich und hielt mir eine Hand vor die Stirn.
„Mistress Kenway, wir gehen schon zum Frühstück, Magda und Nathalie sind bereits hier um euch beim Einkleiden zu helfen. Ihr seid spät dran.“ kam es leise, aber drängend von Sybill und sie nahm mir meinen Sohn ab.
Das würde noch einen dummen Spruch von Haytham geben… schneller als mir lieb war!
„Mi sol! Hopp… raus aus den Federn! Für deine Kopfschmerzen kann niemand etwas.“ diesen blöden Befehlston konnte er sich sparen! Besonders dann, wenn ich noch keinen Kaffee hatte!
„Jahaaaaa… ist ja gut. Ich bin wach. Ich stehe auf…“ oh bei Odin! Nie wieder Alkohol, dabei waren es doch nur… ähm… ich weiß gar nicht mehr wie viele Gläser!
Ich schleppte mich augenreibend zur Kommode, wo mir Magda einen kalten Lappen reichte und ich mir durchs Gesicht waschen konnte. Eine Wohltat und langsam wachte auch mein Verstand auf, aber es fehlte noch der Koffeineinschuß.
Fertig angezogen wartete Haytham bereits ungeduldig im Empfangszimmer auf mich und sah mich kopfschüttelnd an.
„Naja, du siehst nicht gerade wie das blühende Leben aus. Aber wir müssen uns jetzt beeilen, sonst kommen wir ganz zu spät.“ und er zog mich einfach hinter sich her, ohne einen Gedanken an meine Piercings zu verschwenden, welche sich gerade schmerzhaft beide bemerkbar machten.
Nach dem Frühstück hatten wir noch eine gemeinsame Besprechung mit König Ludwig, weil wir in den kommenden Tagen abreisen würden. In Paris hatte man uns bereits eine Unterkunft angemietet, damit wir unserer Suche nach dem Speer in Ruhe nachgehen konnten. Ludwig wusste DAS natürlich nicht, man hatte ihm lediglich von dringenden Ordens-Angelegenheiten berichtet.
„Ich bedaure es, dass ihr uns schon so schnell wieder verlassen müsst. Ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen und wenn ich es so offen sagen darf, ich würde gerne einmal nach Amerika reisen um mich von der Schönheit der Landschaft selber überzeugen zu können.“ kam es etwas wehmütig vom König.
„Ich gehe davon aus, dass wir euch sicherlich weiterhin in Kenntnis setzen werden und über die Fortschritte der Armee berichten können. Mit euren zur Verfügung gestellten Mitteln wird es sicherlich nicht mehr lange dauern, eine Übereinkunft treffen zu können!“ Haythams Worte hörte ich, konnte sie aber nicht zuordnen! Gelder für die Franzosen in Übersee? Waren wir jetzt doch nicht mehr so neutral? Was war mit der britischen Armee? Ich spürte eine Angst in mir empor kriechen, welche mich erzittern ließ, weil ich befürchten musste, zu weit in die Geschichte einzugreifen mit dieser Aktion.
Franklin war ebenfalls zugegen, auch er würde in den nächsten Tagen wieder abreisen. Er hatte noch Vorlesungen in Deutschland… nein Preußen…!
„Ich sehe es schon vor mir wie Amerika irgendwann einmal vereint ist!“ und er sah verträumt an die Decke. Ja, er sah es wirklich, weil ER die Unabhängigkeitserklärung mit vielen anderen unterzeichnen würde. In mir keimte ein gewisser Stolz, dass ich zu dieser Zeit dann in Amerika sein würde, ich wäre in gewisser Weise eine Zeitzeugin.
Bis dahin werden aber leider noch einige Jahre ins Land ziehen…
Ich kann dich lesen! Verschließe dich! Dröhnte mir Haytham im Kopf, was meinen Kopfschmerzen nicht gerade zuträglich war.
Entschuldige, ich bin halt ein wenig überwältigt gerade bei Franklins Gedanken. Gab ich maulig zurück und warf ihm einen entsprechenden Blick zurück.
Wir verblieben, dass es regelmäßigen Nachrichtenaustausch geben würde, ebenso würden wir über Frankreich nun auch sicheres Geleit für unsere Flotte bekommen. Vermehrt wurden nämlich seit einiger Zeit Piraten gesichtet, welche gezielt große Handelsschiffe angriffen.
Außerdem bekam ich von Ludwig den persönlichen Auftrag für einen regelmäßigen Kakao-Nachschub zu sorgen. Einer seiner Handels-Minister sollte sich mit mir noch in Verbindung setzen im Laufe des Tages. Außerdem ging es auch noch um Waffen, Munition, Leder und Holz. Es würde ein reger Tauschhandel werden, aber ich war in meiner eigenen Unabhängigkeit ein großes Stück weiter.
„Es betrübt mich aber, dass der Mörder von Madame de Pompadour einer meiner doch recht vertrauten Männer war. In Zukunft muss ich ein verbessertes Auswahlverfahren haben, um jedes schwarze Schaf schon im Vorfeld auszumustern!“ man hörte, dass Ludwig dieser Verlust wirklich sehr nahe ging. Er hatte aber doch jetzt diese O´Murphy und die anderen Frauen… entschuldigt, ich sollte die letzte Person sein, die einen Menschen in dieser Situation nicht versteht!
Haytham beteuerte noch einmal, dass auch hier eine Delegation von Templern und Assassinen stationiert werden würde, welche sich um einige Belange kümmern würde. Ich wusste, dass er bereits Master Mormon einen entsprechenden Brief hatte zukommen lassen. Hier in Paris und Frankreich im allgemeinen, sollten weitere Personen für den kleinen Zweig des Ordens rekrutiert werden. Im Hinblick auf Monsieur Dorian mussten wir tatsächlich jetzt warten, wie sich die Beziehungen entwickeln. Aber auch dort würden wir im Austausch mit ihm und Monsieur de la Sérre stehen. Sie hatten ebenfalls ihre Anlaufstellen hier und entsprechende Ansprechpartner.
Es ging noch um diverse Kleinigkeiten, welche ich jetzt nicht alle aufzählen werde, bevor wir uns dann verabschiedeten.
Benjamin tat es mit einem traurigen Blick und meinte, er freue sich auf seinen Besuch auf unserer Plantage. Vielleicht könnte er ja dort auch ein paar seiner Experimente unter anderen Wetterbedingungen testen. Vermutlich schon, da auch das Klima in Virginia milder war als zum Beispiel hier in Frankreich. Ich hoffte nur, dass danach noch unser Haus stand!
Während des Mittagessens hing ich meinen eigenen Gedanken nach und fütterte Edward etwas gedankenverloren. „Ham!“ hörte ich ihn lauter rufen und sah, wie er im Begriff war, sich das Fleisch von meinem Teller zu greifen.
„Schon gut, min lille skat. Hier, aber kau langsam…“ aber wem sagte ich das? Er war wie ein kleiner Staubsauger, was kein Wunder war bei diesem Wachstum und der Geschwindigkeit seiner Entwicklung!
Ich brachte ihn noch zu Bett für den Mittagsschlaf. Plötzlich stieß er mit seinem Kopf heftig gegen meine Brust und ich jaulte laut auf. Und schon zitterten seine Lippen und er sah mich erschrocken an. „AUA?“ schnell nahm ich ihn in den Arm.
„Mama hat sich etwas wehgetan, aber das geht wieder vorbei.“ beruhigte ich ihn leise, legte ihn hin und begann ihm noch von König Harald Schönhaars Abenteuern zu erzählen.
Im Empfangszimmer saß mein Mann am Schreibtisch und brütete über irgendwelchen Papieren.
„Was tust du, mi amor?“ fragte ich und lehnte mich hinter ihm an.
„Es gibt einige Ungereimtheiten in den Büchern des Königs. Aber ich komme nicht dahinter, wo der Fehler liegt.“ für einen Moment überlegte ich, ob ich meine Hilfe anbieten sollte und entschied mich dafür. Hätte ich es lieber nicht getan!
Den Rest des Nachmittags verbrachten wir über den Büchern und als es Zeit fürs Abendessen war, schwirrte mir schon wieder mein Kopf. Wir waren aber einen Schritt weiter gekommen. Es gab vor ungefähr 5 Jahren einen Posten in der Armee, welcher jetzt gar nicht mehr existierte. Man hatte aber anscheinend versäumt, diese Ränge aus den Gehaltslisten zu streichen! Doch wohin ging jetzt noch das Geld?
Fürs Erste legten wir die Bücher beiseite und gingen zum Essen. Danach würden noch einmal weitersehen.
Unser Sohn hatte am Nachmittag zum ersten Mal einen Falken gesehen und Sybill erzählte von den großen Augen ihres Schützlings und wie er sich vorstellte ebenso fliegen zu können. Sie konnte in seinen Geist dringen und hatte diese Bilder bei ihm gesehen! In ihm steckte doch mehr Assassinenblut von mir und seinem Großvater als ich dachte! Es war nicht zu leugnen! Aber es machte mich auch etwas stolz.
Als Edward im Bett war, machte ich mich mit Haytham noch einmal an die Bücher und endlich, gegen Mitternacht, fanden wir den entscheidenden Ansatz.
Dieser Sold oder diese Gehälter flossen in die Kassen der hiesigen kirchlichen Obrigkeit, zwar über Umwege, wie es schien, aber sie tauchten auf! Deswegen hat man auch nie weiter nachgeforscht, weil man die Kirche nicht angreift!
Haytham ließ Nachricht an Franklin, den Minister und König Ludwig schicken, dass wir ein Gespräch für morgen erbitten!
Müde schlug ich die Bücher zu und ließ Magda kommen, Nathalie war völlig unnötig, doch auch sie erschien.
Und dann endlich konnte ich in das weiche kuschelige Bett fallen. Was für ein Tag und ich schwor mir zum tausendsten Male, dass ich nie wieder Alkohol anrühren würde. Diese Tinktur wirkte übrigens wirklich Wunder, die Schmerzen waren allesamt ertragbar und ich fühlte keine warmen Stellen, welche auf Entzündungen hindeuten könnten.
Erleichtert drehte ich mich dann zu meinem Mann um, umschlang ihn und sog diesen mich beruhigenden Duft von ihm ein.
„Ich liebe dich!“ hörte ich Haytham leise an meinem Scheitel sprechen und ich konnte nur nuschelnd „Ich liebe dich viel mehr!“ sagen und mein gesamter Körper schien sich zu entspannen.
Ich hatte einen behutsamen, vorsichtigen Weckdienst, welcher mich mit seinen geschickten Fingern in den Wahnsinn trieb.
Auch meine Finger gingen auf Wanderschaft und ließen Haytham in ebensolchen Genuss kommen.
„Ich könnte mich an diese Alternative gewöhnen, mi sol.“ raunte er schwer atmend an meinem Ohr und ich fühlte wie er sich stöhnend in meiner Hand ergoss. Das war im Grunde wie mein Stichwort und ich ließ mich ebenso fallen. Ja, daran könnte man sich durchaus gewöhnen, aber ich wusste, dass ich es nicht musste und schmunzelte bei dem Gedanken in mich hinein.
Nach dem Frühstück fand die erbetene Unterredung mit Ludwig, dem Minister und den anderen Beratern statt.
Es war eine heikle Angelegenheit, da hier immer noch jemand versuchte verdeckt Gelder zu bunkern. Ich hatte ja auf eine spannende Ermittlung gehofft, doch leider war sie mir nicht vergönnt. Der Schuldige war schnell ausgemacht und stellte sich als ein Maréchal de camp Davet Fouquet heraus.
„Ein alter Bekannter! Gierig, nicht nur was das Vermögen angeht…“ fauchte Ludwig und schlug mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch, dass das Tintenfass fasst umgekippt wäre.
Derzeit war er in den Kolonien stationiert und beaufsichtigte die Truppen in Nordamerika. Er war derjenige, welcher für die Sicherheit der französischen Armee dort verantwortlich war. Vermutlich saß er auf seinem fetten Arsch an einem Kamin und ließ sich bedienen! Und tatsächlich agierte dieser Herr auch unter dem Deckmantel der Kirche! Es war wie eine Art Geldwäscherei. Es gab mehrere Auszahlungsstellen, Personen, die es entgegennahmen und immer wieder tauchte eben Fouquet in den Büchern auf.
Ludwig ließ eine kleine Delegation entsprechend entsenden und stellte mit sofortiger Wirkung alle Zahlungen ein. Außerdem schickte man einen Mann zusätzlich in die Kolonien, welcher den Herrn beiseite schaffen sollte.
„Monsieur Dorian ließ verlauten, er verfüge über entsprechende Männer, welche sich solcher Dinge annehmen würden.“ und zum ersten Male sah ich diesen König mit ganz anderen Augen. Er machte sich ALLES was ihm zur Verfügung stand zunutze, es war egal, wer gegen wen war und vor allem war es ihm egal, WER diese Arbeit verrichtet. Er war sich dem Orden und der Bruderschaft sicher.
Ich hoffte für ihn, dass sein Plan auch aufging.
Am Nachmittag hatte ich noch die Unterredung mit dem Handelsminister, Monsieur Matthieu Gabau. Ein ruhiger netter Herr, welcher so in den 50ern war mit einer dick gepuderten Perücke und seidenem Anzug.
„Ahhhh, Maîtresse Kenway, es freut mich außerordentlich euch persönlich kennenzulernen.“ er stellte sich noch vor und setzte sich dann hinter seinen Schreibtisch und neben ihm saß an einem kleinen Pult vermutlich sein Gehilfe. Ein junger Mann, welcher sofort die Feder zückte, als sein Meister begann zu sprechen.
Es ging in erster Linie um die Kakao-Lieferungen, welche ich nun auch nach Frankreich ausweitete. Im Grunde konnte ich diese Passage mit der für London immer abgleichen und somit gäbe es kaum Verzögerungen, es sei denn, Piraten machten sich über unsere Waren her.
Die Waffen und ähnliches würden im Umkehrschluss dann nach Amerika entsandt werden, wo sie den Armeen BEIDER Seite zur Verfügung stehen sollten. Vermutlich müsste man den Briten das ganze noch schmackhaft machen, aber ich war zuversichtlich, dass mir das gelingen würde.
Die Preise waren schnell ausgehandelt, weil Gabau ein Angebot machte, welches ich einfach nicht ausschlagen konnte.
Im Anschluss wurde noch auf das Abkommen angestoßen und die Verträge unterzeichnet.
Als ich die Räumlichkeiten des Handelsministers verließ, war es ein seltsames Gefühl. Wir hatten alles erledigt hier und konnten nun aufbrechen. Aber es wollte keine richtige Freude dabei aufkommen. Ich war tatsächlich etwas traurig darüber.
Ich machte mich auf zu meiner kleinen Familie, welche ich im Park mit den de Gooijers und Pastices fand.
Myrte versicherte mir, dass sie sich auf einen Besuch bei uns in Amerika freute und auch Monsieur Pastice betonte noch einmal, dass er froh sei, endlich Klarheit zu haben. Ihm war es immer noch sichtlich unangenehm, was vorgefallen war.
Ich ließ ihn wissen, dass ja noch mal alles glimpflich ausgegangen sei und wir nun ganz in Ruhe weiter machen konnten.
So verging der Tag ruhig und ich erfuhr von meinem Sohn noch, dass er Tyr lieb hatte. Ich grinste Haytham an, doch er hob Edward hoch und ließ ihn über seinen Kopf „fliegen“. Natürlich war klein Kenway ganz hin und weg und kreischte vor Freude dabei.
Diese Momente waren Balsam und taten uns allen gut.
Heute war es dann Zeit, dass wir nach Paris aufbrachen! Die Handelstruhen wurden auf die Karren verladen, unser persönliches Hab und Gut ebenso.
Von Myrte hatte ich ein wunderschönes Kleid bekommen, welches sie mir stolz gezeigt hatte. Es war in den Vereinigten Niederlande die neueste Mode und ich bestaunte die feine Arbeit.
Myrtes Geschenk Es sah wirklich sehr sehr hübsch aus und ich bedankte mich tausendmal bei ihr. Umgekehrt überreichte ihr eines meiner „neutralen“ Kleider für die Kolonien, welches ihr sicherlich gut stehen würde. Damit würde sie einen „guten ersten Eindruck“ bei ihrem Besuch machen, lachte sie und nahm mich noch einmal in den Arm.
Nach dem Frühstück hatten wir noch eine Verabschiedung beim Königspaar, welche sich beide für die Unannehmlichkeiten entschuldigten. Uns aber gleichzeitig auch für die Hilfe dankten, nicht nur unsere, auch für die von Franklin, welcher sich ebenfalls verabschiedete. Maria war es, die noch einmal betonte, dass wir jederzeit wieder gern gesehen seien und sie freue sich auf einen Briefwechsel.
Ludwig war zuversichtlich nun nicht mehr allzu oft von „untreuen“ Untertanen belästigt zu werden und wünschte uns eine gute Weiterreise und vor allem sichere Winde über dem Atlantik.
Dann standen wir mit unserem Sohn vor unserem Tross mit den Wachen und ich sah noch einmal etwas wehmütig auf den großen Hof von Versailles. Ein Protzbau, keine Frage! Aber ich hatte gelernt, dass hier auch nur Menschen wie du und ich lebten. Sie alle hatten mit ganz gewöhnlichen Problemen zu kämpfen.
Das Einzige was mir missfiel, war die Missgunst am Hofe und diese doch recht anstrengenden Intrigen und Oberflächlichkeiten mitunter.
Wir machten uns aber jetzt auf den Weg nach Paris, welcher noch zwei Tage in Anspruch nehmen würde und ich hoffte, dass die Übernachtungen unterwegs erholsam waren.
Gegen Abend kamen wir an unserem ersten Ziel an. Einem kleinen Gasthaus, welches mehrere kleine Nebengebäude umfasste und einen großzügigen Stall. Der Wirt war ein recht junger Mann von Mitte 30 mit blonden langen Haaren, welcher uns freudig begrüßte. Anscheinend waren wir die einzigen Reisenden für diese Nacht, der Schankraum war leer und keines der Zimmer belegt. Somit konnten wir sogar unsere Wachen vernünftig unterbringen.
Edward beäugte neugierig seine neue Umgebung und bestaunte zwei Bilder, welche an der Wand hingen. Darauf war vermutlich die Familie des Gastwirtes zu sehen. Wieder fiel mir ein, dass wir ja noch dieses Familienportrait in Auftrag geben wollten, doch eins nach dem anderen.
Ich musste die ganze Zeit, während ich Edward die Geschichte des Königs von Norwegen weitererzählte, ein Gähnen unterdrücken. Aber auch er war mehr als schläfrig und nuckelte schon bald selig an seinem Daumen.
Sybill übernahm und ich ging hinüber in unser Schlafzimmer, wo mich schon mein Mann erwartete.
„Was für eine Fahrt, mi sol. Die Straßen hier sind ja noch schlimmer als in England.“ lachte er und hielt sich den Rücken.
„Soll ich dich ein wenig massieren?“ meinte ich, während mich Magda von meinem Kleid befreite und Michael ebenso mit der Kleidung seines Herrn zu tun hatte.
„Hmmmm…“ dieses Schmunzeln brachte mir eine wohlige Wärme in die Wangen. Wir würden uns schon einigen gleich.
Nach dem Auftragen der Tinktur und einer kleinen Wäsche, kroch ich in das recht kleine Bett zu Haytham unter die Decke.
„Dreh dich um, mi amor.“ sprach ich leise und strich über seine Brust.
„Ich glaube, die Verspannungen lösen sich gerade. Wie wäre es, wenn DU dich umdrehen würdest?“ sein Blick war dunkel auf mich gerichtet und duldete im Grunde gar keine Widerworte. Also schmiegte ich mich mit meinem Rücken an an ihn und schon schoben seine Hände mein Nachthemd hoch.
Halt still, mi sol und lass mich machen. Hörte ich ihn im Geist und fühlte seine Finger wie sie wieder auf Wanderschaft gingen. Zielstrebig erreichten sie meine Körpermitte zwischen meinen Schenkeln.
Wir halfen uns gegenseitig Erlösung zu finden und ich genoss diese Nähe von Haytham an meinem Rücken. Seine warme Haut fühlte sich einfach großartig an. Kurz bevor er sich nicht mehr beherrschen konnte, spürte ich ihn in mir und ließ ebenso los.
Ich seufzte erleichtert und griff nach hinten in seinen Nacken und gab ihm einen Kuss.
„Danke!“ hauchte ich leise und glitt langsam in den Schlaf.
Nach zwei weiteren Übernachtungen in leider recht schäbigen Tavernen, wo es in den Betten nur vor Wanzen so wimmelte, war ich froh, als wir die Straßen von Paris erreichten. Auch wenn sie schmutzig waren, doch das war mir immer noch lieber als diese holprigen und löchrigen Feldwege über Land.
Unsere Pension war in einem privaten Haushalt, welcher vom Königshaus mit finanziert wurde und das sah man auf Anhieb.
Wir fuhren zwischen den Häusern in einen großzügigen Innenhof, wo in der Mitte ein kleiner Brunnen stand.
Auf der linken Seite war der eigentliche Eingang und zur Rechten führte eine Tür zur Taverne, welche sogar jetzt schon recht voll besetzt war. Es war, wenn mich nicht alles täuschte gerade mal Mittag!
Außerdem gab es das Mittelgebäude, welches wie eine kleine gesicherte Bank aussah. Man erklärte uns, dass wir dort die Wachen und die Handelstruhen unterbringen konnten. Neben unseren persönlichen 5 Wachen, welche mit in der Pension bleiben würden, sollten die anderen dort übernachten. Nachdem ich mich von der Sicherheit dort überzeugt hatte, konnte ich aufatmen. Gitter vor den Fenstern und die Türen waren mit Eisenbeschlägen verstärkt. Nur meine Stahltruhe käme mit auf unser Familienzimmer.
Dort angekommen, brachte uns eines der Mädchen das Mittagessen hinauf. Erstaunt sah ich sie an und sie erwiderte nur, dass wir sicherlich nach der Reise Hunger hätten und sie die Mahlzeiten immer hier herauf bringen würde.
„Das ist ja mal ein netter Service.“ sagte ich gedankenverloren und begann Edward zu füttern, welcher natürlich schon wieder Appetit hatte, obwohl er auf dem Weg schon gefühlte 20 weiche Brötchen gegessen hatte.
„Das ist eigentlich normaler Standard bei einem Haushalt des Königs.“ sprach Haytham lächelnd und ich sah ihn fragend an. „Oh, ich weiß dass, weil Reginald und ich bereits einmal diese Gastfreundschaft in Anspruch genommen hatten. Nur war es in Österreich, aber es ist, denke ich, eine Art ungeschriebenes Gesetz.“ mein Mann aß ebenfalls hungrig weiter und bei dem Wein trat ein glücklicher Ausdruck auf sein Gesicht.
„Der scheint dir zu schmecken, mi amor.“ lachte ich und sah, wie Edward nach meinem Becher mit dem Getränk greifen wollte. „Nein, du doch nicht, min lille skat. Das ist nicht für dich.“ und schon erntete ich einen weinenden Sohn, welcher jetzt auf meinem Schoß herum zeterte, bis Sybill sich seiner annahm.
„Master Edward! Benimmt sich so ein junger Mann?“ sprach sie tadelnd und mit großen Augen sah er zu ihr auf, schüttelte aber plötzlich den Kopf und ich hatte den Eindruck, er hätte ein schlechtes Gewissen.
„Mrs. Wallace, eure Wirkung auf unseren Sohn ist … unglaublich!“ meinte Haytham und sah mich dabei ebenso erstaunt an.
Als unser Nachwuchs dann schlief, besahen wir uns die Karte der Katakomben von Paris und ich muss sagen… Das war schon beeindruckend! Ein Labyrinth aus Gängen, kleinen Schächten und vor allem fiesen Sackgassen, wo man sich durchaus auch verlaufen konnte.
Beginnen mussten wir nicht unweit unserer Unterkunft, von dort weiter südlich, bis wir zu einer über der Erde gelegenen kleinen Kirche kämen. Darunter befand sich das besagte Grab, in welchem der Speer lagerte.
Im Grunde klang das schon wieder viel zu einfach und ich äußerte meine Enttäuschung über dieses „Kinderspiel“.
„Glaub mir, gerade DU wirst dich noch umschauen dort unten. Einer der Berater des Königs erklärte mir, wie es dort aussieht und es wird sicherlich kein Zuckerschlecken!“ diese Worte kamen in so einem mauligen Ton, der mich veranlasste Haytham entsprechend zu antworten.
„Danke dass du mich an den Untergrund von London erinnerst! Ich habe DAS noch sehr gut vor Augen!“ damit stand ich auf und ging hinüber zu dem großen Fenster, welches zur Straße hinaus ging. Warum war Haytham auf einmal so unfair und, naja, so fies und böse, dass er mich an die Vergewaltigungen erinnerte? Mir liefen die Tränen über die Wangen, weil ich plötzlich genau DIESE Bilder wieder vor Augen hatte, seit Wochen hatte ich sowas nicht mehr erlebt!
„Es… mi sol! Es tut mir leid! So… war es nicht gemeint!“ ich spürte ihn hinter mir, sein Zögern, mich in den Arm nehmen zu wollen. Seine Arme blieben aber bei sich.
„Dann solltest du in Zukunft auf deine Wortwahl eher achten. Mich erinnert man ja auch ständig daran. Dann wirst du das ja wohl auch hinbekommen!“ fauchte ich, weil ich mir gerade kein anderes Ventil wusste für meine Trauer und Wut!
„Alex!“ mit einem Ruck drehte er mich herum und sein Griff um meine Oberarme war schon fast schmerzhaft. „Ich meinte es nicht so, aber es klang von dir, als würdest du dir einen Spaß daraus machen… ich… ich wollte nur, dass du dir im Klaren bist, WAS uns dort erwartet und dass es eben nicht so einfach sein kann, wie du denkst. Wenn wir Glück haben, dann ja, aber denke auch an die Möglichkeit, dass uns dort unten Widersacher über den Weg laufen könnten!“
„Du scheinst mich wirklich immer noch für unfähig zu halten, oder? Glaubst du, ich weiß nicht, dass diese Tunnel nur so von Bettlern und Gesindel wimmeln? Ich habe durchaus im Geschichtsunterricht aufgepasst. Und meine Aussage bezog sich lediglich darauf, dass wir schon wissen, WO wir suchen müssen!“ ich zerrte zeitgleich an meinen Armen, weil sein Schraubzwingengriff jetzt nicht sehr erregend war!
„Du wirst unfair, Alex!“ kam es fast lautlos von ihm und er ging ein Stück von mir weg.
Ich seufzte tief und … dann war dieses Leuchten in Haythams Augen!
„Haytham! Was wird das?“ er schüttelte sich kurz und sah mich dann an, als hätte ich ihn aus einem Traum geholt.
„Diese Wut… Das war nicht ich… aber es war auch nicht Hrymr!“ dann sprach die Stimme von Tyr mit einem Male zu uns.
Vergesst eines nicht, ihr handelt nicht mehr alleine, sondern steht unter Beobachtung, damit wir entsprechend eingreifen können. Das gerade war unbedacht von mir, ich hatte deine Albträume außer Acht gelassen, Kind! In Zukunft werde ich direkt mit euch beiden sprechen, das gerade war ein… wie sagt ihr immer so gerne? Ein Missverständnis. Und er erhielt postwendend eine Antwort, aber diese kam von Snotra!
Reiß dich gefälligst zusammen! Du bist zu impulsiv!
Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber mir ging gerade durch den Kopf, dass Haytham, der wohl disziplinierteste Mensch den ich kenne, einen Gott inne hatte, welcher Impulsiv und unbedacht reagieren konnte? DAS war eine mehr als gefährliche Mischung, wenn man mich fragte!
In das Gesicht von meinem Templer stahl sich ein breites Grinsen. „Dann habe ich sogar jetzt Ausreden, wenn…“ doch er konnte nicht ausreden.
DAS schlag dir aus dem Kopf, Junge! Deine Frau wird früher oder später den Unterschied erkennen. Tyrs Stimme hatte einen belustigten Unterton angenommen.
Gut, dann hätten wir mal wieder eine neue Frage bezüglich der Götter an unserer Seite geklärt. Auch wenn ich immer noch ein eifersüchtiges Stechen in mir verspürte, weil ich anscheinend keine bestimmte Zugehörigkeit hatte!
Ich werde einfach noch Geduld haben müssen, sagte ich mir mal wieder.
Am Nachmittag machten wir uns auf, um uns ein wenig Paris anzusehen. Ich war für einen Moment versucht zu fragen, warum man den Eiffelturm gar nicht sah, bis mir einfiel, dass dieser ja erst viel später hier erbaut werden würde. Es ist von Zeit zu Zeit wirklich nicht ganz einfach, alle Jahreszahlen richtig im Kopf wieder zu finden, oder wie jetzt, mit den Bauwerken.
Haytham jedoch war wieder in seinem Element und begann Edward von Paris zu erzählen. Was ich befürwortete, weil ich so nämlich auch noch etwas lernte, was ich vielleicht nicht aus Geschichtsbüchern wusste.
Sybill hörte aufmerksam zu, aber ihr Schützling war einfach zu abgelenkt von diesen vielen Menschen auf den Straßen und Gassen. Ab und an huschte dieser dunkle Schleier über seine Augen und ein Lächeln erschien in seinem Gesicht oder aber er klammerte sich fester an sein Kindermädchen.
Wir kamen an einem kleinen Geschäft vorbei, wo es Spielzeug gab. Ich bin bisher immer davon ausgegangen, dass sich das nicht unbedingt von Land zu Land unterscheidet. Ich wurde eines Besseren belehrt und mir wurden feine Schnitzarbeiten und sogar Porzellanfiguren gezeigt, welche es in England so gar nicht gab.
Edward fand eine Figur eines Bären faszinierend und begann damit zu spielen. Daneben hatte er die Nachbildung eines ich vermute es sollte einen Indianer darstellen ebenso ins Auge gefasst.
Für einen Moment sah mein Mann diesem Spiel zu und in seinem Gesicht konnte ich tatsächlich lesen. Er war dieses Mal das offene Buch.
Seine Gedanken waren bei Ziio, die Zeit welche sie hatten und wie sie ihn weggeschickt hatte. Worte waren gerade fehl am Platz, also nahm ich seine Hand und drückte sie. Als er zu mir sah, lächelte ich einfach.
Haytham, es tut mir unendlich leid für dich, sprach ich ihn im Geiste an und sein Nicken war als Dank genug. Kurzerhand waren diese Figuren gekauft und wir machten uns auf den Weg, noch ein wenig mehr von dieser lebhaften Stadt zu erkunden!
Immer wieder wurden wir aber von bettelnden Kindern oder Frauen mit Babys auf dem Arm am Weitergehen gehindert. Hin und wieder ließ Haytham Münzen in schmutzige Hände fallen, auch wenn wir beide wussten, dass das nicht einmal Ansatzweise reichen würde. Diese Zustände waren nur der Anfang von einer Zeit, welche noch viel schlimmer werden würden. Ich würde es gerne ändern, doch mir waren in diesem Falle die Hände gebunden und das machte mich mal wieder mehr als wütend.
Gegen Abend, es dämmerte schon, waren wir wieder zurück in der Pension und aßen noch eine Kleinigkeit, ehe ich Edward ins Bett brachte.
Morgen würden wir dann den Untergrund erforschen und ich hoffte, dass mir mein Gehirn keine Streiche spielen würde und dass wir auch fündig werden würden!
Am nächsten Morgen trafen wir uns mit einem Monsieur Paul Borque, welcher unser Fremdenführer sein sollte und von dem wir auch die Karte gestern schon in Augenschein nehmen konnten. Benjamin Franklin hatte ihn uns wärmstens empfohlen, weil er einer der wenigen Menschen war, die sich überhaupt dort hinunter trauten.
Nun stand uns dieser tapfere Mann gegenüber und ich muss sagen, dass er wirklich danach aussah. Er war zwar nicht sonderlich groß, so um die 1,70 Meter, kurze schwarze Haare und er hatte ein verwegenes Gesicht. Sein breitkrempiger Hut mit dem passenden schwarzen Umhang verliehen ihm zusätzlich noch das Aussehen eines unerschrockenen Forschers!
Etwas beruhigt folgten wir ihm nach der Begrüßung zu einem kleinen Verschlag, welcher abseits der großen Straßen lag und wir betraten das Innere. Hier drinnen war es dunkel, jedoch übergab uns Paul jedem eine Fackel, entzündete diese auch gleich und wir gingen eine steinerne Treppe hinab in den Untergrund. Auch hier war es, als ginge man im Sommer in einen kühlen Keller, je tiefer man kam, umso kälter wurde die Luft um einen herum.
Am Fuße dieser Treppe tat sich vor uns ein schmaler Gang auf, welcher aussah, als sei er einfach ausgeschachtet worden. Die Wände waren aus Sand, mochte man meinen. Ich tastete danach, jedoch war es fest und ich vermutete, dass es Lehm war.
Nach und nach wurden weitere Lichtquellen an den Wänden entzündet und Monsieur Borque führte uns tiefer in dieses Labyrinth aus Gängen. Noch hatte ich keine Angst, auch nicht aufgrund des Platzmangels, was mich freute.
„Wenn mich nicht alles täuscht, und das tut selten etwas, dann müssen wir wie in einem Zickzack durch die Gänge und uns südlich halten.“ kam es voller Tatendrang von unserem Fremdenführer, welcher das Original unserer Karte in der Hand hielt.
„Monsieur Borque, wäre es möglich, dass ich im Anschluss diese Karte kopieren lassen könnte? Ich finde es…“ leider ließ er mich nicht ausreden und meinte in einem verschwörerischen Tonfall „Maîtresse Kenway, dass ist eine geheime Karte und Aktion, wenn ihr euch recht erinnern wollt! Niemand wird hiervon in Kenntnis gesetzt.“ und damit ging er einfach weiter.
Jetzt wurde er mir doch etwas unheimlich, weil dieser Satz, dass niemand hiervon etwas erfährt oder weiß, mir die dollsten Horrorszenarien vor Augen führte. Meuchelnde Mönche, Untote und irgendwelche Monster die uns hier auflauerten… ich schüttelte mich bei dem Gedanken.
Deine Phantasie ist mal wieder sehr interessant, mi sol. Aber ich würde zu gerne mehr über diese Untoten erfahren. Das Bild in deinem Kopf sah fürchterlich und erschreckend aus., hörte ich Haythams Stimme in meinem Geist und schmunzelte in mich hinein. Natürlich wusste er noch nichts von Vampiren, Untoten oder Zombies.
Vielleicht sollte ich dir ein paar Gruselgeschichten heute Nacht erzählen, mi amor., kicherte ich amüsiert.
Wir bogen um eine weitere Ecke und vor uns tat sich eine Weggabelung auf, in deren Mitte eine Säule stand, die umrahmt von Totenschädeln und Gebeinen war. An den Wänden hier war das gleiche zu sehen und ließ mich erschauern. Vorher waren es nur Lehmwände gewesen.
„Wir müssen…“ Paul drehte die Karte etwas und sah dann wieder nach vorne. „… dort entlang, den linken Gang!“ mit entschiedenem Schritt ging er weiter und uns blieb nichts anderes übrig, als hinterher zu eilen.
Ab hier kamen wir an diversen Kreuzungen vorbei, wo ich unter anderem auch ein großes Kreuz an einer der Wände ausmachte oder an der Nächsten waren Säulen, die den Eingang zu einem kleinen Raum säumten. In dessen Mitte stand eine Art Taufbecken und ich sah mich dort für einen Moment um. Es gab hier die Bemerkung, welche Familien hier lagen und ihre letzte Ruhe gefunden hatten.
Weiter ging es in einen langen, wirklich sehr langen Gang, welcher aber recht breit war, leider aber sehr niedrig, so dass mein Gatte sich nur gebückt vorwärts bewegen konnte.
„Wenn wir hier raus sind, brauchst du einen Chiropraktiker, mi amor. Oder vielleicht doch eine Massage.“ kicherte ich und erntete einen bösen Blick aus tief dunklen grauen Augen.
„Lach du nur, ich merke mir das.“ kam es leise von Haytham.
Mittlerweile waren wir sicherlich schon zwei Stunden hier unten unterwegs, doch bisher war uns noch niemand begegnet. War nicht immer von Bettlern und anderem Volk hier in den Katakomben die Rede? Man hatte uns doch auch noch ausdrücklich vor diesen Widerlingen gewarnt!
Ich hatte es noch nicht zu Ende gedacht, da hörten wir Stimmen, welche aus einem Gang rechts von uns kamen. Leider verstand ich kein Wort, es klang aber, als würde man sich streiten.
Mein Mann übersetzte für mich grob, dass es sich um keinen wirklichen Streit handelte, sondern es ginge um das Recht des Stärkeren und wer hier mit seiner Familie ein Anrecht auf eine Bestattung hatte. Darüber stritt man? Sehr pietätlos, wenn man mich fragte, aber dieses Jahrhundert war noch… nunja, etwas unaufgeklärt und in einigen Situationen für mich nicht nachzuvollziehen.
Diese Gruppe von Männern und Frauen ließen wir aber in Ruhe und gingen weiter.
Ab hier herrschte dann plötzlich doch reger Betrieb, wenn ich es einmal überspitzt sagen darf.
„Wir nähern uns der kleinen Kirche, wenn mich nicht alles täuscht. Ihr müsst verstehen, in der Nähe von solch christlichen Einrichtungen vermuten die Menschen, wenn sie verstorben sind, näher bei Gott sein zu können.“ kam es erklärend von Paul, doch so recht überzeugend klang er auch nicht.
„Ihr seid kein gläubiger Christ, nicht wahr?“ fragte Haytham, als wenn er meine Gedanken… natürlich hatte er sie gesehen.
Für einen kleinen Moment wandt sich unser Fremdenführer. „Nein, ich… glaube an mich selber…“ es war mehr ein Flüstern.
„Daran ist nichts auszusetzen, Monsieur Borque. Ich selber bin auch keine Christin im herkömmlichen Sinne. Mir sind die Götter des Nordens zugewandt!“ meinte ich ebenso leise und in seinem Gesicht erschien ein breites Grinsen.
„Und ich dachte immer, dass ich für verrückt erklärt werde, wenn ich… Maîtresse Kenway! Ihr glaubt gar nicht, wie erleichtert ich bin, dass wir ähnlich denken!“ in seiner Stimme klang große Erleichterung mit und ich lächelte ihn glücklich an. Während wir nun weitergingen unterhielten wir uns über Odin, oder den Trickreichen Loki und natürlich kam auch Ragnar Lodbrok ins Spiel.
„Wie gerne wäre ich diesem Mann begegnet. Ein wahrer Held!“ jubelte Paul regelrecht.
Diese nette Plauderei fand ihr jähes Ende, als wir uns einer weiteren Gabelung näherten, wo es von anderen Menschen nur so wimmelte. Paul deute uns mit einem Finger auf den Lippen leise zu sein und wir lehnten uns an die Wand um uns ein Bild machen zu können.
„Wir müssen hier durch, denn… wenn ich der Karte weiter folge, dann ist der Gang direkt voraus unser Ziel und dann nur noch ein paar Schritte und…“ mehr konnte er nicht sagen, als ein zischender Laut an meinem Ohr vorbei ging und neben mir in der Wand ein kleines Messer stecken blieb. Es schien aber mehr eine Warnung zu sein, als ein tödlicher Angriff!
„Halt, was wollt ihr hier?“ pöbelte einer der hier Anwesenden uns an. Sie alle waren in eine Art Kutte gehüllt, aber sahen eher schäbig und verranzt aus.
„Wir sind nur auf der Suche nach… einem Familienmitglied… eines lange vermissten Verstorbenen…“ antwortete Monsieur Borque.
„So? Und wer soll das sein?“ höhnte einer von ihnen, vermutlich ihr Anführer.
„Es … es ist… der ehrenwerte Monsieur Marquandt, Robert Marquandt.“ Paul klang wenig überzeugend und ich hoffte inständig, dass die Meute uns dennoch Glauben schenken würde.
„Aha… nie von diesem Kerl gehört. Scheint ja nicht wichtig gewesen zu sein.“ und seine Kumpane stimmten in sein Gelächter mit ein.
„Nein, aber für seine Nichte sicherlich. Lasst uns einfach weitergehen.“ bat unser Fremdenführer nun höflich und man bildete eine Gasse für uns. Beim Hindurchgehen wappnete ich mich, weil es wie ein Spießrutenlauf erschien und uns jederzeit jemand in den Rücken fallen konnte.
Aber weder Haythams noch mein Blick hatte rote Auren ausgemacht, sie alle waren in einem blauen neutralen Ton. Hier und da keimte mal eine leichte rote Linie auf, aber das ist nichts ungewöhnliches, so hatte ich es mittlerweile gelernt.
Als wir hindurch waren, atmete ich erleichtert auf und lehnte mich für einen Moment an die Wand um wieder zur Ruhe zu kommen.
„Das waren diese selbsternannten Wächter, welche sich hier herumtreiben. Wächter… tsssss… die klauen wie die Raben, wenn man mich fragt. Denen ist nichts heilig.“ hörte ich Paul entrüstet sagen und konnte es mir bildlich vorstellen, weil sie genau danach auch aussahen.
„Aber wenn hier jeder so herein marschieren kann, dann verstehe ich nicht, wie überhaupt noch Grabbeigaben vorhanden sein können.“ fragte ich mich laut und sah mich in dem Gang vor uns um.
„Vielleicht ist nicht alles so offensichtlich, Alex. Versteckte Schalter und Mechanismen, verschiebbare Wände und ähnliches. Erinnere dich an das Zimmer im Chateau.“ erinnerte mich Haytham an diese Möglichkeiten! Auch Paul stimmte ihm zu und wir gingen weiter.
Monsieur Borque hatte Recht, nur noch ein paar Meter und vor uns öffnete sich der Weg und offenbarte einen runden Raum, an dessen Wänden ebenfalls Schädel angebracht waren. Ansonsten war hier… Nichts!
Neben mir hörte ich meinen Mann freudig ausrufen, dass er etwas entdeckt hätte. Ich ließ meinen Blick über die Gebeine schweifen, sah aber nur sehr sehr schwache Auren. Diese waren goldleuchtend, nicht neutral und ich meinte auch, sie seien weiter weg.
Haytham streckte seine Hand nach einem Totenschädeln aus und drückte dagegen. Langsam sank dieser Mechanismus in die dahinterliegende Wand und kurz darauf hörte man ein lautes Knirschen.
Neben uns schob sich eine Tür hinunter, die vorher, zumindest von mir, nicht zu sehen war.
Unser Fremdenführer stand mit offenem Mund beim Durchgang und starrte dann in unsere Richtung.
„Woher wusstet ihr, wonach ihr suchen müsst. Das ist von Generation zu Generation nur mündlich überliefertes Wissen!“ kopfschüttelnd sah er zu Haytham.
„Ihr müsst wissen, dass ich ein, sagen mir mal, Gespür für solche Dinge entwickelt habe.“ mehr sagte er nicht und ich hoffte, es wäre ausreichend für Paul. Dieser nickte etwas ungläubig, nahm sich dann eine frische Fackel und wir gingen in den neuen Raum.
Hier roch es extrem muffig und staubig zu gleich. Wir waren noch nicht ganz darin, da schloss sich die Tür hinter uns und in mir stieg Panik auf!
Hektisch atmend klammerte ich mich an Haytham und brachte kein Wort raus, ich begann zu hyperventilieren!
„Maîtresse Kenway, hier gibt es einen entgegen gesetzten Mechanismus, wir sind nicht eingeschlossen. Ihr braucht keine Angst zu haben, ich würde euch niemals in so eine Gefahr bringen! Das wäre meinem guten Ruf wohl kaum zuträglich.“ Pauls Worte waren unglaublich beruhigend, auch die Arme meines Mannes um mich halfen mir wieder ruhig zu werden!
„Danke… es geht schon wieder.“ sprach ich leise und lächelte meine beiden Begleiter erleichtert an.
„Dann wollen wir doch mal sehen…“ Monsieur Borque hatte mittlerweile die Feuerbecken, welche rundherum standen entzündet und jetzt sah ich erst, wie groß dieser Raum eigentlich war.
Ich würde ihn mit der Größe unseres Schlafzimmers in Virginia vergleichen. An den Wänden waren ringsum steinerne Truhen aufgereiht. Die Stirnseite zierte ein prächtiger Sarkophag aus Marmor, wenn mich nicht alles täuschte. Auf der Platte sah man einen Krieger ruhen, mit Schild und Axt auf der Brust. Ich besah mir das genauer und plötzlich hatte ich den Eindruck, als wäre ich nicht ich selber, sondern diese andere Frau. Thyra.
Ich strich über das kalte Gestein und sah, wie meine Berührungen eine leuchtende Linie hinterließen!
„Alex, deine Haut strahlt wieder!“ hörte ich Haytham hinter mir und seine Hände legten sich vorsichtig auf meine Schulter.
„Ich sehe es und fühle es…“ hauchte ich völlig perplex und „malte“ Formen mit meinen Fingern auf dem Sarkophag. Es sah einfach fantastisch aus.
„Jetzt verstehe ich es!“ kam es leise von Paul. „IHR seid die Auserwählte, von der man sich berichtet hat in all den Jahren!“
Erstaunt sah ich zu ihm auf. „Ich bin die… es gibt Erzählungen darüber?“ für einen Moment wusste ich nicht, wie ich reagieren sollte.
Er begann zu berichten und zwar hat man vor mehr als 800 Jahren tapfere Wikinger hier und auch außerhalb beigesetzt. Es gab aber nicht die üblichen Begräbnisse, wie sie bei den Dänen zum Beispiel stattfanden. Jedes mal aber, wenn ein neuer Krieger sein Ende fand, tauchte kurz darauf eine Frau auf, welche über die Grabsteine, oder wie hier die Sarkophage strich und sie so versiegelte! So glaubte man.
Im Laufe der nächsten Jahrhunderte gerieten aber diese Stätten in Vergessenheit, einige waren eingestürzt und nicht mehr zu betreten. Hier in den Katakomben hatte man es sich jedoch zur Aufgabe gemacht, darauf zu achten, dass sie erhalten blieben! Und immer wieder gab es Berichte von einer Schemenhaften Frau, welche ein Schild auf dem Rücken trug und, Paul machte dabei ein entsetztes Gesicht, Männerkleidung trug dem Anschein nach! Dieses „Gespenst“, vermuteten die Abergläubischen, suche nach ihrem Gatten um ihm nachzufolgen.
Dort wo man sie sah, erschienen dann auch wieder leuchtende Zeichen, aber niemand konnte sie deuten!
„Seht ihr? Hier sind eingemeißelte Symbole auf dem Deckel! Genau wie bei den Truhen hier!“ mit einer ausladenden Handbewegung deutete er um sich.
„Runen! Es sind alles verschiedene Runen, doch ich kann sie nicht…“ und plötzlich hatte ich das Gefühl, als würde man mir mit einem Trichter Wissen einflößen! Ich stand einfach still da und ließ es über mich ergehen.
„Maîtresse Kenway… geht es euch nicht gut?“ hörte ich die besorgte Stimme von Paul neben mir, konnte aber nicht antworten, weil… ja, weil mein Gehirn gerade nichts verarbeiten konnte. Es nahm nur auf!
Langsam ebbte diese Flut aus Wissen ab und ich ließ mich auf den Boden sinken. Vor meinem inneren Augen sah ich Zeichen, Runen oder aber auch diese Art Wandmalereien von Höhlen oder in einigen Gräbern! Aber ich konnte sie jetzt übersetzen, weil ich die richtigen Worte an ihrer Statt sah!
Mit einem Satz war ich wieder auf den Beinen und ging zu dem Marmorbehältnis.
Auf dem Schild des angeblichen Kriegers sah man einen Raben vor einer Sonne. Zumindest vermutete ich, dass es ein solcher Vogel sein sollte.
Die Inschrift auf dem Deckel war nun für mich zu lesen und es war König Sichfrith mac Imar, welcher 881 bis 888 regierte, bis sein Bruder ihn ermordete und den Thron bestieg. Es gab noch ein paar weitere Erklärungen, über seine tapferen Heldentaten und er wurde für sein Geschick in Kriegen gerühmt.
Dann besah ich mir die anderen Truhen hier und auf diesen waren weitere Namen und vermutlich die Jahre, wann der Krieger verstorben ist, zu lesen. Sie alle schienen aber dem gleichen Haus anzugehören.
Für mich stellte sich jetzt die Frage, warum aber Könige und Krieger, welche gar nicht hier regierten, HIER beigesetzt wurden und geehrt wurden.
Unser Fremdenführer hatte auch dafür eine Erklärung.
„Maîtresse Kenway, bedenkt die Zeit damals. Sie waren vermutlich gerade hier um auf Raubzug zu gehen. Man hätte die Toten schlecht wieder mitnehmen können, es wäre schlichtweg nicht möglich gewesen. Man bestattete sie also hier mit allen Ehren.“ Daran hatte ich tatsächlich nicht gedacht.
Jetzt war aber die Überlegung, ob ich wirklich diesen Sarkophag öffnen wollte. Es wäre doch Grabschändung, oder nicht? Das wäre … nicht richtig. Mal wieder stand mir mein schlechtes Gewissen im Weg, welches mir aber mein Allvater versuchte auszureden.
Du bedienst dich nicht an den Toten um dich selber zu bereichern, sondern du gehst deiner Bestimmung als Wächterin der Artefakte nach!
„Dann wollen wir doch mal sehen, was uns im Inneren erwartet.“ meinte ich zuversichtlicher als mir eigentlich zu Mute war.
Leichter gesagt als getan, mussten wir feststellen. Der Deckel ließ sich keinen Millimeter bewegen, es war, als wäre er zugeschweißt. Ich besah mir die Auflagefläche noch einmal und es sah wirklich so aus, als sei das Gebilde ein kompletter Block aus Marmor. Ein Fakedeckel könnte man meinen.
Ich strich immer und immer wieder über die Ränder, um nicht vielleicht doch eine Lücke, einen Spalt zu finden.
Gerade als ich an der langen Seite kurz unterhalb des überlappenden Oberteils entlangfuhr, erzitterte dieses Gebilde plötzlich und man hörte etwas einrasten. Und dann schob sich die Platte einfach nach hinten und offenbarte den hier beigesetzten Toten.
Wir standen alle drei ehrfürchtig davor und sahen hinein.
Hier lag wirklich ein Mann, mit Schild und Axt, diversen Kleinigkeiten, die ihm nach seinem Tod helfen sollten. Unter anderem auch dieser Speer, welchen ich im Geiste bei Bellec schon gesehen hatte. Ihn jetzt vor mir zu haben, war ein seltsames Gefühl und ich zögerte erneut, danach zu greifen. Mein Respekt solchen Relikten gegenüber war in keinster Weise geschrumpft, im Gegenteil. Man war sich nie sicher, was einen erwartete bei einer Berührung!
„Faszinierend! Man kann sogar noch die Farben auf dem Umhang erkennen und diese Fibel… dort ist auch dieser Adler zu sehen.“ ich verbesserte Paul und er sah mich erstaunt an.
„Das Haus Imar hatte eben um Odin zu ehren, den Raben im Banner!“ so hatte ich es einige Male auch schon gelesen, dass Clans oder Sippen so ihren Glauben zeigen wollten!
Vorsichtig beugte ich mich nun zu dem Verstorbenen hinunter und fischte den Speer heraus. Er war schwerer als ich dachte, aber wies überhaupt keine Spuren von seiner langen Zeit hier auf. Er war weder verrostet, noch war das Holz in irgendeiner Weise verrottet. Das war wirklich erstaunlich und ich hielt ihn in das Licht einer der Feuerschalen. Es gab auf dem Griff feine Schnitzereien, welche ebenfalls noch wie gerade erst hinein gestanzt aussahen!
Dem Träger wurde Glück gewünscht, dass ihm kein Leid geschehe, er seine Gegner alle gen Hel schicken solle und für immer sollte ihm ein Platz in Odins Halle beschieden sein!
Für einen kurzen Moment erschienen wieder Bilder vor meinem geistigen Auge!
Ein großes Feld, auf welchem sich zwei Heere gegenüberstanden! Es war nebelig und nieselte. Der Boden war entsprechend aufgeweicht und schlammig. Dann ertönte das Horn und beide Seiten rannten aufeinander zu zum Gefecht.
Es sah beeindruckend aus. Aber nur solange, bis mich jemand umrannte und ich mitgezogen wurde!
Plötzlich stand ich inmitten dieses Kampfes. Um mich herum schien jeder gegen jeden zu kämpfen und ich konnte nur noch agieren.
Ich handelte, wie es mein Gefühl gerade befahl, ich verteidigte mich, ich konterte und ich metzelte einige Gegner nieder.
Erst jetzt besah ich mir meine Waffe und bemerkte, dass ich in der linken einen Schild trug, welches schon ganz schön ramponiert war. Die schwere Axt in meiner rechten Hand fühlte sich gut an, so als wäre ich eins mit ihr! Und sie war scharf! Das musste nun ein Widersacher spüren, welcher brüllend auf mich zustürmte. Zu seinem Pech mit erhobenen Armen, sodass ich leichtes Spiel hatte und seine Körpermitte aufschlitzen konnte. Stöhnend ging er vor mir zu Boden und schon kam der nächste Kämpfer, der auch nicht lange am Leben blieb.
Wie lange wir hier auf dem Feld unser Bestes gaben, konnte ich nicht sagen. Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren.
Aus den Augenwinkeln sah ich einen Mann, welcher mit einem Speer seine Gegner einen nach dem anderen aufspießte, als sei es das normalste von der Welt! Sein Kampfschrei war furchteinflößend und übertönte den ganzen anderen Lärm. Für einen Moment sah ich seinen Attacken zu, bis mich ein stechender Schmerz im Bein aus dem Geschehen riss…
Ich stand wieder in den Katakomben unter Paris und sah mich erstaunt um. Enttäuscht stellte ich fest, dass ich meine Axt nicht mehr bei mir trug. Stattdessen hielt ich den verzierten Speer in der Hand und langsam erlosch ein Leuchten, welches mich und meine Begleiter umgeben hatte.
„Ich war an einer Schlacht beteiligt!“ stieß ich freudig aus und beide Männer sahen mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
„Herzlichen Glückwunsch, Alex. Wir haben es gesehen!“ kam es zynisch von Haytham.
Monsieur Borque fragte staunend nach, ob das real gewesen sei.
Ich versuchte mein Bestes ihm begreiflich zu machen, was da gerade passiert war. Im Anschluss werde ich ihm vermutlich ein paar andere Dinge einpflanzen müssen, nicht dass er diese „Märchen“ noch weitererzählt. Auf der anderen Seite, wer würde ihm so etwas schon glauben? Im Schlimmsten Falle erklärte man ihn für irre und sperrte ihn weg.
Aber der Allvater war der Meinung, ich solle ihm diese Erinnerung lassen.
Er scheint auf unserer Seite zu stehen und vielleicht müssen wir zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal auf ihn zurück greifen. Da wäre es von Vorteil, wenn wir ihm nicht alles erklären müssten!
Da hatte er tatsächlich Recht und wir machten uns daran, den Inhalt der anderen Truhen zu inspizieren. In ihnen waren weitere Grabbeigaben und es war wirklich erstaunlich, alles war noch recht gut erhalten. Bis auf Stoffe von Kleidung oder Pergamente.
Zwei Schriftrollen waren jedoch noch nicht zu Staub zerfallen und ich rollte sie aus, um nachzusehen was dort stand.
Eine war in einem merkwürdigen englischen Kauderwelsch geschrieben, wo sogar Haytham seine Schwierigkeiten hatte und bei der anderen Rolle handelte es sich um eine Art Landkarte! Diese hätte auch von einem Kleinkind gezeichnet sein können, weil ich nicht einmal ausmachen konnte, WO sich dieser Ausschnitt auf einer Weltkarte befinden würde.
Zugegeben meine geographischen Kenntnisse halten sich auch etwas in Grenzen, aber Umrisse von Kontinenten könnte ich schon erkennen, wenn sie denn richtig gezeichnet wären.
Ich nahm diese beiden Schriftstücke jetzt einfach an mich, vielleicht würde ich bei Tageslicht mehr Erfolg haben.
Wir fanden noch eine Armbrust, bei welcher uns Paul gleich stolz erklärte, dass sie von den Franzosen damals entworfen worden waren. Diese Durchschlagskraft hatten diese Herren auch gerne mal in Kämpfen mit unwissenden Kriegern unter Beweis gestellt. Ein Bogen machte längst nicht so viel Schaden!
Die restlichen Dinge in den Truhen waren einfach Gefäße, Geldstücke oder ein wenig Schmuck. Eine Münze nahm ich aber an mich, weil auch auf ihr dieser Rabe zu sehen war.
Paul löschte die Feuerschalen und Haytham öffnete wieder die Tür für uns. Als wir in den Vorraum traten standen uns diese Wächter gegenüber und anscheinend waren sie nicht sehr begeistert von unserer Anwesenheit.
„Habt ihr euren Onkel gefunden, Madame?“ höhnte ihr Vorredner und baute sich drohend vor mir auf!
„Ja, Monsieur, das habe ich. Jetzt kann ich beruhigt meine Heimreise antreten…“ doch mehr konnte ich nicht sagen, da griff der erste Kuttenträger meinen Mann an und im Nu brach Chaos aus.
Auf kleinem Raum kämpfen ist nicht so leicht, wie ich mal wieder feststellen musste. Ich hielt mich krampfhaft an dem Speer fest und versuchte damit, mir die Angreifer vom Hals zu halten.
Zwei von ihnen erwischte ich, aber nicht tödlich. Damit war nur ihre Aggression angestachelt worden und sie ließen sie weiter an mir aus. Irgendwann ließ ich meine neue Waffe fallen und aktivierte meine versteckten Klingen! Mit ihnen war es hier besser für die Verteidigung!
Außerdem war ich geübter mit ihnen und hatte, wie auch Haytham, das Überraschungsmoment auf meiner Seite. Der erste Mann lag mit aufgeschnittenem Bauch am Boden zu meinen Füßen und ein weiterer folgte mit aufgeschnittenem Hals!
Unser Fremdenführer schlug sich ebenfalls sehr gut, wie ich feststellte und überließ ihn sich selbst.
Endlich lag auch der letzte der Wächter am Boden und röchelte so vor sich hin. Ich kniete mich neben ihn, um vielleicht noch zu erfahren, was genau sie eigentlich von uns wollten.
„Ihr seid… nicht die einzigen… die hier… nach den Schätzen… suchen! Wir… wissen, wo sich… die besten befinden!“ flüsterte er stockend und aus seinem Mund sprudelten bei jedem Wort kleine Blutstropfen, dann fiel sein Kopf zur Seite.
Viel hatte ich jetzt nicht erfahren, nur, dass sie wirklich keine Wächter im herkömmlichen Sinne waren, sondern einfache Grabräuber waren.
„Wir sollten nochmal die Taschen der Männer durchsuchen, vielleicht finden Anhaltspunkte, wo sie ihre Beute gelassen haben, oder wer sie anführt. Ich vermute, sie müssen einen Anführer haben!“ kam es von Paul, welcher noch heftig atmete, anscheinend war er nicht ganz so ausdauernd und Kampferprobt.
Ich lobte ihn dennoch für seine Hilfe gerade und er nickte mir lächelnd zu, während er sich über den ersten Toten beugte und begann ihn zu durchsuchen.
Leider gab es, bis auf ein paar alte Brotstückchen oder Münzen nichts, was uns helfen würde. Frustriert sah ich auf das Blutbad zu meinen Füßen und dann fiel mir ein, dass wir ja die Leichen wegschaffen mussten!
„Das ist das kleinste Problem, Maîtresse Kenway! In einem der Nebenräume gibt es einige Särge, welche hier gelagert werden, weil sie in der Stadt oben nicht gerne gesehen werden.“ wieder einmal brach der Aberglaube durch, erklärte mir Paul. Wer einen Sarg sieht, würde bald selber in einem liegen, so dachten viele Menschen!
Nun gut, dann werden wir die Herren gleich hier und jetzt bestatten. Ein wenig plagte mich das schlechte Gewissen, weil wir davon ausgehen mussten, dass es sich vielleicht auch um Familienväter handeln könnte.
„Nein, da macht euch keine Sorgen. Kein Mann, welcher Frau und Kinder hat, würde sich hier als Grabschänder verdingen! Das wirft ein schlechtes Licht auf die Familie und man muss fürchten dafür ins Fegefeuer zu kommen… Aber ihr wisst ja um diese Angst der Christen.“ grinste Monsieur Borque nur und begann mit Haytham die ersten Herren hinüber zu schaffen.
Ich untersuchte noch einmal den Speer und schwang ihn ein wenig hin und her um ein Gespür für ihn zu bekommen. Plötzlich klackte es nur und ich hielt nur noch die Hälfte in der Hand. Gab es einen Mechanismus, welcher ihn wie einen gewöhnlichen Haken mit Griff aussehen lassen konnte? Im Grunde sehr nützlich, weil ich sonst oben in der Stadt mit dieser Waffe auffallen würde! Staunend sah ich mir jetzt das kleine Ding an und hängte es an meinen Gürtel.
Nach dem der letzte Wächter seine Ruhestätte gefunden hatte, machten wir uns auf den Weg nach oben. Ein kleiner geschlängelter Gang führte zu einer Treppe, die uns direkt an das Ufer der Seine brachte. Kaum dass wir draußen waren, schlug mir ein ekeliger Geruch entgegen. Eigentlich sollte ich es mittlerweile gewohnt sein, dass die Menschen hier alles, wirklich ALLES in die Flüsse warfen!
Wir gingen zügigen Schrittes weiter in Richtung Stadtmitte zu unserem Ausgangspunkt. Auf dem Weg erzählte uns Paul noch ein wenig von sich und seinen Brüdern. 6 hatte er insgesamt, zwei fuhren zur See, einer war letztes Jahr an den Pocken gestorben und die anderen drei lebten auf dem Land bei ihrer Mutter. Der Vater war schon vor langer Zeit einfach abgehauen. Solche Geschichten wiederholten sich anscheinend auch immer wieder, trotzdem tat mir die Familie leid.
Wir verabschiedeten uns bei ihm und Haytham bezahlte den Herren noch großzügig.
„Ich habe zu danken. Es war ein aufregender Tag und ich habe so viele Geschichten jetzt, die ich erzählen kann.“ meinte er fröhlich und stiefelte von dannen.
„Sollte er nicht lieber…“ Auch mein Mann war sich nicht ganz sicher, ob wir die Erinnerung so belassen sollten bei Paul. Odins Worte waren aber richtig und wir ließen ihn gehen.
Bei unserer Unterkunft angekommen, wurden wir schon sehnsüchtig von unserem Sohn erwartet, welcher weinend auf uns zu lief.
„Min lille skat, was ist los? Tut dir etwas weh?“ fragte ich leise und drückte ihn an mich, auch wenn mir jetzt erst einfiel, dass ich ziemlich schmutzig sein musste!
„Mistress Kenway, macht euch keine Sorgen. Ihm fehlt nichts. Master Edward war vorhin nur ein wenig aufgebracht und… ich sah, diese Schlacht ebenso wie er und ihr!“ kam es etwas zögernd von Sybill.
„So weitreichend sind meine Erinnerungen?“ staunend sah ich von einem zum anderen. „Das ist… ist das jetzt gut oder schlecht? Auf der einen Seite ist es von Vorteil, da ich nicht viel erklären muss. Die Frage ist nur, WER kann diese Momente noch mit erleben?“ und es traf mich wie ein Blitz!
Was ist, wenn Hrymr diese Einsicht hatte und mich dann auch noch manipulieren konnte? Was würde dann passieren? Zitternd ließ ich Edward auf Haythams Arm und setzte mich an den Esstisch und griff nach der Karaffe mit dem Wein. Ich brauchte etwas zu trinken.
Diese Möglichkeit besteht, mein Kind. Du musst immer mit ihm rechnen. Es fällt mir schwer zuzugeben, aber dieser Kapitän ist nicht zu unterschätzen. Er ist mir ja schon einmal durch die Lappen gegangen! Solange du aber diese Mauer, wie sie gerade besteht in deinem Kopf, aufrecht erhältst, kann er eigentlich nicht soweit vordringen! Und ja, euer Sohn ist auch geschützt.
Beruhigende Worte, welche mir halfen, wieder runter zu kommen.
Wir besprachen jetzt noch, wann wir übermorgen aufbrechen werden. Eigentlich wollte ich noch einen Abstecher nach Deutschland machen, aber wir mussten möglichst bald wieder nach Virginia. Ich wollte nicht im Winter eine Überfahrt riskieren. Außerdem vermisste ich unser Zuhause! Vielleicht kämen wir ja später noch einmal hierher!
Die Abreise mussten wir dann doch noch um eine ganze Woche verschieben, weil ich noch einmal einen Blick auf die Artefaktenliste geworfen hatte und dort sah, dass wir dieses Rasiermesser hier in Frankreich noch suchen mussten.
Enttäuscht über diese Verzögerung machte ich mich an die Unterlagen und begann über Aufenthaltsorte von dem Besitzer nachzuschlagen. Haytham war da eine nützliche Hilfe, weil er „näher“ an diesen Kriegsjahren war, als ich.
Zwei geschlagene Tage saßen wir über geschichtlichen Schriftstücken, Büchern und auch kleineren Abhandlungen, welche uns von unseren Wirten freundlich zur Verfügung gestellt wurden. Auch sie waren sehr belesen, was uns natürlich zu Gute kam.
Im Grunde gab es nur eine Anlaufstelle und zwar eine der alten noch recht gut erhaltenen Kasernen. Dort sollten wir beginnen und uns danach weiter durchfragen.
Besagtes Gebäude lag in einem Distrikt von Paris, welcher hauptsächlich bis heute Militär beherbergte.
Einer der dortigen Befehlshaber konnte uns sogar weiterhelfen, weil er von diesen Briefen des Leibdieners wusste.
„Wir haben selber einmal einen kleinen Suchtrupp zusammengestellt, weil man munkelte hier unter dem Gebäudekomplex gäbe es alte Verliese und, verzeiht Madame, Folterzellen. Außerdem sollte es geheime Türen geben! Leider sind meine Leute nicht fündig geworden, dafür nur sehr schmutzig…“ lachte er und sah mich entschuldigend an. Bei Odin, sah ich so zartbesaitet aus, dass man nicht einmal das Wort Folter in den Mund nehmen mochte in meiner Gegenwart?
Er übergab uns aber ohne großes Fragen die Schlüssel für den Eingang und wünschte viel Erfolg!
Als wir vor der Kaserne standen, fragte ich Haytham, warum die Männer immer so auf ihre Wortwahl achteten und ob es wirklich an meinem Äußeren, meinem Erscheinungsbild lag. Zuerst erhielt ich lautes Lachen, aber keine Antwort. Nachdem sich mein Gatte dann endlich beruhigt hatte, setzte er mit einer Erklärung an.
„Mi sol, du bist eine Frau. Frauen sind und das solltest du mittlerweile gelernt haben, in dieser Zeit nicht mit den Belangen der Männer zu belästigen. Sie können es nicht verstehen und fast alle Damen fallen in Ohnmacht, sobald sie auch nur das Wort Blut hören oder ihnen eine Maus über den Fuß huscht. Aber wenn ich ehrlich sein darf?“ er nahm mein Kinn in seine Hand und sah mir für einen Moment tief in die Augen. Vorsichtig nickte ich. „Man könnte tatsächlich meinen, du gehörst zu diesen zur Hysterie neigenden Damen, Alex. Bedenke deine Körpergröße und deine Haut hat immer diesen durchschimmernden hellen Teint. Kaum jemand, der dich nicht kennt, würde vermuten, dass du jemandem die Finger einzeln brechen könntest oder sogar die Kehle aufschlitzen würdest.“
Dieses Jahrhundert war einfach noch nicht reif für die Emanzipation, ging es mir durch den Kopf und ich grinste meinen Mann an.
„Du hast Recht. Ich bin der Wolf im Schafspelz.“ ich stellte mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen langen Kuss.
„Auch das schickt sich nicht für eine Frau in der Öffentlichkeit. Zärtlichkeiten tauscht man nur aus, wenn man alleine ist, mi sol.“ sein gespielter Oberlehrerton mit den dunklen grauen Augen ließ meinen Bauch kribbeln.
„Dann komm mit und ich zeige dir, was ich mit dir alleine in unserem Schlafzimmer anstellen kann!“ flüsterte ich lüstern und konnte spüren, wie an Haythams Hals eine Gänsehaut entstand.
„Ich will nicht warten!“ damit schnappte er sich meine Hand und zog mich hinter sich her durch kleine Gassen und wurde schon bald fündig. Ein leerstehendes kleines Gebäude musste für unsere Zügellosigkeit herhalten.
Nachdem ich Haytham in den Genuss meiner „Hysterie“ habe kommen lassen, konnten wir befriedigt den Rückweg zu unserer Pension antreten.
Wir hatten beschlossen heute Nachmittag, wenn ich meine Montur anhatte, das Kellergeschoss näher zu untersuchen.
Diese nette Nebenaktivität von gerade eben hatte mir ein Knurren in der Magengegend beschert und ich stürzte mich regelrecht auf das Mittagessen. Kichernd beobachtete Edward mich dabei und begann ebenfalls hastig zu schlingen. Prompt verschluckte er sich und die Hälfte landete auf dem Fußboden!
Sybill wusch ihn im Anschluss und ich sang ihm noch etwas vor, dann konnte ich mich umkleiden lassen. Gerade als Magda dabei war, das schwarze Korsett zu schnüren, meinte sie leise „Mistress Kenway, dieses Leuchten, welches euch oft umgibt… wie macht ihr das?“ in ihrer Stimme hörte ich einen ängstlichen Unterton.
„Magda, das ist wirklich schwer zu erklären. Aber seid euch sicher, wir sind nicht verhext oder mit dem Teufel im Bunde. Mein Gatte und ich… wir haben eine gewisse Verbundenheit zu Odin. Auch unser Sohn ist mit von der Partie, ich habe es mir nie erklären können, warum ich so agiere, wie ich es tue. Erst als ich … ganz hier bei Master Kenway war, kamen die Einzelheiten ans Tageslicht.“ ich sah im Spiegel ihre blauen Augen leuchten und für einen Moment war sie weit weg.
Ein Schütteln von ihr, als wäre sie ein nasser Hund, zeigte mir, dass sie gerade aufgeklärt worden war. Und dann hörte ich die Stimme des Allvaters ebenso.
Und so haben wir eine schützende Hand und ein wachsames Auge mehr auf diese Familie. Bei „EIN“ wachsames Auge musste ich schmunzeln!
„Ich bin stolz, ein Teil davon sein zu dürfen, Mistress Kenway!“ flüsterte sie ehrfurchtsvoll und strahlte dann über beide Ohren.
Fertig angezogen ging ich hinunter zu meinem Mann, welcher anscheinend einen ähnlichen Moment mit seinem Kammerdiener hatte.
„Jetzt sind auch die beiden eingeweiht, mi sol. Eigentlich bin ich erleichtert, aber ich hoffe, dass die beiden dadurch nicht in Schwierigkeiten geraten, weil sie Wissende sind!“ kam es skeptisch von Haytham.
„Wir werden aufpassen!“ meinte ich nur knapp, mehr konnten wir einfach nicht tun.
Wir überließen Edward seinem Kindermädchen und machten uns auf den Weg zur militärischen Einrichtung.
Der Eingang zum Kellergeschoss lag außerhalb der eigentlichen Kaserne, genauer gesagt auf dem Innenhof derselbigen.
Beim Hinabsteigen hatte man den Eindruck, als sei hier seit Jahrhunderten niemand mehr gewesen. Das Schloss war verrostet und die Gittertür ließ sich nur schwer öffnen! Die Holztreppe dahinter machte einen ziemlich morschen und nicht gerade sicheren Eindruck. Bei jedem Schritt knartschten die Stufen.
Unten angekommen war es feucht und man hatte das Gefühl wie durch Nebel zu laufen, nur dass man diesen nicht sah nur fühlte! Haytham hatte auch arge Schwierigkeiten die Fackel zu entzünden, welche wir mitgenommen hatten. Nach mehreren Versuchen und dem Verschleiß des vorletzten Feuersteins, brannte das Ding endlich und wir konnten weiter gehen.
Der Major hatte uns eine selbst gezeichnete Karte dieses Untergrundes gegeben. „Hoffentlich hat er nichts vergessen zu erwähnen!“ seufzte Haytham vor mir, während wir diesem aus Backstein gefertigten Gang weiter folgten.
Hier und da entzündeten wir weitere an der Wand befestigte Lichtquellen, welche aber erstaunlicherweise schnell entflammten.
Hin und wieder hörte ich das Quietschen von Ratten, aber sie waren anscheinend nicht in meiner Nähe.
Es gab insgesamt neun Zellen für Gefangene und zwei richtige Verliese, welche mit schweren Eichentüren gesichert waren. Von den Folterkammern gab es ebenfalls zwei. Diese befanden sich, laut Karte ganz am Ende dieses Hauptganges.
Wir inspizierten eine Zelle nach der anderen, aber konnten keine losen Steine oder geheimen Türen ausmachen. Das einzige was ich seit neuestem zum Beispiel auch wahrnahm, waren seltsame sich verflüchtigende Auren, so als würde ich Geister sehen, die sich hier herumtrieben. Mich schüttelte es bei dem Gedanken.
Die erste schwere Sicherheitstür machte Schwierigkeiten. Sie war durch die Feuchtigkeit und die Temperaturschwankungen völlig verzogen und erst als Haytham mit Anlauf dagegen trat, brach sie aus ihren Angeln. Anerkennend sah ich meinen Mann an, aber er lächelte mit leuchtenden goldenen Augen in meine Richtung. Aha… er hatte also Hilfe bekommen.
An den Wänden waren ringsum rostige Ketten mit Ringen befestigt, ebenso waren am Boden einige eingelassen. Es gab auf Deckenhöhe, wie auch in den anderen Zellen, vergitterte Öffnungen, durch welche ein stetiger Luftzug drang.
Dieser Raum ernüchterte uns auch schnell, weil … nichts zu sehen war.
Im gegenüberliegenden Verlies stieß Haytham mit einem Male einen freudigen Ruf aus und hielt einen Kasten in der Hand, welcher hinter einem losen Stein in der Wand verborgen lag.
Doch als wir ihn geöffnet hatten, kam die Ernüchterung. Darin lag ein Skelett eines Vogels und ein Blatt mit dem Vermerk, dass dies der Liebling der Insassen gewesen sei. Grausam ermordet von einer der Wachen. WER das hier hinterlassen hatte, stand leider nicht dabei. Im Grunde auch irrelevant, aber das Jahr wäre noch interessant gewesen.
Jetzt standen wir vor den letzten beiden Türen und durch die kleinen Gitteröffnungen auf Augenhöhe, konnte ich erahnen, wie es darin aussah. Ich hatte so etwas ja schon in Versailles gesehen, aber es ließ mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen.
„Willst du wirklich dort mit hinein? Ich meine es wirklich nur gut, mi sol.“ sprach mein Mann leise und sah mich fragend an.
„Ja, vier Augen sehen mehr als zwei, oder?“ lächelte ich tapfer und ging voraus.
Hier gab es die obligatorische Streckbank und, wie Klischeemäßig, die eiserne Jungfrau in der hinteren Ecke. Ansonsten baumelten an den Wänden verrottende Peitschen und diverse Schlaginstrumente. Rostige Zangen, Hämmer und Nägel lagen auf einer Art Arbeitstisch an der rechten Wand. Auch hier war alles mit Backstein ausgekleidet, was dem Raum das Aussehen einer Schlachterei gab.
Mein Blick offenbarte mir wieder neblige Auren, welche unter Schmerzen auf der Streckbank lagen oder an einem Haken von der Decke baumelten.
„Barbarisch, wenn du mich fragst. Und den Wikinger wird schon nachgesagt, sie seien Unbarmherzig und brutal gewesen! Pffffffff!“ sagte ich trocken und fuhr mit meinen Fingern über die Peitschen.
„Seltsam ist nur, dass hier nichts ist und im Grunde bräuchten wir auch nicht nach nebenan gehen. Dort kann ich auch nichts ausmachen!“ maulte Haytham frustriert und haute mit der Faust gegen die Tür.
„Lass uns trotzdem nachsehen. Man weiß ja nie, vielleicht…“ mein Gatte fuhr mir harsch über den Mund.
„Willst du mir jetzt etwa sagen, ich sei unfähig und dieser Aufgabe nicht gewachsen?“ fauchte er und war mir gefährlich nahe gekommen. Tyr! Das war nicht der disziplinierte Templer!
„Hey!“ ermahnte ich ihn und schüttelte Haytham!
Ein entsetztes „Entschuldige, ich…“ gefolgt von einem Kopfschütteln, zeigte mir, mein Templer hatte wieder die Oberhand. Das konnte ja noch lustig werden in Zukunft…
In der Nachbarkammer bot sich uns ein ähnliches Bild, aber es gab einen Stuhl, wo ein Pflock auf der Sitzfläche war. Ein ziemlicher spitzer und sehr langer Pflock. Ich konnte gerade noch so meinen Blick abwenden, weil ich diese Art des Foltern nicht sehen wollte. Auch stand hier ein „spanisches Pferd“, ein Dreieckiger Balken, welcher auf einem Holzgerüst lag. Im Boden waren links und rechts Ringe platziert und ich überlasse jetzt jedem für sich, was hier gemacht wurde mit den Gefangenen!
Dieser Raum war aber etwas größer und auch länglicher. Es schien, als hätte man hier mehrere Delinquenten gleichzeitig zum Reden bringen wollen.
„Alex, siehst du etwas? Irgendwelche nebligen Auren?“ kam es leise von Haytham, so als könne er die Toten mit dieser Frage wecken!
„Muss ich das wirklich tun?“ ich klang quengelig, aber… nun gut.
Ich aktivierte meinen Blick und sah wieder diese Gequälten Seelen. Ich ließ meine Augen über die Wände gleiten, den Boden und dann sah ich im hinteren linken Bereich, wie eine dieser Gestalten dort einfach verschwand.
Ich ging darauf zu und tastete über die Steine, doch es war wie der Rest hier! Solides Mauerwerk!
„Warte! Ich…“ mit einem Feuereisen, welches mein Mann sich von den Werkzeugen hier auslieh, stocherte er in dem Mörtel zwischen den Steinen herum. „Siehst du das? Das hier sieht anders aus, als der Rest, aber nur wenn man auch genauer hinsieht.“
Ich versuchte den Unterschied zu erkennen und nahm mir eine der Fackeln und hielt sie näher an die Wand und tatsächlich, hier waren die Fugen etwas heller als der Rest.
Es dauerte eine Weile, bis mein Templer zwei der Steine gelockert hatte und tatsächlich! Dahinter schien ein Hohlraum zu sein! Hatte man hier etwa Menschen eingemauert? Eine Gänsehaut überzog meinen Körper und ich hörte diese Schreie von verhungernden, verdurstenden todgeweihten Menschen!
Gemeinsam schafften wir es dann recht zügig einen Durchgang frei zu bekommen und als Haytham hindurch schritt, traute ich meinen Augen nicht. Vor uns erstreckte sich ein kleiner Gang, an dessen Ende anscheinend eine Treppe begann und nach unten führte. Oh bitte, nicht wieder so tief ins Erdreich!
Es half aber nichts, hier oben wurden wir nicht fündig, also folgten wir diesem Weg und tatsächlich führte er tiefer hinab und offenbarte kurz darauf eine Art Leichenkammer! Es stank erbärmlich nach Verwesung und Kloake!
„Das ist widerlich!“ würgte mein Mann neben mir und hielt sich seinen Umhang vors Gesicht. Ich tat es ihm gleich und wir schritten weiter.
Es lagen an den Wänden aufgereiht Skelette. Die Tücher, mit denen sie einmal bedeckt waren, waren bereits verrottet und gaben den Inhalt frei. Unsere Blicke offenbarten ein wahres Horrorszenario. Wir sahen beide, wie man hier die Gefangenen strangulierte, erschoss oder einfach mit dem Schwert hinrichtete. Danach wurden sie achtlos hier an die Seiten geschafft. Aber warum machte man das so heimlich?
Wir gingen ein Stück weiter, weil hier nichts sonst auszumachen war. Es ging um eine Biegung und hier öffnete sich ein großer Raum. Ringsum waren Fackeln, welche wir nach und nach entzündeten und dann stand ich mit offenem Mund in der Mitte dieser… ja, man muss es sagen, Halle!
Es ging von hier aus auch kein weiterer Gang ab, hier war Ende!
In den Wänden waren kleine Nischen angebracht, wo man noch die Reste von Kerzen sah oder aber es lagen Knochen darin. Hier war nichts gepflastert mit Backstein, es war purer festgestampfter Lehm!
In der Mitte stand ein großer Tisch, welcher wie aus Stein gehauen aussah. An seinen langen Seiten waren wieder Ringe angebracht und mir schwante, um was es sich hier handelte! Opfergaben, eine Art Altar und dies war ein Ort, wo sich die Anhänger, welchen Gottes auch immer, zusammenfanden um sich den Segen geben zu lassen.
Nichts deutete aber darauf hin, welche Götter, welche Religion oder ähnliches hier zu Werke trat.
„Alex, nutze deinen Blick!“ hörte ich meinen Mann neben mir sagen und ich tat es.
Ich wurde regelrecht in eine andere Welt gezogen. Hier sah ich nicht nur diese nebligen Schemen, ich sah… echte Menschen! Konnte aber nicht sehen, um wen es sich handelte. Uns zeigte sich eine grausame Szene, ein Mann lag angekettet auf dem Tisch mit nichts als einem Hemd bekleidet. Um ihn herum standen diese anderen Personen und ich hörte einen Singsang, vermochte aber nicht zu sagen, was sie sangen.
Am Kopf des Gefesselten stellte sich nun ein Herr, erhob seine Arme und begann mit einem Gebet, vermutete ich. Ich konnte nichts hören! Man sah nur wie sich die Lippen bewegten.
In den Händen hielt er einen länglichen Gegenstand, ein Messer wie es aussah und gerade als er zum tödlichen Stoß ausholen wollte, kam Bewegung in die Umstehenden und wir wurden Zeuge eines Kampfes. Soldaten, so schien es, wollten diese „Versammlung“ auflösen und dieses Gemetzel was hier jetzt zu sehen war, war mehr als grausam. Sogar der Mann auf dem Tisch fiel den Schwertern zum Opfer…
Plötzlich brach diese Szene ab und es war, als wäre hier nie etwas passiert.
„Was bitte war denn das?“ Haythams Frage konnte ich leider nicht beantworten, ich selber suchte nach einer Auflösung.
Für einen kurzen Moment atmete ich tief durch um diese Eindrücke zu verarbeiten. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man hier Odin oder einem anderen nordischen Gott gehuldigt hatte. Auch wenn Opfergaben in diesem Zusammenhang üblich waren.
Als ich mich etwas beruhigt hatte, sah ich mich erneut mit meinem Blick um, leider nahm ich nichts mehr wahr. Frustriert ging ich die kleinen Nischen in den Wänden ab, genauso machte es Haytham auch.
Den Opfertisch hatten wir noch nicht näher untersucht, also machte ich mich daran, in der Hoffnung nicht wieder solche Dinge sehen zu müssen. Aber es blieb ruhig und ich konzentrierte mich weiter, als mich ein freudiger Ausruf meines Mannes aus meiner Untersuchung riss.
Er hielt ein Messer in der Hand, genau das, was wir gerade bei dem Herren am Kopfende des Tisches gesehen hatten.
„Sieh es dir an. Schau… hier der Griff ist aus Elfenbein und dort… die Schnitzereien sehen aus, wie die, die auf dem Rasiermesser abgebildet waren. Laut der Skizze des Leibdieners!“ Warum bitte sollte man ein Rasiermesser umwandeln in ein normales…
Mir dämmerte langsam, dass schon ganz andere Menschen dieses Artefakt der Isu gefunden hatten und es zu ihren eigenen Zwecken umgearbeitet hatten.
Also opferte man hier für die die vor uns kamen? Unweigerlich sah ich Faith vor mir, wie sie als Erbe diese Opfergabe billigte und auch noch honorierte! Nein… das konnte und wollte ich nicht glauben.
Haytham hielt dieses Messer mit dem Saum seines Umhangs, wohl wissend, dass wir vorsichtig sein müssen und sah mich nun fragend an.
„Was nun, mi sol? Wir scheinen fündig geworden zu sein!“ mir widerstrebte es zu glauben, dass damit auch diese Suche beendet war, doch wie es schien, musste ich es so hinnehmen.
„Wir nehmen es mit und verwahren es, bis wir die Übersetzungen aus dem Buch von Reginald haben.“ und sah auf diesen Gegenstand zwischen uns. Ich öffnete eine meiner Ledertaschen an meinem Gürtel und bat ihn, das Messer dort hinein zu legen.
„Ich hoffe doch, dass wir noch eine Nachricht des Dolmetschers in den nächsten Tagen erwarten können.“ Manchmal reichte die Hoffnung meines Mannes für uns beide.
In mir machte sich ein Gefühl von Frust breit, ich war regelrecht unbefriedigt. Aber was hatte ich erwartet? Böse Zauber, sich verschiebende Wände oder zornige Geister, welche es auf uns abgesehen haben? Mein Seufzen deutete mein Templer richtig.
„Besser so, als wären wir hier plötzlich gefangen oder?“ ein Kuss auf meine Stirn und er führte mich hier wieder heraus.
Wieder im Innenhof angekommen, holten wir beide tief Luft um diesen muffigen Geruch loszuwerden.
Nachdem wir dem Major die Schlüssel zurückgegeben hatten, machten wir uns auf den Weg zu unserer Unterkunft, es war schon fast dunkel, als wir dort eintrafen.
Während des Abendessens überlegten wir, ob wir nun wirklich hier alles erledigt hatten. Kamen aber überein, dass wir lediglich noch auf die Übersetzung des Buches warten müssten. Doch dass konnte auch noch mehr als ein paar Wochen dauern!
„Ich habe dem Herren mitgeteilt, wohin er alles schicken muss. Zur Not kann auch eines unserer Handelsschiffe bei einer Passage diese Aufgabe mit übernehmen.“ meinte Haytham und natürlich, es müsste niemand extra deswegen den Weg nach Übersee antreten.
Etwas ließ mir aber keine Ruhe und als Edward dann endlich eingeschlafen war, setzte ich mich seufzend zu meinem Mann. Dieses Mal war es ein richtiger Kampf mit unserem Sohn, weil er sich partout nicht sein Schlafhemd anziehen lassen wollte. Erst als ich ihn lauter ermahnte und ihm androhte, seinen Schimmel mit hinunter zunehmen, hielt er still.
„Was war denn da oben bei euch los, mi sol. So kenne ich Edward gar nicht.“ fragte Haytham jetzt nach und ich erklärte ihm, dass sich unser Sohn erst unter Androhung einer Strafe hat anziehen lassen. „Ich hörte, wie du die Stimme erhoben hast. Aber bedenke immer, Kinder brauchen feste Regeln!“
Und noch einmal seufzte ich tief. „Ich weiß das. Aber er saß mit Tränen in den Augen auf dem Bett und ich hatte ein schlechtes Gewissen.“ nuschelte ich leise. Und nein, ich war schon recht rigoros, konnte aber unserem Sohn nicht immer böse sein.
„Haytham, ist dir eigentlich in den Verliesen aufgefallen, dass sich weder Odin noch Loki oder ein anderer Gott gemeldet hat? Bis auf Tyr, der dich für ein paar Sekunden gelenkt hat.“ ich hatte es in diesem Opferraum gespürt. Es fühlte sich an, als hätte man mich verlassen und ich wäre wieder alleine.
„Nein, darauf habe ich ehrlich gesagt auch gar nicht geachtet. Glaubst du, dass es dort eine Art Mauer gibt, die verhindert, dass andere Götter dort hineingelangen können? Ähnlich wie die, die wir im Geiste errichten können, damit Hrymr zum Beispiel uns nicht manipulieren kann?“ Damit hatte er meinen Gedanken auf den Punkt gebracht!
„Genauso könnte es doch sein. Wer aber hält sie dort aufrecht? Können diese Isu auch ohne ihre eigentliche Anwesenheit solch schweren Geschütze auffahren?“ ich ging davon aus, dass mein Mann sich mit diesem Thema schon etwas befasst hatte, schließlich hatte Reginald ihn mit seiner „Besessenheit“ ja angesteckt.
„Wenn sie solche Tempel, wie du sie beschreibst, errichten können, dann sollten sie auch so etwas hinbekommen.“ das war mir auch klar, aber mir ging ein etwas absonderlicher Gedanken im Kopf herum.
„Diese Barriere muss aber von etwas gespeist werden, wie ein Akku zum Beispiel. Weil man ja auch dieses Kribbeln beim Berühren der Artefakte spürt. So als würde man leichte Stromschläge bekommen!“ ich stellte mir gerade einen von Gedankenkraft geladenen Generator dort unten vor.
„Was ist ein Akku?“ eine hochgezogene Augenbraue in meine Richtung und ich bemerkte, meinen Fehler. Elektrizität! Das war hier noch ein Fremdwort, ich vergaß solche Dinge leicht mal. Also erklärte ich meinem Mann, was es damit auf sich hat.
„Man kann so eine Batterie also immer wieder mit dieser Spannung laden und sie unbegrenzt einsetzen? Franklin sollte das vielleicht auch einmal in seine Experimente mit einbauen. Ich sollte ihm noch ein Schreiben diesbezüglich zusenden.“ Haytham war wieder in seinem Element und begann den Brief aufzusetzen.
Ich selber schrieb mein Tagebuch etwas weiter, damit Yannick auf dem Laufenden blieb. Ich schilderte den Weg zur Kaserne, in den Untergrund und auch die Katakomben beschrieb ich ein wenig.
Irgendwann legten sich die Hände von Haytham auf meine Schultern und massierten meinen Nacken ein wenig. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich mich so verspannt hatte und war dankbar für diese Zuwendung.
„Wir sollten schlafen gehen, mi sol. Es ist schon spät und du weißt ja, unser persönlicher kleiner Wecker erwartet unsere Aufmerksamkeit recht früh.“ damit zog er mich hoch und wir ließen uns für die Nacht oben einkleiden.
Ich sah noch einmal nach Edward, aber er schlief und hatte seinen Schimmel im Klammergriff an seiner Seite. Beruhigt konnte ich nun auch zu Bett gehen und schlief auch alsbald ein, als ich mich an meinen Templer schmiegte.
Die Truhen waren auf den Karren verteilt, die Runentruhen entsprechend gesichert in einer der Kutschen und somit konnten wir uns auf den Weg Richtung Calais machen. Wir würden nochmal ungefähr drei Tage brauchen und ich freute mich riesig, mein Schiff wieder zusehen und endlich nach Hause zu kommen.
Mittlerweile war es schon Anfang September und ein wenig Angst hatte ich schon, bezüglich der Herbststürme auf dem Atlantik. Außerdem war Edward jetzt so groß, dass er alleine laufen konnte. Das hieß im Umkehrschluss, dass ich mehr als bei unserer Hinreise auf ihn achten musste. Aber Sybill war ja auch noch mit dabei.
Außerdem hatte ich einige Male in den letzten Tagen meine To-Do-Liste überflogen, ob ich auch nichts vergessen hatte hier in Frankreich.
Wir hatten das Rasiermesser geborgen, wir hatten den Speer bekommen, aus London hatte ich die goldene Schale von Sigyn, außerdem hatten wir die 5 Stücke aus dem Chateau noch mitgenommen und der Rest an Relikten und Artefakten würde in den nächsten Monaten oder Jahren dazukommen.
Auch hatten Bragi und Idun noch einen Abschiedsbrief von uns bekommen, in welchem ich mich noch für die gute Zusammenarbeit bedankte. Ich hatte noch die entsprechenden Schiffe und Kutschen, welche Überland die Waren transportierten, entsendet und somit lief auch das hiesige Geschäft mit den Niederlanden und Spanien. Mein Kakao und der Kaffee waren gesichert, was mich am meisten freute.
Daheim sollte ich beizeiten einmal die Geschäfte von Faith und mir trennen. Die Konten mussten entsprechend umbenannt werden und neu aufgeteilt werden. Darüber machte ich mir allerdings weniger Sorgen, weil ich mich wieder mit Zahlen und Büchern beschäftigen konnte.
Als wir endlich bei meiner Jackdaw ankamen, stand meine Mannschaft bereits an Deck und begrüßte uns mit lautem Jubel! Auch sie waren alle froh, ihre Familien wiedersehen zu können! Mr. Hargreaves erstattete uns kurz Bericht und stellte uns noch zwei neue Mitglieder für die Mannschaft vor. Sie hatten vor zwei Wochen angeheuert und da wir immer tüchtige Männer brauchten, hatte unser erster Maat sie an Bord willkommen geheißen. Unseren Segen hatte er nun auch, nachdem wir sie uns genauer angesehen hatten.
Neben meiner Jackdaw lag das Handelsschiff von Mr. Higgins, welcher sich ebenso freute, endlich wieder in die Heimat zu können. Wir überließen ihm die Runentruhen, welche dieses Mal aber extra gesichert mit vier unserer Wachen in einem kleinen abgetrennten Abteil der White Moon standen!
In Amerika würde er mit zu unserer Plantage segeln und von dort aus würden die Truhen dann wieder nach New York oder Philadelphia gelangen.
Wir hatten Bragi die Überwachung des Chateaus mit überlassen und ihn gebeten, ein Auge auf die Artefakte in dem versteckten Raum zu haben. Vermutlich könnten wir dann auch bald sagen, welche wir wirklich brauchten und welche uns noch von dort fehlten!
So hatte ich nach und nach meine Gedanken sortiert, hatte mich seelisch auf die Heimreise eingestellt und stand nun hibbelig an Deck meiner Jackdaw. Neben mir war mein Mann mit Edward auf dem Arm und sah ebenso glücklich aus.
„Min lille skat, wir segeln jetzt wieder nach Hause! Freust du dich schon auf die Pferde in Virginia?“ fragte ich meinen Sohn und er nickte eifrig.
„Hos… Nir…“ und er hielt mir seinen Schimmel ins Gesicht. Fenrir war pechschwarz, aber ich wusste was mein Schatz meinte.
Langsam setzte sich meine Brig in Gang und ich sah noch einmal auf den kleinen Hafen, welcher heute nicht sonnenbeschienen war, leider.
Gegen Abend wurde es unglaublich windig hier in dem Kanal und wir hatten mit einem ordentlichen Seegang zu kämpfen. Ich sah zu Magda und Michael und hoffte, dass meine Kammerzofe dieses Mal nicht seekrank wurde. Wie es aussah nicht, sie stand glücklich lächelnd neben ihrem Verlobten.
Edward hingegen übergab sich einige Male und war sichtlich sauer darüber und weinte laut.
„Min lille skat, hier…“ ich drückte ihm ein wenig von dem Ingwer in die Hand, damit er darauf kauen konnte, in der Hoffnung, die Übelkeit würde verfliegen. Und tatsächlich, langsam mümmelnd lehnte er an meiner Schulter und sah auf das Wasser.
In den frühen Morgenstunden war es wieder ruhiger geworden und beide Schiffe nahmen Fahrt auf.
Nach 3 Tagen dann endlich, konnten wir auf die offene See einfahren und mich überkam ein seltsames Gefühl. Eine Mischung aus Angst, etwas vergessen zu haben und dieses Hochgefühl, wieder in meinem eigenen Bett schlafen zu können.
Ich war nicht die einzige Person, die diese Gedanken hatte. Im Grunde waren es wohl durch die Bank weg, ALLE hier an Bord.
In den nächsten Tagen musste ich wirklich auf Edward aufpassen, er rannte mir immer wieder davon und kam natürlich den Männer oft in die Quere. Einmal stolperte ein Junge mit einem Kübel Wasser über meinen Sohn und schlug der Länge nach hin. Was ihm eine gebrochene Nase bescherte und er musste auch noch die ganze Sauerei wieder aufwischen. Doch niemand nahm es dem kleinen Kenway wirklich übel, er wusste es ja noch nicht besser.
So lernte nun der Enkel eines Piraten, wie man nicht bei jeder Welle umfiel und wie man einen echten Knoten machte. Unsere Mannschaft bestand aus vielen Familienvätern, welche sich in ihrer recht spärlichen freien Zeit mit Edward beschäftigten.
Diese ganzen neuen Eindrücke ließen ihn aber oft nicht einschlafen und ich saß dann stundenlang noch mit ihm wach auf dem Bett und musste ihm vorsingen!
Mittlerweile kannte unser Sohn auch schon den Befehlston seines Vaters und immer öfter hörte ich ihn „Mama! Sing!“ sagen, wenn es Zeit zum Schlafengehen war. Danke Haytham, dachte ich mir dann in diesen Momenten leicht gereizt.
Wir gerieten in einen wirklich fiesen Sturm, welcher uns zwang in einer kleinen Bucht auszuharren, bis sich das Schlimmste gelegt hatte.
Ich erzählte Edward, dass Thor wütend war und das der Donner der Klang von seinem Hammer sei, der auf den Amboss aufschlug und die Blitze waren die Funken die dabei entstanden. Gebannt sah mein Sohn zum Himmel. „Thor! Laut…“ und er hielt sich seine Ohren zu. Dieser Gott wird nicht zu den Lieblingen meines Sohnes zählen, ging es mir durch den Kopf.
Wir saßen fast 4 Tage dort fest, das einzig gute war, wir konnten Vorräte und Wasser auffüllen, weil wir ein kleines Fischerdorf angesteuert hatten.
Für einen Moment war ich dann auch noch in Versuchung zu fragen, ob wir nicht jetzt schon einen Abstecher nach Great Inagua machen könnten. Verkniff es mir aber, als ich mir die Dimensionen auf der Karte unseres ersten Maates noch einmal ansah.
„Mistress Kenway, ich würde mich auch freuen, dorthin zu segeln. Aber erst einmal müssen wir alle nach Hause und auch ihr seht aus, als würdet ihr die Plantage vermissen!“ Sein Lächeln war genug und ich nickte zustimmend.
Haytham hatte sich mit seinen neuen Fähigkeiten bezüglich von Tyr weiter auseinander gesetzt und seinen Blick weiter trainiert. Mittlerweile nahm er feinste Spuren wahr. Während einer Rattenjagd fand er diese Feinheit heraus und durch Tyr hatte er ein schnelles Reaktionsvermögen, was ihm gestattete, die Viecher schnell schnappen zu können. Fasziniert stand ich da und sah diesem Treiben zu.
Es war aber Edward, welcher es heulend kundtat, dass er nicht wollte, dass man das Ungeziefer tötete. Also versuchte ich mein Bestes, dass er es nicht mit ansehen musste. Doch wir mussten sie loswerden, weil ich keine Lust auf verdorbene Vorräte oder Krankheiten hatte. Noch waren wir verschont geblieben und es gab nur ein paar kleinere Gebrechen, wie verstauchte Finger, ein ausgerenktes Knie oder Schulter, mal eine Schnittverletzung.
Es muss Anfang November gewesen sein, genau erinnern kann ich mich eigentlich nicht, als ich nachts hochschreckte. Was mich geweckt hatte konnte ich nicht einmal sagen, aber Haytham und auch Edward waren wach. Mein Mann sah mich seltsam an und unser Sohn begann bitterlich zu weinen. Ich selber fühlte auf einmal eine Leere in mir, die ich nicht verstand. Es fühlte sich an, als hätte man eine Verbindung durchtrennt, ein Kabel abgeschnitten. WAS genau aber fehlte, konnte ich nicht deuten und auch nicht bestimmen.
„Alex, fühlst du das auch?“ besorgt sah mich Haytham an.
„Ja, aber ich weiß nicht, warum… mir wurde etwas weggenommen, Haytham.“ ich schloss die Augen und versuchte die mir vertrauten Personen zu kontaktieren. Ich begann bei Odin, ging weiter zu Loki, Sigyn, Bragi… doch auch sie waren in Sorge, weil sie diesen Verlust spürten. Als ich dann meine Schwester im Geiste suchte, fand ich sie nicht. Ich fand keinen Weg mehr, sah sie nicht mehr vor meinem inneren Auge.
„Sie ist weg!“ und ich heulte einfach, weil ich nicht wusste, WAS mit ihr passiert war. War sie tot?
Nein… es scheint… jemand hat ihr eine schwere Verletzung zugefügt… mein Zeichen ist nicht mehr vollständig… Lokis Stimme war abgehackt und kam verstümmelt bei mir an. Sie lebt aber! Versicherte er mir noch einmal!
Wirklich beruhigte mich das nicht, aber auch der Göttervater bestätigte Lokis Worte. Der Erbe lebt, aber wird fortan nicht mehr mit uns in Verbindung stehen, wie es scheint! Wirklich glücklich war er demnach auch nicht darüber, auch wenn nicht alles zum Besten zwischen den beiden bestellt war.
Wie zur Bestätigung bekam ich Faith, wie sie verwundet, aber am Leben in einem Bett lag, als Bild zu sehen und ich konnte aufatmen. Es war nur eine Millisekunde!
Jetzt hieß es abwarten, bis wir uns wiedersahen und dann hoffte ich, eine Erklärung zu bekommen.
Die Wochen vergingen recht langsam, aber ich war nicht so gereizt wie bei unserer Hinfahrt nach London. Vermutlich lag es auch einfach daran, dass ich viel mit unserem Sohn beschäftigt war und ihn oft davon abhalten musste, auf eine Kiste in der Nähe der Reling zu klettern! Immer mehr sah ich aber, dass er die Gesten und Mimik seines Großvaters hatte. Ich ertappte mich oft dabei, dass ich Edward Senior vor mir sah und in mir kam diese Trauer hoch. Wenn ich ehrlich sein darf, ich vermisste das Segeln unter seinem Kommando doch schon ein wenig.
In den Nächten aber erinnerte mich Haytham daran, wer MICH vermisste und verscheuchte diese trüben Gedanken. Dafür war ich ihm mehr als dankbar!
„Endlich!“ rief ich laut, als wir die Cheasapeak Bay erreichten und in den James River einfahren konnten!
„Engnich!“ quietschte Edward auf meinem Arm und klatschte in die Hände. Er hatte sehr sehr viele neue Wörter gelernt und plapperte leider auch alles nach, was er aufschnappte.
Mitunter derbe Schimpfwörter der Matrosen, was diesen einen bösen Blick von mir oder auch Haytham einbrachte.
Wir hatten jetzt mittlerweile den 1. Dezember und ich war unglaublich froh, dass wir den Geburtstag meiner Männer in unseren eigenen vier Wänden feiern konnten!
Gegen Abend legten wir endlich an, neben uns machte sich die White Moon zum Anlegen bereit. Wir wurden schon von den Angestellten, einigen Arbeitern und natürlich den Familien der Mannschaft erwartet.
Ich konnte gar nicht schnell genug runter von der Jackdaw und wäre am liebsten wieder einmal wie der Papst auf den Boden gefallen!
Als ich jetzt Edward auf seine Füße stellte, fiel er prompt auf seinen Hintern und begann zu weinen. Ich nahm ihn wieder auf meinen Arm und drückte ihn.
„Min lille skat, du musst dich jetzt wieder daran gewöhnen, dass es nicht mehr schaukelt.“ bei diesen Worten bekam ich Panik, dass er nachts fürs erste nicht schlafen würde, weil keine Bewegung mehr da war. Schon als er nur ein paar Stunden alt war, fand er Stillstand mehr als doof! Außerdem würde er jetzt auch hier sein eigenes Zimmer beziehen, doch ich atmete tief durch und suchte mir schon ein paar Entschuldigungen für das Übernachten von Edward in unserem Schlafzimmer. Ja, ich würde sicherlich meine weiblichen Reize einsetzen müssen, aber das war es mir durchaus wert.
Unsere Mannschaft konnte die eigenen Frauen und Kinder endlich in die Arme schließen. Ich sah diesen freudigen und tränenreichen Begrüßungen eine Weile zu.
Außerdem gab es jetzt hier die Unterkünfte für unsere Männer. Mr. Robinson hatte die Bauarbeiten überwacht während unserer Abwesenheit. Ich inspizierte kurz das Ganze und segnete es, genau wie Haytham, lächelnd und mit einem Lob ab.
Alle Truhen wurden nun auf Karren geladen und zum Herrenhaus gebracht. Bis auf die zwei großen verzierten Kisten. Diese würden noch heute in Richtung des Dukes of Ironside gehen und von dort… ja, das wusste ich noch nicht.
Wir bestiegen eine Kutsche und ich sah mich während der Fahrt um, hier hatte es einige Umbauten gegeben. Zum Beispiel waren die Felder für den Eigenbedarf erweitert worden, wie es aussah.
Dann endlich sah ich das Herrenhaus und mir liefen die Tränen vor Freude die Wangen herunter.
„Mama, taurig?“ kam es leise von Edward und er kuschelte sich an mich. „Nein, ich freue mich ganz doll wieder zuhause zu sein. Mit dir, deinem Vater und Sybill!“ gab ich ebenfalls leise als Antwort. „Nir...Nir…“ kam es mit einem Mal aufgeregt und wir versprachen ihm, dass wir gleich morgen nach unseren Pferden sehen würden. Für heute war es eigentlich schon zu spät und ich würde es begrüßen, wenn wir als Familie ein wenig Ruhe heute Abend hätten!
Mit einem Schmollmund sah er mich an, dann zu Sybill. „Sisi… Arm!“ kam es in diesem leichten Befehlston, welcher mir ziemlich missfiel.
„Edward, du hast nicht so zu reden!“ kam es aufgebracht von Haytham und er nahm ihn resolut auf seinen Schoß, ohne auf das Weinen seines Sohnes weiter einzugehen.
Ich saß tief durchatmend daneben, weil… Bei Odin, ja ich weiß. Auch dieser kleine Knirps braucht Erziehung, aber gleich jetzt und hier?
Mi sol, ich kann deine Gedanken sehen! Reiß dich am Riemen, wir können Edward dieses Verhalten nicht durchgehen lassen. Überlass einfach ab und an mir die Zügel. Fauchte mein Gatte in meinem Kopf. Für einen Moment sah ich ihn erschrocken an, aber es war wirklich Haytham, nicht Tyr!
In der Eingangshalle blieb ich einen Moment stehen und atmete diesen vertrauten Geruch unseres Hauses ein. Ich war wieder angekommen, dachte ich lächelnd.
„Sybill, denkt bitte daran, dass Master Edward jetzt in seinem eigenen Zimmer schläft und ihr seine Sachen dort unterbringt.“ hörte ich meinen Mann noch sagen, bevor er in unserem Schlafzimmer mit seinem Kammerdiener verschwand.
Sprachlos blieb ich auf dem Treppenabsatz stehen. Hilfesuchend sah ich Mrs. Wallace an.
„Mistress Kenway, lasst es einfach zu. Ich werde auf Edward aufpassen. Und ich weiß, wie schwer euch dieser Schritt fällt. Ich habe es in Frankreich ja auch gesehen, aber dort habt ihr es gemeistert, dann werden wir das hier ebenso schaffen. Ich stehe auf eurer Seite, Mistress Kenway!“ versicherte mir das Kindermädchen.
Traurig sah ich zu meinem Sohn, welcher mich aber weiterhin mit einem Schmollen strafte.
„Ich… es fällt so schwer… Gerade nach dieser langen Überfahrt und…“ ich seufzte tief.
„Ihr habt Recht, ich muss immer noch dazu lernen, genau wie Edward.“ Ich trat auf die beiden zu. „Min lille skat, wollen wir dein Zimmer hier einmal ansehen? Du hast ein großes Bett, ganz für dich alleine und deine Spielzeugtruhen sind bestimmt auch schon dort.“ sagte ich euphorischer als ich eigentlich war.
Zum ersten Mal, muss ich zu meiner Schande gestehen, stand ich in dem eigentlichen Kinderzimmer meines Sohnes.
Die Vorhänge waren in einem satten Gelbton und sein Bett war noch auf ein Kind angepasst, aber dafür doch recht groß.
Es gab einen Kleiderschrank, eine Kommode zum Wickeln und wie ich erfreut feststellte, war sein Spielzeug tatsächlich schon hier oben.
Sybill und ich ließen ihn jetzt sein Reich selber erkunden. Er wankte immer noch leicht hin und her, aber sein Gang wurde immer sicherer auf festem Boden.
Edward war ein neugieriges Kind wie ich feststellte, weil er auch unter dem Bett nachsah und auf der anderen Seite kichernd wieder auftauchte.
Langsam beruhigte ich mich und gab dem kleinen Kenway noch einen Kuss. „Sei artig, min lille skat. Mama geht sich jetzt umziehen und Mrs. Wallace wird dich auch fürs Abendessen anziehen. Ich hab dich lieb.“ dann ich ging hinüber ins Schlafzimmer.
Hier herrschte reger Betrieb, einige Mädchen verräumten bereits die Kleidung, während eine andere Magd die dreckigen Kleidungsstücke einsammelte, die man ihr gab. Im Ankleidezimmer saß Haytham auf einem Stuhl und ließ sich von Michael rasieren. Erst jetzt fiel mir auf, dass mein Mann wirklich ein wenig wild im Gesicht aussah. Während der Überfahrt fiel des öfteren so eine Zuwendung aus, weil der Seegang es nicht zuließ, oder einfach nicht die Zeit reichte.
Magda machte sich daran mir die Toilettensachen zurechtzulegen und bat mich ebenfalls auf dem Stuhl vor meiner Kommode Platz zunehmen. Es war eine Wohltat wieder Wasser im Gesicht zu haben, FRISCHES Wasser wohlgemerkt! Dass es eiskalt war, war mir gerade ziemlich egal und ich stöhnte laut bei der Berührung.
Haytham bat kurz darauf die Zimmermädchen uns alleine zulassen, damit Michael und Magda uns einkleiden konnten.
Ich genoss diese kurze Wäsche und als ich in einem warmen Wollkleid steckte, fühlte ich mich einfach gut. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Haytham mir einen langen Blick zuwarf, aber weder etwas sagte noch dachte. Irritiert sah ich weiter zu ihm, aber er machte keine Anstalten sich zu erklären. Für einen Moment war ich in die Zeit versetzt, in welcher ich seine Art oft nicht deuten konnte. Plötzlich trat ein wissendes Grinsen auf sein Gesicht und dann hörte ich seine Stimme in meinem Kopf.
Es funktioniert immer noch, mi sol. Sei dir sicher, du gehörst mir und ich habe gerade wieder gemerkt, dass es mir einen wohligen Schauer beschert, wenn ich dich so aus der Fassung bringen kann. Mit einem einzigen Blick. Erwähnte ich, dass dieser Mann mitunter richtig fies sein kann?
Fertig angezogen gingen wir hinunter in den Wintergarten um zu Abend zu essen. Edward saß bereits in seinem kleinen Hochstuhl und wartete zappelnd und plappernd auf uns. „Hunger!“ und seine kleinen Finger wollten schon nach dem Teller greifen, wo Tabea ihm Gemüse und Kartoffeln bereitgestellt hatte.
„Nein, du wartest, bis wir alle am Tisch sind, Edward.“ kam es streng von Haytham, was ihm prompt ein Jammern von seinem Sohn einbrachte!
Ich befürchtete schon, dass mein Gatte auch noch vor dem Essen das Beten anfing, doch Odin sei Dank, war das keiner seiner Pläne! Aber sogar ich war versucht, zu warten bis Haytham mit dem Essen begann… seine Autorität war oft einfach nervig! Aber im Grunde liebte ich gerade das an meinem Mann, oder nicht? Doch ich schweife ab…
Nach dem Essen gingen wir zu der kleinen Spielecke, welche Sybill für klein Kenway hier hatte einrichten lassen und er konnte noch ein wenig zur Ruhe kommen. Auch Edward musste sich erst wieder an sein Zuhause gewöhnen, wie wir alle!
Diese Nacht jedoch bekam ich kein Auge zu, weil unser Sohn einfach immer wieder hochschreckte und bitterlich weinte, weil er niemanden in seiner Nähe hatte. Sybill war zwar nicht weit weg, sie hatte immer noch dieselbe Kammer zum Garten hinten raus, aber das musste Edward erst noch lernen.
Irgendwann hatte ich mich einfach zu ihm in sein Bett gelegt. Leise erzählte ich ihm noch ein paar Geschichten über seinen Großvater. Halb auf mir liegend schlief Edward Junior ein, genau wie mir irgendwann die Augen zufielen.
Haytham hatte mich immer wieder abhalten wollen, zu unserem Sohn zu gehen, musste dann aber resigniert aufgeben, weil ich mich einfach nicht beirren ließ. Ich war halt … Mutter!
Am nächsten Morgen bekam ich auch gleich seine schlechte Laune zu spüren, in dem er mir mitteilte, dass er einen Haufen Arbeit nachzuholen hätte und ich ihn nicht zu suchen brauchte!
Das war ja ein prima Einstieg hier! Also machte ich mich daran, mein Arbeitszimmer wieder auf Vordermann zu bringen, meine persönlichen Dinge wieder zu verstauen. Danach sah ich mit Edward nach unseren Pferden. Das hatten wir ihm ja versprochen.
Tatsächlich war Haythams Stute trächtig, laut Mr. Mackenzie wäre es im Mai nächsten Jahres soweit.
„Fenrir, du hast aber ganze Arbeit geleistet. Ich bin stolz auf dich!“ lobte ich meinen Hengst und ließ ihn kurzerhand satteln.
„Aber Mistress Kenway, ist es nicht zu kalt für einen Ausritt?“ kam es skeptisch von unserem Stallmeister.
„Kalt schon, aber es gibt dafür ja auch warme Kleidung. Nicht wahr, min lille skat.“ sprach ich an Edward gewandt, welcher im Heu spielte und sichtlich seine Freude hatte.
Als ich dann im Sattel saß, gab mir unser Stallmeister meinen Sohn auf den Arm und ich setzte ihn vor mich.
„Du musst dich gut festhalten, Edward. Siehst du, so?“ ich legte seine Hände auf den Knauf vom Sattel und drückte sie etwas.
„Nir… lieb?“ kam es etwas unsicher von meinem Sohn.
„Ja, er ist ein liebes Tier. So, wollen wir dann?“ der kleine Mann vor mir nickte, machte „Hooooo…“ und wippte dabei. Ich hingegen grinste breit, als wir uns über die Auffahrt auf den Weg machten.
Ich wollte ein wenig frische Luft haben um möglichst weit weg von meinem Mann zu sein, bis er sich wieder beruhigt hatte. Eines hatte ich in den Jahren jetzt gelernt, man sollte ihn besser in Ruhe lassen, bis die schlechte Laune abgeklungen war.
Ich ließ meinen Hengst Schritt gehen, damit sich Edward an ihn gewöhnen konnte, gleiches galt auch umgekehrt.
Unterwegs erzählte ich meinem Sohn, was hier angebaut wurde. Wenn wir an einem Haus vorbeikamen, sagte ich ihm, wer dort wohnte.
Als wir bei Mildreds Familienhaus ankamen, rannten ihre zwei Kinder schon auf mich zu.
„Mistress Kenway, ihr seid wieder da.“ riefen sie freudig und die Frauenanführerin trat ins Freie.
„Dann hatte mein Mann ja recht, als er sagte, ihr seid heile aus Frankreich wieder angekommen.“ sie knickste und ich bat sie, Edward zu nehmen, damit ich absteigen konnte.
„Ihr glaubt gar nicht, wie froh ich bin, wieder hier zu sein, Mildred. Erzählt, wie ist es euch und den anderen Frauen ergangen?“ gerade als sie beginnen wollte zu reden, fragte der große Sohn von ihr, ob sie Edward hinter dem Haus ihre Höhle zeigen dürften. Ich hatte nichts dagegen, bat nur einfach darum, aufzupassen!
Mildred grinste breit. „Sie wissen, worauf sie achten müssen, habt keine Angst.“
Wir gingen in die warme Wohnküche und sie bot mir heißen Tee an, welchen ich dankend annahm. Zu meinem Erstaunen hatte sie Honig zum Süßen auf dem Tisch stehen.
Auf meine Frage, woher dieser kam, erklärte sie mir, dass eine der anderen Frauen angefangen hatte, Bienen zu züchten und das auch noch recht erfolgreich, wie ich ja jetzt sehen konnte. Er war wirklich köstlich.
Es gab während unser Abwesenheit einige Neuerungen, wie sie mir mitteilte. Wir hatten nun einen Prediger, für den man eine Art Versammlungshaus hatte errichten lassen. Dieses lag mittig des gesamten Areals unserer Plantage. Außerdem nutzte man dieses Gebäude auch gleichzeitig als Schule, weil dieser Mann auch schon vorher als Lehrer tätig war.
Der Herr kam aus Pittsburgh, war Mitte 30 und sein Name war Nathaniel Baptiste Hathaway. Die Pächter waren sehr angetan von ihm, weil er alle Glaubensrichtungen ansprach und die Kinder ihn mochten. Sogar die, die sonst nicht stillsitzen können, blieben auf ihren Plätzen während einer Andacht oder während des Unterrichts.
„Dann werde ich heute Nachmittag Mr. Hathaway einen Besuch abstatten. Ich möchte ja wissen, wer meinen Sohn später einmal unterrichtet.“ grinste ich, aber Mildred sah mich mit großen Augen an.
„Aber… Mistress Kenway, euer Sohn sollte doch nicht von … das geht doch nicht….“ ich sah sie fragend an, weil ich nicht wusste, was daran jetzt so schlimm war.
„Darf ich frei sprechen?“ fragte sie leise und ich nickte ihr auffordernd zu. „Es gehört sich für den Sohn des Plantagenbesitzers nicht, mit den Kindern der Bauern und Pächter zusammen unterrichtet zu werden oder mit ihnen zu spielen.“ Ihr Blick heftete sich auf ihre im Schoß gefalteten Hände.
„Aber das tut er jetzt schon und ich möchte, dass Edward mit dem Grundsatz aufwächst, dass er niemandem übergeordnet ist, nur weil er der Sohn des Plantagenbesitzers ist. Ich möchte, dass mein Sohn mit anderen Kindern spielt, seine Umgebung erkunden kann, wie jedes andere Kind auch. Ich will nicht, dass er eingesperrt wird wie sein Vater!“ verdammt… jetzt war es mir so raus gerutscht in meiner Rage.
„Ihr meint… Der arme Master Kenway. Warum… verzeiht, ich sollte so etwas nicht fragen.“ mal wieder tat ich mich schwer im Bezug auf diese Gepflogenheiten dieses Jahrhunderts und seufzte.
„Es war aus einem anderen Grund, vermutlich klingt es schlimmer als es eigentlich war. Aber Edward soll frei aufwachsen, sich finden, seine Fähigkeiten selber kennenlernen. Was hilft der beste Hauslehrer, wenn die Kinder nicht mit anderen spielen können?“ in Mildreds Gesicht erschien ein warmes Lächeln.
„Ihr seid wirklich anders, als die anderen Ehefrauen der Pflanzer.“ kam es freudig von ihr.
Wir verblieben so, dass dieser Prediger heute Nachmittag zu uns kam und sich vorstellte. Mildred würde ihm Bescheid geben, weil er noch keine Kenntnis von unserer Rückkehr hatte.
Das Mittagessen fiel ein wenig schweigsam aus. Ich sah, dass Haytham immer noch nicht gut zu sprechen auf mich war.
Als ich Edward zu Bett gebracht hatte, ging ich hinunter in das Arbeitszimmer meines Mannes, um ihm von dem bevorstehenden Besuch in zwei Stunden zu berichten. Bei meinem Eintreten sah er kurz auf, widmete sich dann aber wieder dem Schriftstück vor sich.
„Hast du einen Moment Zeit?“ fragte ich leise.
„Was hast du dieses mal angestellt?“ kam es kalt von ihm, ohne mich eines Blickes zu würdigen!
„Nichts, vergiss es einfach wieder.“ ich drehte mich um und ging hinaus. Dann sollte er doch weiter schmollen!
„Wie du meinst!“ hörte ich noch die gelangweilte Stimme meines Templers.
Unschlüssig, was ich jetzt machen sollte, saß ich auf den Treppenstufen und starrte vor mich hin.
Mit einem frischen Kaffee machte ich mich auf in mein Arbeitszimmer. Doch auch dort wusste ich nicht so recht etwas mit mir anzufangen. Stattdessen stand ich am Fenster mit dem Becher in der Hand und sah auf die Auffahrt hinaus.
Was war bitte so schlimm daran, dass ich die erste Nacht wieder im eigenen Heim für unseren Sohn angenehm machen wollte? Was begriff Haytham daran nicht, dass Kleinkinder schneller Angst hatten, als wir Erwachsenen, weil sie vieles noch nicht verstanden? Es war EINE Nacht, in welcher ich nicht bei meinem Mann lag! Das hieß doch nicht, dass ich ihn nicht mehr liebte!
Immer wieder gingen mir diese Gedanken durch den Kopf, doch das alles brachte mich nicht weiter, im Gegenteil. Ich wurde zunehmend wütender auf Haytham! Er war schon immer etwas schwierig, er hatte halt seine Prinzipien.
Ich beschloss kurzerhand meine Gefühle niederzuschreiben. Nicht in mein Tagebuch, sondern einfach auf ein Blatt Papier, damit ich meinen Kopf frei bekam.
Erschrocken sah ich auf, als es plötzlich klopfte. War es schon so weit für den Prediger? Ich bat darum, herein zukommen, doch statt unseres Besuchers erschien mein Ehemann in der Tür.
„Was soll das noch werden, wenn ich fragen darf?“ wieder dieses Kalte in seiner Stimme. Oh, das Spielchen beherrschte ich auch!
„Ich weiß nicht, sag du es mir. Du schmollst hier rum, weil ich mich nicht ausschließlich um dich gekümmert habe!“ auch meine Worte kamen unterkühlt aus mir heraus.
„Ich hatte dir gesagt, dass Edward sein Zimmer ab jetzt bezieht. Genauso wie es auch in Frankreich schon war. Also warum hast du dich mir widersetzt und bist hinüber gegangen? Zählt mein Wort mal wieder für dich gar nicht?“ er presste diese Worte hinter zusammengebissenen Zähnen hervor, während er mich wütend ansah.
„Weißt du eigentlich, wie sich ein kleines Kind fühlt, wenn es immer wieder aus einem normalen Alltag gerissen wird? Weißt du, wie er sich gefühlt hat letzte Nacht? Er hatte Angst. Angst, weil keine Schiffsbewegungen mehr zu spüren waren. Angst, weil er unsere Nähe nicht mehr hatte. Angst, weil er in einer für ihn völlig ungewohnten Umgebung Mutterseelen alleine war!“ meine letzten Worte schrie ich förmlich, weil ich innerlich zu brodeln begann!
Haytham stieß ein Prusten aus und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ja und? Wie lange willst du ihn verhätscheln? Erinnere dich, DU warst diejenige die behauptet hat, mein Vater hätte mich zu sehr verwöhnt und verzogen. Was bitte tust du gerade mit unserem Sohn?“ Touché, wenn auch nur halbwegs!
„Das kannst du wohl schlecht vergleichen! Du hattest leider keinen Respekt einer Frau gegenüber beigebracht bekommen!“ ich stand auf und kam um meinen Schreibtisch herum. „Edward soll also lernen, alleine mit seinen Ängsten zu sein? Es dauert vielleicht ein paar Tage, dann hat sich dieser kleine Mensch an sein Zuhause gewöhnt und weiß dann, dass wir immer zur Stelle sind. Aber ich werde den Teufel tun, meinen Sohn alleine weinen zu lassen, nur weil DU zu kaltherzig für sowas bist.“ wieder war ich zu laut geworden und ich sah, wie sich Haytham beherrschen musste.
Diese Wut kam aber von keinem Gott, sie war wirklich in mir, in UNS! Genau dies waren Dinge, welche immer unausgesprochen zwischen uns gestanden hatten. Wir hatten es vermieden, unsere Ansichten darzulegen. Was jetzt?
„Das tat weh, Alex!“ nur selten nutzte er meinen Vornamen. In diesem Moment tat es auch mir schon fast körperlich weh. Was machten wir hier eigentlich? Wir sollten an einem Strang ziehen und unserem Sohn zur Seite stehen!
Ich fühlte mich in die Nacht versetzt, als ich Shay und Haytham die Wahrheit über mich offenbarte. Auch da hatte ich ihn beleidigt, nicht nur einmal. Mein schlechtes Gewissen brach durch und ich wusste nicht, wohin mit mir, meinen Gefühlen…
„Es… tut mir leid…“ nuschelte ich, ging aus meinem Arbeitszimmer, die Treppe hinunter nach draußen in den hinteren Garten.
Als ich bei der Weideneiche stand, sah ich auf die winterliche Landschaft hier und atmete die eiskalte Luft ein. Ich konzentrierte mich genau darauf! Nichts anderes war gerade wichtig!
„Verdammt noch mal! Lauf nicht immer weg, wenn dir keine Argumente mehr einfallen!“ hörte ich die fauchende Stimme meines Mannes hinter mir.
„Darum geht es doch gar nicht!“ in meiner Wut schossen mir die Tränen in die Augen! Also schön, ich erklärte meine Gefühle und hoffte inständig, dass dieser stoische Templer des 18. Jahrhunderts verstand, worum es mir ging. Vermutlich überforderte ich diesen Mann gerade mit meinen Ansichten aus meiner Zeit und der damit verbundenen Erziehung. Ich schilderte, wie kleine Kinder ihre Welt sahen, wie sie sie wahrnahmen und verarbeiteten… gefühlt standen wir hier Stunden!
Irgendwann war ich so außer Atem, dass ich keuchend vor ihm stand und meine Hände auf die Knie abstützten musste.
„Ich… wenn ich an Yannick denke, dann sehe ich, dass er ein guter Mensch geworden ist. Er weiß, was sich gehört und… Alex, aber ich kann nicht von heute auf morgen meine …“ ich ließ ihn nicht ausreden.
„Das verlange ich doch nicht, aber du musst mir in diesem Moment vertrauen. Es tut Edward gut, wenn er weiß, dass er beschützt ist und das nicht nur durch die Götter! Er braucht körperliche Nähe! Dieser kleine Kenway braucht DICH, er braucht MICH… er braucht UNS!“ ich heulte, als ich plötzlich seine Arme um mich spürte.
„So habe ich es noch nie gesehen, weil… ich diese Art der Zuwendung nicht kenne. Auch wenn meine Mutter immer sehr liebevoll mit mir umgegangen ist.“ in seiner Stimme konnte ich dieses selige Lächeln förmlich sehen!
„Aber ist es nicht auch genau DAS, was du heute noch in Erinnerung hast?“ meine Hände lagen an seinen Wangen. Ich sah ihm lange in die Augen. „Jeder Mensch braucht diese Momente, sie verbinden einen mit den Eltern, mit der Kindheit…“
„Anscheinend brauche ich auch noch Lehrstunden und Hilfe bei einigen Dingen.“ seine Stimme hatte wieder diesen warmen Ton angeschlagen. Als sich seine Arme um mich schlangen, konnte ich mich entspannen.
„Zumal Edward dir so wahnsinnig ähnlich sieht und ich ihn schon deswegen nicht enttäuschen will.“ diese Worte kamen einfach so aus meinem Mund ohne darüber nachgedacht zu haben. Dafür erntete ich eine hochgezogene Augenbraue.
„Mi sol, du enttäuschst hier niemanden! Ich war nur einfach wütend, weil du einfach getan hast, was du wolltest. Ich mag es nun mal nicht, wenn man meine Anweisungen einfach übergeht, ohne mich entsprechend aufzuklären.“ Darauf könnte ich auch noch eine bissige Antwort geben! Wollte ich das? Nein… dieser Mann brauchte, genau wie ich auch, noch ein wenig Unterricht. Wir würden weiter in diese Elternrolle hineinwachsen. Gemeinsam.
Ich komme leider um Kompromisse nicht drumherum, weil es alleine von unserem Stand her nicht anders möglich war. Doch das musste mich ja nicht davon abhalten, im privaten Rahmen meinen Sohn zu erziehen, wie ich es für richtig hielt, oder?
„Lass uns hineingehen, du frierst und bist eiskalt, mi sol.“ flüsterte Haytham an meinem Scheitel, während er mich auf die Terrasse zuschob, in den Wintergarten. Dort saß schon vor dem Kamin Edward und sah uns erwartungsvoll an.
„Papa!“ kam es freudestrahlend und er verlangte, auf den Arm genommen zu werden. Und dann kam ein „Fater“ … ich schrieb es ja schon, so ohne Schneidezähne war ein perfektes „TH“ kaum möglich, er versuchte es dennoch. Man sah, dass auch mein Gatte diesen Versuch honorierte.
Dieses Idyll hielt nicht lange, da wurde uns Mr. Hathaway angekündigt.
„Wer ist das?“ fragte mein Mann erstaunt und stand auf.
„Das wollte ich dir seit heute Mittag schon erklären. Das ist der Prediger und Lehrer hier auf unserer Plantage!“ grinste ich triumphierend und wir gingen in Haythams Arbeitszimmer wo der Herr wartete.
Doch zu meinem Erstaunen saß dort auch noch eine Frau, ich schätzte sie ebenso alt wie den Prediger, hochgeschlossene Bluse und hochgebundene Haare. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen sie sieht wie eine dieser Quäkerfrauen aus, welche ich aus Dokumentationen noch kannte.
Mr. Hathaway war also verheiratet, auch seine Gattin unterrichtete hier. In ihrer letzten Anstellung als Gouvernante eines Händlerpaares in Pittsburgh war das nicht gerne gesehen und man hatte sie einige Male ermahnt! Mrs. Hathaway kündigte daraufhin und die beiden suchten sich einen anderen Ort, wo ihre Dienste dringender gebraucht wurden. Über einen Pächter, welcher vor knapp 2 Jahren hierhergezogen war mit seiner Familie, erfuhren sie, dass es hier mit dem Seelenheil noch nicht so gut bestellt ist. Mr. Robinson hatte dann kurzfristig um ein Gespräch mit den Hathaways gebeten um sich ein eigenes Bild zu machen. Da wirklich noch kein Geistlicher vor Ort war, wurden sie kurzerhand gebeten zu bleiben.
Den Unterricht teilten sich die beiden gerecht auf, da Mrs. Hathaway in den naturwissenschaftlichen und hauswirtschaftlichen Fächern besser war, übernahm sie diesen Bereich. Ihr Gatte hatte sich der Mathematik verschrieben, der Geschichte und des eigentlichen Religionsunterrichts. Was die Sprachen anbelangt, so übernahmen sie beide diese Stunden.
„Uns fehlte tatsächlich noch jemand, der Sonntags eine Andacht halten könnte. Ich weiß, dass einige meiner Arbeiter und Pächter gerne ihren Glauben auch ausleben wollen. Es freut mich, dass ihr nun hier in unserer Mitte seid. Ich heiße euch noch einmal ganz herzlich willkommen.“ in Haythams Stimme klang eine wahre Freude mit. Ich vermutete einfach, dass auch er Gottesdienste oder ähnliches vermisste. Auch wenn er das nie zugeben würde!
„Master Kenway, es ist mir eine Ehre hier sein zu dürfen. Und das Versammlungshaus ist eine wahre Pracht geworden. Wenn ich es manchmal betrachte, dann beschämt es mich, so ein wundervolles großes Haus zur Verfügung gestellt zu bekommen.“ Unser Prediger war also ein bescheidener Mann genau wie seine Frau, wie es ihnen ihr Glauben auch vorgab.
„Ich hoffe aber, ihr habt alles, was es für den Unterricht braucht?“ fragte ich jetzt, weil sicherlich Bücher von Nöten sein könnten. Bei der Beschaffung wäre ich gerne behilflich.
„Ja, wir haben alles. Die meisten Kinder sind jetzt noch in einem Alter unter 10 Jahren, was mich freut, da ich sie so gemeinsam unterrichten kann. Somit braucht es nicht für alle Altersgruppen extra Bücher. Und die Schüler haben kleine Schiefertafeln von einem Steinmetz bekommen.“ Ein Steinmetz? Wir hatten so etwas hier?
Auf meine Frage, wo dieser Herr denn wohnen würde, erklärte mir Haytham, dass er nicht auf der Plantage direkt leben würde. Er hatte sein Geschäft in der Nähe von Richmond, von wo aus er arbeitete.
Fürs erste konnten wir die Eheleute aber verabschieden und Haytham sprach noch einmal aus, dass er sich auf die morgige Andacht freute!
Es war Samstag heute, wenn mich nicht alles täuschte, also würde ich morgen meinen ersten Gottesdienst mit meiner Familie antreten?
„Wir werden eine richtige kleine Gemeinde, mi amor! Das ist wieder einmal ein seltsamer Moment für mich, weil ich das ganze mitbegründe.“ ein wohliges Kribbeln durchströmte mich, als ich unserem Prediger noch hinterher sah, wie er mit seiner Frau davonfuhr. Leider waren sie kinderlos geblieben, hatten wir noch erfahren. Aber wirklich betrübt schienen die beiden nicht darüber zu sein.
Es war mittlerweile Zeit für das Abendessen und da morgen dieser „Kirchgang“ anstand, sollte Edward noch baden. Kaum dass ich sein Bad geordert hatte, quietschte er und hielt natürlich beim Essen nicht mehr still.
„Master Edward, haltet einen Moment still, sonst verschluckt ihr euch wieder!“ sprach Sybill etwas lauter.
„Bad… Mama auch!“ und sein Blick ging in freudiger Erwartung in meine Richtung!
„Ja, ich komme auch mit, min lille skat. Vielleicht können wir deinen Vater…“ doch er schüttelte den Kopf. Haytham erklärte, wir würden das ein andern mal nachholen. „Hast du noch etwas zu erledigen?“ fragte ich etwas enttäuscht, weil ich befürchtete, dass er immer noch sauer war.
„Nein, das nicht, aber ihr solltet diese Zeit heute für euch haben. Gerade weil Edward so lange keine Wanne mehr gesehen hat, solltest du das übernehmen, mi sol.“ und ich bekam einen vorsichtigen Kuss.
Unten in der Waschküche roch es herrlich blumig und ich zog meinen Sohn schon einmal aus, dann ließ ich meinen Morgenrock auch fallen und wir stiegen gemeinsam in die Wanne.
Edward hatte ein Pferd, ein Nilpferd und eine Schlange mit ins Wasser genommen und begann nun damit zu spielen.
Für einen kurzen Moment lehnte ich mich an den Rand zurück und genoss die Wärme des Wassers und schloss die Augen.
„Mama, was das?“ lispelte er auf Deutsch und deutete auf meine Brust. Das hatte ich ja ganz vergessen! Das Piercing!
„Mama hat neuen Schmuck, aber nur du und dein Vater können ihn sehen. Das ist nämlich ganz geheim.“ verschwörerisch hielt ich mir einen Finger an die Lippen. Edward tat es mir kichernd gleich.
Ich begann den kleinen Wonneproppen nun einzuseifen, seine Haare hatten es vor allem nötig fiel mir auf. Aber zum ersten Mal fand er Wasser über dem Kopf gar nicht gut. Er begann zu kreischen, als ich den Schaum ausspülen wollte. Es war wie unter der Dusche damals in meinem alten Zuhause!
Natürlich erschien in Sekundenschnelle Haytham und eine der Wachen mit Pistole im Anschlag hier unten. Beide sahen sich hektisch um, wobei sich die Wache mit hochrotem Kopf von dem Szenario in der Wanne abwandte. „Was…“ keuchte mein Templer atemlos.
„Nichts, Edward mag nur kein Wasser wie es scheint.“ seufzte ich resigniert, machte aber in meinem Tun weiter, weil der Schaum ja nun einmal ausgewaschen werden musste!
In seiner Wut schlug mein Sohn um sich und wehrte sich nach Leibeskräften. Haytham kam mir zu Hilfe und ermahnte ihn, sich nicht so anzustellen. Er solle ja schließlich sauber werden.
„Nein…will nicht…“ kreischte dieser Dreikäsehoch und zappelte weiter. Dann griff mein Mann nach seinen Armen und hielt sie fest.
„Ich sagte, halt still, Edward. Es ist nur Wasser!“ ermahnte Haytham seinen Sohn erneut und dieses Mal zeigte es Wirkung. Schniefend mit gesenktem Kopf stand Edward jetzt in der Wanne und ließ das Prozedere über sich ergehen. Ja, ich weiß. Es klingt so wahnsinnig brutal, aber auch Yannick musste damals dadurch. Ich war für Haythams Hilfe gerade dankbar. Die Wache hatte sich zwischenzeitlich wieder nach oben begeben.
Anschließend hob mein Templer den sauberen Nachwuchs aus der Wanne, setzte ihn auf die kleine Kommode, wickelte ihn in ein dickes Handtuch und erzählte ihm von morgen, dass wir in die Kirche gingen. Auch bekam Edward eine kleine Erklärung, dass man dort zu Gott betete.
„Idun auch?“ kam es freudestrahlend, dabei begannen seine Augen zu leuchten.
„Nein, mein Sohn. Dort gibt es einen anderen Gott.“ in diesem Moment graute mir davor, dass Edward sich dort nicht wohlfühlen könnte. Traurig sah er nun zu mir.
„Min lille skat, dein Vater glaubt an diesen Gott. Wir sollten ihn begleiten, weil auch er immer an unserer Seite ist, wenn du zum Beispiel mit Mutter Idun sprichst!“ versuchte ich eine Begründung zu finden und hoffte, dass es dann während der Andacht nicht allzu schlimm werden würde.
„Sisi mit kommt?“ in diesem Moment hatte er mal wieder ein Kauderwelsch auf den Lippen gehabt, was mich lachen ließ.
„Ja, Mrs. Wallace wird uns begleiten. Jemand muss ja auf dich kleinen Rabauken aufpassen!“ meinte Haytham und hob ihn mit Schwung hoch. „Nun bist du trocken genug!“ Die beiden gingen schon einmal vor. Ich trocknete mich noch ab, dann folgte ich ihnen nach oben kurz darauf.
Magda half mir in mein Nachthemd und bei meinen Haaren, anschließend ging ich zu Edwards Zimmer. Dort fand ich meine Männer spielend auf dem Bett vor.
„Jetzt doch nicht mehr spielen, es ist Zeit zum Schlafen, min lille skat!“ maßregelte ich die beiden etwas säuerlich, weil Edward ziemlich aufgeregt schien.
„Keine Sorge, mi sol. Wir verhalten uns ganz ruhig.“ grinste Haytham mich an. Eigentlich fehlte nur noch die herausgestreckte Zunge!
Langsam kehrte dann aber Ruhe ein, weil unser Sohn wirklich müde war und spätestens bei seinem Lied war er schon eingeschlafen.
Zurück in unserem Schlafzimmer, ließ ich meinen Morgenrock einfach fallen, schnippste die Pantoffeln von den Füßen und ließ mich aufs Bett fallen!
„Du riechst gut, mi sol.“ hörte ich Haythams Stimme leise an meinem Ohr, seine Finger wanderten an meinem Hals nach unten zu meinen Brüsten bis sie mein Piercing vorsichtig berührten.
„Hmmm… Edward ist dieser Schmuck aufgefallen, ich habe ihm gesagt, dass ist ein Geheimnis, was nur er und sein Vater kennen.“ jetzt war ich diejenige, die dabei kichern musste.
„Ohhhh, ein Familiengeheimnis, wie aufregend!“ langsam folgten seinen Fingern auch seine Lippen und waren in kürzester Zeit zwischen meinen Schenkeln. „Und dieses Geheimnis, bleibt unseres alleine, mi sol!“ hauchte er, als er begann den Elfenbeinstab mit der Zunge zu umkreisen. Haytham hatte schnell erkannt, wie er mich zur Raserei bringen konnte mit diesem Piercing und er genoss diese Momente jedes mal! Sie waren mal wieder zu selten auf der Jackdaw gewesen, aber wir hätten jetzt wieder genügend Gelegenheiten!
Ich bog ihm stöhnend mein Becken entgegen und klammerte mich in seine Haare!
Kurz bevor ich jedoch ganz die Beherrschung verlor, hörte er abrupt mit seiner Behandlung auf.
„Du glaubst doch nicht, dass ich dich so einfach in den Genuss deines Höhepunktes kommen lasse, oder? Arme über den Kopf und bleib so!“ seine Stimme hatte wieder diesen Befehlston angenommen und ich bekam eine Lehrstunde aufgrund meiner Übernachtung gestern bei Edward.
Als er etwas später hinter mir kniete, hörte ich seine Stimme in meinem Kopf. Jedesmal, wenn du dich in Zukunft widersetzt, wirst du weitere Lektionen erhalten, hast du mich verstanden? Alleine bei diesen Worten war ich Wachs in seinen Händen. Wir zerflossen beide sprichwörtlich als er mich mit hinübernahm zu einem lang ersehnten Höhepunkt.
Ich wollte mich aufrichten und aufstehen, um mein Nachthemd überzuziehen, jedoch hielt mich ein brennender Schmerz auf meinen Pobacken davon ab.
„Haytham! Was… wie soll ich denn morgen die ganze Zeit bei der Andacht auf diesen harten Holzbänken sitzen!“ maulte ich wehleidig.
„DAS war Sinn und Zweck, mi sol. So denkst du auch morgen früh noch an deine Verfehlungen!“ sein fieses Grinsen brachte mich in Versuchung, doch noch die Kissen zu nehmen… „Denk nicht einmal daran!“ sein Lachen dabei versöhnte mich ein bisschen.
„Ach verdammt, ich vergesse immer, dass ich weiche Sitzpolster in mein Sortiment aufnehmen wollte. In Frankreich hatte ich einen Herrn kennen gelernt, der mit feiner Wolle handelte. Mist!“ fluchte ich laut vor mich hin. Eine mahnende Hand auf meinem Hintern ließ mich zischend die Luft einsaugen. „Aua… du bist echt fies, weißt du das?“ ich streckte ihm die Zunge raus. Mit einem Satz war er aus dem Bett und hatte mich auf seine Hüfte gehoben.
„Und du provozierst mich, wo du nur kannst. Also passen wir perfekt zusammen!“ sein Atem ging schneller. Ich spürte erfreut, dass er noch einen Nachschlag haben wollte. Er holte ihn sich, in dem er mich einfach an die Tür zum Ankleidezimmer drückte um sein Recht als Ehemann einzufordern.
Bei Odin, ich liebte diese Momente und gelobte Besserung, soweit es mir möglich wäre und mein Gehirn mal kein Sieb wäre.
Angeschmiegt an Haytham lag ich später wohlig seufzend im Bett, während ich auf Geräusche von unserem Sohn lauschte. Als ich nichts hörte, atmete ich erleichtert auf.
„Schlaf jetzt, mi sol. Es wird ein langer Tag morgen. Sieh mich nicht so entsetzt an. Um 9 beginnt die Andacht. Das heißt, wir müssen rechtzeitig aus dem Bett!“ er hatte gut reden, wer hatte mich denn von meinem Schlaf abgehalten, sodass ich zusätzlich morgen nicht sitzen konnte? „Tut mir leid… nein, eigentlich nicht. Du hast es dir redlich verdient, mi sol!“ kicherte er jetzt wirklich?
Ich piekste ihm in die Seite. „Hey, ich brauche nun mal meinen Schlaf. Oder soll ich wie Tod auf Latschen morgen hier herumgeistern, mi amor?“ Dabei fiel mir ein, dass Magda noch gar kein Kleid raus gelegt hatte für die Andacht und mir ging durch den Kopf, dass sie und Michael jetzt sogar dort getraut werden könnten…
Meine Gedanken schwirrten wegen der ganzen neuen Eindrücke und Vorkommnisse, so dass ich irgendwann in einen traumlosen Schlaf driftete.
„Guten morgen, Master Kenway, Mistress Kenway. Das Frühstück ist bereits fertig und eure Kleider liegen auch schon bereit!“ hörte ich die fröhliche Stimme meiner Kammerzofe und sah mich etwas benommen um. Neben mir lag mein Mann und blinzelte ebenso vor sich hin. Unglaublich, da hatte auch er so lange geschlafen.
„Ich wünsche dir auch einen guten Morgen.“ gähnte ich. Gab meinem Mann noch einen Kuss und hörte ein leises „Ich liebe dich, mi sol.“ dafür erhielt er noch einen Kuss.
Nachdem man mich in eines dieser feinen Kleider gesteckt hatte, meine Haare sittsam unter einer Haube, ja ich hasste diese Dinger!, versteckt waren, konnte ich hinunter zu meiner Familie.
Edward saß neben seinem Vater. Es sah aus, als würden die beiden über etwas sehr wichtiges debattieren.
„Guten morgen, Gentlemen. Ich hoffe, ich störe nicht?“ fragte ich amüsiert und gab meinem kleinen Schatz einen dicken Kuss. „Hast du gut geschlafen, min lille skat?“
Er nickte eifrig und kaute dann auf seinem Apfel weiter, welchen er neben seinem üblichen Haferbrei oder den Brötchen morgens aß.
„Mama hübsch“ kam es dieses mal sogar mit dem französischen Wort dafür. Ich lächelte ihn stolz an.
„Danke. Du siehst aber auch sehr gut aus in diesem Anzug, Edward.“ ein Blick auf seinen Vater und ich sah ihn in seinem Sonntagsstaat. Das war das erste Mal, dass er diese Aufmachung trug. Eine Mischung aus Meistertemplermontur und schwarzem Festanzug. Ich wandte meinen Blick ab, weil meine Gedanken schon wieder ganz woanders hin unterwegs waren.
„Dann hast du ja einiges für die Beichte später, mi sol.“ lachte Haytham in seine Teetasse und zog amüsiert eine Augenbraue hoch. Manchmal war dieses Gedankenlesen nicht von Vorteil, dachte ich im Stillen, musste aber auch grinsen. Um Ablenkung bemüht, widmete ich mich meinem Kaffee.
Mit einer Kutsche wurden wir dann zum Versammlungshaus gefahren und immer wieder musste ich mein Gewicht verlagern, weil mir wirklich der Hintern wehtat. Das würde ja gleich noch spaßig werden.
Während der Fahrt fragte ich Sybill, ob es ihr überhaupt Recht sei, dass wir sie mitnahmen.
„Mistress Kenway, selbstverständlich komme ich mit. Ich habe, ehrlich gesagt, die Gottesdienste von damals in New York ein wenig vermisst.“ und wir wussten, sie sprach nicht für Snotra, sie war sie selbst in diesem Moment!
„Dann bin ich ja beruhigt. Mir liegen solche Dinge ja nicht, aber ich bin gespannt, wie Mr. Hathaway seine Predigt hält und was er zu erzählen hat.“ ich war wirklich neugierig. Das letzte Mal hatte ich einen Gottesdienst miterlebt, die Hochzeit der Cormacs mal ausgenommen, da war ich 13 Jahre alt. Und das damals auch nur, weil eine Freundin im Konfirmandenunterricht war und der Meinung war, ich solle mir das einmal ansehen. Ich wäre fast eingeschlafen, wenn ich das sagen darf.
Bei dem neu errichteten Gebäude stand eine Menschentraube auf dem Vorplatz, welche gespannt in unsere Richtung blickte. Wir stiegen aus und man begrüßte uns. Man hoffte, dass wir eine gute Überfahrt hatten, dass alle wohlauf sind und einige Frauen bestaunten die Größe von Edward.
Mr. Hathaway bat dann alle Anwesenden hinein um den Gottesdienst zu beginnen. Wir nahmen in der ersten Reihe Platz. Es war eigentlich wirklich wie eine kleine Kirche aufgebaut, jedoch fehlte die Glocke und die Orgel. Vielleicht würde sich später eine Gelegenheit ergeben, so etwas noch zu ergänzen.
Der Prediger stellte sich vor den kleinen Tisch, welcher als Altar diente und begann mit einem leisen Gebet. Jedermann stand dabei und sah auf die gefalteten Hände vor dem Bauch. Ich verfolgte diese Gesten und tat, was die anderen taten. Edward hingegen stand im Mittelgang mit ein paar anderen Kindern und sah gebannt auf Mr. Hathaway.
Dann durften wir uns setzen und er begrüßte die Kinder, die nun vorgetreten waren. Er bat sie, sich doch auf die kleine Stufe hier zu setzen. So könnten sie das Wort Gottes besser hören, erklärte er noch.
Ich sah Edwards erstauntes Gesicht. Er sah zu der Decke empor, wohin der Geistliche gerade noch gezeigt hatte. Es fehlte nur noch, dass mein Sohn fragte, wo denn dieser Gott sei, er sähe nichts. Genauso fragend sah er nämlich gerade aus!
Während dieser eineinhalb stündigen Andacht verhielten sich durch die Bank weg alle Kinder ruhig, was mich erstaunte, weil sie alle eigentlich sonst sehr lebhaft waren. Ganz zu schweigen von meinem eigenen Sohn, welcher normalerweise schwer zu bändigen ist.
Nach dem „Gottesdienst“, eigentlich war es etwas neutraleres, versammelten wir uns alle noch einmal vor dem Haus und ich unterhielt mich hier und da mit einigen Frauen. Die Kinder konnten wieder losrennen, was sie auch ausnutzten. Leider dachte ich zu spät an Edwards guten Anzug. Doch dann war es schon zu spät, ein Aufjaulen und ein weinender mit Matsch überzogener Sohn kam auf uns zu gelaufen.
„Mamaaaaa… AUA!!“ jammerte er, als er sich an meine Röcke klammerte. Ich kniete mich hin und sah, dass er sich die Handinnenfläche aufgeratscht hatte.
„Wie hast du denn das gemacht, min lille skat?“ ich nahm etwas von dem frisch gefallenen Schnee, rieb ihn auf die Haut, dann tupfte ich mit meinem Taschentuch darüber und band es etwas fest. Zuhause würden wir…
… ein Leuchten umgab Edward plötzlich und im Nu verschwanden die Kratzer! In meiner Panik hatte ich ihn hochgerissen und war ein Stück von der Ansammlung weggelaufen! Ein paar wenige sahen uns noch fragend hinterher. Ich hoffte, dass jetzt nicht gleich ein Exorzist gerufen werden würde.
Sybill stand neben uns und sah säuerlich auf ihren Schützling. Auch Haytham hielt auf uns zu, nachdem er sich verabschiedet hatte.
„Kein Aua… da! Heile…“ und mein Sohn zeigte voller Stolz seine Hand.
„Edward, du kannst doch nicht vor all den anderen Menschen so etwas machen!“ kam es aufgebracht von meinem Mann.
Auch Sybill ließ ihren Unmut über sein Verhalten aus. „Master Edward, ich habe euch mit Mutter Idun erklärt, dass ihr das nie tun dürft. Nur wenn ihr mit euren Eltern alleine seid!“ sie kniete neben ihm. Über seine Wangen liefen Tränen.
„Aber … heile… kein aua!“ wieder zeigte er seine Hand.
„Min lille skat, mach das nicht mehr vor so vielen Menschen. Einige haben vielleicht Angst, wenn sie sehen, wie du strahlst. Niemand weiß doch, dass du das kannst.“ sprach ich leise und beruhigend auf ihn ein.
„Alex macht heile!“ in Edwards Stimme hörte ich Wut mitklingen und die Tonlage war seltsam.
„Dein Neffe macht das aber auch nicht vor fremden Menschen!“ kam es mehr als wütend von Haytham und er hob ihn auf den Arm. „Wir werden jetzt nach Hause fahren und…“
Mein Kind, mach dir keine Sorgen. Niemand hat wirklich davon Notiz genommen. Ihr könnt beruhigt sein. Friggs Stimme ließ mich aufatmen. Aber nur für einen kurzen Moment, dann hörte ich Odins donnernde Stimme.
Euer Sohn muss dringend lernen, seine Fähigkeiten zu beherrschen! Nehmt das nicht auf die leichte Schulter! Wir werden unser Bestes geben, versprach ich im Stillen.
Wieder daheim, brauchte ich etwas zu trinken auf diesen Schrecken, während sich Edward auf seine Spielsachen vor dem Kamin warf.
„Wir haben im Grunde das gleiche Problem, was auch Yannick und Melissa mit unserem Enkel haben!“ sagte ich gedankenverloren, während ich unseren spielenden Sohn ansah.
„Dann sollten wir noch mehr als sonst ein Auge auf Edward haben!“ auch mein Mann klang etwas nachdenklich. Nach einer Weile sah er mich traurig an. „Wir müssen daran arbeiten! Ich will nicht, dass Edward wie in Gefangenschaft aufwachsen muss.“ die letzten Worte waren, auch wenn nicht direkt benannt, an meinen Piraten gerichtet.
Zuerst tauchte eine leicht neblige Silhouette auf, so als hätte sie Angst, sich zu zeigen. Doch dann trat Edward Senior ins Zimmer und erfüllte den Raum mit seiner Präsenz. Zum ersten Mal sah ich, dass er sogar seinen Sohn in den Schatten stellte. Er trat als der Gott auf, der er war. Heimdall. Wenn auch nicht in dessen Gestalt.
„Wir haben einen langen Weg vor uns, das war ja allen bewusst nehme ich an! Also werden wir diesen kleinen Knirps jetzt allesamt unter unsere Fittiche nehmen! Du Alex, wirst ihn lehren, seine Zeichen auf der Haut zu kontrollieren. Sie sind wichtig, wenn ihr eure Heilungskräfte nutzt! Haytham, DU wirst ihm sein ungezügeltes Verhalten austreiben… ALEX! Es ist wichtig, sieh mich nicht an, als würde ich meinen Enkel gerade dem Teufel anvertrauen!“
Es dauerte eine Weile, bis wir eine klare Linie gefunden hatten und uns entsprechend einrichten konnten. Jeder hatte einen kleinen Part in der Erziehung, der Aufsicht und der Bildung bei klein Edward.
„Und was wird dann, wenn Edward noch seine Schwester an die Seite bekommt?“ fragte ich einfach frei raus, weil mir Iduns Worte wieder in den Sinn kamen.
In das von wirren sandfarbenen Strähnen umgebene Gesicht Edward Seniors, trat ein wissendes Grinsen. „Glaub mir, mein Enkel hier wird sich seiner kleinen Schwester schon annehmen! Und jetzt entschuldigt mich, wir haben zwei Geburtstage vorzubereiten!“ mit einem breiten Grinsen auf seinen Sohn und seinen Enkel, verschwand Edward wieder in diesem Nebel.
Die Geburtstage! Morgen war der 4. Dezember! Ich brachte nur ein langgezogenes „Haaaaaaaaaa…“ heraus und rannte in die Küche, ich musste die Torte in Auftrag geben, das Essen besprechen! Alles andere war gerade egal!
Tabea sah mich erschrocken an, als ich hereinstürmte. „Mistress Kenway, ist etwas passiert? Habe ich etwas vergessen?“ ihre Stimme zitterte, aber als ich von den Geburtstagen berichtete, sah sie mich grinsend an.
„Wir haben schon daran gedacht, Mistress Kenway! Wir hatten alle gehofft, dass ihr es rechtzeitig zurück schafft, somit passt unsere Planung. Wir haben das Lieblingsessen von Master Kenway und Master Edward bekommt einen eigenen Kuchen!“ erleichtert ausatmend, ließ ich mich auf die Bank am Arbeitstisch plumpsen.
„Danke, Mrs. Wallace hatte recht, ihr vertretet sie wirklich mehr als würdig!“
Im Wintergarten hörte ich Haytham, wie er noch einmal seinem Sohn ins Gewissen redete und ihm zeigte, wie man eine Ordnung in sein Spielzeug brachte. Kopfschüttelnd sah ich ihnen zu, weil es einfach ein Widerspruch in sich war. Edward fand keinen Gefallen in Disziplin und Ordnung, Haytham hingegen kannte nichts anderes. Im Grunde waren die Konflikte schon vorprogrammiert und ich seufzte tief.
Siedendheiß fiel mir ein, dass wir ja noch gar nicht auf der von Lucius gekauften Plantage „gegenüber“ von unserer Ankunft berichtet hatten. War Faith vielleicht schon da? Aber… ich konnte immer noch keine Verbindung zu ihr aufbauen, was mich wieder stutzig machte, aber auch unendlich traurig. Es war, als wäre ich im Stich gelassen worden.
„Mi sol, alles in Ordnung?“ hörte ich plötzlich die Stimme meines Mannes neben mir.
„Nein, ich musste gerade an Faith denken. Sie fehlt mir, aber es ist nicht dieses Verlangen nach ihr, sondern einfach dieses Gefühl, dass mir ein Stück meiner selbst herausgerissen wurde… Es tut weh, Haytham!“ und zum ersten Mal spürte ich diesen Schmerz!
Es tat wirklich weh, aber ich fand keinen Weg zu meiner Schwester. Ich tappte im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln!
„Ich werde einen Boten zur Plantage schicken! Vielleicht wissen sie dort schon mehr und Dimitri sollte noch vorstellig werden, wegen der neuen Geschäfte.“ sprach Haytham leise und ich nickte ihm dankbar zu.
„Vielleicht solltest du sie auch gleich für morgen einladen, mi amor.“ es wäre doch schön, wenn ein wenig Besuch zum Geburtstag erschien.
„Eine gute Idee!“ hörte ich Haytham noch im Hinausgehen sagen.
Ich setzte mich nun zu meinem Sohn, welcher von Sybill neu eingekleidet worden war. „Opa kommt Besuch?“ fragte er mich grinsend. Ich ging davon aus, dass sich mein Pirat sicherlich morgen blicken lassen würde, genauso wie meine Schwiegermutter.
„Ganz bestimmt! Du wirst doch schon ein Jahr alt, min lille skat! Freust du dich schon?“ mit einem eifrigen Nicken widmete er sich dem Bären, welcher jetzt über die Schlange herfiel. Dabei grummelte er wie der Angreifer. Ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen. Seine doch noch recht hohe Stimme dabei war einfach niedlich.
„Wie ich sehe, haben die Tiere auch schon wieder Hunger.“ hörte ich Haytham neben uns.
„Ich glaube nicht nur die.“ sagte ich, als ich ein Knurren aus der Magengegend unseres Sohnes vernahm.
Das Mittagessen war bereits fertig. Es roch lecker nach gebratenem Fleisch.
Während des Essens erzählte mein Mann mir von einem Schreiben, welches er gestern erhalten hatte. Deswegen war er auch nicht mit hinunter zum Baden gekommen. Darin ging es um die Hundezucht eines unserer Nachbarn. Sie hatten wieder Nachwuchs zu verzeichnen und fragten an, ob wir uns nicht alsbald einen Wachhund zulegen wollten.
„Was sind das denn für Hunde?“ fragte ich, weil ich im Grunde nichts mit diesen Tieren anfangen konnte.
"Dieses Mal haben sie einen Wurf Bluthunde bekommen. So einen hatte mein Vater damals auch, erinnerst du dich an Thatch?“ fragend sah mich Haytham an.
„Oh ja. Euer Wachhund hatte den Namen von Blackbeard erhalten. Ist das eigentlich eine friedliche Rasse? Ich kenne mich da überhaupt nicht aus, mi amor.“ Als hätte er auf so eine Frage gewartet, begann er zu erzählen.
Der kleine Unterricht ging eine Weile über das Essen noch hinaus. Wir wurden uns dann einig, dass wir am Mittwoch zu den Bassiters fahren werden, um uns die Tiere einmal anzusehen.
„Hund haben will!“ voller Erwartung sah Edward zu seinem Vater.
„Vielleicht, mein Sohn. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir bald eine oder zwei weitere Wachen haben werden.“ grinste Haytham und freute sich ebenfalls, wie sein Sohn darauf!
Unsere Wachen hatten wir hier übrigens gut unterbringen können. Sie fielen mir schon gar nicht mehr wirklich auf. Sie gehörten zu unserem Alltag.
Wir erhielten am Abend dann die Nachricht, dass unser russischer Geschäftspartner mit Frau und Kindern sich freue, morgen zum Geburtstag zu kommen. Ich besprach mit Tabea noch das Essen für den morgigen Abend, außerdem planten wir eine Übernachtung ein, man weiß ja nie.
Als Edward dann endlich schlief, ging ich hinunter in den Salon. Haytham stand mit nachdenklichem Blick am Fenster. Ich stellte mich hinter ihn und schlang meine Arme um ihn.
„Ist alles in Ordnung?“ fragte ich leise an seinen Rücken gelehnt.
Seine Hände nahmen meine und er drehte sich seufzend zu mir um.
„Ja, keine Sorge. Ich kann es nur nicht fassen, dass unser Sohn jetzt schon ein Jahr alt wird. Es kommt mir noch wie gestern vor, als du dort in der Tür standest und mir fast das Hemd vom Leib gerissen hast.“ sein warmes Lächeln dabei, ließ mich auch wieder an diese Momente denken.
„Oh, ich kann mich sehr gut erinnern, mi amor. Und… ich habe mich nie für meine Flüche entschuldigt.“ nuschelte ich leise an seiner Brust.
„Das kannst du ja immer noch nachholen. Ich stehe dir jederzeit zur Verfügung, mi sol.“ seine Lippen schmeckten nach Whiskey und nach mehr.
Doch leider wurden wir unterbrochen von einem aufgebrachten Mr. Robinson, welcher ins Zimmer stürmte.
„Sir, Master Kenway! Es geistern schon wieder irgendwelche Banditen hier herum! Sie haben vor einer halben Stunde ein Lagerhaus in Brand gesteckt und haben einen unserer Vorarbeiter kaltblütig erschossen. Ihr müsst dringend mitkommen!“ völlig außer Atem stand er vor uns, aber Haytham eilte schon zum Eingang. Michael war mit Waffen und Mantel zur Stelle, sodass die beiden Männer gleich los konnten.
„Pass auf dich auf, Haytham!“ rief ich noch hinterher. Aber in meinem Magen breitete sich ein mulmiges Gefühl aus. Die Nacht vor Haythams 10. Geburtstag kam mir ins Gedächtnis und in mir stieg Panik auf! Ich sah schon, wie sich diese Geschichte wiederholen würde! Instinktiv ließ ich alle verfügbaren Wachen in Alarmbereitschaft versetzen und ging mit meinem persönlichen Schutz hinauf zu Edward!
„Wartet bitte hier, ich gehe in den Keller und hole meine Waffen!“ befahl ich. Sybill war ebenfalls schon bei ihrem Schützling.
Mit Magda zusammen holte ich meine Waffen. Als wir wieder oben ankamen, wartete auch Michael schon dort.
Die Wachen hatten ihren Patrouillenplan auch für draußen noch ausgeweitet. Ich brauchte sie nicht zu organisieren, sie waren tatsächlich sehr gut ausgebildet.
Wir saßen hier in der Hoffnung, dass sich niemand Zutritt verschaffen wollte. Vor allem betete ich, dass meinem Mann nichts passierte! Durch den Trubel war unser Sohn natürlich wach geworden und sah sich ängstlich um.
„Böser Hima hier?“ jammernd klammerte er sich an mich.
„Nein, min lille skat. Der ist nicht hier, dafür sorgen wir schon. Hab keine Angst, dir passiert schon nichts.“ sprach ich leise und drückte ihn an mich.
Plötzlich hörten wir unten ein lautes Klirren und Poltern. Laute Stimmen drangen zu uns herauf, ebenso waren Kampfgeräusche zu vernehmen!
„Ihr bleibt hier, Mistress Kenway!“ kam es von meiner Wache. Als er gegangen war, stand ich auf um hinterher zu gehen. Ich konnte nicht so tatenlos hier herumsitzen.
Leider wussten wir nicht, wie viele Banditen sich hier herumtrieben.
Auf dem Treppenabsatz blieb ich abrupt stehen. Unten auf der linken Seite sah ich ein Flackern, welches durch die geöffnete Tür zum Arbeitszimmer von Haytham kam! Ich schrie so laut ich konnte „FEUER!“ dann rannte ich in Richtung Küche, damit wir Wasser organisiert bekamen.
Mittlerweile waren alle Angestellten auf den Beinen und halfen nach Leibeskräften mit, das Feuer einzudämmen. Noch war es nur an der Fensterfront zur Seite am Zündeln, trotzdem griff es recht schnell um sich, weil hier alles aus Holz war.
In meiner Panik riss ich einen noch unversehrten Vorhang herunter. Damit versuchte ich die Flammen auszuschlagen. Die Rauchentwicklung war schon nicht zu verachten und ich sah, wie das Feuer sich nach links auf die große Bücherwand ausweitete. Ich hustete in einer Tour, meine Augen brannten, aber das war egal.
Ich registrierte weder Wachen, noch Angestellte oder sonst irgend jemanden.
Nach einer gefühlten Ewigkeit konnten wir Entwarnung geben, es glühte nichts mehr, keine kleineren Schwelbrände waren mehr zu sehen. Aber das Arbeitszimmer meines Mannes war eine Ruine. Ich stand mitten in diesem Chaos und starrte auf die Asche vor mir!
Der Schreibtisch war geborsten, der Fußboden war bis Mitte des Raumes vorerst nicht mehr zu betreten, die Fenster waren völlig zerstört, genauso wie die beiden großen Regale auf der linken Seite.
Es war Odin sei Dank niemand ernsthaft zu Schaden gekommen, hörte ich Tabea und eines der Mädchen neben mir. Ich ging in die Eingangshalle und ließ mich auf der Treppe nieder.
Langsam setzte mein Verstand wieder ein und ich sah mich auch hier um. Einer unserer Wachleute lag erstochen auf dem Boden. Vor dem Salon hing einer der Einbrecher schief an die Wand gelehnt mit einem feinen Loch in der Stirn. Vor der Eingangstür, welche offen stand lag bäuchlings einer seiner Kumpane mit einem Dolch im Rücken.
Wie aufgezogen rannte ich die Treppe hoch! Mein SOHN! Als ich die Tür zu seinem Zimmer aufriss, saß er mit seinem Kindermädchen in der hinteren Ecke und klammerte sich weinend an sie.
Ich nahm ihn auf meinen Arm und ließ mich neben Sybill auf die Knie nieder.
„Angst… Mama… Angst!“ jammerte Edward an meiner Brust. Ich strich ihm immer wieder beruhigend über den Rücken.
„Shhhhh, min lille skat. Es ist vorbei! Du brauchst keine Angst mehr zu haben!“ meine Worte kamen stockend über meine Lippen, weil ich immer noch von Hustenattacken geplagt wurde.
„Papa?“ schniefend sah er mich aus rot geweinten Augen an.
„Papa kommt gleich wieder. Er verjagt die bösen Männer mit Mr. Robinson, damit sie nie wieder kommen!“ ich klang so zuversichtlich, dass es mir selber Angst machte. Ich hatte nämlich keine Ahnung, WO mein Mann gerade war, geschweige denn wusste ich wie es ihm ging.
Ich sah zu Mrs. Wallace, welche nun ihren Schützling wieder auf den Arm nahm. Ich konzentrierte mich auf Haytham, ich suchte ihn … fand ihn aber nicht!
Wo bist du, mi amor? Fragte ich im Stillen und konzentrierte mich weiter auf ihn! Dann endlich sah ich einen Kampf! Ich konnte durch seine Augen sehen!
Er musste sich gegen vier Banditen verteidigen. Neben ihm kämpften die Wachen gegen weitere Schurken. Ich konnte spüren, dass er nicht ernsthaft verletzt war. Was jedoch noch seltsamer war, dass ich Tyr fühlen konnte, wie er ihm Unterstützung gab. Es war wie bei mir und Edward damals auf der Brig!
Etwas erleichterter ließ ich von ihnen ab, damit ich meinen Sohn beruhigen konnte.
„Papa kämpft gerade gegen diese Männer! Aber er ist nicht alleine dabei, Edward.“ lächelte ich ihn an.
„Papa mutig!“ bei diesen Worten richtete er sich stolz auf und tapste auf mich zu. „Ich auch, Mama!“ er wollte doch tatsächlich an mir vorbei aus seinem Zimmer laufen! Ich konnte ihn gerade noch aufhalten, bevor er die Leichen unten im Eingangsbereich zu Gesicht bekam.
„Ihr bleibt hier, Master Edward!“ hörte ich plötzlich die strenge Stimme von Sybill. Wie angewurzelt blieb er stehen und funkelte sein Kindermädchen zornig an.
„Papa helfen!“ wieder wollte er sich losreißen!
Bei Odin, was für ein störrisches Kind! „Nein, Edward. Du bleibst hier!“ ich hatte ihn mittlerweile fest im Arm, aber er wehrte sich nach Leibeskräften.
„Nein… will zu Papa!“ schrie er immer aufgebrachter. Aber mit einem Male starrte er wie durch mich hindurch und sein Mund klappte auf.
Ich sah in die Richtung, wohin er blickte. Dort stand Thor! Mit einem lauten Knall fiel die Tür zum Zimmer ins Schloss, wie durch Zauberhand und der Gott baute sich davor auf.
„Nein, Edward! Deine Zeit ist noch lange nicht gekommen! Erst wenn ich es für richtig erachte, wirst du das Kämpfen lernen!“ auch er hatte eine ähnlich donnernde Stimme, wie zweideutig gerade bei Thor, wie der Allvater, welcher sich auch gleich zu Wort meldete.
„Du kannst aber eines tun! Wenn dein Vater wieder daheim ist, kannst du mit Mutter Idun deine Heilungsfähigkeiten üben!“
Es fehlte nur noch, dass es Puff machte, als die beiden wieder verschwanden!
Zurück blieb ein Kleinkind, welches jetzt mich und Sybill anstarrte, mit einem Male aber anfing zu grinsen!
„Ich mach Papa heile!“ kam es stolz. Mir kamen die Tränen, weil er es anscheinend verstanden hatte! Etwas erleichterter atmete ich durch und drückte meinen Sohn wieder an mich.
„Ja, das wirst du, min lille skat!“ flüsterte ich leise. Inständig hoffte ich, dass mein Mann keine schweren Verletzungen davon tragen würde.
Mittlerweile waren einige der Arbeiter und Pächter mit ihren Familien hier angekommen und hatten begonnen, die Toten zu begraben. Also konnte ich mit Sybill, meiner Wache und Edward wieder hinunter.
Keine Spur mehr von den Dieben und als ich auf der Veranda stand, eilte mir Mildred mit ihren Kindern entgegen.
„Mistress Kenway, was für ein Empfang für euch, wie? Aber seid unbesorgt, wir konnten auch bei den Lagern die Feuer unter Kontrolle bringen. Es gibt nur kleinere Verluste, wie mein Mann meinte. Jedoch werdet ihr erst in den nächsten Tagen wirklich Gewissheit haben. Außerdem gibt es 5 Tote zu beklagen. Darunter auch einer der Vorarbeiter.“ sie bekreuzigte sich, dabei legte sie schützend ihre Arme um ihre Kinder.
„Danke Mildred, für den kleinen Bericht. Ich hoffe, dass so etwas nicht noch einmal passiert.“ ich hoffte es wirklich.
Mir ging allerdings durch den Kopf, ob es tatsächlich nur einfache Diebe waren, oder ob sie gezielt hier gesucht hatten. Schließlich lagerte ich ein größere Menge an illegalen Waren hier. Auch waren einige Artefakte in meinem Besitz!
Ich fragte einen Wächter, ob er etwas in den Taschen der Banditen gefunden hätte, doch er verneinte. Nur das Übliche wie einen Krusten Brot, Faden und eben Munition. Eines wäre aber seltsam, ihm war die schlechte Bewaffnung nicht entgangen.
„Mistress Kenway, diese Pistolen sind uralt und im Grunde ist es verwunderlich, dass sie beim Angucken nicht gleich auseinander gefallen sind. Das waren sicherlich nur irgendwelche arbeitslosen Schlucker.“
Seine Kollegen durchsuchten jetzt noch das Haus, die Nebengebäude und vor allem den Garten. Beruhigt konnten wir dann aber aufatmen, niemand war mehr aufzufinden.
Edward war die ganze Zeit nicht von meiner Seite gewichen. Plötzlich stieß er einen lauten Freudenschrei aus, als er seinen Vater sah, wie er gestützt auf zwei Wachen auf die Veranda zu humpelte.
Seine Hosen waren am Oberschenkel und an den Knien aufgerissen und ich sah einen tiefen Schnitt in seiner Haut klaffen! Außerdem waren seine Lippen aufgesprungen und seine Wange war geschwollen!
Unser Sohn stürmte einfach auf ihn los und klammerte sich weinend an ihn.
„Edward, lass mich erst einmal hereinkommen.“ kam es keuchend von Haytham. Mit vereinten Kräften brachten wir ihn in den Salon, wo ein Diener schon das Feuer wieder geschürt hatte.
Wir hatten gerade keinen richtigen Arzt zur Hand, also musste der improvisierte Feldlazarett-Helfer einspringen, welchen man bereits informiert hatte. Seine Familie hatte sich letztes Jahr hier mit niedergelassen. Er plante ein Studium anzutreten, aber erst, wenn er genügend Geld dafür beisammen hatte.
Klein Kenway stand neben seinem Vater, welcher auf dem Sofa lag und legte ihm einen nassen Lappen auf die Stirn, den ich ihm gegeben hatte. Bevor ich aber reagieren konnte, legte er schon seine Hand auf Haythams Brust und seine Haut überzog sich mit diesen Zeichen!
Hinter mir hörte ich ein erschrockenes Aufkeuchen! Es waren drei der Diener und ich musste schnell handeln, ehe sie diesen Moment weitergeben konnten. Ich wischte diesen Moment aus den wirren Gängen ihrer Gedanken, brachte stattdessen eine fürsorgliche Ehefrau hinein, die sich um ihren Gatten kümmerte! Während ich diese Erinnerung schuf, führte ich die Herren hier heraus ehe ich die Tür schloss. Ich hoffte, es würde reichen!
„Edward, hatten wir dir nicht gesagt, dass du das vor Fremden nicht tun sollst?“ tadelte Mrs. Wallace ihren Schützling, welcher sich aber nicht beirren ließ.
Mittlerweile war er neben seinen Vater auf das Sofa geklettert und lag mit dem Kopf auf dessen Brust. Haytham hingegen hatte die Augen geschlossen, ob er bewusstlos war konnte ich nicht beurteilen.
Die Wachen wussten über diese Fähigkeiten Bescheid, genau wie Magda und Michael eingeweiht waren. Der Kammerdiener meines Mannes hatte saubere Wäsche hergebracht, während die Küchenmädchen heißes Wasser und saubere Tücher gebracht hatten.
Der Lazaretthelfer, sein Name war Thomas Blankman, trat nun herein und bat uns, ihm Platz zu machen. Odin sei Dank hatte das Leuchten um unseren Sohn aufgehört. Schlafend lag er an der Seite seines Vaters. Vorsichtig hob ich ihn hoch und ging dann mit Sybill hinauf. „Papa gesund… wieder heile.“ nuschelte Edward schläfrig an meiner Schulter.
„Das hast du gut gemacht, min lille skat. Du solltest dich jetzt ausruhen.“ ich legte ihn in sein Bett und gab ihm noch einen Kuss.
„Hab Mama lieb…“ es war mehr ein Gähnen zu hören, aber ich sah ihn mit Tränen in den Augen an. Edward hatte sich völlig verausgabt. Ich überließ ihn jetzt seinem Kindermädchen, welche mich aufmunternd anlächelte.
„Seine Kräfte sind größer als ihr denkt, Alex. Er ist nur etwas müde, macht euch keine Sorgen! Geht jetzt zu eurem Mann, er braucht euch dringender!“ ich dankte ihr noch einmal.
Im Salon bot sich mir ein erschreckendes Bild, auf dem Boden vor dem Sofa lagen blutige Tücher. Ich sah einen hektisch arbeitenden Thomas über meinem Mann.
Edward hatte zwar schon gute Vorarbeit geleistet, aber sie reichte bei Weitem noch nicht aus, weswegen auch die Wunde noch blutete.
„Langsam hört es auf. Drückt dieses Tuch noch darauf, ich muss die Nadel saubermachen!“ ich sah, wie er das Teil nahm um es einfach an seiner schon dreckigen Schürze abzuwischen. Kurzerhand nahm ich ihm das Ding aus der Hand, goss von der Whiskey-Karaffe etwas darüber, egal ob da etwas auf dem Boden landete, hier war eh eine große Sauerei!
„Aber… was tut ihr denn? Wozu…“ mit einem böse funkelnden Blick entriss er mir wieder sein Folterinstrument!
„Ich habe sie lediglich desinfiziert, wenigstens über eine Kerze hättet ihr sie halten können. Ich will nicht, dass mein Gatte noch eine Entzündung deswegen davon trägt!“ Es wurde Zeit, dass hier endlich Hygienevorschriften in Kraft traten. Meine Hoffnung ging in Richtung des Studiums von Mr. Blankman, welches er alsbald antreten würde.
Als er ansetzte, die Wunde zu vernähen musste ich mich abwenden! Mir wurde nicht schlecht, ich kann nur keine Nadeln sehen die sich in Fleisch bohren, menschliches Fleisch wohlgemerkt! Warum auch immer!
Dann verband er den Oberschenkel noch gründlich. Anschließend untersuchte er die kleinere Schnittverletzung am Schienbein. Dort brauchte es nur ein Ausspülen und ein leichter Verband reichte aus.
Bis jetzt lag Haytham immer noch mit geschlossenen Augen dort ohne sich zu rühren. Allmählich machte ich mir Sorgen und drang in seinen Geist.
Es war ziemlich verwirrend, muss ich gestehen! Mein Mann war wirklich bewusstlos, weswegen sich seine Gedanken überschlugen und viele kurze Erinnerungen immer wieder aufflackerten!
Ich ging weiter. Suchte ihn selber, fand aber keinen richtigen Zugang. Als ich eine Tür öffnete, sah ich plötzlich mich selber! Aber nicht jetzt oder damals in New York!
Ich stand vor einem kleinen Jungen! Haytham bekam eine Erinnerung an mich, als er 9 Jahre alt war! Ich hielt inne, weil ich nicht wusste, ob ich es unterbrechen sollte.
Er sah uns, wie wir nach draußen gingen, hinüber zum Pavillon am Queen Anne´s Square und die rote Aura tauchte vor ihm auf. Plötzlich spürte ich seine Panik von damals und auch hier, sah ich jetzt, wie er dachte.
Haytham wollte es nicht wahrhaben und schob es tatsächlich als eine Einbildung von sich. So verdrängte er anscheinend diese Eindrücke und mich gleich mit! Traurig stand ich für einen Moment da, aber dann sah ich, wie wir auf der Jackdaw standen.
Seine Liebe zu Edward Senior war wirklich kaum in Worte zu fassen! Ich verabschiedete mich gerade. Dachte ich damals noch, dieses Lächeln hätte seine Augen erreicht, so hatte ich mich die Jahre getäuscht. Er war froh, seinen Vater wieder für sich alleine zu haben! Er war eifersüchtig gewesen!
Langsam ging ich weiter und in mir spürte ich plötzlich eine tiefe Trauer! Ich weiß, dass dieser Junge jetzt ein erwachsener Mann war und mich über alles liebte. Dennoch tat es weh, diese Bilder gezeigt zu bekommen.
Ich fand meinen Mann, welcher lächelnd auf mich zukam, so als hätte er nur darauf gewartet.
„Da bist du ja endlich!“ Und seine Arme schlangen sich um mich… Schritt für Schritt kamen wir wieder im Hier und Jetzt an!
Dann waren wir im Salon. Ich kniete neben Haytham, klammerte mich heulend an ihn!
„Mi sol, mir geht es gut. Danke, dass du mich hierher gebracht hast.“ kam es leise. Als ich aufsah, lächelte er mich etwas schief an, weil seine Wange gefährlich dick angeschwollen war, aber ich gab ihm einen vorsichtigen Kuss.
Fürs erste würde ich nicht von meinen Eindrücken erzählen, stattdessen drückte ich meine Erleichterung aus, dass er wieder wach war.
„Was haben sie nur mit dir gemacht. Ich hoffe, du konntest sie gen Hel schicken!“ grinste ich und er nickte.
„Einen nach dem anderen haben wir zu seinem Schöpfer geschickt… aber…“ stöhnend versuchte er sich etwas aufzurichten, verzog aber sofort das Gesicht, als er sein Bein bewegte. „Ich bräuchte dringend etwas zu trinken, von dem ganzen Rauch ist mein Hals trocken wie eine Wüste!“
Als er aufrecht saß, reichte ihm Michael ein Glas mit Whiskey, welches er dankend annahm und mit einem Schluck leerte!
„Nicht so hastig, ich weiß, mi sol.“ sein etwas versteckter Humor kam zum Vorschein, dann schien es ihm wirklich schon etwas besser zu gehen.
Mit vereinten Kräften brachten wir ihn jetzt hinauf in unser Schlafzimmer, damit er sich ausruhen konnte und wir alle langsam zur Ruhe kommen konnten.
Während Haythams Behandlung hatten die Angestellten die Fenster im Arbeitszimmer vorerst provisorisch mit den Fensterläden geschlossen und Decken davor gehängt. Mehr konnte man jetzt nicht machen, da es schon zu dunkel war. Es war jetzt mittlerweile, laut Standuhr 1 Uhr Nachts. Meine Männer hatten Geburtstag!
Ich entließ jetzt alle für die Nacht, aber nicht ohne darum zu bitten, die Türen und Fenster gut zu verschließen! Ich hatte immer noch diese Angst, dass hier jemand herumschleichen konnte.
Unsere Wachen hatten sich jetzt einen eigenen Plan gemacht und patrouillierten im und um das Haus!
Einzig Michael bat ich, seinem Herrn zu helfen sich zu waschen und in sein Nachthemd zu kommen. Auch wenn ich schon recht kräftig war, aber heben konnte ich diesen Mann leider nicht!
Als mein Templer dann auch endlich sauber, erschöpft und müde im Bett lag, konnte ich mich etwas an ihn kuscheln.
„Alex… ich… die Erinnerungen von damals…“ ich stützte mich auf einen Ellbogen. Ich sah kopfschüttelnd zu ihm auf.
„Nicht jetzt, mi amor. Lass uns morgen darüber reden. Eines nur, ich liebe dich und ich bin unendlich froh, dass dir nichts schlimmeres passiert ist.“ ich gab ihm wieder einen vorsichtigen Kuss. Er versuchte ihn zu erwidern, was aber mit den kaputten Lippen nicht ganz so funktionierte. Ich hörte ein frustriertes Stöhnen.
„Wir brauchen dringend zusätzlichen Schutz! Vielleicht sollten wir gleich den ganzen Wurf der Bassiters kaufen?“ dieser Mann war schon wieder am Planen, obwohl er eigentlich hundemüde sein müsste, ebenso müsste er Schmerzen haben ohne Ende. „Was ist mit Edward? Geht es ihm gut? Ich habe ihn gespürt und diese Wärme durchströmte mich dabei.“
Also erklärte ich kurz, dass unser Sohn vermutlich das Schlimmste verhindert hatte, indem er die Blutung fast zum Stillstand gebracht hatte. Auch erzählte ich von unserem Kampf und dem Feuer hier im Haus! Das hätte ich besser nicht gemacht!
„Was? Wurde etwas entwendet? Wie sieht es mit den Geschäftsbüchern aus… was…“ ich legte meinen Finger vorsichtig auf seine Lippen!
„Haytham! Ruhig jetzt. Das werden wir morgen bei Tageslicht alles genauer unter die Lupe nehmen! Wir konnten aber das Schlimmste verhindern. Hier oben müsste vermutlich einmal der Boden in meinem Arbeitszimmer überprüft werden, wegen der Flammen. Und unten muss alles erneuert werden. Doch das sehen wird dann. Und jetzt! Schlaf, mi amor.“ etwas widerwillig schloss er mich in die Arme.
„Ich mag diesen Befehlston bei dir…“ seine Stimme hatte wieder diesen lüsternen Ton angenommen! Das konnte nicht sein Ernst sein, oder?
„Ich verspreche dir hoch und heilig, dass du ihn noch des öfteren zu hören bekommst, wenn du jetzt nicht endlich schläfst. Die nächsten Tage wirst du auch die Füße still halten, ansonsten fessle ich dich ans Bett!“ ich vernahm ein Glucksen und verdrehte belustigt die Augen.
„Ist das eine Drohung oder ein Versprechen?“ langsam ließ ich meine Hand über seine Brust gleiten.
„Ein Versprechen, Master Kenway.“ hauchte ich an seinem Ohr und kuschelte mich an ihn.
Diese Nacht war aber alles andere als erholsam. Kurz nachdem ich eingeschlafen war, hörte ich lautes Gebrüll aus dem Kinderzimmer.
„Mama… Angst!“ jammerte mein kleiner Schatz. „Da!“ seine Finger deuteten auf die Schatten auf den Vorhängen. Wir hatten anscheinend Vollmond, dadurch warfen die Bäume vor seinem Fenster unheimliche Bilder durch das kahle Geäst!
„Min lille skat… Shhhhhh… da ist niemand. Das sind nur Schatten. Die Bäume vor deinem Fenster sehen so aus.“ mit ihm auf dem Arm ging ich zum Fenster und zeigte auf die Äste.
„Nicht schön…“ maulte er plötzlich. Vielleicht sollten wir dazu übergehen, die Fensterläden Nachts zu schließen? Aber dann wäre es stockfinster, ob das nun besser war, bezweifelte ich allerdings.
„Willst du bei Mama und Papa schlafen? Da kann dir garantiert nichts passieren!“ flüsterte ich. Wie zur Bestätigung schlangen sich seine kleinen Ärmchen um mich.
„Mama kuscheln…“ kam es ebenso leise von meinem Sohn und wir gingen hinüber.
Ich legte den kleinen Mann aber nicht zwischen uns, weil ich Angst hatte, er könnte die Wunde von Haytham treffen beim Umdrehen, stattdessen kuschelte ich mich mit dem Rücken an meinen Mann sodass Edward vor mir liegen konnte.
„Hab Papa lieb … Mama auch!“ hörte ich die gähnende Stimme meines Sohnes, bei diesen Worten spürte ich die Tränen in den Augen.
„So so, wir haben Besuch in unserem Bett, wie es scheint.“ kam es leicht tadelnd von meinem Templer.
„Ja, und jetzt schlaf. Auch Templergroßmeister brauchen ihren Schlaf.“ mahnte ich flüsternd. Langsam schlossen sich meine Augen.
Ich fühlte, wie mir die Luft aus den Lungen gepresst wurde, gleichzeitig vernahm ich ein fröhliches „Mamaaaaaaaaaaaa… Waaaaaaaach!“
Das hatte ich vergessen! Wir waren ja nicht alleine.
„Guten morgen, min lille skat.“ seufzte ich und drückte diesen kleinen Mann an mich. Neben mir spürte ich ebenso Bewegung. Haytham stöhnte leise vor Schmerzen. Natürlich ließ er sich nichts anmerken und nahm seinen Sohn zu sich.
„Herzlichen Glückwunsch, mein Sohn!“ meinte er breit grinsend.
Achjaaaa…
Ich beglückwünschte meine beiden Geburtstagskinder. Für einen kurzen Moment herrschte dieses Familienidyll, bis ich merkte, dass Edward dringend einen saubere Windel brauchte.
„Na komm, du kleiner Dreckspatz.“ doch bevor ich aufstehen konnte, hörte ich panische Rufe von der Galerie und in unser Schlafzimmer stürzte eine aufgebrachte Sybill.
„Mistr…. Oooooohhhh… Verzeihung. Ich dachte schon…“ erleichtert stieß sie den Atem aus und übernahm ihren Schützling, welcher wieder dieses selige Lächeln im Gesicht hatte. Diese Frau war sein Ein und Alles. „Master Edward, herzlichen Glückwunsch zu eurem Ehrentag. Dafür bekommt ihr auch gleich frische neue Sachen.“ dann sah sie zu meinem Gatten und knickste. „Ich wünsche auch euch alles Gute zu eurem Geburtstag, Master Kenway.“
„Danke, Sybill.“ mehr kam nicht, weil er sich gerade aufrichten wollte, aber kläglich bei diesem Versuch scheiterte, weil die Verbände verklebt waren.
Mrs. Wallace verschwand mit einem erneuten Knicks und unserem Sohn aus dem Schlafzimmer.
Ich hingegen widmete mich meinem Mann.
„Kann ich dir vielleicht helfen? Soll ich…“ doch mehr konnte ich nicht sagen, weil mich dunkelgraue Augen musterten.
„Du kannst mir durchaus behilflich sein, Mistress Kenway.“ wie konnte dieser Mann, obwohl er Schmerzen hatte, solche schmutzigen Gedanken haben? Seine Hände führten die meinen und ich fühlte, wie es um ihn bestellt war. Also schob ich mich etwas hinunter, küsste seine Brust, seinen Bauch. Ich tauchte noch weiter hinab, in der Hoffnung, dass meine Fürsorge belohnt werde. Das wurde sie.
Kurz darauf brachte auch mein Mann mich zu einem wundervollen Höhepunkt, indem er einmal wieder dieses Piercing so geschickt mit seinen Fingern bearbeitete, dass ich mir eine Hand vor den Mund halten musste, um nicht laut die Götter anzurufen!
Etwas erschöpft, aber glücklich, lagen wir noch einen Moment so beieinander.
„Wir sollten uns fertig machen, mi amor. Aber ich bitte dich, lass dir helfen. Ich will nicht wieder wie damals im Fort Arsenal dich bewusstlos unten am Fuß der Treppe sehen.“ sprach ich bestimmend, als er gerade den Mund öffnen wollte. „Ja, du weißt am besten, was für dich gut ist… bla bla bla… nein, weißt du anscheinend nicht.“ ich streckte ihm die Zunge raus.
„Dann ruf Michael, dass er mir hilft, oder willst du mir erneut zur Hand gehen?“ sein breites Grinsen veranlasste mich, kopfschüttelnd aufzustehen. Der Fußboden war eiskalt. Verdammt, wo waren meine Hausschuhe?
Kurz darauf erschien der Kammerdiener mit einem weiteren Diener zur Unterstützung, während ich mich von Magda einkleiden ließ.
Michael befolgte jede Anweisung, welche ihm der „Arzt“ gestern noch gegeben hatte. Auch er ließ sich nicht von Haythams Worten irritieren! Ich wusste, dass es meinem Mann zu wider war, auf diese Hilfe angewiesen zu sein, doch es war nur zu seinem Besten!
Als wir dann alle unten im Wintergarten beisammen saßen, wurden Edward und Haytham noch von den Angestellten beglückwünscht und ich sah, wie unser Sohn mit großen Augen von einem zum anderen sah. Noch verstand er das nicht so ganz, freute sich aber über diese Aufmerksamkeit.
„Burtstag… Papa auch.“ und er reichte seinem Vater ein Stück seines Kuchens. Nun gut, er bekam ihn schon zum Frühstück, was für mich ungewöhnlich war. Aber ich wusste, dass am Nachmittag noch eine richtige Torte bereitstehen würde.
Für einen kurzen Moment sah ich meine Männer an. Wieder einmal ging mir diese Ähnlichkeit im Aussehen durch den Kopf. Doch ihre Wesen waren zwei völlig verschiedene, aber ich schweife wieder ab…
Man half Haytham nach dem Frühstück in sein Arbeitszimmer, oder besser zu den Überresten. Er wollte sich unbedingt selber davon überzeugen, dass nichts wichtiges zu Schaden gekommen ist.
Einer der Pächter erschien kurz darauf und reichte ein paar Krücken an meinen Mann. „Master Kenway, diese haben mir gute Dienste geleistet, als ich das gebrochene Bein hatte. Bitte, nehmt sie.“ er beglückwünschte seinen Herrn noch und ging dann.
Im Laufe des Vormittags trudelten immer wieder Menschen ein, welche zum Geburtstag gratulierten, baldige Genesung wünschten und auch Edwards Ehrentag wurde nicht vergessen.
Irgendwann sah ich ihn in einem Haufen aus Stofftieren und Büchern sitzen, während ihm einige Kinder vorlasen oder mit ihm spielten. Wie gut, dass wir im Wintergarten soviel Platz hatten.
Gegen Mittag war die Bestandsaufnahme abgeschlossen und ein frustriertes Seufzen von Haytham sagte mir, dass einiges aufzuarbeiten und zu erneuern war. Wir sprachen hier nicht nur von den materiellen Dingen, sondern von den Geschäftsbüchern und, zu meinem Leidwesen, auch von einigen Unikaten im Bereich der Romane!
Haytham setzte ein Schreiben auf, welches an einen Architekten ging, damit der Fußboden gerichtet werden und auch das Zimmer darüber in Augenschein genommen werden konnte. In dieser Zeit hatte man es noch nicht so mit der Statik und mir graute davor, dass hier einfach etwas wegbrach.
Bis dieser Herr hier vorstellig werden würden, wurde das Arbeitszimmer abgeschlossen. Nur zur Sicherheit, weil Klein Kenway gerne mal auf Wanderschaft ging und ich keine weiteren Unfälle haben wollte.
Gegen vier Uhr erschien dann Dimitri mit seiner Familie und ich sah in entsetzte Gesichter. Kurzerhand wurden sie aufgeklärt und wir berichteten von den Angreifern, den brennenden Lagern und was nun erneuert werden musste.
Im Grunde konnten wir von Glück reden, es war im Moment nur ein Bruchteil von dem gelagert, was sonst hier schlummerte um verschifft zu werden. Trotzdem war der Verlust empfindlich hoch und kränkte meine persönliche Eitelkeit. Wenn ich mir aber überlegte, wie entzündlich Wodka war, dann war es wirklich mehr als Glück, dass nur wenig gerade hier war.
„Ich werde auch noch Ermittlungen einleiten, damit wir wissen, wer sich hier herumgetrieben hat. Es könnte durchaus eine organisierte Bande sein, die die Flussplantagen gezielt überfallen!“ Dimitri hatte Recht, man konnte nämlich davon ausgehen, da wir alle so günstig lagen, dass hier auch gute Beute zu machen war.
Die beiden erzählten nun von den vergangenen Monaten und wie der Umbau sich auf der Williams-Plantage machte. Die Sklaven hatten sich erholen können und gingen wesentlich ruhiger ihrer Arbeit nach, ohne Angst und Schläge.
„Mistress Kenway, ich kann euch versichern, sie werden alle bezahlt und werden nicht mehr ausgepeitscht oder bestraft.“ der Russe kannte meine Einstellung, weil ihm Lucius diese sicherlich kundgetan hatte!
Im Grunde verlief dieser Tag mit vielen Berichten und Erzählungen, die Kinder konnten gemeinsam spielen und ich konnte mich etwas entspannen.
Die Familie verabschiedete sich am nächsten Tag nach dem Mittagessen, nachdem ich mit Dimitri noch einmal die Aufträge durchgegangen war und wir die Lager inspiziert hatten. Die Feuer waren nicht verheerend, aber sie waren auch nicht ohne. Es würde wieder einige Wochen dauern, bis wir die Lagerkapazität erneuert hatten. Gerade im Winter war es jedoch schwierig, an Holz zu kommen, aber mein Mann hatte einen Händler an der Hand, welchen er gleich anschrieb.
Was soll ich sagen? Das war der erste Geburtstag meines zweiten Sohnes und seines Vaters! Nicht sehr spannend, aber wir waren zusammen, was will man mehr!
Haytham ließ sich nicht davon abbringen, sich unsere zukünftigen Wachhunde selber anzusehen. Er hielt den Termin ein, weil… ja, er war diszipliniert und ich bekam es mal wieder zu spüren.
„Du sollst dich schonen, sonst reißt die Narbe wieder auf! Warum kannst du nicht einfach EINMAL auf den Rat eines anderen hören.“ fauchte ich an diesem Morgen, als wir uns auf den Weg zur Kutsche machten und mein Mann bei jedem Schritt zischend die Luft einsog.
„Es geht schon…“ kam es etwas atemlos, als er endlich saß.
„Ja… das sehe ich!“ gut, wenn er denn meinte alles wieder alleine regeln zu können, dann sollte er machen.
Bei den Bassiters wurden wir herzlich empfangen, die nachträglichen Geburtstagswünsche wurden ausgesprochen und wir nahmen im Salon Platz. Der Tee tat nach der 4 stündigen Fahrt wirklich gut. Es hatte wieder gefroren und es schneite zudem seit gestern Nacht leicht.
Die Kinder unserer Nachbarn waren mittlerweile 17 und 21 Jahre alt. Zwei stattliche Söhne, welche sicherlich in die Fußstapfen des Vaters treten würden. Beide waren gut erzogen und Haytham hatte mit dem Jüngsten auch gleich die Gemeinsamkeit der Liebe zu Mathematik erkannt.
Ich selber unterhielt mich mit Mrs. Bassiter über das Leben auf den Plantagen, gerade in den Wintermonaten und wie gut man doch in andere Welten beim Lesen abtauchen könnte. Zu meinem Leidwesen war sie jedoch nicht sehr belesen, im Gegenteil, ihr Gatte las ihr vor und so verbrachten sie die dunklen Abende in der kalten Jahreszeit. Aber sie liebte Geschichten genauso sehr wie ich. Nicht jeder muss selber lesen oder schreiben, zuhören reicht da ja auch mitunter aus!
Nach dem Nachmittagstee gingen wir nun endlich zu den Hundezwingern. Sie lagen nicht wie ich vermutete, auf dem offenen Gelände, sondern in den Pferdeställen. Dort war es warm und man hatte die Boxen, um die kleinen Hunde sicher aufwachsen zu lassen.
Kaum das wir dort waren, rannte Edward auf die kleinen Tiere los und ließ sich ins Heu fallen.
Vorsichtig streichelte er die kleinen Fellknäuel und begann zu sprechen. Es war eine Mischung aus alter Sprache, englisch und deutsch… immer wenn ihn ein Welpe abschlabberte kicherte er und drückte ihn an sich.
„Euer Sohn hat sie schon in sein Herz geschlossen, wie es aussieht.“ wehmütig sah ich in seine Richtung. Oh ja und es wird ihm eben dieses brechen, wenn wir ihm erklären mussten, dass sie nicht IM Haus lebten und aufwuchsen, sondern draußen!
„Das sind wirklich prächtige Tiere, Mr. Bassiter. Ihr habt nicht zu viel versprochen!“ meinte Haytham anerkennend und beide gingen hinaus, um das geschäftliche zu regeln.
„Hundi lieb…“ quietschte klein Kenway und knuddelte weiter mit den Vierbeinern. Es waren insgesamt 6 Welpen und wie ich Haytham verstanden hatte, wollte er wirklich ALLE mitnehmen. Allerdings müssten wir noch mindesten zwei oder drei Wochen warten, solange konnten wir dann für die Unterkunft der kleinen neuen Wachen sorgen.
Die Herren betraten wieder den Stall und waren sich wohl einig geworden, weil Mr. Bassiter Edward fragte, ob er sich schon Namen für die Hunde ausgedacht hätte.
Der Blick meines Sohnes glitt von einem zum anderen und dann wieder auf seine neuen Spielkameraden. „Hundi“ kam es trocken und er streichelte sie weiter.
„Ich denke, wir werden für die Namen sorgen müssen.“ lachte Haytham und mit einem Handschlag war das Ganze besiegelt.
Wir waren nun stolze Besitzer von 6 Bluthunden. Hoffentlich jagten sie nicht auch den Katzen auf den Feldern hinterher!
Wir übernachteten wohl oder übel bei unseren Nachbarn, weil es stärker zu schneien begonnen hatte und so eine Rückfahrt unmöglich war.
Edward hatte ein Rollbett bei uns ins Gästezimmer bekommen und Sybill zog sich kurz nach dem Abendessen mit ihm zurück und… ich musste an mich halten, nicht hinterher zugehen. Ich zählte aber auf Snotra, sie hatte es bisher immer geschafft, ihren Schützling ruhig zu stellen, wenn es drauf ankam. Trotzdem ließ sie mich am Abendritual wie so oft teilhaben und ich konnte noch im Stillen mit Edward kommunizieren.
Alex, es ist nicht das erste Mal, dass ich das erlebe. Du bist aber gerade hier beim Gespräch völlig abwesend! Das schickt sich nicht! Lass Mrs. Wallace ihre Arbeit machen! Haythams Stimme klang mal wieder maulig und befehlend. So hatte ich das noch gar nicht gesehen oder wahrgenommen und in diesem Moment wäre ich gerne im Erdboden versunken! Sah man das wirklich so deutlich? Ich beteiligte mich doch an dem Gespräch und…
Nein, du reagierst sporadisch und das zeugt von Desinteresse! Mein Mann klang immer übellauniger, was man aber auch seinen Schmerzen zuschreiben konnte.
Ich entschuldigte mich jetzt bei den Gastgebern damit, dass mir noch die lange Fahrt in den Knochen steckte und der Überfall auch noch so ein Schreckgespenst in meinen Gedanken war.
Ich erhielt einstimmig die Bestätigung, dass es verständlich wäre und man uns ebenso noch wünschte, dass diese Gruppen nicht alle Plantagen an der Flussregion überfallen würden!
Haytham hatte sehr blümerant von dem Ganzen berichtet und wieder ging mir durch den Kopf, dass er ein guter Geschichtenerzähler wäre.
Nach dem Frühstück fuhren wir wieder zurück und ich staunte über die Schneemassen, welche sich angesammelt hatten. In dieser Region eher untypisch, wenn ich diese Klimadiagramme noch richtig im Kopf hatte. Nun mussten wir aber dadurch und blieben einige Male übelst stecken!
Gegen späten Nachmittag kamen wir endlich wieder daheim an und Edward war dermaßen übellaunig, dass ich ihn am liebsten unter die Tapete genagelt hätte! Er hatte mich angeschrien, gehauen, getreten und mich, zu meinem Erstaunen, voll gespuckt. In seiner Rage war er einfach nicht unter Kontrolle und steigerte sich in seine Wut, sodass wir nichts unternehmen konnten.
Und auch wenn es sich jetzt herzlos anhört, aber ich war froh, als er mit seinem Kindermädchen einfach in seinem Zimmer verschwand für eine neue Windel und ich mich ENDLICH waschen konnte. Genervt stand ich mit Magda im Ankleidezimmer welche mir aus den dreckigen Sachen half und mich mit dem kleinen Schwamm wusch.
„Mistress Kenway, so kenne ich euren Sohn gar nicht. Ist es bei allen Kindern so?“ fragte sie mich und mein paranoides Ich fragte sich, ob sie schwanger sei und aus einer Panik heraus fragte. Doch ich zügelte mich, atmete tief durch…
„Jedes Kind ist individuell. Man kann sie nie vergleichen. Auch wenn es gewisse Parallelen zu meinem großen Sohn gibt. Aber… Magda, seid ihr schwanger?“ fragte ich einfach und ihr entsetzter Ausdruck im Gesicht zeigte mir, dass sie es nicht war.
„Aber… nein, Mistress, ich bin nicht verheiratet und… nun…“ stammelte sie und ich beruhigte sie.
„Es war nicht böse gemeint, wenn ihr ein Kind erwartet, ist das kein Weltuntergang. Ihr wollt Michael doch immer noch heiraten, oder? Dann sollten wir vielleicht auch bald einen Hochzeitstermin beschließen, was meint ihr?“ ich hatte ihre Hand genommen und drückte sie.
„Wir sind doch aber gerade erst wieder hier und… es gibt noch so vieles zu erledigen…“ ihre Gedanken überschlugen sich.
„Ich werde morgen mit Master Kenway darüber sprechen und dann wäre es doch wirklich schön, wenn wir hier eine Hochzeit ausrichten könnten. Oder nicht? Ich würde mich für euch freuen.“ und plötzlich liefen mir wieder die Tränen über die Wangen.
„Ja… ja, Mistress Kenway. Ich…“ ihre Arme schlangen sich einfach um mich und ich erwiderte es, weil ich mich wirklich für sie freute.
Fehlte noch mein Mann, den ich überzeugen musste, doch das wäre das kleinste Problem.
Wir aßen noch zu Abend und ich brachte meinen Sohn anschließend mit einem Schlaflied zu Bett, welches ich ab und an im Kopf hatte, doch es kam mir erst jetzt wieder in den Sinn.
Auch wenn es etwas traurig und im Grunde auch grausam war, aber es erzählt die heldenhafte Geschichte um Odins Sohn, Ragnar Lothbrok! Immer mehr wurde mir in diesen Momenten bewusst, dass ich einer Vorsehung folgte. Ich zog diesen Jungen nach Odins Wünschen groß, ich lehrte ihn meine Sprache… Für einen Moment saß ich an seinem Bett und sah auf diesen kleinen Menschen, welcher am Daumen nuckelnd schlief.
Er sollte einmal ein großer Krieger werden, er sollte wirklich ein Anführer werden. Das alles konnte ich noch nicht sehen, aber ich wollte es zu gerne…
Du wirst zuerst deine Geschichte erleben, bevor du die deiner Kinder sehen kannst. So ist es immer schon gewesen! Nur so kannst du dein Wissen weitergeben! Wieder einmal fühlte es sich an, als würden ALLE Götter gleichzeitig zu mir sprechen.
Ohne noch einmal hinunter zugehen, ging ich zu Bett, oder besser ich stand einfach im Schlafzimmer vor dem Fenster und starrte hinaus.
„Du fehlst mir Yannick…“ brach es schließlich aus mir heraus! Und ich sah ihn… aber ich konnte wie immer nicht in seinen Geist dringen.
„Oma, ich helfe dir …“ Alexanders leise Stimme brach für einen Moment diese Stille und er führte mich zu meinem großen Jungen!
„Mom…“ erstaunt hörte ich diese Stimme und sank auf die Knie.
„Schatz… ich… vermisse dich!“ … für einen Moment ging mir wieder dieser undankbare Gedanke durch den Kopf, dass ich das Ganze nie hätte antreten sollen!
„Es war dein Schicksal, wenn du zugehört hast, dann weißt du es auch! Ich vermisse dich auch, aber ich weiß, du bist da. Du wirst irgendwann auf mich in der großen Halle warten!“ gleichzeitig brachen wir in Tränen aus und ich konnte meinen großen Sohn für einen winzigen Moment fühlen! Er war mir nahe und ich würde alles geben ihn wieder hier zu haben!
Dein Leben spielt sich hier ab und wir wachen über deinen anderen Sohn, damit die Welt im Gleichgewicht bleibt. Hörte ich Friggs liebevolle Stimme, welche sich wie ein Wohlfühlmantel über meine Gedanken legte.
Dann schlossen sich Haythams Arme um mich und führten mich wieder zu ihm.
„Warum sprichst du nicht mit mir über diese Sehnsucht?“ kam es leise hinter mir und seine Hände fuhren über meine Arme.
„Ich weiß nicht, ich habe Angst, du könntest eifersüchtig werden. Eifersüchtig oder wütend, weil… du auch einen Sohn hast… ich habe Angst, Haytham. Was, wenn ich Achilles nicht überzeugen kann und er deinen Sohn mit Lügen und Anschuldigen an dich erzieht?“ jetzt war ein nächster Punkt ausgesprochen, welcher ebenso unausgesprochen zwischen uns stand. Meine Gedanken sprangen mal wieder wie wild in meinem Kopf herum!
„Wir sollten das gemeinsam machen, denkst du nicht?“ kam es leise hinter mir.
„Nein, ich denke nicht. Er hat dich in keiner guten Erinnerung, weil… du hast sein Knie zertrümmert!“ sprach ich ebenso leise.
„Was schlägst du dann vor?“ seine Stimme hatte wieder diesen „ach mach doch was du willst“ Ton …
„Ich werde beizeiten zu ihm reisen und mit ihm reden. Ob ich zu Achilles durchdringe, weiß ich noch nicht. Aber ich hoffe es.“ das tat ich wirklich.
„Du kannst nicht jeden überzeugen, Alex. Er ist ein störrischer Mann, gefestigt in seiner Meinung und seinem Credo!“ ich hörte die Worte Haythams, aber ich nahm sie nicht auf. Nein, ich konnte und würde Shays alten Mentor überzeugen!
„Ich gab dir ein Versprechen, Haytham. Ich werde diesen Konflikt zwischen deinem Sohn und dir gar nicht erst aufkeimen lassen!“ in diesem Moment spürte ich, dass ich nicht morgen aber in naher Zukunft aufbrechen werde, um diese Mission zu erfüllen.
„Würde ich ihn erkennen?“ kam es leise von Haytham.
„Vermutlich schon.“ meine Stimme war fast tonlos, weil ich… ja, ich war ein wenig eifersüchtig!
„Wir beide haben diesen Gedanken, wir beide haben Kinder, welche nicht unsere eigenen sind!“ dieses pragmatische in seiner Stimme veranlasste mich schon fast Haytham zurechtzuweisen. Doch er hatte Recht. Auch er musste mit Yannick leben, genau wie ich mit Connor irgendwann zurechtkommen musste. Was aber seltsam war, ich freute mich auf ihn. Ich wollte wissen, wie er aussieht, wie er so in seiner Art ist.
„Wir sollten jetzt zu Bett gehen, es war ein langer Tag, mi sol.“ sprach mein Templer leise und führte mich zum Bett, während er sich auf seine Gehhilfe stützte.
„Sind die Schmerzen auszuhalten, mi amor?“ fragte ich leise und half ihm, wie selbstverständlich, sich zu entkleiden.
„Wenn du mir so zur Hand gehst, vergesse ich vermutlich alles um mich herum!“ seine Hände schlossen sich um mein Wangen und er zog mich zu sich herunter.
Ich setzte mich vorsichtig auf seinen Schoss, als er so auf der Bettkante saß und wir ließen uns treiben.
Ich kann es nicht erklären, aber es war wieder eine Änderung in unserem Verhältnis. Es gab eine Ergänzung, doch welche es war, offenbarte sich uns noch nicht nicht. Diese Einheit, welche ich immer fühlte wurde immer stärker und erfüllte mich mit Stolz, mit einem wohligen Schauer und brachte meinen Geist zur Ruhe.
Später lag ich an der Seite meines Mannes und fuhr vorsichtig über die kleinen Härchen seiner Brust. Eine Gänsehaut folgte meinen Fingerspitzen.
„Ich fühle mich vollkommen, wenn du bei mir bist, mi sol.“ seine Stimme klang fast tonlos, während er mir über den Rücken strich.
„Es geht mir genauso…“ flüsterte ich und drückte mich weiter an Haytham. Ja, er war das was ich immer gesucht habe, er war der Mann der mir immer wieder im Geiste herumspukte…
„Was ist mit meinen Erinnerungen an dich, Alex?“ kam es völlig unvermittelt und ich verfluchte seine logische pragmatische Art!
„Nichts, du hast sie jetzt und …“ musste er wirklich JETZT damit anfangen?
„Ich habe gespürt, dass ich eine … Abneigung hatte. Aber warum?“ Bei Odin… ich war müde, wir hatten gerade wunderbaren Sex gehabt… warum JETZT?
„Du warst eifersüchtig.“ erklärte ich leise. „Jemand stand deinem Vater ebenso nahe wie du selber, das kanntest du so noch nicht. Nur deine Mutter hatte diese Nähe und Zuneigung von Edward.“ jetzt war es an mir, logisch und pragmatisch daran zu gehen.
„Nein… nein, ich glaube, es war etwas anderes…“ überlegte er plötzlich und ich seufzte tief.
„Haytham, sei mir nicht böse, aber ich habe den ganzen Tag mit meinen Gefühlen zu tun gehabt und wenn ich sage, dass du eine gewisse Eifersucht damals gespürt hast, solltest du mir glauben. Ich selber weiß, dass ich deinen Vater…“
„… du liebst ihn, nicht wahr?“ kam es vorsichtig von meinem Mann.
„Ich weiß es nicht… ich mag ihn, ich habe großen Respekt und er ist mir ein sehr inniger Vertrauter geworden in den letzten Jahren. Kann man das als Liebe bezeichnen? Zumindest ist es eine andere Liebe als zu dir, oder zu Yannick zum Beispiel! Ja, ich liebe ihn! Ich vermisse deinen Vater!“ mir liefen erneut die Tränen und ich konnte sie nicht stoppen!
„Shhhhh, ich habe es verstanden, mi sol. Beruhige dich.“ ich sah, wie er im Grunde dieselben Gedanken zu Ziio hatte. Es war eine gewisse Verbundenheit, eine Seelenverwandtschaft. Eigentlich hätte ich diese Frau sehr gerne kennengelernt!
„Wirklich Alex?“ verdammt, meine Gedanken… ich nickte grinsend und gab ihm einen Kuss.
„Ich habe mich nie getraut das zu sagen, aber du und Ziio ihr ähnelt euch, auch wenn sie gar nicht aus deiner Zeit stammt.“ ich hörte dieses nachdenkliche in seiner Stimme und ich verstand was er meinte. Sie war wie ich ein Freigeist, stand für sich ein und setzte ihr Ziele und Vorhaben durch!
In den nächsten Wochen wurde das Arbeitszimmer meines Mannes wieder in Stand gesetzt und die Deckenbalken wurden ausgetauscht. Was eine ziemliche Sauerei war, aber Odin sei Dank musste ich nicht putzen, auch wenn ich schon in Gedanken den Wischmop und das Putzzeug bereit hatte.
Haytham erholte sich immer weiter, nutzte aber seine Immobilität um Edward mal wieder im Englischen zu unterrichten oder ihm sogar schon Mathematik näher zu bringen. Oft schüttelte ich nur den Kopf, wenn ich mal wieder im Wintergarten stand und die beiden diskutierend vorfand. Naja, Haytham diskutierte und Edward sah ihn fragend an.
Dann endlich kamen die Bassiters und brachten unsere Hunde. Mittlerweile war es schon Ende Januar, durch einen erneuten heftigen Schneefall war es einfach nicht möglich, mit den kleinen Welpen zu reisen. Diese Fürsorge rührte mich, weil kaum jemand in dieser Zeit auf das Wohl von Tieren aus war. Hauptsache sie brachten Profit. Aber ich schweife schon wieder ab.
Im Stall bei den Kühen und Schweinen wurden unsere tierischen Wachen untergebracht. Aufgeregt rannte Edward in die Richtung, aus der er das Gebell hörte und rief immer wieder „Hundi!“. Dafür dass er noch nicht ganz standfest war, hatte er eine ordentliche Geschwindigkeit drauf.
Als ich dazu kam, war es einfach ein so schöner Anblick. Inmitten von dunkelgraubraunen Fellhaufen saß klein Kenway und ließ sich abschlabbern, begrüßen und vor allem schien er überhaupt keine Berührungsängste zu haben.
Mittlerweile wussten wir auch, dass es 4 männliche Tiere waren und 2 Weibchen. Über die Namen hatte ich mich mit Haytham auch schon unterhalten und mir widerstrebte es, diese klassischen Hundenamen zu nehmen. Zu ausgefallen sollten sie auch nicht sein, aber auch nicht zu langweilig.
„Das ist ja schlimmer, als wenn man den Namen für sein Kind aussuchen muss. Da wird einem erst klar, wen man mag und wer einem den Buckel runterrutschen kann.“ lachte ich immer wieder, wenn wir uns einig waren, dass dieser oder jener Name nicht passte.
Wir waren nun stolze Besitzer von Bella, Walka, Floki, Herkules, Wolpe und Azrael! Eines kann ich sagen, sie haben alle eine Bedeutung, ob nun geschichtlich oder persönlich.
Am Abend stießen wir mit unseren Nachbarn noch auf die Taufe der Hunde an und wie ich es erwartet hatte, jammerte Edward herum. Er wollte die Hunde bei sich haben, mit ihnen kuscheln. Es dauerte eine geschlagene Stunde bis wir ihn überzeugt hatten, dass er gleich morgen früh wieder in den Stall durfte.
Wir waren mit dem Frühstück am nächsten Tag noch nicht fertig, als es Klein Kenway nicht mehr auf seinem Stuhl hielt und er mit seinem Kindermädchen schon vorging. Die Bassiters und wir folgten dann, weil sie sich verabschieden wollten. Es wäre ja auch noch eine längere Rückfahrt, aber zum Glück lag nicht mehr ganz so viel Schnee.
Gegen Mittag mussten wir unseren Sohn praktisch von den Tieren losreißen, damit er zum Essen kam. Auf dem Weg ins Haus plapperte er die Namen seiner Spielgefährten vor sich hin und grinste dabei.
„Floki lieb, Mama!“ Edward erklärte mir nun in seinem Kauderwelsch, welcher Hund wie lieb war oder was er alles konnte. So ging es während des Essens auch weiter und zum ersten Male mussten wir unseren Sohn daran erinnern, dass er die Kartoffeln auch aß.
Ich war froh, als diese kleine Plaudertasche dann endlich in seinem Bett lag und für einen Moment Augen und Mund geschlossen hatte.
Seufzend ließ ich mich im Wintergarten auf das Sofa vor dem Kamin fallen und griff nach meinem Kaffeebecher.
„Man könnte meinen, Gist wäre in ihn gefahren.“ lachte Haytham, als er sich zu mir gesellte. „Dieser Mann kann auch ohne Unterlass reden, egal ob ihm jemand zuhört oder nicht.“
Faith hatte mir das auch schon berichtet und ich konnte es mir eigentlich nicht so ganz vorstellen. Dazu kannte ich Christopher zu wenig.
Mir kam aber ein anderer Gedanke. Die Hochzeit von Magda und Michael. Ich hatte noch gar nicht mit meinem Mann darüber gesprochen.
„Ich weiß, der Themenwechsel ist gerade seltsam, aber… sollten wir nicht so langsam an die Hochzeit von meiner Zofe und deinem Kammerdiener denken? Sie sind ja jetzt schon fast ein dreiviertel Jahr verlobt und wir haben auch einen Prediger der sie trauen könnte.“ Haytham sah mich erstaunt an.
„Muss ich etwas wissen, mi sol, oder ist es einfach…“ ich klärte ihn auf, dass es nichts mit einer Schwangerschaft zu tun hat, sondern einfach nur an der Zeit wäre.
„Ich würde mich freuen, wenn wir hier eine kleine Feier zu ihren Ehren hätten und die beiden wären sicherlich auch erleichtert, wenn sie wirklich zusammen sein dürften.“ ich lächelte zuversichtlich und mein Mann nickte zustimmend.
„Dann sollten wir sie rufen und mit ihnen alles weitere besprechen!“ sprach Haytham fröhlich und ließ nach ihnen schicken.
Kurz darauf traten Magda und Michael ein und sahen etwas verunsichert von einem zum anderen. Mit einem kühlen „Setzt euch bitte.“ von Haytham wurde es nicht besser! Sie nahmen Platz und ihre Blicke waren weiterhin erwartungsvoll auf uns gerichtet.
Als wir ihnen dann nahelegten, sich für einen Hochzeitstermin zu entscheiden, fiel den Verlobten sichtlich ein Stein vom Herzen.
Beide hatten sich schon für den April entschieden, an Michaels Geburtstag, dem 11. April. Wir machten nun eine Liste mit den Dingen, die besorgt werden müssen, wo die Feierlichkeiten dann stattfinden würden und so weiter.
Die Trauung findet in der kleinen „Kapelle“ statt und die Feierlichkeiten würden auf dem Vorplatz und der kleinen Taverne, welche wir nun auch dort im Zentrum hatten, ausgerichtet werden. Die Einladungen wollten Magda und Michael persönlich aussprechen und auch für ihr Hochzeitskleid hatte sie schon selber gesorgt. Es war das Kleid, welches ihre Mutter schon getragen hatte. Damit wollte sie das Andenken wahren.
„Wir werden morgen mit dem Schmied über eure Eheringe sprechen. Ich würde mich freuen, wenn wir euch dabei behilflich sein können.“ meinte Haytham lächelnd und Michael wollte schon etwas erwidern. „Nein, ich möchte es, Michael.“
Außerdem bekamen die beiden ein gemeinsames Zimmer, welches nach vorne zur Auffahrt ging. Es war etwas größer und wäre vorerst auch ausreichend. Vermutlich würden wir noch ausbauen müssen, sobald sich Nachwuchs einstellen sollte.
Die Verlobten verabschiedeten sich erleichtert und eilten hinaus, um die Neuigkeiten zu verkünden.
Ich hörte kurz darauf schon ein fröhliches Gequietsche unseres Sohnes, welcher an der Hand von Sybill in den Wintergarten marschierte.
„Papa, komm! Wolpe streicheln!“ Edward zupfte aufgeregt am Hosenbein seines Vaters.
„Edward, wie heißt das?“ dieser tadelnde Lehrerton gefiel unserem Nachwuchs gar nicht und er begann zickig zu werden.
„Ich will…“ doch Haytham ließ ihn nicht ausreden.
„Du weißt, dass du mit mir englisch sprechen sollst. Also noch einmal, wie heißt das?“ Edward wandt sich jetzt, doch sein Vater kniete vor ihm und sah ihn durchdringend an.
Es dauerte etwas, bis er es fehlerfrei hinbekommen hatte und endlich durfte er zu seinen Spielkameraden.
„Musst du immer gleich …“ setzte ich an und erntete eine hochgezogene Augenbraue meines Mannes. „Ich meine doch nur, dass Edward es doch nicht mit Absicht falsch ausspricht.“ ergänzte ich leise, weil mir dieses Zurechtweisen einfach noch zu früh war.
„Alex, er muss es aber lernen. Je eher desto besser und da Edward schon so weit mit dem Sprechen ist, sollten wir ihn möglichst zeitig an die richtigen Ausdrücke erinnern. Es ist nur zu seinem Besten!“ resigniert seufzte ich und wusste, dass ich nicht viel dagegen ausrichten konnte.
Ein paar Tage später kam mir der Gedanke, dass wir Edward noch gar nicht haben taufen lassen. Weder christlich noch nach meinem nordischen Glauben. Ich zog mich für eine Weile in mein Arbeitszimmer zurück und durchforstete ein paar Bücher, um mich über diese alten Tauf- oder Reinigungsrituale schlau zu machen und wurde auch fündig. Die Kindsweihe könnten wir wunderbar hinten im Garten bei der Weideneiche zelebrieren, mit dem Wasser aus dem James River!
Ich schrieb eine Liste mit den Dingen, die ich dazu benötigte und ging damit zu Haytham. Dieser saß in seinem eigenen Arbeitszimmer und verfasste die Geschäftsbücher neu. Er hatte sich einen Schreiber dazu geholt, damit es etwas schneller ging.
Als ich eintrat erhoben sich die beiden Herren.
„Haytham, hast du einen Moment Zeit?“ fragte ich leise. Seinen Vornamen nutzte ich nur, wenn Angestellte mit im Raum waren, so wahrte man den guten Anstand.
Er folgte mir in den Wintergarten und ich zeigte ihm meinen Plan.
„Ich bin wieder einmal erstaunt über diese Akkuratheit beim Planen bei dir. Wann hattest du gedacht, sollte diese Weihe stattfinden. Jetzt wäre es ja zu kalt dafür. Aber wir könnten vorab eine christliche Taufe vollziehen, das würde mich freuen, mi sol.“ er sah weiterhin auf das Blatt vor sich.
„Der Mai wäre wunderschön geeignet und vielleicht könnten wir an meinem Geburtstag die Feier ausrichten. Dann hat Edward mit dir Geburtstag und wurde in die Familie an meinem aufgenommen!“ am liebsten hätte ich es jetzt schon verkündet und hibbelte schon ungeduldig mit dem Fuß.
Also einigten wir uns auf die Kindsweihe im Mai und am 7. April, Ostersonntag, sollte die christliche Taufe für Edward stattfinden. Ich ließ eine Nachricht an Mr. Hathaway schicken und bat darin um einen Besuch bei uns.
Beim Zubettbringen von Edward erzählte ich ihm von unseren Plänen und plötzlich standen unsere Götter um uns herum.
Wir hatten uns schon gefragt, wann unser kleiner Krieger in die Sippe aufgenommen werden sollte. Hörte ich Odin sprechen und musste grinsen.
Verzeiht mir, aber ich hatte nicht wirklich Zeit mir darüber Gedanken zu machen. Wir werden es ja jetzt nachholen. Sprach ich leise und mein Sohn sah mich mit großen Augen an.
„Opa und Oma auch?“ fragte er mich ebenso leise und ich nickte eifrig. Selbstverständlich würden sie dabei sein wollen.
Natürlich werden wir dabei sein. Wir wollen doch sehen, wie du deinen Namen mit Stolz erhältst! Hörte ich nun die Stimme meines Piraten!
Langsam verschwanden sie alle wieder und ich sang meinem kleinen Schatz noch sein Lied. Langsam schlossen sich seine Augen und ich ging auf Zehenspitzen aus seinem Zimmer.
Unten sah ich, wie Haytham immer noch in seinem Arbeitszimmer saß und schrieb. Mussten ihm nicht langsam die Finger wehtun?
„Mi amor, denkst du nicht, es ist für heute genug?“ ich stellte mich hinter ihn und massierte seine Schultern. Die Muskeln waren völlig verspannt und ich übte etwas Druck aus.
„Eigentlich schon, aber… ich habe das Gefühl gar nicht dagegen anzukommen.“ mit einem tiefen Seufzen lehnte er sich zurück und sah zu mir auf. „Vielleicht sollte ich mir noch zwei Schreiber dazu holen, damit man auch mal einen Fortschritt sieht.“
„Das solltest du.“ bestätigte ich ihn und gab ihm einen vorsichtigen Kuss. „Ich gehe hinauf. Für die Weihung benötige ich noch einige Gegenstände und müsste sie in den nächsten Tagen beim Schmied und dem Tischler in Auftrag geben.“
„Weißt du, ich habe schon ein schlechtes Gewissen, weil wir Edward erst jetzt taufen lassen.“ erstaunt drehte ich mich um.
„Wir hatten einfach noch keine Zeit um darüber nachzudenken. Außerdem ist es doch auch schön, dass er es richtig mitbekommt. Er freut sich schon darauf und vor allem auf seine Großeltern. Das war das erste gerade, was er fragte, ob sie auch dabei wären.“ lachte ich und ging dann hinauf.
Am einfachsten war der Met zu besorgen, weil wir hier eine kleine Bienenzucht seit einiger Zeit hatten. Die Familie hatte sich mit dem Herstellen von Kerzen, Honig und eben Met beschäftigt und der Handel funktionierte hervorragend.
Die Trinkhörner und das Rufhorn waren ebenfalls nicht so schwer zu beschaffen, weil wir einige Rinder hatten. Unser Schmied könnte mir da sicherlich weiterhelfen.
Der Geburtstagsring war etwas, was ich beim Tischler in Auftrag geben musste sowie den Familienleuchter. Er besteht traditionell aus zwei Holzfüßen, auf welchem Kerzen stehen.
Die Feuerschalen mit dem Bienenwachs konnten wir von Mr. Hathaway bekommen, da diese im Versammlungshaus standen.
Der einzige Gegenstand, welcher mir jetzt Sorge bereitete war Thors Hammer! Ich blätterte noch einmal die Listen mit unseren zu suchenden Artefakten durch. Es könnte ja sein, dass wir nach einem symbolischen Hammer suchen sollten. Dort wurde ich aber leider nicht fündig. Etwas ernüchtert lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und sah auf die Kerzenflamme vor mir.
Warum fragst du nicht einfach, Kind? Erschrocken sprang ich auf und starrte auf die Person, welche vor meinem Schreibtisch aufgetaucht war. Wie du ja sicherlich bemerkt hast, ist es meine Aufgabe für deinen Sohn zu sorgen! Also werde ich auch an seiner Weihe teilnehmen und mein Hammer soll ihm ein Segen sein! Edward wird ihn auf seiner Brust als Zeichnung tragen, damit er sich immer wieder auf mich berufen kann! Du siehst, es ist alles geklärt und du kannst den Rest vorbereiten! Mit diesen Worten verschwand Thor wieder und ließ mich mit einem breiten Grinsen zurück.
Edward hatte also tatsächlich Thor inne? Dann war es kein Wunder, dass dieser kleine Junge so aufbrausend sein konnte!
„Habe ich das gerade richtig verstanden?“ hörte ich Haythams erstaunte Stimme aus Richtung der Tür und langsam kam er auf mich zu.
„Ja, hast du. Unser Sohn wird vom Donnergott persönlich geleitet. Deswegen tauchte er in der Nacht des Überfalls auch auf und ermahnte Edward, Geduld zu haben. Sein Kampftraining würde noch auf sich warten lassen, bis er der Meinung ist, er ist soweit. Haytham, das wird ein spaßiges Training, wenn du, Tyr UND Thor ihn unter ihre Fittiche nehmen. Und Heimdall… Bei Odin… mir tut unser Sohn schon ein wenig leid.“ grinste ich, weil ich mir vorstellte, wie er inmitten dieser doch recht mächtigen Herren dann stand und sich behaupten musste!
„Dafür lernt er viele verschiedene Techniken im Schwertkampf und im Umgang mit Äxten! Pfeil und Bogen dürfen auch nicht fehlen! Aber ich glaube, bis dahin ist wirklich noch etwas Zeit.“ die Augen meines Mannes waren golden, es sprach also der Kriegsgott aus ihm.
„Wenn er mit Äxten trainieren darf, möchte ich auch dabei sein! Ich würde sie zu gerne wieder einmal in den Händen halten.“ hörte ich mich selber sagen und sah an mir herunter. Es sah aus, als stünde eine zweite Person in mir und ich spürte sie in meinem Kopf. Thyra!
„Mir gefällt deine Einstellung und was ich sehe erst recht.“ mit schnellen Schritten war Haytham um meinen Schreibtisch geeilt und schob mich grob auf die Arbeitsfläche. Viel Zeit hatte ich nicht, um mich zu wappnen. Diese plötzlich aufkommende Leidenschaft war überwältigend und wir ließen uns davon lenken!
„Mi sol, es ist einfach jedes Mal berauschend.“ sprach mein Mann wenig später immer noch etwas atemlos an meine Stirn gelehnt und sah mir in die Augen.
„Ich mag dieses ungestüme bei dir und ich will mehr davon!“ flüsterte ich und strich mit meinen Fingern über seine Brust.
Diese Nacht war recht schlaflos für uns beide. Wir holten einige Wochen nach, in denen wir aufeinander verzichten mussten, wegen seiner Verletzung.
Im Februar konnten wir die letzten Arbeiten bei den Lagerhäusern abschließen und hatten auch gleich ein paar Verbesserungen einbauen lassen. Die Tore waren mit Eisen gesichert und die Schlösser waren massiver und größer.
Im Grunde verbrachten wir diesen Monat mit kleineren Reparaturarbeiten, auch an meiner Brig waren einige Winterschäden zu beheben.
Außerdem erhielten wir Nachricht, dass man die Schatulle in Europa gesichtet hatte. Doch wie es jetzt um sie bestellt war, wussten wir nicht. Der Informant hatte lediglich berichtet, dass man sie noch nicht sichergestellt hätte. Vermutlich waren Faith und Shay noch hinter ihr her. Zum gefühlten tausendsten Male versuchte ich eine Verbindung zu ihr herzustellen, doch es klappte nicht.
Selbst der Allvater fand keine Erklärung. Ich verstehe das ebenso wenig, jemand scheint sich zwischen uns zu stellen und alles abzuschirmen. In seiner Stimme konnte man den Frust deutlich heraus hören. Also hieß es einfach weiter abwarten!
Haytham hatte, wie er es zugesichert hatte, die Eheringe für Magda und Michael nach ihren Vorgaben fertigen lassen. In einer kleinen Holzkiste lagen diese Schmuckstücke gesichert in meiner Stahltruhe.
Unsere Arbeiter, Angestellte und die Pächter hatten sich ebenfalls zusammengeschlossen um die Feier auszurichten. Jeder trug etwas dazu bei und immer öfter sah ich, wie meine Kammerzofe nervös wurde, wenn man sie auf ihre bevorstehende Hochzeit ansprach.
„Mistress Kenway, jetzt weiß ich, wie ihr euch damals bei Master Kenway gefühlt habt. Aber warum ist man so nervös?" auch sie brach oft einfach in Tränen aus und wusste nicht wohin mit ihren Gefühlen.
„Magda, glaubt mir. Dieses Gefühl ist ein Zeichen, dass ihr füreinander bestimmt seid." versuchte ich sie zu beruhigen.
Ende Februar hatten wir einen Neuzugang in unserer kleinen Siedlung zu verzeichnen. Es gab nun eine Schneiderin mit ihrem Mann und Sohn. Ich hatte damals einmal Frau Fischer angesprochen, ob sie sich vorstellen könne, sich hier niederzulassen. Sie müsse aber erst ihr Geschäft verkaufen und alles regeln, doch sie würde sich freuen, in unseren Diensten zu stehen. Gerade auch, weil wir hier dringend jemanden benötigten, der sich in diesem Bereich auskannte. Wir hatten alle nicht immer die Zeit ganz nach Richmond zu fahren um die Garderobe richten zu lassen oder neue Kleidung zu kaufen. Die Stoffe für ihre Arbeiten konnten wir über den Seeweg mit unseren anderen Geschäften bekommen. Mr. André hatte mir ein gutes Angebot diesbezüglich unterbreitet und würde uns regelmäßig mit allem beliefern.
Jetzt Ende März brach die Saatzeit an und mein Mann war oft auf den Feldern unterwegs. Wie immer war er lieber selber dabei und überzeugte sich, dass alles nach Plan verlief.
„Papa ist weg?" fragte mich Edward oft traurig, wenn sein Vater nach dem Frühstück aufbrach.
„Er muss doch sehen, dass alles richtig wächst, min lille skat. Zum Mittagessen wird er wieder da sein und dann kannst du ihm wieder zeigen, was du unseren Hunden alles beigebracht hast." diese Aufmunterung klappte jedoch nicht immer und ab und an nahm ich mir Fenrir und wir ritten Haytham hinterher.
„Edward, ich bin doch nicht aus der Welt. Aber die Arbeit muss getan werden. Du bleibst solange zuhause und passt auf deine Mutter auf. Außerdem hast du ja auch die Aufgabe, die Hunde richtig zu trainieren." sagte mein Mann stolz und drückte seinen Sohn an sich.
„Walka kann Sitz machen, Pa... Vater." im letzten Moment verbesserte er sich und ich sah diese Erleichterung in Edwards Augen, dass er keine Schelte bekam.
„Na, siehst du. Das ist großartig, mein Sohn. Und jetzt reite mit deiner Mutter zurück, ich komme zum Mittagessen wieder."
Ich saß auf und Haytham reichte mir Edward. Für einen kurzen Moment verdunkelten sich die Augen meines Templers und er ließ seine Hand über mein Schienbein streichen. Dann gab er Fenrir einen Klaps und wir ritten zurück.
Endlich war es soweit. Edwards christliche Taufe stand ins Haus.
Am heutigen Morgen waren wir alle etwas nervös und ich spürte bei meinem Sohn besonders diese Aufregung.
„Mama, wie heiße ich?" diese Frage hatte ich in den letzten Tage sehr oft bekommen und jedes mal bekam er die gleiche Antwort. „Edward Haytham"!
„Sehe ich Gott, Mama?" eine weitere Frage, welche ich auch immer mit „Nein, ihn kannst du nicht sehen. Aber du kannst mit ihm sprechen." beantwortete.
So ging die Fragerunde in Edwards Kauderwelsch immer weiter, bis ich unseren Sohn einfach an meinen Templer abgab. Sollte er die passenden Antworten finden.
Die Taufe wurde auf der Terrasse vollzogen, weil das Wetter seit einer Woche sonnig war.
Edward hatte einen wunderschönen kleinen Anzug bekommen und sogar ein paar neue Schuhe. Die brauchte er im Grunde sowieso, er wuchs gefühlt jeden Tag. Ich hoffte, seine Kleider blieben ein bisschen länger als 5 Minuten sauber, der Stoff war doch recht empfindlich.
„Mi sol, ich möchte dass unser Sohn eine angemessene Garderobe hat, wenn er so einen Ehrentag begeht." Haytham musste das ja auch nicht wieder waschen!
Mein Mann trug seine Meistertemplermontur und ich hatte das entsprechende Pendant dazu an, nur eben in Form eines dunkelblauen Kleides.
Edwards Juniors Garderobe (BEISPIELBILD!)
Mistress Kenways Garderobe - ohne Hut! (BEISPIELBILD!!)
Master Kenways Garderobe - bitte in Dunkelblau vorstellen xD (BEISPIELBILD!!)
„Verzeiht Mistress Kenway. Aber diese Knoten, es tut mir leid..." sie brach immer wieder in Tränen aus.
Ich tätschelte ihre Hand und versicherte ihr, dass ihr nichts leid zu tun brauchte.
Auf der Terrasse waren schon die Angestellten versammelt und warteten gespannt. Als man Edward in seiner Aufmachung sah, hörte man von den Frauen entzückte Rufe. Ja, ich muss gestehen, er sah wirklich niedlich darin aus.
Mr. Hathaway hatte uns ein wenig instruiert und wir hatten einen Ablauf geplant, welcher nicht ganz dem eigentlichen Taufritual entsprach. Was aber einfach der Tatsache geschuldet ist, dass unser Prediger eine neutrale Ansicht zur Kirche hatte. Ich begrüßte das durchaus.
Wir stellten uns nun vor ihn mit Edward zwischen uns und der Prediger begann seine kleine Andacht. Es ging im Endeffekt darum, wie man Namen weitergab, dass man sich genau überlegen sollte, wie man seine Kinder nannte und natürlich kam er auch auf Jesus zu sprechen.
„Ist das auch ein Junge?" kam es neugierig von unserem Sohn und voller Erwartung sah er nun zu Mr. Hathaway.
„Ja, auch er war einmal so klein wie du. Seine Eltern haben auch lange überlegt, wie sie ihn nennen sollten. Aber Gott selber hat zu ihnen gesprochen und ihm den Namen gegeben." mit großen Augen sah Edward den Mann vor sich an.
„Wo ist er jetzt?" wollte er dann noch wissen.
„Mein Kind, Gottes Sohn lebt hier nicht auf der Erde, sondern im Himmel." lächelnd machte sich der Prediger nun daran, weiter zu erzählen, weil er Gefahr lief, sich von Edward in eine kleine Diskussion verwickeln zu lassen.
Dann endlich nahm Haytham unseren Sohn auf den Arm. „Beug dich ein wenig über die Schale." flüsterte er leise und Edward schaute gespannt auf die Wasseroberfläche. Als das Wasser über seinen Kopf lief erschrak er aber kurz und wollte schon weinen. Mr. Hathaway war aber schneller, trocknete die Haare und segnete unseren kleinen Schatz.
Das Kreuzzeichen auf der Stirn musste er natürlich gleich abtasten und ich konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen.
„Edward, lass das. Das muss so." und ich nahm seine Hand runter.
Damit war er in der Gemeinde aufgenommen und hatte seinen Namen mit Gottes Segen. In mir kam ein eigenartiges Gefühl hoch, ich fühlte mich so, als hätte ich jemanden betrogen, als wäre ich fremdgegangen.
Dieses Gefühl ist normal, aber es ist wichtig, dass dieses Kind alle Seiten kennt. Genauso wie den Orden und die Bruderschaft. Sein Weitblick wird dadurch nur gestärkt! Hörte ich Odin in meinem Kopf und ich beruhigte mich wieder.
Der restliche Tag verlief mit gutem Essen und netten Gesprächen, als dann auch noch einige Pächter mit ihren Familien erschienen um das Taufkind zu beglückwünschen.
Am Abend schlief Edward mit einem seligen Lächeln auf dem Gesicht ein. Im Laufe des Nachmittags hatte er dann noch einen Kleiderwechsel bekommen, damit er mit den anderen Kindern spielen konnte. Diese Bewegung hatte ihm wieder rote Wangen beschert und er sah zum Anbeißen aus, jetzt wo er so ruhig schlief.
Die letzten Tage waren einfach eine Plage muss ich leider sagen.
Meine Kammerzofe war zu nichts mehr zu gebrauchen. Ihre Nervosität war so gestiegen, dass sie sich oft einfach übergab, wenn man sie auf etwas bezüglich ihrer Hochzeit ansprach. Für einen kurzen Moment hatte ich sie noch einmal zur Seite genommen, weil ich befürchtete, sie sei doch schwanger. Aber sie verneinte es vehement.
Ich war dazu übergegangen, eines der Mädchen als Ersatz zu nehmen. Somit konnte Magda ein wenig zur Ruhe kommen und ich musste nicht immer mit zerzausten Haaren herumlaufen.
Unsere kleine Gemeinde hatte sich nicht lumpen lassen und hatte eine Kutsche für die Eheleute geschmückt, welche sie zum Versammlungshaus bringen sollte.
Die Taverne an sich war auch schon dekoriert und das Essen war bereit. Haytham, Edward und ich würden bei ihnen mit fahren. Die restlichen Angestellten kämen dann nach, ob zu Fuß oder per Pferd, einige hatten sich mit ihren Nachbarn zusammengetan und hatten sich Karren organisiert.
Im Versammlungshaus angekommen, setzte ich mich mit Sybill und Edward schon einmal in die erste Reihe und wartete auf den Einzug der Braut. Haytham würde sie an Michael übergeben, da Magdas Eltern leider verstorben waren und sie sonst niemanden hier in den Kolonien hatte.
Als mein Mann nun mit ihr eintrat, überlief mich eine Gänsehaut, eine wohlige muss ich sagen. Ich sah ihn mit seiner eigenen Tochter plötzlich... ob es wirklich einmal so sein würde?
Die Zeremonie an sich war wie immer sehr nett und Mr. Hathaway hatte wie üblich die passenden Worte gefunden.
Mit großem Jubel der Anwesenden erklärte er die beiden dann zu Mann und Frau. Ihr Kuss war so vorsichtig, dass ich ein wenig schmunzeln musste.
„War ich damals auch so zurückhaltend, mi amor?" flüsterte ich in Haythams Richtung.
„Nein, nicht wirklich. Ich musste dich etwas bremsen." grinste er zurück.
Das Essen im Anschluss mit der Feier war entspannend. Es fühlte sich wie eine große Familie an, auch wenn man uns mit großem Respekt behandelte. Doch je später der Abend, desto mehr Alkohol kam ins Spiel und irgendwann mahnte man die frischgebackenen Eheleute, doch die verdiente Hochzeitsnacht anzutreten. Magda und Michael blieben über Nacht hier, somit hätten sie ein wenig „Privatsphäre".
Wir machten uns dann auch gegen Mitternacht auf den Weg zurück. Sybill war schon weit aus früher mit Edward nach Hause gefahren, weil er immer wieder eingenickt war.
Im Schlafzimmer angekommen, half mir Haytham beim Entkleiden und ich bemerkte schnell, dass er es genoss mich von den Stoffen zu befreien.
„Mi sol, ich muss die ganze Zeit an unsere erste Hochzeitsnacht denken." langsam fuhr er mit seinem Mund über meine Schulter, strich mit seinen Fingern an meinen Armen entlang und griff dann nach meinem Hintern. „Du siehst noch genauso verführerisch aus." hauchte er mir ans Ohr und ich drehte mich zu ihm um.
„Danke, mi amor. Lass mich dir ebenso helfen." auch ihn befreite ich von den lästigen Kleidungstücken. „Ich liebe dich!" und ich drückte mich an ihn.
Diese Nacht war eine dieser stillen und ruhigen Nächte, in denen wir einfach nur den anderen fühlten und in uns aufnahmen. Ich genoss die warme Haut meines Mannes, seine weichen Finger und seine langsamen fordernden Bewegungen, bis er mich zu einem wundervollen Höhepunkt brachte.
Die nächsten Wochen verliefen relativ ruhig, auch wenn mich mein Sohn zur Weißglut brachte von Zeit zu Zeit.
Er hatte Gefallen daran gefunden, den Hunden nicht nur wichtige Dinge beizubringen, nein, er lehrte sie auch noch einigen Blödsinn.
Unter anderem stibitzten sie aus der Küche Wurst oder Würstchen oder zerkauten die guten Schuhe von Haytham. Ich hatte alle Hände voll zu tun, dann möglichst schnell alle Beweise verschwinden zu lassen, ehe sie mein Mann sah.
Mittlerweile hatte sich einer der Bauern bereit erklärt, unsere tierischen Wachen mit zu trainieren und erntete wütende Ausrufe von Edward.
„Nein, das mag Wolpe nicht!“ oder es kam „Azrael will spielen!“ etwas entnervt hörte ich mir täglich den Bericht des Herrn an.
„Es tut mir aufrichtig leid, aber Edward muss noch lernen, dass diese Tiere kein Spielzeug für ihn sind.“ mahnte er dann oft und sah von Haytham zu mir.
„Ich werde dafür sorgen, dass mein Sohn sich entsprechend verhält.“ bei diesem kalten Ton lief es mir eiskalt den Rücken herunter.
An einem Abend war Haytham hinauf zu Edward gestürmt, weil er herausgefunden hatte, dass Edward in seinem Arbeitszimmer gewesen war und mit Walka und Bella dort „Bücher lesen wollte“. Die Bücher waren aber zwei wertvolle Ausgaben von Romanen, welche nicht so leicht zu ersetzen wären. Jetzt lagen sie zerfetzt in einer Ecke des Zimmers!
Sybill hatte sich tausendmal entschuldigt, dass sie nicht aufgepasst hatte. Dieser kleine Mann war so flink, dass wir BEIDE unsere Schwierigkeiten hatten, aufzupassen!
Ich hörte die laute Stimme meines Mannes, das Weinen meines Sohnes und wäre am liebsten ebenfalls hinauf gegangen.
„Mistress Kenway, nein. Es gibt Dinge, die muss Edward auch alleine bestehen!“ ich hörte Mrs. Wallaces Stimme und sah sie geschockt an.
„Ich kann doch nicht zulassen…“ ihr Blick sagte mir aber, dass ich mich immer noch umstellen musste. Hier galten andere Sitten, gerade was die Erziehung anbelangte.
Dann endlich sah ich Haytham die Treppe herunter kommen. Sein Gesicht war knallrot und er würdigte mich keines Blickes, sondern ging in sein Arbeitszimmer und donnerte die Tür hinter sich zu.
Ich hingegen rannte jetzt einfach hoch!
Edward saß weinend zwischen seinen Kuscheltieren und erst beim zweiten mal hinsehen, bemerkte ich, dass einige zerrissen oder zerbrochen waren. Haytham hatte ihm eine Lektion erteilt, in dem er ihm zeigte, wie man sich fühlt, wenn etwas kaputt ist, was man gerne hatte.
Im Grunde grausam, aber mir fiel ein Moment aus Yannicks Kindheit ein. Er hatte mir eine Vase, ein wunderschönes Erbstück von meiner Oma, von der Fensterbank geschossen mit einem kleinen Ball. Ich hatte immer wieder ausdrücklich gesagt, nicht in der Wohnung damit zu spielen. Als die Scherben dann vor ihm lagen, sah Yannick zu mir auf und entschuldigte sich tausendmal. Ich war aber so enttäuscht, dass ich ihm den Ball abnahm und mit einem Messer zerschnitten habe.
Ich setzte mich zu Edward und nahm ihn in den Arm.
„Papa ist gemein!“ jammerte er und drückte sich an mich.
„Nein, aber du hast etwas sehr wertvolles kaputt gemacht, weil du nicht auf ihn gehört hast. Du weißt doch, dass die Hunde hier nicht im Haus sein dürfen. Schon gar nicht im Arbeitszimmer von deinem Vater. Du darfst dort nicht spielen!“ versuchte ich eine kleine Erklärung, welche aber nicht auf fruchtbaren Boden stieß.
„Alle kaputt…“ schniefte er und hatte sich von mir gelöst. „Will Papa nicht mehr!“ in seinen Augen sah ich plötzlich puren Hass und erschrak. Ich ließ meinen Blick über ihn wandern, weil ich wieder an Hrymr erinnert worden war! Doch es war einfach diese kindliche Wut meines Sohnes.
„Sowas sagt man nicht, Edward. Papa hat dich lieb. Aber ab und an bist du halt frech oder wie jetzt hast du etwas angestellt. Du musst…“ wütend stampfte dieser kleine Junge jetzt vor mir auf.
„Alle böse…“ und dann verkroch er sich unter sein Bett. Ich hörte ihn noch schniefen und wollte gerade hinterher, als die Tür aufging und ich aus dem Augenwinkel die Stiefel von Haytham erkannte.
„Was in drei Teufels Namen machst du da?“ fauchte er mich an und zog mich auf die Beine.
„Ich will Edward nur trösten! Er …“ mit einem zischenden Laut fuhr er mir über den Mund.
„Nichts wirst du tun. Edward! Komm da drunter weg! Oder soll ich die anderen Tiere und Spielsachen in meinem Arbeitszimmer einschließen?“ dieser Ton war selbst für mich kaum auszuhalten!
Plötzlich hörte ich ein gefauchtes „Nein, will nicht!“
„Gut, wie du meinst.“ und mein Templer begann einige der noch heilen Spielsachen aufzusammeln.
„Nein…“ kam es unter dem Bett und Edward schlängelte sich darunter hervor. „Nein, nicht…“ jammerte er und krallte sich an das Hosenbein von Haytham.
„Willst du dann jetzt artig sein, Edward?“ immer noch unterkühlt sah er seinen Sohn an.
Schniefend sah dieser zu mir und dann zu seinem Vater.
„Ja…“ flüsterte er und legte seinen Kopf an Haythams Bein.
„Dann komm, mein Sohn.“ er nahm ihn auf den Arm und drückte ihn an sich. „Mach so etwas nie wieder. Du weißt jetzt, wie es sich anfühlt, wenn etwas schönes kaputt geht, oder?“ die Stimme von meinem Templer hatte sich wieder in die ruhige liebevolle Tonlage verwandelt und ich atmete auf.
„Ja, Vater.“ immer noch flüsternd, schniefend und mit verheulten Augen hing er an der Schulter von Haytham.
Anfang Mai überbrachte mir ein Bote die Nachricht, dass sich Elias für meinen Geburtstag und die einhergehende Weihe von Edward ankündigte. Auch würde Master Bradshaw mit anreisen, da er gerade in Philadelphia war.
Es dauerte nicht lange, dann hatte ich auch noch ein Schreiben von den de Gooijers, welche schon auf dem Weg waren und außerdem sollten auch Eheleute Jomphe bald hier eintreffen. Somit wäre das Haus gut gefüllt, dachte ich grinsend. Ich freute mich sie alle wieder zusehen.
Allerdings versetzte es mir immer wieder einen Stich, dass ich nichts von meiner Schwester hörte. Wir tappten immer noch im Dunkeln.
„Es wird alles in Ordnung sein, mi sol. Wenn ihr etwas zugestoßen wäre, dann hätten wir bereits Nachricht.“ versuchte es Haytham zum gefühlten Millionsten Male. Wirklich beruhigte mich das immer noch nicht.
In der Nacht auf den 4. Mai holte mich Mr. Mackenzie aus dem Schlaf, weil die Stute meines Mannes ihr Fohlen bekam. Wir standen im Stall in ihrer Box und ich versuchte dieses stolze Tier zu beruhigen. Fenrir machte Anstalten, sich loszureißen. Vereint hielten die Männer ihn aber zurück und somit konnte der Nachwuchs langsam auf die Welt kommen. Ich staunte, wie das von Statten ging. Ich hatte so etwas noch nie selber gesehen.
Etwas wackelig stand im Morgengrauen der Nachwuchs nuckelnd bei seiner Mutter. „Fenrir, ich bin stolz auf dich. Das hast du gut gemacht.“ ich strich ihm über sein dunkles Fell und mein Hengst stupste mich an, so als wolle er sich bedanken.
Natürlich war es dann um meinen Sohn am Vormittag geschehen, als er sah, dass es noch mehr Tiere bei uns gab.
Ich hatte mit Haytham besprochen, dass dieses Fohlen, ein Hengst, Edwards Geschenk zur Weihe sein sollte. Bis dahin gaben wir ihm noch keinen Namen und weihten auch unseren Sohn noch nicht ein.
Nach und nach trudelten unsere Gäste kurz vor meinem Geburtstag ein und ich freute mich über diese Gesellschaft. Als ich mal wieder vor Elias stand, war es wie immer etwas seltsam. Schon damals war seine Erscheinung des Allvaters mehr als würdig und auch jetzt sah ich zu ihm auf und wusste, ich konnte mich auf ihn verlassen. Frigg nahm mich in ihre Arme und beteuerte noch einmal, dass sie sich freute hier sein zu können.
Loki und Sigyn freuten sich ebenso an so einem wichtigen Ereignis dabei sein zu können.
Ein paar Tage später, es war der 23. Mai, erschienen auch die de Gooijers. Myrte war erleichtert, endlich aus der Kutsche zu kommen.
„Mir tut schon der Hintern weh, Mistress Kenway. Aber es ist wunderschön hier.“ und ihr Blick glitt über den Vorplatz und das Gelände.
„Es freut mich, euch endlich auch einmal besuchen zu können.“ meinte ihr Gatte freudig und begrüßte den Hausherrn, welcher unseren Sohn auf dem Arm hatte.
Nur einen Tag später konnten wir auch Bragi und Idun begrüßen, was natürlich Edward besonders freute und er ganz aus dem Häuschen war.
„Master Edward, es freut mich ebenso. Ihr habt euch wirklich gut gemacht und ich sehe, ihr habt fleißig gelernt.“ trällerte Madame Jomphe und ging mit meinem Sohn auf dem Arm in den Garten.
„Die Überfahrt war tatsächlich angenehm, Master Kenway.“ kam es jetzt von Monsieur Jomphe und gemeinsam gingen wir auf die Terrasse.
Jetzt waren im Grunde alle Gäste angereist und die Angestellten brachten Gepäck und ähnliches im Gästehaus unter. Somit hatten wir noch ein paar ruhige Tage, in denen ich mich noch auf die eigentliche Zeremonie vorbereiten konnte.
Es galt noch einige Texte zu lernen, doch Elias sah mich mit hochgezogener Augenbraue an.
„Mein Kind, einen Großteil werde ich übernehmen. Du brauchst dir keine Gedanken darüber machen. Haytham, ihr werdet während der Weihe euren Sohn auf dem Schoß haben und ich werde die entsprechende Aufnahme in die Sippe übernehmen.“
Dieser Tag ging mit kleineren Planungen und netten Gesprächen zu Ende.
Doch als es Zeit für Edward war ins Bett zu gehen, stand dieser mit verschränkten Armen vor der Brust vor Elias und funkelte ihn böse an.
„Will nicht … bin schon groß!“ dieser Ton in seiner Stimme war mal wieder inakzeptabel, was Haytham entsprechend kommentierte.
Es war aber der Allvater welcher ihn mit einem harschen Blick ermahnte und sofort verstummten die Widerworte meines Sohnes.
Ohne sich noch zu wehren ließ sich Edward nach oben bringen und ich war erstaunt, wie leicht es doch sein konnte.
„Mein Kind, es gibt Fähigkeiten, die haben nichts mit uns Göttern zu tun. Edward hat aber Respekt gelernt und weiß um uns Bescheid. Vergiss nicht, dass wir immer um ihn herum sind. Genau wie um dich oder auch Haytham.“ flüsterte Frigg jetzt leise und sah uns beide lächelnd an.
Ich erwachte mit einer großen Euphorie im Bauch und drehte mich schwungvoll zu meinem Mann um. Etwas erschrocken sah er mich an.
„Mi sol, ist etwas passiert…“ fragte er noch leicht schläfrig.
Aber ich warf mich auf ihn, küsste ihn leidenschaftlich und drückte mich an ihn.
„Nein, ich habe Geburtstag, unser Sohn wird heute in die Sippe aufgenommen und ich liebe dich.“ Langsam fuhren seine Hände über meinen Rücken, seine Augen wurden dunkel und seine Stimme hatte diesen leicht rauen Ton angenommen.
„Wenn das so ist…“ sein Geschenk an mich war seine Zunge, welche sich meinem intimsten Piercing widmete und mir einen lauten Schrei entlockte, als er mich über die Schwelle trieb. „Herzlichen Glückwunsch, mi sol.“ hauchte er kurz darauf an mein Ohr und nahm mich.
Völlig gelöst konnte ich aufstehen und mich einkleiden lassen. Vermutlich hatte ich die ganze Zeit ein ziemlich dümmliches Grinsen auf dem Gesicht, aber es war einfach zu schön gewesen.
Beim Frühstück begann klein Kenway auch gleich mit Idun darüber zu reden, dass er schon groß sei und er ihr noch zeigen musste, wie gut er schon jemanden „heile machen“ konnte.
„Oh, das weiß ich doch, Edward. Du machst das großartig.“ lobte sie ihn und strich ihm über den Kopf. Vor Stolz schien er mal eben wieder einige Zentimeter gewachsen zu sein.
Odin erklärte, er würde schon mal hinaus gehen und alles soweit vorbereiten. Die Zeremonie an sich würde erst am Abend statt finden, weil die Atmosphäre mit den Feuerschalen und allem drumherum dann besser zur Geltung kam.
Die Weideneiche war mein auserkorener Platz und dort hatten wir gestern schon die Schalen aufstellen lassen.
Ich inspizierte noch einmal das Trinkhorn und auch das Rufhorn. Unser Schmied hatte ganze Arbeit geleistet und Elias ließ es sich nicht nehmen, einmal zu testen, ob es auch wirklich funktionierte.
Natürlich probierte man auch den selbst gebrauten Met und nicht nur in kleinen Mengen, stellte ich erschrocken fest. Ich selber war kein Freund davon.
„Aber… wie kommt das denn? Gerade DU solltest dieses Getränk doch mögen.“ grinste mich Bragi aus leicht vernebelten Augen an.
Myrte hatte sich für heute Abend mein Kleid zurechtlegen lassen, welches ich ihr noch geschenkt hatte.
„Meint ihr, es ist passend für den Anlass. Ich kenne mich ja nicht so aus mit eurem Glauben.“ flüsterte sie verlegen.
„Keine Sorge, damit macht ihr nichts falsch. Ich selber trage ja auch keine angepasste Kleidung, sondern das, was mir gefällt.“ zwinkerte ich ihr zu und wir widmeten uns den anderen wieder.
Mein Sohn war den ganzen Tag unter Spannung wie es schien. Jedoch nicht übellaunig oder frech. Einfach nur aufgeregt, er freute sich. Außerdem war er der Mittelpunkt am heutigen Tage.
Mein Geburtstag ging nicht unbedingt unter, aber er war nicht wichtig für mich gerade. Ich wollte diese Zeremonie, ich wollte, dass Edward in diese Kreise aufgenommen wurde.
Über den Tag verteilt genossen wir gutes Essen und es war eine gelöste Stimmung. Man brachte die de Gooijers auf den Stand, dass es sich hier um die nordische Mythologie handelte und sie wurden aufgeklärt, welcher Gott wofür stand.
„Du meine Güte, es gibt ja für alles eine Erklärung. Das ist faszinierend.“ hörte ich meinen holländischen Geschäftspartner sagen.
„Und sie sind alle greifbar.“ sagte Frigg lächelnd und zog mich dann ein Stück von den anderen weg. „Wir müssen uns über die Zeremonie noch unterhalten. Die Anwesenden werden nicht nur Zeuge dieser für sie heidnischen Weihe, sondern … wir werden als die nachher erscheinen, die wir sind. Außerdem wird dein Sohn gezeichnet! Ich vermute, Thor wird schon mit dir gesprochen haben?“ fragend sah sie mich an und ich nickte stumm. „Dann ist es ja gut. Du weißt, was wir dann im Anschluss machen werden, nehme ich an? Webe neue Gedanken und zeige ihnen eine einfache heidnische Taufe.“ ihre Worte hallten in meinem Kopf und ich sah die Bilder, welche ich nachher an die Außenstehenden weitergeben sollte.
„Danke, ich werde mein Bestes geben.“ meine Stimme klang seltsam und ich fühlte mich leicht fiebrig.
Dann war es soweit und man bat Haytham mit Edward zusammen, sich bei der Weideneiche einzufinden.
Ich hatte vor einigen Tagen das Wasser aus dem Fluss bereits in die Schale gefüllt, welche jetzt auf dem kleinen Tisch stand, daneben waren die Feuerschalen mit dem Bienenwachs platziert. Außerdem gab es das Räucherwerk, welches ich bewusst mit Lavendel vermischt hatte. Es stellte den Hausherrn dar, denn es galt das „heimische“ Räucherwerk zu zelebrieren.
Ich folgte ihnen und stand neben meinen Männern, als auch schon das Horn ertönte, welches Odin sich an die Lippen hielt und dreimal hineinblies.
„Mächtiger Donnerer, weihe diese heilige Stätte und halte Wacht!“ diese Worte wiederholte er viermal und ließ dann das Horn sinken.
Plötzlich schimmerten um uns die Gestalten der Götter und auch mein Pirat war mit Tessa erschienen. Sie hatten sich hier versammelt und die Zeremonie begann.
Die Anrufung begann mit der donnernden Stimme Odins.
Hohe Götter, die ihr die Zeiten ordnet und allen Dingen ihre Frist zuteilt: Euch danken wir für alles Gute und Wertvolle, schenkt uns Klugheit und Kraft unsere Wege zu verwirklichen. Gebt uns euer Heil und euren Segen, dass wir erfüllt und ehrenvoll leben. Heil sei euch!
Frigg - Beschützerin von Ehe, Heim und Familie! Mit deiner Weisheit, Liebe und Fürsorge segne dieses Kind und mehre die Kraft unserer Sippe!
Die Flasche mit dem Met wurde geöffnet und ein Teil daraus wurde auf den Rasen gegossen als Opfergabe. Danach füllte man das Trinkhorn.
Der Allvater entzündete die Kerzen auf dem Familienleuchter und drehte sich dann wieder zu den Anwesenden um, welche teilweise mit offenen Mündern da standen.
Wie gerne hätte ich meine Schwester jetzt an meiner Seite und ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Sigyn neben mir nahm meine Hand und drückte sie.
Du wirst sie wiedersehen. Schon bald! Mehr sagte sie nicht und ich konzentrierte mich wieder auf das Geschehen vor mir.
Elias fuhr mit lauter Stimme fort.
Am Nornenbrunnen
Eine Eibe ewig wächst
Hoch in Himmels Hauch,
Tau tropft talwärts,
Drunten im Dunkel ein Brunnen.
An des Weltbaumes Wurzel
Sitzen und spinnen
Verhüllten Hauptes
Drei Schicksalsfrauen,
Die schweigsamen Nornen:
Urd, Verdandi und Skuld
Was Wurde, das Werdende und was nun Wird.
Edward, Dein Gang zur Quelle des Lebens hat Dich zu uns geführt. Und so versammeln wir uns heute hier, um Dich im Wasser zu weihen - als Zeichen Deiner feierlichen Aufnahme in unsere Sippe.
Komm' an den Quell,
Weih' deiner Seele,
Wecklieder, leise;
Wirst dann verstehen
Botschaft deiner Ahnen:
Wahrhaft und wert!
Lieber Edward, wir nehmen Dich auf und begrüßen Dich in unserer Mitte, auf der heiligen Mutter Erde, die uns trägt und nährt, im Kreise aller Wesen und im Kreise unserer Sippe. Wir weihen Dich mit dem Wasser des Lebens. Es ist das Wasser Deiner Heimat, es stammt aus dem James River, der an Deinem Geburtsort fließt.
Haytham und ich traten vor und tauchten unsere Hände in die Schale, welche uns Elias entgegenhielt.
Vorsichtig fuhren wir über den Kopf unseres Sohnes damit.
Bragi fuhr jetzt fort.
Wir nennen Dich Edward. Mögest Du Deinen Lebensweg stets kühn und voller Mut beschreiten, und mit Weisheit an Deiner Seite wachsen, so dass es Dir an gutem Rat nie mangelt.
Anmutig sitzen zwei Raben im hohen Geäst des Waldes, still blicken sie hernieder und breiten ihre Schwingen zum Flug. Sie bringen Rat dem Wanderer im nachtblauen Gewand, den Hut tief ins Gesicht gezogen ist er unterwegs.
Auf der Suche nach Weisheit und Erkenntnis kennt man ihn an vielen Orten und unter vielen Namen. Seine Pfade sind verschlungen wie das Geäst des Baumes, er sucht sich immer seinen eigenen Weg.
Jetzt war es an Haytham als der Hausherr, das Horn den Anwesenden zu reichen, während Elias wieder sprach und bei jedem Absatz nahm ein anderer den Met entgegen. Man trank jedoch nicht daraus, sondern es wurde immer ein kleines bisschen des Mets vergossen!
Hohe, heilige Götter
Euch sei zu Ehren erhoben das Horn
und der Treue geweiht.
Ahnen, Alfen und Disen
Euch sei zu Ehren erhoben das Horn
und der Treue geweiht.
Landwichten, Wesen des Ortes,
Euch sei zu Ehren erhoben das Horn
und der Treue geweiht.
Jeder hatte dabei die Gelegenheit ein paar Worte an unseren Sohn zu richten, welcher das Ganze mit großen Augen verfolgte. Still war er auf dem Arm von Elias und sah sich um.
Es war seltsam, aber ich fühlte mich selber wie aufgenommen, wie angekommen. Ich hörte Gesänge und Stimmen, hörte wie man die Götter pries und sie für ihre Taten lobte. Und dann trat für einen kurzen Moment meine Mutter auf mich zu und sah mich lächelnd an.
„Alex, es freut mich, dass du den Weg gefunden hast. DEINEN Weg. Wir werden warten, auf dass du auch bei uns sitzen wirst!“ ich fühlte ihre warmen Lippen auf meiner Stirn und wäre am liebsten mit ihr gegangen, doch sie hielt mich zurück. „Nein, dein Platz ist hier. Wenn es an der Zeit ist, dann werde ich es dich wissen lassen!“ langsam ging Mama in diesen Nebel und ich sah noch, wie sie Edward zuwinkte, welcher plötzlich nur noch „Omaaaaaaaa!“ brüllte und seine Hände nach ihr ausstreckte.
Ich hatte das Gefühl als setze mein Verstand komplett aus! Mein ganzer Körper zitterte und ich sah mich umringt von diesen leuchtenden göttlichen Gestalten, hörte ihre Stimmen…
Dann durchbrach Thors Stimme diesen Moment und ich sah, wie er unseren Sohn vor sich auf den Rasen stellte und sich hinkniete. Seine Hand legte sich auf die Brust von Edward und ein Leuchten ging von den beiden aus.
„Du wirst mich immer an deiner Seite haben, Junge! Gemeinsam werden wir den Weg fortsetzen. So will es das Schicksal der Nornen.“ Die Stimme des Donnergottes war nicht laut, sondern einfach nur angenehm, sodass sie Edward auch keine Angst machte. Im Gegenteil, er sah ihn an, dann auf seine Brust und ich erkannte die Tätowierung. Er würde Thors Hammer immer als Symbol tragen, so wie der Donnergott es gesagt hatte.
Und dann hallte Odins Stimme durch die Nacht!
Heil sollen wir fahren und immer heil wiederkehren und heil bleiben alle Zeit!
Damit war die Weihung abgeschlossen, mein Sohn war in der Sippe aufgenommen, hatte seinen Namen erhalten. Der Festkreis, wie man es nannte, wurde damit geöffnet und jeder konnte nun noch seine Glückwünsche und Geschenke überreichen.
Ein Brauch, welcher den Geschenkebringenden laut Überlieferung, ewig an das Kind binden sollte.
Edward hatte seinen Taufpaten erhalten, es war Thor und ich war mehr als stolz darauf. Auch wenn ich mir ein wenig Sorgen machte, dass es damit noch so einige Konflikte geben konnte.
Ein Wink des Allvaters reichte, dass ich mich ans Werk der Illusion machte. Ich bescherte den unwissenden Anwesenden entsprechende Bilder und ließ sie alles andere vergessen. Myrte neben mir schüttelte sich plötzlich und sah sich verwirrt um.
„Mir war gerade, als hätte mich jemand wachgerüttelt. Aber.. herrje… wie spät ist es denn schon? Es ist ja bereits stockdunkel!“ meinte sie lachend und wandte sich an ihren Gatten, welcher ebenso erstaunt über die späte Stunde war.
„Wir sollten uns langsam zurückziehen.“ hörte ich noch und sie verabschiedeten sich. Die Pächter machten sich ebenfalls auf den Weg und somit blieb nur noch der harte Kern hier. Aber ich sah, wie sich Edward die Augen rieb und sich an die Schulter von Elias schmiegte.
„Na mein Junge, du bist sicherlich müde. Möchtest du noch eine Geschichte hören?“ ein Nicken meines Sohnes und die beiden gingen mit Sybill im Schlepptau ins Haus. Ich war versucht hinterher zugehen, doch Frigg hielt mich auf.
„Alex, nein. Er weiß was er tut. Edward braucht seinen Allvater gerade.“ ihre Stimme war so beruhigend, dass ich das Gefühl hatte, etwas geraucht zu haben. Also ließ ich mich in Gespräche verwickeln und ich konnte mich in den Worten der Anwesenden treiben lassen. Es war eine Wohltat, weil ich einfach nicht auf meine Sprache achten musste.
Idun stand für einen Moment bei Haytham und die beiden führten anscheinend eine angeregte Diskussion. Worüber entzog sich meiner Kenntnis und sofort schoss in meinem Körper eine Welle aus purer Eifersucht empor, welche aber von Sigyn abrupt unterbrochen wurde.
„Zügle diese Empfindungen. Dein Mann wird dich nie betrügen.“ Warum mich diese Worte beruhigten, konnte ich nicht sagen. Tief in mir wusste ich, dass dieser Mann mich liebte und ich ihn ebenso. Wir würden einander treu bleiben, auch wenn Faith ab und an in meinem Kopf herumspukte.
Plötzlich hatte ich einen kurzen Moment, wo ich sie sah. Sie war auf einem Schiff… die Sonne schien in ihr Gesicht… und dann war alles wieder verschwunden!
„Ich kann ihre Gegenwart fühlen…“ hörte ich plötzlich den Allvater neben mir und ich starrte ihn an.
„Wo ist sie? Verdammt noch mal, was ist passiert?“ ich brüllte diese Worte heraus, weil ich mich nicht mehr beherrschen konnte und sah, wie sich meine Haut mit den leuchtenden Zeichen überzog!
„Wir müssen abwarten, aber es haben noch mehrere Götter ihre Finger mit ihm Spiel. Wir können nicht sehen, was dort gerade passiert!“ und das sollte mich jetzt beruhigen?
Ich konzentrierte mich ein letztes Mal auf Faiths Erscheinung… es war als würde man mich wegschieben und wo anders hinbringen wollen. Ich bekam diese Frau einfach nicht zu packen.
Ich fühlte Schmerzen, ich konnte Freya mit einem Male sehen, aber sie blitzte auch nur kurz auf…
Erschöpft sagte ich leise, ich würde mich jetzt zurückziehen und ging ohne ein weiteres Wort einfach ins Haus und hinauf in unser Schlafzimmer.
Völlig verloren saß ich auf dem Bett und starrte auf meine Hände.
Der Tag hatte so gut begonnen, was war jetzt auf einmal passiert? Warum brachten die Götter eigentlich auch immer gleich irgendwelches Chaos mit?
Magda erschien in der Tür und fragte leise, ob sie mich schon umkleiden solle. Ich nickte stumm und ließ sie machen, hing aber einfach meinen Gedanken nach und sagte kein Wort.
Als ich dann auf dem Bett in meinem Nachthemd saß, war ich versucht ein Portal in meine Zeit zu öffnen und einfach zu verschwinden!
Die Sehnsucht nach Yannick überkam mich wieder und ich suchte nach Alex, damit er mich zu ihm bringen konnte.
„Mom, ich habe es gerade von Alexander gesehen. Dein Tag war… ereignisreich möchte ich sagen. Aber… nein, weine nicht.“ seine Worte waren leise, auch seine Stimme zitterte.
„War es wirklich richtig, Yannick? Gerade weiß ich wieder nicht, ob … ich habe diesen Schritt gewagt, also werde ich jetzt auch mit den Konsequenzen leben oder?“ Er nickte mir zu und ich spürte für einen kurzen Moment seine Nähe, welche mich wieder einnordete und ich konnte mich etwas entspannen.
Ich bekam nur noch im Halbschlaf mit, dass Haytham mich an sich zog und mich festhielt.
„Ich liebe dich, mi sol.“ hörte ich ihn leise hinter mir und zog seinen Arm um mich.
„Ich will nicht mehr ohne dich sein, mi amor.“ hauchte ich noch und meine Augen fielen langsam zu.
Am nächsten Abend verabschiedeten sich unsere Gäste, was Edward mit lautem Weinen begleitete.
„Nicht gehen!“ er klammerte sich abwechselnd an Elias und Laurette. Ein herzzerreißendes Bild und ich nahm ihn auf den Arm. Seine Tränen wischte ich vorsichtig weg und drückte ihn an mich.
„Du wirst sie doch alle wiedersehen, min lille skat.“ flüsterte ich leise. „Wink noch hinterher!“
Er zog kräftig die Nase hoch und hob dann seine kleine Hand und winkte den Kutschen hinterher. In dieser Nacht war aber an Schlaf nicht zu denken, also hatte ich den kleinen Mann mit zu uns ins Bett geholt.
„Alex, wir waren uns doch einig…“ ja ja, er war sich einig. Mit einem Kuss versuchte ich meinen Mann zu besänftigen. „Das wird nicht reichen…“ flüsterte er an mein Ohr, legte dann aber seinen Arm um uns und so fanden wir doch noch ein wenig Schlaf.
Wir hatten mittlerweile von Lucius eine Einladung bekommen, er war zwar schon seit April wieder im Lande, wäre aber erst jetzt dazu gekommen sich zu melden. Es gäbe aber schlechte Nachrichten. Mehr stand nicht in seinem Brief und mir sank das Herz.
„Mi sol, mit Faith wird nichts sein. Denk daran, dass der Allvater ihre Gegenwart spüren konnte. Ich hoffe, es geht allen wirklich gut…“ doch auch Haytham war etwas misstrauisch geworden.
Wir schickten den Boten zurück mit dem Hinweis, dass wir uns über die Einladung freuten. Im Grund hatten wir kaum Verschnaufpausen im Moment.
Heute machten wir uns also auf den Weg zur Williams-Plantage, ich hatte beschlossen nicht den Seeweg zu nehmen. Der Aufwand wäre zu groß für das kleine Stück und so hatten wir die Kutschen fertig machen lassen. 4 Wachen wurden mitgenommen, der Rest sollte weiterhin entsprechend patrouillieren, auch wenn seit einiger Zeit keine Banditen mehr gesichtet worden waren. Auch von unseren anderen Nachbarn hatten wir diesbezüglich keine Nachrichten bekommen.
Die Fahrt dauerte ungefähr 7 Stunden mit einer Pause, in welcher Edward seinen Bewegungsdrang ausleben durfte. Stillsitzen war einfach nichts für ihn. Außerdem hatten wir einen unserer Wachhunde mit dabei. Unser Sohn hatte sich für Walka entschieden, sie hatte er besonders ins Herz geschlossen.
Beim Anwesen wurden wir schon erwartet und ich sah mit Entsetzen, dass auch Lady Melanie dort stand.
„Oh, das darf nicht wahr sein…“ maulte ich drauf los und rollte mit den Augen!
Man half uns beim Aussteigen und als ich vor unseren Gastgebern stand, fielen mir die betrübten Gesichter auf und wieder stiegen mir die Tränen in die Augen! Etwas war hier ganz und gar nicht gut!
Die Begrüßung fiel entsprechend nüchtern aus und man bat uns auf die Terrasse. Die bisherigen Umbauarbeiten hatten sich gelohnt, das Haus sah traumhaft auf. Auch der Garten hier war wunderschön geworden.
Als wir dann alle saßen und die Kinder mit Spielen beschäftigt waren, eröffnete Lucius das Gespräch.
„Ich muss leider die traurige Nachricht überbringen, dass mein Vater bei einem Angriff in London ums Leben gekommen ist.“ ich konnte ihn nur anstarren! Für einen kurzen, völlig unpassenden, Moment wollte ich schon jubeln, weil nichts mit meiner Schwester passiert war.
„Unser aufrichtiges Beileid, Lady Melanie, Master Williams.“ kam es leise von Haytham und er war aufgestanden, verbeugte sich vor den Angesprochenen. Ich tat es ihm gleich und brach in Tränen aus. Auch wenn ich Lion nicht richtig gekannt hatte und wir uns nicht ganz grün gewesen waren, so tat mir dieser Verlust trotzdem sehr leid.
„Ich danke euch.“ diese sonst so redegewandte stolze Frau erweckte plötzlich einen zerbrechlichen Eindruck.
Man schilderte kurz die Umstände und ich schüttelte zwischendurch nur den Kopf. Mal wieder hatten diese abergläubischen Kirchenmänner ihre Finger mit im Spiel, dass der Pöbel aufgehetzt auf sie losgegangen war. Sie konnten die Artefakte aber aus dem Anwesen bergen und sie wurden nun hierher verschifft. Deswegen wartete man auch jederzeit mit der Ankunft von Faith und Shay.
Den beiden war es in den letzten Monaten auch nicht sehr gut ergangen, doch Lucius meinte, dass sollten die Cormacs uns selber erzählen.
Zu mehr kamen wir nicht, weil die Kinder unsere Aufmerksamkeit verlangten. July hatte sich in den letzten Monate gemacht und sah tatsächlich immer mehr wie ihre Mutter aus. Die Jungs waren auch kräftig gewachsen und langsam konnte ich auch die Ähnlichkeit bei Cillian zu seinem Vater ausmachen. Auch wenn ich Liam nur kurz in der parallelen Welt gesehen hatte, so war es nicht zu übersehen.
Edward war in seinem Element und zeigte, was Walka mittlerweile alles für Tricks konnte.
„Wie ich sehe, habt ihr jetzt auch einen Wachhund.“ hörte ich Lucius freudig sagen.
„Nicht nur einen, Master Williams. Es sind eigentlich sechs an der Zahl. Aber alle konnten wir schlecht mitbringen, auch wenn Edward das gerne so gehabt hätte.“ ich konnte mir dabei einfach das Lachen nicht verkneifen.
Außerdem berichtete ich noch von dem Nachwuchs bei unseren Pferden und siedend heiß fiel mir ein, dass wir unserem Sohn noch gar nicht die frohe Botschaft überbracht haben, dass er ein eigenes Pferd hatte!
„Das sollten wir dann klären, wenn wir wieder daheim sind, mi sol.“ Ich befürchtete auch, wenn wir ihm das jetzt verkünden, würde er auf der Stelle wieder nach Hause wollen.
Als das Abendessen anstand, zog Mrs. Wallace unseren Sohn noch einmal um und wir nahmen alle Platz.
Mit einem Male hörte ich erschrockene Ausrufe und sah noch, wie eine Eule auf den Tisch zu stürzte und sich ihre Beute holen wollte. Es war Athene! Edward hatte sich so verschluckt vor Schreck, dass ihm die Milch wieder aus der Nase schoss und er aufjaulte.
Doch dann war es eh vorbei, weil alle realisierten, dass die Morrigan gleich anlegen würde.
Plötzlich spürte ich die Hand meines Mannes auf meinem Arm und hörte seine mahnenden Worte in meinem Kopf.
Alex, nein. Du rennst nicht zur Anlegestelle und du wirst ihr auch nicht um den Hals fallen! Dieser Satz kam so bestimmend, dass ich ihn entgeistert anstarrte und einfach nur den Kopf schüttelte.
Aber es waren eh die Kinder, welche in Windeseile aufgesprungen und los gerannt waren. Sogar Edward war mit dabei.
Von weitem sah ich wie Faith July im Arm hatte und die Jungs stürmten ebenfalls in ihre Arme. Es war ein wunderschönes Bild und mir stiegen ebenfalls die Tränen in die Augen.
Als dieser erste Begrüßungstumult beendet war, waren auch Lucius und Lady Melanie an der Reihe.
Etwas war an meiner Schwester anders und auch Haytham musterte sie, genau wie wir Shay genauer betrachteten. Konnte es sein, dass sie älter geworden waren?
Plötzlich fühlte ich ihren Blick auf mir ruhen, aber ich… spürte nicht dieses Verlangen wie sonst. Es war ein merkwürdiges und auch wenn es mir schwerfällt das zuzugeben, unangenehmes Wiedersehen! Eigentlich freute ich mich, aber jetzt wo sie hier vor mir stand fehlte etwas!
Dann trat ein Mann neben meine Schwester und ich staunte nicht schlecht. Ich meine, Haytham ist ja schon recht groß, aber dieser Herr war… groß! Und es ging eine Art Schwingung von ihm aus. „Isu… reiner geht es nicht“ hörte ich Odin und dann spürte ich dieses elektrische Knistern, wie bei den Artefakten der Vorläufer.
„Imhotep, das ist der Großmeister des kolonialen Ritus, Haytham Kenway, seine Frau Alexandra und ihr Sohn Edward“ stellte uns Faith vor.
„Eine Freude euch kennenzulernen, Master Kenway“ diese tiefe Stimme vibrierte richtig und ich überlegte die ganze Zeit, an wen mich dieser Mann erinnerte. Er sah definitiv nicht wie die Imhotep Zeichnungen aus, ganz bestimmt nicht. Aber… vermutlich machte ich mir schon wieder zu viele Gedanken.
Man erinnerte uns an das fertige Abendessen und dass wir es doch bitte nicht kalt werden lassen sollten. Unsere Gruppe machte sich nun auf den Weg zur Terrasse und Edward erhaschte wieder einen Blick auf die Eule. „Auch haben will!“ meinte er und zeigte grinsend auf das Tier. „Min lille skat, du kannst keine Eule haben. Wir haben schon genügend Tiere daheim.“ und ich gab ihm einen Kuss auf die Wange. Natürlich war er jetzt beleidigt, aber nur kurz, da kam Walka auf uns zu und er ging an ihrer Seite neben uns her zurück.
Während des Essens unterhielt man sich über einige Ereignisse, schwelgte hin und wieder in Erinnerungen oder berichtete von dem Umzug hierher.
Langsam senkte sich die Müdigkeit über die Kinder und ich sah wie Cadan sich müde die Augen rieb und auf den Schoß seiner Mutter kletterte. July holte sich einen Stuhl und setzte sich daneben, lehnte sich ebenfalls an und Cillian kletterte auch noch dazu.
Faith begann ein Lied zu singen, welches in einer für mich unverständlichen Sprachen verfasst war. Vermutlich ginge es ihnen hier nicht anders, wenn ich in meiner alten Sprache sang.
Edward zitterte plötzlich auf meinem Schoß und es schien, als wolle er in mich hineinkriechen. Seine Arme umklammerten mich, er suchte anscheinend Schutz.
„Min lille skat, was ist los? Das ist doch ein schönes Lied.“ flüsterte ich und streichelte über seine dunklen Haare. Aber er schüttelte den Kopf und seine Lippen zitterten. Bevor er hier begann zu jammern, ging ich mit ihm hinein, gefolgt Sybill.
Was ist los, Alex? Fehlt Edward etwas? Fragte mein Mann mich im Stillen.
Nein, er hat Angst vor diesem Gesang. Er kann es nicht zuordnen. Erklärte ich kurz und bat ihn, uns zu entschuldigen.
Oben angekommen entspannte sich mein Sohn sichtlich und ich strich ihm weiter beruhigend über den Rücken.
„Geht es wieder, min lille skat? Kannst du mir sagen, was dir Angst gemacht hat?“ aber die Antwort kam von Thor selber, welcher neben mir erschien.
„Es ist die Sprache der Isu an sich. Denk an die Artefakte der Isu, sie sind gefährlich mitunter und nicht alles ist richtig entschlüsselt. Mein Patenkind lernt erst jetzt mit ihnen umzugehen und muss vorher aber erst seine eigenen Sprachen beherrschen. Nur so wird er sein eigenes Schicksal erfüllen können! Alex, führe ihn langsam an die Vorläufer heran. Das war jetzt zu viel für ihn. Dazu kommt, dass Edward anscheinend völlig übermüdet ist. Die Weihe hat ihn angestrengt!“ Thors Hand legte sich auf die Brust meines Sohnes, welcher ihn aus müden Augen ansah. Für einen Bruchteil hatten die beiden wieder dieses Leuchten an sich und dann verschwand der Gott wieder.
„Mama, bin müde.“ meinte Edward gähnend und ich zog ihm sein Nachthemd an. Sybill erzählte ihm derweil eine kleine Geschichte über ihre Heimat. Als er dann sauber in seinem Bett lag, sang ich ihm leise vor und ein Lächeln huschte über sein rotbäckiges Gesicht.
„Du wirst noch viele unheimliche Begegnungen haben, min lille skat. Aber ich verspreche dir, du bist nicht alleine.“ flüsterte ich und gab ihm einen vorsichtigen Kuss auf die Stirn.
„Ihr könnt ruhig wieder hinunter gehen. Ich passe auf unseren Master Edward auf und seht mal, wer noch da ist.“ grinste mich das Kindermädchen an und deutete auf das Fußende vom Bett. Ich hatte nicht mitbekommen, dass Walka sich hier herein geschlichen hatte! Was für ein cleverer Hund. Eigentlich duldete ich so etwas nicht, aber hier machte ich eine Ausnahme.
Gerade als ich wieder nach unten wollte, kamen mir Faith und die Kinder entgegen. Ich sagte nichts, sondern lächelte meine Schwester lediglich an. Die Raumaufteilung wurde ihr gerade erklärt und da wir nun auch noch mit anwesend waren, war es doch recht voll geworden. Wir würden aber morgen nach dem Frühstück vermutlich wieder abreisen, damit sich hier alle akklimatisieren konnten in Ruhe.
Ich setzte mich wieder zu meinem Mann, welcher sich angeregt mit Shay unterhielt. Der Bericht über die Schatulle und deren Verbleib war das Thema. Ich hörte jedoch nicht richtig zu, weil ich in Gedanken bei dem Gespräch mit Thor noch war.
Kurz darauf erschien auch Faith wieder hier und als man ihr ein Glas Met reichte, schob sie ihn beiseite, nachdem sie daran gerochen hatte.
Nanu? Irgendwas schien im wahrsten Sinne des Wortes zwischen uns kaputt gegangen zu sein, genau wie Faith nicht mehr die Frau war, die ich kennen gelernt hatte. Auch wenn wir alle wussten, dass sie mehr Isu als Mensch war, trotzdem war sie mir immer wichtig gewesen. Mein Gehirn konnte aber heute nicht mehr richtig arbeiten und ich beschloss, den Abend einfach in Ruhe zu genießen.
Wir hatten noch ein paar Smalltalk Themen, ehe sich die Cormacs müde für die Nacht verabschiedeten.
„Ich denke, wir sollten auch zu Bett gehen, mi sol. Wer weiß, wann Edward gedenkt wieder aufzustehen.“ meinte Haytham grinsend und so gingen auch wir in unser Zimmer.
Oben angekommen, schloss mein Mann die Tür und sah mich lange an.
„In Faith schlummert etwas, Alex. Ich konnte einen Gott wahrnehmen und wenn ich mich nicht täusche, dann ist das einer der nicht ganz so friedlichen Art. Ich hoffe, ich irre mich, aber auch Tyr war etwas erschrocken. Er vermutet Ares dahinter. Es würde auch passen. Ich befürchte aber, wir können nur abwarten.“ seine Stimme klang leise und schon fast verschwörerisch, so als ob er befürchtete belauscht zu werden.
Das Freya sie verlassen hatte, bemerkte ich schnell, weil auch die Halskette nicht mehr dieselbe zu sein schien. Sybill hatte sich im November, als wir auf dem Weg zurück nach Virginia waren, freudig geäußert, dass sie ihre Gefährtin wieder gesehen hatte.
Abwarten, mehr konnten wir heute eh nicht mehr ausrichten. Magda half mir beim Ausziehen und als ich endlich neben Haytham lag, wurde ich etwas ruhiger.
„Schlaf jetzt, mi sol. Wir werden sicherlich noch eine plausible Erklärung bekommen.“ seine Stimme war flüsternd und ich spürte seinen beruhigenden Herzschlag.
„Das werden wir…“ gähnte ich und langsam fielen mir die Augen zu.
Magda war guter Dinge, als sie mir heute morgen half. Ich aber konnte nicht anders, als an diese recht seltsame Atmosphäre hier denken. Etwas mitleidig sah sie mich an.
„Mistress Kenway, vielleicht liegt es auch einfach an den Strapazen der Überfahrt.“ das könnte bestimmt auch einer der Gründe sein, weswegen Faith und Shay etwas, nunja, gereizt schienen.
Lions Tod lag ja auch noch allen auf der Seele.
Außerdem hatte ich den Eindruck, als würde auch Shay eine weitere Präsenz umgeben. Es fühlte sich an, als wäre er nicht alleine. Ein klärendes Gespräch musste her, bevor ich noch den Verstand verlor.
Mein kleiner Schatz hatte die Nacht recht ruhig geschlafen, war aber schon vor Sonnenaufgang wachgeworden und in unser Bett gekrabbelt. Aber er blieb liegen und spielte wie so oft mit meinen Haaren und erzählte vor sich hin. Ich würde manchmal zu gerne wissen, mit wem er gerade sprach.
Walka hatte sich vor unser Bett auf den kleinen Läufer gekuschelt und hatte gedöst.
Auf dem Weg nach unten kam uns Imhotep entgegen, wünschte einen guten Morgen und lächelte uns an. Ein seltsamer Mann, aber auch dabei hoffte ich auf eine Erklärung. Mich interessierte, woher Faith ihn kannte.
Auf der Terrasse wartete schon das Frühstück auf uns. Das Gespräch kam ziemlich schnell auf die Entwicklungen im Orden, die Fortschritte bezüglich einer Einigung zwischen Bruderschaft und den Templern und unweigerlich führte das Ganze auf den Umbau und dass man alles aus London jetzt hoffentlich hier sicher lagern konnte.
Den Umzug aus New York hierher hatte Shays Tante Ruth überwacht und ich fand sie großartig. Sie ließ sich nicht beirren, schon gar nicht, wenn mal wieder einer der Helfer ihr mitteilte, dass sie es doch bitte so oder so machen sollte. Sie war ihr eigener Chef und hatte ihren Frieden mit allem geschlossen. Das spürte man und machte sie sympathisch.
Haytham kam auf das Thema Erziehung der Kinder und ob man ihnen nicht lieber die Entscheidung überlassen sollte, ob sie der Bruderschaft oder dem Orden beitreten wollten.
Im Grunde waren wir uns einig und ich stimmte ihm zu, weil unser Sohn sicherlich mehr Assassine war als Templer, dass hatten wir in den letzten Monaten immer mehr zu spüren bekommen.
„Im Grunde reicht es ja auch, wenn man eine einfache Templerin wie Faith ist. Es geht ja auch um die eigentliche Einstellung zu den Lehren des Ordens.“ meinte Lady Melanie und plötzlich schien sich in Faith etwas zu erheben, im wahrsten Sinne des Wortes.
Ihr Blick ging hasserfüllt in meine Richtung und ich erschrak, sie war in eine leuchtende rote Aura gehüllt!
Ich versuchte sie wieder zu erreichen, doch meine Worte prallten einfach an ihr ab und dann hörte ich eine unheimliche dröhnende Stimme. Nicht nur ich, wir alle standen abrupt auf und sahen Faith vor Zorn zitternd mich anstarren! Wurde sie gerade von diesem Ares gelenkt?
„Du bist also dieses Weib, was in allem besser ist als der Erbe. Die Tochter Odins und das Miststück, welches aus einer anderen Zeit kommt. Du weißt immer alles besser, hältst jeden hier für dumm, oder? Du bist eine verlogene Templerschlampe, die sich an den Großmeister ran gemacht hat und sobald sie im Orden war, wurde sie noch über den Erben gestellt!“
Das reicht! Ich lasse mich von so einem windigen Gott, welcher wie Hrymr eigentlich nicht existieren sollte, nicht einfach beleidigen!
„Oh, da ist jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden, wie? Ich weiß vieles besser! Ja! Und warum? Weil ich einfach 250 Jahre mehr geschichtliches und medizinisches Wissen habe! Dafür kann ich leider nichts!“ ich atmete ein paar Mal tief durch, sonst wäre ich meiner Schwester doch noch an die Kehle gegangen, denn bei jedem meiner Worte grinste sie breiter in meine Richtung. Dieses Miststück provozierte mich!
„Ach, und bitte vergesst nicht. Ich habe länger für den Orden gearbeitet, mehr an Hintergrundarbeit geleistet, als ihr alle HIER seht. Dass man mich über den Erben stellt, habe ich mir nicht ausgesucht, es wurde beschlossen!“ fauchte ich weiter.
„Der Allvater hat eine Entscheidung getroffen, schon vor langer Zeit und mich vor vollendete Tatsachen gestellt! Also lebe damit oder wir tragen das gleich hier und jetzt aus, damit ein für allemal Ruhe herrscht!“ brüllte ich, aber es war eigentlich nicht ich, es war meine Vorfahrin, die sich in den Vordergrund schob und neben mir spürte ich Haytham, welcher sich straffte und auf das schlimmste gefasst machte!
Mrs. Wallace hatte sich sofort mit Edward zurückgezogen und ich nahm nur am Rande wahr, dass auch July, Cadan und Cillian auf Abstand gingen.
Dann dröhnte diese Stimme Ares´ wieder los. „Wenn du dich mit einem Gott anlegen willst, bitteschön. Es wird mir eine Freude sein dich und den Rest hier zu zerquetschen“ Das werden wir ja noch sehen… Doch bevor ich reagieren konnte, schrie Cadan „Lass meine Mama frei!“ und plötzlich war Faith mit Pflanzen überzogen, welche sie in hohem Bogen von der Terrasse schleuderten! Der kleine Cormac hatte es echt drauf!
In mir keimte ein seltsames Gefühl und ich spürte zwei stattliche Gewichte an meiner Hüfte. Äxte?
Für einen kurzen Moment musste ich mich sammeln, als ich sah, wie Lucius über die Brüstung sprang, gefolgt von Imhotep. „Bastet beschütze den Rest, Shay, Haytham und Alex haltet Ares in Schach!“ befahl Master Williams und es fühlte sich an, als würde ich in den Krieg ziehen.
Du wirst eine Schlacht erleben, die dich ein bisschen lehren wird, die alten Waffen richtig zu nutzen, mein Kind. Auch wenn sie nicht von langer Dauer sein wird, leider. Odin klang ehrlich enttäuscht und das ließ mich ein wenig schmunzeln.
Ich konnte mich erstaunlich geschmeidig in diesem Kleid bewegen, bemerkte ich plötzlich und sah, wie ich die Äxte bereits gezückt hatte und in Kampfstellung gegangen war. Das war irgendwie automatisch… Thyra! Ging es mir durch den Kopf!
Für Analysen war aber gerade keine Zeit!
Um uns baute sich eine Art goldene Kuppel auf. Also konnte der Kampf gegen diesen Wichtigtuer endlich beginnen.
Ich beobachtete die Bewegungen einen Moment und versuchte ein Muster zu erkennen. Brüllend meinte er, ihm stände ihre gesamte Macht zur Verfügung und Faiths Zeichen auf der Haut glühten rot auf. DAS konnte ich auch und in mir breitete sich Odins Segen aus und neben mich trat Haytham in der Gestalt von Tyr.
Ares versuchte mich anzugreifen, doch ich konnte kontern. Jedoch flog er regelrecht über mich hinweg und wollte gerade zum Gegenschlag ansetzen, als Tyr sich vor mir aufbaute und entsprechend die Kräfte abprallen ließ.
Das hinderte unseren Angreifer aber nicht daran, munter weiter zumachen.
Aus den Augenwinkeln sah ich wie sich Shays Aufmachung änderte, eine Rüstung war auszumachen und ein Bogen mitsamt Köcher bildeten sich auf seinem Rücken. Aber wen stellte er da?
Haytham versuchte unseren Angreifer weiter zurück zu drängen, was ihm ein wenig gelang und ich attackierte Ares weiterhin mit meinen Äxten.
Shay schoss einen Pfeil nach dem anderen, einige konnte der Angreifer mit seinem Speer abfangen. Für den Bruchteil einer Sekunde schwankte der Gott, was ich ausnutzte und ihn mit meinen Waffen am Arm traf. Mir kam meine Größe wieder zugute und ich konnte mich unter seinem Speer hinweg ducken.
Ich sah, wie ein Pfeil nach dem anderen abgefeuert und abgewehrt wurde und fragte mich, ob es unendlich Munition für diesen Bogen gab?
Plötzlich donnerte die Stimme Ares los und er ließ seine Kräfte auf den Boden wirken, sodass wir von umherfliegenden Dreckklumpen beschossen wurden. Das war ja schlimmer als im Kindergarten, hier wurde man auch mit Sand beworfen.
In meiner linken Hand erschien ein Schild, welches ich nun geschickt nutzte um nicht von diesen Geschossen getroffen zu werden. Tyr hatte es mir gleichgetan und versuchte so, näher an diesen Gott zu kommen.
Kind, er wird nicht klein beigeben. Aber wir können dir gerade nicht beistehen. Du hast die Fähigkeiten deiner Vorfahrin erkannt! Nutze sie jetzt! Brüllte mich der Allvater an.
Und dann sah ich aus dem Augenwinkel, wie sich Shay erhob, nein, es war Horus welcher sich dem Kampf stellte! Jetzt wurde mir auch klar, warum ich in seiner Gegenwart eine zweite Präsenz gespürt hatte vorhin!
Wir hatten jetzt aber keine Zeit, wir mussten in Bewegung bleiben und immer wieder versuchte man uns mit Druckwellen zu Fall zu bringen oder der Speer kam mir zu Nahe. Langsam wurde es ermüdend, weil ich plötzlich auch kein Ziel mehr vor Augen hatte. Was brachte mir dieser Kampf, es schien wie ein Unentschieden zu laufen!
Plötzlich begann die Gestalt des Angreifers zu flackern und ich spürte, wie sich eine Energiewelle aufbaute und ich bekam es mit der Angst zu tun.
„Haytham, auf die Knie und versuche dich mit dem Schild zu schützen…“ ich hatte es noch nicht ausgesprochen, als uns diese geballte Ladung um die Ohren flog und wir aus dieser Kuppel geschleudert wurden.
Unsanft landete ich auf meinem Hintern und Haytham lag quer über mir. Bei Odin, dieser Mann ist wirklich schwer.
„Aua, geh runter von mir!“ ich schob ihn unsanft von mir und rappelte mich wieder auf. Ungläubig starrte ich auf dieses Gebilde vor mir, konnte aber nicht mehr dort hinein. Jedes mal wenn ich es berührte, durchzuckten mich kleine Stromschläge! Das Werk der Isu!
„Mi sol, geht es dir gut? Bist du verletzt?“ mein Mann drehte mich hin und her und erst jetzt kam ich auf den Gedanken, nachzusehen. Mir fehlte aber nichts.
Jetzt sah auch Haytham in Richtung dieser Kuppel, doch es war, als würde man durch einen dichten Nebel schauen.
Hinter uns kam Bewegung auf die Terrasse und ich staunte nicht schlecht, als mehrere Fässer Wein in Position gebracht wurden und dann auch geöffnet wurden! Was für eine Verschwendung!
Nach und nach verschwand jetzt das Gebilde und ich sah, wie Horus über Faith gebeugt war. Ich wollte schon hinüber eilen, als ich es würgen hörte und Shay hielt seiner Frau die Haare aus dem Gesicht! Dann hatte sie wohl von dem Wein gekostet und das nicht zu knapp. Ein Anblick für die Götter… ha, wie zweideutig doch mal wieder!
„Das wirst du ihr vermutlich noch einige Male aufs Brot schmieren, oder?“ grinste mich der Ire an und ich nickte kichernd. Er brachte seine volltrunkene Frau jetzt ins Haus und wir anderen versuchten ebenfalls wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Der erste Gedanke war, ob mit Edward alles in Ordnung war. Doch ich sah ihn schon auf uns zu rennen. „Mama! Papa!“ und Haytham hob ihn auf den Arm.
„Geht es dir gut, Edward?“ die Besorgnis von Haytham war nicht zu überhören. Hinter unserem Sohn war auch Sybill zu uns gekommen.
„Es geht Master Edward sehr gut. Ihr ward abgeschirmt, sodass er nichts sehen konnte. Nur… er… will nicht mehr bei Lady Cormac bleiben.“ die letzten Worte sagte sie so leise, dass ich sie kaum verstand.
„Tante Fais ist böse!“ fauchte mein Sohn und seine Lippen zitterten dabei.
„Nein, min lille skat. Das war nicht Faith, das war Ares. Ein böser Gott! Aber er ist jetzt weg.“ versuchte ich ihm zu erklären.
Lady Melanie erschien mit den anderen Kindern neben uns und lächelte uns an.
„Ihr habt euch gut geschlagen, Mistress Kenway, Master Kenway. Meine Enkelin kann sich glücklich schätzen, solche Freunde zu haben.“ ihre Stimme zitterte etwas und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte.
„Ich danke euch, Lady Melanie. Wir haben nur das getan, was Faith oder Shay auch für uns tun würden.“ kam es in Haythams kühlen Templerton.
„Ja, natürlich…“ täuschte ich mich, oder wollte sie mehr sagen? „Master Edward, ihr braucht wirklich keine Angst mehr zu haben. Faith ist wieder ganz alleine in ihrem Körper.“ sprach sie lächelnd an meinen Sohn gewandt.
„Ist Fais krank?“ seine Stimme hatte einen seltsamen Klang und ich sah, wie seine Haut sich mit den Zeichen übersäte. „Ich mache sie heile.“ und dann war er plötzlich ganz weit weg. Sein Blick ging ins Leere, wie es schien. Dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Tante Fais ist müde.“
Enttäuscht, weil Edward zu ihr durchdrang, ich aber nicht mehr, entfernte ich mich von der Gruppe. Ich brauchte einen Moment um diese Eifersucht wieder abzuschütteln.
„Mistress Kenway, wartet.“ hörte ich Lady Melanie hinter mir rufen. „Ich weiß, die Verbindung ist… sie ist verschwunden. Faith wird euch darüber noch aufklären, es ist nicht meine Aufgabe. Dieses Gefühl gerade kann ich verstehen, aber euer Sohn besitzt ganz andere Fähigkeiten als wir alle hier. Ich habe übrigens gesehen, dass Edward Thor an seiner Seite hat. Das ist ein Segen, glaubt mir.“ zum ersten Mal sah ich diese Frau an und verspürte keine Wut oder Hass gegen sie.
„Ich vermisse meine Schwester.“ flüsterte ich und mir liefen die Tränen über die Wangen. Plötzlich fühlte ich ihre Hand auf meinem Arm.
„Sie wird wieder zu euch zurückkehren! Wir werden einen Weg finden.“ und damit drehte sie sich um und ging zu ihren Urenkeln. Ich sah ihr noch hinterher, wusste aber nicht, was ich jetzt machen sollte.
Die Bediensteten begannen sich um den ruinierten Rasen zu kümmern und hier wieder einigermaßen für Ordnung zu sorgen.
Lucius und Imhotep standen an der Brüstung der Terrasse und unterhielten sich. Dann verschwand der Isu im Haus. Ich vermutete, dass er nach Faith sehen wollte.
Gemeinsam mit Haytham und Edward ging ich Richtung des Hauses und bat einen der Diener mir bitte ein Glas Hochprozentiges zu geben.
„Mistress Kenway, seid ihr unbeschadet aus dem Kampf gekommen? Ich hatte noch keine Gelegenheit danach zu fragen.“ hörte ich Master Williams neben mir.
„Danke, mir ist nichts passiert, vermutlich werde ich ein paar blaue Flecken morgen haben.“ ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und ließ mich auf einen Stuhl sinken.
Es muss mittlerweile schon Mittag sein und als ich zu Edward sah, bestätigte sich meine Vermutung. Er gähnte an der Schulter von Haytham heftig.
Ich bat ihm eine Kleinigkeit zu Essen zu bringen, damit er anschließend seinen Mittagsschlaf halten konnte.
Bevor aber die Mahlzeit für Edward fertig war, wurde bereits der Tisch gedeckt für alle. Mir fehlte leider jedes Zeitgefühl gerade.
Haytham war mit unserem Sohn im Garten verschwunden und ich sah den beiden Kenways lächelnd hinterher. Im Grunde hatte ich doch alles was ich wollte, warum war ich aber immer so schnell eifersüchtig? Leider beantwortete mir niemand diese Frage und ich starrte weiter auf den etwas malträtierten Rasen, während ich auf der kleinen Treppe der Terrasse saß.
Plötzlich hörte ich Faith hinter mir. „Darf ich mich neben dich setzen?“ Sie war aber schnell wieder auf den Beinen!
Eigentlich war mir nicht danach, sie in meiner Nähe zu haben, oder doch? Bei Odin, ich hasse dieses Gefühlschaos, also nickte ich stumm und sie setzte sich dazu.
„Ich denke ich bin dir mehr als eine Erklärung schuldig.“ sprach sie leise und ich sah zu ihr rüber. Ja, das wäre echt reizend, wenn man mich endlich informieren würde! Und dann begann sie zu sprechen!
„Wenn du nicht mit mir reden willst gut, doch höre mir einfach zu. Nachdem ihr aus London abgereist seid, hatte sich unser Ordenszweig um die irische Bruderschaft gekümmert. Doch dank einer List von Lady Melanie konnten wir den Einfluss von Elinor auf die Königin verringern und sie sah sich dazu genötigt im September das Land zu verlassen. In dieser Zeit bekamen wir eine Nachricht, dass die Schatulle in Italien aufgetaucht war und in wenigen Wochen an die irische Bruderschaft gehen sollte.
Also folgten wir Elinor mit dem Schiff meines Vaters. Mitte Oktober kamen wir in Rom an. Wir sollten dort unseren Informanten treffen. Na ja es ist alles ein wenig anders gekommen. Der Treffpunkt mit dem Herren war im Untergrund von Rom. Wir überquerten den Schwarzmarkt und an diesem Ort trafen wir auf Imhotep. Um es kurz zu machen….Wir befreiten die Sklaven und Imhotep kam mit uns.
Leider hatten die Assassinen der italienischen Bruderschaft unseren Informanten angegriffen. Shay folgte dem Meuchelmörder und ich erfuhr von unseren Verbündeten das Elinor fast die Schatulle hatte. Ohne lange zu warten oder überhaupt einen Plan zu haben stürmten Shay und ich das Hauptquartier der Bruderschaft. Zum Glück half uns Imhotep sonst wären wir dort nicht leben raus gekommen. Zu unserem Pech floh Elinor und dank der Assassinen wussten wir wohin sie unterwegs war. Einen Tag später verfolgten wir sie wieder dieses mal nach Sizilien.“
Sie unterbrach den Redefluss kurz und ich sah, wie die Bilder dieses Ereignisses an ihrem inneren Auge vorbeizogen. Ich sagte weiterhin nichts, ich wartete ab.
„Wir stellten sie in einem Tempel der Vorläufer der direkt unter dem Ätna ist. Aber dort...sie war nicht allein. Elinor war von Ares besessen. Dieser eröffnete sofort den Kampf und ohne Shay und Freya hätte er gewonnen. Als erstes durchbohrte seine Lanze Shay, der sich zwischen mich und Ares gestellt hatte….dann erwischte er mich an der Schulter, zerstörte dabei die Tätowierung von Loki und unsere Verbindung.“
Ich zuckte zusammen, weil ich vermutlich diesen Moment damals auf der Jackdaw gespürt hatte. Dieser Traum aus dem ich hochgeschreckt bin.
„Bevor er mich töten konnte erschien Freya und nur dank ihr konnte ich das Artefakt meiner Mutter von Ares zurück bekommen, aber der Preis war hoch, Alex. Ares fügte Freya eine Wunde am Oberschenkel zu. Jedenfalls konnte ich den Kriegsgott besiegen, weil mir Athene ihre Kräfte verliehen hatte. Was danach geschah….unendliche Dunkelheit in der ich allein war, bis ein Licht mich da raus holte. Shay und ich erwachten nach Wochen aus einem schier ewigen Alptraum. Wir beide waren in London und der Lotus hatte uns gerettet. Das dachten wir zumindest, bis Ares am Anfang des Jahres Shay übernahm und das alles wegen mir. Ich hatte Imhotep geküsst, weil er mein Seelenverwandter war und das habe ich Shay gesagt. Ares reagierte auf die Eifersucht und brach durch, so wie bei mir. Wir konnten Shay mit Hilfe des Ankh der Isis retten, aber Geillis meine ehemalige Lehrerin gab dafür ihr Leben“
Für einen kurzen Moment hielt sie inne und wischte sich eine Träne von der Wange. Aber ich hatte nicht das Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen.
„Sobald wir wieder in London waren, halfen wir Lion die Artefakte zu holen und auf die Morrigan zu bringen. Dabei wurde Lion von einem Mob getötet. Er und Thot verschafften uns so genug Zeit um mit der Morrigan zu fliehen.“
Faith drehte sich zu mir und weinte bitterlich. Es tat mir in der Seele weh, doch … ja ich war doch froh, dass sie wieder hier ist.
Wir werden wieder einen Weg finden. Hörte ich plötzlich Lokis Stimme in meinem Kopf. Und jetzt denk an eure gemeinsame Zeit, an das, was ihr erlebt habt! Sie gehört einfach an deine Seite, sie liebt dich! Frigg sprach diese Worte und ich fühlte, wie mir jemand diese negativen Impulse nahm und sie mit den schönen Erinnerungen an Faith erneuerte!
Ich drehte mich zu ihr, nahm sie in meine Arme und drückte sie.
„Ich bin froh, dass du heile wieder hier bist, mo rionnag!“ meine Stimme versagte und es tat verdammt gut, ihren Körper wieder zu fühlen. Aber dann kam ein kleiner Zusatz…
„Ich auch und ich habe mit Imhotep geschlafen.“ Das kam leise genuschelt aus ihrem Mund und ich sah sie mit großen Augen an. Ich meine, er sieht ja nicht schlecht aus…
Bevor ich aber weiter fragen konnte, klärte sie mich über diese, nunja, etwas besondere Beziehung auf.
„Ich habe Shay nicht betrogen, es war mehr wir drei ... also du kannst es dir denken“ ich konnte mir ein breites Grinsen nicht verkneifen! Dieses kleine durchtriebene Luder, da hatte sie mal wieder gleich zwei Männer im Bett. Damit konnte ich durchaus leben, denn wenn wir mal ehrlich sind, welche Frau… aber ich schweife ab.
„Faith wegen mir kannst du ruhig mit diesem Isu schlafen, das ist eine Sache zwischen dir, Shay und ihm. Solange keine weitere Frau dabei ist.“ grinste ich immer noch breit und musste dringend diese Bilder in meinem Kopf loswerden!
„Ich liebe dich, mein preußisches Weib!“ hauchte sie an meinen Lippen. Ihr Kuss schmeckte einfach wie ein angekommen sein. „Ich liebe dich auch!“ und ich kostete diese weichen Lippen.
Es hätte so schön werden können, aber wir wurden von einem säuerlichen Geräusper meines Gatten gestört. Er musste dringend an seinem Timing arbeiten, ging es mir wieder einmal durch den Kopf.
„Wie ich sehe, muss ich mir keine Sorgen mehr um deinen Gemütszustand machen, mi sol?“ in seiner Stimme hörte ich aber den belustigten Tonfall, also war er eher erleichtert, als sauer.
„Du siehst richtig, mi amor.“ Edward stand an das Bein von Haytham geklammert da und starrte Faith an.
„Wieder lieb Tante?“ langsam ging er auf sie zu. Edward hob seine Hand und stupste Faiths nasse Wange. „Bist du traurig?“ Bei Odin, dieser Anblick war einfach so niedlich.
„Mir geht es wieder gut und ich bin jetzt nicht mehr so doll traurig.“ und dann schlangen sich seine Arme um sie. Mir fiel ein Stein vom Herzen, dass er keine Angst mehr hatte. Auf Faiths Frage, ob er Hunger hätte, nickte mein Sohn eifrig und sie nahm ihn hoch.
Das Essen wurde aber im Salon serviert und als wir eintraten, wurden wir von einer frechen July mit den Worten „Wurde auch Zeit, Mama!“ begrüßt. Ja, wir waren anscheinend spät dran.
Das Essen roch himmlisch, aber als man meiner Schwester etwas auf den Teller gab, verfärbte sich ihr Gesicht leicht grünlich. Ich vernahm ein leises belustigtes Glucksen von Shay und Imhotep, anscheinend fanden sie diesen Zustand von ihr spaßig.
Der Wein sei ihr wohl auf den Magen geschlagen, kam es auf meine Frage, ob alles in Ordnung war.
„In der Tat, Roohy, aber es war zu deinem und unserem Besten, ansonsten hättest du viel schlimmeres als Ares angerichtet!“ erklärte der Isu kurz und als meine Schwester ansetzte etwas zu sagen kam ihr ihre Großmutter zuvor.
„...Sachmet ist die ägyptische Kriegsgöttin und die dunkel Seite von Hathor kleine Lady. Aber Faith du kannst sie kontrollieren sobald du deine Kraft wieder hast.“ mit einem zuversichtlichen Ausdruck im Gesicht und als Lucius noch sagte, sie werden schon noch herausfinden WIE, war das Thema abgehakt.
Ich für meinen Teil hatte mal wieder im Kopf, dass ich in den nächsten Tagen wieder nette Lektüre studieren würde. Auch wenn mich diese Seite der Götter nicht wirklich ansprach oder ich ihnen nahe war.
July hatte bemerkt, dass die Kette von Freya anders aussah und sie fragte nach, ob die Göttin nicht mehr da sei. Außerdem fiel ihr das Armband auf. Das war das Zeichen der Göttin Hathor, erklärte Faith und Freya sei nicht wirklich weg, sie würden sie sicherlich wiedersehen. Bevor die Kleine aber noch weiter fragen konnte, unterbrach Faith sie mit einem liebevollen „Später“.
Für Edward und Cadan war es Zeit für den Mittagsschlaf und nun wurden auch Shay und Faith endlich einmal durch ihr Heim geführt. Wir hatten gestern schon eine Besichtigung bekommen und ich sagte es ja schon, die Umbauarbeiten waren ein voller Erfolg.
Es gab auch schon eine Schule, welche Ruth übernommen hatte und Aminata machte sich unter anderem als Hebamme nützlich. Langsam kam auch hier ein geregeltes Leben in Gang, was mich freute und ich konnte mich ja auch schon von den freien Sklaven überzeugen.
Die Pflanzen im Wintergarten waren Cadans Werk und ein Gewächshaus gab es zudem auch noch.
Außerdem, und das hatte man uns gestern gar nicht mehr zeigen können, gab es ein römisches Bad, welches vom Wintergarten aus betreten werden konnte.
Bei diesen Worten brauchte ich nur zu Faith schauen und wir standen auf! DAS mussten wir inspizieren.
Mi sol, ich warne dich! Hörte ich Haytham in meinem Kopf.
Wir wollen ja nur einmal einen Blick hinein werfen, mi amor. Und ich gab meinem Mann einen Kuss, welcher ihn hoffentlich friedlich stimmte.
Das Bad war ein Highlight und ich staunte, als ich die Dusche sah. Faith erklärte, dass ein Master Elrik wohl dafür verantwortlich sei. Ich hatte es ja auch schon für uns angedacht und würde mich wohl irgendwann einmal mit diesem Herren in Verbindung setzen. Wie ich doch so eine nette Annehmlichkeit vermisste…
Faith tauchte ihre Finger in das Becken und ich tat es ihr gleich. Wohlig warme Temperatur und ich seufzte tief. „Warm und am liebsten würde ich es gleich mit dir ausprobieren“ sprach sie leise und ihr Mund kam dabei immer näher!
Ja, das wars dann auch. Die Tür wurde geöffnet und herein kam, nein, kein Shay oder Haytham, es war Imhotep. Das konnte doch nicht wahr sein, da hatten die Herren ihn vorgeschickt um nach dem Rechten zu sehen. Grinsend musste ich daran denken, ob die beiden Templer Angst vor dem hatten, was sie zu sehen bekämen oder Angst davor hatten, das wir sie anmaulen würden.
Ich spürte die Verbindung zwischen Faith und Imhotep und es war mir mehr als unangenehm. Es ist so ein Gefühl wie das fünfte Rad am Wagen und ich schüttelte mich leicht.
Ich hörte noch wie Faith meinte, sie würde diese Dame nicht teilen. Nein, da würde ich mich dezent von distanzieren, zumal Haytham postwendend die Scheidung einreichen würde!
Die Situation war mir mehr als unangenehm. Ich räusperte mich leise um auf mich aufmerksam zu machen und riss die beiden Turteltäubchen aus ihren Gedanken.
Wir gingen wieder zurück und gerade als sich Faith setzen wollte, erzählte ihr Lady Melanie, dass es noch einen Raum hier gäbe, welcher nur für ihre Enkelin gedacht sei. Dort hätte sie Ruhe um an ihren Forschungen zu arbeiten.
Als meine Schwester zurück kam, waren auch Cadan und Edward wieder wach. Somit war es vorbei mit der Ruhe und als Cillian fragte, ob sie in dem Teich baden dürften, waren auch die anderen gleich Feuer und Flamme.
Mein Sohn wurde von Sybill ausgezogen und flitzte mit seinem kurzen Hemd und den kleinen Beinchen den anderen hinterher.
„Habt ein Auge auf ihn, er kann noch nicht schwimmen.“ sprach ich nur leise zu Mrs. Wallace. Etwas, das ich auf meinem Plan für Edward für den Sommer hatte.
Der restliche Nachmittag war entspannt, weil endlich eine Klärung stattgefunden hatte und ich muss sagen, es fühlte sich wirklich wie nach einem Gewitter an. Auch wenn ich immer noch nicht dieses Verlangen nach Faith hatte wie damals. Aber es war auch für uns viel passiert.
Wir reisten am nächsten Morgen nach dem Frühstück wieder ab, weil Haytham einen Termin am Abend hatte und wir ihn nicht verschieben konnten.
Der Abschied fiel mir recht schwer und auch Edward wollte gerne bei den Kindern bleiben. Ich versprach ihm aber, dass wir jetzt ab und an mal für ein Wochenende hierher kämen oder umgekehrt.
Der Rückweg war nicht ganz so lang, wir waren nur knapp 5 Stunden unterwegs und ich war froh darüber.
Zuhause angekommen, zog ich mich um und Haytham tat es mir gleich. Wir ließen uns auf der Terrasse den Tee bringen und Edward freute sich, endlich wieder mit den Hunden spielen zu können.
„Wollen wir ihm nicht sagen, dass er jetzt ein eigenes Pferd hat?“ flüsterte ich und sah meinen Mann fragend an.
„Warte lieber bis nach seinem Mittagsschlaf. Dann haben wir den ganzen Nachmittag Zeit, um ihm alle Fragen zu beantworten.“ lachte Haytham, weil er ahnte, dass sein Sohn nicht stillsitzen würde bis er alles erklärt bekommen hatte.
Das Essen verlief ruhig und ich sah, wie Edward immer wieder heimlich Walka etwas von seinem Teller gab.
„Edward! Die Hunde bekommen nichts vom Tisch!“ ermahnte ich ihn streng und er sah mich mit großen Augen an.
„Walka hat Hunger!“ erwiderte er aufgebracht und warf ihr ein Stück Fleisch zu, welches sie gekonnt auffing.
„Aber die Tiere bekommen ihr eigenes Essen und du weißt, sie sind keine Spielgefährten, sondern zu unserem Schutz hier.“ auch Haytham war nicht begeistert von dieser Fütterung.
„Aber dann ist Walka traurig.“ jammerte Edward und traurig sah er auf die Hündin nieder, welche brav neben ihm saß.
Ich seufzte. Es war noch ein langer Weg, bis unser Sohn so etwas verstand und bis dahin mussten wir noch oft sehr lange Gespräche einplanen.
Als unser kleiner Schatz dann im Bett war, natürlich war die Hündin wieder hinterher getigert, ging ich hinüber zum Stall. Ich wollte nachsehen, wie es dem Nachwuchs meines Hengstes ging. Doch die Familie war mit den anderen Pferden auf der Koppel, welche sich in der Mitte der Auffahrt befand.
Für einen Moment lehnte ich am Gatter und sah ihnen zu. Es war schönstes Wetter und ich war versucht Fenrir satteln zu lassen um einen kleinen Ausritt zu machen.
„Ahhhh, Mistress Kenway! Habt ihr euch schon einen Namen für den Nachwuchs ausgedacht?“ fragte mich Mr. Mackenzie und sah ebenso versonnen auf die Koppel.
„Nein, noch nicht. Aber wir wollten heute Nachmittag Master Edward verkünden, dass es sein Pferd sein soll. Vielleicht fällt ihm dann ja auch ein Name ein.“ überlegte ich. Was wäre passend für dieses Tier?
„Da wird er sich sicherlich freuen! Ich werde eurem Sohn dann nach und nach erklären, wie man ein Pferd an sich gewöhnt. Mit dem Reiten wird es eh noch etwas dauern, bevor das Jungtier nicht drei Jahre alt ist, rate ich mit dem Einreiten übrigens noch ab. Ich habe in meiner Laufbahn als Stallmeister schon die schlimmsten Dinge gesehen…“ in seinem Blick lag plötzlich Trauer und ich hakte nach.
„Mistress Kenway, ich verabscheue es, den Pferden Gewalt anzutun, damit sie eingeritten werden können. Und wenn die Knochen oder auch Muskeln noch nicht richtig ausgebildet sind, kann es zu schweren Verformungen kommen und das bereitet dem Tier große Schmerzen. Ich habe sehr oft erlebt, dass man das Pferd nur noch mit einem Schuss von den Qualen erlösen konnte.“ seine Worte waren immer leiser geworden und mir trieb es die Tränen in die Augen.
„Ich bin froh, dass ihr hier angestellt seid und euch so gut um diese wundervollen Tiere kümmert, Mr. Mackenzie!“ ich legte ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte ihn an.
„Danke.“ sprach er leise und sah wieder auf die Koppel.
Am Nachmittag dann endlich konnten wir Edward die frohe Kunde überbringen und er freute sich natürlich lautstark.
So schnell konnten wir nicht schauen, als er auch schon hinaus rannte mit Walka im Schlepptau!
Unser Stallmeister nahm ihn in Empfang und beglückwünschte ihn auch noch einmal zu so einem wunderschönen Pferd.
„Habt ihr denn schon einen Namen im Kopf, Master Edward?“ fragte Mackenzie unseren Sohn, welcher auf seinem Arm hing und scheinbar vor sich hin grübelte. Dann schüttelte er aber den Kopf und sah fragend in Haythams und meine Richtung.
Ehrlich gesagt, hatte ich mir gar keine Gedanken so wirklich gemacht, dafür aber mein Mann wie es schien.
„Darius! Das passt irgendwie.“ kam es mit schief gelegtem Kopf und er betrachtete das Fohlen eine Weile.
Ein paar Mal probierte Edward den Namen auszusprechen bis es klappte.
„Darius ist mein Ferd.“ und er klatschte in die Hände. Mir fiel auf, dass er einen leichten Sprachfehler hatte, aber ich mag mich auch täuschen. Edward war ja noch ganz am Anfang und bekam mehrere Sprachen beigebracht. Ich mache mir zu viele Gedanken…
Für mich hieß das jetzt, ich hatte den Nachmittag kinderfrei. Leider musste ich ihn auch ohne meinen Mann verbringen, welcher sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen hatte. Er musste noch den Vertrag für den neuen, hier bald ansässigen, Gerber und Schlachter ausarbeiten. Wegen dieses Termins mussten wir auch bei den Cormacs zeitig aufbrechen, er stand schon eine Weile fest.
Die Gerberei sollte ein Stück von den Wohngebäuden entfernt errichtet werden, aber nahe am Fluss. Mit dem Architekten, welcher auch das Arbeitszimmer wieder hergerichtet hatte, hatte Haytham bereits eine Blaupause und Bauplan aufgestellt. In drei Monaten könnte die Familie dann hierher umsiedeln.
Zum ersten Mal seit Wochen wusste ich nicht so recht, was ich machen sollte und ging hinauf in mein eigenes Studierzimmer um mich mit den griechischen oder auch ägyptischen Göttern auseinander zusetzen. Entsprechende Lektüren hatten wir, auch wenn leider durch den Brand einige Exemplare verloren gegangen waren.
Als erstes las ich über Sachmet nach, weil mich diese Gestalt am meisten reizte. Außerdem las ich einiges über Bastet, wo ich jetzt wusste, dass sie Lady Melanie inne hatte. Dann kam noch Hathor weil sie ebenfalls wie Sachmet mit Faith verbunden war. Bei den ganzen Wesen konnte man schon mal den Überblick verlieren und ich begann nebenbei eine Liste anzufertigen, wer welchen Gott oder welches Wesen inne hatte.
Was mich etwas schmunzeln ließ, war die Tatsache, dass Shay einen ägyptischen Gott an seiner Seite hatte, obwohl er Ire war, wenn auch kein gebürtiger! Aber er passte alleine schon wegen des Adlerblicks von ihm! Horus war eigentlich perfekt für ihn.
So vertieft in meine Recherche bemerkte ich mal wieder nicht, wie spät es geworden war und dass ein grinsender Haytham vor meinem Schreibtisch stand.
„Mi sol, wir warten schon mit dem Abendessen auf dich. Du weißt doch, dass ich gleich noch einen Besucher bekomme.“ er trat hinter mich und sah mir über die Schulter. „Du meine Güte, diese Liste wird ja immer länger!“ seine Hände legten sich links und rechts neben mich auf die Arbeitsfläche und ich fühlte seine warmen Lippen an meiner Halsbeuge. Ich konnte mir ein lautes Seufzen nicht verkneifen, weil mir mal wieder eine Gänsehaut über den Körper lief.
„Vielleicht sollten wir nur kurz hier oben bleiben und…“ jetzt war es Haytham, welcher resigniert stöhnte.
„Würde ich zu gerne, aber wir haben leider keine Zeit.“
Auf der Terrasse erwarteten uns schon Sybill und Edward. Kaum dass er uns sah, schien sein Mund nicht mehr stillstehen zu wollen. Nur leider redete er in allen ihm zur Verfügung stehenden Sprachen und es war schwer ihm zu folgen. Aber ich wusste, es ging um Darius, sein Pferd und was ihm Mackenzie schon alles erzählt hatte.
„Ich darf noch nicht Äpfel füttern, dann bekommt Darius Bauchweh…“ sein Redefluss wurde immer nur durch kurzes Kauen und herunterschlucken unterbrochen und das auch recht widerwillig.
Edward erklärte uns dann auch noch, wie wir mit seinem Pferd umzugehen hätten. Nur streicheln, nicht reiten! Und das kam in einem so niedlichen Befehlston, dass ich nur kichernd eine Augenbraue hochzog.
„Natürlich, min lille skat. Du passt sicher gut auf ihn auf.“ Ich gab ihm einen Kuss auf seinen dunklen Haarschopf als Bestätigung.
Nach dem Abendessen gab es für Haytham noch einen Gute-Nacht-Kuss und eine Umarmung. Dann verschwand ich mit Mrs. Wallace hinauf um die kleine Plaudertasche fürs Bett fertig zu machen.
Walka schlich wieder hinter uns her, setzte sich aber brav an das Bett und wartete auf Edward. Er lag noch nicht ganz, da huschte sie ans Fußende und rollte sich zusammen.
„Mama, nicht böse sein. Ich hab Walka lieb.“ meinte er gähnend und ich versicherte ihm, dass ich nicht böse sei.
Es dauerte noch eine Weile bis er schlief und dann endlich konnte ich auch nach unten.
Draußen wurde ich von meinem Mann und unserem Neuzuzug erwartet. Die beiden Herren waren bereits am Planen und handelten entsprechend die Größe des Grundstückes zum Beispiel aus. Ich hatte mich mit dem Beruf des Gerbers nie weiter beschäftigt, wusste nur, dass es einen widerlichen Geruch mit sich bringen soll. Aber wir konnten auf der anderen Seite auch einen Schlachter wirklich gut gebrauchen! Bisher hatten das die Bauern selber gemacht alle halbe Jahr. Dieser Herr hier kannte sich aber hervorragend mit der Konservierung aus und ich war gespannt, wie er sich hier mit seiner Familie einleben würde.
Sie würden mit drei Kindern, zwei Jungs und ein Mädchen, das Nesthäkchen, hierher ziehen.
Als dann die Verträge unter Dach und Fach waren, verabschiedete sich der Mann und ritt zu seinen hier bereits ansässigen Freunden. Es sprach sich nach und nach herum, wer noch hier gebraucht wurde und das freute mich.
Haytham und ich saßen noch einen Moment hier und sahen auf die im Dunklen stehende Weideneiche, welche jetzt mit dem Mondlicht im Hintergrund einen unheimlichen Anblick bot.
Da fiel mir auch wieder ein, dass wir bei Edwards Zimmer noch über die Fensterläden oder andere Vorhänge nachdenken sollten. Doch das könnte ich auch morgen selber in die Hand nehmen.
„Es gefällt mir, dass wir immer mehr Zuwachs bekommen.“ kam es leise von meinem Mann, während er nachdenklich in sein Whiskyglas schaute.
„Ja, mir auch. Dieses Gefühl, dass ich immer mehr hier angekommen bin, macht sich ebenso breit in mir.“ in den letzten Monaten hatte ich mich noch weiter eingelebt.
„Ich habe dich nie danach gefragt, mi sol. Verzeih mir.“ in seiner Stimme lag ein leichtes schlechtes Gewissen, welches ich ihm aber nehmen konnte.
„Keine Sorge, wenn ich mich unwohl hier gefühlt hätte, hätte ich dich das auch wissen lassen. Es gibt halt nur diese kleinen Momente, wo ich an Yannick denke oder so Annehmlichkeiten wie die Dusche zum Beispiel vermisse.“ im Grunde war ich jetzt hier verwurzelt, alleine schon wegen Edward und den Göttern.
„Ich bewundere immer noch deine Entschlossenheit, dich von deinem alten Leben ganz zu trennen und hierher zu kommen. Und wenn du Sehnsucht nach Yannick hast, dann werden wir immer einen Weg finden, damit du mit ihm sprechen kannst, mi sol.“ seine Hand legte sich auf meine und drückte zu. In seinen Augen lag wieder diese Zuneigung, welche ich damals bei ihm gesehen hatte, als wir die erste gemeinsame Nacht verbracht haben!
„Ich liebe dich, Haytham!“ flüsterte ich und gab ihm einen vorsichtigen Kuss.
Langsam erhob er sich und führte mich nach oben. Er ließ mich in dieser Nacht seine Bewunderung spüren und ich konnte meinen Mann einfach genießen!
Die nächsten Wochen waren ein wenig anstrengend, weil die Temperaturen stiegen und die Felder dringend bewässert werden mussten. Mittlerweile gab es auch dafür einen Trupp, welcher sich ausschließlich damit befasste.
Nebenbei saß ich mit einigen Pächtern ab und an zusammen und gemeinsam stellten wir einen Bauplan für ein Bewässerungssystem auf. Ich orientierte mich unter anderem an den alten Ägyptern, welche solch ausgeklügelten Mechaniken schon beherrschten.
Der Zimmerer und unser Schmied wurden beide mit einbezogen und schon im Spätherbst sollten die ersten Gräben ausgehoben werden. Jetzt während der Sommermonate hatten wir nicht genügend Leute, die das auch noch mit übernehmen konnten.
Edward machte sich immer besser was das Sprechen angeht, auch war er mittlerweile ein recht guter Kletterer geworden. Das Gatter bei der Koppel stellte kein Hindernis mehr für ihn dar, im Gegenteil. Er war richtig stolz, wenn er oben war und sich dann mit Schwung auf der anderen Seite herunterlassen konnte.
Leider probierte er es auch bei Bäumen aus und war uns dreimal herunter gefallen. Odin sei Dank hatte er sich aber nichts gebrochen, lediglich einmal hatte er sein Handgelenk verstaucht. Mit Iduns Hilfe war das aber kein größeres Problem und stolz präsentierte er uns das „heile“ Ergebnis.
Was aber am wichtigsten war, ich brachte dem kleinen Kenway das Schwimmen bei. Im Grunde war es eine willkommene Ablenkung in dieser Zeit, wenn wir hinten bei der Weideneiche in den Fluss gingen und dort übten. Das Wasser war angenehm kühl und Edward war dankbar für die Bewegung und die Abkühlung.
Oft schlief er dann abends beim Essen bereits ein und Sybill hatte kaum mit ihm Probleme. Nur des nächtens wurde er mal wach, weil ihm zu heiß wurde.
Walka hielt nach wie vor Wache bei ihm, es schien, als wäre sie ihm zugeteilt worden und würde nur auf ihn hören!
Die anderen Wachhunde waren mittlerweile aufgeteilt worden und machten einen hervorragenden Dienst, wie man uns immer wieder mitteilte.
Außerdem gab es in diesem warmen Herbstmonat auch noch etwas zu feiern.
Maggie und Master Lucius wollten sich das Ja-Wort geben. Die Hochzeit fand auf der von ihm erworbenen Plantage statt.
Faith hatte mich gefragt, ob Edward Junior vielleicht mit July zusammen als Blumenkind fungieren könnte.
„Natürlich, aber bedenke, er ist nicht sehr diszipliniert. Es kann auch passieren, dass er einfach den Korb nimmt und July damit bewirft!“ bei diesen Bildern in meinem Kopf musste ich lachen.
Aber meine Schwester ließ sich auch davon nicht von ihrem Vorhaben abbringen und so saßen Haytham und ich in der ersten Reihe im Garten der Plantage und warteten auf den Einzug der Braut. Ich freute mich riesig für Maggie, weil man bei den beiden diese Liebe sah und auch spürte. Sie waren, genau wie Faith und Shay oder Haytham und ich, einfach füreinander bestimmt. Bei diesem Gedanken stiegen mir die Tränen in die Augen, wie immer bei solchen Anlässen.
Dann war es soweit und July kam mit Edward in den Mittelgang. Hinter den beiden schritt Maggie langsam auf ihren zukünftigen Mann zu. Cillian und Cadan bildeten das Schlusslicht und hielten die Schleppe ihres Kleides. Sie sah umwerfend aus und ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, sie trug Faiths Kleid.
Edward schlug sich tapfer, hob keine Blüten auf, blieb auch nicht einfach stehen, sondern marschierte brav neben seiner Cousine her. Als es dann aber für beide hieß, sie könnten sich setzen, rannte er auf Haytham zu!
„Hab ich das richtig gemacht?“ fragte er aufgeregt seinen Vater, welcher ihm lobend über seine ordentlich gekämmten Haare fuhr.
Nach der Zeremonie hieß es, essen, trinken, tanzen und Smalltalk halten. Im Grunde war es eine nette Abwechslung zu den sonstigen Empfängen in den Sommermonaten.
Leider kam ich kaum dazu, mit meiner Schwester zu reden. Dafür hatte ich mit Maggie ein paar nette Minuten geplaudert. Ich musste mir eingestehen, dass ich mich nie wirklich mit ihr befasst hatte, was mir natürlich wie so oft ein schlechtes Gewissen bereitete.
Später, als mein kleiner Schatz im Bett war, ging ich mit meinem Mann ein wenig außer Reichweite der Gäste. Mir schwirrte der Kopf von so viel Gerede und der Alkohol tat gerade sein übriges.
Aus den Augenwinkeln sahen wir beide Bewegung im Garten und zuckten zusammen.
„Keine Sorge, mi sol. Goldleuchtend, nicht rot! Wer weiß, wer hier ein wenig alleine sein wollte.“ flüsterte er plötzlich direkt an meinem Ohr und umfing meine Hüfte mit seinen Armen. Ich konnte spüren, WER jetzt gerne etwas einsame Zweisamkeit genießen wollte! Ein kleiner abgelegener Schuppen hielt für uns her und ich hoffte, dass uns niemand hörte. Meine Götterpreisung war mal wieder, nunja, etwas lautstark ausgefallen, was meinem Mann ein breites Grinsen ins Gesicht trieb.
„Ich kann es immer noch und das obwohl wir uns hier nur zwischen Tür und Angel vergnügt haben, mi sol.“ sein Kuss war so liebevoll und ich schmolz mal wieder wie Eis in der Sonne dahin.
Am frühen Morgen wurden wir von einem fröhlichen „Mamaaaaaa…“ geweckt und jemand zupfte an der Bettdecke. Für einen kleinen Moment kuschelten wir noch, als dann Sybill ihren Schützling übernahm und wir uns ankleiden konnte.
Nach dem Frühstück brachen wir auf und ich hoffte, ich würde Faith jetzt öfter sehen können.
Der Weg zurück verlief friedlich und die Wachen hatten sich einen sehr übersichtlichen Pfad ausgesucht.
Gegen frühen Nachmittag waren wir wieder daheim mit einem mehr als quengeligen Edward. Sein Mittagsschlaf war nicht wirklich erholsam, weswegen er jetzt übermüdet war. Dazu kamen die Temperaturen heute wieder, aber ich ging mit ihm zum Fluss, damit er sich abkühlen konnte.
Mein Mann hatte ein paar Briefe erhalten, in welchen um Hilfe im Rat von ihm angefragt wurde. Es begann sich immer mehr heraus zu kristallisieren, dass die absurden Steuern des Königs seine Untertanen hier in den Kolonien immer wütender werden ließ.
Schon ein paar Tage später wurde Haytham gebeten einen Konvoi nach Richmond mit zu überwachen, weil wieder einmal irgendwelches Gesocks die Lieferungen und Händler überfiel.
„Hört das eigentlich nie auf?“ maulte Haytham, als er seine sieben Sachen packte.
„Nein, leider nicht. Es wird immer Menschen geben, die sich ungerechterweise an dem Eigentum anderer bereichern wollen.“ seufzte ich und nahm ihm sein Rasierzeug aus der Hand, bevor er es vor Wut auf den Boden werfen konnte. Ja, nicht immer war er der disziplinierte Mann.
Als wir ihn verabschiedeten, begann Edward zu weinen.
„Papa, hierbleiben. Ich war auch brav…“ sein Schluchzen war vermutlich bis zu den Nachbarn zu hören.
„Edward, ich bin ja nicht lange weg. Wenn ich wieder bei euch bin, dann zeige ich dir wieder, wie man klettert. Versprochen!“ Haytham strich über die nasse Wange seines Sohnes und gab ihm einen Kuss auf die Stirn, dann wendete er seine Stute und ritt die Auffahrt hinunter.
Immer noch schniefend winkte mein kleiner Schatz ihm hinterher.
Ich saß mit Sybill und Edward den Vormittag im Garten unter der Weideneiche und wir bauten eine Festung mit ihm auf.
Immer wieder nahm er mir einen Soldaten ab und platzierte ihn woanders.
„Mama, nein, nicht da!“ diesen tadelnden Unterton hatte er definitiv von seinem Vater mitbekommen.
Plötzlich stieß Mrs. Wallace einen spitzen Schrei aus, als eine hellgraue Eule im Sturzflug auf uns zuhielt und sich dann auf der Decke neben mir niederließ. Athene! Mein Herz krampfte sich zusammen! War etwas passiert? In Windeseile hatte ich die Nachricht von ihrem Bein genommen und… konnte erleichtert ausatmen.
„Meine liebste Preußin,
wie wäre es, wenn du mir und Cadan in den nächsten Tagen mit Edward ein wenig Gesellschaft leistest? Die Herren sind unterwegs und wir hätten ein wenig Zeit für uns. Außerdem wartet ein entspannendes Bad noch auf dich. Ich hatte es ja versprochen!
Schreibe einfach eine Nachricht und schicke Athene wieder zurück. Sie findet den Weg.
Ich liebe dich!
Faith“
DAS ließ ich mir ja nun wirklich nicht zweimal sagen und eilte in mein Arbeitszimmer. In wenigen Worten versuchte ich meine Überraschung kundzutun, dass wir wie bei Harry Potter Nachrichten in Zukunft austauschen würden. Natürlich sagte ich zu, versteht sich von alleine!
Die Nachricht war schnell an Athenes Fuß gebunden und schon erhob sie sich wieder in die Lüfte. Diese Intelligenz solcher Tiere fand ich immer wieder beeindruckend!
„Mrs. Wallace! Wir haben eine Verabredung mit Lady Cormac.“ mit Schwung nahm ich meinen kleinen Schatz auf den Arm und sah grinsend zu seinem Kindermädchen.
„Dann sollte ich ein paar Sachen für Master Edward packen. Ich freue mich darauf.“ auch sie war beschwingt und ging ins Haus.
Ich folgte ihr und Magda packte eine kleine Tasche für mich. Aber ich würde sie nicht brauchen, zur Not gab es auch Dienstmädchen bei Faith, welche mir behilflich sein könnten.
Nur eine halbe Stunde später saßen wir auf den Pferden, begleitet von zwei Wachen, in Richtung Williams-Plantage. Walka musste Edward leider daheim lassen, weil sie Schwierigkeiten hatte, sich an die Wachhunde von Lucius zu gewöhnen. Ich ging davon aus, dass sobald klein Kenway die anderen Tiere sah, schnell auf andere Gedanken kam.
Gegen drei Uhr waren wir dann endlich angekommen und wurden freudig von Cadan und Faith begrüßt.
Fenrir und die anderen Pferde wurden auf die Koppel gebracht und, wie ich es vorhergesagt hatte, schon war mein Sohn wieder bester Dinge.
In der Sonne sitzend tranken wir Tee, die Jungs spielten zusammen und wir konnten ein wenig plaudern. Eine Wohltat. Zwischendurch bekamen Edward und Cadan noch ein Stück Kuchen zur Stärkung und ich sah diesen seligen Ausdruck auf den kleinen Gesichtern. Er war süß und saftig, dank der Pflaumen. Genau das Richtige für die jungen Herren!
Leider währte diese Idylle nicht allzu lange.
Plötzlich schrien beide Jungs auf und als wir in den hinteren Garten kamen, schoss ein schwarz-weißes Tier an uns vorbei und verschwand in einem der Büsche! Ich brauchte nicht lange rätseln WAS das für ein Tier war, der Geruch sagte alles! Edward war so erschrocken, dass ich ihn kaum beruhigen konnte. Zumal ich ihn auch nicht wirklich auf den Arm nehmen konnte bei diesem Gestank.
Faith orderte sofort einen Badezuber hier draußen, Wasser und Seife. Sie selber eilte ins Haus, während ich die beiden jungen Herren entkleidete und am liebsten einen Eimer Parfüm über sie gekippt hätte. Immer wieder musste ich würgen. Cadan und Edward ging es leider nicht anders.
Aber mit vereinten Kräften und einer Art Waschlotion, welche von Imhotep hergestellt worden war, befreiten wir die Kinder von diesem Gestank und auch ihre Kleidung wurde anschließend entsprechend gewaschen.
„Könntest du mir etwas von diesem Zeugs mitgeben, falls auch bei uns eines dieser Stinktiere Einzug hält.“ lachte ich, aber im Grunde meinte ich es todernst.
Wir zogen die Jungs wieder an und aßen dann zu Abend. Im Anschluss brachte ich Edward zu Bett.
Gerade als ich die Treppe wieder herunter kam, nahm Faith meine Hand mit einem wissenden Lächeln und führte mich durch den Wintergarten in das römische Bad. Achja, da war ja noch ihr Versprechen.
Überrascht, dass wir nicht alleine hier waren, sah ich bereits Maggie, Ruth und Lady Melanie im warmen Wasser warten. Bei Odin, solche Dinge hatte ich wirklich vermisst. Einfach ein Tratschabend mit Frauen, gutem Wein und OHNE Männer im Hinterkopf, die jederzeit stören könnten.
Wir verbrachten hier eine ganze Weile, aber irgendwann befand Faith, dass es Zeit sei, zu Bett zu gehen.
Sie führte mich hinauf in ihr Schlafzimmer, schloss leise die Tür und zog mich ohne Vorwarnung an sich. Ihre Küsse schmeckten himmlisch, ihre Haut fühlte sich fantastisch an und ich schmolz dahin. In meinem Kopf hatte ich nur noch den Gedanken, dass ich MEHR wollte.
Faith aber hatte einen anderen Plan und wie ich bald feststellen durfte, einen der mir durchaus zusagte.
Sie ließ ihre dominante Art heraus und das gefiel mir ungemein. Bei jedem Klaps ihrer Hand auf meinem Hintern, stöhnte ich wohlig und bettelte nach mehr. Ich bekam noch mehr, als sie mich umdrehte und meinen Körper mit ihren Lippen erkundete. Aber kurz bevor ich kam, hörte sie auf, griff in die Nachttischschublade und fischte eines ihrer Spielzeuge heraus.
Langsam begann sie mich damit zu verwöhnen und ich konnte nicht anders! Ich ließ los! Es war ein unbeschreibliches Gefühl dieses Mal, weil der ganze Abend schon diese laszive Stimmung hatte!
Natürlich revanchierte ich mich für ihre Liebkosungen. Auch ich konnte meine Hände nicht von ihrem ansehnlichen Po lassen!
Als sie schwer atmend unter mir lag, schloss ich sie in meine Arme und hielt sie noch eine Weile fest.
Völlig ruhig schlief ich irgendwann ein!
Ich wurde von einem leisen „Aufwachen, mo aingeal“ geweckt, welches aber nicht von Faith kam. Blinzelnd sah ich mich um und vor mir stand mit verschränkten Armen vor der Brust mein Mann am Bett!
Erschrocken fuhr ich hoch, weil wir eigentlich davon ausgingen, dass sie frühestens morgen wieder hier wären. In Haythams Gesicht sah ich, dass etwas passiert sein musste und mir wurde schwindelig. War etwas mit July oder Cillian geschehen? Die beiden hatten den Trupp zu Lehrzwecken, wie es die Herren nannten, begleitet!
„Nein, den beiden geht es gut. Aber… July…“ stammelte mein Mann mit vernebelten Augen vor sich hin.
„….July und Cillian wollten Imhotep helfen und einer der Kerle griff sie an…. Faith ich war zu spät. July hat sich gewehrt und den Mann mit ihrem Dolch erstochen“ sprach Shay jetzt weiter und ich sah wie Faiths Augen sich vor Entsetzen weiteten.
Jetzt wusste ich, warum mein Mann so niedergeschlagen war. ER wusste, wie sich die Kleine jetzt fühlen musste. Er hatte damals ebenfalls, um seine Familie zu schützen, einen Mann erstochen mit gerade mal zehn Jahren. Mir lief es eiskalt den Rücken runter.
Cadan jedoch wollte nicht, dass diese Erinnerung ausgelöscht wurde und verhinderte diese Manipulation mit einer seiner Gaben der Götter. Auf der einen Seite ist es wichtig, so etwas als Mahnung im Gedächtnis zu behalten. Auf der anderen Seite… sie waren noch so jung!
Mit einem Male hörte ich nur, wie Faith rief „Ich bring ihn um!“ und sich ihren Morgenmantel überwarf. Shay versuchte noch, sie zu beruhigen, aber es half nicht. „Nein Mars hat meine Kinder in Gefahr gebracht!“ schrie sie weiter und schob ihren Mann von sich.
Plötzlich gab der Holzboden unter Faith nach und sie ließ sich hinunterfallen.
Mars? Also war Lucius schuld daran? Warum?
Shay sprang ihr hinterher, versuchte sie immer wieder davon abzuhalten, ihren Vater zu verletzen oder noch schlimmeres.
Von unten hörten wir laute Stimmen und ein grelles Leuchten drang hier herauf. Verstehen konnte ich aber nichts, sah nur wie sich Master Williams gegen seine Tochter versuchte zu wehren.
Oh nein, Sachmet war durchgebrochen, hatte die Führung über Faiths Denken übernommen und beeinflusste sie so.
Ich kam aber leider nicht dazu, mich DARUM zu kümmern, weil mir mein Allvater ins Gewissen redete!
Lass sie sich bekriegen, es geht dich und uns nichts an. Diese Auseinandersetzungen wird es noch öfter geben. Auch sie haben Götter um sich, welche ihnen den Geist vernebeln. Du kannst gerade nichts ausrichten. Geh zu deinem Sohn, er braucht dich jetzt.
Verwirrt sah ich mich nach meinem Mann um, welcher leichenblass vor sich auf das Loch im Boden starrte.
Mrs. Wallace kam mit einem laut schreienden Edward auf die Galerie und ich versuchte ihn zu beruhigen. Aber auch er sah diese Bilder, hörte ihre Stimmen. Seine Angst konnte ich ihm nicht nehmen, nur etwas mildern.
Mittlerweile fand der ganze Kampf draußen statt, was ich erschrocken feststellte, als wir hinunter gegangen waren.
Die beiden Götter gaben sich nichts und für einen kurzen Augenblick blieb ich gebannt stehen und sah dem Spektakel zu. Edward jedoch zappelte und jammerte auf meinem Arm, so dass ich mich abwandte und sah Shay wie er wie ferngesteuert in Richtung der Morrigan marschierte. Irgendwie tat er mir leid, also suchte ich Haytham, gab ihm Edward und eilte dem Iren hinterher. Aus einem unerfindlichen Grund hatte ich Angst, er könne sich etwas antun. Er hatte einen so seltsamen Ausdruck im Gesicht.
„Mi sol, er wird das erst einmal verarbeiten müssen. So aus der Haut gefahren ist Faith noch nie! Das wird ihn aus der Bahn geworfen haben! Lass ihn…“ rief mir mein Templer noch hinterher, aber ich ignorierte das.
Shay reagierte nicht auf meine Rufe, erst als ich ihn zu packen bekam und herumdrehte, registrierte er mich. Auf meine Worte, dass Faith ihn brauchen würde, seine Hilfe benötigte, sah er mich wütend an.
„Und wer hilft mir?“ fauchte er mich an und rannte jetzt schon fast zu seinem Schiff.
Wenn du mich lassen würdest, dann würde ich dir helfen!, maulte ich ihn wütend in meinen Gedanken an, ging aber wieder zurück zum Haus. Vielleicht brauchte er wirklich nur eine gewisse Zeit für sich alleine.
Hier hatte der Kampf anscheinend bereits aufgehört, aber die Verwüstung war immens. Man könnte meinen, der Daumen Gottes hätte das halbe Haus zerstört!
„Wenn es noch verrußt wäre, sähe es aus wie unsere Villa in London.“ flüsterte Haytham neben mir und ich fühlte ein Zittern durch seinen Körper gehen. Heute waren alle Erinnerungen auf ihn eingeprasselt, welche er immer versuchte zu verdrängen. Der Tod von Edward, der Mord den er begangen hatte, seine Hilflosigkeit damals und der Brand der Villa! All das sah auch ich jetzt und begann zu heulen.
„Hier ist es anders, mi amor. Bitte, denk nicht mehr daran. Du hast damals richtig gehandelt und…“ er ließ mich nicht aussprechen.
„Ja ja… das hast du mir schon oft gesagt. Aber es hilft mir nicht, das Geschehene zu vergessen, verdammt!“ seine Stimme hatte sich erhoben. Seine Augen glühten golden und gerade noch rechtzeitig nahm Sybill ihren Schützling von seinen Armen, ehe Haytham auf mich losging.
Tyr stürmte Schwert schwingend in voller Rüstung auf mich zu! Vor Schreck wusste ich im ersten Moment nicht was ich tun sollte und wich zurück. Ich versuchte seinen Schlägen auszuweichen.
Verdammt noch mal, was war in ihn gefahren? Ja, Tyr! Ist mir schon klar. Doch warum war er so wütend und dann auch noch so ungezügelt?
„Lass mich endlich diese Bilder vergessen! Du bist doch hier diejenige mit den absonderlichen Fähigkeiten Menschen manipulieren zu können! Dann zeig es mir gefälligst!“ schrie mich der Gott an, weil ich mir die ganze Zeit einreden musste, dass das vor mir NICHT mein Mann in diesem Moment war.
„Nein, gar nichts werde ich tun!“ fauchte ich zurück und spürte, wie sich mein Äußeres ebenso veränderte. Genauso nahm ich wahr, dass wir uns nicht mehr auf der Plantage der Williams befanden, sondern… irgendwo. Es war ein leerer unbestellter Acker. Wie es aussah schwebte dieser wie ausgeschnitten in der Luft.
Immer noch drosch Tyr auf mich ein.
Aber niemand anderes gebot ihm Einhalt! Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich wieder diese Angst, dass Hrymr die Finger mit im Spiel haben könnte. Dadurch abgelenkt nutzte der Kriegsgott diesen Moment und traf meine Schulter schmerzhaft mit der Breitseite seines Schwertes.
Das war mein Stichwort und mein Kampfgeist war erwacht. In mir vereinten sich Thyra und Edward Senior, ich konnte ihre Präsenz spüren!
So gestärkt begann ich in die Offensive zu gehen um Tyr abzudrängen. Ich musste ihn auf Abstand halten.
Meine Axt traf ihn ab und an am Unterarm, während sein Schwert mein Schild immer wieder erzittern ließ. Mein linker Arm vibrierte mittlerweile, dass ich fast Angst hatte, ihn nicht mehr zum Schutz oben halten zu können. Ich konzentrierte meine Muskelspannung, ich konzentrierte meinen Geist… Die Bewegungen flossen in meine Arme wie Lava, welches sich ihren Weg bahnte ohne Unterlass. Mein Körper wurde eins mit diesen Bewegungen, mit der Axt und mit meinen Lehrstunden zusammen mit meinem Mentor. Zum ersten Mal nach Jahren sah ich William wieder vor mir, wie er mich trainierte. Er forderte alles von mir… ich gab alles und war ihm nach unendlichen Stunden überlegen! Dieser Moment wurde mir in den Geist geschickt und ich griff auf diese Daten zurück. Pech für Tyr, Glück für mich!
Mein Waffenarm formte eine Art Welle, welche den Gegner verwirren sollte, es gelang soweit ich das beurteilen konnte.
Du kannst ihn in seine Schranken weisen. Er ist nicht allmächtig! Hörte ich Odin in meinem Kopf. WARUM kam es jetzt? Zum Nachdenken hatte ich aber keine Zeit und versuchte mich gegen den Kriegsgott zu beweisen.
„Ich bin es leid immer das Opferlamm zu sein. All die armen Seelen die ich begleitet habe sind untergegangen wie Atlantis!“ brüllte Tyr und sah mich weiterhin mit diesen glühenden Augen an.
„Nein… sind sie nicht.“ flüsterte ich und ging langsam auf ihn zu, immer noch hielt er sein Schwert erhoben über mich.
Gerade als ich nahe genug war um zuzuschlagen, weil ich mich in Sicherheit wähnte und er anscheinend die Lust am Kämpfen verloren zu haben schien, sprühten Funken aus ihm heraus! Sein gesamter Körper begann zu glühen und es sah aus, als würde er mit dem von Haytham im wahrsten Sinne des Wortes verschmelzen. Es sah wirklich wie flüssiges Metall aus, was sich miteinander verband!
Außerdem entstand in ihrer Nähe eine unglaubliche Hitze, welche mich wieder zurück weichen ließ.
„Alex, bitte lass diese Bilder meiner Vergangenheit in meinem Kopf! Wir waren uns einig, dass sie wichtig für unsere Persönlichkeiten sind!“ es war ein Flehen von Haytham, welches ich kaum verstand, weil er weiter versuchte Tyr im Zaum zu halten!
„Ich werde auch nichts dergleichen versuchen!“ antwortete ich. Doch bevor ich meinen Plan Tyr aus der Reserve zu locken in die Tat umsetzen konnte, herrschte plötzlich totale Dunkelheit um uns herum. Nicht einmal mehr das goldene Leuchten des Gottes war zu sehen. Vor uns stand Tyr, als greifbare Person und musterte uns.
„Wie ich sehe, hat mein kleiner Plan funktioniert. Wir wollten eurer beider Fähigkeiten auf die Probe stellen. Aber es musste ein Moment sein, welchen ihr nicht vorhersehen konntet. Da bot sich dieser Tumult mit Mars geradezu an. Haytham, spürst du jetzt die Veränderung in dir?“ perplex starrte ich diesen Mann vor mir an, dann sah ich zu meinem Templer.
Man hatte uns also einfach testen wollen, ob wir uns ohne Vorbereitung oder Warnung wehren konnten! Auch wollte man wissen, ob es uns nun möglich war, Trugbilder und Illusionen von der Realität zu trennen!
„Ich habe das Gefühl, als wäre meine Haut fester.“ staunend rieb er über seinen Unterarm. Bei dieser Berührung zog er einen goldenen Schimmer hinterher und er schüttelte sich. „Ich bin jetzt besser geschützt? Wie ist das möglich?“
Ich konnte nicht warten und strich ebenfalls über seinen Arm und es fühlte sich seltsam an. Auch bei meiner Berührung leuchtete die entsprechende Stelle und ich stupste sie immer wieder an. Die Haut gab kaum nach und fühlte sich straff an.
„Dann wollen wir doch mal sehen, wie gut dein neuer Schutz funktioniert.“ lachte Tyr fies auf und holte ohne weitere Worte mit seinem Schwert aus!
Haytham hatte aber in einer unglaublichen Geschwindigkeit sein eigenes Schwert gezogen, sodass selbst der Kriegsgott etwas verwirrt war.
Der folgende Trainingskampf der beiden war beeindruckend, weil wirklich kaum Schnittwunden zu erkennen waren, obwohl ich sah, wie die Schneide die Haut meines Mannes teilte.
Haythams Ausbildung kam ihm natürlich wieder zugute und je länger die beiden ihre Schwerter schwangen, umso mehr Spaß schienen sie zu haben.
Irgendwann winkte aber Tyr ab mit den Worten, wir sollten uns nun wieder dem Geschehen in der Realität widmen.
„Danke!“ Haythams Stimme klang wirklich dankbar und auch ehrfürchtig.
„Aber bedenke, dass es immer mal wieder zu Verletzungen kommen kann, die zu tief gehen. Dann werden dir aber deine Frau oder dein Sohn sicherlich bei der Heilung helfen. Und nun, entschuldigt mich. Ich brauche… ein wenig Ruhe.“ mit einem Grinsen verschwand Tyr und entließ uns wieder in die Realität.
Langsam bildete sich wieder der Rasen, das Grundstück, das zerstörte Haus um uns herum.
„Mamaaa… Papaaaaa…“ hörten wir es schon schniefen und ein kleiner weinender Edward lief auf uns zu. „Papa leuchtet.“ er blieb so abrupt vor seinem Vater stehen, dass er sogar etwas schwankte. Mit großen vor Erstaunen geweiteten Augen sah er von einem zum anderen.
„Edward, du hast recht.“ Haytham nahm ihn hoch und als die beiden sich berührten umgab auch sie dieser goldene Schimmer. Genau wie ich auch, stupste unser Sohn seinen Vater an und kicherte dabei. „Nun bin ich besser geschützt und kann noch besser auf dich aufpassen!“ Eines hatte er mir noch nicht erzählt, Tyr hatte ihm auch seinen Adlerblick erweitert. Mein Mann nahm meine Hand und ließ uns sehen, was er nun wahrnehmen konnte.
Es war beeindruckend! Wir sahen Tierspuren am Boden, die Bäume um uns strahlten in einem warmen Purpur, die Vögel hinterließen ebenso eine Spur in der Luft.
„Ich auch, Papa!“ Edward war so aufgeregt das zu sehen, dass Haytham Schwierigkeiten hatte, ihn auf dem Arm zu halten.
„Du lernst das bestimmt auch noch, mein Sohn. Und jetzt… ich habe Hunger, gibt es hier eigentlich auch mal ein Frühstück, oder muss ich mir mein Essen selber jagen.“ ich hob amüsiert eine Augenbraue und sah meinen Mann fragend an. „Was denn? Mir geht es gut, mi sol.“ ich bekam einen verlangenden Bestätigungskuss und dann machte er sich auf den Weg zum Haupthaus.
Etwas verwirrt stand ich einen Moment verloren in der Gegend rum, als mich Lady Melanie aus meiner Starre holte.
„Mistress Kenway, ihr scheint ebenfalls ein paar Neuigkeiten erhalten zu haben.“ ihr Lächeln war wissend, aber sie ging nicht näher darauf ein. Warum sie mir in den letzten Wochen sympathischer geworden ist, vermag ich nicht zu sagen. Aber mein Groll war nahezu nicht mehr vorhanden.
Gemeinsam gingen wir ebenfalls zurück und während des Frühstücks wurden jetzt die Reparaturen und ähnliches besprochen.
Mein Blick glitt immer wieder zu July, weil sie mir immer noch leid tat.
Mi amor, vielleicht solltest du einmal mit ihr sprechen. Du verstehst sie von allen hier vermutlich am besten und kannst es nachfühlen. Sprach ich Haytham im Geiste an und er nickte mir zu.
Im Anschluss ging mein Mann mit seiner Patentochter hinaus in den Garten, während ich mich daran machte, alles wieder einzupacken.
„Will bleiben, Mama!“ maulte Edward und klammerte sich an Cadan.
„Min lille skat, wir können bald mal wieder zu Besuch kommen. Aber jetzt muss hier erst einmal aufgeräumt werden! Nun komm, wir wollen dich Reisefertig machen.“ beleidigt ließ er sich von mir hoch nehmen und uns folgte Sybill.
„Master Kenway hat heute wieder etwas gelernt, das freut mich.“ flüsterte sie und sah mich lächelnd an.
„Mich auch, Sybill. Und wer weiß, was noch auf uns zukommt.“
Wenig später waren wir alle fertig, Haytham war wieder mit July zurück und wir verabschiedeten uns noch.
Faith hatte das Ganze noch versucht zu erklären, doch das war eigentlich nicht nötig. Es wäre nur schön, wenn sie sich so etwas nicht zur Gewohnheit macht, wenn wir sie gerade besuchen. Außerdem wäre es auf Dauer eine sehr teure Angelegenheit! Ich gab ihr noch einen Kuss und irgendwie freute ich mich darauf, wenn wir so eine Nacht bald wiederholen könnten.
Heute war ein recht warmer Oktobertag und als Edward in seinem Bett lag für den Mittagsschlaf, machte ich mich mit einer Flasche selbstgemachter Limonade auf den Weg um meinen Mann zu suchen.
Haytham ließ es sich nicht nehmen, die Bauarbeiten für die Gerberei und die Ställe für die Tiere mit zu überwachen. Außerdem ritt er die Felder ab und besprach sich mit den Pächtern in diesem Zuge.
Ich fand ihn nach einer guten Stunde unter einem Baum sitzend mit dem zukünftigen Schlachter. Sie unterhielten sich angeregt und unterbrachen lachend ihr Gespräch. Haytham half mir beim Absteigen und die beiden waren dankbar für die Limonade.
„Mistress Kenway, ich danke euch. Diese Temperaturen so spät im Jahr machen einen durstig.“ kam es erfreut von dem Herrn und er ließ es sich schmecken.
Auch Haytham bedachte mich mit einem seligen Lächeln, als er in kleinen Schlucken die Flüssigkeit genoss. In diesem mit einem Schweißfilm überzogenem Gesicht verdunkelten sich plötzlich seine Augen und ich zog nur eine Augenbraue fragend hoch.
Du siehst hinreißend aus, wenn du so zerzaust bist und in deinem Dekolletee würde ich gerade gerne versinken, mi sol. Seine Stimme in meinem Kopf klang rau und in mir breitete sich ein wohliges Kribbeln aus.
Mein Blick wanderte über sein Hemd, welches auf seiner Brust klebte und auch ich konnte kaum an mich halten.
Vielleicht sollten wir uns ein ruhiges Plätzchen suchen und du kannst gerne in meinem Ausschnitt auf die Suche gehen, mi amor. Ich wurde dabei knallrot und ein schiefes Grinsen meines Mannes sagte mir, dass er dieses Angebot gerne annahm.
Mit einer gemurmelten Entschuldigung, dass es mir nicht so gut ginge, entfernten wir uns von dem Mann und Haytham fand eine andere schattige Stelle für uns.
Unter diesem großen Baum standen wir uns eine Weile einfach gegenüber, bis er mich an den Stamm drückte und mich verlangend küsste.
„Deine Haut schmeckt salzig, ich liebe das…“ kam es atemlos aus seinem Mund und ich schlang meine Arme und Beine um ihn. Es war mir egal, wie verschwitzt wir waren!
Ich hatte nur noch diesen Gedanken, dass ich ihn spüren wollte. Hier und jetzt sofort!
Kurz darauf lag ich im weichen Gras unter ihm und seine Hände schoben meine Röcke hoch, seine Beine drückten meine Schenkel auseinander und mit einem lauten Aufstöhnen drang er in mich.
Ich vergaß alles um mich herum, nahm nur noch meinen Mann wahr, welcher sich langsam in mir bewegte und mich damit um den Verstand brachte.
Und plötzlich spürten wir beide diese Präsenz um uns, dieses zaghafte Leuchten und da wusste ich, Idun hatte beschlossen uns unsere Tochter zu schenken!
Dieses Glücksgefühl bescherte mir einen solch heftigen Höhepunkt, dass mir Haytham tatsächlich die Hand auf den Mund drücken musste, sonst hätte ich die gesamte Plantage zusammengeschrien!
Völlig außer Atem lagen wir uns in den Armen und ich sah in seinen Augen ebenfalls diese Erkenntnis und die Freude.
„Es ist soweit, mi sol.“ und seine Lippen legten sich wieder auf meine. Er sah mich mit seinem Adlerblick an, grinste und nahm mich wieder in den Arm. „Ich kann es noch gar nicht fassen!“ hauchte er an meinem Ohr und ein Zittern ging durch seinen Körper.
„Ich auch nicht, mi amor. Ich freue mich einfach!“ wirklich sprechen konnte ich nicht, ich heulte einfach vor Freude.
Aber Haytham war auch dieses mal der Meinung, man müsse auf Nummer sicher gehen und ich konnte mir ein dümmliches Kichern nicht verkneifen. Die letzten Wochen waren wir kaum alleine, geschweige denn konnten wir die Zweisamkeit nutzen. Also holten wir kurzerhand ein kleines bisschen diese vermissten Momente nach.
Als es bereits Zeit fürs Abendessen war, half mir mein Mann hoch und wir machten uns auf den Weg nach Hause.
„Sollten wir Edward schon davon berichten?“ fragte Haytham unsicher, vielleicht sollten wir lieber noch ein oder zwei Wochen damit warten, erwiderte ich. „Ich bin gespannt, wie er reagiert, mi sol.“ grinste er und führte mich ins Haus.
Ich freute mich auf unser zweites gemeinsames Kind, wirklich. Aber schon am zweiten Tag brach eine heftige Übelkeit in mir aus. Weder bei Yannick noch bei Edward hatte ich diese gehabt und es war wirklich grauenhaft.
Ich behielt kein Brot bei mir, Mehlspeisen allgemein machten es mir schwer und ich konnte einfach keinen Kohl oder Zwiebeln riechen. Auch der Anblick von rohem Fleisch und das Berühren ließ mich würgen.
Mein Mann war natürlich in Sorge, aber Abbigail und der „Arzt“ versicherten ihm, dass es in zwei oder drei Monaten besser werden sollte. Ich hatte mich mit Ingwer eingedeckt, weil diese Knolle ganz allgemein gegen Übelkeit helfen sollte.
Edward reagierte skeptisch, als wir ihm erzählten, dass er nächstes Jahr im Sommer dann eine kleine Schwester bekommen würde.
„Wo ist die jetzt?“ und er sah sich fragend um, was mich schmunzeln ließ.
„Sie ist meinem Bauch, min lille skat. Noch ganz klein, aber wenn du dich auf deinen Blick konzentrierst, dann kannst du bestimmt etwas sehen.“ gebannt starrte mein Sohn auf meinen Bauch und bekam große Augen. Dann stupste er mich an und legte eine Hand darauf.
„Ein großer Bruder bin ich!“ freute er sich erneut und sah strahlend zu Haytham.
„Das bist du, mein Sohn. Du passt gut auf deine Mutter und deine kleine Schwester auf, oder?“ Mein Mann hatte ihn auf den Schoß gehoben und beide sahen mich jetzt lächelnd an.
„Ich passe auf, Vater!“ Edward lehnte an der Brust seines Vaters und sein Blick ging ins Leere. Wir ließen ihn in Ruhe, weil ich wusste, dass der kleine Kenway gerade mit seinem Paten sprach. Die Rolle des großen Bruders würde er noch lernen müssen, aber ich war da zuversichtlich.
Besonders schlimm war aber, dass ich wieder auf Kaffee verzichten musste und in den ersten Wochen, wo meine Laune eh schon auf dem Nullpunkt war, bekamen meine Männer ihr Fett weg.
Edward zuckte schon zusammen wenn ich nur etwas lauter wurde und Haytham zog sich Augen rollend in sein Arbeitszimmer zurück, oder ritt über die Felder. Ab und an nahm er unseren Sohn mit.
In diesen Momenten, wo ich dann alleine war, brach ich in Tränen aus und machte mir Vorwürfe. Also begann ich wieder intensiver mit dem Meditieren, damit ich meine Gedanken im Kopf richtig geordnet bekam.
Leider blieben mir aber einige Gesellschaften nicht erspart, zu denen wir noch eingeladen waren. Man beglückwünschte uns natürlich, aber dieses Mal blieben die guten Ratschläge und Fragen aus. Odin sei Dank, sonst wäre ich vermutlich des öfteren aus der Haut gefahren.
Anfang Dezember zum Beispiel waren wir bei den Donovans zu einem Geburtstagsessen eingeladen worden. Die Hausherrin beging ihren 32. Ehrentag und ließ das auch alle lautstark an diesem Abend wissen. Besonders die Frauen, welche um einige Jahre älter als sie waren!
„Mi sol, wenn du dich irgendwann einmal SO aufführst, wirst du monatelang nicht sitzen können!“ warnte mich mein Mann neben mir empört.
Mr. Donovan sah von Jahr zu Jahr kränker aus. Im Grunde tat er mir leid, so eine Frau an seiner Seite zu haben. Auf der anderen Seite wusste ich von Haytham, dass er sich hin und wieder mit anderen Damen des leichten Gewerbes vergnügte.
Gegen Mitternacht passierte es dann!
Der Hausherr begann zu zittern, taumelte kurz und fiel dann vornüber auf den Boden. Ein Arzt, welcher ebenfalls gerade zugegen war, konnte nur noch den Tod feststellen.
Ich stand entsetzt daneben und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ein Blick auf Mrs. Donovan jedoch zeigte uns, dass sie nicht wirklich betrübt über diesen Verlust zu sein schien. Im Gegenteil, ein fieses Lächeln zog sich über ihren Mund und sie sah zu einem der Bediensteten mit einem Nicken.
Sie hatte nicht wirklich ihren Mann vergiftet oder?
Ich sprach den Arzt darauf an, ob er einen verdächtigen Geruch wahrnahm und in seine Augen trat die Erkenntnis, was ich meinte.
„Es riecht nach Apfelkernen!“ flüsterte er und sah sich nach der vermeintlichen Witwe um. „Glaubt ihr, SIE…?“ so ganz glauben konnte er es nicht, aber er realisierte schnell, dass die Hausherrin keinerlei Anstalten machte zu trauern.
Mr. Donovan wurde kurz darauf in seinem Arbeitszimmer aufgebahrt und man bat die Gäste, sich zurückzuziehen, damit die Witwe Abschied nehmen konnte. Pffff, die Frau stand grinsend daneben und ich war versucht ihr eine Schelle zu verpassen.
„Master Kenway, würdet ihr mir noch kurz beistehen. Ich glaube, ich schaffe es nicht alleine hier mit meinem geliebten Gatten zu sein.“ theatralisch hielt sie sich ein Taschentuch vors Gesicht, aber ihre trällernde Stimme ließ sich nicht verstecken! Ich zog ihn entschieden mit nach draußen! Soweit kommt es noch.
„Wehe du gehst da wieder rein! Ich warne dich, Haytham!“ maulte ich ihn an und sah, dass er ganz froh war, nicht mit ihr alleine bleiben zu müssen!
„Keine Sorge. Auf so ein Frauenzimmer kann ich verzichten!“ zischte er nur leise und wir gingen in unser Zimmer im angrenzenden Gästehaus.
Aber die Nacht war für mich gelaufen! Ich hatte ständig Bilder im Kopf, in denen Haytham mit Mrs. Donovan im Bett lag.
„Alex, könntest du bitte endlich einschlafen? Und wie oft muss ich dir noch versichern, dass ich dir nie untreu war, bin oder werde? Dieses Weib ist eine Plage und ich weiß das aus erster Hand. Mr. Donovan hatte bereits an eine Trennung gedacht, weil ihm langsam dämmerte, dass es seine Frau nur auf sein Geld abgesehen hatte.“ ein tiefes Seufzen und er legte seine Arme um mich.
„Ich kann aber meine Eifersucht nicht abstellen! Ich… bin bald wieder pottenhässlich, weil ich aus dem Leim gehe und…“ schniefend lehnte ich an seiner Brust.
„Nein, du trägst unser zweites Kind in dir. Das macht dich wunderschön und ich liebe dich noch mehr, wenn es denn möglich wäre, mi sol.“ kam es leise und er drückte mich.
„Danke…“ flüsterte ich und langsam kam ich zur Ruhe!
Am nächsten Morgen war von Mrs. Donovan keine Spur zu finden. Weder im Haus noch auf dem Außengelände. Die Angestellten machten sich Sorgen und suchten nach ihrer Herrin.
Mrs. Doyle stand für einen Moment neben mir, als wir auf unsere Kutschen warteten.
„Glaubt ihr auch, dass diese Schnepfe ihren Gatten auf dem Gewissen hat? Mein Mann erzählte davon, dass die Scheidung schon fast ins Haus stand.“ flüsterte sie und sah sich verschwörerisch um.
„Ja, ich glaube das tatsächlich. Wer weiß, wo sich dieses Weib jetzt gerade herumtreibt. Vermutlich mit ihrem Liebhaber in einem Heuhaufen!“ erwiderte ich zynisch und schüttelte den Kopf.
„Ich wünsche euch eine gute Heimreise und passt auf euch auf, Mistress Kenway. Wisst ihr denn schon, was es wird?“ ihr Lächeln war so unglaublich warm, dass ich sie am liebsten in den Arm genommen hätte.
„Wir glauben es wird ein Mädchen. Dieses mal plagt mich eine heftige Übelkeit und die Launen sind auch nicht von schlechten Eltern.“ lachte ich.
„Dann wünsche ich euch und eurem Gatten alles Gute und ich freue mich darauf, den kleinen Sonnenschein nächstes Jahr begrüßen zu können.“ damit stieg sie zu ihrem Mann in die Kutsche und unser Gefährt stand ebenfalls bereit.
„Was gab es denn mit Mrs. Doyle zu besprechen, mi sol?“ diese Frage sollte vermutlich neutral klingen, aber seine Neugierde schlug in seiner Stimme durch.
„Wir haben uns über die besten Möglichkeiten ausgetauscht, den perfekten Mord an seinem Ehemann zu begehen.“ grinste ich Haytham an und erntete ein lachendes Kopfschütteln.
„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich dir das sogar noch glauben!“
Das Jahr verstrich recht ruhig. Wir begingen Haythams und Edwards Geburtstag mit einigen Freunden, darunter natürlich auch Elias. Unser Sohn bekam nun endlich die kleine Miniaturausgabe der Jackdaw, welche er auch gleich am nächsten Abend einweihte im Bad.
Apropos Bad. Mithilfe von Master Williams hatte ich Kontakt zu Master Elrik aufnehmen können. Dieser wird im Frühjahr die Installation einer Dusche bei uns vornehmen. Kein preisgünstiges Unterfangen, aber ich freute mich auf diese nette Annehmlichkeit.
Neben unserer Schneiderin Frau Fischer zog Anfang Januar auch noch ein Schuhmacher hier her. Er war alleinstehend, Mitte 30 und eher der Eremit. Somit hatten wir fast alles vor Ort jetzt. Alle zwei Monate gab es einen Konvoi, welcher sich nach Richmond oder auch New York aufmachte um die Dinge einzukaufen, welche noch gebraucht wurden, oder aber unsere Waren wurden dort in den Verkauf gebracht.
Anfang Februar hatte es noch einmal ordentlich geschneit und mit ein paar Pächterfrauen und unseren Kindern spielten wir draußen. Die Bewegung tat mir eigentlich immer gut, doch als ich dieses Mal wieder daheim war mit Edward, spürte ich ein Ziehen in meinem Bauch.
Ich vermutete dahinter einfach nur, dass unsere Tochter sich mehr Platz verschaffte und mein Gewebe dehnte. Aber ich hatte mich getäuscht!
In der Nacht wurden die Schmerzen schlimmer und Haytham alarmierte Abbigail und unseren „Arzt“. Beide untersuchten mich gründlich. Ich hatte vorzeitige Wehen und mir wurde ab sofort Bettruhe verordnet. Ab und an dürfte ich aufstehen, wenn ich zum Abort müsse zum Beispiel. Ansonsten sollte ich mich schonen. Das ist leichter gesagt als getan und ich saß heulend im Bett.
„Mistress Kenway, mit diesem Kräutertee hören die Wehen auch bald wieder auf. Aber bis dahin müsst ihr euch ausruhen. Das Kind ist noch viel zu klein, als dass es …“ Abbigail sprach nicht weiter, sondern sah betreten auf den Boden.
„Ich weiß, ich weiß…“ heulte ich weiter und hielt meine Hände schützend auf meinen Bauch. Ich hatte plötzlich wahnsinnige Angst, dass etwas mit unserer Tochter nicht stimmte. Ich hatte diese Panik, dass wir sie verlieren könnten.
„Alex… Shhhhhh. Nichts dergleichen wird passieren. Dafür sorgen wir alle!“ hörte ich meinen Mann leise sagen und als die Mädchen und Abbigail gegangen waren, standen Odin, Frigg und Idun an meinem Bett.
„Der Tee ist ein guter Anfang. Aber wir werden zur Sicherheit eine Art Band um dein Kind legen, damit es sicher in dir weiter wachsen kann. Trotzdem brauchst du etwas Ruhe.“ sprach Idun leise und strich behutsam über meinen Bauch. Es fühlte sich an wie Schmetterlingsflügel die über meine Haut streichelten und ich entspannte mich umgehend.
„So ist es gut. Beruhige dich, wir lassen euch nicht alleine!“ kam es jetzt von Frigg und auch mein Allvater legte mir seine Hand auf die Stirn, was mir eine Art Energieschub gab.
„Du hast genügend Kraft auch noch die nächsten Monate zu überstehen.“ langsam zogen sie sich zurück und an der Tür hörte ich ein lautes Schniefen und „Mamaaaa!“ Rufe.
Edward war sichtlich durcheinander und hatte Angst. Verständlich.
Haytham nahm ihn hoch und gemeinsam setzten sie sich zu mir aufs Bett.
Wir versuchten ihm nun zu erklären, dass ich etwas liegen bleiben müsste und erst einmal nicht mehr mit ihm spielen konnte.
Auch gaben wir ihm das Versprechen, dass es seiner kleinen Schwester gut ginge und sie sich sicherlich auch schon auf ihn freute. Vorsichtig strich Edward über meinen Bauch und hinterließ eine goldene Spur. Nein, das ist nicht richtig ausgedrückt. Es war ein Zeichen, eine Rune.
„Schutz für meine Lillesøster“ (kleine Schwester) er legte dabei seinen Kopf auf die leichte Wölbung. Dieses Bild war einfach wunderschön und ich strich Edward über seinen wuscheligen Kopf.
„Das ist lieb von dir, min lille skat!“ sprach ich ebenso leise und sah dann zu Haytham, welcher ebenfalls ein liebevolles Lächeln auf den Lippen hatte.
Ein Jaulen war plötzlich zu hören. Es kam von Walka, welche vor dem Bett saß und aufmerksam ihr Herrchen beobachtete. Wir konnten die beiden nicht mehr von einander trennen. Auch nach vielen Stunden des Diskutierens, der dicken Tränen und der Erklärung, dass die Hündin ein Wachhund sei, war dem kleinen Kenway nicht beizukommen. Also hatten wir beschlossen, dass Walka hier bei uns im Haus blieb.
Als ich auf Edward sah, schlief er wieder und lag noch so halb auf mir. Mein Mann wollte ihn schon herunterheben, doch ich schüttelte nur den Kopf. Für die nächsten Stunden bis es hell wurde, konnte er ruhig hier schlafen. Außerdem war ich etwas ruhiger mit beiden Männern in meiner Nähe.
Ich strich unserer Hündin noch über den Kopf und sagte, sie solle auch auf Edward aufpassen.
Ich musste bis Sage und Schreibe Mitte Mai Bettruhe einhalten. Nur ab und an durfte ich einen Fuß nach unten bewegen, was mich irgendwann zur Weißglut trieb!
Meine Laune schien immer weiter in den Keller zu sinken und ich wusste mich nicht mehr zu beschäftigen.
Erschwerend kam hinzu, dass ich einen Streit mit Haytham angezettelt hatte.
Ende März kam er hoch und hielt einen Brief von Mrs. Donovan in der Hand, in welchem sie ihn bat, ihr „zur Hand zu gehen“. Sie hätte Ärger mit einigen Händlern, welche nicht bereit waren zu zahlen und außerdem würde ihr der Aufseher auf der Nase herumtanzen!
„Ich werde ein paar Tage dorthin fahren und nach dem Rechten sehen. Kommst du alleine hier zurecht, mi sol?“ in seinem Blick sah ich, dass er mich nicht gerne hier zurück ließ.
„Wenn du meinst, dass diese Schnepfe nichts alleine hinbekommt, außer ihren Gatten zu ermorden und sich gleich danach dir an den Hals zu werfen! Bitte, dann fahr hin. Viel Spaß!“ fauchte ich ihn an und eigentlich wollte ich das nicht, aber ihr kennt das. Ich war durch das Herumliegen und ans Bett gefesselt sein auf Krawall gebürstet!
„Was willst du mir damit unterstellen?“ jetzt war es mein Mann, welcher wütend wurde. Zurecht. „Hatten wir darüber nicht schon des öfteren gesprochen? Ich will ihr nur helfen und vielleicht wäre es sogar möglich ihre Waren…“
„Ich will nichts mit dieser Frau zu tun haben.“ mehr sagte ich nicht.
„Manchmal frage ich mich, womit ich dein Misstrauen verdient habe, Alex! Ich habe dir nie Anlass zur Eifersucht gegeben!“ fauchte mich Haytham an und ließ dann Michael kommen, damit er packen konnte.
Am Nachmittag brach er schließlich auf, ohne ein weiteres Wort. Ich lag in meinem Bett und fand überhaupt keine Ruhe. Nachts drehte ich mich von einer Seite auf die andere und beschloss irgendwann frustriert, dass ich in Haythams Gedanken abtauchen sollte. Aber es war schwer zu ihm durch zu dringen und im ersten Moment spielte mir mein Kopf die übelsten Bilder vor. Meine Eifersucht kennt keine Grenzen und meine Phantasie tat den Rest dazu. Doch irgendwann war ich in seinem Kopf und stand verloren dort, bis er mich umarmte und ich entschuldigte mich einfach.
„Siehst du, ich bin alleine. Ich könnte dich nicht betrügen, mi sol.“ flüsterte Haytham und hielt mich gedanklich immer noch in seinen Armen.
Er blieb drei Tage dort, konnte aber Mrs. Donovan nicht mehr helfen. Sie hatte in dieser kurzen Zeit alles was ihr Gatte aufgebaut hatte, zunichte gemacht, indem sie windige Geschäfte getätigt hatte und man sie regelrecht bis aufs Hemd ausgezogen hatte. Mein Mann legte ihr Nahe, die Plantage zu verkaufen und sich in Richmond niederzulassen. Einen Käufer für das Anwesen würden wir sicher finden und mir kam der Gedanke, dass wir es noch mit aufkaufen. Es wäre jetzt ein echtes Schnäppchen.
Ende Mai wurde der Kaufvertrag dann abgesegnet und wir waren nun die Eigentümer einer weiteren Plantage, auf welcher Baumwolle und Mais angepflanzt wurde. Wir konnten im Grunde alles so belassen und bestellten einen neuen Verwalter dafür.
Natürlich bekam ich in der ganzen Zeit auch immer mal wieder Besuch, aber jedes mal sah ich in diese mitleidigen Gesichter, welche es vermutlich nur gut meinten. Dennoch tat MIR das überhaupt nicht gut.
Einen Nachmittag Anfang März kam mich Faith besuchen, sie wollte sehen, wie es mir geht. Etwas in ihrer Stimme ließ mich aber aufhorchen, ich hatte den Eindruck, sie wolle mir etwas mitteilen.
Edward saß mit ihr auf unserem Bett und sie berichtete mir den neuesten Tratsch aus der Gegend, welchen ich ja jetzt verpasst hatte. Es dauerte nicht lange, da wurde es meinem Sohn zu langweilig und ich schickte ihn nach unten. Vielleicht konnte Haytham ihn ja ein wenig ablenken.
Als er draußen war, fragte mich meine Schwester wie es dem Kind ginge. Ich klagte ihr mein Leid, dass es mir zu langweilig wurde und dieses herumliegen einfach doof sei.
„Darf ich?“ fragte sie leise und deutete auf meinen Bauch. Plötzlich bat sie mich, die Augen zu schließen und führte meine Hand. Es war unglaublich, aber wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich es wie eine übernatürliche Ultraschalluntersuchung beschreiben. Ich konnte den Herzschlag fühlen und auch sehen.
Diese Fähigkeit hatte Faith von Imhotep gelehrt bekommen!
Ohne etwas zu sagen, legte sie meine Hand jetzt auf ihren Bauch und… „Shay und ich bekommen ein Kind, ganz ohne die Hilfe von Göttern oder seltsamen Kräuter“ dieses selige Lächeln ließ mir die Tränen in die Augen schießen! Wir lagen uns kurz darauf in den Armen vor Freude für die jeweils andere und überhaupt, die Hormone ließen mich wieder Achterbahn fahren.
Wie ich es aber schon vermutet hatte, war das noch nicht alles gewesen, was sie mir zu berichten hatte.
„Alex….meine Familie ist auf der Suche nach einem Portalring, der den ägyptischen Göttern gehört. Damit kann man in ihre Welt reisen.“, begann sie, bevor ich aber etwas sagen konnte, hob sie ihre Hand. „Ein Teil von Ares´ Seele ist in Freya übergegangen und Shay und ich werden sie retten. Aus diesem Grund müssen wir dorthin und egal ob du es erlaubst oder nicht Odin, es wird nichts daran ändern“
Faiths Blick ging zur Kommode, wo mein Göttervater aufgetaucht war und sie grimmig musterte.
„Ares konnte nur deshalb Freya infizieren, weil ich zu schwach war. Es ist meine Pflicht ihr zu helfen, auch weil sie meine Freundin ist. Bitte Odin….wir wollen nicht dort bleiben, sondern nur ein für alle mal diesen Schmarotzer vernichten.“ als Faith jetzt vor ihm stand, sah es aus, als würde er ins Grübeln kommen.
Er setzte zu einer Erklärung an, dass die Zeiten anders in ihrer Welt verlaufen. Dabei wanderte seine Aufmerksamkeit zu mir, da ich genau das ja auch schon erlebt hatte. Plötzlich hörten wir eine maulige Stimme im Raum.
„Natürlich ist ihnen das bewusst, du impotenter alter grauhaariger Bastard“ Ohhhhh, das war mehr als beleidigend!
Faith war wieder in meiner Nähe und ließ diesen beiden Göttern jetzt ein wenig Raum. Sachmet war aufgetaucht aus heiterem Himmel!
„Nun du impotenter Bastard, diese beiden können für eine sehr kurze Zeit in unsere Welt, dafür hat Ares gesorgt“ ich wäre vorsichtiger mit diesen Worten!
Odin jedoch überging das gekonnt und strich sich durch den Bart! „Es könne klappen“, hörte ich ihn sagen. „Dieser Mistkerl scheint es so geplant zu haben!“ mich durchfuhr eine leichte Panik, meinte er damit nicht nur Ares sondern auch Hrymr? Bitte…
Er ging nicht weiter darauf ein, im Gegenteil. Sie sollten nach diesem Artefakt suchen. Danach würde man weitersehen. An Sachmet gewandt, sprach er grinsend „Wir werden uns wiedersehen, Miezekätzchen“.
Er solle sie nie wieder so nennen, fauchte sie ihn an, was mein Allvater nur lachend im Nebel verschwinden ließ.
Die Göttin verabschiedete sich jetzt ebenfalls und ließ uns wieder alleine.
Nicht nur sie ließ mich alleine, auch Faith würde nicht mehr hier sein. Meine Angst um sie und Shay, dass das betreten der Welt der Götter für die beiden mit großen Gefahren einher ging, ließ mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen!
Ich hoffte, dass sie heile aus Irland wieder kommen würden!
„Bestimmt, auch wenn ein Teil der Crew hier bleibt. Dafür kommen ein paar Männer von der Elisabeth mit. Außerdem ist mein Onkel schon dort. Er bereitet alles für uns vor und ich bin gespannt wie es dort so ist, ich meine es ist die Heimat von Shays Eltern“
Leider hatten wir nicht mehr Zeit uns in aller Ruhe zu verabschieden, weil Edward anscheinend wieder Langweile hatte. Er stürmte ins Zimmer, aufs Bett und plapperte einfach drauf los. Ein paar Manieren fehlten ihm noch!
Kurz darauf verabschiedeten sich Shay und Faith. In mir blieb ein Knoten im Magen und ich heulte vermutlich für die nächsten Tage durchgehend. Auch Haytham konnte mir keinen Trost geben. Ab jetzt wurde meine Geduld auf noch mehr Proben gestellt und mir graute vor den nächsten Wochen und Monaten!
Als ich dann endlich Ende Mai die Entwarnung bekam vom Arzt, dass es jetzt sicher sei und die kleine Maus gesund war, sprang ich förmlich aus dem Bett. In den ganzen Wochen hatte sich eine unglaubliche Energie in mir aufgestaut, welche ich natürlich am liebsten sofort freigelassen hätte.
Aber das Kind in meinem Bauch verbrauchte mal locker die Hälfte davon innerhalb von Minuten. Ich streichelte über diese doch recht ansehnliche Kugel und flüsterte „Min lille engel, wollen wir in den Garten gehen und deinen Vater überraschen?“
Magda half mir beim Waschen und Ankleiden. Währenddessen plauderte sie fröhlich vor sich hin und war sichtlich froh, dass ich wieder auf den Beinen war.
„Magda, lasst für heute Abend bitte ein Bad herrichten, ich muss unbedingt meine Haare richtig gründlich waschen und das warme Wasser habe ich sehr vermisst.“ grinste ich und freute mich schon darauf.
Vielleicht konnte ich ja auch meinen Mann von dieser Idee begeistern.
Langsam ging ich die Treppe hinunter, musste aber tatsächlich ab und an inne halten, weil mein Kreislauf noch nicht ganz wieder auf Vordermann war.
Als ich auf die Terrasse trat, sah ich meine beiden Männer, wie sie im Garten unter einem Baum saßen und sich unterhielten.
Ich ging auf die beiden zu und kaum dass Edward mich bemerkte, rannte er auf mich zu.
„Mama, bist du wieder gesund? Kann ich jetzt meine kleine Schwester haben?“ sein Blick glitt aber über meine kleine Kugel und ein wenig enttäuscht sah er dann zu mir auf. „Dauert das noch lange, Mama?“
„Ein wenig noch, vielleicht siehst du sie im Juli endlich, min lille skat.“ lächelte ich und strich über seinen Kopf.
„Wie oft muss ich noch schlafen?“ erstaunt sah ich ihn an, so etwas hatte er noch nie gefragt. Dieses Zeitgefühl setzt ja bekanntlich erst später ein.
Ich überschlug das Ganze einfach mal und erklärte dass er bestimmt noch mindestens 60 mal schlafen musste.
„Soooooo lange?“ er atmete tief aus und ging dann zu seinem Vater. „Vater, warum dauert das so lange. Kannst du meiner Schwester nicht einfach sagen, dass wir sie alle haben wollen?“ ich kicherte etwas haltlos, weil diese Vorstellung, wie Haytham mit dem kleinen Menschen in meinem Bauch schimpfte, schon recht absurd erschien.
„Das geht nicht, wir müssen Geduld haben. Du hast ja auch nicht auf mich gehört damals. Deine Mutter und ich mussten auch warten, aber dann war es um so schöner, als du an meinem Geburtstag zur Welt kamst, Edward.“ und er drückte seinen Sohn an sich.
Am Abend brachte ich nach langer Zeit meinen kleinen Schatz wieder zu Bett und er freute sich riesig darüber.
„Mama, singst du wieder und die Geschichte mit dem großen König will ich auch noch hören!“ aufgeregt saß er jetzt in seinem Bett und sah mich voller Erwartung an.
„Ja, min lille skat. Aber erst hinlegen und zudecken, dann fange ich an.“ ermahnte ich ihn. Brav zog er die Decke über sich und kuschelte sich dann an mich. Also begann ich von Halfdan zu erzählen, dem großen König aus Dänemark und anschließend bekam er noch sein Lieblingslied. Seine Augen fielen immer wieder zu und ich strich über seinen Rücken bis er ganz eingeschlafen war.
„Ich hab dich lieb!“ flüsterte ich und ging dann hinaus.
„Er hat dich vermisst, mi sol. Es tut gut zu sehen, dass Edward wieder glücklich ist.“ Haytham stand an das Geländer gelehnt und nahm mich in den Arm.
„Diese Momente habe ich auch vermisst und es tut wirklich gut, mi amor. Aber ich habe noch etwas mit dir vor heute Abend.“ zwinkerte ich verschwörerisch und wollte ihn hinter mir her nach unten ziehen.
„Ich habe es bemerkt, aber ich habe vorher noch eine Überraschung für dich.“ grinste er breit, nahm meine Hand und führte mich seinerseits nach unten. In der Eingangshalle holte er ein Tuch aus seiner Westentasche und verband mir die Augen. Mein Körper überzog sich mit einer Gänsehaut, weil ich nicht wusste, was jetzt kam.
Der Weg führte uns nach unten, soviel bekam ich mit und es roch auch schon so herrlich nach Rosen. Als wir aber nicht in Richtung unseres Bades abbogen, sondern in die entgegengesetzte Richtung, wurde ich unsicher.
„Was…“
„Lass dich überraschen, mi sol.“ hauchte er hinter mir und schob mich weiter.
Endlich blieb er stehen, nahm mir die Augenbinde ab und schlang die Arme um mich! Und ich? Ich stand in einem richtigen Bad! Im Boden war ein gekacheltes Becken eingelassen und auf einer Seite war eine Dusche angebracht!
Mit offenem Mund bestaunte ich diesen Raum und fragte mich, WER das in so kurzer Zeit hat fertigstellen können. Außerdem hatte ich davon wirklich nichts bemerkt.
„Haytham… das ist… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ ich drehte mich zu ihm um und schlang meine Arme um ihn.
„Na endlich, dann halte deinen Mund jetzt geschlossen und küss mich einfach!“ seine Lippen berührten meine und ich schmolz postwendend dahin. Ich hatte ihn so vermisst, aber wir hatten das Verbot erteilt bekommen mit einander zu schlafen. Wir würden jetzt hoffentlich einiges nachholen können und ich freute mich auf schöne Stunden hier mit meinem Mann.
Langsam zogen wir uns aus und Haytham trug mich die wenigen Stufen hinunter ins Becken. Als das warme Wasser meinen Körper umspülte musste ich einfach wohlig stöhnen. Es war eine Wohltat!
Ich öffnete das Haarband meines Mannes und er tat es mir gleich. Ich umschlang ihn und küsste ihn verlangend. Mein Unterleib schien zu explodieren, wenn ich ihn nicht bald spüren könnte. Vorsichtig ließ ich mich auf seinem Schoß nieder, ließ ihn in mich gleiten. Diese Erlösung war bitter nötig. In Haythams Augen sah ich ebenfalls diesen Wunsch nach Vereinigung und wir fanden schnell unseren Einklang wieder.
Wenig später lag ich mit dem Rücken an ihn gelehnt und erst jetzt konnte ich mich richtig auf die Einzelheiten hier konzentrieren.
„Das ist einfach fantastisch, mi amor. Master Elrik hat ganze Arbeit geleistet! Aber das muss doch ein Vermögen gekostet haben!“ flüsterte ich gedankenverloren.
Haytham erklärte mir, dass er einen Handel mit dem Herren abgeschlossen hatte. Dieser würde auch auf dem alten Anwesen der Donovans für einige Renovierungen sorgen. Im Gegenzug würde er Wein und Tabak vergünstigt von uns erhalten. Und der Rest war reine Verhandlungssache.
„Du siehst, der Mann ist sein Geld wert und ich habe ihn auch schon weiter empfohlen. Außerdem hat Franklin mir noch einen Plan für einen Ofen übergeben, welcher für stetiges warmes Wasser sorgt. Auch im Winter.“ er deutete auf einen in der hinteren Ecke stehenden Kugelförmigen Ofen.
„Großartig! Ich freue mich schon darauf nach einem kalten Tag mit dir in das heiße Wasser abtauchen zu können.“ flüsterte ich freudig und räkelte mich an seiner Brust.
Außerdem stellte ich ebenso freudig fest, dass Haytham noch einen Nachschlag wünschte. Wer wäre ich, ihm den zu verwehren und wir verbrachten noch eine ganze Weile hier, weil jetzt das Wasser auch nicht mehr kalt werden konnte.
Etwas erschöpft stiegen wir später aus dem Becken und plötzlich spürte ich einen heftigen Tritt in meine Nieren.
Mein „Aua“ alarmierte meinen Mann natürlich sofort, aber ich konnte Entwarnung geben.
„Mi sol, sieh dir das an. Ich kann einen Fuß erkennen.“ vorsichtig strich er über diese kleine Wölbung und schwups, war sie auch schon wieder verschwunden.
Wir konnten im Anschluss noch etwas draußen auf der Terrasse sitzen und ich genoss meine neue Freiheit.
Im Juni stand mal wieder ein Empfang an, dieses mal aber in Richmond selber. Das hieß, wir mussten uns dort für zwei Tage einmieten. Mir widerstrebte es immer noch, Edward alleine lassen zu müssen, aber in diesem Falle wäre der Aufwand einfach zu groß. Es reichte schon, dass Magda und Michael mit kamen.
Der Abschied war entsprechend Tränenreich und unser Sohn versicherte uns, dass er ganz böse auf uns wäre. So etwas möchte man in dieser Situation besonders gerne hören.
„Min lille skat, wir sind ja bald wieder da und vergiss nicht, Walka passt auf dich auf.“ versicherte ich meinerseits noch leise und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
Wir machten uns also auf den Weg und während der Fahrt hing ich meinen Gedanken nach. Wie wollten wir unsere Tochter eigentlich nennen? Während meiner Bettruhe hatte ich schon darüber nachgedacht, war aber irgendwie nie zu einem vernünftigen Ergebnis gekommen.
„Habt ihr eventuell einen schönen Namen für ein Mädchen im Kopf?“ fragte ich meine Zofe und sie sah mich grübelnd an.
„Mistress Kenway, wie wäre es, wenn ihr den Namen ihrer Großmutter nehmt?“ daran hatte ich auch schon gedacht. Aber es wäre dann der Name von Haythams Mutter, weil der meiner Mutter zu deutsch klang und meiner Meinung nach nicht passend wäre.
„Du meinst Tessa? Aber das ist einfach zu kurz und ich finde, Edward hat ja auch zwei Namen bekommen. Wie wäre es, wenn sie deinen Namen erhält?“ kam es nachdenklich von Haytham.
„Tessa Alexandra? Nein, das klingt so hart. Meine Oma fand auch immer, dass mein Name nicht richtig passt.“ ich dachte daran, wie Oma oft überlegte, mich einfach umzutaufen. Sie fand Sarah immer sehr schön. Doch auch das fand ich eher unpassend.
Noch hätten wir ja ein wenig Zeit.
Am Abend machten wir uns für den Empfang beim Gouverneur und seiner Gattin fertig. Vor ihrem Anwesen blieb ich einen Moment stehen und bestaunte dieses wunderschöne Backsteinhaus. Es war nicht riesig, aber wirklich geschmackvoll mit vielen kleinen Giebeln und Fenstern.
Benjamin Harrison V war ein Plantagenbesitzer und wurde 1726 auf der Donovan Plantage, damals noch im Besitz einer anderen Familie, geboren. Bisher kannte ich ihn nur vom Hören Sagen, aber alles war bisher positiv. Seine Frau würde leider heute Abend nicht zugegen sein. Auch sie war in anderen Umständen und unpässlich ließ man uns wissen.
Während des gesamten Abends wurde mir bewusst, warum wir mit den ganzen Staatsmänner zusammen trafen. Schon jetzt war zu spüren, dass sich eine Gegenbewegung zum britischen Königshaus zusammen tat. Zwar noch recht zurückhaltend, dennoch wahrzunehmen.
„Wir sollten beizeiten zur Sicherheit eigene Truppen haben und uns möglichst unabhängig machen.“ sprach Harrison an meinen Mann gerichtet.
„Sicher, Sir. Und ich denke, wir werden auch von der Bevölkerung Unterstützung erhalten. Außerdem ist es uns möglich, souverän leben zu können und unseren Lebensunterhalt selber zu finanzieren. Ihr wisst es so gut wie ich, dass die Weizen-, Mais-, Tabak- und auch Baumwoll-Plantagen eine wichtige Einnahmequelle sind, welche wir entsprechend nutzen können.“ Im Grunde hatte er recht, trotzdem würden in einigen Jahren die Rotröcke in diesen Gebieten wildern und einfach ihr Recht für den König einfordern.
Inständig hoffte ich, dass ich immer noch ein klein wenig entgegenwirken konnte, ohne jetzt den Unabhängigkeitskrieg zu verfälschen!
Ich wurde von den Damen in Beschlag genommen, welche mich über das Geschlecht unseres Kindes, den Geburtstermin und so weiter ausfragten. Ich muss aber betonen, dass die Frauen hier anscheinend anders tickten. Sie waren nicht überheblich, oberflächlich oder arrogant. Nein, sie fragten aus echtem Interesse.
„Mistress Kenway, ein Mädchen? Wie schön. Wenn ihr noch eine Ausstattung benötigt, dann kann ich euch gerne die meiner drei Töchter überlassen. Sie werden so schnell groß.“ meinte eine junge Frau mit Tränen in den Augen.
„Ja, das stimmt. Meine Söhne waren so schnell erwachsen, dass ich recht erschrocken war, als sie mit ihrem Waffentraining begannen.“ kam es von einer Dame mittleren Alters.
Wir waren uns einig, dass wir jeden Moment genießen sollten, wo die Kleinen noch so unserer Fürsorge bedürften.
Gegen Mitternacht verabschiedeten wir uns bei unserem Gastgeber und ich lud den Gouverneur und seine Gattin zu uns ein, wenn sie die Niederkunft hinter sich hatte.
„Ich werde es ihr mit Freuden mitteilen, Mistress Kenway. Und ich wünsche auch euch, alles Gute, aber mit diesem Mann an eurer Seite, kann nichts schief gehen.“ lachte der Herr und wir stiegen in unsere Kutsche.
In unserer Unterkunft war ich heilfroh, aus diesen Schuhen zu kommen. Es war wieder soweit, dass ich kaum etwas tragen konnte. Außerdem regte es mich schon wieder auf, mich nicht selber an- oder ausziehen zu können.
„Mistress Kenway, so haltet doch bitte still. Ich reiße euch sonst noch die Haare raus.“ kam es entnervt von Magda, nachdem ich schon eine Weile versuchte meine Strümpfe alleine von den Beinen zu bekommen!
Dann endlich konnte ich ins Bett, aber ich lag noch nicht ganz, da begann der kleine Wirbelwind in meinem Bauch sich zu bewegen. Mal wieder ein nachtaktives Kind, wie ich mich freute!
Haytham lag neben mir und betrachtete meinen Bauch, welcher sich in alle Richtungen ausdehnte. Seine warme Hand legte sich behutsam darüber und mit kreisenden Bewegung versuchte er seine Tochter zu beruhigen.
„Kleiner Engel, lass deine Mutter jetzt ein wenig schlafen.“ seine Lippen gaben ihr noch einen Kuss und als wäre das ihr Stichwort herrschte plötzlich Ruhe.
„Wenn du das auch später so hinbekommst, dann darfst du sie gerne immer zu Bett bringen, mi amor.“ lachte ich und küsste meinen Templer.
Auf dem Rückweg bemerkte ich, wie Magda des öfteren bat, anzuhalten. Sie war blass und ich ahnte, was der Erlöser war. Michael hatte mit seiner Besorgnis und seinem Blick, welcher oft versonnen auf den Bauch seiner Frau ging, den entscheidenden Hinweis gegeben.
„Magda, ihr seid schwanger, richtig?“ lächelte ich sie an und ängstlich sah sie von einem zum anderen.
„Ja, Mistress Kenway. Aber ich werde trotzdem weiter für euch arbeiten. Diese Übelkeit wird ja vergehen, wie bei euch, nicht wahr?“ ihre Worte kamen hektisch über ihre Lippen.
„Magda, natürlich bleibt ihr in unseren Diensten. Meine Frau könnte sich keine bessere Zofe wünschen. Michael, versprecht mir nur, dass ihr gut auf die Mutter eures Kindes achtet!“ kam es lächelnd von Haytham, dabei war die Erleichterung der beiden Eheleute deutlich zu spüren.
Das würde ja jetzt ein rechter Kindersegen auf unserer Plantage werden. Von Mildred wusste ich, dass auch sie im Herbst ein Kind erwartete und vier weitere Frauen waren guter Hoffnung bei uns. Abbigail hätte alle Hände voll zu tun.
Außerdem war ich froh, dass unser Lazaretthelfer jetzt seine Ausbildung zum Arzt seit fast einem Jahr machte. Gleichzeitig hatten wir aber übergangsweise Dr. Ambrosch bei uns aufgenommen. Dieser wollte seine Praxis in New York schließen und sich zur Ruhe setzen. Mit dem Umzug zu uns, wollte er langsam den Ruhestand einläuten.
Der heutige Morgen war alles andere als gut, weil es seit Tagen eine brütende Hitze hier war. Ich freute mich schon auf eine kleine Abkühlung mit Edward nachher.
Die Bewässerung für unsere Felder lief hervorragend, somit waren die Bauern und Pächter etwas entlastet. Aber sie litten ebenso unter diesen Temperaturen.
Wir hatten leider vor zwei Wochen Brände auf zwei Feldern hinnehmen müssen. Wie sie zustande kamen, wissen wir nicht, aber es ist davon auszugehen, dass es keine Brandstiftung war.
Seit Monaten hatten wir hier keine Diebe, Bettler oder Banditen mehr gesehen. Vermutlich hielten sie sich alle fern, weil alle Nachbarn entsprechend aufgerüstet hatten.
Sogar Haytham hatte sich mit neuen Waffen eingedeckt, welche in unserem neuen vergrößerten und gesicherten Kellergewölbe lagerten.
Ich war noch nicht aufgestanden und angezogen, da hätte Magda mich auch gleich wieder neu einkleiden können. Es war zum Verrückt werden, auch Haytham, welcher eigentlich ein besonnener Mensch ist, fuhr schnell aus der Haut. So auch heute Morgen, als Michael ihn beim Rasieren schnitt! Der junge Mann war selber gerade mehr als nervös und ihm schwitzten die Hände, da war ihm das Messer etwas entglitten. Aber wem sage ich das, diese Jahreszeit ist nicht für jedermann etwas.
Beim Frühstück maulte Edward auch gleich drauf los, weil er nicht seine geliebten süßen Brötchen bekam, sondern nur gebutterten Toast und Eier.
„Das schmeckt nicht. Ich will das nicht!“ dieser Ton in seiner Stimme ließ Haytham lauter werden.
„Du isst, was auf dem Teller ist, Edward. Habe ich mich klar ausgedrückt. Ansonsten kannst du mit Sybill auf dein Zimmer gehen. Aber ohne Walka!“ DAS zog seit einigen Wochen immer.
„Ja, Vater.“ kam es kleinlaut schmollend von unserem Sohn.
„Min lille skat, nach dem Frühstück, wollen wir dann wieder schwimmen üben?“ versuchte ich ihn etwas aufzumuntern, was mir einen säuerlichen Blick meines Gatten einbrachte.
„Darf ich auch die Jackdaw mitnehmen, Mama?“ schon war er wieder der Alte und überlegte sich, was er alles an Spielzeug mitnehmen wollte.
Unser Tischler hatte ihm mehrere kleine Boote geschnitzt und mit kleinen Segeln ausstaffiert, so dass Edward eine kleine Flotte zusammen hatte. Oft stand ich am Ufer und sah ihm zu, wie er sie in die Schlacht schickte.
Leider musste Haytham heute bei einem der älteren Bauern nach dem Rechten sehen. Dieser war gestürzt und hatte sich das Bein gebrochen. Dr. Ambrosch rechnete mit dem Schlimmsten und hatte seinen Arbeitgeber gebeten in der schweren Stunde dabei zu sein, weil es nur noch die Frau gab. Der Sohn war gerade zum Militär gegangen und war unabkömmlich.
Mit Sybill, Walka und Edward machte ich mich dann auf nach draußen. Erstaunlich war auch, dass mein Sohn keine Windel mehr brauchte. Mrs. Wallace hatte ihn gut trainiert in der Zeit, wo ich bettlägerig war und ich war ihr unendlich dankbar dafür.
Also huschte dieser kleine Dreikäsehoch nackig auf das Ufer zu, wo schon seine Flotte wartete.
Ich zog mich bis aufs Unterkleid auch aus, nur Sybill blieb auf einer Decke auf dem kleinen Steg sitzen um über uns zu wachen. Zuerst waren aber seine Schwimmübungen an der Reihe, was Edward maulend quittierte.
„Ich kann das schon, Mama. Schau mal!“ meinte er entrüstet und zeigte mir sein Können. Ja, er konnte alle Bewegungen. Aber immer wieder kam er in dieses Paddeln, vor allem wenn mal wieder Walka mit ihm spielen wollte im Wasser.
„Walka! Aus! Nicht jetzt!“ rief ich des öfteren und dann schwamm sie um ihren Schützling drumherum, kam von der anderen Seite mit einem erneuten Versuch ihn zu ärgern. Die beiden verstanden sich, sie hatten nur Flausen im Kopf.
Nach einer dreiviertel Stunde ging ich aber aus dem Wasser und ließ mich neben Mrs. Wallace auf der Decke nieder. Mir taten die Knochen wieder weh und ich würde am liebsten im Wasser wohnen. Dort war ich wie schwerelos!
„Es dauert nicht mehr lange, Alex.“ flüsterte Sybill leise und sah mich lächelnd an. „Der kleine Engel hat kaum noch Platz und seien wir ehrlich, es ist einfach zu warm.“ ihr Lachen war ansteckend.
Irgendwann stand Edward mit blauen Lippen bibbernd vor mir. Ich rubbelte ihn mit einem Handtuch trocken und zog ihm ein Hemd über.
Außerdem hatte ich ihm seine süßen Brötchen aus der Küche geholt.
Er ließ es sich schmecken und fütterte seine Hündin hin und wieder mit einem Stück Schinken.
„Das schmeckt dir, Walka, nicht wahr?“ kicherte er, wenn sie sich schlabbernd bei ihm bedankte.
So verbrachten wir einen doch noch recht angenehmen Vormittag und als es Zeit fürs Mittagessen war, gähnte klein Kenway schon wieder vor sich hin. Diese Stunden im Wasser taten ihm gut und er konnte sich auspowern.
Gerade als wir ein paar Schritte gegangen waren, fühlte ich ein Gluckern in meinem Bauch und an meinen Beinen rann Flüssigkeit herab. Edward sah mich entgeistert an und kicherte „Mama, musst du mal?“ Geistesgegenwärtig nickte ich nur und Sybill ging eiligen Schrittes mit Edward ins Haus.
Ich lehnte mich an einen der Bäume und wartete einen Moment, ich musste diesen Schrecken erst einmal verdauen. Als ich ruhiger war, ging ich weiter, aber bei jedem Schritt verlor ich mehr Fruchtwasser. Das war nicht weiter schlimm, nur unangenehm.
Auf halbem Wege sah ich schon Abbigail auf mich zulaufen.
„Mistress Kenway, ist es soweit?“ fragte sie unnötigerweise. „Ich habe schon einen Boten zu eurem Gatten und Dr. Ambrosch schicken lassen. Hakt euch bei mir unter. So ist es gut. Habt ihr schon Wehen, oder geht es noch?“ sie war ganz in ihrem Element.
„Nein, ich spüre nur ein ganz leichtes Ziehen im Rücken. Vermutlich dauert es noch eine ganze Weile, bis mein kleiner Engel auf der Welt ist.“ ehrlich gesagt hoffte ich, dass es recht schnell ging.
Vorsichtig half mir Abbigail die Treppe hinauf und oben auf dem Absatz stürmte mir Edward entgegen.
„Mama, Mama! Kommt jetzt endlich meine Schwester? Ja?“ seine Stimme überschlug sich vor Freude.
Ich lächelte ihn zuversichtlich an. „Das dauert noch ein paar Stunden, min lille skat.“ Zufrieden war er mit der Antwort nicht.
„Warum denn? Mag sie mich nicht sehen?“ in seine graublauen Augen traten Tränen.
„Och min lille skat, nein. So ist das nicht. Auch bei dir hat es noch ein wenig gedauert am Tag deiner Geburt. Ich muss mich ja vorbereiten und Tante Abbigail hilft mir jetzt dabei. Sei brav und geh mit Walka und Sybill in den Garten, ja?“ ich gab ihm noch einen Kuss auf die Wange. Gerade als ich mit dem Oberkörper hochkam, durchfuhr mich die erste Wehe. Ich versuchte sie durch atmen erträglicher zu machen, ich wollte Edward keine Angst machen.
„Mama…“ aber Mrs. Wallace erzählte ihm, dass sie jetzt hinuntergingen und auf Haytham warten würden. Seine Mutter bräuchte ein wenig Ruhe. Widerstrebend tat er, was man ihm sagte.
Im Schlafzimmer war schon geschäftiges Treiben, die Mädchen hatten alles abgedeckt. Die Diener hatten auch die Matratzen vom Bett gegen die einfache aus Stroh ausgetauscht. Sicher ist sicher, auch wenn ich hoffte, wie bei Edward, kniend vor dem Bett meine kleine Tochter zu bekommen.
Meine Hebamme untersuchte mich kurz und versicherte mir, das Baby liege richtig und sei in einer guten Position. Aber noch waren die Wehen nicht stark, wir müssten abwarten. Doch je länger ich lag, desto mehr spürte ich diese Kontraktionen. Es wurde immer unangenehmer.
Ich begann wieder meine Wanderschaft und sah mich vor zweieinhalb Jahren hier durchs Zimmer pilgern. Ich folgte dieser Spur, weil es mich auf eine seltsame Art beruhigte.
Hin und wieder reichte man mir Wasser oder fragte, ob ich etwas essen wollte. Hunger hatte ich nicht, aber Durst, weil die Temperaturen noch gestiegen waren und mein Unterkleid schon wieder durchgeschwitzt war.
Es müssen drei Stunden vergangen sein, die Standuhr unten schlug entsprechend, als ich von der Treppe Gepolter hörte und ein aufgeregter Haytham schweißnass auf mich zustürmte.
„Mi sol, wie geht es dir. Wie weit ist es? Komme ich zu spät?“ völlig außer Atem stand er zitternd vor mir und drückte mich.
„Du kommst genau richtig, mi amor. Es wird aber sicherlich noch etwas dauern. Deine Tochter macht sich noch hübsch, dass nimmt noch einige Zeit in Anspruch.“ dieser Satz kam mir wie aus heiterem Himmel in den Sinn. Meine Oma hatte mir das damals einmal gesagt, als ich meinte, dass mir das bei Yannick zu lange dauern würde. Er müsse sich erst noch herausputzen. Plötzlich brach ich in Tränen aus, weil ich sie vermisste.
Haythams Arme lagen tröstend um mich und halfen mir dabei, mich wieder auf unsere Tochter zu konzentrieren.
Er krempelte die Ärmel hoch und zog seine Schuhe aus. Seine grauen Augen musterten mich. Leise fragte ich, was er sah.
„Edward hatte dieses stetige violette Leuchten, unsere Tochter scheint sich noch nicht entschieden zu haben. Von Gold über blau bis hin zu rosa sehe ich alles. Aber keine Sorge, nichts rotes, mi sol.“ das beruhigte mich dann doch ein wenig.
Zwei weitere Stunden später kam die nächste Untersuchung und mittlerweile war auch Dr. Ambrosch anwesend. Er tastete meinen Bauch ab, stutzte kurz und fühlte noch einmal über die Seiten. Besorgt sah er zu mir.
„Mistress Kenway, euer Kind scheint sich noch ein wenig gedreht zu haben. Es liegt jetzt quer. Das verstehe ich nicht, soviel Platz ist gar nicht vorhanden, zumal ihr auch jegliches Wasser verloren habt.“ er setzte seine Brille ab und rieb sich den Nasenrücken.
„Aber ist das jetzt schlimm? Wenn ich weiter laufe, kann sie sich doch noch einmal wieder nach unten schieben oder nicht?“ meine Stimme war kaum zu hören, weil ich plötzlich Angst bekam, dass doch etwas schief laufen könnte.
„Noch seid ihr nicht soweit geöffnet, also schreite ich auch noch nicht ein. Lasst uns vielleicht noch eine Stunde abwarten.“ er legte seine ganze Zuversicht in seinen Ton und ich wünschte mir, er behielte Recht.
Also weiter im Text, ich marschierte wieder. Haytham hatte seine Massagekünste noch weiter ausgebaut, was ich dankend annahm.
Unten hörte ich die Standuhr sechsmal schlagen und man untersuchte mich erneut.
„Mistress Kenway, es ist soweit. Aber eure Tochter liegt immer noch quer. Wir werden jetzt versuchen sie zu drehen. Das kann etwas schmerzhaft werden.“ sprach Abbigail leise. Gleichzeitig bat man meinen Mann hinter mir am Kopfende Platz zunehmen, damit er mich festhalten konnte.
Mit vereinten Kräften drückten, schoben und massierten meine Hebamme und der Arzt meinen Bauch. Es tat höllisch weh, weil dazu auch noch die Wehen in schnellen Abständen kamen. Am liebsten wäre ich gestorben.
Haytham bekam jetzt meine ganze Wut auf diese Schmerzen zu spüren und zu hören. Seine Finger knackten kurz und ich hörte ein zischendes „Auaaaa“.
„Stell dich nicht so an, du hast mir das doch angetan. Aber du wirst dich noch wundern! Nie wieder lass dich in meine Nähe. Hörst du? Nie wieder!“ schrie ich ihn an.
Plötzlich riefen Dr. Ambrosch und Abbigail, ich solle pressen, es wäre soweit. Völlig perplex tat ich einfach, was sie sagten und ließ die Wehen mithelfen. Mein Mann hinter mir stützte mich weiterhin.
„Mi sol, du machst das großartig!“ seine Worte kamen wie durch einen Nebel bei mir an. „Ich bin bei dir, mach weiter… du schaffst das!“
Irgendetwas brannte plötzlich wie die Hölle und ich schrie auf. Ich sah auf meine Hebamme, welche hektisch ein paar Tücher zwischen meine Schenkel legte. Man hieß mich weiter pressen, sie feuerten mich regelrecht an.
„Mistress Kenway, gebt mir eure Hand.“ Abbigail ließ mich, wie bei Edward auch, den Kopf fühlen, genau diese Motivation war genug in diesem Moment. Ich atmete tief ein, legte mein Kinn auf die Brust und spürte, wie sich etwas aus mir löste.
Dann hörte ich ein lautes Schreien zwischen meinen Beinen und die Stimme meines Mannes an meinem Ohr.
„Mi sol, sie ist da. Schau.“ er strich über meine Wange und deutete nach unten.
Langsam richtete ich mich etwas auf und da lag dieser kleine Mensch.
Vorsichtig nahm ich sie hoch, betrachtete dieses kleine Wunderwerk. Unsere Tochter hatte blonde Haare, schon fast rötlich. Ihre Stimme war kräftig und langsam nahm ihre Haut auch diese rosige Farbe an.
„Min lille engel. Da bist du ja endlich.“ flüsterte ich und gab ihr einen Kuss auf den Kopf.
„Sie ist wunderschön, wie ihre Mutter.“ kam es mit zittriger Stimme von Haytham, als er uns in die Arme schloss.
Genau wie ihre Brüder, begann dieses kleine Mädchen nach einer Nahrungsquelle zu suchen, also legte ich sie an. Abbigail und Dr. Ambrosch kümmerten sich um die Nachgeburt und gaben kurz darauf grünes Licht.
„Herzlichen Glückwunsch zu eurer Tochter, Master Kenway, Mistress Kenway.“ meinten beide gleichzeitig und es war Haytham, welcher sich für uns beide bedankte.
Die kleine Maus hatte nach kurzer Zeit ihre erste Mahlzeit vertilgt, sodass mir meine Kammerzofe beim Waschen und Neuankleiden helfen konnte.
Auf meine Frage, was mir solche Schmerzen kurz vorher noch bereitet hatte, erklärte mir der Arzt, dass es fast zu einem Riss gekommen wäre. Aber er konnte es noch rechtzeitig verhindern und versuchte es bildlich zu erklären. Ich dachte nur im Stillen „Aua!“ denn das wäre nicht schön gewesen.
Frisch angezogen, ließ ich mich am Kopfende nieder, wo Haytham mit unserer Tochter auf dem Arm saß und sie anlächelte.
Dr. Ambrosch verabschiedete sich jetzt, weil er noch einmal zurück zu dem alten Herren wollte. So schlimm war es um ihn dann wohl doch nicht bestellt gewesen, erklärte er erleichtert.
Die Mädchen sorgten hier wieder für Ordnung, während Abbigail ihre Tasche wieder einpackte.
„Wie soll denn eure Tochter heißen?“ fragte sie leise und strich ihr über die Wange.
Plötzlich kam mir eine Idee. Als ich mit Edward Senior gesegelt bin, musste ich ihn pflegen und habe damals oft gedacht, ob ich eine zweite Florence Nightingale sei.
„Florence Tessa Kenway!“ meinte ich mit einem Blick auf Haytham, welcher mich fragend ansah. „,Florence Nightingale, sie wird später die Schirmherrin für alle Krankenschwestern. Sie reformiert das Sanitätswesen und wird berühmt.“
„Das finde ich wirklich passend, mi sol.“ ich bekam einen Kuss auf die Wange. „Dann soll sie so heißen!“ Haytham erhob sich und ging mit Florence vor die Tür. Dort wurde er schon erwartet, aber nicht nur von Edward Junior, nein auch von meinem großen Sohn! Yannick war wieder hier, aber dieses mal mit Alexander alleine. Mein Mann verkündete noch lautstark den Namen seiner Tochter, bevor er wieder zurück zu mir kam.
„Mom, ich habe eine kleine Schwester. Ich fasse es nicht.“ er drückte mich, während er sich dann auf der Bettkante nieder ließ. Mein Mann legte Florence in seine Arme und Yannick liefen die Tränen über die Wange. „Du bist aber hübsch. Ich bin dein großer Bruder, Florence.“
Edward stand etwas verloren neben Haytham und sah von einem zum anderen.
„Mama, ist das meine Schwester?“ fragte er leise und kam dann auf Yannick zu.
„Edward, schau. Das ist sie. Wir haben eine kleine Schwester!“ etwas entgeistert starrte der kleine Kenway auf seinen großen Bruder.
Ich hatte nie darüber nachgedacht, aber er wusste nicht, wer sein großer Bruder war. Er konnte sich vermutlich an die kurze Reise damals gar nicht erinnern. Kurzerhand übernahm Yannick die Erklärung, indem er mir Florence reichte und Edward an die Hand nahm. Die beiden Jungs verließen das Schlafzimmer und ich hatte einen Moment zum Durchatmen.
Das kleine Gewicht in meinen Armen bewegte sich etwas und machte Anstalten zu weinen.
„Min lille engel…“ flüsterte ich und begann auch ihr etwas vorzusingen. Ihr Lied war aber ein gänzlich anderes als für ihren Bruder.
„Oma, das klingt so schön.“ flüsterte mir Alex ins Ohr. Ihn hatte ich gar nicht bemerkt. Er war einfach mit aufs Bett gekommen und lag neben mir.
„Alex, mein Schatz. Wie geht es dir?“ fragte ich leise, weil Florence gerade ruhig wurde.
„Mir geht es gut. Meine Tante ist ja auch noch so klein, wie Franziska damals.“ kicherte er.
„Das ist schön zu hören, mein Schatz. Ich freue mich, dass du mit Papa hier bist. Ich hab euch vermisst.“ in meinen Augen brannten natürlich Tränen, wie sollte es anders sein. In mir tobten wieder diese fiesen Hormonwellen und ließen mich und meine Gefühle Achterbahn fahren.
„Wir vermissen dich auch, Oma. Aber ich kann dich oft sehen, wenn du an mich oder Papa denkst. Es ist dann so, als würde ich kurz einschlafen.“ darüber hatte ich noch nie nachgedacht und sah ihn erstaunt an.
„Das… das ist großartig. Ich hoffe, es ist nicht zu unangenehm? Nicht, dass du gerade in der Schule bist oder so.“ grinste ich.
„Nein, es ist bisher immer zuhause passiert, Oma.“ versonnen lag er an meiner Schulter und strich seiner Tante über den Kopf. „Sie wird einmal…“ begann er leise, aber ich unterbrach ihn. „Entschuldige, ich…“ flüsterte er. Er war enttäuscht, mir nicht alles erzählen zu dürfen.
„Jetzt weißt du, wie es mir hier oft ergeht. Ich darf nicht alles erzählen.“ seufzte ich tief. Langsam überkamen mich die Müdigkeit und Schmerzen.
„Alex, kannst du bitte Magda holen? Und wo ist überhaupt dein Vater schon wieder hin, hoffentlich nicht wie damals bei Edward…“ die Erinnerungen an den volltrunkenen Zustand meines großen Sohnes brachen durch.
„Ich gehe Papa suchen.“ kicherte mein Enkel und verschwand aus dem Zimmer.
„Mistress Kenway?“ weckte mich Magdas leise Stimme und ich schrak hoch. „Verzeiht, aber ich habe euch vorhin schlafen lassen. Aber ich wollte fragen, ob ihr noch etwas braucht?“ kam es immer noch fast tonlos von ihr.
„Oh, ich bin eingeschlafen… Ich müsste mich noch einmal neu anziehen und wenn ihr mir bitte etwas zu Essen bringen könntet, auch habe ich wahnsinnigen Durst.“ sprach ich leise, doch Florence wurde wach. Also stand ich auf, wickelte sie und legte sie an. Auch dieser kleine Kenway-Ableger hatte einen gesegneten Appetit, vor allem musste ich dringend ihre Fingernägel kürzen. Diese pieksten die ganze Zeit in meine Brust, weil sie sich festhielt, was wirklich unangenehm war.
Nach einem ordentlichen Bäuerchen legte ich meine kleine Maus aufs Bett und Magda half mir erneut beim Waschen und neu Anziehen. Sie wechselte auch noch die Tücher auf dem Bett.
Danach konnte ich eine Kleinigkeit essen und genoss den kühlen Tee, welchen Tabea schon heute morgen für mich fertig hatte.
Florence war recht unruhig, sie lag nicht still, sondern bewegte sich die ganze Zeit neben mir. Vorsichtig strich ich über ihren Bauch und über ihren blond-rötlichen Flaum auf dem Kopf.
Sie sieht aus wie du als Baby, Alex. Du warst auch eher wie ein kleiner Fuchs, aber das hat sich dann schlagartig später geändert. Hörte ich meine Mutter plötzlich. Neben ihr erschienen mein Pirat und seine Frau.
Ein hübsches Mädchen habt ihr beiden. Und danke, dass sie meinen Namen trägt. Bald wird sie auch ihre Patin bekommen. Tessa sah mich mit strahlenden Augen an und berührte vorsichtig die Wange ihrer Enkelin. Sie ist so unschuldig. Mama und Tessa standen beide schluchzend neben dem Bett.
Unsere Enkelin hat einen großartigen Weg vor sich. Sprach Edward Senior voller Stolz. Und jetzt ruh dich noch etwas aus. Du wirst es gebrauchen können. Mit einem wissenden Augenzwinkern verschwanden die drei Großeltern wieder und ließen mich schniefend zurück.
Kurz darauf erschienen Haytham, Yannick, Edward und Alex wieder. Ich brauche nicht erklären, welche der Herren betrunken und welche nüchtern waren.
„Mi sol, ich bin so stolz auf dich.“ mein Mann kam leicht schwankend auf mich zu, fast wäre er noch über seine eigenen Füße gestolpert. Sein Kuss schmeckte nach Whiskey, was mich dieses mal aber nur grinsen ließ. Er hatte es sich verdient.
„Mom, dein Mann kann ja eine richtige Plaudertasche sein.“ Yannick stand ebenso schwankend neben besagtem Herren und hatte seinen Arm um dessen Schultern gelegt. Voller Erwartung, was mein Templer denn nun aus dem Nähkästchen erzählt hätte, sah ich die beiden an, aber erntete fragende Gesichter.
„Ein Gentleman genießt und schweigt.“ grinste Haytham breit.
„Aha, und wer von euch ist einer dieser Gentlemen, wenn ich fragen darf?“ meinte ich lachend.
„Ich bin das!“ kam es von Alexander und Edward Junior gleichzeitig. Die beiden Jungs sahen sich an und kicherten drauf los.
„Na dann, meine kleinen Gentlemen, wollt ihr mir nicht etwas Gesellschaft leisten? Erzählt mir etwas.“ bat ich die beiden lachend, weil Haytham und Yannick etwas perplex vor dem Bett standen und das ganze nicht wechseln konnten.
„Ihr beide solltet vielleicht ein wenig ausnüchtern. Im Gästehaus habt ihr sicherlich noch Platz.“ meine Stimme war immer noch glucksend, weil ich wusste, sie würden sich einfach in irgendeines der hier freien Betten im Haus werfen.
Nach einer halben Stunde Geschichten erzählen der Jungs, bat ich Sybill die jungen Herren dann ins Bett zu bringen. Es muss schon weit nach Mitternacht sein.
„Wir sollten über ein zweites Kindermädchen reden, Sybill. Ihr habt mit Edward alle Hände voll zu tun, befürchte ich.“ Sie nickte, als sie liebevoll auf Florence sah.
„Und ich weiß auch schon, wer für eure Tochter am besten geeignet wäre.“ sprach sie verschwörerisch und verschwand mit den Jungs in Edwards Zimmer. Alex nächtigte heute dort, weil wir sonst noch hätten wieder umräumen müssen.
Michael erschien plötzlich überraschend im Schlafzimmer und brachte die Wiege für meine Tochter.
„Oh danke, Michael, dass ist sehr nett, dass ihr daran gedacht habt.“ sprach ich leise und legte meine Tochter hinein.
Gerade als ich mich wieder ins Bett legen wollte, begann sie zu weinen und ich versuchte es mit einem leisen Lied. Fehlanzeige.
Auf meinem Arm wurde sie auch nicht wirklich ruhiger, also legte ich sie zu mir ins Bett und deckte uns leicht zu.
Diese Nacht war mehr als schlaflos muss ich gestehen. Alle Lieder hatte ich gefühlt durch, getrunken hatte Florence ebenfalls so viel, dass es für 20 Babys reichen müsste. Aber alles half nicht, sie war unruhig und wachte alle Stunde auf.
Als die Sonne langsam aufging, schlief meine Tochter auf meiner Brust endlich tief und fest. So konnte auch ich etwas Schlaf finden…
„Guten morgen, mi sol.“ hauchte mir die tiefe Stimme von Haytham ins Ohr.
„Das ist nicht dein Ernst, oder?“ fauchte ich ihn an, ich hatte vermutlich gerade mal eine Stunde meine Augen schließen können und war entsprechend gelaunt.
„Konntest du nicht schlafen? Hast du noch Schmerzen? Brauchst du etwas?“ diese Fürsorge war ja allerliebst, aber bitte nicht, wenn ich seit über 28 Stunden wach war!
„Nein, ich konnte nicht schlafen. Nein, ich habe keine Schmerzen, zumindest fühle ich gerade nichts, weil ich übermüdet bin. Und ja, ich brauche Kaffee!“ der letzte Satz kam energisch laut über meine Lippen.
Wie sollte es anders sein, wurde Florence davon natürlich wach und ich verfluchte mich selber für meine Meckerei.
„Gib sie mir, ich übernehme für dich und du… schlaf jetzt etwas.“ flüsternd stand Haytham auf und ließ mich grübelnd zurück.
Ich verstand die Welt nicht mehr und starrte auf die Tür, durch welche die beiden gerade verschwunden waren.
Doch bevor noch jemand auf die glorreiche Idee kam, mich mit Fragen zu löchern oder sonstewas, begann ich mein Meditations-Mantra zu sprechen und spürte, wie sich mein Geist und Körper langsam entspannten.
Ich wurde von lautem Schreien geweckt! Ich blinzelte die Müdigkeit weg und sah, wie die Sonne durch die Vorhänge schien. Neben unserem Bett stand ein lächelnder Yannick mit Florence auf dem Arm.
„Mom, meine kleine Schwester hat Hunger. Wir konnten ihr nicht helfen.“ damit reichte er mir meine Tochter und ich schob mich hoch zum Kopfende.
„Wie spät ist es denn?“ fragte ich, während ich den kleinen Schreihals anlegte.
„Es ist jetzt 11 Uhr. Haytham ist mit den Jungs zu den Pferden gegangen und bat mich, dich zu wecken.“ ich hörte in diesem Unterton, dass er genau wusste, dass mein Mann nicht noch einmal so angemault werden wollte wie vorhin. Das trieb mir ein breites Grinsen ins Gesicht. „Mom, ihr seid ein echt kurioses Paar, weißt du das? Im Grunde seid ihr völlig verschieden, aber wenn man euch zusammen sieht, dann ist es so, als wäre es schon immer so gewesen und es gäbe nichts anderes. Bei Papa hatte ich nie diesen Eindruck…“ fragend sah ich meinen Großen an.
„War das so? Aber ich verstehe, was du meinst. Diese Verbundenheit. Du hast sie auch mit Melissa. Als du sie mir damals vorgestellt hast, konnte ich sehen, dass ihr einfach zusammen gehört. Auch ihr beide seid grundverschieden, oder nicht?“ lächelte ich ihn an und er wurde etwas rot.
„Ja, wir sind nicht immer einer Meinung, aber wir finden immer einen Kompromiss und Weg. Danke Mom!“ Für einen Augenblick setzte mein Verstand aus und ich begann zu heulen.
„Ich habe das getan, was ich für richtig hielt. Ich habe dir das beigebracht, was dich im Leben hoffentlich nicht scheitern lässt. Du hast mir auch so vieles gezeigt und wir sind beide zusammengewachsen. Ich vermisse dich so sehr.“ ich lag tränenüberströmt an seiner Brust, während meine Tochter friedlich an meiner Brust trank.
„Ich dich auch, Mom. Ich dich auch.“ seine Hände fuhren über meinen Rücken. „Alex erzählt mir immer davon, wenn er dich wieder gesehen hat oder wenn er eine Art Vision hat von Haytham. Ich kann dein Leben verfolgen und ich bin immer bei dir Mom.“ seine Stimme zitterte ebenso dabei.
Florence brachte uns auf andere Gedanken. Sie war der Meinung, dass ein Seitenwechsel anstand und ich verlagerte das kleine Menschlein.
„Sie ist wirklich süß. Aber vergiss nicht, Mädchen sind kleine Zicken!“ grinste er breit. Da sprach der Vater aus ihm und ich schmunzelte.
„Ich hoffe, es wird nicht allzu schlimm werden.“
Abbigail erschien um mich noch einmal zu untersuchen und das gerade rechtzeitig. Florence war satt und Yannick nahm sie mit um sie zu wickeln. Somit hatte ich etwas Ruhe und meine Hebamme versicherte, es würde keine Entzündungen geben. Auch sie war froh, dass ich nicht noch genäht werden musste.
Kurz darauf ging sie wieder mit den Worten, sie würde am Abend noch einmal nach mir sehen. Somit hatte ich jetzt einen Moment völliger Stille und lag in unserem Bett, welches jetzt von der Mittagssonne beschienen wurde.
Vorsichtig stand ich auf, zog einen Vorhang auf und öffnete ein Fenster. Unten im Garten sah ich, wie Alex mit Edward herumtobte.
„Die beiden verstehen sich sehr gut, mi sol. Man könnte meinen, sie seien Brüder. Nicht Onkel und Neffe.“ hörte ich Haytham hinter mir. Vorsichtig schlossen sich seine Arme um mich bei diesen Worten.
„Es ist schon eine seltsame Konstellation, findest du nicht? Aber wie geht es Edward mit seiner kleinen Schwester. Meinst du, er versteht es schon und ist nicht eifersüchtig auf sie. Weil ich vermute, dass ich mit ihr mehr zu tun habe, als mit ihm. Florence ist… unruhiger. Ich kann es nicht mal richtig beschreiben.“ ich hatte mich zu ihm umgedreht und sah ihn fragend an.
„Edward wird sicherlich eifersüchtig reagieren. Das ist aber völlig normal, bis jetzt warst du immer greifbar für ihn. Aber ich denke, wir werden das gemeinsam schaffen, außerdem habe ich auch schon mit Sybill über ein Kindermädchen für unsere Tochter gesprochen. Übermorgen soll die Dame hier vorstellig werden. Eine Sophia Cappel, 30 Jahre alt und unverheiratet. Mrs. Wallace kennt sie noch aus New York und sprach lobend von ihr.“ ich wusste, dass wir uns auf dieses Urteil verlassen konnten.
„Im Grunde ist sie schon eingestellt, oder?“ kicherte ich leise. Haytham umschloss mich mit seinen Armen und ich genoss für einen Moment diese Ruhe mit ihm.
„Es ist nur noch pro Forma.“ auch mein Mann gluckste dabei.
„Ich habe Hunger, mi amor. Ist noch etwas vom Mittagessen übrig, oder habt ihr Männer alles verspeist?“ grinste ich ihn an.
„Wo denkst du hin? Auch wenn ich mir bei Edward nicht ganz sicher bin, weil Walka sehr satt nach dem Essen aussah.“ aha, da hatte er sie wieder gefüttert!
Es war mein Mann, welcher mir beim Ankleiden half. Seine Berührungen waren wie Balsam für meine Nerven.
Auf der Terrasse erwartete uns Yannick und neben ihm in einem Körbchen schlief im Schatten seine kleine Schwester.
„Mom, darf ich ein Foto für Melissa und Franziska machen? Die beiden würden sicher gerne sehen, wie meine kleine Schwester aussieht.“ da sprach der stolze große Bruder aus ihm.
„Ja, darfst du.“ warum auch nicht, niemand würde wissen, WER das war oder woher das Bild stammte. Nicht einmal ein GPS Stempel könnte man bei einer Rückverfolgung ausmachen! Warum ging mit mir gerade wieder dieses paranoide Ich durch? Hier gab es keine Verschwörungen oder ähnliches.
Die Sonne tat mir und meinem Gemüt gut, auch wenn ich im Schatten saß, weil die Hormonschwankungen einsetzten und ich immer wieder fiese Hitzewallungen hatte. Tabea brachte mir noch etwas vom Essen, dazu meinen kalten Tee.
So saßen wir wie eine normale Familie beisammen und genossen diese Gesellschaft.
„Oma, wann bist du zur Schule gekommen?“ kam es plötzlich von Alex.
„Das war…“ ich überlegte kurz, weil ich wirklich nachrechnen musste. „… das muss 1983 gewesen sein. Warum fragst du?“ fragte ich kauend.
„Das ist ja schon so lange her, hattet ihr damals überhaupt schon richtige Schulen?“ ich sah ihn mit großen Augen an.
„Wie kommst du denn darauf? Natürlich gab es die. Ich bin ganz normal, wie du auch unterrichtet worden. Gut, wir hatten keine Taschenrechner, oder Smartboards und ähnliches. Aber im Grunde, war es ähnlich. Meine Oma zum Beispiel ist nur mit einer Schiefertafel zum Unterricht gegangen und die Lehrer waren viel strenger damals. Da gab es schon mal welche auf die Finger mit dem Lineal oder so.“ entsetzt sah mich Alex an.
„Wie? Die Lehrer durften das? Das tut doch weh!“ also erklärte ich meinem Enkel, dass auch in meiner Zeit des öfteren Schlüsselbunde geflogen sind oder auch Kreide einem an den Kopf flog, wenn man unaufmerksam war!
Als dann auch noch mein Mann seine Erfahrungen mit seinen Hauslehrern zum Besten gab, war es um unseren Enkel geschehen und er wollte Edward einfach mitnehmen.
„Ich will nicht, dass mein Onkel gehauen wird. Das… finde ich doof!“ maulte er und nahm ihn in den Arm.
„Was ist ein Lehrer?“ kam es jetzt von meinem kleinen Sohn fragend.
Es war aber Haytham, der ihm das erklärte. Weil Edward nicht zuhause unterrichtet werden würde, sondern mit den anderen Kindern im Versammlungshaus von Mr und Mrs Hathaway.
„Mr. Hathaway ist sehr nett. Auch wenn sein Gott unsichtbar ist.“ ich musste mir ein Lachen verkneifen, weil ihm das noch in Erinnerung geblieben ist. Plötzlich fiel mir ein, dass ja auch Florence eine Weihe und Taufe erhalten sollte. Aber darüber konnten wir auch später reden. Erstmal genoss ich die Anwesenheit von Yannick und Alex.
Doch schon am nächsten Morgen verabschiedeten sie sich und wünschten uns alles Gute. Als sie mitsamt des Portals verschwunden waren stand ich für einen Moment wie erstarrt da, bis mich Florence an ihre Mahlzeit erinnerte…
Für mich brach ein neuer Alltag an. Nicht nur für mich, auch mein Gatte durfte sich auf schlaflose Nächte freuen, voll gespuckte Hemden und Schreiattacken seiner Tochter. Florence´ Kindermädchen stellte sich zwei Tage später vor und ich spürte, sie war die Richtige für diesen Job. Sophia war Mrs. Wallace sehr ähnlich! Sie war ruhig, liebevoll und zuvorkommend.
Zum Testen ließ ich sie mit meiner Tochter einen Moment durch den Garten wandern und siehe da, Florence blieb ruhig. Damit war es abgemacht und sie bekam Magdas Kammer.
Trotzdem hatte unsere Tochter ihre Wiege bei uns im Schlafzimmer. Es war dieses mal einfach eine Notwendigkeit, weil dieses kleine Mädchen einfach keine regelmäßigen Zeiten kannte. Mal lagen zwei Stunden zwischen den Mahlzeiten, dann nur wieder eine halbe Stunde oder aber sie schlief 7 Stunden am Stück. Unberechenbar! So würde ich es bezeichnen.
Ende August hatte Haytham zu einem Empfang zu Ehren seiner Tochter geladen und sie alle sagten zu. Die gesamte Nachbarschaft würde hier sein, ebenso mein Allvater. Außerdem hatte ich so einige schon eine Weile nicht mehr gesehen.
„Mein Kind, denk daran, dass deine Tochter auch noch die Weihe bekommt.“ sprach Elias mich auf meine eigenen Gedanken an. Er war ohne seine Frau angereist, weil sie die Renovierungen in Philadelphia überwachte.
„Ich weiß, wir sollten sie auch noch taufen lassen. Ich würde das gerne zum Julfest machen. Das würde sich anbieten.“ und meine Gedanken wanderten wie von selber zu einem kleinen Dorf, welches mit Grünzeug geschmückt war, auf einem großen Platz wurden Faustkämpfe ausgetragen. Es gab Bogenschießen und natürlich durfte die große Festtafel im Langhaus nicht fehlen.
„Du bist auf dem richtigen Weg.“ hörte ich meinen Allvater wohlwollend neben mir und spürte seine Hand auf meinem Arm.
Also war es abgemacht, Florence würde um Weihnachten getauft werden und gleichzeitig ihre Weihe erhalten. Immer noch tappte ich im Dunkeln, wer denn ihre Patin oder ihr Pate werden sollte.
Leider wurde uns an diesem Tag auch mitgeteilt, dass die Hemslows ihre Plantage verkaufen müssten, weil sie sich wieder in England niederlassen wollten. Es hatte nichts mit dem Gewinn oder ähnlichem zu tun, aber Mrs. Hemslow war schwer erkrankt und brauchte einen Klimawechsel, laut Aussage des Arztes.
Haytham ging nach dieser Ankündigung mit Mr. Hemslow in sein Arbeitszimmer. Aber was die beiden zu besprechen hatten, entzog sich vorerst meiner Kenntnis.
Ich hingegen hatte einen wirklich ruhigen Abend und genoss diese Abwechslung zu meinem doch recht anstrengenden Alltag.
Irgendwann fiel mir aber ein Herr auf, welcher etwas abseits alleine stand und den ich noch nicht kannte. Auch hatte er sich uns nicht vorgestellt. Ich ging langsam auf ihn zu und seine Erscheinung war etwas, ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll, unwirklich. Er war präsent, aber er schien dennoch unsichtbar. Im Grunde ein perfekter Assassine, schoss es mir in den Kopf!
Vor ihm stehend, reichte ich meine Hand. Kühle Finger schlossen sich darum und der Handkuss war ebenso kühl gehaucht. Mich überkam eine leichte Gänsehaut dabei.
Sein Name war Rory Gillehand, ein Cousin der Familie Bassiter, welcher aus England gerade zu Besuch sei.
„Mr. Gillehand, wie lange werdet ihr in den Kolonien bleiben? Oder habt ihr sogar vor, euch ganz hier niederzulassen?“ fragte ich neugierig.
„Mistress Kenway, noch bin ich zwiegespalten. Mein altes Leben komplett aufzugeben fällt mir schwer, aber hier gefällt es mir weitaus besser. Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt zu sein.“ - Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – nicht mehr lange!
Wir unterhielten uns eine Weile über seinen Beruf, er war Advokat und war in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Noch hatte er nicht die passende Frau an seiner Seite gefunden, was ihn aber nicht stören würde. So hätte er die Möglichkeit, sich noch ein wenig frei zu bewegen. Sein Augenzwinkern war eindeutig, er hatte im Grunde nicht vor, sich fest zubinden.
Im späteren Verlauf des Abends hatte ich nach und nach jeden neuen Tratsch und Klatsch empfangen. Aber seit Mrs. Donovan nicht mehr in der Gegend weilte, war es recht ruhig geworden. Was so manche Gattin eher langweilig fand, weil man nichts zu erzählen hatte.
Florence hatte zweimal nach einer Mahlzeit verlangt, war aber heute tatsächlich friedlich. Edward hingegen war immer mal wieder wach, hatte sich jedoch meistens mit seiner Hündin beschäftigt. Wenn ich einmal oben war, dann sah ich auch nach ihm.
„Mama, was machen die ganzen Menschen eigentlich hier?“ diese Frage war auch eher typisch für ihn, also erklärte ich ihm, dass es diese Verpflichtungen sind, die Haytham und ich einfach ab und an hatten.
Mir ging aber Mr. Gillehand nicht aus dem Kopf und als ich einen Moment für mich war, ließ ich meinen Blick über ihn gleiten! Goldleuchtend! Außerdem fühlte ich eine Schwingung von ihm ausgehen, welche meinen Göttern vorbehalten war. Leider konnte ich ihn aber nicht wirklich zuordnen.
Als hätte ich einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen, fiel es mir ein. Er war Advokat, er war Richter…
Denk nach, Kind! Odin war sichtlich erzürnt, weil ich nicht erkannte, wer vor mir stand. Du musst an deiner Wahrnehmung arbeiten! Fauchte er und verschwand wieder.
In meinem Kopf lief eine Liste mit mir bekannten Göttern ab und blieb bei dem Namen Forseti hängen! Gott des Rechts und Gesetzes!
So jemanden könnten wir tatsächlich sehr gut gebrauchen. Doch wie fängt man ein unverfängliches Gespräch am besten an? Außerdem war ich mir nicht sicher, ob er schon selber im Bilde über seinen Gott war.
Forseti zu Gericht sitzend!
„Mr. Gillehand, solltet ihr euch hier in den Kolonien niederlassen, wolltet ihr da eher als Advokat beginnen, oder eine Richterposition anstreben?“ theoretisch wäre es möglich, ihn in Richmond in den Posten eines Richters zu bringen. Durch den Gouverneur dort, hätten wir einen Fuß in der Tür und zusätzlich einen Mann, welcher uns in Rechtsfragen immer unterstützen konnte.
„Darüber habe ich tatsächlich schon nachgedacht. Ich bin ein bescheidener Mensch und denke ich sollte in einer kleinen Kanzlei beginnen und mir so einen Namen machen.“ das gefiel mir, er war nicht größenwahnsinnig, sondern zurückhaltend.
„Wenn ihr es wünscht, können wir uns für euch hier ein wenig umhören. Vielleicht gibt es ja entsprechende Räumlichkeiten zum Anmieten oder ein Advokat in Richmond sucht noch einen Sozius.“ ich würde mich sogar persönlich dafür einsetzen.
„Das wäre zu viel verlangt, Mistress Kenway. Ich weiß doch, ihr habt mit euren Kindern, der Verwaltung der Plantage und den Geschäften sehr viele Verpflichtungen.“ kam es entschuldigend von Mr. Gillehand.
„Nein, ich denke nicht. Zumal wir beim Gouverneur sicherlich ein gutes Wort für euch einlegen könnten.“ ich war schon am Planen und Überlegen, wie man ihn überzeugen könnte.
Im Laufe dieses Gespräches kamen wir dann auf seine Liebe zu Pferden zu sprechen. Er hatte immer den Wunsch gehabt, irgendwann eine Pferdezucht zu besitzen. Was für ein Zufall, die Hemslows wollten doch verkaufen! Das wäre perfekt, auch wenn er unter der Woche meistens in Richmond verweilen würde, aber der Verwalter dieser Plantage könnte ihn entsprechend unterstützen. Außerdem wollte ich nicht, dass sich irgendwann Charles in meiner Nähe niederlässt. Weswegen ich die benachbarten Plantagen gerne in anderer Leute Händen sehen wollte. Ich war schon froh, dass Lucius die Terpentin-Plantage gekauft hatte.
„Mr. Gillehand, wenn ihr es damit wirklich ernst meint, dann solltet ihr euch mit Master Hemslow einmal unterhalten. Leider werden sie von hier wegziehen müssen, da Mistress Hemslow schwer erkrankt ist. Die Plantage an sich ist nicht weit von hier. Zwei Tagesritte wenn ich mich nicht verschätze.“ lächelte ich ihn an und hoffte, dass er diesen Vorschlag genauso gut findet wie ich. Auch wenn ich mal wieder einen Plan verfolgte, welchen ich nicht mit Haytham abgesprochen habe.
„Ihr erstaunt mich, Mistress Kenway. Euer Weitblick ist bemerkenswert und ich muss sagen, diese Idee gefällt mir wirklich. Ich werde wohl jetzt einmal mit Master Hemslow das Gespräch suchen.“ mit einer Verbeugung ging er in dessen Richtung und ich sah, wie mich mein Mann fragend beäugte.
Ich ging zu den Damen, welche sich um Mistress Hemslow gerade geschart hatten und sich bereits verabschiedeten. Ein weiterer Empfang wäre für sie nicht mehr möglich, sie konnte sich kaum auf den Beinen halten und ihre Zofe reichte immer wieder ein kleines Fläschchen mit einer seltsamen Flüssigkeit. Irgendetwas mit der Lunge, meinte die Kranke hustend und ich ging ein Stück zurück. Sie hatte hoffentlich nicht Tuberkulose, doch das würde sich anders äußern, meinte ich mich zu erinnern.
„Ich würde mich dann gerne jetzt zurückziehen, die Damen.“ kam es leise von ihr und ihre Zofe half beim Aufstehen. Als Mistress Hemslow sicher im Gästehaus untergebracht war und ich Master Hemslow berichtete, dass seine Gattin sich schon zurück gezogen hatte, sah mich Haytham mit einem grimmigen Blick an.
„Danke, Mistress Kenway. Wir werden morgen dann zeitig aufbrechen und ich werde schon mal eine entsprechende Passage buchen. Spätestens in zwei Wochen sollten wir aufbrechen, ich befürchte, länger wird sie hier nicht bleiben können.“ in seinen Augen lag große Trauer und er tat mir unendlich leid, weil er seiner Frau nicht helfen konnte.
Nach und nach verabschiedete man sich, bedankte sich für die Gastfreundschaft und wünschte natürlich dem Nachwuchs noch alles erdenklich Gute. Die Hemslows und Bassiters mit ihrem Cousin blieben über Nacht und zogen sich nun auch zurück.
Im Schlafzimmer erwartete uns Sophia, welche sich mit Stickarbeiten an die Wiege von Florence gesetzt hatte.
„Mistress Kenway, Master Kenway. Florence schläft friedlich und scheint noch keinen Hunger wieder zu haben.“ sie lächelte unsere Tochter an und knickste dann, als wir sie für die Nacht entließen.
Magda und Michael halfen beim Entkleiden und ich erkundigte mich, ob die Übelkeit langsam abklang. „Ja, es geht besser. Dieser Ingwer ist ein Wundermittel.“ lächelte meine Zofe mich über meine Schulter an, während sie meine Haare einflocht.
Im Bett wartete ein etwas mürrischer Gatte auf mich.
„Mi sol, warum hast du ohne mich einzuweihen, Mr. Gillehand diese Idee in den Kopf gepflanzt?“ seine Stimme klang recht vorwurfsvoll.
„Ich bin einer Intuition gefolgt. Du wirst doch sicherlich bemerkt haben, dass er für uns eine wichtige Rolle spielen kann und nicht ohne Grund hier erschienen ist, oder?“ ich ging einfach davon aus, dass Haytham Forseti bemerkt haben wird und dass dieser Mann allem Anschein nach ein Assassine war. Welcher Bruderschaft er angehörte, war aber fraglich. Ich hatte nicht nachgehakt.
„Ich habe es gesehen, Alex. Ich hatte dich aber schon des öfteren darum gebeten, solch wichtige Dinge vorher mit mir zu besprechen oder mich wenigstens vorzuwarnen. Außerdem hatte ich kurz vorher mit Master Hemslow über einen möglichen Kauf ihrer Plantage gesprochen, weil ich für Edward und Florence ein entsprechendes Erbe aufbauen möchte!“ er seufzte tief und sah mich immer noch grimmig an.
„Das… wusste ich ja nicht, aber wir haben doch schon die Donovan-Plantage. Reicht das nicht fürs Erste. Zumal wir in Richmond dringend noch ein Büro für Bruderschaft und Orden einrichten müssen. Also brauchen wir auch dort noch Immobilien.“ im Grunde hatten wir noch einiges zu erledigen in den nächsten Monaten!
„Auch darüber habe ich schon nachgedacht. Aber… ich bin jetzt mit den beiden Herren so verblieben, dass Mr. Gillehand seine Finanzen offen legt und so ein Angebot abgibt für Master Hemslow. Er verlangt kein Vermögen, er wünscht sich lediglich sein Eigentum in gute Hände abgeben zu können. Die Bassiters haben oder besser werden für ihren Cousin bürgen. Ich gehe davon aus, dem Kauf steht nichts mehr im Wege. Wir haben auch über diese Immobilie in Richmond gesprochen und sind überein gekommen, dass wir ein größeres Haus kaufen werden, in welchem auch Mr. Gillehand seine Kanzlei bekommt. Er wird sich als Advokat selbstständig machen. Versteh mich nicht falsch, dein Vorschlag, dass er sich einer bereits bestehenden Kanzlei anschließt ist kein schlechter Ansatz, aber Mr. Gillehand sollte sich nicht abhängig machen. Somit hätten wir auch den ersten Assassinen, welcher sich dort niederlässt! Ich würde sagen, damit hätten wir einen guten Anfang, oder bist du anderer Meinung?“ über sein Gesicht huschte ein breites Grinsen, er war mir gar nicht wirklich böse, er wollte mich nur ärgern.
Ich stützte mich auf meinen Ellbogen und sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
„Du genießt es wirklich, mich immer zu verunsichern, mi amor. Kann das sein? Und um deine Frage zu beantworten, nein ich bin ganz deiner Meinung.“ während ich sprach, war ich zu ihm herübergerutscht und gab ihm einen vorsichtigen Kuss und seine Lippen schmeckten nach mehr.
Noch hatten wir seit Florence auf der Welt war, keine Zweisamkeit mehr gehabt, zumal auch das Wochenbett abzuwarten war. Mittlerweile ging es mir aber besser und ich hatte Sehnsucht nach meinem Mann muss ich gestehen.
Ich ließ meine Hände über seine Brust wandern, hinab zu seinem Bauch und spürte, er hatte die gleichen Gelüste wie ich. Er löschte die Kerzen, zog mich aus dem Bett und hinüber ins Ankleidezimmer. Leise schloss er die Tür und sah auf mich herab.
„Ich habe dich vermisst, mi sol. Lass mich dich fühlen!“ seine Stimme vibrierte regelrecht an meiner Halsbeuge und seine Finger fanden ihren Weg zu meinem Piercing, welches ich jetzt wieder trug. Unter der Geburt hatte ich es von Abbigail entfernen lassen, nur zur Sicherheit.
Mein Unterleib kribbelte wohlig bei seinen Berührungen und ich schlang meine Arme um seinen Nacken.
„Dreh dich um.“ seine Hand schob mich auf das kleine Sofa herunter. Somit hatte er freie Sicht und Hand und schob mein Nachthemd über meinen Po. „Ich glaube, es gibt einiges, was du wieder vergessen hast, mi sol. Nicht wahr.“ dieser Ton machte mich völlig wehrlos und ich brachte nur ein „Mehr als euch lieb ist befürchte ich, Master Kenway.“ heraus.
Dann solltest du jetzt besser genau zuhören, Mistress Kenway. Ohne große Vorwarnung nahm er mich und es fühlte sich so wahnsinnig intensiv an. Diese Durststrecken überstand ich nur, weil ich wusste, dass mich so ein Wohlgefühl erwarten würde. Seine Hand griff in meine Haare und zog mich zu sich an die Brust. In Zukunft keine Alleingänge mehr bei solchen Entscheidungen, Mistress Kenway. Habe ich mich verständlich ausgedrückt? Und seine Finger kniffen in meine Brust, was mir einen zischenden Laut über die Lippen brachte.
Ja, das habt ihr, Master Kenway. Bitte, lass mich kommen… ich stammelte diese Worte, weil ich dringend diese Erlösung brauchte und in sekundenschnelle lag ich unter ihm und Haytham brachte uns zu einem heiß ersehnten Höhepunkt. Dankend sah ich zu ihm auf und ein „Ich helfe dir doch gerne dabei, mi sol.“ ließ mich grinsen.
Leise gingen wir wieder hinüber und ich sah noch einmal nach Florence. Sie schlief mit ihrem Daumen im Mund und regte sich nicht. Hoffentlich hatte ich noch ein paar Stunden, bevor sie Hunger bekam.
Im Bett kuschelte ich mich mehr als befriedigt an meinen Templer und war alsbald auch eingeschlafen.
Mir war leider eine recht kurze Nacht beschieden. Florence begann kurz nachdem ich eingeschlafen war zu weinen und das setzte sich ab da im Stundentakt fort. Als die Sonne langsam aufging hing ich halb sitzend, halb liegend am Kopfende und hielt sie fest. Richtig trinken wollte sie nicht, schlafen auch nicht, eine neue Windel hatte auch keine Besserung gebracht.
„Mama, darf ich reinkommen?“ hörte ich die leise Stimme von Edward, welcher vor unserer Tür stand.
„Ja…“ kaum ausgesprochen, stürmte er auf das Bett zu und sprang auf seinen Vater.
„Papa… aufstehen!“ er hatte sich über ihn geworfen und kitzelte Haytham, er versuchte es zumindest.
Blinzelnd begann dieser seinen Rachefeldzug und ich hörte irgendwann ein atemloses „Aufhören… ich…“ und dann sah Edward zu seiner Schwester. Er entschuldigte sich, dass er so laut gewesen war und strich über ihre Wange.
„Papa, wir müssen leise sein.“ flüsterte er und mein Mann grinste ihn nur kopfschüttelnd an.
„Dafür ist es zu spät… und wie heißt das, Edward?“ es war kein Tadel direkt, aber er versuchte seinen Sohn immer wieder so an das Englisch zu gewöhnen.
„Tut mir leid, Vater.“ seufzte mein kleiner Schatz und gähnte dann herzhaft. Da er aber die Tür offen gelassen hatte, war auch Walka mit ins Zimmer gekommen. Sie saß wie immer brav VOR unserem Bett und Edward hing auf dem Bauch halb aus diesem und streichelte sie. „Du hast Hunger, oder? Ich auch.“ kam es ein wenig vorwurfsvoll von ihm.
„Dann geh schon mal zu Mrs. Wallace, damit sie dich anzieht und dann gehen wir hinunter, mein Sohn.“ gähnte Haytham und stand dann auf.
Ich aber saß da und hielt Florence fest, die keine Anstalten machte wach zu werden. Es war wirklich eigenartig, mal schrak sie hoch, weil ein Windzug über sie hinweg glitt, dann aber konnte vermutlich eine Horde Elefanten an ihr vorbei rennen und sie schlief weiter. Ich gab ihr einen vorsichtigen Kuss auf die Stirn, stand ebenfalls auf und legte sie in die Wiege.
„Hoffentlich schläfst du jetzt noch ein bisschen, min lille engel!“ sprach ich leise und als ich mich umdrehte, stand Haytham grinsend am Bettpfosten. „Was ist so lustig?“ fragte ich skeptisch nach.
„Mi sol, du siehst aus, als hättest du einen Orkan auf hoher See überstanden. Schau in den Spiegel.“ kicherte er und als ich in die Richtung sah, blickte mir eine wahre Furie aus dunkel umringten Augen entgegen.
„Ach du heilige Sch…“ ich schluckte den Rest hinunter und ließ mich auf die Bettkante fallen. „Ich sehe ja fürchterlich aus.“
„Wenn ich jetzt sage, du sahst schon schlimmer aus, macht es das Ganze wohl nicht besser?“ während er das sagte, duckte er sich unter einem meiner Hausschuhe weg, die seltsamerweise heute tief flogen!
Aber Magda schaffte es in kürzester Zeit mich wieder wie eine Frau aussehen zu lassen!
Auf der Terrasse erwartete man uns schon und Edward ermahnte uns, dass wir mal auf die Uhr schauen sollten. Es wäre unhöflich, so spät zu erscheinen. Für einen kurzen Moment stand ich einfach sprachlos da und sah ihn an. Man würde nicht glauben, dass dort ein Junge sitzt, der anderen gerne Streiche spielte, aber umgekehrt dann so ein vorbildliches Verhalten an den Tag legen konnte.
„Danke für die Erinnerung, mein Sohn.“ kam es ebenso kopfschüttelnd von Haytham.
Leider war mir kein ruhiges Frühstück gegönnt, ich saß noch nicht ganz und hatte mir Toast und Eier genommen, da kam Sophia mit einer brüllenden Florence heraus.
„Mistress Kenway, Miss Florence hat anscheinend wieder Hunger.“ ein Knicks von ihr und ich ging mit ihr in den Salon, dort legte ich meine Tochter an und siehe da. Eine Seite, dann war wieder Ruhe. Es war ein wenig frustrierend und ich überlegte, ob ich sie wirklich unter diesen Bedingungen weiter stillen sollte.
Das Kindermädchen saß neben mir und sagte, es hätte Edward ja anscheinend sehr gut getan. Ich sollte es vielleicht noch zwei oder drei Wochen weiter versuchen und erst dann über das Abstillen nachdenken.
„Bis dahin, bin ich ans Haus gekettet.“ meinte ich leicht wütend, weil ich so wirklich nirgendwohin konnte. Auf der anderen Seite, die Kinder werden so schnell groß… und ich verfiel in diese trüben Gedanken. Nein, nicht jetzt und ich schüttelte diese dunklen Wolken ab.
Nach dem Frühstück machten sich unsere Gäste Abreise bereit.
Mistress Hemslow sah heute etwas erholter aus und hustete auch weniger.
„Es mag auch an dem Zigarrenrauch gelegen haben gestern.“ erklärte sie leichthin und stieg dann in die Kutsche.
Wir verblieben mit Mr. Gillehand so, dass wir ihn oder besser Haytham, in einer Woche in Richmond treffen werde. Dort sollten ein paar Immobilien besichtigt und wenn möglich auch gleich die entsprechenden Verträge ausgehandelt werden.
Mein Mann hatte schon einen Brief nach London angedacht, wo er Mr. Mormon diese Neuigkeiten kundtun wollte.
Ich selber hatte Jenny über die Geburt ihrer Nichte informiert und hoffte, dass sie uns bald einmal besuchen kommen würde. Leider war es letztes Jahr nicht mehr möglich gewesen, weil sie in den Sommermonaten unabkömmlich gewesen wäre. Es hätten einige wichtige Gesellschaften stattgefunden, an denen sie dringend teilnehmen musste. Das klang sehr verdächtig, aber ich konnte ja schlecht anrufen und nachfragen, auch wenn es mir unter den Nägeln brannte, weswegen sie so dringend dort gebraucht wurde.
Für einen Moment atmete ich tief durch, ging dann hinein und besprach mit Tabea das Mittagessen und mit den Mädchen die Aufräumarbeiten. Haytham zog sich in sein Arbeitszimmer zurück um sich unsere Finanzen noch einmal anzusehen. Er wollte nur auf Nummer sicher gehen, versicherte er mir, wegen des Kaufes von unserem Büro in Richmond.
Edward tigerte mit Walka draußen auf der Koppel herum und war beschäftigt. Florence schlief wieder und ich genoss diese plötzliche Stille.
Die Sonne wärmte meine Haut, auch wenn es recht heiß wieder geworden war. Dieses Jahr vertrug ich das ganze aber etwas besser, wie es schien.
Ich überlegte, was ich die Zeit machen sollte, wenn Haytham in Richmond ist. Das wären mindestens zwei oder drei Wochen, welche er unterwegs wäre. Für einen kurzen Moment war ich versucht, die Zeit zu nutzen, um mal wieder in einer Küche zu arbeiten. Ich vermisste diese Dinge einfach ab und an. Ich hatte sogar schon einmal in meinem Arbeitszimmer selber Staub gewischt und prompt kam mein Mann dazu damals. Er konnte nicht fassen, dass ich das tat. Meine Erklärung reichte ihm nicht, für ihn waren das Arbeiten, welche ich nicht zu tun hätte. Punkt.
Dann wäre jetzt mal die Zeit für ein ordentliches Ungehorsam und ich kramte aus meiner Stahltruhe ein Kochbuch aus meiner Zeit hervor.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und blätterte es durch. Ich dachte an die Rezepte, die ich daraus damals für Yannick, Melissa und mich gekocht hatte. Bei einem Gericht musste ich definitiv grinsen, es war dem irischen Ragout von Mrs. Finnegan sehr ähnlich. Für einen Moment sah ich die kleine Dame vor mir und sehnte mich ein wenig in die Zeit zurück, wo hier noch alles auf Anfang stand. Im Grunde war ich ins kalte Wasser geworfen worden und musste mich beweisen. Doch schon sah ich mich in der parallelen Welt neben dem Chevalier und die Nostalgie war dahin. Nein, so schön war es dann doch nicht. Nur der Moment, wo ich Haytham anstarrte, als er im Fort Arsenal vor der Tür stand, heiterte mich wieder auf.
„Mi sol, über was denkst du nach? Du hast ein breites Grinsen von einem Ohr zum anderen im Gesicht.“ hörte ich meinen Mann, welcher amüsiert im Türrahmen lehnte.
„Ich habe dich gerade gesehen im Fort Arsenal, wie du nicht von mir zu Shay gelassen wurdest, weil ich ein wenig perplex war.“ lachte ich und wurde knallrot dabei.
„Das war tatsächlich sehr kurios. Aber du hattest hoffentlich keine schmutzigen Gedanken in diesem Moment? Soweit waren wir noch nicht.“ langsam kam er auf mich zu und stellte sich hinter mich. Seine Arme umschlangen mich und er lehnte sein Kinn auf meinen Kopf.
„Nein, ich versuchte nur eins und eins zusammen zu zählen und mein Wissen zu ordnen. Aber… ich muss zugeben… du hattest schon eine gewisse Wirkung…“ meine Stimme war leise und ich wurde etwas verlegen.
„Hatte ich das, ja?“ er kicherte leise und gab mir einen Kuss auf meinen Scheitel. „Wer hätte gedacht, dass wir wirklich irgendwann hier zusammen leben würden.“ seine Hände strichen über meine Arme und griffen meine Finger.
„Ich denke oft an diesen Moment, als ich mit dir am Kai stand und die Jackdaw einlief. Für einen Moment hatte ich Angst, du würdest mich loswerden wollen.“ meine Stimme zitterte ein wenig dabei.
„Dabei habe ich es nur gut gemeint, mi sol. Manchmal seid ihr Frauen wirklich unergründlich und macht es uns nicht leicht!“ kam es theatralisch aus seinem Mund und ich musste lachen.
„Natürlich, WIR sind schwer zu verstehen. Und was ist mit euch Männern?“ ich drehte mich ein wenig zu ihm um und sah, dass er eine Augenbraue hochgezogen hatte.
„Also ich bin recht einfach gestrickt, mi sol. Tu einfach das, was ich sage und ich bin zufrieden.“ die letzten Worte kamen mit rauer Stimme und seine Augen wurden dunkel.
„Und WAS soll ich nun tun, Master Kenway?“ hauchte ich nur und in mir fühlte ich diese Lust auf meinen Mann aufsteigen.
Langsam ging er zur Tür, schloss sie und drehte den Schlüssel Zeitgleich.
„Halte einfach still…“ schnellen Schrittes war er bei mir, ließ sich vor mir auf die Knie nieder und schob meine Röcke beiseite. Ich ließ meinen Kopf stöhnend in den Nacken fallen und griff in seine Haare. Bei Odin, sowas ließ ich mir doch gerne sagen und vor allem gefallen.
Es dauerte leider nicht so lange, da erhob er sich breit grinsend, zog mich hoch und zum Sofa vor dem Kamin.
„Deine Zunge, mi sol…“ in diesen wenigen Worten lag mein geliebter Befehlston, welcher mich gehorchen ließ, wie mir geheißen. Auch seine Hände vergruben sich in meinen Haaren. Jedoch wollte er sein Recht als Ehemann noch einfordern und begrub mich schneller unter sich, als ich schauen konnte.
„Du hast es verstanden!“ kam es mit einem lauten Aufstöhnen von ihm, als er kam und mich mit hinüber nahm. „Jetzt weiß du, womit du mich mit Sicherheit immer friedlich stimmen kannst, Mistress Kenway.“ ich schmeckte mich selber auf seinen Lippen und ich hätte gerne noch länger so verweilen können, doch da meldete sich unsere Tochter.
„Das lässt sich sicherlich einrichten, Master Kenway. Ihr braucht nur Zeit und Ort sagen und ich stehe euch zur Verfügung. Wenn… ich denn die Gelegenheit habe…“ lachte ich und schlängelte mich unter ihm weg.
Eine Woche später brach Haytham nach Richmond auf. Im Gepäck hatte er die Verträge und das Geld. Er verzichtete auf eine Kutsche.
„Die frische Luft ist einfach angenehmer und seien wir ehrlich, es geht, nur mit Pferd, einfach schneller.“ dabei tätschelte er den Hals seiner Stute und grinste breit.
Schweren Herzens winkten wir ihm noch nach. Besonders Edward war ganz und gar nicht mit der Reise seines Vaters einverstanden.
„Papa will mich nicht mehr. Ich war aber nicht böse.“ weinte er und klammerte sich an mein Bein.
„Nein, das warst du auch nicht. Aber dein Vater hat wichtige Geschäfte zu erledigen und da würden wir nur stören, min lille skat. Schau, er ist auch nicht lange weg.“ ich strich ihm die Tränen von der Wange und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
„Wie oft muss ich schlafen, Mama, bis Papa wieder hier ist?“ wieder erstaunte es mich, dass er eine gewisse Zeitrechnung vor Augen hatte. Also… 3 Wochen, 7 Tage… mindestens 21 Mal. Seufzend stand er jetzt vor mir.
„Weißt du was, min lille skat. Ich bastel mit dir heute einen kleinen Kalender. Dort kannst du die Tage dann abstreichen und weißt, wann Papa wieder kommt. Auch könnten wir deinen Geburtstag oder den von Sybill dort eintragen. Was meinst du?“ Eigentlich war es mehr eine Beschäftigung für ihn, damit er abgelenkt wurde. Aber auch für mich war es ein netter Zeitvertreib. Somit konnte ich ihm auch in diesem Jahr die Zeit bis Weihnachten zeigen und er würde zum ersten Mal einen Adventskalender bekommen.
Wir verbrachten einige Tage mit unserem Projekt und ich fand es faszinierend, wie aufmerksam Edward bei der Sache war. Er war fast drei, konnte aber schon recht gut Zahlen deuten und Zeiträume definieren.
Als der Kalender fertig war, ich hatte einen gefertigt, welcher auch gleich für das kommende Jahr stand, hängten wir ihn in den Wintergarten. Dort konnte mein Sohn vor dem Frühstück dann die Tage abstreichen und hatte einen Überblick über die Monate. So war es auch einfacher zu erklären, wann wieder Erntezeit war und wann Haytham dann wieder weniger daheim war.
Ich hatte schon einmal grob überschlagen, wann Florences Taufe sein sollte. Am besten wäre es, kurz vor Weihnachten.
Die Weihe würde in der Woche zwischen Weihnachten und Neujahr stattfinden, das war mittendrin im Julfest und ich hoffte, wir hätten etwas Schnee. Das würde mit den Feuerschalen und den Kerzen besonders schön aussehen.
Apropos meine Tochter! Dieses kleine Menschlein machte es mir nicht leicht und oft dachte ich an die Worte von Yannick. „Mädchen sind kleine Zicken!“
Dieses Mädchen war bereits eine große Zicke geworden. Ich hatte noch eine Weile gewartet, bis ich mich dazu entschloss, sie nicht mehr zu stillen. Florence war extrem unruhig und hielt keine Zeiten ein. Außerdem erbrach sie oft die Milch und ich musste mit Ziegenmilch nach füttern. Also stieg ich zwei Wochen später ganz auf diese Mahlzeiten um und siehe da, es klappte. Meine kleine Maus wurde ruhiger, schlief besser und wuchs ordentlich.
Ich wurde ebenso ruhiger, meine Nerven und mein Körper dankten es mir. Nicht nur die, ich vermutete alle in meinem Umfeld waren glücklich über diese positive Veränderung. Besonders Edward war zufriedener, weil er seine Mama etwas mehr für sich hatte und ich nicht immer gleich bei jeder Gelegenheit eingeschlafen bin.
Meine Expedition in die Küche unternahm ich tatsächlich und Tabea sah mich das erste Mal völlig erschrocken an, als ich ihr meinen Vorschlag unterbreitete.
„Aber… Mistress Kenway, ihr braucht das nicht tun… habe ich etwas falsch gemacht…“ in ihren Augen standen Tränen… sie dachte doch nicht, dass ich sie vor die Tür setzen wollte! Also beruhigte ich sie und erklärte mich. Erleichtert atmete sie aus und wir berieten über die verschiedenen Rezepte.
Es gab einen Apfelkuchen, welchen ich unbedingt einmal ausprobieren wollte. Den Boston Apple Pie und bei dem Namen hatte ich sofort die Taverne in New York im Kopf, wo ich mit Faith zusammen die Aussprache hatte. Edward wurde einfach mit dazu geholt und wir zeigten ihm, wie man den Teig zubereitet, die Äpfel schält und schnippelt und die Marinade machte. Die hatte es meinem Sohn dann angetan.
„Mama, das ist soooo lecker!“ und schleckte einen Löffel nach dem anderen ab.
Im großen und ganzen hatte ich recht entspannte Tage und genoss diese kleine Freiheit, tun und lassen zu können, was ich wollte.
In den Nächten aber vermisste ich zunehmend meinen Mann! In einem dieser einsamen Momente beschloss ich, in seinen Geist zu dringen und vielleicht… mal sehen was passierte.
Mi amor, ich vermisse dich. Sprach ich leise, als ich ihn vor mir sah und spürte, wie in ihm ebenso diese Sehnsucht emporstieg.
Ich dich auch! Was machst du gerade, mi sol? Ich konnte diese Lust förmlich fühlen und stöhnte leise bei diesem Gedanken.
Was taten wir hier eigentlich? Es war… ja, es war wie virtueller Sex!
Ich nahm mir mein gläsernes Spielzeug und begann mich zu verwöhnen. Gleichzeitig spürte ich, wie Haytham sich selber berührte und es war fast so, als wäre er bei mir. Mit einem tiefen Aufseufzen ließ ich nach einer Weile los und auch mein Templer trat über diese Schwelle.
Mi sol, ich wusste nicht, dass es so intensiv sein kann. Seine Worte klangen leicht atemlos in meinem Kopf, aber ich hatte vollstes Verständnis.
Das sollten wir wiederholen, mi amor. Du weißt ja, ich sehe dir gerne zu. Und mir schoss das Blut in die Wangen bei diesen Worten!
Das habe ich bemerkt. Keine Sorge, du wirst sicherlich noch einige Male in diesen Genuss kommen. Und jetzt… schlaf gut! Ich liebe dich! Für einen kurzen Moment sah ich seine grauen Augen vor mir und lächelte selig.
Ich liebe dich, mi amor. Vergiss mich nicht.
Diese Nacht war nur der Anfang von einigen sehr befriedigenden Nächten. Trotzdem freute ich mich auf die Realität.
Am 13. September erhielt ich die Nachricht, dass Mildred, unsere „Anführerin“ der Frauen, ihr drittes Kind auf die Welt gebracht hatte. Ich schnappte mir meine eigenen Beiden und machte mich Sybill, Sophia und einem kleinen Geschenk auf den Weg zur frischgebackenen Mama.
Vor ihrem Haus waren schon einige Menschen versammelt und stießen auf den stolzen Vater und dessen Nachwuchs an. Warum tranken Männer eigentlich immer gleich Fässerweise Alkohol, wenn sie Vater geworden waren? Aber es gibt ja mitunter seltsame Rituale, dachte ich im Stillen und gratulierte Steven zu seinem Sohn.
„Danke Mistress Kenway. Ich bin so froh, dass es wieder ein Junge ist.“ mit einem Blick auf Florence kam ein leises „Oh verzeiht, es ist nicht so gemeint gewesen.“
Im Haus war es wohlig warm und man könnte meinen, hier gäbe es 20 Kinder. Es war recht turbulent gerade und alles rannte hin und her.
Man brachte mich in die Schlafkammer der beiden Eltern und eine etwas erschöpfte Mildred lächelte mich freudig an.
„Mistress Kenway, schön euch zu sehen.“ sie klang, wie sie aussah. In ihren Armen lag ein kleines rosiges Knäuel und gähnte herzhaft.
„Das ist aber ein hübscher Junge, Mildred. Ich hoffe, es war nicht allzu beschwerlich und dass ihr bald wieder auf den Beinen seid. Wenn ich mich hier so umsehe, dann habt ihr aber genügend Helfer an der Hand.“ kicherte ich und sah, wie Edward sich den anderen Kindern anschloss. Sybill ging mit hinaus und Sophia nahm mir für einen Moment Florence ab.
„Darf ich ihn einmal halten.“ flüsterte ich und Mildred reichte mir das kleine Bündel. „Du bist aber ein liebes Kind. Wie heißt er denn?“
„Wir haben uns für Bartholomeus entschieden, wie sein Großvater. Unsere anderen beiden sind auch nach ihren Großeltern benannt. Die Taufe findet, wenn es Mr. Hathaway einrichten kann, noch vor Weihnachten statt.“ in diesem Moment kam mir der Gedanke an eine Doppeltaufe! Mein Vorschlag, dass wir Florence und ihren Sohn doch zusammen in die Gemeinde aufnehmen könnten, freute die frischgebackene Mutter und wir begannen, das Essen zu besprechen und was wir noch alles vorbereiten mussten.
Leider erhielt ich einige Tage später die Nachricht, dass Haytham noch länger in Richmond bleiben müsse, mindestens noch bis Ende September. Wie es aussah, war mal wieder ein abtrünniger Teil einer Bruderschaft auf die geplanten Käufe aufmerksam geworden und hatte sie versucht zu vereiteln, indem sie kurzerhand die Verkäufer unter die Erde brachte. Somit musste man sich mit den Erben herumstreiten und mein Templer musste sich einigen kleineren Scharmützeln stellen. Er war jedoch nicht alleine, Master Pitcairn und Johnson standen ihm zur Seite, weil auch sie gerade dort waren wegen Handels- und Militärangelegenheiten.
„Wollen wir Papa besuchen gehen, Mama?“ kam es eines morgens traurig von Edward.
„Dafür ist es zu weit, min lille skat. Bis wir da sind, ist dein Vater schon wieder daheim. Komm, lass uns ein wenig mit Walka spielen gehen, ja?“ seufzend nahm mein Sohn meine Hand und ging mit uns hinaus. Auch Mrs. Wallace konnte ihren Schützling kaum aufmuntern.
Eigentlich verwunderte mich das ein wenig, weil Haytham ja doch recht streng mit ihm war und ich war davon ausgegangen, dass Edward ein wenig Ruhe gut tun würde. Doch ich sah, dass er seinen Vater immer mehr vermisste. Wie sollte das nur werden, wenn wir beide einmal für längere Zeit nicht daheim waren?
„Darüber macht euch keine Gedanken, bis dahin wird sich Master Edward schon entsprechend entwickelt haben und sich auch an so eine Situation gewöhnt haben.“ meinte Sybill zuversichtlich. Ich hoffte, sie behielt Recht.
In der darauffolgende Woche erhielt ich ein Schreiben von Madeleine de L´Isle. Sie hatte große Probleme bei den Handelsrouten! Wie schon damals, war der Wein das auserkorene Ziel der kleinen Piraten. Man hatte wieder und wieder die Schiffe angegriffen, oder hatte ihre Lager in Brand gesteckt. Des öfteren kam dann noch hinzu, dass auch der Wein an sich, ausgetauscht worden war oder er, wie damals auch schon, verwässert wurde.
Also setzte ich mich hin und begann eine Art Routenplanung für sie. Außerdem machte ich eine Liste an mir zur Verfügung stehenden Fregatten und Männern, die in New Orleans die Lager bewachen konnten.
Das Ganze dauerte geschlagene drei Tage, da stand mein Plan und ich verfasste ihn noch einmal sauber und schriftlich für Madeleine. Ich legte alle Pläne in Abschrift mit bei und schickte diese Post gleich mit drei Herren, welche sich um weitere Wachen dort in New Orleans kümmern sollten.
Was ich mir aber nicht habe nehmen lassen war, dass ich meine Preise entsprechend anglich, weil ich einige Unkosten ihretwegen im späteren Verlauf hätte. Ich hoffte, sie würde es akzeptieren, wenn auch zähneknirschend.
Warum sie so im Auge dieser Piraten und Banditen war, konnte ich mir nicht wirklich erklären. Sicherlich, sie war Templerin. Das war dennoch kein Grund, sie so zu verfolgen. Oder hing es mit Avéline zusammen? Das konnte ich mir ebenso schwerlich vorstellen, auch wenn sie der Bruderschaft angehörte oder besser bald angehören würde.
Florence machte sich in den nächsten Wochen. Sie vertrug diese Milch sehr gut und hatte nun auch ihr eigenes Zimmer bezogen. Mir fiel es natürlich schwer, genauso wie bei Edward. Aber es war auf Dauer wirklich keine Lösung, zumal ich auch Schlaf benötigte.
Umgekehrt verbrachte ich viel Zeit mit meinen Kindern am Tage und beide bekamen Abends ihr Einschlafritual.
„Mama, warum singst du ein anderes Lied für Flo?“ kam es irgendwann einmal mampfend beim Abendessen von Edward. Also hatte er seiner kleinen Schwester auch schon einen Spitznamen verpasst, genauso wie er immer nur Eddy hieß bei den anderen Kindern. Gleiches Recht für alle.
„Das mache ich, damit jeder weiß, dass er etwas besonderes ist, min lille skat.“ und ich sah, wie er bei diesen Worten strahlte.
„Kann ich auch in die Schule wie Gilbert oder Jessy?“ diese Frage war neu und ich sah ihn erstaunt an.
„Ähm, du bist noch zu klein dafür, Edward. In zwei Jahren kannst du dann auch dorthin. Bis dahin wird dir dein Vater noch etwas beibringen, oder ich.“ ich hatte gehofft, damit wäre das geklärt, doch nicht bei meinem Sohn.
„Ich kann schon die Zahlen und… und ich kann dänschisch!“ kam es mit stolzgeschwellter Brust.
„Dänisch, min lille skat. Und nein, du verstehst ein paar Wörter. Glaub mir Edward, noch ist es nicht soweit. Hab Geduld, ja?“ und schon schlug seine Wut wieder durch und er schubste mit Schwung sein Glas vom Tisch! „Edward! Was soll das?“
„Ich bin schon groß!“ fauchte er mich an und in seinen Augen sah ich, wie er mit seinen Gefühlen gerade kämpfte. Dann plötzlich sah ich ein stetes Leuchten um ihn und seine Wut klang ab. Er atmete schwer und starrte mich an. „Schuldige, Mama!“ mit zitternden Lippen saß er in seinem Hochstuhl und ich hob ihn auf meinen Schoß.
„Edward, auch deswegen brauchst du noch ein wenig Zeit, ehe du in die Schule kannst. Wir meinen es doch nicht böse mit dir, wir haben dich lieb.“ und ich drückte ihn an mich.
„Hab dich lieb, Mama!“ schniefte mein kleiner Schatz an meiner Brust und drückte mich. Er tat mir so leid, weil er diese Schübe noch nicht unter Kontrolle hatte und er die Hilfe seines Paten bitter nötig hatte in diesen Momenten.
Dann endlich, Ende September, hörte ich die lauten „Papaaaa! Papaaaaaaaaaa!“ Rufe von Edward, welcher gerade draußen bei seinem Pferd war.
Ich nahm mir meine Tochter, welche in einem Körbchen neben mir auf der Terrasse geschlummert hatte, und ging ebenfalls nach vorne.
„Papa, hast du tolle Sachen gemacht? Hast du mir was mitgebracht?“ unser Sohn hing zappelig auf Haythams Armen und war völlig aus dem Häuschen seinen Vater wieder zuhaben.
„Oh, ich habe ganz viel erlebt und ich habe mal wieder die bösen Männer verscheucht, die uns übel mitspielen wollten. Und ja, Edward, ich habe etwas für dich. Aber das gibt es nachher. Lass mich deine Mutter begrüßen und ich habe großen Durst. Hast du mir noch etwas von der Limonade übrig gelassen, oder muss ich jetzt dieses langweilige Wasser trinken?“ er gab ihm einen Kuss auf die Stirn und grinste ihn an.
„Nein, ich hab was übrig geblieben für dich.“ vor Aufregung schmiss mein kleiner Schatz wieder alles durcheinander, aber es war wirklich niedlich. Sogar Haytham verbesserte ihn nicht.
Ich stand jetzt bei meinen Männern und atmete erleichtert aus, als ich sah, dass mein Mann ohne Schrammen wieder hier war. Er war nur etwas ungepflegt im Gesicht, fiel mir auf. Das würde ich nachher bei einem Bad ändern!
Ich kann dich lesen, mi sol. Hörte ich ihn rau in meinem Kopf.
„Ich habe dich vermisst, mi sol.“ sprach er jetzt normal mit mir und ließ Edward runter. Dafür nahm er mich vorsichtig in den Arm, darauf bedacht, Florence nicht zu zerdrücken.
„Ich dich auch, mi amor. Ich bin froh, dass du heile wieder hier bist.“ ich gab ihm einen langen Kuss. Seine Haut schmeckte etwas salzig und sandig. Ich spürte seine Hände, wie sie vorsichtig über meinen Rücken Richtung Hintern glitten.
Ich habe dich auch vermisst. Es war mehr ein Hauchen, was in meinem Kopf ankam, aber es trieb mir eine Gänsehaut über meinen Körper.
„Ihhhhh, warum tut ihr das immer?“ kam es leicht angewidert von unserem Sohn, welcher sich die Hand vor den Mund hielt.
„Weil wir uns lieb haben, mein Sohn. Auch du wirst das eines Tages kennenlernen.“ Haytham nahm Edward wieder auf den Arm und gemeinsam gingen wir hinein. Es war gerade Zeit fürs Abendessen und auch Florence machte sich bemerkbar.
Als ich sie mit der kleinen Flasche fütterte sah mein Mann mich stirnrunzelnd an. Kurzerhand erklärte ich ihm meine Entscheidung deswegen.
„Wenn es damit für dich und unsere Tochter besser ist, dann mach es ruhig weiter.“ kam es kauend zwischen zwei Bissen. Er hatte einen gesegneten Appetit und vor allem Durst, wie es schien. Der Krug mit der Limonade fiel meinen Männern zum Opfer.
Danach brachte ich die beiden kleinen Kenways mit den Kindermädchen zu Bett und orderte zeitgleich das Bad!
Es dauerte nicht lange und Edward war eingeschlafen. Er war glücklich, dass sein Vater wieder zuhause war und ich ahnte, dass wir morgen früh ein kleines Weckkommando hätten.
Florence war ebenso schnell wieder eingeschlafen und bei meinem Lied für sie, überzog sich zum ersten Mal ihre Haut mit den leuchtenden Zeichen. Dann würde es nicht mehr lange dauern, bis ich erfahre, wer ihr Pate oder ihre Patin wird und ich freute mich darauf.
Wieder unten suchte ich nach meinem Gatten und fand diesen in seinem Arbeitszimmer.
„Mi amor, musst du wirklich noch arbeiten? Hat das nicht Zeit bis morgen?“ fragte ich schmollend, weil mir eines der Mädchen schon gesagt hatte, dass das Bad fertig sei.
„Es hat Zeit, ich wollte nur schon einmal alles ausgepackt haben, mi sol. Ich lasse mir doch meine wohlverdiente Pflege von dir nicht entgehen.“ in seinem Blick lag dieser wollüstige Ausdruck, der mich erschauern ließ. Haytham war ein wenig ausgehungert, genau wie ich, auch wenn wir uns hin und wieder in den Nächten im Kopf vergnügt hatten.
„Dann komm und lass mich nicht warten.“ ich nahm seine Hand und zog ihn hoch, hinter mir her nach unten.
Dort wartete schon das duftige Wasser, das Rasierzeug lag bereit und jede Menge Handtücher.
Im Becken an meinen Mann geschmiegt, konnte ich mich entspannen und strich über seine Arme, welche sich um mich geschlungen hatten. Für einen Moment genossen wir einfach diese Nähe, die Wärme des Wasser und diese angenehme Stille.
Dann drehte ich mich langsam zu ihm um, nahm den Rasierschaum und begann ihn von den Haaren im Gesicht zu befreien.
„Warum hast du Michael eigentlich nicht mitgenommen?“ fragte ich leise, während ich mich auf die Klinge in meiner Hand konzentrierte.
„Ich ging davon aus, dass es nur zwei Wochen werden würden. Ich konnte ja nicht ahnen, was mich dort noch erwartet.“ kam es schwer seufzend von Haytham. Und er begann von dem Fiasko mit der ersten Immobilie zu erzählen.
Man hatte angenommen, es sei ein blöder Zufall gewesen, dass der Eigentümer plötzlich verstorben sei und hatte sich nichts weiter dabei gedacht. Es war nur schwer sich mit den Erben in Verbindung zu setzen, weil diese in Angst und Schrecken versetzt wurden von diesen Assassinen. Auch das kam erst nach und nach heraus. Im Endeffekt war es aber doch nicht passend von den Räumlichkeiten her und auch der Preis schien wie in Granit gemeißelt zu sein. Also ging man zu einem anderen Gebäude über.
„Aber das erzähle ich dir in den nächsten Tagen dann, mi sol.“ seine Stimme hatte jetzt wieder diesen rauen lüsternen Ton angenommen und seine Hände, welche auf meinem Hintern lagen, sagten mir, die Rasur sei damit beendet.
„Da bin ich schon gespannt.“ hauchte ich nur, wusch die Seifenreste ab und küsste ihn vorsichtig.
Kurz darauf ließ er mich seine aufgestauten Gefühle spüren. Wir nahmen beide kaum Rücksicht, sondern forderten unser Recht ein! Diese tief in uns schlummernde alte Leidenschaft brach durch und ließ uns alles um uns herum vergessen. Vermutlich vergingen nur wenige Minuten, aber die Erlösung kam heftig und vor allem laut. Ich konnte mich nicht zügeln, ebenso wenig war Haytham dazu in der Lage.
Schwer atmend lehnte er hinter mir an meinem Rücken und strich mir vorsichtig über die Oberschenkel.
„Wow…“ brachte ich nur hervor und stützte mich auf dem Rand ab. Meine Knie waren Pudding, eigentlich fühlten sich meine gesamten Muskeln zittrig an!
„Du glaubst gar nicht, wie sehr ich diese Reaktionen bei dir liebe. Es ist einfach fantastisch!“ hauchte er leise an meinem Ohr. Langsam drehte er mich zu sich um und ließ uns beide wieder in das Wasser gleiten. „Ich könnte dir stundenlang dabei zusehen und auch zuhören.“
Ich wurde bei diesem Gedanken mal wieder rot, aber auch mir ging es ja nicht anders. Sein Anblick, sein Körper, seine Stimme und seine Bewegungen waren das Aphrodisiakum schlechthin für mich. Ich brauchte nicht mehr.
Vorsichtig strich ich über die glatte Haut an seiner Wange und grinste. „Jetzt siehst du wieder wie mein Großmeister aus!“
„Wie sah ich denn vorher aus? Lass mich raten, wie ein Wegelagerer vermutlich. So habe ich mich zumindest gefühlt.“ meinte er lachend.
Wir verbrachten noch eine Weile hier unten. Wir brauchten beide diese Ruhe für uns und genossen sie, weil wir wussten, es brächen noch weit aus längere Reisen an.
Oben im Schlafzimmer ließ sich Haytham laut stöhnend auf das Bett fallen.
„DAS ist auch etwas, was ich vermisst habe. Diese harten, pieksenden Strohmatratzen kann ja kein normaler Mensch vertragen!“ er lag mit ausgestreckten Armen da und räkelte sich wohlig auf den frischen Laken.
„Ich glaube, ich kann es mir vorstellen wie es unterwegs zuging. Ich möchte nicht mit dir tauschen, mi amor. Und jetzt schlaf und genieße das weiche Bett.“ ich wollte ihm gerade einen Gute-Nacht-Kuss geben, als wir ein lautes Bellen von der anderen Seite der Galerie hörten!
In Windeseile hatten wir uns etwas übergezogen und rannten auf die Galerie. Als Walka uns sah, stürmte sie auf uns zu und hinter ihr her kam ein schreiender Edward. Alle Angestellten waren ebenfalls auf den Beinen, die Wachen waren in Alarmbereitschaft.
„Mamaaaaaaaaa… der böse Kapitän…“ brüllte er, zeigte immer wieder auf sein Zimmer! Unser Sohn glühte förmlich, sein Körper war über und über mit leuchtenden Zeichen übersät. Aus Florence Zimmer vernahm ich ein schrilles Schreien, aber ich wusste, dass Sophia dort übernachtete und sich ihrer annehmen würde.
Haytham aktivierte seinen Blick und blieb stocksteif stehen.
„Er ist hier! Sybill, ihr geht mit den Kindern und Sophia in den Keller. Ihr anderen auch! Jetzt!“ fauchte er alle Umstehenden an. Odin sei Dank hatten wir in einem versteckten Schrank hier oben einige Waffen, mit welchen wir uns nun ausstatteten und in Richtung des Kinderzimmers schlichen.
Hrymrs Umrisse nehme ich links neben der Tür wahr, aber er ist nicht alleine, wie es scheint. Haytham war extrem angespannt, gab den Wachen entsprechende Befehle, sich Rückendeckung zu geben. Aber wie ist unser Sohn so aus seinem Zimmer gekommen? Die Antwort musste erst einmal warten!
Ich spürte, wie jemand versuchte in meinen Geist einzudringen. Dank meiner mittlerweile fließenden Mantras, Erinnerungen und allgemeinen Übungen, war ich in der Lage diesen Eindringling fernzuhalten und das auch ohne große Mühen. Ich sah im Geiste meines Templers ebenfalls diese Barriere!
Langsam schritten wir weiter und auch ich aktivierte meinen Blick. Diese rote Aura war riesig, nicht hoch, aber breit, in ihr tummelten sich lauter kleinere Umrisse. Was zum Geier war das bitte?
Gerade als wir um die Ecke kamen, schoss eine dieser kleinen Auren auf uns zu. Es waren kleine spitze Wurfmesser! Meinen Schild! Ich brauchte meinen Schild! Meine Konzentration richtete ich für einen Moment auf meine Vorfahrin und dann fühlte ich ihn in meiner linken Hand. Erleichtert sah ich den Schild auch bei meinem Mann. Geschützt dadurch konnten wir weiter gehen.
Wir wurden aber von immer neuen Wurfgeschossen attackiert. Es schien kein Ende zu nehmen!
„Ihr glaubt, ihr könnt mich so von euch fernhalten? Wie naiv seid ihr Menschen eigentlich? Auch wenn du Odins Tochter bist, du wirst mich nie besiegen!“ dröhnte diese fiese Stimme uns entgegen und dann trat er auf uns zu, in seiner körperlichen Gestalt und ich erstarrte!
Nein, das konnte nicht sein. Einfach unmöglich.
Vor uns stand tatsächlich Eugene Avdeyev! Sein Bild hatte ich noch im Kopf, als wir damals das Handy inspiziert hatten in London! Aber wie kam er hierher?
Zu spät bemerkte ich, wie meine Mauer in meinem Kopf zu bröckeln begann und ich hörte ein höhnische Lachen.
Jaaaa… so wollte ich das! Du weißt doch, warum du hierher geschickt wurdest, oder? Dann mach jetzt endlich dem ganzen ein Ende. Dieser Templer hat es nicht verdient zu leben und seine Brut auch nicht! Du und ich werden irgendwann über alles triumphieren!
Nein! Nein! Das war nicht real, das waren nicht meine Gedanken! Nach und nach, Stein für Stein entstand wieder eine Barriere, doch noch nicht hoch genug!
Verschwinde! Schrie ich… Bevor ich aber reagieren konnte, begannen plötzlich die Wachen uns anzugreifen! Sie alle hatten leuchtende roten Augen und stürmten auf uns zu, drängten uns so in das Kinderzimmer. Da hätten wir aber kaum Möglichkeiten zu kämpfen!
Wenigstens hagelten keine Messer mehr auf uns nieder, somit hatte ich wieder meine Äxte! Was… nicht jetzt daran denken! Kämpfen!
Während wir versuchten die Wachen weiter zurück zu drängen, weil wir sie nicht verletzen wollten, versuchte ich mich wieder abzuschotten!
„Ihr habt uns jetzt lange genug schikaniert! Für einen Hungerlohn sich die ganze Nacht für so eine verlogene Hexe um die Ohren zu hauen! Mit euren abscheulichen Ritualen ist jetzt Schluss!“ schrie einer der Männer und ging Schwert schwingend auf mich los!
Ich sah wie er von oben auf mich einschlagen wollte, also hob ich beide Äxte über meinen Kopf über Kreuz und konnte ihn so blocken. Er taumelte kurz zurück, weil der Aufprall seine Arme zurück federn ließ, fing sich aber schnell und setzte erneut an. Verdammt, ich wollte niemanden umbringen müssen!
„Das wird euch noch leid tun, dass ihr euch an meiner Familie vergangen habt, scheiß Templer! Das wirst du mir büßen!“ brüllte der nächste Herr meinen Mann an!
Ich spürte aber, das mit jedem Hieb, den ich abwehren konnte und sich bei jedem Blocken meine Mauer weiter festigte und dann war sie vollständig. Mein Geist war wieder rein und ich ließ mich von den Worten Edward Seniors leiten, wie damals auf der Jackdaw!
Dieses Mal jedoch fügte ich keine ernsthaften und tödlichen Verwundungen zu, sondern nur kleinere Fleischwunden um meinen Gegner zu schwächen.
Somit konnte ich auch bei ihm in den Geist dringen und ihn bereinigen! Es war grauenhaft, was ich sah.
Diese Wache hatte von Hrymr allen ernstes ein Bild bekommen, in welchem ich Tiere und Menschen opferte und in deren Blut badete! Es war so real, dass es mich schüttelte.
Lasst nicht zu, dass er euch manipuliert. Seht mich an, ich bin nicht die Person die ihr in eurem Kopf seht. Ich bin das nicht! Immer und immer wieder sprach ich ihn im Geiste an, während ich mich nur noch verteidigte, ich griff nicht an! Ich errichtete eine Mauer für ihn, in der Hoffnung, dass ich sie auch für alle anderen dann aufrechterhalten kann!
„Ich wusste doch, ihr paktiert mit dem Teufel. Jetzt wollt ihr euch auch noch meines Geistes bemächtigen!“ in diese roten Augen trat Entsetzen und er wich erschrocken zurück. Stieß dabei an die Wand hinter sich und blieb wie angewurzelt stehen!
„Kommt nicht näher, ich warne euch!“ jammerte er plötzlich und ich bemerkte, dass Hrymr sich in seinem Kopf erneut versuchte breit zu machen. Dieser Mann würde bald nur noch sabbernd in einer Gummizelle hocken, wenn ich ihn nicht schnell genug abschotten konnte.
Mit einer Wucht, die wie aus dem Nichts zu kommen schien, drosch dieser Mann völlig unerwartet wieder auf mich ein. Aber er nutzte eine Technik, die ich nicht kannte! Er wirbelte herum, schwang sein Schwert gekonnt nah an seinem Körper, so als wäre er es gewohnt auf engstem Raume zu kämpfen! Ich hatte meine Mühe mich jetzt zu verteidigen, diese Wachen abzuschotten und nicht selber den Verstand zu verlieren!
„Alex, wir müssen den harten Weg einschlagen!“ doch das widerstrebte mir zutiefst, aber wir hatten so wirklich keine Chance mehr gegen diese Männer anzukommen. Nicht alleine!
Ihr seid nicht alleine! Diese Stimmen schienen von überall her zukommen und ich sah ein riesiges Aufgebot an schimmernden goldenen Umrissen.
Es entstand ein Netz, welches die Angreifer in seine Mitte zerrte und sie dort festhielt.
JETZT! Konzentrier dich auf ihre Gedanken! Dröhnten mir die Stimmen meiner Götter im Kopf und ich begann meine Tour durch diese Köpfe!
Du wirst mich so nicht los, Weib! Das hast du das letzte Mal auch nicht geschafft. Da hattest du nur Glück! Na komm… such mich! Das höhnische Lachen war wieder zu hören und ich rannte förmlich umher, fand aber keinen Ansatzpunkt. Es lag ALLES in einem Nebel!
Aus diesem Dunst erschien ein Licht, welches immer deutlicher wurde und mich weiter führte. Langsam konnte ich klarer sehen und ich schaffte es tatsächlich Mauern zu errichten, für jeden einzelnen. Es fühlte sich allerdings an, als würde ich nie fertig werden.
Ein stechender Schmerz in meiner Seite brachte mich zu Fall und ließ mich aufschreien. Als ich auf die Stelle sah, steckte dort eines dieser Wurfmesser, es brannte wie Feuer und es bildete sich ein leuchtend roter Kreis um die Einstichstelle.
Komm, du weißt, dass du wo anders hingehörst. Ich helfe dir nur… diese Stimme war auf einmal so friedlich und ich grinste vor mich hin.
Gut so, nun geh hinunter und erledige diese ganze Sippschaft. Sie hat ihre Daseinsberechtigung längst verwirkt. Geh!
Langsam ging ich eine Treppe hinunter, die Stufen schienen kein Ende zu nehmen! In einem Kellergewölbe wurde ich dann fündig. An einer Wand kauerten ein paar Personen, welche vor sich hin jammerten. Was für Weicheier!
Genau, so etwas darf nicht existieren. Wir brauchen starke Krieger!
Wer will schon solches Lumpenpack an seiner Seite!
Fang mit diesem dort an. Ein Fingerzeig deutete auf einen kleinen Jungen, der wie dieser dämliche Templer aussah. Nein, noch mehr von denen brauchten wir wirklich nicht.
Ich hob meine Äxte und stürmte mit einem Kampfschrei auf die Menschen zu.
„Ihr habt es nicht verdient!“ Meine Stimme klang schrill in diesem Moment.
Ich holte weit aus und setzte zu meinem finalen Schlag gegen den Jungen an!
Doch mich riss etwas zurück und ich sah eine Faust auf mich zukommen! Mein Wangenknochen knirschte gefährlich und mir schossen die Tränen in die Augen. Wer zum Geier war das? Welcher Idiot wagt es, sich mir in den Weg zu stellen?
Ich sah mich nach dem Schläger um und stand einem Mann gegenüber, den ich schon mal gesehen habe, glaube ich. Dunkelblond, blaue Auge, Assassinenmontur… Ah, einer von uns, aber warum schlug er mich?
„Verdammt noch eins! Komm zu dir!“ schrie mich dieser Herr im besten walisischen Englisch an und zack, hatte ich eine weitere Schelle, dieses Mal auf der anderen Wange! Halte immer beide Seiten hin… ich war aber doch gar nicht so gläubig… im Gegenteil!
Also schlug ich in meiner Wut zurück und sah, wie meine Hände ins Nichts trafen!
Ein fieses Lachen drang an mein Ohr.
„Was denkst du eigentlich, was du hier tust. Auch mich wirst du nicht einfach so besiegen. Na los, tragen wir es endlich aus!“
Gut, wie er wollte! Ich holte im Geiste meine Bartaxt und meinen Schild hervor, wappnete mich und drosch auf diesen Wichtigtuer ein. Oh er war gut und wich immer wieder mit schnellen Schritten aus! Er tänzelte regelrecht um mich herum.
Immer wenn ich versuchte, einen Treffer zu landen, schlug er ebenfalls mit seinem Schwert zu und brachte meinen Waffenarm zum zittern!
„Das ist alles, was du drauf hast? Das ist lächerlich, Alex. Komm schon! Du kannst mehr, erinnere dich an dein Mantra! Was hast du auf der Jackdaw gehört?“
Blocken, parieren, Fußarbeit, Balance, aufpassen, vorausschauen. Schoss es mir in den Kopf! Die Worte von Edward, meinem Schwiegervater… oder war es doch … nein… Ich folgte diesen Worten und traf nicht ein einziges Mal! Dieser Mann verhöhnte mich weiter, er provozierte mich!
Je öfter ich diese Worte in meinem Kopf formte, desto mehr merkte ich, dass etwas nicht stimmte! Ich war nicht auf der Jackdaw! Und dieser Mann?
„Wo lebst du, Alex?“ hörte ich diese warme Stimme von … wer war er? „ALEX! WO LEBST DU?“ brüllte er mich plötzlich an und es war, als hätte mir dieser Idiot schon wieder eine Ohrfeige verpasst!
„Das weiß ich nicht, ich bin nirgendwo zuhause! Ihr verarscht mich doch alle nur! Ich will nach Hause!“ Schrie ich und dann sah ich an mein Handgelenk! Der goldene Armreif! Natürlich, meine Tür nach Hause!
„Mamaaaaaaaaaaa! Ich hab dich doch lieb! Mamaaaaa! Bleib hier!“ diese kleine Templerbrut nannte mich allen Ernstes Mama? Wo kommen wir denn dahin!
„Geh weg!“ fauchte ich und konzentrierte mich auf ein Tor in meine Welt, in meine Zeit und mein Zuhause! Doch alles was ich zu sehen bekam, war eine Plantage, Felder und hohe Berge im Hintergrund, der Fluss welcher hier vorbeilief. Ich sah dieses wunderschöne schwarze Pferd, welches mich mit goldenen Augen musterte und dann hielt ich ein kleines Mädchen im Arm, welches mich ebenfalls mit leuchtenden Augen ansah.
„Mamaaaaa… nicht gehen!“ immer noch hing dieser Rotzlöffel an meinem Bein, zerrte mich so auf die Knie und umschlang mich dann mit seinen kleinen Armen. Ich bin dein lille skat, Mama! Hast du das vergessen? Ich hörte diese Stimme in meinem Kopf, sie flüsterte und ich fühlte, dass sich jemand in meinem Kopf breit machte. Nein, nicht jemand, sondern ein Gefühl!
Mein Zuhause war… in Virginia, meine Zeit war das 18. Jahrhundert und ich lebte mit meiner Familie auf dieser wunderschönen Plantage!
Langsam kamen meine Erinnerungen wieder, aber mein Verstand konnte es nicht verarbeiten und ich wusste nicht, was real war, was Einbildung war!
„Mi sol, bitte! Wach auf! Denk an unsere Kinder Edward und Florence, erinnere dich an Faith, deine Schwester und an unsere Hochzeit! Bitte! Oh Gott, ich liebe dich doch!“ diese Worte kamen zitternd, stockend von diesem komischen Templer.
„Alex, muss ich ernsthaft andere Seiten aufziehen, dass du wieder zu uns kommst, hmmmmmm?“ dieser walisische Akzent! Ich grinste, ich mochte ihn. Auch den Mann der ihn nutzte. Mein Pirat! Mein… Schwiegervater!
„Ja, musst du wohl! Du bist ein Idiot, aber das weißt du ja!“ ich konnte meine Zunge nicht kontrollieren!
Mein Kind, wir haben ihn vertrieben. Du musst wieder zurück kommen! DAS war eine andere Stimme, sie klang in meinem Kopf! Ich sah einen Mann vor mir stehen, welcher mit einem Reiseumhang, dessen Kapuze er tief in sein Gesicht gezogen hatte, im Zimmer erschienen war. Ein großes Zimmer, mit vielen Fenstern und… verdammt, das war ja grell hier! Ich schloss wieder meine Augen.
Ich… fühle mich nicht gut. Wo sind meine Waffen? Hat mir mein Bruder sie schon wieder weggenommen um mich zu ärgern? Wenn ich Ragnall in die Finger bekomme, dann Gnade ihm Odin!
Neben mich trat eine wunderschöne Frau, welche meine Hand nahm und mich durch meinen Geist führte.
Hab keine Angst, ich bringe dich nach Hause. Das ist meine Aufgabe! Diese friedliche Stimme holte mich nach und nach ab und ich sah die Umrisse dieses Raumes wieder. Bodentiefe Fenster, einige schöne Teppiche und… jede Menge Menschen um mich herum!
Mit einem Male war ich hellwach und schrak hoch. Doch als ich aufrecht saß, sah ich lauter Sternchen vor meinen Augen und ein Mann reichte mir noch rechtzeitig ein Gefäß, bevor ich mich auf dem Teppich übergeben konnte.
Schwer atmend lehnte ich mich zurück. Mein Kopf dröhnte, meine Rechte Seite brannte wie Feuer und meine Wangen fühlten sich an, als hätte ich keine Knochen mehr!
„Mi sol, du bist wieder da!“ hörte ich die erleichterte Stimme von diesem Mann mit diesem typischen britischen Akzent!
Ich ließ mich mit einem Stöhnen zurückfallen. „Och nein, nicht du schon wieder!“ im selben Moment hörte ich um mich herum einheitliches Gekicher.
„Ja, ich schon wieder und ich habe dich gewarnt. Es gibt kein Entkommen, wenn wir erst einmal verheiratet sind, mi sol.“
Mi sol… meine Sonne! Haytham! Diese Erkenntnis, diese Erinnerung… alles war mit einem plötzlichen „Wuuuuusch“ wieder da und ich starrte in diese grauen Augen.
„Was habe ich getan? Ich … wollte das nicht!“ mit einem Schlag kehrten alle Erinnerungen zurück und ich spürte, wie mir die Scham ins Gesicht geschrieben stand.
Wieder einmal hatte mich dieser verfluchte Gott so manipuliert, dass ich fast meine Familie umgebracht hätte!
„Es tut mir leid…“ flüsterte ich leise und sah mich im Kreise dieser ganzen Menschen um. Es war Edward Junior, welcher auf meinen Schoß kletterte und sich an mich krallte und laut weinte.
„Mach das nicht mehr! Ich… Angst… ich will auch artig sein. Nicht mehr böse sein. Tante Fais ist auch wieder lieb!“ Bei Odin… ich hatte meinen eigenen Sohn bedroht…
Bei diesem Gedanken drückte ich diesen kleinen Mann an mich und begann zu weinen!
Kapitel 25
*** Verwirrung auf hohem Niveau ***
Ich saß vermutlich eine gefühlte Ewigkeit so da und umklammerte meinen Sohn. Edward machte auch keine Anstalten, sich von mir zu lösen und ich war froh, dass er keine Angst mehr hatte. Doch er würde in den nächsten Tagen sicherlich noch einige Probleme haben. Das würden wir dann gemeinsam schaffen!
Mein Blick ging in die Runde der Menschen, die hier versammelt waren.
Haytham mit Florence auf dem Arm, welche leise wimmerte. Sybill, Sophia, unsere 12 Wachen, welche allesamt etwas mitgenommen aussahen. Wer konnte es ihnen verübeln! Dazu kam das Personal, welches ebenfalls völlig irritiert und ängstlich dreinschaute. Ich sollte dort schnellstens für andere Bilder sorgen.
Aber mein Hauptaugenmerk galt meinem Mann!
„Haytham, es tut mir leid! Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Ich habe doch diese Wand geschaffen und auf einmal…“ meine Stimme begann wieder zu zittern und ich brach ab.
„Es ging nicht, weil man dich mit einem Giftpfeil außer Gefecht gesetzt hatte, Alex. Wir konnten nur zusehen und versuchen das schlimmste zu verhindern. Aber wir waren nicht alleine!“ hörte ich Haythams leise Stimme und er kniete vor mir, strich mir über die Wangen!
„Aber es fühlte sich wieder für einen Moment so an, mi amor. Dieser Hrymr ist unberechenbar, Avdeyev ist unberechenbar! Wir müssen ihn aufhalten!“ ich spürte wieder diesen Hass auf diesen Gott, der mich so gegen meine Familie aufhetzen konnte! Er nutzte den mir antrainierten Hass auf Templer, obwohl ich nicht mehr so empfand! Wie war das alles möglich?
Wieder einmal wurde mir vor Augen geführt, dass ich meine Familie nicht beschützen konnte. Wie in London, als man mich beim Empfang bei den Pritchards verschleppte und … ich möchte nicht daran erinnert werden!
Und dann tauchte für einen Moment diese Frau wieder auf, welche mich vorhin geführt hatte und ich fühlte mich geborgen und gut aufgehoben.
„Es gibt diese Einflüsse, welche man einfach nicht steuern kann. Es ist kein Schiff, welches du entsprechend eines Kurses führen kannst. Lerne diese Momente zu erkennen, lerne dass du nicht alleine bist und dass es Hilfe gibt! Nur darfst du dich nicht ganz blind darauf verlassen, es mag auch Augenblicke geben, in denen wir nicht eingreifen können. Aber ich werde an deiner Seite sein, an der Seite meiner Mutter, meines Vaters und meines Bruders.“ es klang ja schon fast wie der Segensspruch in der katholischen Kirche!, ging es mir durch den Kopf und ich schüttelte mich.
Doch als ich zu Haytham sah, wurde mir klar, wer gerade mit mir gesprochen hatte! Es war unsere Tochter oder besser gesagt, ihre Patin! Doch wer war sie?
„Kannst du es dir nicht denken? Wir reisen an der Seite eines jeden und bringen ihn nach Hause. Wir sind viele und beschützen die, die uns wohlgesonnen sind. Ich habe die Menschen vor Hafnir bewahrt! Mein Name ist dir sicher bekannt, Kind.“ Für einen Moment saß ich da und starrte auf Florence, dann auf Haytham und auch er schien es gehört zu haben.
Hafnir! Der Drache, welcher von der mutigen Walküre Brünhild mit dem Schwert zur Strecke gebracht wurde!
Florences Patin! Brünhild! Ich stieß einen spitzen Schrei der Erkenntnis aus und atmete erleichtert aus. Damit war die Weihe für meine Tochter ganz klar dieser Frau gewidmet!
Plötzlich fühlte ich mich völlig benebelt und hatte schon Angst, dass ich wieder in diesen Bann von Hrymr gezogen wurde, doch Odin gebot mir Einhalt.
Beruhige dich, wir werden jetzt ein paar neue Gedanken spinnen, damit hier alles wieder in geordneten Bahnen laufen kann. Es gab einen erneuten Überfall, böse Banditen und dergleichen. Ich habe gesehen, dass gefällt euch Menschen. Damit schreibt ihr phantastische und aufregende Geschichten! Odin machte sich einen Spaß aus unserer menschlichen Sichtweise, das schmeckte mir nicht wirklich. Niemand sollte sich darüber lustig machen, genauso wenig machte ich es bei ihm.
Pffff, es amüsiert mich halt. Auch ich brauche ab und an solch nettes Beiwerk! Ein wenig unwirsch klang er schon.
Gemeinsam mit den Göttern begannen wir nun die „Unwissenden“ in Kenntnis zu setzen. Sie bekamen die Bilder von bösen Plünderern und dergleichen. Aber ich ließ sie auch wissen, dass mein Mann und ich sie beschützen konnten. Im selben Moment ging mir durch den Kopf, dass ich mir selber etwas vormachte. Wenn dieser Hrymr mich ergriff, dann konnte ich kaum etwas ausrichten.
Kurz darauf begann sich die Versammlung aufzulösen! Niemand hatte ein Auge zugetan diese Nacht, vermutete ich einfach mal und war froh, als wir alleine waren.
Immer noch klammerte sich Edward an mich und ich strich ihm behutsam über den Rücken.
„Min lille skat! Du hast mir sehr geholfen, genauso wie deine Schwester. Du bist ein tapferer Junge und ich bin stolz auf dich.“ bei diesen Worten brach meine Stimme und ich klammerte mich wieder an ihn.
„Ich will das nicht mehr! Dieser böse Kapitän soll weggehen!“ Edward war immer noch wütend und niemand konnte es ihm verübeln.
„Bald ist er weg, ich verspreche es dir!“ flüsterte ich müde und lehnte mich zurück.
Wie lange war ich wach? Wie lange ging das hier schon… es war helllichter Tag.
Es gibt bei uns keine Zeitrechnung wie hier, mein Kind. Du musst dich an deiner inneren Uhr orientieren. Aber ich bin stolz auf dich, du hast dich heute wieder bewiesen und als würdig erwiesen. Wir werden Hrymr besiegen, aber nicht heute und auch nicht morgen. Es bedarf der Vorbereitung! Heute ist es noch einmal gut ausgegangen und ich hoffe, wir haben genügend Zeit zu trainieren!
Das hieß für mich, dass ich so langsam noch weiter in die Vergangenheit musste und mich mit vielen verschiedenen Kampfstilen auseinander setzen musste. Fürs erste wollte ich ein wenig Ruhe, mein Bett und einfach meine Augen schließen. Ob ich diese Ruhe bekam, war fraglich.
Haytham brachte mich und die Kinder hinauf in unser Schlafzimmer und auf halben Wege dachte ich an diese Wurfmesser, doch ich sah nicht einen einzigen Einschlag! War das auch nur eine Illusion von Hrymr? Wie könnte ich überhaupt herausfinden, was echt war und was man uns vorgaukelte?
Du kannst es fühlen, mein Kind. Jetzt ruh dich aus und ich werde dir in den nächsten Tagen beibringen, wie du diesen Unterschied erkennen kannst. Odin war ebenfalls sehr müde, seine Stimme war entsprechend „ausgepowert“. Vermutlich hatten er und die anderen einiges an Kraft aufbringen müssen, um Hrymr von uns fernzuhalten. Er war auch nicht wirklich körperlich anwesend gewesen vorhin, weil sein Schiff sicherlich für Aufsehen gesorgt hätte. Avdeyev war wie ein Geist in unser Haus geschlichen und hatte gewartet, bis er zuschlagen konnte.
Warum ermüdet dieser Hrymr uns alle so? Was ist anders an ihm, als an Ymir oder Egil oder den anderen? Wollte ich wissen.
Er ist von Natur aus mächtig und hat viele Schlachten begangen und auch gewonnen. Seine Waffen geben ihm Kraft und Durchhaltevermögen. Sein Schiff erlaubt es ihm, sich immer wieder zu regenerieren, sie ist sein Lebenselixier! Seine Naglfar! Sie gab ihm diese Zuversicht, die mir auch meine Jackdaw gab.
Oh ja, ich liebe meine Brig. Ich habe sie mir hart erkämpft und ich würde sie auch nicht kampflos aufgeben. Hörte ich die leicht belustigte Stimme von Edward Senior und ich sah ihn wieder vor mir, wie er am Ruder seiner Jackdaw stand, mit der Sonne im Gesicht und diesem seligen und völlig befreiten Ausdruck im Gesicht.
Ein Anblick der mich an seinen Enkel erinnerte, wenn er seine Hündin ansah oder wenn er sein Pferd an der Loge führte. Jeder Kenway schien eine gewisse Liebe zu entwickeln und ich war gespannt, welche es bei Florence sein würde.
Es war noch Nachmittag, doch ich schloss selig die Augen und folgte meinem Meditations-Mantra, welches mich tatsächlich herunterfuhr. Mein Herzschlag wurde ruhiger, mein Atem ging wieder gleichmäßig und meine Muskeln entspannten sich. Nicht alle, wie ich frustriert feststellte, weil die Stelle von dem Eintritt des Messer noch schmerzte. Als meine Hand darüber fuhr, fühlte ich einen Verband! War sogar Dr. Ambrosch hier gewesen? Ich hatte nicht einmal Ansatzweise eine Erinnerung an die ZEIT! Wie lange dauerte das ganze…
„Mi sol, wach auf!“ flüsterte mir die Stimme mit diesem britischen Akzent ans Ohr und ich wollte schon frustriert aufstöhnen, weil ich… Nein! Nein… einfach nein! Ich war Alexandra Kenway! Ich liebte diesen Mann! In meinem Kopf schien eine Störung zu sein, vermutlich hatte Vodafone gerade das Netzwerk übernommen! Die hatten auch keine Ahnung von nichts!
„Wie spät ist es?“ fragte ich nur leise und sah, wie mein Mann mich erstaunt ansah.
„Es ist 7 in der Früh, Alex. Du hast jetzt fast 18 Stunden geschlafen. Aber wenn du noch länger brauchst…“ du meine Güte, was war ich egoistisch!
„Nein… nein. Du brauchst ja auch deinen Schlaf. Du hast doch auch genug mitgemacht und… Haytham, ich fühle mich schuldig! Ich habe euch alle wieder in Gefahr gebracht! Ich kann euch nicht schützen!“ immer mehr wurde mir bewusst, dass das Ganze einfach gefährlich war!
„Alex, hör mir zu! Ich kann dir versichern, dass wir immer wieder einen Weg finden, der uns von dem Bösen loslöst! Aber es ist wichtig, dass ich und auch du daran arbeiten Fiktion von Realität zu unterscheiden. Ich habe es gestern auch erlebt und war kurz davor dich umzubringen! Es war einfach grauenhaft, aber ich fühlte es, es war in dem Moment richtig! Du hast es ebenso bei mir und Edward gespürt. Elias hat mich schon instruiert und wir werden in den nächsten Wochen nach Philadelphia reisen um mit ihm zu trainieren. Wir werden ALLE nicht mehr drum herum kommen.“ seine Finger strichen über meine Wangen und ich atmete tief durch, bevor ich meinen Verdacht im Bezug auf Florence kundtat.
„Unsere Tochter hat Brünhild inne, wusstest du das? Sie hat mich… hier wieder hergebracht. Und ich bin ihr unendlich dankbar dafür.“ ich brach wieder in Tränen aus, weil in mir ein komplettes Chaos herrschte, was noch lange andauern würde, wenn ich nicht endlich wieder normal funktionierte.
Also riss ich mich am Riemen und sah Haytham an.
„Ich liebe dich und ich bin und bleibe hier! Da kann auch dieser verfickte Hrymr kommen, der wird mich nicht mehr davon abbringen!“ ich weiß, meine Stimme klang seltsam, aber so fühlte ich mich auch. Ich würde noch ein wenig Zeit brauchen, um das zu verarbeiten.
Obwohl unsere Kinder einen Gott und eine Walküre inne hatten, so wollten sie ihre Eltern trotzdem haben und ich hörte, wie Florence begann zu weinen. Edward war ebenfalls auf den Beinen, wie es schien, klopfte und fragte, ob er herein dürfte.
„Ja, komm rein min lille skat.“ und mit Schwung flog unsere Zimmertür auf. Ein wuscheliger Sohn mit seiner Hündin rannte auf uns zu und aufs Bett. Mit einem „NEIN!“ blieb Walka aber brav auf dem Teppich vor unserem Bett sitzen. Auch wenn sie etwas traurig zu ihrem Herrchen sah, welcher sich bei seinem Vater austobte.
Sophia erschien mit Florence auf dem Arm.
„Miss Florence ist bereits gewickelt, Mistress Kenway. Die Milch lasse ich schon mal warm machen.“ mit einem Knicks ging das Kindermädchen wieder hinaus und hinein kam eine Mrs. Wallace, welche mit einem bösen Blick auf ihren Schützling sah.
„Master Edward, hatte ich euch nicht gesagt, zu warten, bis ich euch angekleidet habe.“ bei diesen mahnenden Worten sah unser Sohn ertappt zu ihr hinüber.
„Ja, Mrs. Wallace.“ nuschelte er leise und kroch vom Bett. Beide gingen in sein Zimmer.
„Sie hat ihn wirklich gut unter Kontrolle. Auch wenn er immer wieder versucht ihr zu entwischen.“ lachte Haytham und strich seiner Tochter über den blonden Flaum.
„Gib es zu, du hast das bestimmt auch damals versucht, mi amor. Du kannst nicht immer der brave kleine Junge gewesen sein.“ grinste ich ihn an.
„Nein, war ich nicht. Aber ich muss zu meiner Verteidigung sagen, ich konnte Edith immer um den Finger wickeln. Sie hat selten meinem Vater…“ in diesem Moment hielt er inne und ich sah, wie er sich auf die Unterlippe biss.
So so, mein Sohn. So ist das also gewesen! Muss ich vielleicht noch im Nachhinein etwas wissen? Kam es gespielt streng von meinem Piraten, welcher am Fußende unseres Bettes mit verschränkten Armen stand. Grinsend sah er seinen Sohn an.
„Nein, Vater. Ich denke, da gibt es nichts.“ Haythams Blick war auf die Bettdecke geheftet, was mich lachen ließ.
Haytham, glaubst du, ich weiß davon nichts? Auch wenn ich nicht immer etwas gesagt habe, oder deine Mutter. Wir wussten mehr als dir lieb ist. Auch Edward Senior lachte jetzt und ich verstand ihn zu gut. Ich wusste auch mehr, als Yannick vermuten würde. Das ist Eltern nun einmal vorbehalten!
„Hoffentlich werde ich das so auch später bei meinen Kindern können.“ grinste mein Mann und stand auf. „Ich vermisse dich, Vater.“ kam es plötzlich leise und die beiden standen sich einfach gegenüber.
Ich dich auch, mein Sohn. Mein Pirat drückte seinen Sohn an sich und klopfte ihm auf die Schultern. Aber wenn ich schon mal da bin, ich will meine Enkelin endlich auch mal auf dem Arm halten. Nach dieser Nacht habe ich mir das verdient!
Und im Nu lag Florence in seinen Armen. Sie sah mit großen Augen zu ihm auf. Du bist wirklich eine hübsche junge Dame, Florence. Deine Augen hast du von deiner Mutter, weißt du das? Dieses Grün würde ich immer wieder erkennen. Sein Blick wanderte zu mir und er lächelte mich an. Und ich? Mir stiegen die Tränen in die Augen, doch ich lächelte ihn „tapfer“ an.
Dieser kurze friedliche Familienmoment tat uns allen vermutlich gut. So konnten wir den Tag in Frieden beginnen und ich machte mich nach dem Frühstück daran, zu packen.
Ich freute mich auf Philadelphia, ich hatte es immer nur in Filmen gesehen oder eben Bilder von historischen Gebäuden. Und schon begannen meine Gedanken wieder um die geschichtlichen Dinge zu kreisen, deren ich jetzt in den nächsten Jahren Zeugin werden würde. Dabei ergriff mich ein Hochgefühl und ich fühlte mich besser, mein Verstand hatte etwas zu tun!
Ich rechnete noch einmal kurz hoch, wie lange wir unterwegs wären und kam auf ungefähr neun Tage. Elias hatte uns den Weg „gezeigt“ sodass wir auch ungefähr wussten, wohin wir müssten. Zum ersten Mal würde ich bei unserem Allvater, das mag sich seltsam anhören, aber im Grunde war es so, zu Gast sein. Ich war schon sehr gespannt, wie sein Anwesen dort aussah.
Die Anreise hatte doch länger gedauert, als wir dachten. Durch plötzlich einsetzenden Regen blieben wir des öfteren stecken und mussten Zwangspausen einlegen. Außerdem vertrug Florence dieses Geschaukel in der Kutsche überhaupt nicht. Sie behielt kaum etwas bei sich, was mir Angst machte, weil sie bald mit uns nach England segeln würde.
Dazu kam auch noch, dass die Tavernen und Gasthäuser entlang des Weges auch eher zum Abgewöhnen waren und ich des öfteren auf Essen verzichtete, weil ich nicht wusste, was dort auf meinem Teller lag. Sogar Edward, welcher sonst einen gesegneten Appetit hatte, verweigerte hin und wieder seine Mahlzeit. Stattdessen bekam er einen Apfel, was sicherlich gesünder und sicherer wäre zu verspeisen.
Und wie sollte es anders sein, begann Florence mit Zahnen! Odin sei Dank hatte ich bei Reiseantritt noch diesen Gedanken gehabt, die Tinktur mit einzupacken!
Ein genervter großer Bruder maulte sie dann auch gleich an, leise zu sein!
„Edward, deine kleine Schwester hat Schmerzen. Und weil sie noch nicht sprechen kann, macht sie sich so bemerkbar. Meinst du, du warst anders? Du hast uns einige schlaflose Nächte damals beschert, min lille skat.“ erklärte ich ihm die Situation.
„Dauert das lange, Mama?“ mit Blick in den aufgerissenen Mund seiner Schwester kam diese Frage, als wäre er ein Arzt.
„Ein paar Monate sicherlich. Und jetzt lass sie etwas zur Ruhe kommen, setz dich neben mich. Soll ich dir eine Geschichte erzählen?“ in der Hoffnung, dass er mich nicht mehr mit Fragen löchern würde, begann ich einfach zu sprechen. Ich kramte eines der Märchen der Gebrüder Grimm aus, das mit Rotkäppchen und dem bösen Wolf.
Als ich aber an die Stelle zum Schluss kam, wo der Wolf den Bauch mit Wackersteinen befüllt bekam und in den Brunnen gestoßen wurde, begann Edward zu weinen!
„Das ist gemein…“ schniefte er und sah auf Walka hinunter, die in der Kutsche gerade zu unseren Füßen lag und schlummerte.
Haytham begann eine Erklärung und ich muss sagen, sie war durchaus kindgerecht und verständlich. Er sprach von Gut und Böse, von Bestrafungen für Verfehlungen oder eben einer Belohnung für denjenigen, der etwas gutes getan hatte.
„Der Jäger kann doch mit dem Wolf reden und ihm das sagen, oder nicht, Vater?“ auch unser Sohn hatte diese oft pragmatische Denkweise, welche sicherlich nicht verkehrt ist, aber es ist schwer, dann weiter zu argumentieren. Vor allem wenn man an sein Alter dachte!
Es würde noch länger dauern, bis klein Kenway das alles verstand.
Endlich sah ich dann vor 3 Tagen die Zivilisation von Philadelphia und ich bestaunte die wunderschönen Gebäude aus Backstein.
Hier herrschte ein geschäftiges Treiben und man spürte eine gewisse Euphorie. Die Menschen lächelten, grüßten fröhlich. Sie waren „guter Dinge“ wie Haytham es ausdrückte.
Das eigentliche Anwesen des Dukes lag recht zentral und war ebenfalls ein großer Backsteinbau, mit dunkelgrünen Sprossenfenstern und gleichen Fensterläden. Die Auffahrt war nicht sehr lang und am Ende sah ich auf der linken Seite auch gleich den Stall und den Fuhrpark.
Wir hatten 4 Wachen wieder dabei, Walka war natürlich mit dabei und ansonsten die Kindermädchen, Magda und Michael. Meiner Kammerzofe ging es immer besser und sie sah mittlerweile rosig im Gesicht aus und strahlte dieses Mutterglück aus.
Man half uns aus den Kutschen und brachte Gepäck und Dienerschaft schon einmal unter, während Elias uns mit seiner Gattin im Salon begrüßte.
„Ahhhh, ich freue mich, dass ihr endlich einmal hier seid, Mistress Kenway, Master Kenway.“ eine tiefe Verbeugung und der Handkuss, dann setzten wir uns.
Frigg aber fragte zögerlich, ob sie Florence einmal auf den Arm nehmen dürfte. Meine Tochter sah sich die ganze Zeit mit großen Augen um und als ihr Blick auf die Duchess fiel, trat ein kleines Lächeln in ihr Gesicht.
„Du bist eine hübsche junge Lady, Florence. Aus dir wird einmal eine große Anführerin, weißt du das?“ flüsterte sie unserer Tochter zu und ich zog fragend eine Augenbraue hoch. „Ihr wisst doch, dass wir ihr Brünhild zur Seite gestellt haben, oder? Sie wird also zu einer Walküre erzogen und ausgebildet, natürlich nur im übertragenen Sinne.“ erklärte mir Frigg nun.
„Soweit hatte ich ehrlich gesagt noch gar nicht gedacht. Wir planen ja gerade mal ihre Taufe und die Weihe.“ meinte ich lachend, weil ich ein wenig überfordert war mit diesem Wissen.
„Wann soll Miss Florence in die Sippe aufgenommen werden?“ fragte Elias und sah dabei lächelnd zu Edward, welcher sich an seine Seite gesellte.
„Vor Weihnachten soll die Taufe stattfinden und ich würde das Julfest in Betracht ziehen. Das hatten wir ja auch schon erzählt. Ich denke, das wäre eine schöne Zeit für die Weihe.“ mein Blick ging zu Edward, welcher lächelnd an unseren Allvater gelehnt dastand. Dann sah ich, wie seine Augen leuchteten und ich wusste, er führte mal wieder eines seiner Zwiegespräche. Also störte ich die Herren nicht weiter.
Heute nun endlich begann unser Training, auch für Edward hieß es, seine Fähigkeiten auszubauen.
Wir standen zu viert, Odin, Haytham, Edward und ich, im Freizeitraum des Anwesens. Es war früher Morgen, die Sonne wollte gerade aufgehen.
„Ihr müsst euren Geist verschließen, wie ich es jedem von euch schon beigebracht habe. Stellt euch eine massive Mauer vor, welche aus mehreren Schichten Steinen und Mörtel besteht!“ begann der Allvater und sah von einem zum anderen.
Neben ihm erschien mein Pirat, aber in Gestalt des Heimdalls und Edward Juniors Pate manifestierte sich ebenfalls.
„Opaaaaaa… wollen wir…“ doch zu mehr kam mein Sohn nicht, weil der angesprochene ihn gleich maßregelte.
„Nein, du wirst jetzt erst lernen, wie du niemanden in deinen Kopf lässt und wie du falsche Bilder erkennen kannst, Edward! Also konzentrier dich!“
„Ja, Großvater…“ kam es mit gesenktem traurigem Blick von klein Kenway.
Ich stellte mir also besagte Mauer vor, errichtete sie wieder Stein für Stein, aber es war eine Sisyphusarbeit, weil immer wieder einzelne Teile herausbrachen. Vor Wut stampfte ich auf und muss wohl auch entsprechend derbe geflucht haben, ich hörte nämlich nur ein empörtes „Alex!“ von meinem Gatten. Ist mir doch egal… Also weiter, aber es wollte nicht funktionieren.
Plötzlich sah ich vor meinem inneren Auge eine leuchtend rote Gestalt auf mich zu kommen. In meiner Panik versuchte ich mich in meine kleine alte Dachkammer zurückzuziehen, kam aber nicht weit, da packte mich dieses Wesen und schleuderte mich regelrecht durch die Gänge!
Ich sah zu ihm auf und erstarrte. Es war Eugene Avdeyev! In mir stieg weiter Panik auf und ich versuchte wegzurennen, doch es war, als würde ich auf der Stelle treten.
„Du glaubst, du kannst mir so entkommen? Da musst du schon härtere Geschütze auffahren. Diese lächerliche Wand hält mich sicherlich nicht auf in deinen Geist zu kommen. Du kleines lächerliches Weibsbild!“ verhöhnte mich dieser Gott und lachte dabei wie verrückt.
„Das werden wir ja noch sehen! Du machst mir keine Angst…“ gerade als ich ausholen wollte zu einem Schlag, verschwand dieses rote Leuchten und vor mir erschien Haytham mit einem bösen Grinsen.
„Endlich haben wir mal Zeit alleine. Jetzt werde ich dir zeigen, was ich mit Verrätern und Lügnern mache.“ schrie er mich an und stürmte dabei mit gezücktem Schwert auf mich zu.
In meinen Händen spürte ich die wohligen Gewichte meiner Äxte und ging in die Defensive. Wollen wir doch mal sehen, wer hier wem eine Lektion erteilt. Immer wieder fühlte ich die Klinge meines Mannes an meinen Armen, den Beinen sogar einmal auf meiner Wange. Er war dabei mich mürbe zu machen, er wollte mich tot sehen… Na warte du kleines gelecktes Arschloch… und ich preschte vor und konnte einen Treffer landen. Aber ich hörte ein erschrockenes Aufjaulen und sah hinunter. Dort lag mein Sohn und hielt sich jammernd den Arm. Was…
Um mich herum begann sich eine Mauer zu errichten, immer höher, immer dicker und es fühlte sich an, als wäre ich in einem Bunker gefangen. Die Wänden rückten immer näher und drohten mich zu zerquetschen, während ich ein fieses Lachen hörte und mich an eine Seite drückte. In mir kam jetzt zu allem Übel auch noch die Platzangst hoch und mein ganzer Körper zitterte. Mein Verstand weigerte sich zu arbeiten.
Denk an deine Mantras, denk an deine innere Mauer! Verdammt, du kannst das! Ich habe dir in London schon gesagt, wie das geht! Und jetzt mach endlich! Schrie mich mein Pirat an.
Das war nicht real, das war nicht real… diesen Satz begann ich zu wiederholen, immer und immer wieder. Das war nicht real, nein. Ich würde nicht von diesen Steinen erdrückt werden. Ich würde hier herauskommen, in mein kleines Dachgeschoss gehen und die Türe schließen.
Ich atmete tief durch, sah vor mir einen Gang, welcher sich auftat. Ich konnte also diese Trugbilder aufhalten! Ich konnte es schaffen! Weiter, geh weiter. Sagte ich mir und machte einen Schritt nach dem anderen.
In einiger Entfernung sah ich eine Treppe, welche nach oben führte. An ihrem Ende bildete sich die rettende Tür.
Plötzlich tauchten wieder diese leuchtenden roten Punkte um mich auf und ich spürte kleine Einstiche wie von Nadeln! Es tat höllisch weh und als ich meine Arme und Beine besah, hätte man meinen können, man nutzte meinen Körper als Nadelkissen. In meiner Panik begann ich zu schreien und versuchte diese Nadeln abzustreifen. Es brannte wie Feuer und je länger ich damit zu tun hatte, um so weiter entfernte sich die Treppe wieder, der Gang wurde länger und vor allem dunkler.
„Nein, das ist nicht REAL!“ schrie ich mich selber an und ging einfach weiter. Scheiß auf diese Akupunkturfolter!
Weiter, geh weiter, geh weiter! Einen Fuß vor den anderen.
Mein Ziel kam wieder näher und in mir breitete sich Freude und Euphorie aus. Die erste Stufe, die nächste, immer weiter, immer höher.
„Na na na… du willst dich verkriechen wie ein kleiner Feigling? Was hatte ich auch erwartet. Eine dumme Gans wie du es bist, sollte auch besser aus meinen Augen verschwinden.“ dieses fiese Lachen in Avdeyevs Stimme brachte mich dazu, mich umzudrehen.
Aber ich sah ihn nicht, keine Aura, keine Gestalt…
„Wenn du mich suchst, ich habe es mir in dieser kleinen Kammer gemütlich gemacht. Vielleicht willst du nerviges Weib mir ja Gesellschaft leisten?“ erschrocken drehte ich mich zur Tür und starrte sie an. Nein, das konnte nicht sein….
Mit zitternden Händen öffnete ich vorsichtig die Dachkammer und lugte hinein. Hier herrschte totale Dunkelheit, das war nicht mein Rückzugsort. Nein!
Mit schnellen Schritten war ich die Treppe hinunter und kniete mich davor hin. Ich stellte mir die grauen Augen meines Templers vor, ich hatte diesen Moment im Kopf im Fort George damals. Meine Hand lag auf seinem Herzen und mein Blick war auf seine Augen gerichtet.
„Ich liebe dich und ich werde einen Weg finden!“ flüsterte ich und hatte Bilder meiner Kinder im Kopf. Das glückliche Gesicht von Yannick zu Weihnachten, oder Edwards fröhliches Gekicher, wenn er badete. Florence, welche mich mit ihren grünen Augen verschlafen ansah und am Daumen nuckelte.
Weiter… es funktioniert. Flüsterte mir Odin zu.
Mit einem Mal schoss eine Steinwand aus dem Boden empor und ich spürte, wie diese Barriere uns alle abschottete. Mit einem triumphalen Aufschrei schlug ich mit der Faust dagegen.
„Ja, es klappt! Ich kann es.“ jubelte ich, behielt aber immer diese Bilder im Kopf. Dieses Gefühl von Stärke durchströmte mich und ich fühlte, wie mein Verstand weiter wuchs. Er erweiterte sich sprichwörtlich und ließ mir entsprechend Raum für diese Dinge.
Genauso soll es sein… das war Tyr der zu mir sprach.
Langsam kam ich wieder im Freizeitraum an und sah mich um. Edward Junior saß auf dem Fußboden und spielte mit Walka, während mein Mann auf dem Sofa saß mit dem Kopf in die Hände gestützt.
„Du hast es also geschafft, eine Barriere zu erschaffen, die wirklich mehr als standhalten würde. Aber hast du auch herausgefunden, wie du Reales von Einbildung unterscheiden kannst, mein Kind?“ fragend sah der Duke auf mich herunter und ich schüttelte den Kopf.
„Nein, nicht so wirklich. Ich habe wieder einfach meiner Wut freien Lauf gelassen.“ musste ich zu meiner Schande gestehen.
„Genau wie ich auch, mi sol. Es tut mir leid, aber ich hatte ebenso dieses böse Gefühl in mir.“ auch Haytham sprach nur sehr leise und lehnte sich dann in die Kissen zurück.
Ich kniete mich zu Edward hinunter.
„Min lille skat, was hast du gesehen?“ lächelnd sah er mich an.
„Dich und Papa. Erst ward ihr böse auf mich, aber ich wusste, dass ihr mich lieb habt. Walka hat euch angeknurrt und dann ward ihr weg. Aber das ward ihr gar nicht, Mama. Du leuchtest anders.“ Diese sehr kindliche Erklärung war wirklich niedlich.
„Wie leuchte ich denn, Edward? Und… wie hat die andere Frau ausgesehen?“ vielleicht konnte er uns sogar helfen, herauszufinden, wie man den kleinen aber feinen Unterschied feststellte. Kinder hatten oft ein wesentlich feineres Gespür für so etwas.
„Papa ist wie die Sonne so hell und um dich fliegen immer leuchtende Wolken, Mama. Das ist hübsch!“ er widmete sich wieder seiner Hündin, welche mit dem Kopf auf seinem Schoß lag.
„Edward, aber weißt du noch, wie die beiden Menschen in deinen Gedanken aussahen?“ fragte jetzt mein Templer leise, so als hätte er Angst vor der Antwort.
„Das war ganz komisch, Papa. Du warst gar nicht so groß und du hattest so eine komische Nase.“ kicherte er und erzählte dann weiter. „Mama, du hattest so weiße Augen, das war unheimlich und du hast nicht so lecker gerochen.“
So ein Kompliment bekommt man doch gerne und ich gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke, min lille skat. Du hast uns ganz toll geholfen.“
„Darum geht es tatsächlich, diese falschen Erscheinungen haben kleine aber feine Unterschiede zu den realen Personen. Ihr müsst euch nur kurz auf das Aussehen, die Mimik oder eben, wie in Edwards Falle, den Geruch verlassen. Aber ich denke, für heute reicht es erst einmal. Wir haben schon späten Nachmittag und ich habe großen Hunger.“ mit dieser freudigen Aussage hob Odin meinen Sohn hoch und Walka folgte ihnen.
„Ich hätte dich schon wieder umbringen können.“ flüsterte ich, als ich vor Haytham stand.
„Nein, du könntest es nicht, das weiß ich. Diesen Ansatz mit dem genauen Beobachten, hatte ich auch schon und Edward hat recht. Dein Geruch war anders…“ seine grauen Augen sahen mich sorgenvoll an. „Ich will dich nicht verlieren und ich werde alles tun, damit ich diese Trugbilder endlich ausblenden kann!“ damit zog er mich zu sich auf den Schoß und küsste mich.
„Wir werden das hinbekommen, da bin ich zuversichtlich, mi amor. Ich will dich doch auch nicht verlieren.“ ich spürte seine Hand, wie sie unter meinen Röcken verschwand und sein Blick verdunkelte sich.
„Lass uns das später noch vertiefen, mi sol.“ kam es leicht krächzend aus seinem Mund. „Ich habe nämlich einen verdammt großen Appetit, nicht nur auf Essen.“ langsam ließ er mich auf meine Füße herunter und gemeinsam gingen wir zu den anderen ins Esszimmer.
Diese Zeitrechnung war etwas, was mich nicht losließ. Das Training hatte früh morgens angefangen, also waren wir fast 9 Stunden in dieser Gedankenwelt.
Elias erklärte es mir noch einmal so, dass ich mich nicht auf die weltliche Zeit verlassen sollte. Sie sei vergänglich und in unseren Köpfen liefe eine andere Rechnung dazu ab.
„Du hast es doch selber erlebt vor wenigen Wochen. Für dich waren es vielleicht nur eine oder zwei Stunden, aber in eurem Leben vergingen mehrere. Das ist aber etwas, was ihr nicht steuern könnt, sobald euer Geist infiltriert wird.“
Wirklich befriedigend war diese Antwort nicht, aber anscheinend mussten wir damit lernen zu leben.
Florence hatte uns natürlich schon vermisst. Als wir ins Esszimmer traten weinte sie und ich sah Erleichterung in Sophias Gesicht. Ich übernahm meine kleine Maus und wiegte sie hin und her, erzählte leise mit ihr, aber sie war weiter am Wimmern.
„Mi sol, lass mich mal.“ hörte ich meinen Mann neben mir und er nahm seine Tochter auf den Arm. Leise begann er mit ihr zu sprechen, strich ihr dabei sanft über die Wange und wanderte im Zimmer umher. Siehe da! Florence beruhigte sich und sah ihren Vater mit großen Augen an.
„Dann hatte ich mit meiner Aussage ja recht, mi amor. Du kannst unsere kleine Maus wirklich beruhigen. In Zukunft darfst du sie dann auch gerne mal zu Bett bringen.“ grinste ich und nahm schon mal Platz, denn mein Magen knurrte mittlerweile auch schon gewaltig.
Die gesamte nächste Woche verbrachten wir mit Training, ob mental oder körperlich.
Auch wurden unsere Wachen mit einbezogen, damit sie im Notfall ebenso schnell eingreifen konnten und wussten, womit sie es zu tun haben. Sie verpflichteten sich gleichzeitig damit, Stillschweigen zu bewahren und nur den anderen daheim gebliebenen Männern noch Anweisungen zu geben.
„Natürlich, Sir. Ihr könnt euch auf uns verlassen.“ kam es wie aus einem Mund.
Als Elias jedoch meinem Sohn einen Dolch in die Hand geben wollte, ging ich dazwischen.
„Nein, er ist noch zu jung dafür.“ entgegnete ich entrüstet, der Allvater hingegen grinste mich an.
„Ist er nicht! Vergiss nicht, was er bereits gelernt hat. Auch Edward hat ein Recht auf Verteidigung, mein Kind!“
Mir gefiel das überhaupt nicht und ich sah, dass Haytham ebenso seine Probleme damit hatte.
„Versteht mich nicht falsch, Elias. Aber sein Kampftraining sollte erst mit 5 Jahren beginnen.“ begann er, aber der Duke schüttelte nur weiter grinsend den Kopf.
„Vertraut mir.“ mehr sagte er nicht und kniete sich dann vor Edward hin, welcher die Waffe in seinen Händen bewunderte. „Wie fühlt es sich an, Edward?“
Mein Sohn sah mit leuchtenden Augen auf. „Kann ich damit auch ein Boot schnitzen, wie die die ich mit zum Baden nehme?“ ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen und durch den Raum ging ein einheitliches Glucksen.
„Natürlich geht das damit auch, aber in erster Linie ist dieser Dolch dafür da, damit du dich verteidigen kannst. Zeigst du mir einmal, was du schon gelernt hast von deinem Paten?“ ich hörte nun Odin aus der Stimme und war gespannt, was nun kommen würde.
Mit einer fließenden Bewegung, so als hätte jemand die Kontrolle über meinen Sohn übernommen, ging dieser in Angriffsposition. Stieß nach vorne auf ein imaginäres Ziel ein. Er zeigte einige Konter und parierte unsichtbare Angriffe, natürlich war das ganze noch recht unausgereift und wackelig. Aber dafür, dass dieser kleine Junge nicht mal drei war, sah es bereits gut aus.
Etwas erleichtert war ich schon, trotzdem würde Edward diesen Dolch in unserem Haus nicht immer bei sich tragen! Wie alle Waffen kamen sie in den Keller oder eben in den versteckten Schrank auf der Galerie.
„Das hast du gut gemacht. In den nächsten Wochen lernst du sicher noch mehr dazu.“ meinte Odin stolz und wuschelte durch die dunklen Haare meines Sohnes. Vor Stolz schien er mal wieder zu wachsen.
Mir wurde das Kämpfen mit den Äxten noch einmal näher gebracht und ich konnte die Taktiken verfeinern. Gar nicht so leicht mit zwei Waffen zu kämpfen, aber es gefiel mir irgendwie.
An einem Nachmittag, wir hatten vormittags das mentale Training gehabt, sah ich mich mit Odin, Heimdall, Tyr – naja, es war mein Mann - UND Thor konfrontiert.
„Jetzt beweise dich und zeig mir, wie du dich verteidigen kannst, mein Kind. Und vergiss nicht, dass du auch noch andere Waffen zur Verfügung und Verteidigung hast.“ kam es laut vom Allvater.
Und ohne weitere Worte war ich gezwungen vier Herren daran zu hindern, mich mit ihren Waffen zu treffen. Odin ging mit seinem Speer auf mich los, wohingegen Tyr und Heimdall Seite an Seite mit ihren Schwertern auf mich eindroschen. Thor hielt sich grinsend zurück, er schien auf seinen Moment zu warten und mir graute davor ehrlich gesagt.
Ich musste einige Treffer einstecken, welche auch wirklich bluteten und mich immer wieder aus meiner Konzentration rissen.
Irgendwann war mir das zu blöd und ich holte in Gedanken meinen Schild hervor.
„Ahhhh… aber das bringt dir auch nichts.“ höhnte Tyr und landete mit seinem Schwert auf meinem rechten Oberarm. Ich hätte fast meine Bartaxt fallen lassen.
Langsam wurde ich ungehalten und ich spürte, dass meine Vorfahrin weiter an die Oberfläche kam. Mit einem Male war es, als würde man mich aus dem Bild schubsen, aber ich konnte noch weiter zusehen.
Ich drosch auf die Herren ein, ohne Rücksicht auf Verluste. Ich wirbelte um sie herum, unter ihren Speeren hindurch und schlug mit meinem Schild zu. Es machte immer mehr Spaß, ich genoss diesen Rausch.
Rechte Hand zuschlagen, Schild hoch und dann damit auf den Gegner dreschen.
Plötzlich wichen alle drei zurück und vor mir baute sich der Donnergott auf mit erhobenem Hammer. Niedlich, ich dachte der wäre größer.
„Es kommt nicht auf die Größe an, Kind, sondern darauf wie man das Ganze geschickt einsetzt!“ grölte Thor und begann mich anzugreifen.
Holla, mit so einer Geschwindigkeit hatte ich nicht gerechnet und als mich dieser Hammer das erste Mal traf, dachte ich, mir fielen meine Knochen auseinander im Arm! Verdammt! Dazu kam so ein Klingeln in meinem Kopf, immer wenn diese Waffe geschwungen wurde. Ich konnte mich kaum noch auf den Kampf konzentrieren und dann sah ich dieses triumphale Grinsen im Gesicht meines Angreifers.
„Nicht immer nur Waffengewalt, Kind. Und jetzt… erlebe dein Ende!“ der Gott stürmte auf mich zu, riss mich zu Boden und holte tatsächlich zum finalen Schlag aus, wie es schien. Doch er hatte die Rechnung ohne mich gemacht. Ich war klein, gemein und gelenkig! Ich aktivierte meine versteckten Klingen und fuhr über beide Oberschenkel, mit denen er auf meinem Oberkörper kniete und mir die Luft zum Atmen nahm.
Mit einem lauten Aufjaulen fiel er zur Seite und ich sah, wie die anderen drei Götter mit offenen Mündern dastanden.
„DAS hat noch keiner im Training gewagt!“ hörte ich Odin leise sagen.
„Ich wollte gerne noch meinen Kopf behalten. Also… hopp, hoch mit dir. Wir sind noch nicht fertig.“ hörte ich mich sagen und stupste den auf dem Boden sitzenden Gott an.
„Du bist ganz schön frech, dir muss man mal wieder Manieren beibringen!“ kam es von allen vieren und schon ging das fröhliche aufeinander einschlagen weiter.
Es mag sich wirklich eigenartig anhören, aber ich hatte richtig Spaß dabei, auch wenn ich einige Schnittverletzungen, blaue Flecke und ich befürchtete eine verstauchte Hand davon tragen würde.
Doch irgendwann beendet der Allvater das Training und als ich langsam wieder in meinen Körper eintauchte, bemerkte ich, dass auch Haytham wieder er selbst war. Auch er würde mit einigen Blessuren morgen aufwachen und ich strich ihm vorsichtig über die Wange.
„Es tut mir leid, mi amor. Aber du hast angefangen…“ grinste ich breit und erntete eine hochgezogene Augenbraue.
„Ich werde mich schon sehr bald revanchieren, mi sol. Keine Sorge.“ und ich hatte seine flache Hand auf dem Hintern, was den anderen Herren hier ein anzügliches Lachen entlockte.
„Vielleicht sollten wir euch das Haus heute Nacht alleine überlassen…“ hörte ich Elias glucksend neben uns. „Aber lasst uns jetzt auf diesen Erfolg anstoßen, ihr habt euch beide bewiesen beim Kämpfen und ich muss sagen, dass du unseren Thor so zu Fall gebracht hast, ist schon bemerkenswert. Kaum einer traute sich das bisher. Aber keine Sorge, seine Verwundung ist bereits verheilt.“ kam es noch mit Nachdruck, damit ich beruhigt sein konnte.
Erst jetzt besah ich meine eigenen Verletzungen, auch sie waren nicht mehr zu sehen. In meinem Kopf hörte ich Edward Juniors Stimme. Ich habe euch heile gemacht, Mama! Ja, er war schon ein kleiner Schatz und ich seufzte tief. Danke, min lille skat.
Oben im Salon erwarteten uns unsere Kinder bereits und Edward stürmte auf uns zu.
„Hab ich das gut gemacht, Mama?“ fragte er aufgeregt.
„Ja, das hast du. Schau mal, nichts mehr zu sehen! Und auch bei deinem Vater ist nichts mehr auszumachen. Komm her und lass dich drücken, min lille skat.“ ich schlang meine Arme um ihn und hob ihn hoch. Haytham gesellte sich zu uns und gab seinem Sohn auch noch einen Kuss als Danke.
Florence wurde von dem Tumult wach und Sophia hob sie aus ihrem Körbchen. Auch bei ihr hatte man den Eindruck, sie wuchse stündlich und ihre Haare begannen zu sprießen. Vorsichtig strich ich ihr über das kleine Köpfchen und gab ihr einen Kuss.
Man ließ uns noch eine kleine Stärkung zukommen und wir konnten den Tag in Ruhe ausklingen lassen.
Unsere Wachen hatten ihre Positionen wieder eingenommen und ich hoffte, dass sie nicht allzu verwirrt seien, was dieses neue Wissen anging.
Ich nutzte einen „freien“ Nachmittag und machte mich mit meiner Zofe auf durch die Straßen von Philadelphia. Ich suchte nach einem passenden Geschenk für Edward, so wirklich fiel mir nichts ein. Im Grunde hatte er so wahnsinnig viel Spielzeug, dass er gar nicht mit allem spielen konnte.
Also ließ ich mich einfach treiben, vielleicht stach mir ja etwas ins Auge und gab mir einen Geistesblitz.
Magda selber erstand ein wunderschönes kleines Kleid für ihr Kind, was mich schmunzeln ließ.
„Ihr wisst, dass ihr ein Mädchen bekommt, Magda?“ fragte ich also neugierig.
„Ich wünsche es mir, wenn es natürlich ein Junge wird, ist es nicht schlimm. Aber… ich hätte gerne ein kleines Mädchen.“ mit einem verträumten Blick besah sie das Kleid vor sich. Wie gut ich sie doch verstehen konnte.
Wir kamen an einem kleinen Laden vorbei, welcher Besteck und Geschirr anbot. Plötzlich hatte ich diese Idee, beiden Kindern ihr eigenes Essbesteck gravieren zu lassen. Ich selber hatte auch zu meiner Taufe so etwas bekommen. Der Herr in dem Geschäft zog sich dann nach hinten zurück, als ich fündig geworden war, um die Initialen in die Griffe zu bringen.
Ich weiß, es ist nur ein nützliches Geschenk und würde noch nicht richtig gewürdigt werden, aber es ist einfach schwer, jemandem etwas zu schenken, der im Grunde schon alles hat.
In einem nächsten Geschäft erstand ich ein Bilderbuch für Edward. Er fand so etwas immer interessant, vor allem wenn, wie hier auch, Tiere darin vorkamen. Somit waren wir mit dem Einkauf fertig und gingen wieder zurück.
Ein paar Tage später verabschiedeten wir uns dann. Wir mussten daheim noch die Taufen und die Weihe vorbereiten. Außerdem stand ja auch noch der Geburtstag meiner Männer bald an.
Der Rückweg war etwas angenehmer, weil es nicht regnete und es war auch noch nicht zu kalt. Obwohl es schon Anfang November war, schien die Sonne recht kräftig und wärmte uns bei jeder Rast.
Leider mussten wir mit den selben Tavernen und Gasthäusern Vorlieb nehmen, wie auch schon auf dem Hinweg. Mistress Lestrange hatte es sich aber nicht nehmen lassen, uns ein paar Kleinigkeiten als Wegzehrung mitzugeben. Diese retteten uns tatsächlich vor dem gefühlten Hungertod.
Daheim angekommen, schnippte ich mir in der Eingangshalle die Schuhe von den Füßen, atmete tief durch und ging dann gleich nach oben.
Meine Sachen waren staubig und ich fühlte mich schmutzig.
Die Mädchen begannen damit die Truhen auszuräumen, die Dreckwäsche zu sortieren und ich ließ ein Bad für uns alle richten. Auch Edward musste dringend gründlich gebadet werden.
Mein Mann leistete uns dann ein paar Stunden später auch Gesellschaft und ich war erstaunt, wie gerne Florence im Wasser planschte.
Edward schipperte mit seiner Jackdaw herum und ab und an sah man, dass er eindeutig der Enkel meines Piraten war. Seine Mimik und seine recht ungezügelte Zunge waren nicht zu leugnen.
Als dann aber unser kleiner Engel müde wurde, beschlossen wir, die Badestunde zu beenden. Schnell zog ich mir einen Morgenrock über, genau wie Haytham und dann übergaben wir die sauberen kleinen Kenways ihren Kindermädchen, damit sie angekleidet werden konnten.
Als ich selber wieder in sauberen Sachen, besser gesagt in mein Nachthemd, gehüllt war, ließ ich mich seufzend auf dem Bett nieder.
„Ich habe unser Zuhause wieder vermisst, mi amor. Auch wenn ich gerne mal woanders bin, aber ich komme auch genauso gerne wieder zurück.“ etwas gedankenverloren strich ich über die Decke und Haytham kletterte hinter mir aufs Bett.
„So sollte es ja auch sein, mi sol. Als ich die Plantage damals gekauft habe, hatte ich ebendiese Hoffnung, dass du gerne hier leben würdest.“ hauchte er in meine Halsbeuge und zog mich zu sich an die Brust.
„Du hast einen guten Geschmack bewiesen. Außerdem bin ich gerne hier, weil du ebenfalls hier bist! Das ist ein sehr netter Bonus.“ flüsterte ich und drehte mich etwas zu ihm um.
Haytham zog mich ganz auf die Matratze, schob mein Nachthemd über meine Oberschenkel und ließ sich zwischen meine Schenkel gleiten.
Dann solltest du mir jetzt noch mehr danken, Mistress Kenway. Diese raue Stimme in meinem Kopf ließ mich dahin fließen. In aller Seelenruhe drang er in mich und es war wieder dieser friedliche Moment zwischen uns, der mich schneller als mir lieb war, über die Schwelle brachte.
Nach diesen Wochen Abstinenz war es eine Wohltat meinen Mann wieder zu spüren und ich freute mich auf eine Fortsetzung später, wenn unsere Kinder schliefen.
Mittlerweile hatte mir Madame de L'Isle auch geantwortet und war nicht ganz so angetan von meinen neu kalkulierten Preisen, musste aber doch zugeben, dass Sicherheit etwas kostete. Sie würde es bei den Kunden wieder draufschlagen. Ja, das glaubte ich ihr aufs Wort. Außerdem verkündete sie, dass sie im neuen Jahr, vermutlich März oder April uns einen Besuch abstatten wird mit ihrem Gatten, vielleicht würde auch Aveline mit anreisen. Madeleine würde gerne unsere Tochter kennenlernen.
Als ich Haytham davon berichtete, grinste er mich breit an.
„Ich hoffe, dass sie nicht allzu lange bleibt. Ihr Gatte ist mir tausendmal lieber als sie. Vor allem bin ich gespannt, wie sich seine Tochter bisher so macht. Wobei Monsieur de Granpré ja gar nichts von den Templern und Assassinen weiß." kurz zog er fragend die Augenbrauen zusammen.
„Er muss ja auch nichts davon erfahren."
Mit unserem Prediger und Mildred hatte ich den Termin für die Taufen abgesprochen. Es sollte der 14. Dezember sein, weil ich noch ein wenig Zeit einplante nach den Geburtstagen von Haytham und Edward. Wir wussten nicht, wer alles zu Besuch käme. Ich musste also erst einmal alles in Erwägung ziehen.
Die Weihe setzte ich auf den 21. Dezember, der kürzeste Tag im Jahr. So war es zumindest immer bei uns und es war der Geburtstag meines Großvaters. Ich hatte mit Eheleuten Jomphe bereits kommuniziert und sie herzlich eingeladen. Ob sie es jedoch rechtzeitig schaffen würden, war fraglich.
„Macht euch aber keine Sorgen, wir sind ansonsten im Geiste bei Florence." Laurette versprach mir aber, dass sie im nächsten Jahr auf jeden Fall hierher reisen würden. Spätestens an meinem Geburtstag sollten wir mit ihnen rechnen. Diese Nachricht freute vor allem Edward!
Dann standen die Geburtstage ins Haus und wie jedes Jahr, stand ich für einen kurzen Moment in der Tür zum Salon und hatte das Bild von damals im Kopf.
„Mi sol, vermutlich wirst du es noch vor dir sehen, wenn unser Sohn verheiratet ist und selber Kinder hat." lächelte mich Haytham an, welcher aber genauso gedankenverloren aussah.
„Auf jeden Fall werde ich das. Er wird schon drei Jahre alt. Die Zeit rennt einfach so dahin, mi amor." flüsterte ich und musste ein paar Tränen unterdrücken. Ich hatte derzeit etwas nahe am Wasser wieder gebaut, weil meine Tage anstanden und die Hormone mich ärgerten.
Als ich aber die Arme meines Mannes um mich spürte, wurde mir wohler ums Herz und ich schmiegte mich an seine Brust.
„Will auch kuscheln." kam es beleidigt von unserem Sohn, welcher am Hosenbein seines Vaters zerrte.
„Wie heißt das, Edward?" mit den Händen in die Hüfte gestemmt, stand mein Mann vor seinem Sohn, welcher dabei mit den Augen rollte.
„Ich möchte auch kuscheln, Vater." ich wartete noch auf das „Ist das jetzt besser!" aber es kam nicht. Die Erziehung zeigte also Wirkung. Trotzdem konnte ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen.
„Es ist aber jetzt Zeit fürs Bett, min lille skat. Du hast morgen Geburtstag und du möchtest doch sicherlich deinen Kuchen bekommen, oder?" fragte ich leise und strich ihm durch die Haare.
„Machst du den Kuchen, Mama?" ich sah zu Haytham, welcher in diesem Moment selber mit den Augen rollte und schon zu einer Antwort ansetzte. Aber ich kam ihm zuvor.
„Soll ich das, Edward? Aber ich bin nicht so gut im Backen wie Miss Tabea. Du magst doch ihren Kuchen oder?" ein Leuchten in seinen Augen und er nickte eifrig.
„Lecker ist der. Ich hab noch Hunger, Vater." meine beiden Männer stiefelten also noch in die Küche und ich vermutete, dass es jetzt noch ein Plätzchen gab. Auch wenn ich das nicht gutheiße so kurz vorm Schlafen.
Ich ging schon einmal hinauf zu Florence, welche in ihrem kleinen Bett lag. Auch sie war recht schnell gewachsen und brauchte die Wiege nicht mehr.
„Na min lille engel. Du bist ja noch wach." flüsterte ich und kniete mich neben sie. Bei meinen Worten begann sie mit Armen und Beinen zu fuchteln und gluckste vor sich hin.
„Mistress Kenway, Miss Florence wird ebenfalls schon mobil. Vorhin hat sie sich alleine umgedreht, ich kann von Glück reden, dass ich an der Kommode stand. Sonst wäre der kleine Engel heruntergerollt." Sophia sah mich entschuldigend an.
„Vielleicht solltet ihr sie ab jetzt lieber auf dem Boden oder dem großen Bett hier wickeln. Da kann nicht soviel passieren, Sophia."
Ich sang meiner Tochter noch etwas vor, wusste aber, dass sie erst Ruhe gab, wenn auch Haytham ihr einen Gute-Nacht-Kuss gegeben hatte. Dieses kleine Mädchen hatte ihren Vater um den Finger gewickelt und liebte ihn über alles.
Und wenn man vom Teufel spricht, erschien besagter Mann im Zimmer und ich ging hinüber zu Edward. Als ich an meinem Templer vorbeiging, bekam er auch noch einen Kuss.
„Du schmeckst nach dem guten Wein, mi sol." hauchte er und strich mir über die Wange. Ich konnte meine Finger nicht stillhalten und kniff in seinen Po, was mir ein Grinsen einbrachte.
„Mama, warum habe ich mit Papa zusammen Geburtstag?" und jetzt finde darauf mal eine Antwort.
„Das war Zufall, min lille skat. Ich wusste es ja nicht genau. Bei deiner Schwester war es auch nicht ganz klar, wann sie zu uns kommen möchte. Aber ich habe mich sehr gefreut, dass du mit deinem Vater zusammen feiern kannst." meinte ich lächelnd und strich ihm über sein rotbäckiges Gesicht.
„Ich habe mich auch darüber gefreut." dieser Tonfall ließ mich kichern, er klang so ernst.
„So und jetzt schlaf, min lille skat." ich beugte mich herunter und gab ihm einen Kuss. Plötzlich zog er mich zu sich herunter und flüsterte in mein Ohr.
„Ich hab dich lieb, Mama!" langsam ließ er sich wieder in die Kissen zurückgleiten. Sein Lächeln trieb mir die Tränen in die Augen.
„Ich dich auch, mein Schatz! Gute Nacht."
Vor der Tür konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten und ließ sie einfach laufen.
„Mistress Kenway, ist etwas passiert, geht es euch nicht gut?" hörte ich Sybill neben mir und ihr Arm legte sich um meine Schultern.
„Mir geht es gut, Sybill. Aber diese Momente mit Edward, wenn er so kuschel bedürftig ist und so lieb ist... dazu kommt, dass sein Geburtstag ansteht und..." ich schniefte so vor mich hin.
„Das kenne ich zu gut. Lasst es einfach raus. Das sind Gefühle, die vermutlich nur eine Mutter nachvollziehen kann." flüsterte sie leise und strich mir über den Rücken.
„Danke, Sybill. Ich denke, ich werde mich jetzt auch zurückziehen. Passt gut auf meinen kleinen Schatz auf."
Der nächste Morgen kam wie so oft, einfach zu früh, oder besser, Edward war zu früh auf den Beinen. Mit lautem Poltern, ohne Anklopfen, stürmte er in unser Schlafzimmer und warf sich aufs Bett.
„Papaaaa, aufstehen. Du hast Geburtstag! Hab dich lieb. Krieg ich Kuchen, Mama?" verschlafen schlug ich die Augen auf und sah ihn böse an.
„Guten Morgen, min lille skat. Ich wünsche dir alles Liebe zu deinem Geburtstag. Aber nein, den Kuchen bekommst du erst beim Frühstück!" müde gähnte ich herzhaft und drehte mich zu Haytham, welcher schwer atmend dalag und vermutlich gerade seine Wut versuchte unter Kontrolle zu bringen.
Edward bemerkte jetzt seinen Fehler und sah betreten drein.
„Schuldige, Vater." damit kuschelte er sich an ihn.
Tiefes Ein- und Ausatmen war von meinem Mann zu hören, ein Seufzen und dann sprach er endlich.
„Guten Morgen, mein Sohn. Ich wünsche dir auch einen schönen Geburtstag. Aber solltest du noch einmal mit so einem Lärm hier hereinplatzen, ziehe ich andere Seiten auf. Hast du das verstanden?"
Nickend meinte unser Sohn, er habe das verstanden und entschuldigte sich noch einmal. Er war halt aufgeregt, wer war das nicht an solchen Feiertagen?
Unten im Wintergarten stand das Personal schon bereit um die beiden zu beglückwünschen. Ich sah erleichtert, dass Edwards kleiner Geburtstagskuchen schon auf dem Tisch stand. Aber nicht nur ich sah das, auch er selber und wollte schon wieder losrennen, als er den mahnenden Blick seines Vaters sah.
Florence fütterte ich während ich selber frühstückte und langsam wurde ich auch richtig wach. Gerade als ich das Fläschchen erneut ansetzen wollte, weil ich Luft hineingelassen hatte, schob meine Tochter diese beiseite.
„Min lille engel, hast du keinen Hunger mehr?" etwas besorgt betrachtete ich sie, konnte aber nichts feststellen. Sie saß jetzt zappelnd auf meinem Schoß und deutete die ganze Zeit auf ihren Vater. „Willst du zu deinem Vater, Florence?"
„Daaaaaaaaa..." kam es freudig und ich sah zu Haytham.
„Da möchte dir jemand Gesellschaft leisten, mi amor. Leg die Zeitung beiseite, die kannst du später noch lesen." damit reichte ich ihm seine Tochter, welche fröhlich begann zu quietschen.
„Willst du auch Kuchen, Flo?" Edward war näher gerückt und hielt ein kleines Stückchen in der Hand. Wie selbstverständlich griff sie danach und mümmelte darauf herum. „Schau mal, ich habe ihr das richtige Essen gezeigt." mit stolz geschwellter Brust saß unser Sohn am Tisch und sah von einem zum anderen.
„Das hast du gut gemacht, min lille skat. Aber jetzt musst du auch selber essen." ermahnte ich ihn und sah wie Florence fasziniert mit diesem Kuchen experimentierte. Hinein in den Mund, wieder hinaus, ansehen und dann wieder in den Mund. Appetitlich geht anders, aber jeder hat mal klein angefangen.
Dieser Tag verging recht ruhig, wir hatten am Nachmittag ein paar Gäste, sprich die Nachbarn waren erschienen und einige der Pächterkinder waren hier und spielten draußen miteinander.
Während des Mittagessens, bekam Florence dann auch eine gestampfte Kartoffel, welche sie gierig aß und mal wieder war ich über diese schnelle Entwicklung erstaunt. Man könnte meinen, dass die Kinder ab einem gewissen Alter plötzlich „erwachten" und dann rasant weiterlernten.
Am Abend brachte ich die beiden ins Bett.
Ein völlig erschlagener Edward Junior sah mich aus halb geschlossenen Augen an.
„Mama, das war schön mit den anderen Kinder zu spielen. Darf ich morgen auch wieder raus und spielen?" gähnte er mich an.
„Natürlich, min lille skat. Aber Mrs. Wallace wird dich begleiten und ein Wache. Ich sehe schon, Walka ist auch schon bereit." lachte ich und gab ihm einen Kuss.
„Walka... lieb habe..." und dann war er eingeschlafen. Die Hündin hatte sich wie immer am Fußende zusammengerollt und wachte über ihr Herrchen.
Aus dem Nebenzimmer vernahm ich lautes Weinen und ahnte schlimmes. Das Essen war Florence wohl doch auf den Magen geschlagen. Doch weit gefehlt, sie wollte sich nur nicht von Sophia wickeln lassen, welche alle Hände voll zu tun hatte, den kleinen Wirbelwind festzuhalten.
„Miss Florence, so haltet doch still..." als das Kindermädchen mich sah, entschuldigte sie sich für dieses Theater.
„Ihr könnt doch nichts dafür. Florence, komm. Du brauchst eine saubere Windel und dann ist Schlafenszeit!" dieses kleine Mädchen war wirklich schon eine richtige Zicke. Nach einer gefühlten Ewigkeit, einigen Flüchen und etwas erhobener Stimme, war sie sauber angezogen.
„So, nun ist aber gut." gerade als ich ihr vorsingen wollte, begann sie wieder laut zu weinen und brüllte „Daaaaaaaaa!" oh nein... sie wollte wirklich, dass Haytham sie zu Bett brachte? Was machte ich denn, wenn er einmal unterwegs war? Ach egal, darüber könnte ich mir dann Gedanken machen. „Also schön, ich hole deinen Vater." sagte ich leise, gab ihr einen Kuss und ging hinaus auf die Galerie.
Ich fand meinen Gatten in seinem Arbeitszimmer. In der Tür räusperte ich mich und sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
„Mi amor, da ist eine zickige Dame, die dich erwartet, damit du ihr Gute Nacht sagst." in meiner Stimme klang so viel Zynismus wie ich hinein packen konnte.
„Alex, bitte. Das kann doch nicht dein Ernst sein, oder? Sie wird schon einschlafen, ich schaue dann später nach Florence." er widmete sich wieder seinen Papieren.
Wütend stampfte ich auf ihn zu und legte meine Hände auf den Schreibtisch.
„Du gehst JETZT hinauf! Deine Tochter kennt noch keine Zeitrechnung und ich will nicht, dass sie sich in den Schlaf weinen muss." schon wieder traten mir die Tränen in die Augen, denn dieser Gedanke war grausam. Ich hatte auch Yannick nie wissentlich weinen lassen, es sei denn ich stand unter der Dusche und er erwachte früher aus seinem Schlaf. Aber er, Edward und auch Florence konnten sich darauf verlassen, dass ich zur Stelle war.
„Ist ja schon gut. Du meine Güte, du machst mir gerade ein schlechtes Gewissen." er sah mir trotzig in die Augen, stand dann aber auf und ging zu Florence.
Ich holte mir aus der Küche eine Flasche Wein und zwei Gläser. Damit bewaffnet ging ich in unser Schlafzimmer und ließ mich von Magda für die Nacht fertig machen. Etwa zwei Stunden später erschien mein Mann, zog sich aus und warf sich seufzend aufs Bett.
„Du hast nicht bis gerade eben bei Florence gesessen, oder?" fragte ich vorsichtig, weil ich befürchtete, seine Stimmung könnte gerade in einem sehr tiefen Keller sein.
„Nein, ich habe noch über einigen Verträgen und Blaupausen gebrütet." kam es unwirsch von ihm.
Ich kniete neben ihm auf dem Bett und sah ihn an.
„Mi sol, wartest du auf etwas bestimmtes?" noch immer klang er recht wütend, also stand ich auf, goss uns zwei Gläser ein und krabbelte dann wieder zu ihm aufs Bett.
Sein Blick wurde skeptisch, aber er nahm den Wein entgegen. Langsam schob sich Haytham ans Kopfende hoch und musterte mich seinerseits.
„Du machst mir Angst, wenn du nichts sagst, Alex." oh ja, auch ich konnte ihn verunsichern und genoss es gerade tatsächlich einmal. Nur das Warum erschloss sich mir in diesem Moment nicht, es war einfach ein sehr kribbeliges, wohliges Gefühl.
Mit einem einzigen Zug leerte ich mein Glas und Haytham tat es mir gleich. Ich nahm es ihm ab, während ich mich auf seinem Schoß niederließ und die Gläser auf seinen Nachttisch stellte.
Ich nahm sein Gesicht in meine Hände und begann ihn zu küssen, erst langsam und vorsichtig. Als ich sicher sein konnte, dass mein Mann ebenso Sehnsucht hatte, wurde ich fordernder.
Sein Atem ging schwerer, seine Hände wanderten über mein Oberschenkel zu meinem Po und massierten ihn. Ich zog mein Nachthemd aus, ließ ihn aber nicht aus den Augen.
„Zieh mein Hemd aus!" kam es plötzlich und ich tat, wie mir geheißen. „Ich will dich haben, Alex." vorsichtig hob er mich an und ließ sich dann in mich gleiten. Es war eine Erlösung! Diese Nacht gehörte meinem Mann, ich zelebrierte nun noch ein wenig seinen Geburtstag. Irgendwann hörte ich ein lautes Aufstöhnen, immer noch hatte er seine Hände in meinen Haaren und ließ mich ihn schmecken.
Er hatte es sich verdient, wie ich finde.
Die beiden Taufen waren ein großes Spektakel für alle Anwohner und wir feierten die Kinder ausgiebig. Mr. Hathaway hatte eine wundervolle kleine Rede vorbereitet für Bartholomeus und Florence, welche aber einen Teil der Zeremonie verschliefen. Es war eigentlich Zeit für den zweiten kleinen Morgenschlaf, was aber dem ganzen Prozedere keinen Abbruch tat. Der Prediger ließ sich nicht beirren und machte einfach weiter.
Anschließend fand ein Essen in der hiesigen Taverne statt, was einfach fantastisch schmeckte!
Gegen späten Nachmittag zerstreute sich die kleine Gemeinde und wir gingen ebenso nach Hause. Mildred bedankte sich immer wieder, dass es diese Doppeltaufe gab und sie war dankbar und überhaupt. Ihre Jungs waren oft bei uns und spielten mit Edward, welcher mittlerweile schon recht gut wusste, was er will und was nicht. Aber er musste auch lernen, dass andere genauso einen Willen hatten. Des öfteren beobachtete ich diese Auseinandersetzungen, griff aber nicht ein. Sie mussten das untereinander ausmachen.
Dann stand Florences Weihe an und wie bei Edward auch, fand diese unter der großen Weideneiche statt. Wir hatten dieses mal jedoch darauf verzichtet, alles schon einen Tag vorher dort zu platzieren, weil es immer wieder schneite.
Am 21. Dezember morgens erschienen der Duke of Ironside mit seiner Gattin und zu meiner großen Freude überraschten uns auch die Eheleute Jomphe! Edward war ganz aus dem Häuschen und hüpfte die ganze Zeit um Idun herum. Sie hatte seine Entwicklung gelobt und meinte, dass sie ihm bald noch mehr zeigen könne. Er müsse aber dafür jetzt lieb sein. Wie aufs Kommando verhielt sich unser Sohn ab da den ganzen Tag ruhig und war das liebste Kind. Könnte ich bitte auch solche Tricks haben?
Am späten Nachmittag, als es langsam dunkel wurde, brachte man die Feuerschalen, den Tisch und alle Utensilien nach draußen. Die Bediensteten hatten einen Weg zum Baum freigeschaufelt und mit Fackeln bestückt.
Es war ein wundervoller Anblick, als wir, alle in dicke Mäntel und Umhänge gehüllt, von der Terrasse traten. Florence war auf dem Arm ihres Vaters und auch ihre Augen strahlten.
Wie schon beim letzten Mal, begann Odin die Weihe einzuläuten und es folgten die üblichen Ritualsprüche. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich das Wasser aus dem Fluss kurz vorher noch habe anwärmen lassen! Sonst würde meine Tochter einen Kälteschock auf ihrem doch recht kahlen Köpfchen bekommen.
Odin begann die Aufnahme meines Kindes in die Sippe.
Am Nornenbrunnen
Eine Eibe ewig wächst
Hoch in Himmels Hauch,
Tau tropft talwärts,
Drunten im Dunkel ein Brunnen.
An des Weltbaumes Wurzel
Sitzen und spinnen
Verhüllten Hauptes
Drei Schicksalsfrauen,
Die schweigsamen Nornen:
Urd, Verdandi und Skuld
Was Wurde, das Werdende und was nun Wird.
Florence, Dein Gang zur Quelle des Lebens hat Dich zu uns geführt. Und so versammeln wir uns heute hier, um Dich im Wasser zu weihen - als Zeichen Deiner feierlichen Aufnahme in unsere Sippe.
Komm' an den Quell,
Weih' deiner Seele,
Wecklieder, leise;
Wirst dann verstehen
Botschaft deiner Ahnen:
Wahrhaft und wert!
Liebe Florence, wir nehmen Dich auf und begrüßen Dich in unserer Mitte, auf der heiligen Mutter Erde, die uns trägt und nährt, im Kreise aller Wesen und im Kreise unserer Sippe. Wir weihen Dich mit dem Wasser des Lebens. Es ist das Wasser Deiner Heimat, es stammt aus dem James River, der an Deinem Geburtsort fließt.
Das warme Wasser lief durch unsere Finger auf den Kopf von Florence bei diesen Worten und völlig fasziniert sah sie auf die kleine Schale, wo sich ihr Gesicht spiegelte.
Bragi begann dieses Kind zu segnen und dann war auch sie in unsere Reihen aufgenommen.
Doch noch fehlte die Patin meiner Tochter. Brünhild erschien, durchschimmernd auf einem Pferd. Gekleidet in ein weißes Kleid, aber mit Brustpanzer, Schwert und Schild bewaffnet. Sie stieg ab und legte vorsichtig ihre Hand auf die Brust von Florence.
Man sah, wie sich Zeichen auf ihrer Haut auftaten, welche genau konnte ich nicht deuten. Ich kannte sie leider nicht.
Das Zeichen der Walküren, mein Kind. Sprach mein Allvater in meinem Geist.
So leise wie die Walküre gekommen war, so leise verschwand sie auch wieder und meine Tochter sah ihr mit großen Augen hinterher.
Mit einem Male dröhnte Odins Stimme durch die Dunkelheit und löste den Festkreis damit auf. Leider hatte er damit unsere Tochter erschreckt, die jetzt lautstark weinte. Frigg nahm sie auf den Arm und wiegte sie hin und her und sang. Langsam wurde das Weinen weniger und Florence war eingeschlafen.
Wir gingen nun alle wieder hinein, weil es doch recht frostig wurde und wärmten uns vor dem Kamin auf. Unsere Kinder wurden ins Bett gesteckt und wir Erwachsenen ließen den Abend mit netten Geschichten ausklingen.
In diesem Jahr waren wir für den Silvester-Empfang verantwortlich. Es war ein voller Erfolg und unsere Gäste verließen uns am darauffolgenden Tag mit zufriedenen Gesichtern.
Mr. Doyle verkündete dann noch stolz, dass seine Gattin in anderen Umständen sei und er sich auf den Nachwuchs freute. Wenn auch recht spät, wie er lachend betonte. Da hatte er recht, er war bereits Mitte 50 und Mrs. Doyle mochte so an die 40 sein. Ich wünschte noch viel Glück und eine gute Geburt, weil wir nicht genau wussten, wann wir uns wieder sehen würden.
Das neue Jahr begann trist und grau. Meine Laune war im Keller, ich hatte meine Tage und meine Tochter wurde immer mehr die Prinzessin auf der Erbse. Haytham begann sie nach Strich und Faden zu verwöhnen. Dort wo er noch vor kurzen gemeckert hatte, ich solle sie auch mal weinen lassen, sprang er sofort auf und eilte zu ihr.
Beim Essen wollte sie nur noch bei ihm auf dem Schoss sitzen, sie aß nur das, was ihr Vater ihr gab und Abends durfte ich gnädigerweise noch vorsingen. Einschlafen ging aber nur, wenn mein Mann nach ihr gesehen hatte.
Oft saß ich im Salon und stöhnte vor mich hin, weil es so anstrengend war.
Auch Edward ging es mit dieser Situation nicht gut, ich spürte, dass er immer wütender auf seinen Vater wurde. Eines Abends brach sich das auch Bahn, gerade als wir beim Essen saßen.
„Vater, warum magst du mich nicht mehr?“ in diesen Worten klang eine enorme Wut mit, aber ich sah, wie klein Kenway sie zügelte und sich versuchte zu beherrschen. Er hatte wirklich gut gelernt von Thor.
„Wie kommst du darauf, Edward?“ das war echtes Erstaunen, weil er es noch nicht bemerkt hatte, oder nicht bemerken wollte. Auch wenn ich ihn schon ein paar Mal dezent auf dieses Verhalten hingewiesen hatte.
„Mich tadelst du immer, aber Florence wird nie geschimpft.“ jetzt traten Tränen in seine Augen und ich konnte nur schwer an mich halten, ihn nicht postwendend in den Arm zu nehmen.
„Deine kleine Schwester hat ja auch noch nichts anstellen können, dafür ist sie noch zu klein. Du hingegen gehorchst nicht immer, wie gestern, wo du einfach wieder in meinem Arbeitszimmer dir die Federkiele genommen hast.“ mit hochgezogener Augenbraue musterte er seinen Sohn.
„Deswegen hast du mich nicht mehr lieb?“ kam es jetzt laut schniefend und ich stand auf. Ich konnte das nicht mit ansehen!
„Wie in drei Teufels Namen kommst du denn darauf, Edward? Natürlich hab ich dich lieb, genau wie deine Mutter und deine Schwester!“ Haytham sah mich kopfschüttelnd an, ich sollte Edward jetzt nicht in den Arm nehmen, ich tat es dennoch.
„Ich denke, ihr beide solltet für einen Moment für euch sein.“ sagte ich leise, gab Edward einen Kuss auf die Wange, nahm Florence von Haythams Schoß und ging dann hinauf in ihr Zimmer.
„Du verziehst deinen Vater, min lille engel. Er hat einen Narren an dir gefressen, wie machst du das nur?“ natürlich erhielt ich keine Antwort, ich hatte auch keine erwartet. Nur ihre grünen Augen sahen mich aufmerksam an.
„Ma…“ und ich hatte ihre angesabberte Hand im Gesicht. Wir hatten schon bemerkt, dass auch sie langsam mit dem Sprechen begann. Trotzdem sind diese kleinen Momente einfach wunderschön.
Sophia nahm sie mir ab, wickelte sie und wir legten sie schon einmal hin.
„Papa kommt gleich zum Gute Nacht sagen. Schlaf schön, kleine Maus.“ gähnend sah sie zu mir auf, weinte aber nicht, sondern steckte den Daumen in den Mund und schloss langsam die Augen. Seltsam, ahnte sie, dass Haytham gerade ein Vater-Sohn-Gespräch hatte? Ach was, ich bilde mir zu viel ein.
Leise ging ich die Treppe hinunter und sah in den Wintergarten. Meine Männer waren vom Esstisch vor den Kamin gezogen und saßen andächtig auf dem Sofa.
„Du musst noch viel lernen, mein Sohn. Ich möchte dir nur zeigen, wie wichtig gutes Benehmen ist oder deine Ausbildung! Vermutlich bin ich wirklich oft etwas zu streng, aber glaube mir, es ist zu deinem Besten. Auch deine Schwester werde ich nicht mit Samthandschuhen anfassen. Wenn sie nicht artig war, bekommt sie ebenfalls eine Strafe. Wir werden das aber mit deiner Mutter gemeinsam alles schaffen.“ dann hörte ich nur noch ein leises Getuschel und ein breites Grinsen auf Edwards Gesicht erschien. „Versprichst du mir das, Edward?“ lachte mein Mann und drückte seinen Sohn an sich.
„Ich störe die Herren hoffentlich nicht?“ ich räusperte mich und trat ein.
„Nein, wir sind gerade fertig geworden, mi sol.“ mit Edward auf dem Arm erhob er sich und kam auf mich zu. „Und ich denke, der junge Mann braucht dringend Schlaf.“
„Vater, warum sagst du zu Mama mi sol?“ eine weitere ungeklärte Frage, welche mein Gatte nun noch beantworten durfte. Ich folgte ihnen hinauf, während unser Sohn die Erklärung für meinen Kosenamen bekam und auch gleich umgekehrt, warum ich seinen Vater mi amor nannte.
„Kann ich das auch lernen, Vater?“ ich sah ihn kopfschüttelnd an.
„Du musst erst einmal überhaupt in die Schule kommen, dann reden wir noch mal darüber, min lille skat. Außerdem sollten wir das langsam angehen lassen. Englisch, Deutsch und Dänisch reicht fürs erste.“ lachte ich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
Als dann endlich Ruhe eingekehrt war, saß ich völlig erschlagen auf dem Bett. Ich war nicht körperlich müde, sondern einfach mental und das war immer sehr unangenehm.
„Ich hatte keine Ahnung, dass Edward so denkt, mi sol. Aber ich verwöhne Florence doch gar nicht, ich möchte nur, dass es ihr, genau wie unserem Sohn, gut geht.“ stirnrunzelnd stand er vor der Kommode und löste die Halsbinde. Ich half ihm dabei, als ich sah, wie er wieder einmal daran herumzerrte.
„Du bist schon recht streng, von Anfang an, Haytham. Du hast ihn immer korrigiert, wenn er nicht englisch mit dir sprach zum Beispiel.“ meine Hände legten sich auf seine Brust und ich sah zu ihm auf.
„Ist es aber nicht besser, ihn rechtzeitig auf Fehler hinzuweisen, als wenn wir zu spät beginnen ihn in seine Schranken zu weisen?“ diese logische Denkweise glich der eines Lehrers.
„Schon, aber etwas liebevoller kann man das schon machen, oder besser etwas spielerischer. Ich hoffe, ihr habt euch vorhin ausgesprochen, soweit es denn ging. Edward schaut zu dir auf, du bist sein Vater und Vorbild.“ vorsichtig zog ich nun das Tuch von seinem Hals und legte es beiseite.
„Ich bin stolz auf ihn und ich liebe ihn. Ich will… er soll nur die beste Ausbildung…“ ich ließ meinen Mann nicht ausreden, weil wir genau dieses Gespräch schon einmal hatten.
„Ja, er bekommt das Beste, da bin ich mir sicher. Weil du dafür sorgen wirst, mi amor.“ ehe ich mich wieder ins Bett legte, gab ich ihm noch einen Kuss.
Später lag Haytham neben mir und seufzte in meine Haare hinein.
„Wer hätte gedacht, dass Erziehung so umständlich und schwer sein kann.“
Ja, wer konnte sowas schon ahnen?
Im Februar erhielten wir einen Brief von Jennifer, in welchem sie uns freudig kundtat, dass sie heiraten würde. Ich fiel aus allen Wolken und las immer wieder über diese Zeilen! Sie würde Master Mormon heiraten! Er hatte nicht aufgegeben und ihr immer wieder den Hof gemacht.
… Er war ein solcher Gentleman und hat mir gezeigt, dass er
meine Gesellschaft genoss und gerne an meiner Seite war.
Dieser Mann ist eine Wohltat im Gegensatz zu diesen
anderen Rüpeln, die sich bei mir vorstellten. Ihr könnt es euch
nicht vorstellen, aber vor einem halben Jahr hatte ich einen
Antrag eines Herren bekommen, welcher, nun ja, weitaus
älter als ich war. Er begründete seinen späten Antrag damit,
dass er die letzten Jahre nicht mehr alleine verbringe wolle und war
der Meinung, ich würde genauso denken, weil ich ebenfalls
nicht mehr die Jüngste sei. Könnt ihr euch das vorstellen?
So unverhohlen ist mir noch nie jemand gekommen!...
Ich kicherte vor mich hin, weil ich Jenny vor mir sah, die diesen Mann abblitzen ließ, eiskalt mit einem Todbringenden Blick!
Trotzdem freute ich mich für sie und Master Mormon, auch dass uns beide dann im Mai besuchen kommen wollten. Man plante bis Ende Juli zu bleiben, damit man rechtzeitig zur Hochzeit wieder in London war. Im Grunde könnten wir mit ihnen dann reisen. Auf der Jackdaw könnten wir sie auch noch mit unterbringen!
„Das hört sich nach einem vernünftigen Plan an, mi sol. Und Florence wäre dann auch schon alt genug für eine Atlantiküberquerung.“ dieser Satz kam so zynisch, dass ich an mich halten musste.
„Ja ich weiß, Edward war noch zu jung. Wie oft möchtest du mir das noch aufs Brot schmieren?“ fauchte ich meinen Gatten an.
„Nicht sehr oft, zumindest nicht, wenn du diese Launen hast, mi sol.“ geschickt wich er einem Buch aus, welches wie durch Zauberhand auf ihn zuflog. Mit einem leisen Lachen ging er aus meinem Arbeitszimmer, aber ich selber musste lachen.
Ich liebte diesen Mann einfach, auch wenn er ab und an etwas… anstrengend sein konnte.
Im März begann die Pflanzzeit und Haytham verbrachte wieder mehr Zeit auf den Feldern. Edward konnte es aber besser verstehen und kümmerte sich stattdessen um sein Pferd, seine Hündin oder brachte seiner kleinen Schwester alles Mögliche bei.
Eines Nachmittags, es war Mitte März, rief er nach mir und es klang, als wäre gerade ein Unglück passiert. Ich rannte in den Garten und da stand sie! Florence an den Händen ihres großen Bruders!
„Min lille engel! Du kannst… Bei Odin, das ist fantastisch! Min lille skat! Das hast du toll gemacht…“ ich fiel auf die Knie und umarmte meine Beiden. Sybill und Sophia standen ebenfalls beide daneben und wischten sich verstohlen eine Träne aus den Augen.
„Flo soll doch auch mit mir Fangen spielen können.“ kam es stolz von Edward und er bekam einen dicken Kuss von mir. „Ihhhh, Mama, nicht…“ mit der freien Hand wischte er über seine Wange.
Florence konnte sogar schon ein paar Schritte alleine machen und war selber stolz auf ihr Können.
„Mama…“ auch das Sprechen wurde mehr, nicht so schnell wie bei Edward, aber sie versuchte es. Vermutlich auch, weil ihr großer Bruder unentwegt mit ihr sprach.
Am Abend bat ich Haytham an der Eingangstür stehen zu bleiben, stellte Florence ein paar Schritte vor ihm auf ihre Füße und sie stiefelte etwas wackelig langsam auf ihn zu.
„Das ist ja großartig, Florence!“ er kniete sich hin, nahm sie in den Arm und drückte sie an sich. „Jetzt müssen wir ja noch mehr aufpassen, damit du nichts anstellst.“ grinste er breit.
„Edward hat ihr das Laufen beigebracht, mi sol.“ flüsterte ich leise und deutete Kopfnickend auf seinen Sohn, welcher in der Tür zum Salon aufgetaucht war.
„Das hast du gut gemacht, Edward. Ich bin stolz auf dich.“ und mit einem Lächeln auf dem Gesicht lief unser Sohn auf seinen Vater zu und in seine Arme. Was für ein herzerwärmender Anblick.
Am 22. März brachte meine Zofe ihren Sohn zur Welt. Der kleine bekam den Namen Lionel und war ein wahrer Wonneproppen. Seine Taufe fand bereits eine Woche später statt und wir versammelten uns alle wieder zum Festessen in der Taverne.
In der ersten Zeit hatte ich eines der Mädchen als Ersatz für Magda, weil sie ja mit dem Stillen zu tun hatte und ich wollte, dass sie sich in Ruhe an das Muttersein gewöhnen konnte.
„Mistress Kenway, es geht schon. Lionel wird von Master Edward bewacht.“ lachte sie leise und deutete auf die Kinder, welche im Wintergarten spielten. Der neue Erdenbürger lag in einem Körbchen und Edward erzählte ihm Geschichten.
Als ich Sophia und Sybill darauf ansprach, ob es nicht zu viel werden würde mit Lionel zusätzlich, kam ein einstimmiges „Nein, wir sind ja nicht alleine!“.
Somit war das abgemacht und wir gingen langsam in den Alltag wieder über.
15. April, heute sollte also unser Besuch aus New Orleans anreisen.
„Mistress Kenway, ich habe im Gästehaus alles vorbereitet. Und ich habe mit den Mädchen auch schon den morgendlichen Ablauf besprochen. Monsieur de Grandpré bezieht ein separates Zimmer, welches direkt neben dem seiner Gattin ist. Haben die Herrschaften sonst eine Vorliebe?“ Tabea war mittlerweile zur Hausdame hier aufgestiegen und hatte die anderen Bediensteten unter sich, welche sie hervorragend führte!
„Ich befürchte, da müssen wir warten, bis der Besuch hier erscheint. Aber ich werde euch sofort in Kenntnis setzen, wenn ich etwas herausgefunden habe, Tabea.“ grinste ich und besah mir ebenfalls noch einmal die Zimmer. Ich konnte es mir nicht leisten, negativ aufzufallen und ich war entsprechend nervös.
Nach einer Stunde konnte ich aber unbesorgt wieder zurück und zu Mittag essen.
„Mama, wer ist diese Malene eigentlich?“ kam es mit vollem Mund von Edward. Fragend sah er von mir zu Haytham, welcher mit einem Blick klarstellte, dass dies ein nicht zu akzeptierendes Verhalten sei.
„Madame de L´Isle ist eine Geschäftspartnerin von mir und deinem Vater, Edward. Ihr Mann ebenso. Ich muss dich nicht daran erinnern, dass du dich in ihrer Gegenwart anständig benimmst, oder?“ lächelte ich meinen Sohn an.
„Ich verspreche es. Schusterehrenwort.“ woher hatte er denn diesen Ausdruck?
Gegen 16 Uhr erschienen sie dann endlich, wir saßen gerade auf der Terrasse und genossen die wärmenden Sonnenstrahlen.
Nach der Begrüßung begleitete ich die Eheleute zum Gästehaus und zeigte ihnen ihre Zimmer. Dass Avéline doch mit anreist, brachte etwas Umplanung mit sich. Tabea hatte in Windeseile jedoch alles arrangiert und auch das junge Mädchen konnte ihr Reich beziehen. Sie alle hatten entsprechende Zofen und Kammerdiener dabei, welche sich in den Angestelltenquartieren einrichteten.
Anschließend führten wir unseren Besuch durch das Haus, den Garten und die Ställe.
„Es ist wirklich wunderschön hier, Mistress Kenway. Ihr habt nicht zu viel versprochen…“ gedankenverloren stand Madeleine am Ufer des Flusses und sah der langsam untergehenden Sonne zu.
„Mein Mann hat wirklich einen guten Geschmack bewiesen, als er diese Plantage damals kaufte. Leider konnte ich nicht selber mit dabei sein, weil ich zu der Zeit noch in Europa bei meiner Familie war.“ die übliche Geschichte, damit kein Durcheinander entstehen konnte.
„Ihr erwähntet schon, dass ihr ein paar Jahre getrennt verbracht habt. Ich denke, das Wiedersehen war dann um so inniger.“ zum ersten Male sah ich diese Frau wohlwollend lächeln.
„Ja, das war es.“ für einen Moment standen wir andächtig nebeneinander, bis uns die Herren aus unseren Gedanken rissen.
„Meine Damen, da seid ihr ja. Das Abendessen wartet bereits.“ Haytham reichte mir galant seinen Arm mit einem Augenzwinkern und gemeinsam gingen wir hinein.
Während des Essens kamen die üblichen Fragen über die Kinder, ihre Entwicklung und eben ganz belanglose Dinge.
„Eure Tochter ist aber wirklich ein kleiner Engel. So brav.“ kam es liebevoll von Monsieur de Grandpré. Wenn du wüsstest, ging es mir durch den Kopf.
„Avéline, ihr seid so schweigsam. Ich hoffe, euch ist die Reise nicht auf den Magen geschlagen?“ hakte ich nach, weil ich sah, wie sie mit ihrem Blick weit weg zu sein schien.
„Verzeiht, Mistress Kenway, aber ich habe bis gestern spät in der Nacht noch über den Geschäftsbüchern meines Vaters gesessen, dass ich diese Zahlen immer noch vor mir sehe.“ ihr hübsches Grinsen ließ mich aufatmen.
„Eure Ausbildung scheint also gut zu verlaufen? Es ist immer gut, wenn die Kinder in die Fußstapfen der Eltern treten können.“ sprach mein Mann und sah dabei zu Edward, welcher wie in Wachs gegossen dasaß und penibel auf sein Essverhalten achtete. Er hatte sichtlich Angst, etwas falsch zu machen.
Gerade als ich mit Sophia und Sybill die Kinder ins Bett bringen wollte, kamen unsere Gäste in den vollen Genuss unseres „kleinen, braven Engels“, welcher nun lautstark kundtat, dass nicht ICH mitkommen soll, sondern ihr Vater. Etwas verlegen sah dieser zu mir und erhob sich mit einer Entschuldigung. Ich würde also warten, bis er wieder hier unten war um dann Edward vorzulesen.
„Geh schon einmal vor, min lille skat. Ich komme dann nach, wenn dein Vater wieder unten ist.“ sprach ich leise und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
„Aber das dauert so lange bis Flo eingeschlafen ist und…“ mein mahnender Blick reichte und er ging hinter seinem Kindermädchen her.
„Avéline, das erinnert mich an dich. Wenn ich dir nicht etwas vorgelesen habe, wolltest du auch nicht schlafen gehen.“ lachend saß er da und schüttelte seinen Kopf.
„Papà!“ kam es etwas verlegen von dem jungen Mädchen, doch auch sie konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen.
Nach einer halben Stunde erschien mein Gatte wieder im Salon und ich sah, er hatte ein neues Hemd, samt Weste an. Alarmiert fragte ich, ob Florence krank sei und sich den Magen verdorben hätte.
„Nein, nichts dergleichen. Du kannst unbesorgt sein, aber meine Tochter hat vor lauter Aufregung ihren kalten Tee über mich gegossen.“ beide Kinder hatten immer eine Tasse mit kaltem Tee und Honig neben ihren Betten stehen. Sophia hatte ihr wohl etwas zu trinken geben wollen, Florence jedoch hatte gegen den Becher gestoßen, welcher sich über ihren Vater ergoss.
Ich entschuldigte mich jetzt und ging hinauf.
„Mama, da bist du ja endlich.“ freudig richtete sich Edward auf und strahlte mich an. „Wie habe ich mich denn benommen? War ich artig, ja? Und ich habe nicht mit vollem Mund gesprochen!“ seine Augen sahen mich erwartungsvoll an.
„Ja, min lille skat. Und siehst du, so muss dein Vater auch gar nicht schimpfen. Es ist ja immer nur für kurze Zeit und ich bin zuversichtlich, dass du die nächsten Tage auch noch schaffst.“ ich drückte ihn an mich und begann ihm wieder von Königen und ihren Kriegen und Siegen zu berichten.
Sein Schlaflied verschlief er schon fast, aber als ich aufstand hörte ich ein leises „Ich hab dich so doll lieb, Mama!“ … „Ich dich auch, mein Schatz!“ flüsterte ich ebenso leise.
Im Zimmer nebenan bot sich mir das übliche Bild. Sophia saß etwas erschöpft am Bett ihres Schützlings und las in einem Buch.
„Mistress Kenway, Miss Florence ist heute sehr schnell eingeschlafen.“ sprach sie leise.
„Das freut mich, Sophia. Ich werde ihr noch etwas vorsingen, auch wenn sie es nicht mehr bemerkt.“ etwas wehmütig grinste ich und begann zu singen.
Am nächsten Tag machten wir uns auf den Weg zu den Lagern, weil gerade vor ein paar Tagen eine Lieferung Kaffee und Wein eingetroffen war.
Lobend wurde die Lage noch einmal bemerkt und die Größe der Gebäude. Natürlich kam auch die Sprache auf die Überfahrten und die Überfälle. Mittlerweile konnte man aber fast unbeschadet von A nach B kommen, weil der Schutz einfach die Piraten abschreckte. Kaum ein Schiff wollte sich mit solchen Fregatten oder Kriegsschiffen anlegen. Zumal uns jetzt auch schon ein gewisser Ruf voraus eilte, was mich ein wenig mit Stolz erfüllte. Sollten sie ruhig auch Angst haben!
Gerade als wir noch ein wenig über die Felder reiten wollten, eilte uns der Aufseher entgegen.
„Master Kenway! Es wurden wieder Banditen hier gesichtet. Sie halten sich derzeit noch nicht hier auf der Plantage auf, aber haben ihr Lager nicht weit von den ersten Weizenfeldern aufgeschlagen!“
Das war doch nicht wahr!
„Dann machen auch euch diese Kriminellen das Leben schwer? Wir haben ebenso mit diesen umher streunenden Bastarden immer wieder zu kämpfen. Sie lassen sich nicht unterkriegen!“ Monsieur de Granpré war sichtlich außer sich und die Herren ritten mit Mr Robinson um sich ein Bild machen zu können. Wenn ich mir aber Phillipe so ansah… ein Kämpfer war er nicht wirklich.
„Wisst ihr, wer sich hinter diesen Banden verbirgt, Mistress Kenway?“ Madeleine sah den Männern hinterher.
„Nein, leider nicht. Aber auch unsere Nachbarn haben alle bereits Nachforschungen angestellt. Bisher noch ohne Erfolg. Wir vermuten, dass es die üblichen arbeitslosen Schlucker sind, welche sich an unserem Hab und Gut bereichern wollen. Wir hatten vor ein paar Jahren deswegen sogar schon Todesfälle und Plünderungen. Vorletztes Jahr ging es sogar soweit, dass mein Mann schwer verletzt wurde und man unser Haus überfiel!“ in mir kochte diese Wut auf diese Brut wieder hoch.
„Diese Gesetzlosen machen wirklich vor nichts Halt!“ fauchte meine Geschäftspartnerin.
Zurück beim Herrenhaus sah ich mich suchend nach Avéline um, fand sie aber nicht.
„Dieses Kind verschwindet gerne einfach mal, ohne ein Wort zu sagen.“ in ihren Worten lag etwas seltsames und auch in ihre Augen trat ein Funkeln. Immer noch fragte ich mich, ob sie ahnte oder sogar wusste, dass ihre Stieftochter bereits Assassine war. Fragen mochte ich aber nicht, wer weiß, in welches Wespennest ich dann steche.
4 Stunden später erschienen die Herren wieder, durchgeschwitzt und völlig staubig!
„Mi amor, was ist passiert? Wo ward ihr denn?“ Haytham verschwand Kopfschüttelnd oben in unserem Schlafzimmer. Michael eilte ihm hinterher mit einem Krug Wasser.
Madeleines Gatte ging hinüber um sich ebenfalls frisch zu machen. Ich hoffte, dass wir später eine Erklärung bekämen.
Edward und Florence kamen in den Salon, gefolgt von Avéline, welche sich dem Anschein nach, prächtig mit meiner Tochter unterhielt.
„Mutter, wir waren hinten am Ufer und Avéline hat mir gezeigt, wie ich mich richtig gut verstecken kann, damit man mich nicht findet! Soll ich dir das auch mal zeigen?“ in das Gesicht von dem Mädchen trat ein freudiges Grinsen und dann sah ich, wie dieser Schleier über ihre Augen glitt.
„Natürlich, min lille skat. Aber vergiss nicht! Du bist für mich immer sichtbar, ich finde dich überall!“ meinte ich lachend und kitzelte ihn ein bisschen.
„Ach Mama, das ist immer so gemein. Avéline, meine Mama kann nämlich auch …“ setzte mein Sohn an, doch ich unterbrach ihn.
„Mutterinstinkte! Man findet seine Kinder immer!“ enttäuscht, dass er nun seinen Satz nicht beenden konnte, setzte er sich zu seiner Schwester und sah sich mit ihr ein Buch an.
Haytham erschien neu eingekleidet und gewaschen wieder hier unten und ließ sich seufzend auf dem Sofa nieder.
„Es ist schlimmer als wir dachten! Diese Gruppe ist weitaus größer als die letzte! Und wie es aussieht, sind es ausschließlich Deserteure!“ wütend haute er mit der flachen Hand auf die Lehne.
„Master Kenway, aber im Grunde hätte man dann leichteres Spiel mit ihnen. Informiert die hier stationierten Einheiten der Armee und sie werden sich dann darum kümmern. Deserteure, dass wisst ihr, werden direkt vor das Kriegsgericht gestellt. Ich glaube kaum, dass diese Männer so etwas riskieren wollen!“ im Grunde eine logische Vorgehensweise, doch wer sich von den Truppen entfernt, hat meistens die Nase voll vom Militär und ist sich der Konsequenzen schon bewusst! Sie nahmen sogar Hinrichtungen dafür in Kauf!
„Natürlich ist das mein erster Schritt. Wir müssen uns nur hier schützen. In diesem Moment bin ich froh, dass unsere Pächter, Bauern und sogar die Frauen ein Kampftraining bekommen haben.“ Phillipe bekam große Augen.
„Die Frauen auch? Ihr habt ihnen Waffen in die Hände gegeben?“ es klang richtig entsetzt und ungläubig, wie man es denn wagen könne, einer Frau so etwas anzuvertrauen.
„Monsieur de Granpré, ich habe die Damen ausgebildet, damit sie sich, wenn ihre Männer nicht zuhause sind, ebenfalls verteidigen können.“ ich hatte die Hoffnung, dass er es verstehen würde.
Ich hatte wieder einmal das Jahrhundert und die Einstellung zu dieser Zeit außer Acht gelassen.
„Ich freue mich, wenn eine Frau sich verteidigen kann. Doch muss es mit solcher Waffengewalt sein? Es sind zum größten Teil Mütter, wenn ich Master Kenway richtig verstanden habe. Sie sind geschützt durch ihre Ehemänner, so wie ihr und eure Kinder auch, Mistress Kenway.“ tief ein atmen… tief aus atmen… beruhigen und antworten.
„Natürlich habt ihr Recht, Monsieur de Granpré, ich vertraue da ganz auf meinen Mann.“ leider konnte ich diesen wahnsinnigen Zynismus nicht aus meiner Stimme vertreiben und sah, wie Aveline mich mit einer fragend hochgezogenen Augenbraue musterte.
Haytham und Phillipe berieten den restlichen Abend über mögliche Verteidigungen, wie man noch mehr Männer rekrutieren konnte und wer noch in den Sicherheitsstab aufgenommen werden sollte. Außerdem berieten sie sich auch über die Fragen bei diesen Vorstellungsgesprächen. Worauf sollte man achten und so weiter.
Ich sah meinen Templer schon vor mir, wenn Florences erster Verehrer hier vor der Tür stand, wie er ihn mit einer Liste in die Enge trieb und verscheuchte. Entschuldigt, ich schweife ab.
Im Endeffekt kamen wir überein, dass auch im Süden eine Art Sicherheitsdienst etabliert werden sollte, dass es sich um Mitglieder der Orden und Bruderschaften handelte, erzählte Haytham jedoch nicht. Man könnte diverse Einheiten formieren, weil mittlerweile immer mehr Rekruten ihren Weg zu uns fanden oder auch von der Einigung zwischen Assassinen und Templer mehr als angetan waren. Somit konnten wir einen weiteren Zweig hier in den Kolonien ausbauen, welcher schon in Europa seinen Anfang hatte. Ich hoffte, er würde weiter erblühen und Früchte tragen, auch wenn es extrem schnulzig klang. Genau das war es, was wir erreichen wollten.
Madeleine hatte ein paar Damen und Herren, die sich dieser Sache sicher anschließen wollten, so auch von Phillipes Seite - wenn auch unwissend.
Nur Avéline hielt sich zurück und sprach kaum ein Wort in diesem Moment. Ich war versucht, sie darauf anzusprechen, doch ich traute mich nicht, ehrlich gesagt. Ich musste noch warten, bis ich Connor auf meiner Seite wusste. Das Gespräch mit Achilles! Ich sollte so langsam einen Plan diesbezüglich machen!
Zwei Tage später erschien eine Gruppe britischer Soldaten mit ihrem Major bei uns und erstattete Bericht über die Vorkommnisse dieser „Deserteure“. Man suchte schon länger nach einigen von ihnen, auch wenn nicht alle der britischen Armee angehörten! Der Major hatte sich umgehört und die Namen herausgefunden.
„Ungefähr zwei Drittel dieser Wegelagerer waren im Dienst ihrer königlichen Majestät. Alle anderen versprechen sich vermutlich einfach einen warmen Platz oder reiche Beute!“ lachte dieser Mann und sah sich nach Bestätigung hier um. Diese bekam er aber nicht, weil niemand hier den britischen Soldaten wirklich wohlgesonnen war. Zumal ich meine eigenen Erfahrungen machen durfte, nicht nur ich und jetzt brach es aus Madame de L´Isle hervor.
„Eure Soldaten sind es, die meine Schiffe überfallen, oder meine Lager plündern, weil sie nicht ausreichend entlohnt werden! Und ich soll das auch noch alles gutheißen? Züchtigt diese Meute gefälligst, damit sie weiß, woran sie ist. Aber auf Kosten von unschuldigen Bürgern sollte dieser Kampf nicht ausgetragen werden!“ fauchte sie und mir ging diese „Boston-Tea-Party“ im Kopf rum. DAS alles hier war nur ein kleiner Anfang von dem ganzen Desaster und wir würden noch alle unser Fett weg kriegen!
„Keine Sorge, Madame! Ich sorge für eine gerechte Bestrafung!“ Entschuldigt, aber ich konnte mir vorstellen, dass den Herren nur auf die Finger geklopft wurde mit „Du Du Du… das machst du nicht noch mal!“ und dann wurden diese Plünderer, Deserteure oder was auch immer, wieder mit offenen Armen aufgenommen. Im Grunde fehlte es immer an neuen Rekruten! Nicht jeder fiel auf diese vollmundigen Versprechungen der Armee herein!
Hoffentlich würde Edward nicht auf den Trichter kommen sich einschreiben zu wollen! Ich würde ihm den Hosenboden langziehen, auch wenn ich es nicht gerne täte… aber in dem Falle… ich würde eine Ausnahme machen! Leider würde ich das gar nicht wirklich verhindern können.
Als der Trupp am nächsten Tag abreiste, war ich ehrlich erleichtert. Aber nicht mein Mann, ebenso wenig Phillippe!
„Mir schmeckt das nicht. Irgend etwas war an der Sache faul.“ kam es grübelnd von Haytham.
„Dann bin ich nicht alleine mit diesem Gedanken. Das ging zu einfach, findet ihr nicht auch?“ auch unser Geschäftspartner war sichtlich unsicher.
Nach einer Stunde und weiteren Grübeleien machten sich die beiden Männer auf den Weg, ohne ein weiteres Wort. Beide hatten ein paar Sachen gepackt, die Pferde gesattelt und waren verschwunden. Ich sah ihnen nur hinterher, weil ich noch nicht einmal einen Abschiedskuss bekommen hatte und ich sah meine Kinder, welche auch nicht verstanden, was gerade passierte.
Avéline sah mich lächelnd an. „Ich werde ihnen nachreiten, Mistress Kenway, bitte bleibt bei euren Kindern. Ich werde sicherstellen, dass Master Kenway und Papá nichts passiert.“ diese ruhige Stimme tat gut und ich sagte ebenso leise, sie solle auf sich aufpassen.
„Was hat denn dieses Kind schon wieder vor? Wie immer… sie geht ihrer Bestimmung…“ abrupt schloss Madeleine ihren Mund und sah verlegen auf ihre Füße.
„Darf ich offen sprechen?“ wenn nicht jetzt wann dann?
Wir setzten uns auf die Terrasse.
„Madame de L´Isle, wir wissen beide, dass der Orden uns vereint. Avéline hingegen…“ in die Augen meiner Geschäftspartnerin trat ein wissender Blick.
„Ihr wisst, sie gehört der Bruderschaft an und ich nutze sie, für unsere Zwecke, nicht wahr?“ dieses Lächeln war nicht kalt, nicht böse oder ähnliches. Madeleine wusste, ich war im Bilde. Frauen… FBI… muss ich noch etwas sagen?
„Das weiß ich bereits und wir sollten sie weiterhin unterstützen! Es wäre nur hilfreich, wüsste Avéline über ihre Mutter Bescheid.“ rutschte es mir heraus. Im selben Moment biss ich mir auf die Zunge, ich konnte DAS nicht wissen! Verdammt, verdammter Mist….
„Ihr seid anders als die Frauen hier, Mistress Kenway. Das ist mir schon aufgefallen! Ihr verbergt etwas, ihr müsst es mir nicht kundtun! Dennoch finde ich es … nunja, bereichernd, möchte ich sagen! Mit eurer Hilfe könnten wir vieles hier und auch im Süden erreichen!“ schwer atmend saß ich da und sah diese Frau an. Wir waren uns ähnlich, sie reizte ihre Chancen bis aufs Letzte aus, so tat ich es im Grunde auch!
Wir kamen überein, dass wir die Kinder sich entfalten lassen, sie unterstützen wo es nötig war und ansonsten unserer eigenen Bestimmung, der Ordnung, Struktur und Disziplin folgen würden.
„Mein Gatte, wie ihr ja wisst, ist nicht involviert und ich würde es gerne auch dabei belassen. Er liebt seine Tochter über alles und geht in seinem Leben als Händler für Kaffee völlig auf.“
Phillipe liebte Avéline, das sah und spürte man. Haytham würde vermutlich auch kein Wort fallen lassen, was ihn verunsichern würde.
Drei Tage später kamen sie wieder und sahen beide recht geschunden aus. Erschöpft, müde und staubig.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Avéline sich zu den Ställen schlich. Also hatte man sie nicht bemerkt und das soll schon was heißen. Ihre Ausbildung schien ein voller Erfolg zu sein.
Die beiden Männer hatten die Truppe inspiziert und mit der Miliz dingfest gemacht. Alle Herren waren in Gewahrsam genommen worden und nach Richmond ins Zuchthaus verbracht worden. Ihre Strafe war der Tod durch den Strang!
Ein Spektakel, zu welchem wir aufgefordert wurden daran teilzunehmen! Nun gut, dann sollte es so sein und ich machte mich daran zu packen. Besser gesagt, ich gab Magda und Michael den Auftrag.
„Wir reisen schon wieder ab, wohin denn?“ fragte meine Kammerzofe ängstlich, weil sie vermutlich dachte, wir würden wieder Monatelang unterwegs sein.
„Keine Sorge, wir werden nach Richmond fahren. Dort werden wir Quartier im neuen Büro beziehen. Und ehe ihr euch verseht, sind wir schon wieder zurück.“ lächelte ich und drückte beruhigend ihren Arm.
Lionel würde schon zurecht kommen, weil er ja auch nicht alleine war. Auch würde Magda Zeit für ihr Kind haben, ich musste sie ja nicht komplett in Beschlag nehmen. Im Grunde nur, wenn es um Treffen oder Einladungen ging. Da wären wir dann auch beim Thema und so brachte ich sie auf andere Gedanken.
„Werden auch Gesellschaften und Tänze anstehen, oder soll ich nur die Monturen und die einfache Garderobe packen?“ Im Grunde musste eine gut durchdachte Mischung gepackt werden, weil ich gar nicht wusste, was uns erwarten würde in Richmond.
Sophia und Sybill hatten die Garderoben der Kinder in die Truhen gepackt und auch sie waren sichtlich aufgeregt.
„Mama, wohin reisen wir?“ in Edwards Gesicht las ich, dass er sich auf ein Abenteuer freute.
„Nach Richmond, min lille Skat.“ flüsterte ich verschwörerisch. „Es gibt dort noch ein Haus, welches uns gehört und wir können dort jederzeit wohnen, wenn wir wollen!“ Unser Sohn war aber neugierig.
„Noch eines? Wir sind doch aber gar nicht immer dort. Wer wohnt dann dort?“ Also erklärte ich ihm das Prinzip von Mieter und Vermieter, Pächter und Lehnsherr und so weiter. Nicht ganz einfach, aber ich hoffte es wäre einigermaßen verständlich.
„Vater hat dort ein Büro, so wie sein Arbeitszimmer hier zuhause? Ist es auch so groß und gibt es dort auch andere Kinder?“ Klein Kenway war manchmal nicht zu bremsen, was die Fragerei anging. Ich erklärte ihm, wie das Ganze ablaufen würde und dass wir ab und an sicherlich auch einen Abend weg wären.
„Darf ich dann auch einmal mit euch mitgehen?“ aufgeregt sah er zu mir auf.
„Wenn du alt genug bist und deine Manieren gut sind, dann bestimmt. Noch bist du aber zu jung für einen Empfang, min lille skat!“ Hoffentlich reichte das jetzt mit meinen Ausführungen.
„Wann bin ich alt genug, Mama? Vater sagt immer, ich darf erst an solchen Gesellschaften teilnehmen, wenn ich meine Ausbildung abgeschlossen habe. Wann ist das?“ seufzend setzte ich mich auf sein Bett und sah ihn an. WANN… das wusste ich auch nicht, musste ich ehrlich gestehen!
„Vielleicht fragst du einfach beizeiten noch einmal nach, Edward.“ grinste ich und hoffte, er würde Haytham nun löchern.
Zum ersten Mal sah ich unser „Büro“ und ich muss sagen, es war ein doch recht beeindruckender Bau aus rotem Backstein, weißen Sprossenfenstern und einigen Ornamenten um die Eingangstür herum.
Vor dem Tor prangte ein Messingschild, auf welchem der Name von Mr. Gillehand stand. Also hatte er sich hier als Anwalt niedergelassen.
Als alles verräumt war und wir uns die Räumlichkeiten angesehen hatten, saßen wir mit dem Advokaten im Salon und wurden mit Erfrischungen eingedeckt. Die Kinder waren mit Sybill, Sophia und einer Wache im Garten.
„Die Hinrichtung der Männer findet übermorgen statt. Der hiesige obere Richter hat heute Vormittag das Urteil gesprochen. Außerdem haben die Schuldigen alle Taten zugegeben, welche ihnen vorgeworfen wurden. Es ist schrecklich! Diese Männer haben einen regelrechten Streifzug von New York über Boston hierhin gemacht. Man könnte auch meinen, sie hätten eine Schneise der Gewalt hinterlassen!“ angewidert schüttelte er den Kopf und ich konnte mir vorstellen, was sich diese Deserteure haben zu Schulden kommen lassen. Da war das Hängen die gerechte Strafe!
„Ganze Familien hat man ausgelöscht, nur um an genügend Geld zu kommen.“ Gillehands Blick war immer noch betrübt und er sah in seine Teetasse.
„Sie werden ihre gerechte Strafe erhalten und das ist dass Wichtigste!“ kam es entschieden von Monsieur de Granpré und seine Frau nickte ihm zustimmend zu.
Der Anwalt berichtete von seinen ersten Erfolgen vor Gericht, somit kamen wir auch auf andere Gedanken! Langsam machte er sich einen Namen und ich freute mich darüber. Endlich konnten wir auf einen loyalen Mann vor Gericht zurückgreifen. Auch hatte er bereits an einigen Gesellschaften von zwei Richtern teilgenommen, wo man ihm auch gleich nahegelegt hatte, sich nach einer Frau umzuschauen. Bei diesem Satz musste er lachen. Im Grunde war er immer noch nicht soweit, sich zu binden, erklärte er uns. Vielleicht mochte er auch einfach keine Frauen, aber wer weiß das schon?
An diesem Abend stand eine Gesellschaft bei bereits erwähntem oberen Richter, Mr. Jakub Burns an.
Magda nahm eines meiner Monturen ähnlichen Kleider für diesen Anlass und Haytham wurde im passenden Pendant eingekleidet.
„Mama, wann kommt ihr wieder?“ fragte Edward traurig, als ich ihm noch gute Nacht sagte.
„Das weiß ich nicht, min lille skat. Versuch jetzt zu schlafen. Ich erzähle dir dann morgen, wie es war, ja?“ ein dicker Kuss und ich ging hinunter zu den anderen.
Mistress Kenways Kleid
Als wir beim Richter eintrafen, sah ich schon, dass wir mit zu den letzten zu erwartenden Gästen gehörten. Beim Eintreten hörte man Musik im Hintergrund und lautes Stimmengewirr. Außerdem schlug mir eine Mischung aus Parfüm, Puder und Essen in die Nase.
Wir wurden zu Mr. Burns gebracht und unser Advokat stellte uns alle vor.
„Ich bin erfreut, die Gönner von unserem jungen Mr. Gillehand einmal persönlich kennen zu lernen.“ diese Stimme passte irgendwie und ich konnte ihn mir gut als Richter vorstellen, wie er mit Perücke und Holzhammer Urteile verkündete.
„Wir sind ebenfalls erfreut, euch kennenzulernen und ich möchte mich, auch im Namen meiner Frau, noch einmal für die Einladung bedanken.“ Haytham war sichtlich in seinem Element und ich hatte für den Bruchteil einer Sekunde den Eindruck, er hätte so etwas wirklich vermisst.
Es war ein wirklich angenehmes Ambiente, die Menschen waren durch die Bank weg freundlich und nett, die Getränke waren reichlich vorhanden und mein Mann konnte seine Tanzkünste zum Besten geben.
Irgendwann aber brauchte ich frische Luft, ebenso Madeleine, welche sich bis jetzt auch recht gut amüsiert zu haben schien.
„Wusstet ihr, dass hier einige Anwärter für den Orden zugegen sind?“ erstaunt sah ich sie an, weil ich gar nicht wusste, WIE so ein Anwärter aussehen sollte, oder woran man das erkennen konnte. „Das ist ganz einfach, die Dame oder der Herr wird euren Ring bei der Begrüßung berühren und es gibt eine Fingerbewegung, welche man nur als Templer kennt.“ sie hatte sich zu mir herüber gelehnt und flüsterte mir diese Worte zu.
„Das wusste ich nicht, wie sieht denn diese Bewegung aus?“ ebenso leise fragte ich also nach.
Sie nahm meine Hand, drückte auf den Ring mit dem Tatzenkreuz und machte in meiner Handfläche eine kreisende Bewegung, welche in einem leichten Druck in der Mitte endete. Alles geschah, im wahrsten Sinne des Wortes, UNTER der Hand und war für sonst niemanden sichtbar!
Ich hatte nie auf diese Gesten geachtet, aber jetzt erschloss sich mir auch, warum einige Herren meine Hand länger gehalten hatten, als es üblich war! Ich werde auf jeden Fall noch einmal meinem Mann auf die Füße deswegen treten, warum er mir nichts davon erzählt hat.
„Dann haben wir hier wirklich einige Kandidaten.“ etwas gedankenverloren sah ich auf die Menschen im Haus.
Wir blieben noch eine Weile hier draußen und genossen die kühle Abendluft.
„Da sind unsere Damen ja, wir hatten euch schon vermisst.“ hörte ich Phillippe hinter uns und auch Haytham tat kund, dass man uns schon gesucht hätte.
„Wir laufen euch schon nicht davon.“ kicherte ich und gab meinem Gatten einen Kuss auf die Wange.
Gegen Mitternacht verließen wir die Feierlichkeiten und Mr. Burns meinte noch freudig, er erwarte uns dann übermorgen vor dem Gericht. Auf dem dortigen Vorplatz sollte die Hinrichtung stattfinden.
Heute stand nun die Hinrichtung an. Beim Frühstück fragte Edward bettelnd, ob er auch mitkommen dürfte.
„Nein, mein Sohn, dafür bist du noch nicht alt genug.“ erklärte Haytham und prompt wurde unser Spross wütend.
„Ich bin schon 3 Jahre alt!“ maulte er drauflos, rutschte beleidigt von seinem Stuhl und wollte schon aus dem Zimmer rennen, als ihn Sybill aufhielt.
„Master Edward! Was ist das für ein Benehmen? Ihr setzt euch jetzt wieder an den Tisch!“ sie schob ihn in die Richtung und wartete, bis ihr Schützling wieder brav bei uns saß.
„Avéline durfte damals auch noch nicht zu solchen Ereignissen mitkommen. Es ist auch kein schöner Anblick, Master Edward! Und ich befürchte, es wird sicherlich wieder einige Damen geben, die in Ohnmacht fallen werden.“ Phillippe legte mitunter des öfteren recht naive Sichtweisen an den Tag, was aber seiner Unkenntnis geschuldet ist.
Edward musterte besagte Tochter, so als ob er darauf wartete, dass sie ihm sagte, dass ihr Vater gelogen hätte. Es kam aber nichts.
Im Anschluss machten wir uns auf zum Gericht. Ich war ein wenig nervös, weil man ja auch schon von einigen Horrorhinrichtungen, welche völlig schief liefen, gehört und gelesen hatte. Im Stillen hoffte ich, dass wir davon verschont blieben.
Von Weitem sahen wir schon einen riesigen Menschenauflauf, ganze Familien hatten sich hier eingefunden. Wie damals in Paris! Wieder einmal wurde mir bewusst, dass Menschen im 18. Jahrhundert ja nicht diese Möglichkeiten wie eine Live-Übertragung zuhause hatten. Aber müssen auch kleine Kinder schon hier mit anwesend sein? Ich sah Jungs und Mädchen, die in Edwards Alter waren und meine Haut überzog sich mit einer Gänsehaut.
Plötzlich verstummten die Leute und sahen zum Schafott auf, wo sich Richter Burns einfand, nebst der drei Henker!
Insgesamt fanden heute 15 Exekutionen statt, drei jeweils gleichzeitig. Die Herren kontrollierten noch einmal die Schlingen und versicherten sich, dass die Seile fest waren.
„Heute werden wir Zeuge, wie diese Männer…“ Jakub deutete auf die Gefangenen auf der rechten Seite, welche man gebracht hatte und fuhr dann fort. „… ihrem Schöpfer gegenübertreten werden. Sie alle haben sich in schändlichster Weise an dem Eigentum unserer Bürger vergangen. Sie haben geplündert, gebrandschatzt und unsere Frauen und Töchter missbraucht!“ seine Stimme wurde immer lauter und die Menge um uns machte entsetzte Gesichter.
„Solchen Halunken sollte man den Kopf abschlagen!“ oder „Schneidet ihnen die Schwänze für diese Taten ab!“ brüllten einige der Schaulustigen und bewarfen die Gefangenen mit fauligem Obst und Gemüse!
„Diese Männer haben ihre Kameraden im Stich gelassen, um sich zu verlustieren! Sie haben sich einfach von ihren Einheiten entfernt. Darauf steht ebenfalls der Tod durch den Strang!“
Die ersten drei Männer wurden unter die Schlingen gestellt. Ich begann zu zittern und klammerte mich an Haythams Arm, welcher mich an sich drückte.
„Mi sol, du kannst ruhig wegsehen! Das ist keine Schande!“ flüsterte er mir zu und strich dabei über meinen Arm.
Man legte ihnen die Seile um die Hälse, anschließend wurden ihnen Rupfensäcke über die Köpfe gezogen. Ich sah, wie sie sich vor Angst schüttelten, aber keiner sagte ein Wort. Mit einem Ruck betätigte der erste Henker den Schalter für die Falltür und das Opfer zappelte am Strang. Ich konnte das Japsen hören! Verdammt nochmal! Lasst sie doch nicht so leiden, ging es mir durch den Kopf. Ich hatte mal gelesen, dass es eine humane Geste gab, in dem sich jemand an die Beine des Verurteilten hing, um somit das Genick richtig zu brechen. Warum machte hier niemand Anstalten dafür? Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis der Richter diesen Befehl gab, erst dann wurde der zweite Deserteur erhängt. Bei ihm ging es Odin sei Dank schneller!
Die nächsten 6 Gefangenen fanden alle einen schnellen Tod, wenn man es denn so ausdrücken wollte. Erschießen ginge vermutlich schneller!
Bei der nächsten dreier Gruppe jedoch passierte genau das, wovor ich mich gefürchtet hatte.
Der mittlere Mann fiel hinab als sich die Falltüre öffnete, jedoch hörte man ein ekeliges lautes Knacken und ein Geräusch, als würde man eine faulige Orange zerquetschen. Ich sah nur noch, wie der leblose Körper nach unten unter das Schafott fiel und gleichzeitig rollte der Kopf auf dem Boden Richtung der Schaulustigen!
Frauen kreischten und hielten ihren Kindern die Augen zu, Männer hielten ihre Frauen fest, welche ohnmächtig zu Boden sanken! Und ich? Mir wurde schlecht und ich stürmte an den Rand der Menschenmenge und erbrach mich in ein Blumenbeet!
Ich fühlte eine Hand auf meinem Rücken! „Alex, das… damit konnte niemand rechnen.“ Haytham war selber fassungslos und schluckte ebenso schwer.
„Nein, aber ich hatte schon davon gelesen, auch Hickey wird einmal…“ und mit Entsetzen hielt ich meine Hand vor den Mund! Ich sah seine weit aufgerissenen graue Augen!
„Du… du weißt wie Thomas sterben wird?“ mein Mann zog mich noch ein Stück weiter von den Leuten weg und drückte mich an eine Hauswand. „Weswegen wird er gehängt? Alex, sag es mir!“ ich spürte, er war wütend, fühlte sich gleichzeitig überrannt und hilflos.
„Das kann ich nicht…“ ich atmete tief durch, versuchte wieder einen ganzen Satz über meine Lippen zu bekommen. „Also schön…“ seufzte ich. „Geldfälscherei, welche im Auftrag des Ordens angeblich stattfindet. Er und ein paar seiner Männer überschwemmen in einigen Jahren den Markt damit. Können aber Dingfest gemacht werden.“ flüsterte ich und hatte Angst, vor dem, was ich jetzt losgetreten hatte!
„Schwarzmarkthändler! Ich wusste ja, was er so treibt. Deswegen ist er auch immer mal wieder hinter Gittern gelandet.“ Haytham war plötzlich völlig sachlich und ruhig, hatte mich sogar losgelassen. „Wann, Alex?“ in meinem Kopf ratterten Jahreszahlen herunter, aber ich kam nicht darauf. Nur ungefähr wusste ich es noch und meinte leise, es könnte in 10 Jahren sein, vielleicht auch später.
„Ich sollte solange ein Auge auf ihn haben, oder ich ernenne Charles zu seiner Aufsichtsperson!“ grübelte er nun vor sich hin. DAS wäre mir sogar Recht, dann wäre Lee nicht in meiner Nähe, weil Thomas sich hauptsächlich in New York und Boston herumtrieb! „Ich sehe schon, dir würde das hervorragend passen, Alex!“ hörte ich ihn zynisch an meiner Seite.
„Was dachtest du denn? Warum glaubst du wohl will ich, dass die Plantagen um uns herum an uns bekannte Personen gehen? Ich will diesen Mann nicht in meiner Nähe und die meiner Kinder haben!“ ich wurde lauter, weil ich sah, dass mein Mann in seine Rolle als Großmeister des kolonialen Ritus fiel und dann kam man kaum bis gar nicht mehr an ihn ran.
„Wir brauchen ihn, hast du das immer noch nicht verstanden. Hier geht es nicht um persönliche Gefühle und Belange…“ bitte WAS? Eine Fast-Vergewaltigung war NUR eine Gefühlsduselei? Ich stand vor ihm, mehr als sprachlos meinen Kopf schütteln konnte ich nicht. Mir fehlten die Worte!
Ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte die Straße hinunter. Egal wohin, egal ob ich umknickte oder sonst etwas. Ich musste aus dieser Situation heraus, bevor ich meinen Mann ohrfeigen würde!
Nach einer halben Stunde hielt ich atemlos an einer Straßenecke an und sah mich um. Verdammt, ich kannte mich hier überhaupt nicht aus. Wo zum Geier war ich nur? Es sah recht verlassen aus, aber natürlich. Die meisten Bürger waren noch bei der Hinrichtung.
Ich lehnte mich an eine Hauswand und versuchte wieder zu Atem zu kommen.
Manchmal verstand ich Haythams Denkweise nicht! Wie konnte er dieses Arschloch immer wieder in Schutz nehmen? Meine Gedanken wurden von lautem Gegröle unterbrochen.
„Huuuuiiii schau mal. Das Weib hat Reißaus genommen bei der Hinrichtung….“ höhnte ein schmuddeliger Herr vor mir. Neben ihm standen zwei weitere seltsame Gestalten und beäugten mich gierig. Vor allem hingen sie an meinem Dekolletee, welches von einer silbernen Saphierkette geziert wurde.
Einer leckte sich über die Lippen, seine Hände kamen näher, aber damit auch dieser bestialische Gestank dieser Bettler.
„Was für schöne Klunker du doch hast. Gleich bist du davon befreit…“ und mit einer schnellen Bewegung griff dieser Penner danach. Nur hatte er nicht damit gerechnet, dass ich mich verteidigen würde.
Ich war schon auf Krawall gebürstet, also ließ ich meine ganze Wut nun an diesen Nichtsnutzen aus und ließ sie einen nach dem anderem zu Boden gehen. Sie alle fielen meinen versteckten Klingen zum Opfer, welche ich bei diesem Kleid in Monturform hervorragend verbergen konnte. Anscheinend trauten die Männer den Frauen wirklich NICHTS zu, selbst schuld!
„Sie hat sie umgebracht! Einfach so!“ schrie plötzlich eine schrille Frauenstimme aus Richtung der großen Straße und hinter ihr erschienen auch gleich ein paar Neugierige.
„Mörderin! So ruft doch jemand die Wachen!“ brüllte eine andere Frau.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich nun tatsächlich einige Rotröcke auf mich zu bewegten!
„Halt! Stehen bleiben!“ fauchte ein junger Soldat, während er langsam mit gezückter Muskete auf mich zukam. „Ihr seid eine von diesen hysterischen Weibern, welche hier immer wieder die unbescholtenen Bürger belästigen. Endlich haben wir eine von euch!“
Ich stand wie angetackert da. Ich würde ihm gleich mal Hysterie zeigen!
Leider kam ich nicht dazu, weil mein Gatte mit einem Trupp weiterer Männer auf uns zuhielt.
„Stopp! Das ist meine Frau!“ rief er und der Herr vor mir, sah mich belustigt an.
„Aha, trotzdem hat sie diese unschuldigen Herren ermordet! Sie wird ihrer gerechten Strafe zugeführt. Da können wir ja gleich die Schlingen weiter benutzen.“ lachte der Mann und griff nach meinem Arm.
Richter Burns drängte sich an den Menschen vorbei und eilte auf die um mich stehenden Soldaten zu.
„Gentleman, wenn ihr eure Augen aufmachen würdet, dann sähet ihr, dass das hier die gesuchten Bettler sind, welche schon so einige Börsen geraubt haben. Das sind die Männer, welche ihr seit Wochen bereits finden solltet! Und dann kommt eine Dame und macht EURE Arbeit! Ihr seid eine Schande, Gentlemen. Eine Schande!“ empört sah er die Herren weiter an und wartete vermutlich auf eine Entschuldigung oder ähnliches. Nichts dergleichen passierte aber.
„Das sind sie nicht, die Beschreibungen…“ jetzt fuhr Mr. Gillehand dazwischen. Er hielt ein paar Zettel in der Hand, welche er den Männern vor die Füße warf.
„Hier! Dort seht ihr sie. Und jetzt sagt noch einmal, ihr würdet eure Arbeit ordentlich ausführen! Wer ist euer Vorgesetzter?“ fauchte Rory und sah dabei zu mir, um sich zu vergewissern, dass mir nichts weiter passiert ist.
„Lieutenant Gouverneur Fauquier, Sir!“ gab einer der Herren kleinlaut als Auskunft.
„Dann werdet ihr dem Gouverneur umgehend Bericht erstatten, dass die kleine Diebesband endlich ausgelöscht wurde. Und zwar von einer einzigen Frau! Finde ich in eurem Bericht nicht exakt diese Worte, dann wird euch euer Sold für die nächsten Wochen gestrichen!“ Mr. Burns war ebenso erbost wie Rory.
„Jawohl, Sir.“ sie salutierten noch alle und wollten sich schon umdrehen, als mein Mann dazwischenging.
„Ich glaube, ihr habt etwas vergessen, Gentlemen!“ seine Hand deutete in meine Richtung.
Es kamen Entschuldigungen und man beglückwünschte mich für meinen ausgesprochenen Mut und so weiter. Floskeln, alle nicht wirklich ernst gemeint. Auch wenn die Männer mit eingezogenen Schwänzen von dannen stiefelten, sie taten mir nicht leid.
„Mistress Kenway! Ist euch wirklich nichts passiert?“ der Richter war auf mich zu getreten. Besorgt musterte er mich, reichte mir aber dann seine Hand. „Ich muss euch danken! Ihr habt wirklich großen Mut bewiesen und ich bin erstaunt, wie gut ihr mit einem Dolch umgehen könnt.“ sein Blick wanderte auf mein Stiefelmesser, welches ich in dem Durcheinander gezogen hatte. Die versteckten Klingen sollte ja nicht jeder sehen!
Der einzige Mensch, der mich nun wissend anlächelte war Mr. Gillehand, da er die Schnittverletzungen entsprechend deuten konnte. So auch Haytham, natürlich!
„Ich danke euch. Ich bin froh, wenn ich einen Schandfleck aus dieser wunderschönen Stadt tilgen konnte.“ mir fiel nichts besseres ein, weil mein Kopf nichts mit Komplimenten anfangen konnte.
„Alex, komm. Du solltest dich jetzt ein wenig nach diesem ganzen Desaster ausruhen.“ sprach mein Templer fürsorglich, nahm meinen Arm und wir bestiegen eine Kutsche, welche Mr. Burns gerufen hatte.
Gemeinsam fuhren wir zurück zu unserem Büro.
„Was passiert mit den toten Bettlern jetzt?“ ich sah in erstaunte Gesichter.
„Sie werden unter die Erde gebracht! Nicht mehr und nicht weniger. Dafür haben wir aber unsere Leute, macht euch keine weiteren Gedanken, Mistress Kenway.“ Jakub war sichtlich froh, dass das Thema meuchelnde Bettler endlich vom Tisch war.
Eheleute de Granpré und de L´Isle brachten ebenfalls noch ihre Anerkennung zum Ausdruck. Aveline, genau wie Mr. Gillehand wussten nun also, dass ich mich entsprechend mit den Waffen der Assassinen auskannte und auch verteidigen konnte.
Im Haus erwarteten uns schon unsere Kinder!
Aber als Edward mich sah, rümpfte er die Nase. „Mama, du riechst komisch und warum ist dein Kleid schmutzig?“
„Deine Mutter musste sich gegen ein paar Streuner wehren, welche ihr ihren Schmuck klauen wollten, mein Sohn.“ kam es stolz von Haytham.
„Hast du sie mit deinen Äxten vertrieben? Ja? Hast du…“ bevor er noch mehr von unseren Fähigkeiten auspacken konnte, schnappte ich ihn mir und ging mit ihm in unser Zimmer. Dort begann ich ihm ins Gewissen zu reden.
„Edward. Du sollst nicht vor Fremden von so etwas reden, genauso wenig, wie du andere heile machen darfst.“ ich hoffte, er würde es richtig verstehen.
Seine blaugrauen Augen musterten mich und dann huschte ein Grinsen über sein Gesicht.
„Ist das ein Geheimnis, Mama? Das ist spannend, das mag ich. Ich sage nichts mehr, Schusterehrenwort.“ Edwards Verstand war schon recht weit ausgeprägt, auch wenn ich Thor hinter vielem noch vermutete.
„Ja, ist es, min lille skat. Und jetzt lass mich ein neues Kleid anziehen, damit ich nicht mehr so stinke, ja? Sei brav und geh zu deinem Vater.“ mit dem habe ich nachher noch zu reden, dachte ich im Stillen und ließ Magda rufen.
Während des anschließenden Mittagessens, sprach man über die neu zugezogenen Menschen hier. Auch kamen wir auf das Thema, wie schwer es ab und an war, an Baumaterial zu kommen. Immer noch wurde vieles aus England hierher verschifft, auch wenn es schon recht viele Betriebe gab, die sich zum Beispiel mit Ziegelsteinen und ähnlichem beschäftigten. Jedoch auch dort fehlten die Grundwerkstoffe sehr oft.
Dieses Thema würde auch noch größere Kreisen ziehen und weitere Probleme mit sich bringen.
Ich brachte Florence und Edward später nach oben für ihren Mittagsschlaf. Gerade als ich wieder hinunter wollte, trat Haytham auf mich zu.
„Wir sind noch nicht fertig, Alex. Du weißt, wie sehr es mir missfällt, wenn du aus einem Gespräch einfach flüchtest.... AUCH wenn ich weiß, dass ich mich vermutlich wieder falsch ausgedrückt habe!" kam es mit Nachdruck.
„Weißt du was? Leider ist es genau diese Gedankenlosigkeit von Zeit zu Zeit bei dir! Und ich weiß, auch ich bin oft nicht besser. Im Bezug auf Charles erwarte ich aber, dass du ihn nicht immer in Schutz nimmst. Er ist ein erwachsener Mann und er weiß selber, dass ihr ihn in der Armee braucht. Meinetwegen soll er da glücklich werden, aber eben nicht in meiner Nähe! Ich will dieses Monster nicht ..." die Arme meines Templers schlangen sich um mich.
„Schon gut, ich habe es verstanden! Wir werden ihm also entsprechende Aufträge und Missionen geben, damit er nur mit mir alleine sprechen muss. Ich werde dafür sorgen, dass du oder die Kinder nicht mit ihm in einem Raum sein werdet. Tu mir nur einen Gefallen, mi sol." er sah mich durchdringend an.
„Der da wäre?" fragte ich mit hochgezogener Augenbraue.
„Renn nicht immer weg! Vor allem habe ich mir vorhin echte Sorgen gemacht. Du kennst dich hier nicht aus und wie du selber gesehen hast, geistert auch hier Lumpenpack herum. Aber... ich bin stolz auf dich. Trotz Kleid hast du dich gegen drei Männer verteidigt, ohne einen eigenen Kratzer abzubekommen." grinste er mich jetzt an.
„Naja, ich muss gestehen, es war der Überraschungsmoment, als sie bemerkten, dass ich Klingen an den Handgelenken habe." kicherte ich etwas undamenhaft.
Wir verbrachten noch zwei Tage hier in Richmond, weil es die ersten Brüder und Schwestern in unser Büro zog. Platz war genügend vorhanden und man hatte den Keller bereits entsprechend eingeräumt. Das wichtigste war die große Waffenkammer, in welcher schon eine stattliche Anzahl an Musketen, Gewehren, Schwertern und vor allem Munition und Schwarzpulver lagerten. Außerdem konnten die entsprechend geschulten Männer oder Frauen auch Rauchbomben und ähnliches dort herstellen!
„Es ist ein noch recht seltsames Gefühl, dass ich mit der Bruderschaft ein Haus nutze. Aber ich muss auch gestehen, die Erfahrungen helfen uns gegenseitig und wir lernen von einander. Wer hätte das gedacht." meinte eine Dame, welche sich im ersten Geschoss ihr kleines Büro eingerichtet hatte. Sie war für die Koordination von einigen Überseemissionen zuständig.
Neben diesem Arbeitszimmer hatte sich ein junger Mann eingerichtet, welcher den Assassinen aus der Schweiz angehörte. Er hatte von seinem Mentor den Posten bekommen, sich um die britische Armee zu kümmern. Man schleuste immer mal wieder einige Meuchelmörder dort ein, so hatte man einen guten Überblick über eventuelle Manöver oder ähnliches.
Erleichtert, dass wir Fortschritte machten, konnten wir aufbrechen.
„Es freut mich, dass der Zulauf so groß ist." Mr. Gillehand freute sich natürlich, dass er hier nicht mehr alleine verweilen musste. Er genoss die Wochenende auf seiner Plantage aber dennoch. „Mistress Kenway, ich werde nächstes Jahr, wenn es gut läuft, auch den ersten Nachwuchs bei meinen Pferden haben." sein Gesicht war eine einzige Freude und der Stolz war deutlich herauszuhören.
„Das freut mich ebenso. Ich weiß auch schon, wer euch dann besuchen kommen wird, Mr. Gillehand." kam es lachend von meinem Mann, mit einem Blick auf Edward und mich gerichtet.
Wir verabschiedeten uns hier aber von unseren Geschäftspartnern aus New Orleans, weil sie, ohne Zwischenstopp bei uns, jetzt auch wieder nach Hause wollten. Auch sie hatten Geschäfte, welche sie führen mussten.
Diese verhunzte Hinrichtung blieb noch eine Weile in aller Munde und die Geschichte breitete sich nach und nach auch in die anderen Städte aus. Ich selber träumte noch einige Male davon. Niemandem wünsche ich solch einen Anblick!
„Guten morgen, mi sol." hauchte mir die raue Stimme meines Mannes ins Ohr. „Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag." seine warmen Lippen fühlten sich fantastisch an. Vermutlich lag ich, wie so oft, dümmlich grinsend unter ihm. „Ja, aber das gefällt mir." damit schob er sich zwischen meine Schenkel. Wie gut, dass er in mir lesen konnte!
Ein so befriedigendes Geburtstagsgeschenk bekommt man doch gerne.
„Darf ich noch mehr haben, mi amor?" hauchte ich etwas später an seiner Brust, während meine Hände darüber fuhren.
„Wenn du brav fragst." in diesen wenigen Worten, lag soviel... ich wäre am liebsten noch einmal über ihn hergefallen.
Leider fehlte uns aber die Zeit, weil im Gästehaus nebenan einiger Besuch untergebracht war, anlässlich meines Geburtstages.
Gerade als Magda mich eingekleidet hatte stürmte Edward ins Zimmer, warf sich mir in die Arme und brüllte mir ein Geburtstagsständchen entgegen. Ich verstand leider kein Wort, weil mal wieder alle Sprachen durcheinander gewürfelt wurden. Ich vermutete, es hätte mit Glückwünschen und ähnlichem zu tun.
„Freust du dich, Mama? Hab ich von Thor gelernt und Mutter Idun sagt, dieses Lied ist ein ganz schweres!" stolz sah er mich mit leuchtenden Augen an.
„Natürlich freue ich mich, min lille skat. Danke für dieses wunderschöne Lied." ich drückte meinen kleinen Schatz an mich.
Unten im Esszimmer wurde ich von unseren Gästen und den Angestellten beglückwünscht.
Gegen Mittag dann endlich wurden uns Jenny und Master Mormon angekündigt, welche per Schiff hier anreisten! Leider waren sie in einen größeren Sturm geraten und mussten für fast eine Woche Schutz suchen. Dazu kam, dass sie in einem kleineren Hafen vor Anker gehen mussten, damit ihr Schiff repariert werden konnte.
Die „Mulligan" war eine Brig, welche etwas größer als die „Jackdaw" war. Sie gehörte Master Mormon, welcher sie vor 4 Jahren erworben hatte, damit er unabhängig von A nach B kommen könnte.
„Ich bin nicht gerne auf andere angewiesen." grinste er in die Runde. Da konnte ich ihn sehr gut verstehen. Also würden die beiden nicht mit uns nach London zurück segeln. Somit waren wir auch unabhängiger von der Zeit des Aufbruchs.
Endlich berichtete Haythams große Schwester von den Vorbereitungen für die anstehende Hochzeit, wie der Antrag zustande kam und wie sehr sich die beiden nun auf ihre gemeinsame Zeit freuten!
„Haytham, es ist einfach ein unwirkliches Gefühl. Ich hätte nie gedacht, doch noch zu heiraten." mit einem liebevollen Blick auf ihren Verlobten tat sie dies kund. Ich beobachtete die beiden ein wenig. Ihre Verbundenheit war für jedermann sichtbar. Wie ich schon einmal erwähnte, Jenny und Master Mormon passten wirklich zusammen.
Die Hochzeit werde im November stattfinden, verkündete man noch und verteilte entsprechende Einladungen persönlich in diesem Zuge.
Somit könnten wir im August aufbrechen, weil zu diesem Zeitpunkt ein Großteil der Ernte bereits eingefahren war. Auch wären Florence und Lionel dann alt genug für eine Atlantiküberquerung.
„Und ihr wisst ja, ihr könnt solange bleiben, wie ihr möchtet." kam es fröhlich von meiner Schwägerin, welche sich an ihren Verlobten schmiegte.
„Ich denke spätestens im Februar müssen wir wieder aufbrechen, all zulange werden wir hier die Plantagen nicht alleine lassen können. Dazu kommen noch die Geschäfte." kam es grübelnd von Haytham.
Der einzige, der etwas betrübt dreinschaute, war Edward Junior.
„Dann sehe ich aber Walka so lange nicht und Darius auch nicht..." plötzlich brach er in Tränen aus und ich nahm ihn auf meinen Schoß.
„Min lille skat. Walka kann uns ja begleiten, nur dein Pferd wird hier bleiben müssen. Aber du weißt doch, Mr. Mackenzie kümmert sich gut darum. Auch ich muss Fenrir alleine lassen und dein Vater muss Brida zurücklassen. Wir werden sie alle wieder sehen, das verspreche ich dir." ich gab dem kleinen schniefenden Kenway noch einen Kuss auf die Wange und langsam beruhigte er sich wieder.
„Tante Jenny, hast du auch ein Pferd?" schon war meine Schwägerin in Beschlag genommen.
Die Hündin konnten wir tatsächlich mit an Bord nehmen, auch wenn unser Sohn dann lernen musste, sich um sie entsprechend zu kümmern und ihren Dreck auch wegzumachen. Eine neue Lektion im Umgang mit Tieren für ihn.
Ich setzte in den nächsten Tagen noch einige Briefe auf, einer ging unter anderem an die de Gooijers. Wir würden sie ein paar Tage in den Niederlanden besuchen, weil ich von London aus Ende Januar eine Lieferung von Stoffen, Gewürzen und Baumaterial hatte. Das Datum war noch recht vage, aber wir könnten es ganz gut verbinden.
Ich freute mich auf die beiden, weil ich mal wieder mehr als neugierig war, wie es zu dieser Zeit in Holland aussah.
Als alle abgereist waren, machte ich mich daran, einen Plan für das Packen aufzustellen. Eine Nachricht vom Gouverneur aus Philadelphia traf zu dieser Zeit ebenfalls ein.
Man bat mich, oder besser uns, darum, einige Schreiben für seine Majestät mitzunehmen. Es handelte sich um einige Beweismittel, Zeugenaussagen und ähnliches, welche belastend für in London bereits inhaftierte Männer seien.
... „Leider ist es erst jetzt möglich, diese Schriftstücke zuzustellen
und fertigzustellen, weil es zu einigen unschönen Toden gekommen ist.
Wir tappen immer noch im Dunkeln, wer wirklich dafür verantwortlich
ist. Unerwartete Hilfe haben wir von eurem Geschäftspartner
erhalten, dem Duke of Ironside, welcher uns bei den Nachforschungen
noch weiter behilflich sein wird." ...
Im Grunde war ich schon im Bilde, weil mir mein Allvater davon berichtet hatte. Man vermutete dahinter eine Gruppe verdeckt arbeitender Assassinen, welche eher einer Diebesgilde gleichkamen, als der Bruderschaft.
„Wir können sie einfach nicht zuordnen. Ihre ganzen Anhänger kommen aus allen Teilen der Welt. Sie folgen auch keinem vereinten Credo, sondern agieren, wenn man es genauer betrachtet, wie eine Armee. Ich hoffe, wir finden alsbald den eigentlichen Drahtzieher. Auch wenn ich vermute, dass es sich um Hrymr handelt, welcher immer noch auf freiem Fuß ist." Elias war bei diesem Gespräch sichtlich ungehalten und wütend. Dieser Gott in Gestalt von diesem widerlichen Eugene Avdeyev, war wie Nebel. Er tauchte einfach auf, verschwand aber auch genauso schnell wieder.
Außerdem mehrten sich seltsame Vorfälle in den größeren Städten, wo immer wieder ganze Gruppen, ob nun Soldaten oder Zivilisten, ohne Grund aufeinander losgingen! Das sprach für diesen Kapitän der Naglfar! In mir breitete sich wieder diese Angst vor dem Gott aus. Im gleichen Atemzug jedoch hatte ich im Kopf diese Barriere, welche mittlerweile auch ohne darüber nachdenken zu müssen, vorhanden war. Ich dankte Odin wirklich für seinen Unterricht!
Die letzten Wochen verbrachte ich mit einem kurzen Ausflug, naja, es war eine kleine Auszeit für mich, nach New York. Es gab kleinere Probleme im Bordell und Maria hatte man kaputte Waffen geliefert. Sie war außer sich, als sie die Kisten öffnete und darin nur defekte, rostige Musketen und Gewehre zu finden waren. Jemand musste sie also ausgetauscht haben.
Ich nahm die Kinder und 4 Wachen mit, natürlich durfte Edwards Hündin nicht fehlen.
„Mama, Walka muss auch dabei sein. Sie vergisst mich sonst!" kam es bestimmend von meinem Sohn, während er sie an sich drückte.
„Also schön, sie darf mitkommen." seufzte ich tief. Ich spürte, dass es für ihn wirklich wichtig war.
Es passte meinem Mann überhaupt nicht, dass ich die Kinder mitnahm. Er selber konnte aber gerade hier nicht weg, weil mal wieder umher streunende Banditen die Gegend unsicher machten.
„Mi sol, ich heiße es nicht gut, dass ihr dort alleine seid. Was ist, wenn die Nachforschung wegen der defekten Waffen gefährlich wird?" in seinen Augen las ich die Angst, mir könnte etwas zustoßen, oder eben den Kindern.
„Ich glaube kaum, dass mich dort eine Horde marodierender Piraten erwarten wird. Ich verspreche dir, wenn es zu brenzlig wird, halte ich mich zurück. Außerdem bin ich in New York nicht alleine. Denk daran, dass dort bereits eine Delegation im Fort George unsere Belange betraut!" gab ich zu Bedenken, weil vor einem dreiviertel Jahr Haythams altes Haus zum Büro umfunktioniert worden war. Es war dort sicher, weil es im militärischen Bezirk lag. Wir würden dort Quartier beziehen.
Auch wenn ich lieber bei den Finnegans unterkommen würde, was aber schwierig wäre mit dem Personal, den Wachen und drei kleinen Kindern. Soviel Platz gab es dort auch nicht, vermutete ich mal.
„Versprich mir, dass du vorsichtig bist, mi sol. Ich kenne dein recht ungezügeltes Verhalten ab und an." sein Lächeln ließ mich schmunzeln, weil ich mich ja selber kannte.
„Schusterehrenwort, mi amor!" hauchte ich an seine Lippen.
Der Abschied von Florence und Edward war noch eine ganz andere Hausnummer, wie ich nun feststellen musste. Wobei unser Sohn recht freudig die Reise antrat, aber seine Schwester von mir zu ihrem Vater sah und dann begann zu weinen.
„Papa!" rief sie mit ausgestreckten Armen, als ich an Bord wollte.
„Ihr macht einen kleinen Ausflug, mein Engel. Nicht lange und ihr seid wieder hier. Schau mal, das Schiff wartet schon auf dich und deinen Bruder. Und wer weiß, vielleicht kommt euch euer Großvater auch besuchen." flüsterte er verschwörerisch und ein Lächeln erschien auf ihrem kleinen Gesichtchen. Ich selber machte mir eher Sorgen, dass sie vielleicht nicht ganz seefest sein könnte.
Wir alle winkten Haytham noch zu und fuhren in die Mittagssonne, Richtung Cheasapeak Bay. Für einen Moment kam wieder mein schlechtes Gewissen hoch, weil ich meinen Mann alleine ließ! Aber wir hatten noch den ersten Geburtstag unserer Tochter gemeinsam gefeiert, weil mir das doch am Herzen lag, diesen Tag nicht alleine verbringen zu müssen!
Nach 10 Tagen erreichten wir New York und wie so oft, standen einige Schaulustige am Landungssteg, um sich die sagenumwobene „Jackdaw“ genauer ansehen zu können. Mittlerweile schien sich hier ein Gerücht entsponnen zu haben, welches besagte, dass man des nächtens den alten Kapitän an Deck herumschleichen sehen könne.
Edward! Du machst das nicht wirklich oder? Fragte ich meinen Schwiegervater in Gedanken und hörte ein leises Kichern.
Naja, ab und an, wenn mir langweilig ist… Mehr kam aber nicht, im Grunde konnte ich mir das Ganze auch sehr gut vorstellen. So blieben hoffentlich die Leute von der Jackdaw runter und hatten entsprechenden Respekt!
Wir wurden zum Fort George gebracht und als wir das alte Wohnhaus meines Mannes betraten, sah ich, wie die Erinnerung bei Sybill vor ihrem inneren Auge ablief. Ein Seufzen bestätigte meine Vermutung.
„Es ist seltsam, wieder hier zu sein.“ kam es ehrfurchtsvoll von Mrs. Wallace. Wie automatisch wollte sie schon Richtung Küche gehen, als ich sie aufhielt.
„Sybill, ihr werdet hier gebraucht.“ auch Edward war dieser Ansicht.
„Hat Papa hier gewohnt, Mama? Ist das sein altes Haus?“ fragte er neugierig und sah sich hier unten um, während die neue Haushälterin und ein Diener vor uns traten.
„Ja, min lille skat. Hier habe ich damals deinen Vater gepflegt, als er … Aber das erzähle ich später. Lasst uns erst einmal auspacken und uns einrichten.“ ich begrüßte die neuen Bediensteten, während auch ich einen Blick auf diese so vertrauten Räumlichkeiten warf.
Hier unten gab es noch das Esszimmer, aber der Salon war umfunktioniert worden in einen Besprechungsraum. Haythams altes Arbeitszimmer diente einem Ordensmitglied, welches nur gerade nicht vor Ort war.
Im Obergeschoss musste ich dann aber feststellen, dass wir hier tatsächlich nicht übernachten konnten. Auch wenn die Kindermädchen im angrenzenden Gebäude untergebracht wurden. Unsere Wachen hätten keinen Platz und alle Räume waren mittlerweile in Arbeitszimmer verwandelt worden.
Ich ließ es mir trotzdem nicht nehmen, mich umzusehen. Genau wie Sybill hatte ich die Bilder von damals wieder im Kopf. Florence und Edward berichtete ich nun, wo was gestanden hatte. Unter anderem erklärte ich, dass ich ein kleines Rollbett nebenan vom Zimmer ihres Vaters bekommen hatte.
„Durftet ihr nicht in einem Bett schlafen, Mama? Warum?“ ungläubig sah er sich in dem kleinen Nebenzimmer um.
„Weil ich sein Zimmermädchen war, Edward. Da schickt es sich wohl nicht, zusammen in einem Bett zu schlafen. Außerdem kannte ich euren Vater doch noch gar nicht richtig.“ Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sich das für die beiden anhören musste. Sie kannten unsere Geschichte ja noch nicht, weil sie auch bislang noch nie gefragt haben. Bis auf die Frage nach den Kosenamen, waren wir noch von solchen Erklärungen verschont geblieben.
„Hmmmm…“ mehr hörte ich von meinem Sohn nicht, als er sich aufmachte, die anderen Zimmer anzusehen.
Kurzum hatte ich beschlossen, doch bei den Finnegans zu übernachten. Auch wenn wir sie damit überrennen würden. Also wieder alles in die Kutschen nach einer Verabschiedung und dem Versprechen, dass ich mich morgen hier wieder einfinden werde.
Die Pension hatte sich äußerlich sehr verändert, wie ich feststellte. Die Fassade war in einem satten Gelbton neu gestrichen, die Fenster waren ebenfalls in Weiß frisch getüncht und der Vorgarten blühte wunderschön!
Auf unser Klopfen öffnete uns Mrs. Finnegan, blinzelte gegen die Sonne in meinem Rücken.
„Was kann ich für euch tun, Miss?“ ihre Augen wanderten über unseren Trupp und auf einmal fand ich es schon recht frech, wenn wir hier so rein platzten.
„Mrs. Finnegan, ihr werdet euch vielleicht nicht mehr an mich erinnern. Es ist schon eine Weile her, damals … also… mein Ex-Verlobter hatte ein Zimmer hier bezogen. Auf der Suche nach ihm war ich dann mit Faith und Shay Cormac hier.“ in der Hoffnung, dass ihr das auf die Sprünge helfen würde, sah ich sie erwartungsvoll an.
„Hmmmm… ja, ich weiß noch, dieser Herr, welcher spurlos verschwunden ist, nicht wahr? Ich erinnere mich auch, dass in einer Nacht ein paar Rüpel uns diesbezüglich bedroht hatten.“ sie sah mich nun etwas mürrisch an.
„Das… tut mir auch wirklich leid. Aber diese Leute gehörten nicht zu mir, sondern waren ebenfalls auf der Suche nach Mr. Engelhardt.“ ich wurde immer leiser, weil ich befürchtete, Cassidy würde uns wegschicken, weil sie Angst hatte, dass so etwas wieder passieren könnte.
„Wie ich sehe, habt ihr ihn anscheinend gefunden.“ ihr Blick wanderte zu Florence, welche auf meinem Arm eingenickt war.
„Nein, leider habe ich das nicht. Ich bin aber seit 5 Jahren verheiratet... mit Master Haytham Kenway.“ in diesem Moment erhellte sich ihr Gesicht.
„Oh, an ihn kann ich mich noch erinnern. Er war ein paar Mal mit Master Cormac hier! Wo ist er denn?“ fragend sah sie sich um und ich erklärte, warum wir alleine hier waren.
„Das ist ja schade, aber ich denke, wir haben noch ein Plätzchen für euch frei.“ erleichtert folgte ich ihr in das große Ess- und Wohnzimmer, wo Barry gerade von oben die Treppe herunterkam.
Nachdem wir eine Kleinigkeit zu Mittag bekommen haben, wurden alle drei Kinder zu Bett gebracht.
Somit hatte ich nun ein wenig Zeit und machte mich, in meine Templermontur gekleidet, auf den Weg zu Maria. Gar nicht so leicht dorthin zu finden, dachte ich noch. Es hatte sich zwar nicht viel verändert, aber es gab neue Geschäfte und ich hatte das Gefühl als würden hier nur noch Soldaten leben!
Vor dem Haus meiner Geschäftspartnerin sah ich mich um, weil ich ein Kribbeln im Nacken gespürt hatte. Meine Wache sah sich auch mit der Hand am Schwert vorsichtig um. Keine roten Auren oder ähnliches. Seltsam…
Auf mein Klopfen wurde mir postwendend geöffnet und die kleine Italienerin zog mich ohne ein Wort ins Innere.
„Mistress Kenway, gut dass ihr jetzt hier seid. Hier wimmelt es von seltsamem Fußvolk. Seit Tagen wird mein Haus beobachtet!“ flüsterte sie, so als könne man sie hier drinnen auch noch belauschen!
Am Tisch reichte sie mir einen Becher mit Wein und begann mir zu erzählen, was in den letzten Monaten alles passiert war.
Es gab diese besagte Lieferung der defekten Waffen, doch nicht nur das. Die entsprechende Munition war auch völlig unbrauchbar, weswegen es viele Verletzte bei Schussübungen gegeben hatte. Die Mischung von Schwarzpulver und den anderen Inkredentien schien verändert worden zu sein!
Der Lieferant war seit geraumer Zeit auch abgetaucht und nicht mehr aufzufinden.
„Wir haben schon alle uns bekannten Wohnungen, Gebäude, Lager und so durchsucht. Doch es ist, als wäre er einfach vom Erdboden verschluckt worden. Was außerdem seltsam ist, ist die Tatsache, dass sofort nach dem Verschwinden ein neuer Herr auf mich zukam. Aber wir haben bislang noch keine Geschäfte mit ihm gemacht, weil er nicht ganz sauber ist!“ fauchte sie, während sie ihren Becher wütend in einem Zug leerte.
„Wie heißt der Mann? Ich sollte ihm vielleicht mal einen Besuch abstatten und ins Gewissen reden!“ sagte ich kalt, weil ich befürchtete, dass hier mal wieder diese abtrünnigen Meuchelmörder im Auftrag von Eugene am Werke sein könnten.
„Hickey! Ein Schluckspecht wie er im Buche steht! Hängt ständig in einer Taverne hier rum, wenn er dort nicht ist, liegt er vermutlich besoffen auf einer Bank.“ ich verschluckte mich an meinem Wein und sah sie hustend an.
„Wie bitte? Thomas Hickey? Ihr meint diesen Mann?“ immer noch starrte ich die Italienerin an.
„Ja, genau der. Ihr kennt diesen Widerling?“ jetzt sah sie mich skeptisch an. Also erklärte ich, dass er eigentlich nicht hier sein dürfte und wir schon länger auf der Suche nach ihm wären. „Das trifft sich ja hervorragend, dann habt ihr ihn gefunden. Geht und macht dem Ganzen ein Ende, ich will meine Lieferungen heile und unbeschadet wissen!“ Verdammte Axt! Was machte dieser Idiot denn hier? Er sollte ganz woanders sein!
„Ich verspreche euch, ihr könnt bald wieder intakte Musketen in Empfang nehmen.“ mit diesen Worten verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg zurück zum Fort George, immer mit dem Gefühl beobachtet zu werden.
Im alten Wohnhaus angekommen, rief ich die anwesenden Brüder und Schwestern zusammen. Ich erklärte, weswegen wir umgehend nach Thomas suchen müssten und dass wir dringend Nachricht an meinen Mann schicken mussten. Wenn Hickey wieder hier war, war auch Charles vermutlich wieder im Lande. Doch eigentlich sollte der noch in London seine Haft absitzen!
„Mistress Kenway, seid ihr euch sicher, dass wirklich ER gemeint ist. Vielleicht…“ fragte ein junger Mann neben mir, aber ich fuhr ihm über den Mund.
„Ja, ich bin mir sicher.“ meine Stimme war kalt und in meine Templerart gerutscht.
Man ließ Nachricht an alle hier bereits anwesenden Ordens- und Bruderschaftsmitglieder senden, mit dem Vermerk, dass wir uns am Abend im Büro zusammen finden sollten.
Ich selber machte mich jetzt mit meiner Wache schnurstracks zu den Finnegans auf, weil zu befürchten war, dass man uns dort schon auflauern könnte, oder noch schlimmeres bereits passiert war.
Die Angst um meine Kinder stieg in mir empor und ich spornte mein Pferd an.
Sie war aber unbegründet, weil Florence, Lionel und Edward friedlich mit den Kindermädchen, Cassidy und Barry im Wohnzimmer spielten.
Sybill brauchte mich nur ansehen und wusste Bescheid. Den Wachen gab ich entsprechende Anweisungen für heute Abend und auch die Finnegans mussten sich auf einen Überfall einstellen. Ich hoffte, soweit würde es nicht kommen!
„Mistress Kenway, denkt an euren Gatten!“ kam es leise von Mrs. Wallace, in ihren Augen lag ein goldenes Leuchten. Ich verstand was sie meinte.
Ich zog mich für einen Moment zurück und suchte Haytham in Gedanken!
Er saß gerade an seinem Schreibtisch, jede Menge Papierkram vor sich und schien auf irgend etwas wütend zu sein.
Mi sol, was… geht es euch gut? Ich spürte seine plötzliche Panik, beruhigte ihn aber sofort wieder. Als ich schilderte, was hier los war loderte eine immense Wut in ihm hoch. Was in drei Teufels Namen treibt dieser Mann in New York? Er hat Waffen manipuliert und das angeblich im Auftrage des Ordens? Ist … ich hörte ihn tief durchatmen.
Ich werde mich heute Abend auf die Suche nach ihm machen, Haytham. Die Wachen bleiben bei den Finnegans… zu mehr kam ich nicht.
Warum seid ihr nicht im Fort George? Fauchte er mich an und ich erklärte ihm die dortige Situation. Zumal wir im alten Haus auch nicht wirklich sicher wären, weil Hickey zur Garnison Zutritt hatte. Niemand würde ihm das verwehren. Verdammt, daran habe ich nicht gedacht. Alex, versprich mir, dass du Vorsicht walten lässt und …
Ich spürte, er wäre jetzt lieber hier um uns beschützen zu können.
Ja, wenn es zu gefährlich wird, werde ich mich zurückziehen. Weißt du vielleicht, wen er noch unter sich haben könnte? Hat er vom Militär noch Leute dabei? Aber was mir am meisten Sorge bereitet ist der Gedanke, dass Charles ebenfalls hier sein könnte!
Da kann ich dich beruhigen, er ist noch in London. Ich habe heute, was ein Zufall nicht wahr, das Schreiben erhalten, dass er in ungefähr zwei Monaten entlassen werden soll. Diese Worte beruhigten mich zwar ein wenig, aber noch nicht gänzlich.
Ich hoffe, er ist nicht doch schon hier… sprach ich leise.
Nein, das glaube ich nicht, die Nachricht hätten wir erhalten, mi sol. Sei bitte trotzdem vorsichtig und erstatte mir Bericht oder lass mich in Gedanken mitkommen! Seine Stimme hatte einen gewissen Befehlston angenommen.
Das mache ich, mi amor. Tief einatmend versicherte ich meinem Mann noch, dass ich ihn liebte.
Nachdem die Kinder am Abend dann im Bett waren, begab ich mich erneut zum Fort George, alleine. Alle vier Wachen sollten zum Schutz in der Pension bleiben! Ich spürte das Edward ebenfalls so ein unwohles Gefühl hatte, aber ich sah, wie sein Pate an seiner Seite war, was mich beruhigte! Ebenfalls war Brünhild anwesend, wenn auch nicht sichtbar für die anderen!
Im Fort herrschte Wachwechsel, weswegen die Wachen am Tor mich einfach durchwinkten. Beim Wohnhaus wartete man schon auf mich und ich staunte über die große Truppe, die sich dort versammelt hatte.
Ungefähr 15 Männer und Frauen waren zusammen gekommen. Die Vorstellung war schnell erledigt und es hielt sich mit Assassinen und Templern die Waage.
„Es freut mich, euch endlich einmal persönlich kennenzulernen, Mistress Kenway. Man hört ja immer nur so viel Gerede und weiß nie, wer wirklich dahinter steckt. Ihr habt mit eurem Gatten einen großen Schritt begangen und ich bin stolz, ein Teil davon sein zu können.“ sprach ein Mann, Mitte 40, 1,70 m groß ungefähr, kurze blonde Haare, sein Name war Toby Smitherton. Alle Namen würde ich mir heute nicht merken können, aber ich wusste, wir hatten Listen und entsprechende Bücher, wo sie eingetragen wurden. Wir brauchten ja einen Überblick.
Die bevorzugte Taverne von Hickey war die „Blue Raven“. Also machten wir uns auf den Weg dorthin, während dessen besprachen wir den Ablauf und wie wir den Zugriff koordinieren würden. Wir mussten mit allem rechnen!
Ein Teil würde sich in die oberen Stockwerke begeben, damit von dort schon einmal eine Überwachung stattfinden konnte.
Durch die Hintertür würden dann 5 Mann in den Innenraum gelangen und wir anderen würden in kurzen Abständen die Taverne vom Haupteingang aus betreten.
Von außen machte sie einen recht schäbigen Eindruck, also wappnete ich mich und meine Nase!
Nach und nach betraten wir den „Blue Raven“ und ich sah ihn schon von weitem an einem Tisch sitzen.
Thomas spielte mit einigen Herren Karten und ließ sich sein Ale schmecken. Sie alle waren bester Laune. Nicht nur sie, auch die anderen Gäste waren in Feierlaune, sangen und grölten laut!
Wir verteilten uns alle. Immer so, dass wir ihn im Auge hatten. Für einen Moment ließ ich Haytham in meinen Kopf.
Da ist er ja! Fauchte er! Seine Wut übertrug sich auf mich seltsamerweise, aber es fühlte sich nicht schlecht an. Beobachte das Ganze noch eine Weile, Alex. Ich will wissen, WER sein Auftraggeber ist!
Ich hatte neutrale Kleidung an, ein beigefarbenes Kleid, welches aber nur Attrappe war! Mit einem Ruck wäre der Stoff heruntergerissen, darunter hatte ich nämlich meine Assassinenmontur an! Frau Fischer hatte mir diese Garderobe vor einiger Zeit angefertigt, was sie zwar etwas seltsam beäugte, aber dann ihre Arbeit machte.
Langsam näherte ich mich dem Tisch, lehnte mich an einen nahegelegenen Holzpfeiler und sah in die obere Etage. Dort hatten sich an der Brüstung die anderen Brüder und Schwestern schon platziert.
„Oh, Jungs! Das ist das beste Geschäft, was ich in den letzten Monaten machen konnte.“ hörte ich Thomas freudig rufen. „Wer auch immer glaubt, dass Weiber für das Geschäft taugen, muss ziemlich auf den Kopf gefallen sein. Sie taugen nur für ein Geschäft und zwar in einem Freudenhaus auf dem Rücken!“ alle Anwesenden lachten und stimmten ihm prostend zu.
„Hört! Hört!“
So ging es immer weiter, eine anzügliche Zote riss die nächste und man ließ nicht ein gutes Haar an Frauen! Langsam wurde ich ungehalten, aus dem Augenwinkel sah ich, wie eine meiner Begleiterinnen ebenfalls drauf und dran war, die Geduld mit diesen Widerlingen zu verlieren. Ich schüttelte nur leicht den Kopf, als sie in meine Richtung sah. Sie rollte mit den Augen, was mir ein breites Grinsen ins Gesicht rief.
„Ach, was ist denn so lustig? Hey… ich red mit dir!“ fuhr mich eine dunkle lallende Männerstimme von der Seite an.
„Nichts, ich warte nur darauf, dass ich endlich etwas zu trinken bekomme!“ antwortete ich geistesgegenwärtig und sah diesen Herren lächelnd an.
„Sieh an, sieh an. Wen haben wir denn hier?“ kam es vom Tisch und für einen Moment dachte ich erschrocken, man meinte mich. Aber Hickey grapschte nach einer meiner Begleiterinnen, welche sich gekonnt aus seinem Griff schlängeln konnte.
Plötzlich hatte ich einen Krug mit Ale vor der Nase, was mich von meiner Beobachtung ablenkte!
„Hier, trink. Das schmeckt lecker und dann zeige ich dir, was noch gut schmeckt.“ grinste mich der Herr mit einer Reihe fauliger, schwarzer Zähne an, während er sich in den Schritt griff. Bei Odin, mir wurde bei dem Gedanken schon schlecht.
Ich riss mich aber zusammen, nahm einen Schluck und lächelte Mr. Zahnlos dankend zu. Noch wollte ich wissen, was dort am Tisch besprochen wurde! Also musste ich möglichst unauffällig bleiben.
Mir fiel aber siedend heiß ein, dass Thomas mich tatsächlich wiedererkennen könnte! Oder war sein Gedächtnis durch den hohen Alkoholkonsum nicht mehr so gut? Zu mehr kam ich aber nicht, weil ich eine Hand auf meinem Hinterteil spürte.
„Trink weiter, Mädel… na los…“ mir wurde immer übler, weil dieser Atem wirklich drohte mein Innerstes nach Außen zu kehren!
Doch dann spürte ich, wie sich etwas in mir veränderte, oder besser gesagt, etwas schob mich zur Seite!
„Oh, du bist aber ein mutiger Krieger, was?“ hörte ich mich sagen, nur dass es nicht meine Stimme war. „Glaubst du, du kannst mir auch noch den Mann dort bringen? Ich würde zu gerne mal wieder zwei starke Männer haben!“ meine Hand fuhr lasziv über meinen Ausschnitt, obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte. Stoppen konnte ich das Ganze aber nicht, so sehr ich mich auch anstrengte.
„Glaub mir, Schätzchen, ich reiche da völlig. Bisher hat sich noch keine beschwert.“ nein, wie auch, die waren alle vermutlich durch den Mundgeruch gestorben!
„Dann komm, draußen gibt es bestimmt eine kleine dunkle Ecke für uns!“ meine Finger griffen seinen Ärmel, zogen ihn so mit durch den Schankraum, hinaus auf den Innenhof. Dieser war verlassen und dunkel. Man hörte nur ein paar Hühner in der Nähe gackern und das Stimmengewirr aus der Taverne.
Ich schob den Mann an die gegenüberliegende Hauswand in eine Nische und drückte mich an ihn. Er begann hektisch zu atmen und wollte sich schon von seiner Hose befreien, doch ich hielt seine Hand auf meine Brust gedrückt.
„Weib, du hast es aber ganz schön eilig. Lange keinen Schwanz mehr zwischen den Beinen gehabt, was?“ raunte er.
„Ganz recht und DU wirst deinen heute noch verlieren!“ hörte ich mich fauchen, ließ die versteckten Klingen hervorschnellen und hatte sein bestes Stück schneller abgetrennt, als ich die Worte gesprochen hatte.
Seinen Schmerzensschrei erstickte ich mit meiner Handinnenfläche, während ich ihn zu Boden gleiten ließ und mit der anderen versteckten Klinge durchtrennte ich seine Kehle!
„Und jetzt… schlaf schön du kleiner Arsling!“ immer noch klang ich nicht nach mir!
Ich zog den schlaffen Körper des Toten zu einem Heuhaufen und begrub ihn darin. Dann richtete ich meine Kleider, meine Haare, wischte meine Klingen sauber und ging wieder hinein.
Meine Vorfahrin war definitiv abgebrühter als ich, ging es mir durch den Kopf.
Im Inneren wurde ich misstrauisch von meinen Begleitern beäugt, nickte aber nur leicht und gesellte mich in die Nähe meiner Begleiterin, welche von Hickey in Beschlag genommen wurde.
Sie saß mittlerweile auf seinem Schoß, während er lauthals seine Erfolge verkündete. Was war dieser Typ doch für eine Plaudertasche, von Zurückhaltung keine Spur.
Für einen Moment spürte ich Haytham wieder in meinem Kopf.
Mi sol, das war… ich bin ehrlich gesagt sprachlos! Das kam weder wütend noch tadelnd, nein es war anerkennend!
Danke, ich habe mein Bestes gegeben. Ich war wieder ich selber, stellte ich erleichtert fest.
Und jetzt hör dort weiter zu! Ich konnte sein Grinsen regelrecht spüren, als er sich wieder zurückzog.
„Wenn wir so weitermachen, herrschen wir bald über ein riesiges Waffenarsenal! Genau das werden wir brauchen um diesen britischen und spanischen Ärschen zu zeigen, wer das Sagen hat!“ polterte er los und vergrub sein Gesicht im Ausschnitt der Frau auf seinem Schoß.
Ihr Blick glitt in meine Richtung, sie flehte mich an, endlich etwas zu unternehmen. Doch noch musste sie durchhalten, ich hatte noch keinen entscheidenden Hinweis erhalten!
„Wir sollten nächste Woche die andere Lieferung der Armee abwarten und wieder ein wenig Tauschhandel betreiben!“ kicherten die Männer.
„Wie blöd sind diese Händler aber auch, die nehmen ja alles ungesehen an.“ einstimmiges lautes Lachen.
„Lasst uns auf unseren Gönner anstoßen!“ ich sah erwartungsvoll in die Runde… doch… es kam nichts mehr!
WER war dieser Gönner… verdammt noch mal.
„Thomas, aber wir sollten uns vielleicht etwas bedeckter halten, findet ihr nicht? Ich habe keine Lust, dass mich dieser Kenway auf seiner Schwertspitze irgendwann hat, weil ihr euch in seinem Namen bereichert!“ DAS war es! Weiter… erzähl mir mehr… ich wurde extrem kribbelig!
„Keine Angst, der weiß doch gar nicht, was hier los ist. Der hockt mit Weib und Kindern in Virginia! Ahnungsloser Trottel!“ in mir kochte nicht MEINE Wut hoch, sondern Haythams, weil er in meinem Geist war und genau DAS gerade gehört hatte!
Dieser verlogene kleine Bastard! Was hat sich William nur dabei gedacht, sich so einen an Land zu ziehen? Wäre er jetzt hier, wäre Thomas postwendend einen Kopf kürzer… wie ironisch, weil er es in absehbarer Zeit auch sein würde. Wenn auch nicht durch Haytham selber!
Bevor ich jedoch etwas unternehmen konnte, sprach ein anderer Mann am Tisch.
„Morgen sollten wir erst einmal das Treffen mit dem Colonel abwarten, oder nicht?“ Welcher Colonel denn jetzt noch? Oder war das nur so eine umgangssprachliche Bezeichnung, weil er der Drahtzieher war?
„Ach, den hatte ich ganz vergessen. Ist das morgen schon?“ kam es maulig von Hickey! „Vielleicht sollten wir uns dann langsam mal in die Horizontale begeben, meine Herren. Diese Dame hier kann es anscheinend kaum noch abwarten!“ lachte er. Sie riss entsetzt die Augen auf und starrte in meine Richtung… Nein, mach das nicht! „Och Schätzchen, du freust dich ja wirklich, was? Sollen wir deine Freundin auch gleich mitnehmen?“ lallte Thomas mit vernebeltem Blick auf mich.
„Sir, dass wäre doch wirklich eine fantastische Idee. So könnt ihr eure … Männlichkeit gleich zweimal unter Beweis stellen.“ hauchte sie an seine Brust und ich nickte nur, kam aber nicht näher. Immer noch befürchtete ich, er könnte mich wiedererkennen.
„Dann mal hoch mit dir, mein Zimmer ist nicht weit weg von hier!“ er schubste sie von seinem Schoß, erhob sich und verabschiedete sich noch von seinen Mitsäufern!
Im Grunde schlich ich neben den beiden her, mit gesenktem Kopf.
Alex, sei bloß vorsichtig! Hörte ich Haytham.
Bin ich, versprochen, aber ich will wissen… In diesem Moment fiel mir mein Ring an meiner rechten Hand wieder ein! Dieses leckere Pülverchen! Vermutlich hätte er noch etwas zu Trinken in seinem Zimmer, also konnte ich ihn so zur Not außer Gefecht setzen. Wenn ich noch mehr Glück hätte, dann würde Hickey sogar noch sehr gesprächig werden. Da er mich bisher noch nicht beachtet hatte, ging ich weiter schweigend nebenher.
Du durchtriebenes Ding! Mein Gatte klang mehr als anerkennend.
Danke, mi amor. Solltest du meine Dienste auch einmal in Anspruch… er ließ mich sehen, was er dann mit mir machen würde und meine Wangen wurden kochend heiß!
Im Grunde wusste ich, dass uns ein paar Brüder und Schwestern auch in diesem Moment folgen würden. Wir wären also nicht auf uns alleine gestellt, was mich ein wenig mehr beruhigte.
Thomas hielt vor einem netten kleinen Haus in der Nähe vom alten Fort Arsenal am Hafen, öffnete die Tür und schob uns hinein. Bisher hatte er mich noch keines wirklichen Blickes gewürdigt.
Es ging die Treppe hinauf in eine dunkle Kammer. Dort entzündete er ein paar Kerzen und ich starrte auf diese Unordnung! Es war nicht dreckig! Es war… ein heilloses Durcheinander aus Papierkram, Klamotten, Flaschen und dreckigem Geschirr. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich meinen, ich stünde in dem Zimmer eines Teenagers!
Hickey wollte gerade zu einer Flasche Rum oder was auch immer greifen, als ich sie ihm mit einem lüsternen Blick aus der Hand nahm.
„Lasst mich das machen, Sir. Ihr setzt euch schon einmal und macht es euch bequem.“ meine Begleiterin spielte hervorragend mit und strich ihm noch über seine Wangen, hinunter zur Brust und begann sein Hemd zu öffnen.
„Die Damen haben es aber eilig wie ich sehe.“ hörte ich ihn stockend sagen, als er sich auf der Bettkante niederließ.
„Wer kann bei eurem Anblick schon widerstehen?“ hauchte ich und bei jedem Buchstaben stieg mir mein Abendessen im Hals weiter hoch.
Ich befüllte drei noch recht sauber aussehende Becher mit dem Getränk, ließ aber dabei geschickt in eines den Inhalt meines Ringes rieseln. Diesmal aber fast alles, dieser Mann würde nicht gleich das Zeitliche segnen! Der konnte einiges vertragen.
Ich schüttelte den Inhalt dann ein wenig, als ich es hinüber brachte.
Wir standen Hickey gegenüber und prosteten ihm mit einem tiefen Augenaufschlag zu, während wir an unserer Kleidung nestelten. Du meine Güte, diese Frau war ein Naturtalent, wir verstanden uns blind und … ich mochte sie! Ich würde sie später noch auf diese Aktion ansprechen!
Kaum das Thomas seinen Becher geleert hatte, sah er uns mit recht trüben Augen an.
„Ich kann es kaum abwarten! Kommt schon, ich zeige euch, was ich alles auf meinen Reisen gelernt habe.“ lallte er immer mehr.
„Ihr seid ein Mann, der sich auskennt, wie mir scheint. Das gefällt mir.“ hauchte ich leise und trat auf ihn zu.
„Sagt, ward ihr immer sehr einsam auf euren Unternehmungen?“ flüsterte meine Begleiterin und fuhr über ihren Ausschnitt, während ihre andere Hand an meinen Hintern griff. Ich unterdrückte einen überraschten Ausruf!
„Nicht immer, meine Damen. Aber solch wohlgeformte Schönheiten blieben mir oft verwehrt. Mein Auftraggeber hatte einen schlechten Geschmack was die Weiber anging…“ ich hörte, dass er immer mehr Schwierigkeiten hatte, sich zu artikulieren. Wir mussten schneller die Antwort von ihm bekommen.
„Ihr habt euch mit ihm die Frauen teilen müssen! Ihr Armer. Wenn ich ihn in die Finger…“ zu mehr kam ich aber nicht…
„Dieser kleine Hurensohn… verflucht sei er… Harold war schon immer nur gierig… pffffffff… Lehrling des Hafenmeisters! Das ich nicht lache! Und jetzt? Nur weil er die Listen der Schiffe kannte, konnte er… soweit kommen…“ sein Redefluss wurde von einem Schluckauf untermalt. „Ich sollte … ihm morgen beim … Treffen mal ordentlich… die Meinung sagen…“
„Sir, das ist eine hervorragende Idee! Wenn wir irgendetwas für euch tun können…“ ich stand jetzt zwischen seinen Beinen, sah auf ihn herab und hatte sein Kinn angehoben, damit er mich ansehen musste.
„Er soll mich… endlich ordentlich… bezahlen…“ sein Lallen wurde immer mehr zum Jammern, wie erbärmlich!
„Wenn wir wissen, wo wir ihn finden, werden ihm schon seine Börse leeren, Sir!“ meine Mitstreiterin war ebenfalls nah bei Hickey, strich über seine Wange.
„Morgen Mittag… bei… dings… bei diesem… großen… wo Sachen hinkommen… bei der Trinnnnidiiiiiiii Schörsch… da… im Hauslager… da gibt es … tolle Dinge…“ und er sackte zur Seite weg, sein Grunzen verriet uns, dass er eingeschlafen war. Morgen würde er sicher nicht pünktlich zum vereinbarten Treffen erscheinen! Und Odin sei Dank, schien er mich auch nicht erkannt zu haben!
Erleichtert atmeten meine Begleiterin und ich gleichzeitig tief aus.
„Das wurde aber auch Zeit.“ Seufzte sie. In ihren Augen las ich die pure Erleichterung, dass wir nicht noch weiter gehen mussten!
Schnurstracks, bevor dieser Hickey noch einmal aufwachen konnte, eilten wir hinaus, nachdem wir noch einige Schriftstücke an uns nahmen. Draußen erwartete man uns schon und wir erstatteten Bericht!
Der junge Hafenmeister war also der Drahtzieher, aber ganz bestimmt nicht der Kopf dieser Bande! Das war einfach nicht möglich. Jeder in dieser Runde dachte so, weil wir ihn alle kannten.
„Also werden wir morgen Mittag Posten in der Nähe des Lagers bei der Trinity Church beziehen. Mal sehen, ob wir noch mehr erfahren können.“ meinte ein Herr und wir wandten uns Richtung Fort George, weil meine Begleiterin, Emily Harper hieß sie, soviel wusste ich bereits, und ich ein paar Papiere mitgenommen hatten. Diese wollten wir unter die Lupe nehmen, wenn auch nicht mehr heute Nacht!
„Mistress Kenway, es war einfach erstaunlich, wie ihr so mit diesen Männer umgehen könnt. Ich dachte immer, ich sei die einzige, die so frech zu… diesen Idioten ist.“ in ihren Augen sah ich, sie war erleichtert, dass sie in ihrem Denken und Handeln eine Verbündete gefunden hatte.
„Miss Harper, glaubt mir. Ich habe einige Erfahrungen gemacht, weswegen ich so mit fremden und vor allem ungehobelten Herren umgehe. Diese Kerle haben eine vorgefertigte Meinung von uns Frauen, also warum sollten wir umgekehrt nicht auch so eine haben. Außerdem scheinen die Männer hier alle so einfach gestrickt zu sein, dass sie auf ein Fingerschnippen zu kleinen kuschenden Duckmäuschen werden, wenn man mit ihnen alleine ist.“ ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, weil es leider so war.
Sie hakte sich bei mir unter und wir gingen mit den anderen weiter.
Nachdem man mir eine kleine Eskorte an die Seite gestellt hatte, welche mich zurück zu den Finnegans bringen sollte, verabschiedete ich mich. Wir würden morgen um 10 Uhr vor der Kirche Position beziehen, oder besser vor dem Lagerhaus gegenüber!
In meiner Unterkunft angekommen, sah ich in erleichterte Gesichter.
„Oh es tut gut, dass ihr unversehrt wieder hier seid.“ freute sich Cassidy.
„Ich bin ebenso froh, aber auch unglaublich müde. Ich werde mich jetzt zurückziehen, Mrs. Finnegan. Und ich danke euch beiden, dass ihr so wachsam geblieben seid.“ sprach ich leise, weil mein schlechtes Gewissen sich nicht unterdrücken ließ.
„Macht euch keine Gedanken, ich wünsche eine gute Nacht.“ kam es von Barry und wir gingen alle zu Bett.
In meinem Zimmer sah ich, dass Edward UND Florence in meinem Bett lagen. Für einen Moment stand ich da und sah auf meine Kinder nieder. Sie waren noch so unschuldig, so klein!
Sybill und Sophia versicherten mir noch einmal, dass beide brav gewesen sind. Edward wollte zwar wissen, warum seine Mutter so komisch redete, doch Sybill konnte ihn davon überzeugen, dass es nur ein Traum war.
Verdammt, auch er konnte mich im Geiste verfolgen? Und vor allem OHNE dass ich es merkte oder spürte? Ein Thema für eine längere Gesprächsrunde mit den Göttern und meinem Gatten!
„Mamaaaaa! Aufwachen!“ hörte ich klein Edward neben mir und eine wuschelige Florence zupfte an meinem Nachthemd herum.
„Och nö… ich bin noch müde, ihr beiden!“ gähnte ich herzhaft.
„Ich habe Hunger!“ mein Sohn setzte sich auf und schnappte sich seinen Becher Tee vom Nachttisch. Auch hier hatte ich darum gebeten, weil sie es gewohnt waren.
„Mamaaaaaaaa!“ quietschte mein kleiner Engel und warf sich auf meine Brust.
„Min lille engel, ich bin wach. Möchtest du auch etwas trinken?“ aber Edward hatte ihr schon seinen Becher an die Lippen gehalten, als sie sich aufgerichtet hatte. Begierig trank sie davon.
„Du bist ein toller großer Bruder, Edward!“ lobte ich ihn lächelnd.
„Gehen wir heute was angucken, Mama? Bitte!“ es tat mir so weh, ihn enttäuschen zu müssen. Aber ich hoffte, wenn wir Thompson dingfest gemacht hatten, würden wir mehr Zeit haben!
„Nein, min lille skat. Ich muss noch etwas erledigen. Aber danach zeige ich euch ein wenig von New York.“ enttäuscht ließ sich Edward vom Bett gleiten.
„Genau wie Papa, nie habt ihr Zeit!“ Autsch! DAS tat weh! Genau in diesem Moment erschienen Sybill und Sophia.
Ich lehnte am Kopfende, sah auf meine Kinder und konnte die Tränen nicht unterdrücken. „So ist das aber nicht, Edward.“ flüsterte ich, während ich mir meine Wangen trocknete.
So begann mein Tag hier traurig, zerknirscht und mit einer extrem schlechten Stimmung. Sogar der Kaffee konnte nicht ansatzweise meine Laune heben.
Als ich gehen wollte, drehte sich Edward demonstrativ um, dabei zog er seine Schwester mit und deutete ihr, dasselbe zu machen.
„Er wird es noch verstehen lernen, Alex. Ihr habt Verpflichtungen die nicht warten können. Ich werde dem jungen Master Edward schon erklären, was ihr zu erledigen habt.“ flüsterte Sybill und sah mich durchdringend an.
„Danke Sybill, aber ich kann mich doch nicht immer auf euch verlassen.“ sprach ich leise.
„Doch, dafür bin ich an der Seite eurer Kinder!“ in ihrer Stimme lag so eine Bestimmtheit, dass ich keine Gegenargumente mehr fand.
Ich drückte sie an mich, mehr konnte ich nicht tun.
Ein paar Straßen vor dem Lagerhaus bei der Kirche erwartete man mich schon.
„Ah Mistress Kenway! Ich hoffe, ihr hattet eine ruhige Nacht. Bei zwei Kindern…“ fragte ein Herr und sah mich etwas mitleidig an.
„Danke, Florence und Edward sind sehr liebe Kinder.“ kam es etwas genervt aus meinem Mund.
Mir wurde vorab ein kurzer Bericht über die bisherigen Beobachtungen gegeben.
Mittlerweile waren ungefähr 10 Mann in diesem Lagerhaus verschwunden, aber von Hickey fehlte noch jede Spur. Den jungen Thompson hatte man auch noch nicht gesehen. Dieser war wohl noch nicht hier erschienen. Ich hoffte, dass er keinen Wind von alle dem bekommen hatte.
Wir verteilten uns nun strategisch um diese Lagerhalle, um erst einmal einen Überblick zu bekommen. Mein Blick zeigte mir, dass im Inneren nur die üblichen Beschäftigten zu Gange waren. Die Logistik wollte ja gemacht werden!
Es verging noch eine weitere Stunde, bis sich tatsächlich Thomas und dieser Harold einfanden. Beide standen vor dem großen Tor des Lagers und unterhielten sich.
Ich aktivierte meinen Blick und konnte so auch ihr Gespräch etwas lauter vernehmen!
„Sir, ich weiß auch nicht, was gestern noch passiert ist. Aber in dieser Taverne sollte man mal das Ale auswechseln. Mir wird immer noch übel, wenn ich daran denke!“ hörte ich Hickey jammern und er erbrach sich kurzerhand vor dem Eingang! Hart im Nehmen am Abend, das musste ich ihm lassen, aber ein Jammerlappen im Nachhinein.
„Vielleicht solltet ihr einfach mit dem Saufen aufhören!“ fauchte Thompson kalt und öffnete die Tür.
Jetzt war es an der Zeit, dass wir IN das Gebäude kamen. Alle hatten ihre Eingänge und Verstecke bereits im Auge, so auch ich. Ich ließ mich mit meinem kleinen Kletterhelfer auf das Dach ziehen, dort robbte ich zu einer Dachluke, aktivierte meinen Blick und als niemand zu sehen war, ließ ich mich lautlos hineingleiten.
Es roch hier nach Schaf, Wolle, Schwarzpulver und moderndem Holz. Lager halt!
Ich war auf der dritten Etage und unter mir, sah ich meine Mitstreiter ihre Positionen beziehen. Auch ich schlich an das Geländer, damit ich mir einen besseren Überblick verschaffen konnte.
Mein Blick fiel auf die anderen Etagen und auf die Kisten, Truhen und Stoffbündel. Es war unglaublich! Hier lagerte ein Vermögen! Von einfachem Holz, über Baumwolle, zu Tabak bis zu besagten Waffen und passender Munition. All das konnte ich anhand dieser Umrisse wahrnehmen!
Warum aber machte Hickey das hier? Fuhr er doch zweigleisig und entfernte sich vom Orden? Oder war es eine überdachte Sache, damit er sich bei Haytham weiter Liebkind machen konnte? Aber so wie er ihn gestern betitelt hat, würde ich vermuten, dass er es nur für sich alleine machte.
Hickey hatte kein ehrliches Interesse am Orden! Es ging ihm nur um Gewinn, Profit! Im Grunde passte er hervorragend zu Benjamin Church!
„Was ist denn das für eine Scheiße hier!“ dieses Fluchen riss mich aus meinen Gedanken! „WER hat euch gesagt, dass ihr die Fässer mit dem Terpentin hier oben einlagern sollt? Direkt neben den guten Stoffen! Wisst ihr nicht, dass die jetzt völlig unbrauchbar sind? Das stinkt doch zum Himmel, ihr Idioten!“ polterte Harold seine Untergebenen an.
Dieser Mann hatte sich in den letzten Jahren echt gemausert!
Er inspizierte die einzelnen Etagen noch und ging dann wieder in das untere Büro, wo er sich mit einigen Männern zusammen setzte.
Ich bahnte mir einen Weg dorthin und war dankbar für diese recht „offene“ Bauweise. So hatte ich die Möglichkeit mir über die Streben und Balken einen ungesehenen Weg bis zum Büro zu bahnen. In einer dunklen Ecke hockte ich wie ein Gargoyle und lauschte dem Gespräch meiner Zielperson.
„Wir haben also jetzt fast genügend Waffen und Munition in unserem Besitz, habe ich das richtig verstanden? Wie lange dauert es, bis wir daraus Profit schlagen können?“ das war Thompson, welcher seine Leute ansprach.
„In zwei Monaten können wir alles nach Charles Town bringen, von dort ist es ein leichtes ungesehen zu verschwinden!“ hörte ich einen von ihnen stolz berichten. „Die Spanier warten nur darauf, dass sie darauf zugreifen können!“
Mir begann der Kopf zu zerspringen! Was wurde hier bitte gespielt? Diese Waffen wurden nicht wirklich an die Spanier, welche unter anderem New Orleans besetzt hatten, geliefert oder? Ich musste unbedingt Madeleine davon unterrichten, ihre Truppen mussten schleunigst formiert werden! Dem Ganzen musste Einhalt geboten werden! Nur schien hier jemand einer Fehlinformation aufgesessen zu sein.
„Die Spanier! Das ist gut! Wer…“ ich hörte ein haltloses Lachen „Wer hat euch das denn erzählt? WIR müssen uns verteidigen, Mann!“
„Aber Sir, ging es nicht darum, diese spanische Invasion im Süden endlich zu stoppen?“ das war Hickey, welcher das nicht zu wechseln wusste.
„Die können mir doch gestohlen bleiben! Ich will meine eigene Armee hier aufbauen! Aber dafür brauche ich erst einmal die Waffen und die Vorräte, die Männer habe ich ja schon an meiner Seite! Wir werden wachsen und wir werden uns gegen die Franzosen, die Briten UND die Spanier durchsetzen! WIR werden ihnen zeigen, WER die Macht hat.“ ich sah ihn, wie er Hände ringend vor diesen Menschen stand.
Dieser Harold Thompson war einfach größenwahnsinnig! Er hatte ein paar Kisten Waffen, ein paar Leute unter sich… und das wars!
„Sir, wir werden euch zur Seite stehen! Gemeinsam schaffen wir hier Ordnung und ihr werdet zur mächtigsten Person aufsteigen!“ die versammelten Herren stimmten mit ein!
DAS war wirklich alles? Dafür riskierte Hickey, dass Haytham ihn postwendend seinem Schöpfer übergab? Für NICHTS? Oder übersah ich wieder etwas?
Nein, ich wusste nur mal wieder zu viel und genau DAS ließ mich so klar diese Situation überblicken.
Im Grunde brauchte es jetzt nur noch ein paar schnelle Handgriffe, versteckte Klingen und gezielte Kopfschüsse.
Wir hatten entsprechende Zugriffszeichen ausgemacht! Ich nickte meinen Mitstreitern zu und man verstand was zu tun war. Dann schossen wir alle im Grunde zeitgleich auf diese Männer. Nur Hickey ließen wir am Leben, es war leider eine geschichtliche Notwendigkeit, auch wenn dieser Mann dachte, ich hätte ihn vor seinem Tode bewahrt. Nein, du wirst dich noch wundern, dachte ich im Stillen.
Somit war dieser eine abtrünnige Zweig vorerst vernichtet.
Als ich mit gezückter Klinge über Thomas stand, sah er mich mit hasserfüllten Augen an.
„Ich wusste doch, ich kenne euch von irgendwoher. Ihr seid diese Assassinen-Schlampe, die sich an Master Kenway ran geschmissen hat! Ich hoffe, er wird bald erkennen, welche Verlogenheit er geheiratet hat!“ presste er aus zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Thomas, Schätzchen. Haytham kennt mich. Er weiß wer und WAS ich bin. Ich bin unberechenbar, wenn ich es will! Eine Warnung an euch! Kommt ihr noch einmal in meine Nähe oder die meiner Kinder, dann kann euch auch mein Mann nicht mehr schützen.“ meine Schneide fuhr über seine Haut an der Kehle und hinterließ einen Millimetertiefen Schnitt… nicht zu tief, nicht zu fest… er sollte ja noch ein wenig leben, bis Connor ihn dann übernehmen konnte.
Was vor allem für einen Moment seltsam war, dass es gar keinen Colonel gab, der hier die Finger im Spiel hatte. Also war das nur eine Art Synonym? Aber warum bedachte man diesen Thompson damit? Er war alles andere, vom Laufburschen bis Latrinenausheber, aber bestimmt kein Colonel.
Schwer atmend erhob ich mich und sah mich um.
„Mistress Kenway, ich bin froh, dass wir ohne größeres Blutvergießen die Lage klären konnten.“ hörte ich einen meiner Männer!
Wir verließen das Lagerhaus, welches ab jetzt zu unserem Eigentum gehören würde und machten uns auf den Weg zurück zum Fort George. Es war jetzt früher Nachmittag und ich hoffte, dass ich gleich zu meinen Kindern könnte. Sie vermissten mich sicherlich schon.
Emily trat an meine Seite und sah mich mit gerunzelter Stirn an.
„Mistress Kenway, irgendetwas ist anders an euch.“ ihre Hand fuhr über meinen Arm und hinterließ eine Gänsehaut! Und dann sah ich es! Es war eine kleine Sonne, welche hinter ihrem linken Ohrläppchen unter dem Haaransatz prangte.
„Die Tätowierung, Emily.“ in diesem Moment leuchtete meine leicht auf, als ich meine Hand darauf legte.
„Ihr auch?“ ihr ungläubiger Blick ließ mich schmunzeln!
„Balder ist mit uns, Emily!“ ich selber war völlig aus dem Häuschen, weil ich bislang davon ausging, dass diese Menschen mir nicht immer wohlgesonnen sind. Endlich traf ich aber eine Person, welche auf meiner Seite stand!
Auch in ihren Augen sah ich diese Erleichterung und vor allem Erkenntnis.
Und als ich ihre Lippen berührte war es, als wäre ich zuhause angekommen!
Bevor wir aber das ganze vertiefen konnten, eilte mir der Alltag hinterher.
„Mistress Kenway, wir hätten jetzt diesen Part ausgeschaltet. Aber was machen wir mit Hickey!“ ich war für einen Moment gewillt zu sagen „erschießt ihn“, doch das war unangebracht.
„Überlasst ihn mir, ich bringe ihn in die Garnison. Dort wird er einige Wochen für seine Taten einsitzen und wird Zeit zum Nachdenken haben!“ ich hörte aber nicht mich, sondern meine Vorfahrin, welche sich wie eine Schneekönigin freute.
Nachdem ich diesen Idioten in seine Zelle gebracht hatte, Haytham mir noch gratulierte und ich die Papiere für eine Verwahrung bis auf weiteres unterzeichnet hatte, ging ich wieder zurück zum Büro.
Dort wurde ich von einer feiernden Meute begrüßt!
„Mistress Kenway. Kommt, stoßt mit uns auf einen erfolgreichen Tag an.“ das tat ich gerne. Aber ich verabschiedete mich für einen Moment, weil ich meine Kinder wenigstens noch zu Bett bringen wollte. Es war bereits dabei zu dämmern.
Ich aß mit ihnen zu Abend, erzählte von meinen „Abenteuern“, welche Edward natürlich auch zu gerne erlebt hätte. Ich versprach ihm, dass auch er, wenn er groß ist, spannende Sachen erleben wird! Seine Wut auf mich von heute morgen war verflogen. Erleichtert lächelte ich sein Kindermädchen an und dankte ihr im Stillen.
Später als beide schliefen ließ ich mich zum Fort George bringen. Ich hatte außerdem mit Haytham gesprochen und auch er war erleichtert, dass wir eine kleinere Katastrophe so verhindern konnten.
Mi sol, was hast du heute noch vor? Hörte ich ihn lüstern in meinem Kopf.
Nichts, ich werde auf unseren Erfolg noch anstoßen und … mich mit Emily über unsere Verbindung austauschen. Ich spürte, dass ich dabei extrem ruhig geworden war. Es gab eine Verbindung… Nicht wie bei Faith, nein. Aber es gab ein Gefühl von Zusammengehörigkeit...
Ich will dabei sein! War alles, was ich von meinem Mann hörte.
Wir stießen auf unseren Erfolg an, ein Glas gab das andere und die Anekdoten prasselten auf alle nieder.
Irgendwann stand ich mit Miss Harper im oberen ehemaligen Schlafzimmer, ihrem jetzigen Büro!
„Ich wusste, ihr verbergt mehr.“ ihre Lippen fühlten sich warm und weich auf meinen an und ich ließ mich fallen.
Meine Hände glitten an ihrem Körper entlang, ich wollte SIE fühlen!
Irgendwann standen wir uns völlig nackt gegenüber. Sahen uns an und in ihren Augen glomm eine vertraute Verbundenheit auf.
Wir liebkosten uns, unsere Finger glitten über die Haut unseres Gegenüber… wir ließen uns von Gefühlen treiben, der Geist war nebensächlich und ich blendete alles aus.
Ihre vorsichtigen Berührungen an meinem Piercing trieben mich in den Wahnsinn und ich bettelte um Erlösung.
Gleichzeitig trat aber auch Haytham in meinen Kopf und Emily erfuhr auch seine Wünsche! Sie befolgte seine Anweisungen und bescherte mir so einen wundervollen Höhepunkt, welcher meinen Mann ebenso über die Schwelle brachte.
Es war ein völlig neues Erlebnis für mich! Zum einen erfuhr ich diese körperliche Befriedigung, umgekehrt bekam ich meinen Mann in vollen Zügen in meinem Kopf.
Es war auch für Emily Neuland und als sie schwer atmend neben mir auf dem Teppich beim Kamin lag, meinte sie leise „Warum hat mich keiner der Götter vorgewarnt!“
Weil auch die Götter nicht alles steuern können!
Ich musste mich aber leider verabschieden, ich hatte meinen Kindern etwas versprochen. In der Pension angekommen, wünschte ich Barry, welcher noch vor dem Kamin saß und las, eine gute Nacht und ging hinauf.
Magda half mir beim Ausziehen und kurz darauf kuschelte sich Edward mit seiner Schwester an mich.
„Mama… hab … lieb…“ nuschelte er leise und ich hörte ein leises Schnarchen von ihm. Der Mond schien in unser Zimmer und ich sah sie beide neben mir liegen. Ein Foto! Ich würde zu gerne ein Foto davon machen!
Endlich konnte ich mein Versprechen für die beiden einhalten, dass wir uns die Stadt ansahen.
Mein erster Punkt der Sightseeingtour war das alte Fort Arsenal!
Dort angekommen, erzählte ich, dass dort eine ganze Weile Onkel Shay und Tante Faith gewohnt hätten, bis sie nach Virginia gezogen wären. Immer noch ließen mich die Wachen durch, doch es tat ein wenig weh, weil Marge nicht mehr hier war. Es sah zwar immer noch so wie damals aus, aber… es war irgendwie anders.
Der nächste Punkt war die Dreifaltigkeitskirche, das Appel Pie oder auch einfach der See in der Mitte der Stadt. Mir fiel auf, dass es mehr Bewohner gab, New York wuchs.
Wir kamen dann auch noch beim Anwesen des Dukes vorbei, doch ich musste nicht ein Wort sagen!
„Oh, der Allvater hat hier einen Ruheplatz gefunden.“ doch es war mehr eine Mischung aus Thor und Edward die jetzt sprach.
„Genau, Elias hat sich das Anwesen gekauft.“ erklärte ich, gleichzeitig musste ich jedoch auch grinsen. Warum erzählte ich das überhaupt. Sie wussten es doch!
Am Abend, als beide wieder schliefen, ging ich zum Bordell der Stadt.
Da es dort auch noch Schwierigkeiten gab, sollte ich dringend einen Blick darauf werfen.
„Mistress Kenway, was verschafft uns die Ehre eures Besuches?“ kam es freudig von der Empfangsdame.
„Mir sind einige Dinge zu Ohren gekommen, dass es hier Probleme geben soll.“ etwas irritiert sah ich sie an.
„Ihr meint diese dreckigen und ungewaschenen Kunden? Die haben wir mittlerweile im Griff.“ versicherte die Dame und hob ihr Kinn.
„Nein, ich meine eher die Probleme, welche die Informanten machen!“ kam es jetzt kalt von mir, weil ich zum einen diese Frau noch nicht kannte, sie war neu, zum anderen hatte ich keine Lust mich hier länger aufzuhalten als unbedingt nötig. Dieser Geruch von Parfüm, Ale, Schweiß und Sex war… nicht sehr anregend.
Endlich tauchte die, in meiner Zeit würde man sie „liebevoll“ Puffmutter nennen auf. Die Dame war mittlerweile auch an die 50, ging ihrem Gewerbe nicht mehr nach, wusste aber über alles Bescheid. SIE war meine bevorzugte Ansprechpartnerin.
Wir zogen uns in ihr Büro zurück und sie erzählte von einigen Lieferungen bezüglich neuer Dirnen, welche nicht immer hier ankamen. Sie hatte aber gehört, dass einige Mädchen „zwischengelagert“ würden in Havanna oder manchmal auch in New Orleans! Danach würden sie dann mit „dickem Bauch“ hier abgegeben, wenn sie noch lebten. Leider begingen einige der Schwangeren aus Scham Selbstmord!
„Mistress Kenway, wie soll ich dem Einhalt gebieten, wenn die Besatzungen der Schiffe nicht die Schwänze stillhalten kann?“ wie gerne würde ich jetzt einfach die Pille verschreiben! Aber sogar mit „Kondomen“ war es schwer, weil man Schafsdarm oder ähnliches nutzte. Doch das gab es auf den Schiffen wohl kaum… mich schüttelte es bei dem Gedanken mal wieder. Die Frauen oder aber Mädchen, oft waren sie kaum 15 Jahre alt!!!, taten mir unendlich leid.
„Ich werde zusehen, dass es für diese Überfahrten eine Eskorte gibt und eine Art… naja, Anstandsdame, welche die Matrosen von den Frauen fernhält.“ im Kopf hatte ich einen Plan, in der Praxis würde er aber nur funktionieren, wenn auch die Männer entsprechend aufgeklärt wären. Noch war man der Meinung, dass nur die Frau die Schwangerschaft beeinflussen könne. Von Spermien und den Eizellen wusste niemand etwas.
Ich sollte mir von Faith einmal das Mikroskop ausleihen, damit ich wenigstens Haytham zeigen konnte, womit er mich immer wieder malträtierte!
Leider konnte ich gar nicht mehr ausrichten, weil es einfach nicht in meiner Macht lag. Ich müsste persönlich an Bord sein und diese Überfahrten überwachen. Doch das war unmöglich!
„Das verlangt auch niemand. Es ist nur … die Einnahmen gehen natürlich verloren….“ seufzte die Dame. Wir verblieben, dass ich einige vertrauenswürdige Wachen in Zukunft bei diesen Lieferungen mitschickte. Sie sollten die Matrosen im Auge behalten!
„Aber ich habe noch ein paar nutzvolle Informationen…“ Der Rest des Abends verstrich damit, dass ich mir Notizen bezüglich der Formationen der Armee machte, wer neu gewählt wäre, wer wo als Major, Colonel oder ähnliches eingesetzt wurde und so weiter. Auch erfuhr ich, dass eine neureiche Witwe namens Donovan bald einen hochrangigen Offizier der britischen Armee heiraten würde. DAS war doch mal eine interessante, wenn auch nicht unbedingt wichtige Neuigkeit!
„Dieses Luder hat sich schon alles was nicht bei drei auf den Bäumen ist unter den Nagel gerissen. Man sagt, sie hätte ihren alten Mann vergiftet.“ kam es verschwörerisch von ihr.
Sie hatte Recht, aber ich ließ mir nichts anmerken. Diese Verbindung konnte uns noch nützlich werden.
Gegen 22 Uhr traf ich wieder bei den Finnegans ein und freute mich auf ein bisschen Familie und Ruhe. Doch leider wurde ich von Barry mit besorgtem Gesicht empfangen.
„Mistress Kenway, es ist ein Herr hier, der euch dringend zu sprechen wünscht.“ sprach er leise und deutete auf das Sofa neben dem Kamin, wo schon ein ansehnliches Feuer flackerte.
Der wartende Mann stellte sich als der alte Hafenmeister, Mr. Elias Bent, heraus!
„Mr. Bent, es freut mich, euch wieder zusehen! Wie ist es euch bis jetzt ergangen?“ begrüßte ich ihn freundlich, doch seine Augen waren betrübt.
„Mistress Kenway, ich habe einen großen Fehler begangen! Und ihr habt es gestern schon bemerkt, nicht wahr? Ich bin untröstlich! Als Hafenmeister darf ich solche Unachtsamkeit nicht dulden. Doch wer konnte ahnen, dass Harold seine Position so ausnutzt.“ ich stand einfach nur da und starrte diesen kleinen Mann an. Was bitte wollte er denn?
„Ich habe aus seiner Unterkunft einige Unterlagen für euch zusammengetragen, damit ihr dem Ganzen Einhalt gebieten könnt. Mehr kann ich nicht tun. Es tut mir wirklich aufrichtig leid!“ diese Unterwürfigkeit ließ mich erschauern.
Ich ging die einzelnen Schriftstücke durch, besah mir die Lieferlisten und Pläne. Auch gab es einige Frachtlisten, welche für die großen Kriegsschiffe geplant waren, die bald in See stechen sollten. All das war säuberlich nummeriert und nach Datum, Menge und Orten sortiert.
Routen nach England, nach Spanien, Italien, Nordamerika oder auch Frankreich waren verzeichnet. Dieser Thompson betrieb einen perfiden Handel, weil er die Frachtlisten einsehen konnte. Aber es mussten auch noch entsprechende Schiffe auf See sein, die diese anderen Konvois angriffen.
Natürlich, es waren keine wirklichen Piraten! Es waren einfach diese kleinen Leute, die sich durch ihr Wissen an unserem Handel bereicherten! Madeleine war eines ihrer Opfer! Also mussten wir diesen Ring von Hafenmeistern durchbrechen, welcher sich immer wieder neu formierte. Dort mussten wir loyale Männer einsetzen!
Hier in New York würde es einfach Mr. Bent bleiben, da Thompson ja jetzt unschädlich gemacht wurde.
Noch am gleichen Abend setzte ich einen Brief für Madame de L´Isle auf, damit sie auch in New Orleans entsprechende Vorkehrungen treffen konnte.
Wir verweilten danach noch zwei Tage hier. Ich hatte die Papiere aus Thomas Zimmer noch weiter durchgesehen. Die dort verzeichneten Namen der „Mitglieder“ ihres Rings konnten wir nutzen um sie nach und nach noch unschädlich zu machen. Das war nun Aufgabe der Brüder und Schwestern hier in New York.
Danach konnte ich mich etwas beruhigter auf den Weg nach Virginia machen. Die Jackdaw war bereit und wir gingen an Bord.
„Mistress Kenway!“ hörte ich Emilys Stimme und sah, wie sie die Laufplanke hinauf rannte. „Sehen wir uns irgendwann wieder?“ in ihre Augen trat ein warmes Leuchten und ich schloss sie in meine Arme.
„Das werden wir, weil uns Balder eint.“ flüsterte ich leise an ihr Ohr.
„Es war eine wunderschöne Erfahrung, Alex.“ auch sie sprach die Worte fast lautlos aus. Warum aber hatte ich ein schlechtes Gewissen? Nicht Haytham gegenüber, Faith gegenüber… ach verdammt… nein, ich will nicht daran denken. Warum machte ich mir immer zu Sorgen um andere. Durfte ich nicht auch einfach mal das machen, was ich wollte, was sich für mich richtig anfühlte?
Mit diesem Gedanken beseelt, küsste ich Emily und sie ging lächelnd von Bord. Als ich Segel setzen ließ, stand sie am Pier und winkte uns nach. Wir würden uns wiedersehen, sie war eine von uns, eine von Balders Schützlingen!
Als wir außer Sicht waren glitt ich an der Reling hinab und begann zu weinen! Es war ein eigenartiges Gefühl gerade, ich konnte es mir selber auch nicht erklären.
„Mama, warum weinst du?“ kam es leise von Edward, während er vor mir hockte und mir über die Wange strich.
„Es ist einfach nicht schön, wenn man sich verabschieden muss, min lille skat.“ ich nahm ihn in meine Arme.
Sophia erschien mit Florence und auch meine Tochter reckte ihre Ärmchen, sodass wir dann zu dritt hier auf den Bohlen saßen. Ich begann meinen Kindern zu erzählen, wie ich ihren Vater kennengelernt habe. Das lenkte mich ein wenig von diesen trüben Gedanken ab und die beiden, wenn auch Florence noch nicht so viel verstand, erfuhren etwas über ihre Familiengeschichte.
Ab und an warf Mrs. Wallace noch die ein oder andere Anekdote mit ein.
„Du hast mit Papa geschimpft? War er böse?“ kicherte Edward. Vermutlich stellte er sich gerade einen unartigen Vater vor, welcher von mir eine Standpauke erhielt.
„Ein bisschen, ja. Manchmal hat er mich einfach geärgert. Zum Beispiel, als er einfach nicht liegen bleiben wollte, als er krank war.“ grinste ich und sah dabei in Richtung meines Sohnes, welcher genau wusste, dass auch ER damit gemeint war.
„Dann ist Papa gar nicht immer artig.“ mit verschränkten Armen stand Edward jetzt vor mir und hatte einen triumphierenden Blick aufgesetzt. Und in diesem Moment sah er wirklich wie Haytham in klein aus.
„Aber du musst ihm ja nicht sagen, dass du es weißt.“ flüsterte ich verschwörerisch. Ich wusste, dass unser Sohn solche kleinen Geheimnisse liebte. Auch wenn er sie früher oder später als „Waffe“ bei Diskussionen einsetzen würde.
Die Fahrt nach Hause verstrich im Grunde recht friedlich. Florence fand langsam Gefallen am Segeln, was mich beruhigte im Hinblick auf die lange Überfahrt nach England.
Anfang August trafen wir wieder an der Plantage ein und wurden von einem glücklichen Haytham erwartet.
„Da seid ihr ja wieder! Ich habe euch vermisst.“ rief er freudig und nahm uns alle drei in die Arme.
Vor allem Florence war überglücklich, wieder auf seinen Arm zu können! Kaum dass sie bei ihm war, plapperte sie drauf los und drückte sich an seine Brust.
Mich erwartete auf der Terrasse mein Kaffee und ich genoss für einen Moment diese Stille. Kein Knartschen von Holz, kein Gemurmel von den Matrosen. Herrlich, außerdem bewegte sich der Boden nicht mehr.
Nach dem Abendessen ließ ich für Edward und Florence ein Bad richten, damit sie zur morgigen Andacht im Versammlungshaus mit sauberen Hälsen anwesend waren.
Sybill und Sophia hielten heute Nacht Wache, weil die erste Nacht ohne meine Nähe sicherlich nicht ganz so friedlich verlaufen würde.
Nachdem auch ich ein ausgiebiges Bad genossen hatte, bei welchem mir mein Mann Gesellschaft geleistet hatte, saßen wir noch draußen und ich berichtete ein paar Sachen aus New York.
Alles andere würde ich erst in den kommenden Tagen ansprechen und mit ihm die Papiere und ähnliches durchgehen.
„Das mit Thomas´ Auftauchen gefällt mir nicht! Ich habe schon William eine Nachricht zukommen lassen, dass er ihn im Auge behalten soll! Leider ist er derzeit in Baltimore unterwegs. Wir haben eine Spur zu einem größeren Lager für illegale Waffen und Alkohol. Und du darfst dreimal raten, wer unter anderem in den Listen der Kunden auftaucht!“ Haytham sah mich wartend an, aber ich konnte ihm nicht folgen.
Zögerlich fragte ich, ob er Eugene meinen könnte.
„Kein geringerer als der böse Käptn, wie Edward jetzt sagen würde!“ in seiner Stimme klang Wut, aber auch eine große Portion Angst mit. Dieser Mann war scheinbar überall, wenn auch nicht immer persönlich. „Aber er ist, laut Berichten, dort noch nie persönlich aufgetaucht. Es gab immer Handlanger und Mittelsmänner, welche seine Waren inspiziert haben!“
Ich seufzte tief und lehnte mich in meinem Stuhl zurück.
„Noch eine Baustelle mehr, wo wir ein Auge drauf haben müssen. Das ist doch echt zum Kotzen!“ fauchte ich laut und schlug mit meiner Faust auf die Lehne.
„Williams Truppe ist dort aber vor Ort und observiert das ganze Gelände erst einmal. Wir müssen sichergehen, dass wir mit den anderen Kundennamen auch richtig liegen. Ach, das hätte ich fast vergessen. Weißt du, welcher Name dort ebenfalls aufgetaucht ist?“ wieder sah er mich grinsend wissend an.
„Erleuchte mich, mi amor. Mein Gehirn schaltet gerade auf Durchzug.“ hörte ich mich schläfrig nuscheln.
„Eine Witwe namens Mrs. Donovan aus Virginia ist an den Geschäften beteiligt!“ mit hochgezogener Augenbraue fiel sein Blick auf mein erschrockenes Gesicht!
„Sie wird einen hochrangigen Offizier alsbald heiraten! Diese Frau hat sich also irgendwie wieder gefangen und sich einen neuen Reichen geangelt!“ es war unfassbar, wie schnell dieses Weib wieder auf die Füße kam.
„Oh, du hast also noch weitere Neuigkeiten über sie. Das ist wirklich interessant! Aber lass uns den Rest morgen besprechen, ich sehe, du schläfst hier sonst noch im Sitzen ein.“ lachte er leise und zog mich mit hoch.
Im Schlafzimmer befreite er mich aus meinen Sachen und wir holten die Wochen, in welchen wir nur im Geiste zusammen sein konnten, nach.
Beim Bad vorhin war ich einfach nur für seine Nähe dankbar, hatte aber keine wollüstigen Gedanken. DAS holte ich jetzt nach einer kleinen Ruhepause nach! Ich zeigte meinem Mann meine ganze Hingabe, indem ich vor ihm kniete und ihn kostete. Meine Augen ließen ihn nicht los und ich genoss sein großes Verlangen nach mir!
Er ließ es sich aber nicht nehmen, mich ebenfalls in diese Hochstimmung zu bringen. Seine Hände und Lippen waren schier überall, berührten jeden Zentimeter meiner Haut. Sie hinterließen eine Spur aus Gänsehaut.
Kurz darauf ließ ich los und krallte mich in seinen Haaren fest!
Schwer atmend lag ich lächelnd auf dem Bett und sah zum Baldachin hinauf.
„Ich habe deinen Körper vermisst, mi amor. Im Geiste ist es ja recht nett, aber auf Dauer einfach nichts für mich.“ kicherte ich leise, als ich in seinem Arm lag.
„Dafür habe ich vollstes Verständnis. Aber sei ehrlich, einen gewissen Reiz hat es, oder? Diese Erfahrung mit dieser Emily war übrigens wirklich etwas völlig Neues für mich. Vor allem, weil auch sie meine Gedanken wahrnahm.“ kam es leicht grüblerisch von meinem Templer.
Darüber hatte ich ebenfalls schon nachgedacht. Vermutlich liegt es an dieser Verbindung mit dem Sonnensymbol und Balder.
Das brachte mich aber auf eine recht schmutzige Idee.
„Vielleicht sollten wir, nicht gleich jetzt oder morgen, sondern irgendwann einmal, Emily in unsere Gedanken holen.“ hauchte ich leise.
„Ich muss dich also mit einer weiteren Frau teilen, mi sol?“ sein theatralisches Schnalzen mit der Zunge ließ mich lachen.
„Ja, wirst du müssen. Aber ich mache es wieder gut, versprochen, Master Kenway!“ flüsterte ich, während ich mich langsam auf seinen Schoß schob. Eine kleine Wiedergutmachung hatte mein Mann schon jetzt verdient!
„Wie ich sehe, seid ihr mal wieder voller Tatendrang!“ raunte er mir ans Ohr, als er mich zu sich herunterzog.
Diese Nacht war recht schlaflos für uns, was sich am nächsten Morgen rächte, als Edward laut gegen die Tür pochte und um Einlass bat.
Haytham ließ ihn gewähren und unser Sohn stürmte mitsamt Hündin aufs Bett. Mein lautes „Runter vom Bett!“ reichte Walka und sie trollte sich auf den Läufer davor.
„Vater, hast du gut auf Darius aufgepasst? Gehen wir heute in den Wald um die Tiere zu beobachten? Ich will doch lernen, wie man sich anschleicht, Vater! Bitte!“ Edward war so aufgeregt, dass er sich kaum bremsen konnte. Er sprang auf unserem Bett herum und bevor einer von uns reagieren konnte, flog er auf den Boden.
Im ersten Moment fuhr ich erschrocken hoch, weil ich dachte, er hätte sich verletzt. Aber ich wurde eines besseren belehrt.
„Mi sol, Edward hat sich gekonnt abgerollt bei dem Fall!“ selbst in Haythams Stimme klang Erstaunen wider.
Unser Sohn stand aber ebenso überrascht vor uns.
„Das hat gar nicht wehgetan, Vater. Kannst du das auch? Und du Mama?“ er erwartete doch nicht allen ernstes, dass wir ihm das JETZT zeigten, oder?
„Ja, so etwas lernt man in seiner Ausbildung, mein Sohn. Wer hat dir das gezeigt?“ mein Templer hob seinen Sohn wieder aufs Bett.
„Ich weiß es nicht, Vater. Ich wusste, dass ich es kann.“ dieser eigene Unglaube in seiner Stimme war niedlich.
„Dann werden wir das ab jetzt ein wenig mehr üben, Edward.“ ich befürchtete nämlich, dass er ohne echtes Können, den anderen Kindern diesen Sprung, oder besser Fall präsentieren würde.
Beim Frühstück später besprachen wir die ersten Lehrstunden für unseren Sohn. Noch wären es kleinere Übungen, die für ihn angepasst werden würden.
„Auch! Auch!“ hörte ich Florence jammern, weil sie bemerkte, dass nicht sie der Mittelpunkt unseres Gespräches war.
„Min lille engel, du musst erst richtig laufen können, dann sehen wir weiter.“ ich strich ihr lächelnd eine kleine blonde Strähne aus dem Gesicht. Aber wie immer begann sie zu weinen, weil sie nicht das bekam, was sie wollte. Genervt sah ich zu Haytham, welcher aber gerade mit Edward beschäftigt war.
„Papaaaaaaaa!“ rief sie um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, welche sie auch prompt bekam! Ich verdrehte innerlich die Augen. Die kleine Prinzessin war wirklich ein Papakind geworden!
„Florence, ich spreche mit deinem Bruder. Aber komm, möchtest du etwas von meinem Brötchen haben?“ damit hob er sie aus ihrem Stuhl und auf seinen Schoß.
„Pffffff, immer kriegt sie ihren Willen!“ schmollte jetzt Edward und war drauf und dran, einfach aufzustehen. Aber ein Blick von mir genügte. Immer noch maulend aß er sein Porridge und sein Obst, sah aber immer wieder böse zu seiner kleinen Schwester, welche sichtlich Freude hatte mit ihrem Vater.
Der Vormittag gehörte der Familie, nicht ganz, weil wir noch an der Andacht teilnahmen. Anschließend ritt Haytham mit Edward und Florence wie versprochen in den kleinen Wald, um die Tiere zu beobachten. Nun gut, unsere Tochter wäre da keine große Hilfe, weil sie vermutlich durch ihre noch recht unbeholfene Art, alles verschrecken würde.
Somit hatte ich aber ein paar Stunden Zeit, um das Packen für England und Europa allgemein anzugehen.
„Mistress Kenway, wir werden vermutlich wieder fast alles mitnehmen müssen. Oder wird es ein kürzerer Aufenthalt?“ fragte mich meine Zofe, welche gerade vor meinen Schränken stand. Michael neben ihr hatte es dahingehend etwas einfacher. Haythams Garderobe konnte man locker variieren und im Grunde reichten je 4 Grundausstattungen. Zur Not konnten wir ja auch einmal für ihn in London einkaufen gehen. Wenn ich ehrlich sein soll, ich freute mich ein wenig darauf, weil ich für Florence auch einmal etwas besorgen konnte.
Aber zurück zum Thema.
„Ich brauche mindestens vier Empfangs- und Ballkleider. Dazu müsst ihr eine Montur in Kleidform und die anderen beiden Monturen einpacken. Außerdem wäre es gut, wenn ich die einfachen Kleider in blau, grün und beige dabei hätte. Die kann ich zur Not auch noch mit Tüchern und den Hauben ein wenig aufhübschen.“ grübelnd stand ich vor meiner Auswahl. Nein, das sollte reichen. Auch wenn mir diese Hauben, Hüte und vor allem Perücken überhaupt nicht zusagten. EINE hatte man mir aus Versailles damals noch überlassen, aber ich hatte sie in ihrem Karton gelassen und seitdem nie wieder angerührt. Alleine bei dem Gedanken schüttelte es mich.
Pünktlich zum Mittagessen erschienen meine Männer mitsamt eines heulenden kleinen Mädchens.
„Mi sol, Florence ist erschrocken, weil sie auf einen Frosch getreten ist, falls du fragst, weswegen sie weint.“ kam es entnervt von Haytham. Er ging, nachdem er mir unsere Tochter auf den Arm gegeben hatte, in den Salon und goss sich von dem Whiskey dort ein.
Dann war dieser kleine Ausflug also anstrengender als gedacht, grinste ich in mich hinein. Er hätte ja auch die Kindermädchen mitnehmen können, aber ich hatte ihn nicht daran erinnert, weil auch sie eine kleine Auszeit brauchten.
Ich kann dich denken hören, mi sol. Fauchte er in meinem Kopf und ließ mich auch gleich wissen, was er für mich als Lektion angedacht hatte für diese bösen Gedanken.
Sophia brachte unseren kleinen Engel, ja sie ist eigentlich ein kleiner Engel mit ihren goldblonden Haaren!, nach dem Essen zu Bett, wohingegen Edward seit einer Woche keinen mehr antrat.
Diese Zeit nutzte ich um ihm weiter Deutsch und Dänisch beizubringen, was Haytham immer noch nicht so gerne sah.
„Er wird nie diese Sprache nutzen, mi sol. Er sollte lieber Latein und Französisch weiter lernen.“ diese Worte hörte ich immer wieder von meinem Mann.
„Latein? Das ist eine tote Sprache, mi amor. DIE wird er nie wirklich nutzen, weil sie bald kaum noch jemand nutzt. Es sei denn man ist Jurist, Arzt oder ähnliches.“ im selben Moment fiel mir ein, dass es noch gar nicht an der Zeit ist, dass man die Bibel wirklich für ALLE zugänglich machte, das auch die einfachen Leute lesen lernten.
Wir hatten für den Nachmittag Besuch angekündigt bekommen, es war Dimitri, welcher nach seinen Waren schauen wollte. Außerdem musste ich ihm noch von den Vorkommnissen in New York berichten, weil auch einige Wodkalieferungen, wenn auch nur noch in kleinen Mengen, darüber abgefertigt wurden.
„Mistress Kenway, es freut mich, euch wohlbehalten wieder zusehen.“ eine feste Umarmung seinerseits und wir gingen auf die Terrasse. Danja war ebenfalls mitgekommen und die Kinder konnten sich im Garten noch austoben.
„Dimitri, es ist tatsächlich immer schwieriger, dass alles verdeckt zu halten. Wir werden jetzt dazu übergehen, auch noch Überland-Konvois einzurichten. Die werden wir als eine Reisegruppe tarnen. Wir haben genügend Frauen und auch Männer, die sich hervorragend dafür eignen.“ versicherte ich, als ich sah, dass sein Blick skeptisch wurde.
„Ich habe schon davon gehört, dass die Lager nicht nur dort angegriffen werden. Diese ganzen Spitzel sind wirklich eine Plage geworden.“ maulte er.
Also erzählte ich auch von dem Ring der korrupten Hafermeister.
„Dort werden wir als nächstes ansetzen. Ich habe bereits einen Plan, wer wo eingesetzt wird. In London, Bristol, Liverpool und Dover kann ich vielleicht sogar persönlich eingreifen. In Le Havre und Calais ebenso. Alle andere Teile werde ich schriftlich mit einem Boten informieren, damit unsere Delegationen entsprechend Leute dort einsetzen können! Seid versichert, eure Waren werden nicht weiter zu Schaden kommen!“ zuversichtlich lächelte ich den Russen an, erntete jedoch eine fragend hochgezogene Augenbraue.
„Ich hoffe es, Mistress Kenway. Auch wenn ich bis jetzt nicht klagen kann.“ mit einem Male grinste er breit, während sein Blick wissend zu Haytham ging. Aha, die beiden hatten schon darüber gesprochen, wollten mich aber nur mal wieder ein wenig ärgern!
Gegen Abend verabschiedete sich die Familie, zum Essen könnten sie nicht bleiben, da es zu spät werden würde und ich sah in Danjas Gesicht, dass sie doch sehr erschöpft war. Naja, bei drei Kindern mittlerweile auch kein Wunder!
„Vater, wer hat dieses russisch erfunden?“ kam es neugierig von Edward bei Tisch.
„Diese Sprachen haben sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt, mein Sohn. Auch hier in Amerika gibt es eine ganz eigene Sprache der Indianer und auch dort gibt es noch verschiedene Dialekte.“ für einen Moment sah ich in Haythams Geist, wie er Ziio hörte und was ich zum aller ersten Male wahrnahm, war die Frau an sich. Ich konnte sie sehen! Es trieb mir die Tränen in die Augen, weil ich seine Trauer spüren konnte. Wieder einmal wurde mir klar, ich musste dringend mit Master Davenport in Kontakt treten!
Nicht nur ich hatte diese Frau gesehen, auch Edward!
„Vater, wer ist diese Indianerin gewesen? Wo ist sie jetzt…“ bevor er aber noch weiter fragen konnte, begann Haytham wie von alleine zu erzählen. Sogar Florence sah ihn still mit großen Augen dabei an. Er berichtete, wie er in Boston ankam, wie er sie kennenlernte und welche Verbindungen dadurch zustande gekommen waren.
Natürlich war diese ganze Geschichte etwas verkürzt, aber fürs Erste sollte es als Erklärung reichen.
In Edwards Augen trat ein gewisser Unglaube und er sah mich an, sagte aber nichts.
Für einen winzigen Moment spürte ich Haytham in meinem Kopf. Soll ich von meinem Verdacht berichten? Du weißt es ja auch, dass ich bereits einen Sohn habe. Diese Unsicherheit in seiner Stimme hatte ich das letzte Mal gehört, als er vor unserem Bett zusammenbrach, als Edward gerade auf der Welt war und er sich Vorwürfe machte, ein schlechter Vater zu sein.
Ich nickte leicht.
„Ich habe noch einen großen Bruder?“ mit offenem Mund starrte unser Sohn in unsere Richtung.
„Ja, den hast du.“ kam es leise von Haytham.
„Min lille skat, du, oder besser ihr beide habt doch einen weiteren großen Bruder. Yannick. Ich habe ja auch schon einen Jungen…“ völlig entgeistert sah mich Edward an, sprang von seinem Stuhl und rannte hinaus! Bevor ich jedoch hinterher konnte, hielt mich Sybill auf.
„Lasst mich mit ihm reden, Mistress Kenway.“ sie nutzte nur sehr selten diese höfliche Anrede, aber sie gebot mir Einhalt. Snotra würde sich mit Edward zurückziehen.
Sophia nahm Florence auf den Arm, welche weinend an Haythams Brust gelegen hatte. Wie viel sie von alle dem schon verstand oder verarbeiten konnte, entzog sich meiner Kenntnis. Unsere Tochter musste aber auch noch lernen, dazu gehörte die Familiengeschichte. In diesem Moment war sie aber vermutlich nur erschrocken, weil ihr Bruder so hinausgestürmt war.
Mir wurde immer bewusster, dass es viel mehr als nur das Kennenlernen und die Zeitreise gab, die wir erklären mussten.
„Mi sol, sag mir, wo mein Sohn jetzt ist!“ in seiner Stimme klang eine fürchterliche Angst mit, welche ich noch nie bei ihm gespürt hatte.
„Nein, zum einen kann ich es nicht, zum anderen muss ich mit Achilles vorher sprechen. ER ist die Schlüsselfigur, welche einen größeren Einfluss auf … deinen Sohn hat.“ verdammte Axt. Ich brachte es nicht über die Lippen ihn Connor zu nennen, warum auch immer.
„Dann sieh endlich zu, dass du es erledigst!“ in seiner Wut war Haytham aufgestanden und funkelte mich voller Zorn an.
„Ist ja schon gut, aber ich ging immer davon aus, dass ich noch ein wenig Zeit hätte!“ auch mir fiel es schwer, mich zu zügeln. Somit kamen meine Worte entsprechend schnippisch aus meinem Mund.
„Wie du siehst, hast du sie nicht mehr!“ ich sah nur noch einen wütenden Templer aus der Tür eilen. Dann war ich alleine.
In meinem Kopf stapelten sich wieder einmal die Gedanken, die Ideen, die Vorhaben, die Pläne und so weiter! Wie sollte ich das alles sortieren?
Ich brauchte eine Liste!
Ich ging wie in Trance in mein Arbeitszimmer und begann zu schreiben!
Was war wichtig? Was konnte warten?
Die Reise nach England stand jetzt an erster Stelle! Damit verbunden die Hochzeit von Jenny!
Anschließend noch der Abstecher in die Niederlande zu den de Gooijers!
Wieder einmal konnte ich mir wohl eine Reise in meine Heimat abschminken, was mir Tränen in die Augen trieb. Ich würde, auch wenn niemand dort auf mich warten würde, gerne sehen, wo ich einmal leben werde!
Ich verfasste einen Plan für die Reise zu Achilles. WANN diese stattfinden würde, stand bis auf weiteres in den Sternen!
Ich schrieb jedoch nicht nur diese Dinge auf, sondern ließ auch meine Gedanken und Gefühle einfließen!
Irgendwann ließ ich erschöpft den schon völlig kaputten Federkiel sinken und betrachtete die Blätter, welche gefüllt mit meinem Wirrwarr waren!
Als ich aufsah, bemerkte ich erst, dass es schon dunkel war. WER hatte die Kerzen hier angezündet?
Ein Kribbeln in meinem Nacken ließ mich aufschrecken und ich aktivierte meinen Blick! Nichts war auszumachen!
Mein Kind, keine Sorge. Ich habe dafür gesorgt, dass du diese Zeit für dich hast. Ich wollte sehen, wie du mit einer solchen Belastung umgehst! Du hast es gemeistert. Deine Prioritäten sind auf deine Familie gerichtet. So soll es sein! Wenn du morgen über diese Listen schaust, wirst du ein Muster erkennen. Du wirst sehen, dass alles vorherbestimmt ist. DU hast es so gesehen und niedergeschrieben! Der Allvater war verschwunden und zurück blieb dieses Gefühl von Erleichterung wenn man eine Aufgabe richtig erfüllt hat.
Ich löschte die Kerzen und verließ mein Studierzimmer.
Vorsichtig öffnete ich die Tür zu Edwards Zimmer und sah, wie er friedlich schlief. Walka lag wie immer am Fußende zusammengerollt auf dem Bett.
In Florences Zimmer bot sich mir ein ähnlicher Anblick. Auch meine Tochter schlief mit Daumen im Mund.
Beruhigt ging ich hinüber ins Schlafzimmer, doch dort war niemand! Im ersten Moment war ich traurig und setzte mich seufzend auf die Bettkante. Beschloss dann aber, meinen Mann zu suchen. Weit weg sein konnte er ja nicht.
Unten im Arbeitszimmer war er nicht, auch nicht auf der Terrasse, nicht im Salon… Langsam begann ich mir Sorgen zu machen! Mein Blick zeigte mir unsere Kinder, nicht aber Haytham.
Also suchte ich ihn im Kopf… aber es war, als wollte er nicht gefunden werden! Ich watete durch einen Nebel und bekam unweigerlich eine Gänsehaut. Nebel… Hrymr… die Naglfar! Mein ganzer Körper begann zu zittern und ich suchte hektisch weiter!
Er konnte nicht hier sein! Nicht schon wieder!
HAYTHAM! Schrie ich in meinen Gedanken und hoffte, er würde mich bemerken!
Plötzlich spürte ich Arme um mich herum, welche mich an einen warmen Körper drückten!
„Alex, komm zu dir. Ich bin hier! Sieh mich an!“ schnöseliger Brite… ging es mir im ersten Moment durch den Kopf und ich schüttelte mich.
„Was… Wo warst du verdammt nochmal? Ich habe dich gesucht, aber du …“ immer noch war ich ungehalten und meine Stimme war lauter als gewollt!
„Ich war nur unten bei der Weideneiche. Ich brauchte einen Moment…“ abrupt verstummte er. Sein Blick ging besorgt um mich herum. „Nein, er ist nicht hier, mi sol!“ als sich jetzt seine Arme um mich legten, spürte ich diesen Frieden, welcher von Haytham immer ausging.
„Mach das nie wieder, oder ich vergesse mich!“ maulte ich an seiner Brust. Ich war einfach erleichtert, dass hier kein böser Käptn aufgetaucht war und wir friedlich weiterleben konnten.
Kurz darauf lag ich in den Armen meines Mannes im Bett und glitt in einen traumlosen Schlaf.
Nachdem wir uns sicher waren, dass weder Eugene noch Hrymr uns auflauerten, machten wir die Jackdaw bereit. Proviant musste an Bord gebracht werden und zu meinem Leidwesen waren die Segel ausgetauscht worden, weil die schwarzen mittlerweile recht morsch waren. Ich musste mich jetzt mit den üblichen weißen Stoffen begnügen, begann aber schon im Kopf einen Plan aufzustellen, dass ich wieder SCHWARZE haben wollte! Wenn schon keine schwarze Flagge, dann eben diese Segel!
Unsere Kinder hatten sich wieder beruhigt, nachdem auch ich noch einmal erklärte, dass es eben auch vorkam, dass Kinder aus anderen Beziehungen zu unserer Familie gehörten. In diesem Moment wurde mir aber auch klar, dass Edward die Reise ins 21. Jahrhundert noch gar nicht bewusst wahrgenommen hatte. Auch hatte er die Begegnung mit Yannick zur Geburt von Florence noch nicht verstanden! Das würde ich dann später in meine Erzählungen einfließen lassen. Aber dieser Gedanke machte mich jetzt nicht mehr so nervös, es war wie eingemeißelt in einen Stein! Es würde einfach weitergegeben werden!
An Bord für diese lange Überfahrt waren dieses mal nicht nur Nutztiere, sondern auch die Hündin unseres Sohnes, was unserem ersten Maat einen säuerlichen Ausdruck auf dem Gesicht verlieh.
„Mistress Kenway, versteht mich nicht falsch. Aber die Exkremente von Tieren sollen doch Krankheiten übertragen! Wohin also mit… ihr wisst schon. Wo soll der Hund hinscheißen?“ DAS hatte ich tatsächlich mit meinem Sohn besprochen! ER würde dafür sorgen müssen, dass Walkas Geschäft von IHM entsorgt wird! Mr. Hargreaves sah mich entgeistert an. „Ihr lasst euren Sohn solch niederen Tätigkeiten ausführen?“
„Das tue ich, ja! Eine Lektion, die Master Edward lernen muss, wenn er mit seinem eigenen Tier an Bord eines Schiffes ist. Wenn er als erwachsener Mann selber segelt, dann muss er ja wissen, worauf er sich einlässt!“ vermutlich klang es harscher als ich wollte, aber ich war einfach der Ansicht, dass er lernen musste, was Verantwortung wirklich bedeutete. Es war nicht das kuschelige Nachts am Fußende hockende Tier, nein. Es gab auch noch ganz andere Aufgaben.
Wir hatten bisher Glück, was das Wetter anging. Bis auf ein paar kleinere Gewitter und Regen blieben wir verschont von Riesenwellen oder Orkanen!
Bis zu der Nacht zum 4. Oktober!
Es war, als würde der Zorn Thors mit einem Male zuschlagen! Von jetzt auf gleich erhob sich das Meer, das Wasser schlug über uns zusammen, der Wind war so heftig, dass er zwei Matrosen von Deck fegte!
Die Mannschaft tat ihr bestes, damit wir nicht untergingen. Haytham und ich wechselten uns in den Schichten ab, weil ich meine Brig nicht verlieren wollte. Wenn ich gedacht hatte, dass meine Mannschaft noch Probleme mit einer Frau als Befehlshaberin hatte, so hatte ich mich getäuscht. Sie alle waren auf meiner Seite und folgten meinen Anweisungen.
Ich selber half, wo ich konnte. Vertäute neu, stieg in die Wanten um die Segel zu justieren! Ich ging mit dem Zimmerer in die beschädigten Sektionen und wir reparierten die beschädigten Teile.
Umgekehrt kümmerte ich mich um Florence und Edward, welche unter diesem Unwetter sichtlich litten. Beide waren noch nicht ganz seefest, wie es schien. Am vierten Tag muss es gewesen sein, da tauchte plötzlich Edward Senior auf! Seine Enkelkinder starrten ihn für einen Moment überrascht an, aber als er erklärte, ihm gehörte eigentlich vor langer Zeit diese Brig und er wollte mal nach dem Rechten sehen, brach das Eis.
„Opa! Zeigst du mir, wie mir nicht mehr ….“ ein Würgen war zu hören … „schlecht werden kann!“ und mein Sohn wischte sich den Mund mit dem Ärmel seiner Jacke ab.
„Ihr beide! Kommt mit!“ Mit Florence auf dem Arm und Edward Junior an der Hand verschwand mein Schwiegervater bei diesem Sturm aus der Tür und hinauf aufs Deck! Ich wollte ihm schon nachsetzen, als mich Odin zurückhielt.
Lass es! Du musst auf die Erfahrung Heimdalls vertrauen! Der Allvater war wie immer zuversichtlich und beruhigte mich damit ein bisschen, aber nicht so ganz. Dieses Auf und Ab der Brig bei diesem Sturm ließ mich das Schlimmste sehen.
Ich ging aus der Kajüte und wurde sofort von der aufschäumenden Gischt des Meeres empfangen!
Haytham stand bei unserem ersten Maat, welcher sich mit Seilen an das Steuerruder gebunden hatte. Mein Mann hielt sich krampfhaft an der Brüstung fest.
Am Bug sah ich die scheinenden Umrisse meiner Kinder und meines Schwiegervaters. Es sah fantastisch aus, wie dieser Mann erhaben dem Meer trotzte. Ich hörte keine ängstlichen Schreie der Kinder, nein. Im Gegenteil, sie forderten MEHR!
„Er ist unerschütterlich, mi sol. Mein Vater ist genau der Richtige für diese Lektion!“ Haythams Stimme klang ehrfürchtig, während er den Blick auf den Bug gerichtet hatte.
„Das ist er.“ mit offenem Mund stand ich neben meinem Mann und sah auf meinen Schwiegervater.
Neben mir erhob sich plötzlich Thor! Entgeistert sah ich ihn an und sah ein Lächeln auf seinem Gesicht.
„So werden wir sie Seefest machen! Wir werden die beiden schon noch lehren, was es heißt, wahre Krieger Odins zu sein!“ und er schwang seinen Hammer… die Blitze zuckten und der Donner erschütterte das gesamte Schiff! „DAS nenne ich eine Lehrstunde!“ lachte der Donnergott und ich sah, wie er sich in Richtung meines Sohn aufmachte.
Ich folgte ihm, weil ich wissen wollte, was sie dort vorne eigentlich trieben.
„Mädchen, du hast doch keine Angst oder?“ hörte ich ihn, während er neben Florence und Edward Senior stand. „Brünhild! Nun mach schon! Einen Drachen erlegt man nicht mit Tränen in den Augen!“ grölte Thor und sah in meine Richtung.
Nein, es bedarf einer gewissen Macht. Zum ersten Mal sah ich die Walküre schimmernd wieder auftauchen. Sie Umschloss ihren Schützling, führte Florence im wahrsten Sinne des Wortes an den Rand des Unwetters. Doch bevor ich eingreifen konnte, sah ich, wie meine Tochter mit ausgebreiteten Armen auf dem Arm ihrer Patin am Bugspriet stand und mit lauten Worten den Wellen Einhalt gebot!
Das ganze war einfach nur eine Übung für unsere Kinder? Meine Tochter war aber doch gerade erst ein Jahr alt!
Langsam spürte ich, wie sich das Unwetter legte, was sich tagelang um uns ausgebreitet hatte.
Die Mannschaft atmete kollektiv erleichtert aus, wenn auch noch etwas erstaunt und misstrauisch.
„Mama, ich bin müde.“ Edward stolperte gähnend auf mich zu, während Florence, schlafend mittlerweile, auf den Armen von Sophia lag.
Ich brachte unsere Kinder in unsere Kajüte. Sybill sah mich lächelnd an.
„Du wusstest, dass wir beizeiten die Führung übernehmen werden, oder?“ Natürlich war mir das klar, aber ob ich es auch verinnerlichen konnte und einfach so zulassen würde, DAS stand auf einem ganz anderen Blatt.
Sie würden nicht die ganze Führung übernehmen, nein. Es ging nur um die Fähigkeiten der Götter. Thor hatte heute Edward Junior gezeigt, wie er sich das Meer Untertan machen konnte.
Florence hatte gelernt nicht nur einen Drachen zu zähmen, sondern auch die wilden Stürme! Aber auch dort fehlten noch einige Feinheiten und das Training!
Wenn man es jetzt genauer betrachtete, waren beide Kinder im Grunde wie Schutzpatrone für ein Schiff!
Florence und Edward kuschelten sich an mich, als ich sie zu Bett brachte. Wir hatten jetzt ein kleines Doppelbett für die beiden in meiner Kajüte auf der andere Seite bauen lassen. Es wäre sonst einfach zu eng!
Diese stürmischen Tage auf See hatten uns aus dem Zeitplan gerissen! Wir hatten volle 3 Wochen deswegen verloren, weil wir vom Kurs abgekommen waren. Das ärgerte mich wirklich, war aber nicht zu ändern. Ich atmete tief durch und versuchte meinen inneren Frieden wieder aufzubauen. Wir hatten alle Zeit der Welt!
Nicht ganz, ich hatte die Befürchtung, dass wir doch nicht pünktlich zur Hochzeit in London sein würden.
Dazu kam, dass wir plötzlich ein mysteriöses Fieber an Bord hatten!
Fieber, Schüttelfrost, blutiges Erbrechen! Ruhr, Cholera?
Erst waren es nur zwei Matrosen, dann 5 und so weiter… Ich hatte vor Reisebeginn die Wasservorräte in mit Metall ausgeschlagene Fässer füllen lassen. Obst war in entsprechenden Mengen vorhanden und war ebenso gut gelagert.
WAS befiel jetzt die Mannschaft?
Wir hatten den Arzt an Bord, welcher gerade seine Ausbildung beendet hatte.
„Es sieht aus wie … als hätte man verdorbenes Essen bekommen.“ na toll, eine Lebensmittelvergiftung? Das konnte aber nicht sein!
Eine ganze Woche forschten wir nach der Ursache, den Symptomen…
Es griff einfach willkürlich um sich!
„Mama, ich kann helfen.“ flüsterte mir Edward eines Nachmittags zu und schob sich zu einem der Kranken durch.
Ich konnte nicht so schnell reagieren, da legte er schon die Hand auf die Brust eines kranken Matrosen.
„Mama, der böse Kapitän!“ schrie mein Sohn plötzlich und ließ den Patienten einfach los!
Wie eine Woge erschienen alle Götter zeitgleich und standen im Unterdeck!
Aber es war, als würde ich nicht auf der Jackdaw sein, sondern auf einem anderen Schiff! Die Räumlichkeiten waren anders, sie waren geräumiger, aber wesentlich dunkler!
„Willkommen an Bord meines Schiffes, du kleine Heuchlerin!“ diese Stimme drang bedrohlich leise an mein Ohr. „Du bist immer noch der Meinung, dass diese kindischen banalen Götter dich vor mir schützen, oder? Ohhhh, das ist so großartig! Komm schon! Sieh, was aus deinen Kindern wird!“
„Komm schon, du arbeitest für mich. Wofür bezahl ich dich eigentlich?“
Eine Neunschwänzige traf zum 13. Mal auf den Rücken des Sklaven! Die Haut war bereits aufgeplatzt und Blut quoll aus den Wunden! Doch der Aufseher ließ sich nicht beirren! Weiter... immer mehr Schläge!
„Irgendwann wirst du zusammenbrechen!“ brüllte er und ich sah in graublaue Augen eines jungen Mannes, welcher unbeirrt auf den Mann vor sich eindrosch! Ein schallendes Lachen war aus seinem Mund zu hören. Diese Folter schien ihn zu erfreuen!
„Master Edward, jetzt lasst von ihm ab. Tot ist er für uns überhaupt nicht mehr zu gebrauchen!“ fuhr den jungen Mann ein Herr an, welcher etwas abseits gestanden hatte.
„Was wisst ihr schon von Bestrafung, Zucht und Ordnung? Ihr seid verweichlicht! Allesamt!“ schrie er in die Runde der versammelten Menschen, welche alle mit entsetzten Gesichtern das Geschehen verfolgten!
NEIN! Schrie ich in meinem Kopf!
Ich spürte, wie sich in mir die Barriere aufbaute, festigte! Langsam driftete ich wieder auf die Innenräume der Jackdaw und fand mich kniend vor meinem Sohn wieder. Edward weinte und klammerte sich an mich! Meine Befürchtung, dass auch er diese Szene gesehen hatte, bestätigte er mit den stockenden, schniefenden Worten „Mama, ich bin das doch gar nicht… ich hab Angst! Ich… will nicht… hauen… das…. Macht man nicht…“
„Min lille skat, hab keine Angst. Das war wieder eines dieser Trugbilder vom bösen Kapitän. Aber …“ ich sah mich hier mit meinem Blick um, nahm aber nur die Auren meiner Götter war. „… er ist wieder verschwunden.“ meine Arme schlangen sich wieder fester um meinen kleinen Schatz und ich strich ihm vorsichtig über den Rücken um ihn zu beruhigen.
„Passt du… auf mich… auf, Mama?“ immer noch schniefend, aber flüsternd vernahm ich diesen Satz. Edward wollte nicht, dass jemand anderes das hörte. In Gedanken sprach ich jetzt mit ihm.
Ich passe immer auf dich auf. Auch dein Vater ist immer für dich da.
Und prompt stand Haytham neben uns, nahm seinen Sohn auf den Arm und auch er versicherte noch einmal, dass er nie alleine sei und keine Angst zu haben brauchte.
Die hier unten Anwesenden bekamen von mir nun noch ein paar neue Gedanken und Bilder verpasst, ehe wir uns wieder an Deck begaben.
„Dann war diese Krankheit eine Falle für uns von Eugene?“ fragte ich meinen Mann zweifelnd.
„Vermutlich, doch wie werden wir sie wieder los.“ sein Blick ging wieder zu Edward. Wir waren uns aber einig, dass er nicht noch einmal seine Heilkräfte einsetzen sollte.
Die Kranken werden sich jetzt erholen, weil du es dieses mal wirklich geschafft hast, Hrymr zu vertreiben. Ich habe gesehen, wie er wütend versuchte deine Mauer einzureißen. Sie war so stabil, dass er sich fast die Zähne daran ausgebissen hätte! Ich bin stolz auf dich, mein Kind.
Damit verschwand der Göttervater wieder und mit ihm auch die anderen Schutzpatrone.
Erleichtert seufzte ich und wir konnten uns hoffentlich auf eine nun ruhige restliche Überfahrt freuen!
Von weitem sah ich schon den Hafen von London, auf welchen meine Jackdaw langsam zusteuerte!
„Mama, ist das Eurapio?“ Edward stand neben mir auf einer Kiste und sah staunend auf die an uns vorbeiziehenden Hafengebäude.
„Min lille skat, das heißt Europa. Das hier ist London und gehört auch dazu.“ ich war ja kurz davor auch noch die EU zu erwähnen, besann mich aber eines besseren. Denn mir kam auch der Brexit in den Sinn und in diesem Moment war ich froh, DAS meinen Kindern nicht erklären zu müssen!
„Da… Nini…“ vor Freude klatschte Florence in die Hände und zappelte auf Sophias Arm herum. In diesem Moment erinnerte sie mich an Edward, als wir damals hier das erste Mal ankamen.
Haytham erklärte auch seiner Tochter, dass das hier sein Geburtsort sei. Außerdem begann er ein wenig aus seiner Kindheit zu erzählen. Ihre großen grünen Augen sahen aufmerksam in seine Richtung. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, sie verstand jedes Wort und würde in der nächsten Minute antworten oder Fragen stellen!
Meine Brig legte an, die Laufplanke wurde angelegt und wir konnten von Bord.
Auf dem Landungssteg wurden wir schon von Jennifer und ihrem Verlobten erwartet! Anscheinend funktionierte auch hier die Nachrichtenkette, weil die beiden von einem aufgeregten Boten erfahren hatten, die Jackdaw sei gesichtet worden! Also herrschte hier immer noch ein gewisses Getratsche? Würde es überhaupt irgendwann einmal enden?
Mittlerweile macht es mir nichts mehr aus. Wenn du nichts dagegen hast, meine Lieblingsschwiegertochter, dann würde ich auch hier gerne diese Gruselgeschichte des alten Kapitäns und Piraten, der des Nachts hier herumschleicht, aufrechterhalten. So braucht ihr kaum Wachen einteilen.
Mein Pirat war unverbesserlich! Ich nickte lachend und stimmte seinem Vorschlag einfach zu.
DAS würde aber den Tratschtanten und Klatschbasen in die Finger spielen, dachte ich im Stillen. Gegen Edward Senior ankommen konnte ich aber in diesem Moment nicht, weil sich sein Enkel plötzlich einmischte.
Opa, ich will das mal sehen, bitteeeeeeeeeee! Hörte ich ihn bettelnd im Kopf sprechen!
Hmmmm, ich glaube, das kann ich dir sicherlich erlauben, du kleiner Rabauke! Lachte der ehemalige Kapitän, zog sich aber langsam ganz zurück fürs Erste.
„Oh, da seid ihr ja endlich! Ich freue mich so, dass ihr alle heile und wohlbehalten von Bord kommt!“ freute sich meine Schwägerin, schloss jeden nacheinander in die Arme. „Florence mein Schatz, du bist aber groß geworden. Was gibt dir deine Mutter bloß zu essen?“ lachte sie ihre Nichte an, welche ihre Ärmchen nach ihr ausstreckten.
„Nini… Nini Aaaaaaaaaam!“ mittlerweile benötigte ich keinen Kinderdolmetscher mehr, zur Not konnte Edward Junior übersetzen.
Es hatte sich hier nichts verändert seit unserem letzten Besuch, wie ich etwas enttäuscht feststellte. Was hatte ich auch erwartet?
Die Villa sah im ersten Moment jedoch anders aus. Bei genauerem Betrachten konnte ich die Veränderung ausmachen! Der Vorgarten blühte, es gab kleinere Blumenkästen vor den Fenstern und im Großen und Ganzen sah es bewohnter hier aus. Ich schritt auf den Eingang zu und mich überkam, wie das letzte Mal auch, eine Gänsehaut, weil ich an meinen ersten Besuch 1726 zurückdachte.
„Mi sol, kaum zu glauben, dass es schon 41 Jahre her ist!“ Haythams Stimme klang ein wenig ehrfürchtig.
„Erschreckend, so lange kenne ich dich schon!“ flüsterte ich fast tonlos. Absurderweise fiel mir plötzlich ein, dass wir gar nicht am Grab seiner Eltern waren beim letzten Besuch. Vielleicht konnten wir dieses mal etwas Zeit erübrigen!
Auch im Inneren hatte sich etwas getan, die Wände waren zwar immer noch alle dunkel vertäfelt, nur die Tapeten waren erneuert worden! Sie alle strahlten helle freundliche Farben aus, so als wolle Jenny zeigen, dass auch sie „aufblühte und strahlte“! Das war ihr eindeutig gelungen, weil sogar Haytham völlig sprachlos für einen Moment neben mir stand und sich mit großen Augen umsah.
Unser Sohn stiefelte aber gleich in den Salon hier unten, weil er auf einem kleinen Tisch eine Schale entdeckt hatte, wo ein paar Süßigkeiten lagen!
„Die sind … sehr lecker!“ schmatzte er, während er sich noch zwei von den kleinen Bonbons einverleibte.
„Das freut mich, Edward! Ich habe sie selber, nunja, nicht ganz, aber ich habe sie hergestellt. Nach einem alten Rezept eines türkischen Sultans.“ hörte ich Jenny verschwörerisch sagen! Damit hatte sie definitiv die Aufmerksam ihres Neffen! Er war immer für tolle Geschichten zu haben!
„Du hast wirklich die alten Rezepte ausprobiert? Das ist ja großartig! Lass mich auch einmal probieren.“ Was soll ich sagen? Dieses türkische Zuckerzeug war himmlisch, auch wenn ich nicht so viel Süßes aß.
„Das Ganze hat sich zu einem kleinen Geschäft entwickelt.“ stolz erzählte meine Schwägerin nun, dass sie mit einem Zuckerbäcker hier in London zusammenarbeite, welcher an dem ganzen Unterfangen mit beteiligt war. Sie belieferte sogar schon den Palast und die umliegenden Ländereien.
„Vielleicht kann ich ja auch beginnen einen Teil in die Kolonien zu verschiffen? Natürlich nur, wenn du auch damit einverstanden bist, Jenny.“ ich war einfach manchmal zu vorschnell!
„Oh, das würdest du tun?“ in ihre Wangen stieg eine schüchterne Röte, also hatte sie auch schon daran gedacht. Vermutlich hätte sie uns später noch darauf angesprochen.
„Meine große Schwester hat ihr eigenes Geschäft. Herzlichen Glückwunsch!“ kam es anerkennend von meinem Mann.
Unsere Ankunft war am späten Nachmittag, sprich wir aßen kurz darauf zu Abend und ich brachte im Anschluss die Kinder zu Bett.
Vorher waren wir aber alle noch einmal mit Walka draußen, damit sie ihr Geschäft machen konnte und nicht morgen früh gleich zeitig aufsprang. Jenny erklärte Edward noch, wo er den Schlüssel für die Küchentür fand und wie er dann nach draußen gelangen konnte.
„Danke, Tante Jenny.“ manchmal war ich über seine unglaublichen Manieren erstaunt!
Edward hatte das Zimmer direkt neben Haythams altem Kinderzimmer bezogen. Florence würde das daneben bekommen.
Gerade als ich dabei war meinem Sohn eine Geschichte zu erzählen, hörte ich aus dem Nebenzimmer lautes Schreien und ein „Nein, Papa… will Papa!“ Natürlich wollte Prinzesschen ihren Vater sehen, welcher auch postwendend die Treppe hoch marschierte.
„Hab ich das auch immer gemacht?“ sprach Edward leise, so als könne ihm jemand deswegen böse werden.
Ich konnte ihn beruhigen, nein, so war er nie. Auch wenn er seinen Vater oft vermisste. Unser Sohn war halt ein, ich mag es ja nicht sagen, aber er war ein Mamakind! Irgendwie hatte ich aber keine Probleme damit, nur Haytham fand diese innige Beziehung ab und an etwas merkwürdig. Wenn ich ihm dann aber erklärte, dass er mit Florence nicht anders umging, musste er jedesmal zugeben, dass ich Recht hatte.
Edward bekam noch einen guten Nacht Kuss und ich strich Walka noch einmal über den Kopf. „Pass gut auf dein Herrchen auf, ja?“ ein WUFF war zu vernehmen. Die allabendliche Bestätigung für mich.
Im Zimmer von Florence bot sich mir ein sehr rührseliges Bild. Eigentlich war es IMMER so. Sie saß angekuschelt auf Haythams Schoß, während er ein kleines Buch in Händen hielt und ihr leise vorlas. Mein Mann war kein Riese, aber Florence war nicht wie ihr Bruder schon so groß. Sie war eher zierlich und klein. Die Hand meines Mannes konnte locker ihren gesamten Brustkorb abdecken!
Versonnen stand ich einen Moment im Türrahmen und betrachtete die beiden! Was wird nur aus ihr, wenn sie in die Pubertät kam und ihren eigenen Kopf bekam? Nun gut, den hatte sie ja jetzt schon von Zeit zu Zeit, aber es würde ja noch schlimmer werden. Zumindest weiß ich das aus Erzählungen meines eigenen Vaters, dass wir Mädchen nicht immer leicht zu händeln waren. Leider entwich mir ein leises Prusten und die grauen Augen meines Templers sahen mich fragend an.
„Ihr beide gebt ein wunderschönes Bild ab, mi amor.“ gerade als ich auf das Bett zugehen wollte, winkte Florence ab.
„Papa…“ ihr entschiedener Ton machte mich leicht wütend, weil ich es doch recht unverschämt fand.
„Florence, deine Mutter möchte dir auch noch gute Nacht sagen!“ Haythams Stimme hatte einen unmerklichen feinen befehlenden Ton angenommen. Sofort war unsere Tochter aufmerksam.
„Gute Nacht, min lille engel. Schlaf gut!“ ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn, aber in diesem Moment beschloss ich, auch wenn es hart klingt, ihr nicht mehr vorzusingen. Etwas traurig verließ ich nun den Raum und ging hinunter in den Salon, wo mich Jenny mit ihrem Verlobten erwarteten.
„Alex, was ist passiert? Geht es dir nicht gut?“ hörte ich die besorgte Stimme von ihr.
„Ach, es geht um Florence. Sie will nur ihren Vater…“ weiter konnte ich plötzlich nicht mehr sprechen, weil ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.
„Aber so sind wir Mädchen doch, oder nicht?“ sprach sie leise und hielt meine Hand fest.
„Das schon, aber ich war doch auch froh, das meine Mutter mir vorsang oder in meiner Nähe war. Bei unserer Tochter… ich habe manchmal das Gefühl, dass sie mich nicht mag.“ man reichte mir ein Taschentuch.
„Mistress Kenway, lasst euch gesagt sein, aus eigener Erfahrung, auch meine kleine Schwester war fixiert auf unseren Vater. Er beachtete mich manchmal gar nicht, nur wenn es um eine Strafe ging. Aber als sie älter wurde, wusste sie, dass sie auch ihre Mutter dringend an ihrer Seite brauchte! Es dauert vielleicht noch etwas, aber seht… hier herrschen andere Sitten und Gebräuche.“ der letzte Teil kam zögerlich und er sah flehend seine Verlobte an.
„Ihr braucht keine Angst haben, wenn man euch in unsere ganzen Geschichten eingeweiht hat, dann ist das einfach nur von Vorteil. So muss ich mich vor euch nicht verstellen.“ lächelnd sah ich diesen Herren vor mir an, welcher erleichtert ausatmete.
„Du hattest Recht, meine Liebe, ich brauche nicht zurückhaltend sein.“
Damit entspannten wir uns alle, auch vergingen meine trüben Gedanken bezüglich Florence.
Haytham kam seufzend in den Salon und ließ sich neben mir nieder, nachdem er sich noch etwas Brandy eingegossen hatte.
„Florence hat eine unglaubliche Ausdauer, mi sol. Die muss sie von dir haben.“ sein Ton war doch leicht genervt, aber seine Augen sagten etwas anderes.
„Frauen, mi amor! Wir wollen halt nur eure ungeteilte Aufmerksamkeit. Gib es zu, es schmeichelt dir ein ganz kleines bisschen, oder nicht?“ mein Zwinkern bewirke ein verschmitztes Grinsen auf allen Gesichtern.
„Das kannst du ja später dann unter Beweis stellen, mi sol.“ flüsterte mein Templer mit dunklen Augen auf mich gerichtet.
Jenny und Daniel kamen jetzt endlich auf die eigentliche Hochzeit, den Ablauf und so weiter zu sprechen. Die kirchliche Trauung würde, nachdem sie schon vor einem Friedensrichter ihre Ehe besiegelt hatten, stattfinden. Master Mormon war halt ein, nunja, recht gläubiger Christ und es war nur verständlich, dass er auch vor Gott mit seiner Frau vereint sein wollte.
Die beiden hatten bereits einen Ehevertrag aufgesetzt und besiegeln lassen. Haytham und ich besaßen ebenfalls einen, weil es auch jederzeit zu großen Überraschungen kommen konnte. Wir wollten alle nur abgesichert sein.
Am 15. November sollte die eigentliche Trauung dann stattfinden. Haythams große Schwester schilderte mir nun, wie ihr Kleid aussähe. Leider war es noch nicht hier, übermorgen, am 11. sollte es gebracht werden. Auch diese beiden hatten sich für eine nicht-weiße Hochzeit ausgesprochen.
Beide würden etwas in dunklem Lila tragen, auch wären die Eheringen mit einem ebensolchen Stein versehen.
„Ich bin so aufgeregt, Alex. Immer wenn ich daran denke, dass ich bei euren Hochzeiten nicht dabei war, könnte ich in Tränen ausbrechen. Ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen! Warst du auch so nervös.“ verstohlen sah sie sich nach Daniel um, dann wieder zu mir.
„Ja…“ flüsterte ich. „Auch ich war wahnsinnig nervös. Ich glaube, dein Bruder hatte Angst, ich könnte einfach wieder verschwinden! Aber nun muss er mit mir leben, es gibt kein Entrinnen mehr.“ ich kicherte vor mich hin, weil auch Jenny mit einstimmte.
„Dann bin ich nicht die einzige, da bin ich aber wirklich froh.“
Der Abend blieb ruhig, auch wenn ich noch die Angst hatte, das gerade Edward durch die Ruhe hier nicht so recht schlafen wollen würde. Anscheinend hatte er eine weitere Lektion in seinem Leben gelernt, dass wir immer für ihn da waren und er durch diesen Wechsel von Schiff an Land keine Angst zu haben brauchte.
Leider brach aber der nächste Morgen entsprechend früh an, weil unser Sohn in seiner Panik den Schlüssel verbogen hatte für die hintere Küchentür. Somit konnte er seine Hündin auch nicht nach draußen bringen für ihr Geschäft.
„Es tut mir leid, Miss Raquel!“ jammerte er die Küchenmagd an, welche gerade das Häufchen wegmachte.
„Warum hast du denn niemandem Bescheid gegeben.“ fragte ich nach, bekam aber nur ein Weinen zu hören.
Somit begann das Frühstück etwas angespannt für uns alle.
Im Anschluss wurde die Garderobe für die Kinder hergebracht, weil beide als Blumenkinder fungieren sollten und Edward zusätzlich den beiden ihre Ringe bringen sollte.
„Ich verliere die bestimmt… dann ist Tante Jenny böse mit mir!“ ängstlich sah er zu Haytham, dann wieder zu mir.
„Nein, sie sind auf einem kleinen Kissen festgebunden. Das bekommst du kurz vorher erst und gehst dann damit zu deiner Tante und deinem Onkel.“ mein Templer war sachlich, wie eh und je bei diesem Thema.
„Mama, Onkel Daniel wohnt schon hier. Aber du hast gesagt, dass das nicht richtig ist.“ erstaunt hob ich eine Augenbraue, weil ich gerade rekapitulieren musste, was gerade in seinem Kopf vorging.
„Bei deinem Vater und mir war es etwas anderes, Edward. Ich habe dir doch erklärt, dass ich sein Zimmermädchen war, das gehört sich nicht. Tante Jenny und Onkel Daniel sind aber vorher schon Freunde gewesen.“ im Grunde wusste ich nicht, wie ich ihm das erklären sollte.
Bevor aber noch mehr Fragen aufkommen konnten, verkündete Master Mormon, dass wir ins White´s fahren werden! Dort gäbe es neue Variationen von heißer Schokolade und viele Süßigkeiten, die wir sicherlich auch kosten wollten. Mit glücklichen Augen rannte Edward hinter seinem zukünftigen Onkel zur Kutsche her und ließ mich grinsend zurück.
Ja, mein Sohn war einfach schon sehr weit mit seinem Verstand. Aber noch nicht weit genug, alles überschauen zu können. Daran werden wir arbeiten müssen!
In dem kleinen Schokoladenhaus wurden wir herzlich vom Besitzer begrüßt, welcher Jenny und mir noch einmal versicherte, dass alles immer zu seiner vollsten Zufriedenheit im Hinblick auf die geschäftlichen Beziehungen und die Waren war.
„Ich danke euch, Master Bocker!“ meine Schwägerin hatte rote Wangen vor Verlegenheit, als er ihre Hand küsste.
Wir wurden fürstlich bewirtet und die Kinder bekamen mehr als genug Schokolade und Zuckerzeug. Ängstlich beobachtete ich dieses Spektakel, weil ich befürchtete, dass wir eine schlaflose Nacht bekommen würden.
Meine Schwägerin traf hier auf einige bekannte Gesichter, so auch Daniel oder Haytham ebenso. Ich hingegen kannte noch niemanden so wirklich hier, bis auf den Geschäftsführer.
Ich lauschte den um uns sitzenden Besuchern und hörte plötzlich, wie eine Frau ängstlich ihrem Gatten berichtete, dass im Hafen ein Schiff lag, welches einem alten Piraten gehörte. Sie hätte ihn mit eigenen Augen gesehen letzte Nacht, wie er sich an den Segeln zu schaffen gemacht hätte. Auch hätte sie gehört, wie er frivole Lieder gesungen hätte, vermutlich betrunken gewesen sei er.
„Liebling, bist du dir sicher, dass nicht DU diejenige im trunkenen Zustand warst, die sich das nur eingebildet hat? Geisterkapitäne! Das sind Schauermärchen!“ lachte der Herr überheblich.
„Gar nicht! Das ist mein Großv….“ noch rechtzeitig konnte ich klein Edward die Hand vor den Mund halten und lächelte das Ehepaar entschuldigend an.
„Verzeiht, mein Sohn wünscht sich, dass es so wäre. Er liebt diese Seeräubergeschichten über alles.“ verlegen sah ich zu ihrem Tisch hinüber, aber beide hatten skeptisch die Augen zusammengezogen.
„Wenn ihr meint. Man sollte den Kindern schnellstmöglich solche Flausen aus dem Kopf schlagen!“ kam es von dem Herren, welcher den Blick auf meinen Templer gerichtet hatte.
„Es sind Jungs, Sir! Er wird es noch lernen!“ dieser Templerton war in seine Stimme getreten und erntete ein stilles Nicken.
„Du sollst dich zurückhalten, mein Sohn.“ fauchte Haytham jetzt leise, während er sich umsah, um sicher zugehen, dass niemand auch nur ansatzweise unserer Konversation folgen würde.
„Ja, Vater!“ kam es maulend von Edward mit verschränkten Armen vor der Brust.
„Dann ist ja gut.“ und schon war Haytham wieder er selbst und besprach mit Master Mormon noch die Zuweisung der Villa, die eigentlichen Besitzverhältnisse und ähnliches. Siedend heiß fiel mir ein, dass das Kenway Anwesen ja eigentlich bis ins 19. Jahrhundert in Templerhand blieb. Was danach kam entzog sich etwas meiner Kenntnis, ich wusste nur, dass es ein Zwillingsgeschwisterpaar gab, welches es den Assassinen wieder zugänglich machen würde. Sollte ich…
Plötzlich hatte ich ein Bild vor meinen Augen, wo ich einem jungen Mann Anweisungen gab, dieses Gebäude zu sichern und zu verteidigen, sollte es zu einem Angriff kommen. Gleichzeitig spürte ich aber auch, dass es eigentlich dazu nicht kommen würde. Wir hatten bereits jetzt die entsprechenden Weichen gestellt, dass dieser Waffenstillstand auch diesen Übergriff verhindern würde.
Dann saß ich wieder neben meiner Familie im White´s und nahm mir den Krug mit Ale meines Gatten, welchen ich in einem Zug leerte!
„Mi sol, du hast ja auf einmal richtig Durst. Was ist in dich gefahren?“ mein Mann sah mich lachend an, nahm meine Hand und gab darauf einen Kuss.
„Die Zukunft!“ mehr sagte ich nicht, weil ich für einen Moment nicht mehr wusste, auf was ich mich eigentlich eingelassen hatte.
Am nächsten Tag beim Frühstück hatte Haytham etwas zögerlich sein heutiges Vorhaben verkündet.
Er wollte das Grab seiner Eltern besuchen, weil wir ja leider beim letzten Mal nicht mehr dazu gekommen waren.
„Bist du dir sicher, Haytham?“ Jenny klang besorgt.
„Bin ich, es ist wichtig und ich denke, nicht nur mir ist es ein Bedürfnis.“ dabei sah er mich an und drückte meine Hand.
Die Fahrt dauerte nur ungefähr 20 Minuten und wir kamen am besagten Friedhof an. Er war recht überschaubar und wirklich schön angelegt. Die alten Grabsteine, ja auch jetzt waren sie schon sehr alt teilweise!, ließen mich immer wieder inne halten und nachlesen.
Edward und Florence waren auch mit von der Partie, weil auch sie wissen sollten, wo sie in späteren Jahren ein wenig Trost finden könnten. Auch wenn es sich etwas absurd anhört.
Wir kamen bei den Gräbern der Eheleute Kenway an und mein ganzer Körper überzog sich mit einer Gänsehaut. Ich spürte sie beide um uns, unter uns… Tessa und Edward waren gegenwärtig. Wenn ich ehrlich sein soll, das waren sie eigentlich immer!
Florence stand mit einem Male kerzengerade vor dem Grab ihrer Großmutter, strich mit ihren kleinen Fingern über den Stein und dessen Inschrift. Dann sah sie zu Haytham und begann zu weinen. Er nahm sie auf seinen Arm, erzählte ihr leise etwas. Ich bekam nur mit, dass es um die Momente mit seiner Mutter ging… ich ließ die beiden für sich und widmete mich wieder meinen Schwiegereltern.
„Es ist für mich unvorstellbar, dass eure sterblichen Körper hier unter uns liegen!“ hauchte ich, auch mir liefen die Tränen über die Wange.
Ich fühlte eine Filigrane Hand auf meinem Arm.
„Ich habe es mir nie vorstellen können. Bis heute ist es völlig surreal für mich.“ Jennys Stimme war ebenso leise. „Als ich zum ersten Male am Grabe meiner Mutter stand, hatte ich das Gefühl mein Verstand würde aussetzen.“ sie war damals, wie alt? 5 oder 6 Jahre?, da konnte man das noch gar nicht verarbeiten. Wir hielten uns beide für einen Moment, bis Edward Junior dazwischen ging.
„Mama, warum muss man dort in die Erde? Ich will das nicht…“ in seinem Ton hörte ich dieses Unverständnis, aber auch einen kleinen Schimmer von seinem Glauben an die nordischen Götter. Wir würden verbrannt werden, damit wir in alle Himmelsrichtungen unsere Seele wandern lassen können!
„Min lille skat, jeder glaubt an etwas anderes. Und es gibt ganz viele Menschen die in der Erde ihrer Heimat begraben werden möchten, wenn sie gestorben sind.“ meine Stimme klang brüchig, weil ich selber kaum einen klaren Gedanken gerade fassen konnte.
Wir sind hier vereint. Tessa und ich können hier für immer zusammen sein. Denk an die Grabrede, welche Haytham in den ersten Tagen deiner Rückkehr bei der verstorbenen Familie gesprochen hat. Auch wenn ich kein Ire bin, nicht ganz, nur ein kleines bisschen vielleicht, dennoch liegt in diesen Worten Wahrheit. Wir alle sind auf andere Weise zusammen.
Die wohlige Stimme meines Piraten hallte durch meinen Kopf, bescherte mir Bilder, wie er mit seiner Frau durch das Anwesen auf Great Inagua ging…
Das beruhigt mich, Edward. Mehr wollte ich nicht wissen. Flüsterte ich leise in Gedanken.
Wir werden hier wieder allesamt vereint sein und bis dahin lasse ich euch nicht alleine. Und ja, das ist eine Drohung! Lachend entfernte sich die Stimme von Edward Senior und zurück blieb meine Schwiegermutter!
Mein Liebling, wir werden auf euch aufpassen, wir warten auf euch! Auch ihre Stimme war von Schluchzen unterbrochen, weil sie ihren Sohn ebenso vermisste wie er seine Mutter! Und ich weiß, ich habe einen großen Fehler begangen, aber lass ihn mich wieder gut machen. Dabei wanderten ihre Gedanken zu ihren Enkelkindern und mit einem Male war ich beruhigt.
War es das, was ich in den Jahren immer wieder gesucht hatte? Diesen Moment am Grabe und ein kleines Zwiegespräch?
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie auch Jenny diese Erkenntnis kam und sie ihren Frieden mit allem schloss. Jetzt war es für sie, es mag sich merkwürdig anhören, aber es war abgeschlossen für sie.
Schweigend verließen wir das Gelände und waren uns einig, dass wir nach Hause laufen würden!
Ich brauchte diese Bewegung, die frische Luft.
„Nini, aaaaaam.“ kam es plötzlich zögerlich von Florence und Jenny tat ihr den Gefallen.
„Na, kleine Dame, was hast du gerade gesehen und gehört? Magst du mir das erzählen?“ sprach sie leise zu ihrer Nichte. Schon waren sie in ein für mich unverständliches Gespräch verfallen, was mich aber lächeln ließ.
Wir brauchten ungefähr eine Stunde, bis wir wieder beim Anwesen ankamen.
Es war Zeit für meine Tochter ihren Mittagsschlaf anzutreten, was sie aber nach dem Mittagessen überhaupt nicht gerne wollte. Sogar Haytham hatte keine Chance sie zur Ruhe zu bringen. Erst als Jenny sich an ihr Bett setzte, beruhigte sie sich!
Etwas erstaunt sah ich von der Tür aus zu, wie meine Tochter der Stimme ihrer Tante lauschte, welche ihr von ihrer Zeit am Osmanischen Hof berichtete. Natürlich nur die abgewandelte Version, versteht sich! Wo denkt ihr hin.
Als dann die Augen zufielen, erhob sich meine Schwägerin lächelnd.
„Florence braucht Märchen, Alex. Sie liebt sie, wie ich auch! Wenn du erlaubst, dann schreibe ich für sie meine Geschichte auf. Dann kannst du oder mein kleiner Bruder sie ihr erzählen.“
„Du würdest das wirklich für deine Nichte tun?“ ich war ehrlich etwas sprachlos.
„Ja, auch du wirst dann wissen, dass nicht alles so schlimm war und ich dir immer noch für deine Ratschläge dankbar bin.“ ihre Arme lagen auf einmal um mich und ich drückte sie an mich.
„Ich würde wirklich gerne mehr über deine Zeit dort erfahren, Jenny.“ hauchte ich nur.
Für eine ganze Weile standen wir so umschlungen auf der oberen Galerie, bis uns Daniel darauf hinwies, dass man auf uns wartete.
Zwei Tage später wurde Jennifers Hochzeitskleid geliefert und ich war im ersten Moment mehr als sprachlos. Pompös trifft es nicht, kitschig auch nicht… es war einfach ein Traum. Ein Traum in Lila, mit goldenen Stickereien und Edelsteinen.
„Die hat mir Master Bradshaw verstohlen unter der Hand zukommen lassen!“ kicherte Jenny bei der Anprobe und ich wusste, er verstand wieder einmal sein Handwerk!
Stolz präsentierte sie sich vor uns Damen, drehte sich hin und her, betrachtete sich im Spiegel. Ein breites Grinsen in ihrem Gesicht zeigte uns, dass sie mehr als zufrieden war, auch ihre Kammerzofe stand lächelnd daneben.
„Miss Scott, ihr seht fantastisch darin aus.“
Nach der Anprobe begaben wir uns wieder in den Salon. Edward saß neben seinem Vater auf dem Boden und sortierte seine Zinnsoldaten nach Rang und Können, während Master Mormon in einem Buch las.
„Meine Liebe! Ich hoffe, das Kleid ist ganz nach deinen Wünschen? Wie gerne würde ich es selber schon sehen!“ die Augen von Daniel hatten diesen verliebten Ausdruck angenommen, welchen ich auch von Haytham zu gut kannte.
„Es ist einfach fantastisch, nicht wahr, Alex?“ ihr Ellenbogen stupste mich und wir beide kicherten wie die ersten Teenager.
Zum ersten Male erlebten wir hier keine Katastrophen, keine Überfälle oder ähnliches. Auch schien die Angst vor Übergriffen von uns gewichen zu sein. Es zählte gerade nur die Familie! Diese Momente sog ich in mich auf, für schlechtere Zeiten.
„Alex… darf ich dich um einen Gefallen bitten?“ kam es leise, ja gar unbeholfen von Jennifer.
„Immer heraus damit…“ meinte ich leicht hin.
„Ich… ich möchte, dass du meine Trauzeugin bist.“ mit großen Augen sah ich sie an.
„Naaaaaa… ja… Natürlich… ich… haaaaaa….“ ich fuchtelte mit den Händen vor meinem Gesicht, weil ich die Überraschung und die damit verbundenen Tränen abkanzeln wollte.
„Danke!“ ihre Arme schlossen sich um mich und in mir breitete sich ein weiterer kleiner Frieden aus.
Umgekehrt war Haytham Daniels Trauzeuge.
„Master Kenway, ich könnte mir niemand Vertrauteren vorstellen.“ diese Worte waren zum einen wie an einen Vorgesetzten gerichtet, aber auch hörte man die Freundschaft heraus.
Als wir auf unserem Zimmer waren, sah mich Haytham für einen Moment etwa seltsam an. Wie es meine Art ist, hakte ich nach, weil mir so etwas nicht behagte.
„Es ist nichts, mi sol. Aber ich registriere deine persönliche Veränderung in den Wochen, Monaten, Jahren, seit du wieder hier bist. Du hast dich entwickelt. Du bist souverän, wortgewandt, höflich und weißt, wie du dich in dieser Zeit bewegen musst. Mir ist das seit wir hier sind erst bewusst aufgefallen.“ seine Stimme klang anerkennend.
„Ich mag es hier, ich mag diese Höflichkeiten. Auch wenn ich mit einigen Etiketten noch so meine Probleme habe.“ langsam trat ich vor meinen Mann und stellte mich zwischen seine Beine.
„Du hast mich verändert, Alex!“ sein Blick senkte sich. Für einen Moment war ich versucht, sein Kinn zu heben, aber ich ließ es.
„Du mich auch. Schon lange bevor wir eigentlich… vereint waren.“ genau jetzt wurde mir bewusst, dass ich wirklich nur nach IHM suchen wollte. Connor war mir, nicht einerlei, aber er war noch nicht wichtig! Wo wir wieder beim Schicksal wären.
„Mi amor. Erzähl mir von Ziio!“ Warum ich das gerade jetzt fragte, weiß ich nicht, aber es war mir ein Anliegen, auch wenn er in gekürzter Form schon einige Male davon berichtet hatte. Erst vor Kurzem bei unseren Kindern!
Vorsichtig begann mein Templer von ihrem Kennenlernen zu berichten. Immer wieder betonte er beiläufig, dass wir uns mehr als ähnlich wären, ich mir keine Gedanken machen müsste.
Sie hatte ihn verändert, Ziio hatte ein großes Umdenken in ihm bewirkt, welches ich im Grunde jetzt fortsetzte! Zu diesem Zeitpunkt war seine Skepsis im Bezug auf die Vorläufer auf ein Minimum geschrumpft, was seiner eigenen Entwicklung zu Gute kam. Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte ich mich wie ein Abklatsch einer alten Liebe für ihn, doch als ich in seinen Augen die Liebe zu mir, zu seinen Kindern und allgemein diese Zuversicht sah, war mir wohler.
In diesem Gespräch kam aber nie der Satz, dass er es gerne ändern würde. Für meinen Mann war also dieser Gedanke, dass es Schicksal war ebenso einleuchtend.
„Ziio wird immer da sein, Alex. Ich werde diese Frau nicht aus meinem Kopf verbannen können.“ das wollte ich auch nicht.
Ebenso würde ich auch Marius kaum verleugnen können. Er war schließlich der Vater meines großen Sohnes.
„Lass uns einfach diese beiden Personen weiter in gewisser Weise ehren.“ dieses warme Lächeln ließ mich an seine Schulter gleiten und ich schloss meinen Arm und mein Bein um ihn.
„Das sollten wir.“ seufzte ich. Es dauerte nicht lange, da war ich im Reich der Träume.
Der heutige Tag begann mit einem lauten Aufschrei meiner Schwägerin, welche auf die obere Galerie stürmte.
„Wo ist das Kleid? Und wer in drei Teufels Namen hat mir meinen Schmuck geklaut?“ panisch rannte sie zurück in ihr Zimmer und ich hörte derbe Flüche.
Im selben Moment erschien Daniel schlaftrunken hier und sah uns kopfschüttelnd an.
„Da kann man es ja mit der Angst bekommen!“ grinste er und machte sich auf, seiner Noch-Verlobten behilflich zu sein.
Haytham und ich wollten gerade wieder in unser Zimmer, als uns Edward mit Walka auf der Treppe begegneten.
„Mama, ist das wahr? Tante Jenny hat man was geklaut? Vater, du musst doch helfen!“ dieser kleine Dreikäsehoch verstand es, einem ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. In seiner Stimme klang eine Ernsthaftigkeit, welche ich sonst nur bei seinem Vater hörte.
„Es ist nichts dergleichen passiert, mein Sohn. Meine Schwester ist einfach nur aufgeregt und hat vergessen, wo sie ihren Schmuck hingelegt hat.“ auch Haytham konnte nicht an sich halten und prustete leise.
Jetzt waren auf jeden Fall alle wach, weil auch aus Florence Zimmer leises Weinen zu hören war. Eine gähnende Sophia tappte über die Galerie und wünschte uns einen guten Morgen.
„Min lille skat, du gehst jetzt auch in dein Zimmer und lässt dich anziehen. Wir wollen heute noch in Ruhe frühstücken und dann zur Kirche fahren.“ ich tätschelte seinen dunklen Haarschopf und, warum auch immer, ging mir durch den Kopf, dass Sybill ihm heute einen Zopf machen sollte. Seine Haare waren mittlerweile doch recht lang geworden.
Auch mein Mann und ich ließen uns einkleiden. Haytham bekam schon einmal die gründliche Rasur und bei mir wurden die Haare schon einmal hochgesteckt. Heute musste ich leider eine Haube tragen, weil wir in eine Kirche gingen und ich ja verheiratet war. Erst nach dem Frühstück würden wir dann die feine Garderobe anziehen.
Unten im Esszimmer war schon alles bereit und ich war dankbar für den Kaffee.
„Mi sol, wir sind auch schon fast 5 Jahre verheiratet.“ hörte ich Haytham leise in seine Teetasse sprechen.
„So lange schon? Ich glaube, es wird Zeit für etwas neues.“ verdammt, ich konnte meine sarkastische Art nicht immer unter Kontrolle halten.
„Ich werde dir heute Nacht etwas Neues zeigen, Mistress Kenway!“ hauchte er mir ans Ohr und mich überkam ein wohliger Schauer.
Wie gut, dass unsere Kinder auch noch keine guten Sachen anhatten! Edward war so aufgeregt, dass er seinen Kakao über sein Hemd schüttete und Florence vor lauter Aufregung ihr Marmeladenbrötchen auf das Kleid fiel. Warum zum Geier fielen immer alle Brote oder ähnliches mit der bestrichenen Seite nach unten?
Jenny bekam kaum einen Bissen runter und zitterte wie verrückt, als sie ihren Tee versuchte zu trinken. Sie verschüttete die Hälfte einfach. Aber auch Daniel war kaum ansprechbar!
„Ich habe bestimmt etwas vergessen! Wo sind die Ringe, meine Liebe? Hast du sie irgendwo gesehen?“ ich konnte mir ein lachendes Kopfschütteln nicht verkneifen. Erntete aber dafür böse Blicke des heutigen Brautpaares.
Gegen 9 wurden wir alle für die Trauung eingekleidet und ich war gespannt, wie unsere Kinder aussehen würden.
Florence hatte ein Kleidchen im gleichen Farbton wie das von Jenny. Edward hatte einen wunderschönen Anzug in ebenfalls Lila mit einer kleinen schwarzen Halsbinde und dunkler Weste darunter.
Haytham trug seine neue fast schwarze Meistertempler-Montur, ich hingegen hatte ein dunkelblaues Seidenkleid mit schwarzen Stickereien darauf.
Fertig eingekleidet traten wir auf die Galerie und gingen schon einmal hinunter. Am Fuße der Treppe stand Master Mormon in seinem Anzug und ich hätte ihn fast nicht wiedererkannt darin.
Auch Florence und Edward standen neben ihren Kindermädchen und mir blieb der Mund offen stehen! Gerade unser Sohn war wie eine Miniaturausgabe seines Vaters. Wie es mein Wunsch war, hatte Sybill seine Haare zusammengebunden. Unsere Tochter sah einfach zuckersüß in diesem bauschigen Kleid aus. Ihre Haare hatte Sophia so gut es ging gekämmt und kleine Zöpfe geflochten. Ich kniete mich vor die beiden und nahm sie einfach in die Arme, reden konnte ich nicht, ich wäre sonst in Tränen ausgebrochen.
„Wieder einmal reagierst du wie meine eigene Mutter, wenn sie mich in so feiner Garderobe sah.“ Haythams Stimme war leise und klang etwas ehrfürchtig.
Ich wischte mir eine Träne von der Wange, stand auf und küsste ihn einfach.
„Daniel, es ist Zeit, dass ihr schon einmal mit mir vorfahrt zur Kirche.“ Haytham musste es dreimal wiederholen, weil der Bräutigam völlig gedankenverloren in der Eingangshalle stand und sich nicht rührte. Dann schritten die beiden nach draußen zu der wartenden Kutsche. Wir Frauen würden gleich hinterher fahren.
Endlich stand meine Schwägerin oben auf dem Treppenabsatz und sah erwartungsvoll zu uns herunter.
Die Angestellten standen ebenfalls hier und staunten über ihre Hausherrin.
Sie sah fantastisch aus, dieser Lilaton passte zu ihren dunkelblonden von silbernen Strähnen durchwobenen Haaren, welche mit seidenen Bändern hochgebunden waren.
Langsam kam sie die Treppe hinunter, jeder Schritt mit Bedacht gesetzt, weil sie vermutlich Angst hatte, zu stolpern.
„Du siehst einfach… großartig aus. So kann ich dich heiraten lassen!“ lachte ich und drückte ihre kalten Hände.
„Danke, Alex!“ ihre Stimme zitterte und ich führte sie nun mitsamt meiner Kinder hinaus zu unserer Kutsche.
Die Fahrt dauerte nicht lange, ungefähr 30 Minuten. Es war ein wolkenloser Tag, obwohl November war.
Vor der Kirche wartete schon mein Mann auf uns. Er würde seine Schwester an Daniel übergeben.
„Mama, kann ich heute hier vielleicht den Gott sehen?“ flüsterte Edward leise, als wir eintraten.
„Nein, leider nicht. Aber das weißt du ja, Mr. Hathaway hat es euch erklärt, min lille skat. Und jetzt benimm dich bitte, ja?“ auch ich sprach leise.
Rechts und links waren die Bänke recht gut gefüllt. Haytham hatte mir erzählt, dass die neu formierte Delegation unseres Büros erscheinen würde, sowie einige hochrangige Assassinen vom Festland.
In diesem Moment ging mir eine vermutlich seltsame Frage durch den Kopf. Warum waren eigentlich Shay und Faith nicht mit eingeladen? Sie gehörten ja im Großen und Ganzen zur Familie! Plötzlich hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich daran überhaupt nicht mehr gedacht habe.
Aber wir wussten ja noch nicht, ob sie überhaupt schon hier wären. Also verdrängte ich diesen Gedanken wieder und konzentrierte mich auf das Geschehen vor uns.
Daniel stand nervös am Altar und sah gespannt den Mittelgang hinunter. Dann erschien ein breites Lächeln auf seinem Gesicht, die Orgel begann zu spielen und auch ich sah in diese Richtung.
Mein Mann schritt neben seiner großen Schwester auf uns zu, welche nur Augen für ihren zukünftigen Mann hatte. Auch sie lächelte in seine Richtung.
Vor ihnen liefen Edward und Florence und warfen die lilafarbenen Blütenblätter ordnungsgemäß auf den Boden. Auch wenn meine Tochter ab und an inne hielt und immer mal wieder ein Blatt aufhob.
Vorne angekommen, legte Haytham die Hände der beiden zusammen und ermahnte Daniel, gut auf seine Schwester aufzupassen.
„Das werde ich, Master Kenway!“ kam es mit einer leichten Verbeugung von unserem zukünftigen Schwager.
Die Zeremonie an sich war halt typisch kirchlich, der Pastor hatte aber eine interessante Ansprache vorbereitet. In dieser brachte er die vielen Glaubensrichtungen rein. Er sprach von den verschiedenen Kulturen, welche zusammen geführt werden könnten, wenn man nur wollte und so weiter. Man könnte meinen, dieser Gottesmann lebte in meinem eigentlichen Jahrhundert. Er war, ja wie soll ich es sagen?, aufgeklärt und mehr als tolerant.
Dann war es Zeit, dass Edward Junior die Ringe überbrachte. Haytham gab ihm das kleine seidene Kissen und flüsterte ihm noch etwas zu. Unser Sohn nickte stolz und marschierte dann zu seiner Tante und seinem Onkel, während mein Mann sich wieder neben Daniel stellte. Es war ein hinreißender Anblick. Entschuldigt, ich schweife ab.
Die Gelübde waren schlicht, aber wirklich wunderschön gesprochen. Es war Zeit für die Ringe und als Daniel zittrig Jennys Hand nahm, wäre ihm der Schmuck fast heruntergefallen. Meine Schwägerin war ebenso nervös, dass sie kaum den Ring aufnehmen konnte.
„Hiermit erkläre ich euch vor Gott, dem Allmächtigen, zu Mann und Frau! Ihr dürft eure Frau nun küssen!“
Für einen Moment passierte nichts, die beiden Brautleute standen sich nur gegenüber und lächelten sich an. Ein Räuspern des Gottesmannes holte die beiden aus ihrer Starre.
Man konnte diese Liebe, Zuneigung und Verbundenheit der beiden in diesem Moment förmlich sehen. Ihr Kuss war innig und wahnsinnig liebevoll.
Edward stand wie gebannt vor ihnen und rührte sich nicht. Sein Blick ging in meine Richtung und ich winkte ihn auf meine Seite.
„Mama, warum küsst man sich? Ihr macht das auch immer.“ ein leichtes Schütteln durchfuhr ihn.
„Weil man damit dem anderen zeigt, dass man ihn ganz doll lieb hat. Du wirst das sicherlich auch irgendwann verstehen.“ flüsterte ich.
Mein Sohn schüttelte den Kopf. „Nein, Mädchen sind doof und die riechen nicht so lecker wie du, Mama!“ ich musste wirklich ein lautes Lachen unterdrücken. So so, ich gehörte also in die Mama-Riege, nicht in die Mädchen-Reihe.
Der Auszug der beiden Eheleute wurde von großem Applaus untermalt. Draußen wartete eine wunderschön geschmückte Kutsche auf die beiden, welche sie wieder nach Hause bringen würde.
Während wir in der Kirche waren, sollte alles in der Villa vorbereitet werden. Meine Schwägerin hatte alles bis ins kleinste Detail geplant und durchdacht. Ich freute mich schon auf das Essen und die leckeren Torten, welche es am Nachmittag und Abend geben sollte.
Wir stiegen in die andere geschmückte Kutsche und ließen uns ebenfalls zurückbringen.
„Jenny sieht so glücklich aus, mi amor. Ich bin froh, dass sie einen so liebevollen Mann gefunden hat.“ hauchte ich an die Schulter meines Mannes gelehnt.
„Sie hat es verdient und ich habe damals schon Daniel ermuntert, ihr weiter den Hof zu machen. Mitunter ist meine große Schwester einfach blind für derlei Avancen. Ganz zu schweigen von ihrem Dickschädel.“ er gluckste dabei etwas ungehalten.
„Ich mag Mädchen nicht.“ wieder schüttelte sich Edward und Haytham sah ihn fragend an.
„Dein Sohn findet, sie sind doof und riechen nicht so lecker wie ich.“ er sah mich mit großen Augen an, wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als ihm Edward aber zuvor kam.
„Vater, das stimmt doch, oder nicht? Ich mag Mama viel lieber als die anderen Mädchen.“ mit stolz geschwellter Brust saß er vor uns.
„Da hast du völlig Recht, mein Sohn. Keine andere Frau ist wie deine Mutter!“ die beiden Herren sahen sich wissend an, nickten sich zu und damit war das Thema geklärt.
Das Essen war einfach himmlisch, die Gäste waren ebenso begeistert. Als der Hauptgang beendet war, erhob sich der Bräutigam und begann seine Rede. Er dankte allen für ihr Erscheinen und freue sich, sie hier begrüßen zu dürfen. Daniel erzählte von seinen zähen Versuchen, das Herz dieser Dame zu erobern, was ihn viel Geduld gekostet hätte und so weiter.
Dann war es Haytham welcher aufstand, sein Glas erhob und in Richtung seiner Schwester prostete.
„Wer hätte gedacht, dass ich die Ehre haben werde, an deiner Hochzeit dabei sein zu können. Wir waren uns nicht immer einig, hatten unsere Meinungsverschiedenheiten. Erinnerst du dich? Du hast mich immer mit einer Nadel gestochen, wenn ich wieder einmal zu oft nachgefragt habe, ob du mit mir spielst.“ ein Lachen ging durch die Reihen der Gäste und ich stellte mir meinen Mann gerade vor, wie er vor seiner Schwester davonlief. „Ich bin dennoch froh, dich als Schwester zu haben und ich hoffe, du kannst mir eines Tages verzeihen!“ mir liefen plötzlich die Tränen die Wangen herunter, weil ich wusste, er sprach auf die nicht ernsthafte Suche nach ihr an. „Unser Vater wäre heute stolz auf dich, Jenny.“ Danach richtete er noch ein paar Worte an Master Mormon und endete mit dem obligatorischen Trinkspruch „Ein Hoch auf die Brautleute!“ ein gemeinschaftliches „Hört! Hört!“ war zu vernehmen.
„Was wirst du nur sagen, wenn deine Tochter später einmal heiratet, oder Edward?“ ich fragte mich das wirklich und sah ihn dabei durchdringend an.
„Florence heiratet erst, wenn ich es ihr erlaube und ich ihr…“ er unterbrach sich selber. „Nein, sie soll sich ihren Mann selber aussuchen.“ als er zu unserer Tochter sah, konnte man in seinem Gesicht einen Haufen Emotionen sehen!
„Wir passen schon auf sie auf. Außerdem werde ich ihr schon zeigen, wie sie sich gegen euch Männer durchsetzen kann.“ ich stupste meinen Ellbogen in Haythams Seite und erntete eine hochgezogene Augenbraue.
„Die armen Verehrer, mi sol.“ mein Mann konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen.
Nach dem Essen brachte ich Florence zu Bett, was sie heute ohne Murren so zuließ. Vermutlich war sie einfach zu müde.
Unten wurde ich dann von den Damen hier in Beschlag genommen, man wollte ja möglichst viele Neuigkeiten austauschen und vor allem auch wissen, was es neues in den Kolonien gab.
Dieser Tag verlief recht friedlich.
Die Kinder benahmen sich ausgesprochen gut, zumal sie auch noch Spielkameraden hatten. Einige Gäste hatten ihren Nachwuchs ebenfalls dabei.
„Wie alt ist euer Sohn, Mistress Kenway?“ diese Frage kam heute zum gefühlten hundertsten Male und ich verdrehte innerlich die Augen.
„Er wird Anfang Dezember 4 Jahre alt, Mrs. Norman.“ antwortete ich möglichst gelassen.
„Er wird sicher in die Fußstapfen seines Vaters treten, nicht wahr? Euer Gatte ist ja ein richtig tüchtiger Geschäftsmann, wie ich hörte.“ ihr Blick ging in die Richtung meines Mannes und wanderte anerkennend von oben nach unten. So so, sie malte sich noch ganz andere tüchtige Sachen mit ihm aus.
„Mein Mann und ich haben uns etabliert, ja das stimmt. Aber wer weiß wohin die Wege der Kinder einmal führen werden.“ ich weiß, meine Stimme klang extrem genervt, aber ich konnte mir diese Eifersucht nicht abgewöhnen. Auch wenn ich mir bei Mrs. Norman keinerlei Gedanken machen musste. Sie war Mitte 50, Witwe und recht korpulent. Also nicht der Typ Frau, der den Geschmack von Haytham ansprach. Dennoch! Ich atmete tief durch und sprach ein leises Mantra vor mich.
Gegen Mitternacht wurde dem Brautpaar dann nahegelegt, die Hochzeitsnacht anzutreten. Mit hochrotem Kopf ging Jenny am Arm ihres Mannes hinauf und wir sahen breit grinsend hinterher. Ich wünschte den beiden eine wundervolle erste gemeinsame Nacht! Auch wenn sie schon vorher… es war ja nicht anders, als bei Haytham und mir.
Nach und nach verabschiedeten sich nun auch die Gäste und als ich später neben meinem Mann im Bett lag, fielen mir die Augen zu.
„Mi sol, du willst doch nicht wirklich einfach so einschlafen, oder? Denke an heute Morgen!“ Mein Gatte hatte es natürlich nicht vergessen, verdammt.
Er zeigte mir aber tatsächlich etwas neues, was ich natürlich genoss. Ich spürte nicht nur ihn, sondern auch eines meiner Spielzeuge. Er trieb mich fast in den Wahnsinn damit, weil er immer wieder inne hielt und für einen kurzen Moment verharrte.
„Ich wusste, du würdest es mögen, mi sol. Es fühlt sich fantastisch an.“ seine Worte kamen stockend und rau aus seinem Mund, während ich seine langsamen Bewegung weiter in mir spürte.
„Ich liebe es, mi amor.“ hauchte ich nur und als er mir befahl, ihn anzusehen, erlebte ich einen unglaublich intensiven Höhepunkt. Meine Kontraktionen brachten auch meinen Mann hinüber und er sackte schwer atmend an meiner Brust zusammen.
„Du hast recht schmutzige Gedanken, mi sol. Ich liebe sie!“ flüsterte Haytham, zog sich zurück und ich konnte mich an ihn schmiegen.
„Und du lässt sie mich ausleben, mi amor. Dafür liebe ich dich.“ ich küsste seine Brust, welche sich wieder gleichmäßig hob und senkte.
„Ich dich auch, mi sol.“
In den Tagen nach der Hochzeit standen keine weiteren großen Termine an.
Wir besuchten lediglich unser Büro um uns zu vergewissern, dass auch hier alles reibungslos lief.
Es hatten sich uns mittlerweile weitere Brüder und Schwestern aus beiden Lagern angeschlossen. Durch die Bank weg erhielten wir anerkennende Worte und auch Lob für diesen mutigen Schritt.
Natürlich waren wir noch nicht an unserem Ziel, vermutlich werden wir auch nie diese 100 Prozentige Einigung erreichen, aber der Kreis der Verbündeten wuchs weiter. Das erfüllte mich mit einigem Stolz.
Wir hatten auch die Gelegenheit mit unseren Kindern noch einmal London zu erkunden. Dieses mal nahm Edward natürlich alles auf wie ein Schwamm und hörte seinem Vater aufmerksam bei dessen Erklärungen zu. Seine Schwester hingegen hatte nur Augen für die Vögel die ihr vor die Nase kamen, oder in dem kleinen Park fand sie unter den Steinen Regenwürmer.
„Flo, nicht! Lass sie in Ruhe.“ Edward erklärte seiner kleinen Schwester nun, dass man die Tiere nicht ärgern darf. Sie hätten ja auch eine Mama und einen Papa, die wären dann ganz traurig und so weiter. Für einen Moment betrachtete ich dieses Szenario staunend, weil mir bewusst wurde, wie unser Sohn seine Welt sah.
„Komm, ich zeige dir, wie du die Würmer wieder vergraben kannst.“ ehe ich einschreiten konnte, landeten beide Kinder auf Knien im Matsch und legten die Tiere behutsam in die kleine Schlammgrube, welche sie ausgehoben hatten.
Kopfschüttelnd stand Haytham ebenfalls daneben.
„So können wir schlecht mit den beiden noch in einer Taverne zu Mittag essen. Sieh sie dir an, mi sol.“ seine Stimme hatte einen harten vorwurfsvollen Ton angenommen. Was konnte ich denn bitte jetzt dafür?
„Verzeiht, Master Kenway. Aber ich habe…“ weiter kam Sophia aber nicht, weil Florence mit ihren dreckigen Händchen über Edwards Gesicht fuhr. Dieser betrachtete es als Aufforderung es ihr gleich zu tun und beide kicherten dabei.
So viel zum Thema Essen gehen. Also machten wir uns zu Fuß auf den Weg zum Anwesen, weil es nicht allzu weit entfernt war. Leider begann es dann auch noch wie aus Eimern zu regnen, sodass wir völlig durchgeweicht etwas später in der Eingangshalle standen.
Die Kinder wurden gewaschen und umgezogen, ebenso zogen auch Haytham und ich uns um.
Plötzlich flog die Tür zu unserem Zimmer auf und Edward stürmte herein.
„Mama, Mamaaaaaaa... Tante Jenny geht es ganz schlecht glaube ich!“ in Windeseile waren wir über der Galerie vor ihrem Zimmer und… jetzt wusste ich auch, warum sie nicht unten im Salon oder dem Freizeitraum waren!
Die Eheleute Mormon dachten sie hätten das Haus für ein paar Stunden für sich und ich glaube, ich muss das nicht näher erläutern.
„Vater, warum schaust du nicht nach.“ schon wollte sich unser Sohn Zugang zum Zimmer seiner Tante verschaffen, als Haytham ihn hochhob und hinunter in den Freizeitraum mit ihm ging.
Ich eilte den beiden hinterher, mitsamt Sophia, Sybill und Florence.
„Vater, was ist denn? Tante Jenny tut etwas weh, hast du das nicht gehört?“ immer noch klang der kleine Kenway entrüstet.
„Nein, ihr geht es gut. Tante Jenny… räumt aber gerade auf und atmet deswegen so schwer, Edward.“ Haythams Gesicht hatte sich mit einem dunkelroten Farbton überzogen!
Dann mal los, Master Kenway, kläre deinen Sohn auf!, dachte ich grinsend.
„Möchtest du nicht auch etwas dazu beitragen, mi sol?“ fauchte er mich an.
„Nein, ich denke du hast es ganz gut getroffen.“ ich konnte mir verdammt nochmal das Kichern nicht verkneifen. Zum ersten Mal fiel mir ein, dass unser Sohn sicherlich ähnliches auch schon aus unserem Schlafzimmer gehört haben könnte. Warum hatte er aber dort noch nicht nachgefragt?
Unterbrochen wurden wir von meiner Schwägerin, welche mit einem Strahlen im Gesicht erschien.
„Oh, ihr seid schon wieder zurück?“ ein Blick aus dem Fenster und sie zählte eins und eins zusammen.
„Tante Jenny, bist du jetzt fertig mit dem Aufräumen?“ natürlich konnte Edward seine Neugierde nicht zügeln und Jenny sah ihn mit großen Augen an. Ihr Blick glitt zu mir, dann zu Haytham, welcher mittlerweile auch ein breites Grinsen auf dem Gesicht hatte.
„Ähm… ja, Edward. Natürlich! Onkel Daniel hat mir geholfen, da ging es… recht schnell…“ Bei Odin, mir lagen schon wieder haufenweise anzügliche, sarkastische und vor allem zweideutige Bemerkungen auf der Zunge!
Bevor ich sie aber laut aussprechen konnte, wurde das Mittagessen angekündigt. Dankbar für diese Ablenkung, verschwand Jenny mit hochrotem Kopf im Esszimmer.
„Nicht mehr lange, dann solltest du Edward aufklären, mi amor.“ flüsterte ich leise und erntete ein großes Fragezeichen über dem Kopf von meinem Mann.
„Warum ich?“ Weil er, als Mann, einem Jungen das Ganze besser erklären konnte. Auch wenn ich damals bei Yannick alleine war, ich hatte Hilfe von männlichen Freunden. „Nun gut. Beizeiten, aber bestimmt nicht jetzt!“ kam es mit Nachdruck.
Mittlerweile war es der 3. Dezember und der Geburtstag meiner Männer stand an.
Ich ließ mich in die Stadt fahren, um den beiden noch eine Kleinigkeit zu besorgen. Begleitet wurde ich von meiner Schwägerin, welche ebenso nach Geschenken Ausschau halten wollte.
„Weißt du eigentlich, dass ich nie wusste, was mein Bruder mag oder mit was er gerne spielte? Als wir damals in Frankreich waren und ich an seinem Bett saß, als er dieses Fieber hatte, hörte ich ihn ab und an sprechen. Er redete von seinen Erlebnissen mit Reginald, oder der Schlacht in Bergen op Zoom. Aber… an einem Tag, als wir schon dachten, er würde es nicht mehr überleben, redete er von Vater. Eine tiefe Erinnerung tauchte auf und es ging um eine Geschichte, welche man ihm erzählt hatte. Ein Märchen, wenn ich mich recht erinnere. Es ging darin um einen Herrscher eines Labyrinthes, eines Königs, welcher sich irgendwelche Fabelwesen als Untertanen hielt und Babys klaute. Ich habe oft nach diesem Buch gesucht, als ich wieder hier in London war, weil ich wissen wollte, wovon er spricht…“ mit großen Augen sah ich sie an. Jenny hatte gerade einen meiner Lieblingsfilme „Labyrinth“ mit David Bowie aus meiner Jugend beschrieben!
„Das ist unmöglich!“ hauchte ich nur und mir wurde schwindelig! Woher sollte mein Mann so eine Erinnerung haben? Diese Geschichte existierte hier und jetzt noch gar nicht. Meine Schwägerin sah mich ebenso überrascht an, als ich es ihr erklärte.
„Du meinst, er hat etwas aus der Zukunft gesehen? Aber… wie ist das möglich?“ ich erinnerte mich an die Visionen, die ihm dieses Wesen damals gezeigt hatte in New York. Aber das war eigentlich etwas anderes. Haytham schien sich an eine Erzählung oder sogar diesen Film zu erinnern!
„Hat er danach noch einmal etwas darüber erzählt, Jenny?“ ich musste es jetzt wissen.
„Nein, als er wieder genesen war, brachen wir nach… Holdens Tod auf und ich hatte nur noch den brieflichen Kontakt mit Haytham. Vielleicht klärt sich das noch auf, Alex. Mach dir jetzt keine Sorgen deswegen.“ versuchte sie mich zu beruhigen, doch das war gar nicht so leicht.
Meine Gedanken flogen umher! War Hrymr damals schon schuld an solchen Bildern, gefaketen Erinnerungen und ähnlichem? Oder war es reiner Zufall, dass Haytham so etwas sah? Lag es an unserer Verbundenheit und dem Schicksal, welches uns zusammenführte? Ich musste beizeiten mit ihm darüber reden. Im Hinterkopf machte ich mir eine Notiz.
Der Tag in der Stadt mit meiner Schwägerin war trotzdem recht erfolgreich und vor allem entspannend.
Jenny hatte für ihren Bruder wunderschöne Manschettenknöpfe gefunden, wofür ich wirklich dankbar war. Diese Schnüre waren wirklich zum verrückt werden und diese praktischen Verschlüsse passten in jedes Hemd.
Für ihren Neffen hatte sie einen Satz geschnitzter Holztiere gefunden.
„Meinst du, Edward mag sie?“ mit gerunzelter Stirn sah sie auf den kleinen Kasten nieder.
„Oh ja, damit machst du ihm eine große Freude. Er baut ganze Festungen mit diesen Tieren, seinen Bauklötzen und seinen Zinnsoldaten. In den Sommermonaten gräbt er sogar einen Burggraben um seine Festung draußen und lässt seine kleine Jackdaw diese angreifen.“ bei diesem Gedanken musste ich lachen, weil die Fantasie meines Sohne unglaublich war.
Ich selber fand für meinen Mann eine kleine Taschenuhr in Gold. Seine jetzige ging langsam nicht mehr richtig und wir würden sie bald zu einem Uhrmacher bringen müssen. Somit hatte er eine neue.
Für Edward erstand ich einen aus Holz geschnitzten Kukri, in welchem kleine Symbole geritzt waren. Eine Zweitwaffe zum Üben, sollte sein anderes Übungsschwert einmal kaputt gehen.
Gut gelaunt ließen wir uns wieder zurück zum Anwesen bringen. Es hatte zu schneien begonnen und es sah hier traumhaft aus mit diesen dicken Flocken. Leider blieb noch nicht so viel liegen.
Es war ein Graus an diesem Abend Edward ins Bett zu bekommen. Er war so aufgeregt, weil er morgen Geburtstag hatte und plapperte in einer Tour wie ein Wasserfall. Er fragte mich aus, wie seine Geburt damals war, ob ich mich auf ihn gefreut hätte, was er als erstes Geschenk bekommen hatte. Vor allem wollte er wissen, ob sein Vater ihm etwas geschenkt hatte, als er auf der Welt war und ob wir alle für ihn ein Lied gesungen hätten… irgendwann rauchte mir einfach nur noch der Kopf und ich saß bei ihm auf der Bettkante.
„Min lille skat, wir waren alle glücklich, als du endlich auf der Welt warst. Und natürlich hat sich dein Vater ganz besonders gefreut, dass du mit ihm zusammen Geburtstag hast. Aber jetzt ist es wirklich Zeit zu schlafen. Sieh mal, Walka ist auch schon eingenickt.“ sprach ich leise und legte Edward hin, deckte ihn zu und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Mama, ich hab dich lieb!“ seine Arme umschlangen meinen Nacken und drückten mich an ihn.
„Ich habe dich auch ganz doll lieb, min lille skat!“ flüsterte ich in seine dunklen wuscheligen Haare. Dann erhob ich mich, tätschelte Walka mit der Order auf meinen Sohn aufzupassen und verließ sein Zimmer.
Für einen Moment stand ich an die Wand gelehnt bei seiner Tür und musste meine Gedanken ordnen. Dieser Junge hatte so viele Gedanken im Kopf, welche er dringend ordnen musste.
Ein Tagebuch!, schoss es in meinen Kopf.
Nachdem ich dann noch bei Florence gute Nacht gesagt hatte und ich ihr gnädigerweise vorsingen durfte, ging ich hinunter in den Salon.
Ich ließ mir ein Glas Wein bringen und setzte mich dann neben Haytham.
„Mi amor, wir sollten Edward bald das Schreiben und Lesen beibringen.“ sprach ich leise und sah in fragende graue Augen.
„Und das aus deinem Mund, mi sol. Woher der Sinneswandel?“ lachte Haytham.
Ich ließ mich nicht beirren und erzählte, was gerade im Zimmer unseres Sohnes passiert war.
„Edward braucht dringend diese Möglichkeit, alles niederzuschreiben. Ich kenne es selber ja auch. Damit bekommt man den Kopf recht schnell frei und ich weiß, dass auch du schon sehr früh damit begonnen hast. Aber… dafür müsste er zur Schule und ich finde eigentlich ist das noch zu früh.“ auch bei mir schwirrten die Gedanken.
„Ich glaube, DU solltest erst einmal Ordnung in deinen Kopf bekommen, bevor wir über Edwards Schulbildung reden. Im Grunde hast du aber Recht. Vergiss jedoch nicht, Vater hatte für mich Hauslehrer, weswegen ich schon so zeitig das Schreiben, Rechnen und Lesen gelernt habe.“ kam es als Erklärung.
Hauslehrer waren das letzte was ich für Edward Junior wollte. Er sollte mit anderen Kindern unterrichtet werden, damit er auch lernt Konflikte zu verarbeiten oder eben einfach nicht alleine war.
In dieser Nacht tat ich nicht wirklich ein Auge zu, weil ich überlegte, wie ich meinem kleinen Schatz Schreiben beibringen sollte. Irgendwann glitt ich aber in das Reich der Träume und durchlebte, wie jedes Jahr an seinem Geburtstag, diese Nacht erneut.
Vermutlich ist das eine Art Fluch für Mütter!
Leise stand ich auf, weil mein Mann tatsächlich noch schlief und schlich mich hinunter.
Dort orderte ich einen Tee und schnappte mir eine kleine Kerze. Damit bewaffnet ging ich wieder in unser Zimmer, setzte mich aufs Bett und stupste Haytham vorsichtig an.
Verschlafen öffnete er die Augen und ich sang ihm das Geburtstagslied. Als ich fertig war, reichte ich ihm seine Tasse mit dem Tee.
„Jetzt darfst du die Kerze auch auspusten und dir etwas wünschen, mi amor.“ flüsterte ich und grinste breit. Zum ersten Mal hatte ich ihn wirklich überrascht.
Haytham holte kräftig Luft und die Kerze erlosch!
„Ich habe mir…“ ich legte meinen Finger auf seine Lippen.
„Nicht sagen, sonst geht es nicht in Erfüllung.“ hauchte ich und beugte mich vor, sodass ich ihm einen Kuss geben konnte.
Wie selbstverständlich schloss er seine Arme um mich und zog mich unter sich.
„Dann zeige ich dir halt, was ich mir gewünscht habe…“ hörte ich ihn schwer atmend an meinem Ohr, während er mein Hemd hochschob.
Etwas später lag ich an ihn geschmiegt grinsend da und strich ihm über die Brust.
„Du hast sehr… befriedigende Wünsche, mi amor. Dabei helfe ich doch gerne.“ flüsterte ich.
„Ich liebe dich, mi sol!“ seine Finger fuhren über meinen Arm und strichen die kleinen Härchen glatt. „Ich habe etwas merkwürdiges geträumt, Alex. Etwas, das wie aus einer alten Erinnerung stammt…“ das ließ mich aufhorchen und ich schob mich etwas zu ihm hoch.
Er hatte einen jungen Mann gesehen, welcher eine Assassinenrobe trug und eindeutig indianischer Abstammung sei. Bevor er jedoch mit ihm in Kontakt kam, verschwamm dieses Bild wieder und er sah Edward und Florence vor sich. Er war in einem Haus, welches in einer kleinen Siedlung stand. Es war aus Backstein, aber etwas heruntergekommen, so als würde dort niemand mehr wohnen.
„Dieses Haus steht an einer Klippe, welche zu einer Bucht führt. Und weißt du was noch eigenartig war? Ich sah diese Aquila, das Schiff was mich damals auf der Providence verfolgte. Aber hier lag sie verrottend im Wasser…“
Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, weil er gerade die Davenportsiedlung beschrieben hatte. Er selber war aber nie dort gewesen! Oder hatte er von Shays Erzählungen etwas übernommen?
Ich begann einfach zu erzählen und hoffte, dass ich nicht zu sehr vorgriff!
Als ich dann bei der Beschreibung der Aquila anlangte, unterbrach mich Haytham.
„Heißt das, ich hatte eine Art Vision letzte Nacht? Aber was wollte man mir damit zeigen oder sagen?“ darauf hatte ich leider keine Antwort.
„Warten wir erst einmal ab, Haytham. Ich werde, wenn wir wieder in Virginia sind, mich auf den Weg zu Achilles machen. Ich glaube nämlich auch, dass es jetzt dringend Zeit wird.“ Ich gab ihm noch einen Kuss, als auch schon Magda das Frühstück ankündigte.
Ein aufgeregter Edward saß, als wir ins Esszimmer traten, bereits bei seiner Tante und seinem Onkel. Er ließ es sich nicht nehmen, den beiden zu berichten, dass er jetzt schon 4 Jahre alt geworden ist. Bald dürfte er auch mit einem richtigen Schwert kämpfen, damit er seine Mutter und seine kleine Schwester vor bösen Dieben beschützen kann.
Wir alle mussten uns für einen Moment beruhigen, weil wir Erwachsenen denselben Gedanken hatten. Auch Haytham hatte seine Mutter beschützt, so wie er es gelernt hatte. Ich spürte neben mir, wie mein Mann meine Hand griff und schmerzhaft zudrückte. Eine Erklärung war unnötig, wir alle hatten diese Bilder im Kopf.
„Natürlich wirst du das, Edward! Aber das hat noch etwas Zeit. Bis dahin lerne fleißig und vor allem, ärgere deine Schwester nicht!“ ein etwas gequältes Grinsen trat auf Jennifers Gesicht, als sie Haytham ansah.
„Das ist wirklich nicht gut, Edward. Lass dir das gesagt sein. Deine Tante hat mich auch immer gepiesackt, wenn ich ihr auf die Nerven ging.“ auch Haytham war um einen neutralen Ton bemüht. Ich hoffte, dass unser Sohn noch nicht zwischen den Zeilen alles verstand!
„Was hat Vater denn gemacht um dich zu ärgern?“ Edward grinste breit dabei und sah seinen Vater an.
„Oh, ständig hat er mich mit der Frage gelöchert, ob ich mit ihm spiele, aber ich hatte so viel anderes zu tun.“ In das Gesicht meiner Schwägerin trat ein gewisser nostalgischer Ausdruck, ebenso sah ich diesen bei meinem Mann.
„Und dann hatte ich eine Handarbeitsnadel in meinem Arm. Glaub mir, mein Sohn. Das tut wirklich weh.“ mein Templer war wieder er selber, die dunklen Gedanken abgeschüttelt und wir ließen uns das Geburtstagsfrühstück schmecken.
„Haytham, ich hoffe, du magst immer noch die Sardinen in Senfsoße. Ich habe es extra für dich geordert.“ fragend sah sie ihren kleinen Bruder an.
„Du hast gut daran getan. Ich liebe es immer noch.“ kam es ausnahmsweise mit vollem Mund von meinem Gatten.
„Vater, nicht wenn du den Mund voll hast!“ kam es entrüstet, aber ebenso mit Brötchen zu gekleisterten Wangen von Edward.
Florence fühlte sich, wie so oft, übersehen und rief jetzt über den Tisch nach ihrem Vater, welcher aber unbeirrt weiter aß. Das fand unsere Tochter überhaupt nicht gut und begann zu weinen.
„Min lille engel, wenn wir aufgegessen haben, dann kannst du wieder bei deinem Papa auf den Schoß.“ erklärte ich leise und lächelte sie an.
Zum ersten Mal sah ich, wie sie auf meine Worte wirklich reagierte! Nicht böse, nicht zickig oder ähnliches. Nein, sie sah uns beide an und es war, als könnten wir ein resigniertes Seufzen von ihr hören. Dann aß sie weiter, oder besser Sophia half ihr dabei. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht bemerkte Haytham, dass Florence diese Sardinen ebenso mochte und hungrig aß. Noch eine Gemeinsamkeit der beiden.
Edward sprach derweil leise mit Daniel, welcher ihm versicherte, dass gleich noch ein Geschenk auf ihn warten würde!
„Was ist es denn, Onkel Daniel! Bitteeee, sag es mir!“ das Edward nicht noch auf seinem Stuhl dabei herumsprang war alles.
„Ein bisschen Geduld noch. Und schau, deine Eltern haben bestimmt auch noch etwas für dich. Aber nur, wenn du auch brav sitzenbleibst.“ Master Mormon wäre der perfekt Vater!, ging es mir durch den Kopf. Doch dafür war es jetzt leider zu spät für die beiden. Bei dem Gedanken stiegen mir schon fast die Tränen in die Augen, aber ich hatte gesehen, dass beide ihren Frieden damit geschlossen hatten.
Später im Freizeitraum verteilten wir die Geschenke und ein Strahlen ging über das Gesicht unseres Sohnes.
„Schau mal, dann hat meine Burg auch ganz viele Tiere und ich kann sogar meine Soldaten versorgen damit.“ erstaunt hob ich eine Augenbraue, weil ich nicht verstand, wie er auf so etwas kam. Als ich aber zu Haytham blickte, wurde mir klar, dass er bereits seinem Sohn erklärt hatte, wofür Nutztiere waren, was die Armee ist und so weiter. Ich war leider noch immer nicht so ganz in diesem Jahrhundert angekommen, gerade was die hiesige Kindererziehung gerade bei Jungs anging.
Als Edward dann sein hölzernes Übungsschwert auspackte, war es um ihn geschehen und er sah es mit großen Augen an.
„Mama, dass ist wie der Säbel aus Tante Jennys Märchen! Ich habe jetzt auch einen, wie der Sultan in dem Palast.“ freute er sich und schwang ihn umher. Und ich mag mich wiederholen, aber bei diesen Bewegungen sah ich Haytham vor mir, wie er versuchte ein Gespür für ein neues Schwert zu bekommen.
Jenny erzählte noch ein wenig, dass die Palastwachen solche Kukris trugen, erwähnte aber nicht, dass es sich um Eunuchen handelte. Zum einen war ihr bewusst, dass sie damit die Trauer um Holden bei ihrem Bruder wieder heraufbeschwören würde, zum anderen wäre es wirklich noch nicht an der Zeit, Edward zu erklären, WAS ein Eunuch wirklich ist.
Wir verbrachten diesen Geburtstagsvormittag einfach mit Unterhaltungen und Spielen mit den Kindern. Florence musste ich entsprechend bei Laune halten, weil natürlich auch sie etwas neues zum Spielen haben wollte.
Haytham freute sich über seine Manschettenknöpfe und die neue Taschenuhr.
„Dann sehe ich ab jetzt immer adrett aus und kann auch nie die Zeit vergessen. Ihr Frauen habt eine interessante Art uns subtil auf gewisse Eigenheiten hinzuweisen.“ lachte er und gab mir einen schnellen Kuss zum Beschwichtigen, weil er sah, dass ich etwas darauf erwidern wollte.
„Auch Daniel habe ich einige Paare schon geschenkt. Damit ist es viel einfacher, die Hemden von den Armen zu bekommen. Gerade wenn es etwas schneller…“ doch sie unterbrach sich und wurde puterrot im Gesicht.
„Als ich noch die Hemden deines Bruders richten musste, habe ich diese Bänder auch verflucht. Auch ich bin dankbar für diese Verschlüsse!“ bemerkte ich grinsend, um das Thema damit zu beenden.
Der Nachmittag brachte einigen Besuch mit sich, unter anderem Master Bradshaw mit seiner Frau Francis, welcher nun den Posten des Großmeisters der Assassinen in London übernommen hatte. Was nicht immer ganz einfach war, weil er ja auch noch seinen anderen Tätigkeiten nachkommen musste. Doch heute war er ganz und gar einfach der Geschäftspartner und Freund der Familie.
„Master Kenway, ich wünsche euch zu eurem Ehrentage alles erdenklich Gute und möget ihr ihn noch oft begehen können.“ dieses verschmitzte Grinsen dabei ließ mich ebenso lachen.
Leider war es Master Pritchard nicht möglich zu erscheinen, dafür aber erschien seine Tochter mit ihrem Verlobten. Ein freundlicher und sehr gebildeter Mann, was mir recht schnell erleichtert auffiel. Anscheinend war ihr Ex-Mann endlich passé und ich muss sagen, ich war mehr als dankbar darüber.
Im Grunde erschien jetzt die gesamte Belegschaft des hier neu etablierten Büros.
„Ich bin froh, dass wir hier ausreichend Platz haben, Alex.“ lachte meine Schwägerin und sah sich in der Menge um. Aber an ihrer Hochzeit sah es ja sogar noch schlimmer aus.
Es freute mich immer noch, dass hier nicht mehr alles so trostlos und unbewohnt wirkte.
In einem ruhigen Moment schritt ich durch die Küchentür hinaus in den hinteren Garten, einfach um etwas frische Luft zu schnappen.
Dieses Haus ist schon über 40 Jahre im Familienbesitz, kannst du dir das vorstellen? Hörte ich meinen Piraten neben mir und drehte mich erschrocken um, mit ihm hatte ich am wenigsten gerade gerechnet.
Die Zeit vergeht wahnsinnig schnell, oder? Vor allem wenn man älter wird. Seufzte ich und schloss meine Arme um mich, weil ich keinen Umhang mitgenommen hatte und die Kälte mich zittern ließ.
Unheimlich würde ich es nennen. Flüsterte Edward Senior leise neben mir. Weißt du, als Haytham damals zur Welt kam, war es, als würde die Zeit für mich einen Moment still stehen. Dieser Augenblick war einfach unbeschreiblich und als mein Enkel im Grunde fast zur selben Zeit geboren wurde, hatte ich dieses Gefühl erneut. Aber ich werde sentimental. Geh und stoß auf meinen Sohn und meinen Enkel an, sie haben es sich verdient.
Im Grunde fehlte nur noch ein freundschaftlicher Schlag auf die Schulter von ihm.
Ich gehe dann mal wieder hinein, Edward. Und vergiss nicht, ich vermisse dich immer noch. Warum ich das sagte, wusste ich nicht und als mein Schwiegervater sich vor mir manifestierte, sahen mich diese blauen Augen lächelnd an.
Ich dich auch, Alex. Seine Lippen berührte meine Stirn und seine Arme schlossen sich kurz um mich, dann verschwand er wieder im Nichts.
Warum mich das gerade so tröstete wusste ich genauso wenig zu deuten, stattdessen ging ich wieder zu den anderen und verbrachte einen wirklich angenehmen Geburtstag meiner Männer.
Als ich später in unserem Zimmer vor der Kommode saß und meine Haare bürstete, stand mein Mann hinter mir und musterte mich.
„Habe ich etwas vergessen, mi amor?“ es ist doch echt ein Kreuz mit meinem schlechten Gewissen!
„Nein, hast du nicht.“ er trat hinter mich und strich mir über die Haare. „Ich hatte nur diese Bilder von dir im Kopf, wo du auf der Jackdaw die Papiere von meinem Vater entgegen nimmst. Frag mich nicht warum gerade jetzt. Sie waren einfach plötzlich da. Ich kann mich an deinen erleichterten Gesichtsausdruck erinnern, als du dich von mir verabschiedet hast. Und ja, ich weiß jetzt, dass ich auf dich eifersüchtig war. Aber gerade ging mir ein anderer Gedanke durch den Kopf! Für einen Augenblick dachte ich damals – diese Frau mag ich – und dann war es schon wieder verschwunden.“ seine Hände lagen jetzt auf meiner Schulter und massierten mich geistesabwesend. Ich griff danach und stand auf.
„Was soll ich darauf sagen, Haytham? Im Grunde hat uns das alles nur näher gebracht, oder?“ ich legte meinen Kopf auf seine Brust.
„Vermutlich dachte ich wie unser Sohn. Mädchen sind, wie hat er es genannt, doof. Noch überblickt man ja nicht soviel in dem Alter auch nicht mit 10 Jahren. Wobei ich ehrlich sagen muss, dass ich mich darauf freue, wenn Edward so alt wird.“
Wir waren uns stillschweigend vor einiger Zeit einig geworden, dass auch unser Sohn wenn er 10 wird, entsprechend ausgebildet wird und in alles eingeweiht wird. Vorher würden kleinere Lektionen schon stattfinden und ebenso Erklärungen.
„Aber für heute hätte ich noch eine Lektion für dich, Mistress Kenway.“ seine Stimme war leise, befehlend und rau.
„Die da wäre, Master Kenway.“ flüsterte ich mit einem Kribbeln im Bauch.
„Ihr habt mich nicht genügend gewürdigt an meinem Geburtstag wie ich finde.“ seine Finger öffneten geschickt die Schüre meines Nachthemdes und ließen es über meine Schultern auf den Boden gleiten. Fast zeitgleich griff seine rechte Hand in meinen Nacken, übte einen leichten Druck aus und ich ließ mich auf die Knie sinken mit stetigem Augenkontakt.
„Verzeiht mir.“ hauchte ich und umschloss ihn mit meinem Mund. Ab jetzt galt ihm meine ungeteilte Aufmerksamkeit, was Haytham durchaus zu würdigen wusste und mir später einen wunderbaren Höhepunkt bescherte.
„Ich würde dir vermutlich alles verzeihen, mi sol.“ grinste er, als sein Kopf auf meiner Brust lag.
„Dann hab ich also einen Freifahrtschein…“ ein heftiges Kopfschütteln ließ mich kichern.
„DAS glaubst du doch wohl selber nicht, oder?“ seine Finger griffen in meine Hüfte und drückten zu. Zischend sog ich die Luft ein.
„Nein, natürlich nicht.“ ich schlang mich jetzt um ihn, damit er mir nicht davon lief des nachts. Kurz darauf driftete ich in die Traumwelt und genoss die dort herrschende Stille.
„Mama! Papa! Es hat ganz doll geschneit!“ mit diesem Gebrüll, einem aufgeregten Sohn, welcher auf dem Bett herum hüpfte und lautem Gebell wurden wir geweckt!
„Och Edward, hast du mal auf die Uhr gesehen? Weißt du eigentlich wie spät es ist?“ fauchte ich ihn an, weil es noch nicht einmal richtig hell draußen war.
„Schau mal…“ er sprang geschickt vom Bett und versuchte die Vorhänge beiseite zu schieben, vergebens, weil seine Arme noch nicht lang genug waren. „Draußen liegt ganz viel Schnee! Ich will raus, Mama! Komm! Steh auf!“ diese Euphorie meines Sohnes VOR meinem Kaffee war nicht gut und ich musste tief durch atmen.
„Edward… bitte… lass mich doch erstmal wach werden!“ gähnte ich und plötzlich hatte ich eine schlabbernde Zunge in meinem Gesicht, sie kam nicht von meinem Mann, bedauerlicherweise! „Walka! Bahhhh…“ ich setzte mich seufzend auf und sah, wie Haytham bereits bei der Kommode stand und sich kämmte.
„Wie kannst du so gelassen da stehen, während ich hier belagert werde. Komm mir zu Hilfe, mein edler Ritter in glänzender Rüstung!“ wenn ich übermüdet bin, reagiere ich oft seltsam, dass hatte Haytham schon einige Male belustigt bemerkt.
„Natürlich, holde Maid. Ich eile zur Hilfe, wenn ich mit der morgendlichen Pflege meines Gesichtes fertig bin.“ jetzt hatte die Hündin sich an meinem Gatten hochgezogen und tappte nach ihm, damit er auch mit ihr spielte.
„Mama… auch aufstehen! Komm schon!“ dieses Quengeln ließ mich dann doch aufstehen. Ich schwang die Beine aus dem Bett und wollte gerade in meine Hausschuhe, als ich in etwas Nasses trat. „Was…?“ das durfte nicht wahr sein! Walka war anscheinend noch gar nicht draußen gewesen! Muss ich noch mehr sagen?
Jetzt reichte es mir.
„Edward, wie oft muss ich dir sagen, dass du mit Walka als allererstes hinaus musst am Morgen? Jetzt sieh was für eine Sauerei passiert ist!“ plötzlich lag besagte Hündin neben mir auf dem Bett und hatte ihren Kopf auf meinen Beinen, ihre Augen auf mich gerichtet. Es fehlte nur noch der „Dackelblick“ nun gut es war der „Bluthundblick“, aber… verdammte Axt… er reichte und besänftigte mich. Ich strich über ihr weiches Fell und knuddelte sie. „Dein Herrchen muss noch viel von dir lernen!“ ein Wuff und sie sah zu Edward.
„Mama… ich… tut mir leid…“ nuschelte unser Nachwuchs leise. Erst jetzt fiel mir auf, dass auch er noch im Nachthemd hier stand.
„Min lille skat, geh und lass dich anziehen. Dann gehen wir nach dem Frühstück alle zusammen raus, ja? Aber nur, wenn du dich ordentlich benimmst, ist das klar?“ ich hoffte, ich klang so autoritär wie ich wollte.
„Ja, Mutter.“ kam es leise von meinem Sohn und er verschwand mit Walka über die Galerie.
„Er liebt seine kleine Wächterin, mi sol. Sie scheint ihm Sicherheit zu geben.“ hörte ich Haytham grübelnd reden, während er sich schon ein neues Hemd überzog. Ich rief nach Michael und Magda, damit wir beide auch ansehnlich unten erscheinen konnten. Lionel war Odin sei Dank ein ruhiges, liebes Kind, so dass meine Kammerzofe beides wunderbar unter einen Hut bekam. Und in ganz schlimmer Not stand auch ihr Snotra zur Seite, oder halt Sybill. Ich war in diesem Moment mehr als dankbar, dass wir so tatkräftiges Personal hatten.
Leider hielt diese Idylle nicht lange an.
Schon zwei Tage später, am 6. Dezember wurde uns zugetragen, dass es erneut zu Übergriffen auf unsere Lager und entsprechende Konvois über Land gegeben hatte. Also machten Haytham und ich uns auf, diesen Berichten auf den Grund zu gehen.
Im Büro wurden wir freundlich empfangen und uns wurde unter anderem von einer berittenen Gruppe berichtet, welche aber sicherlich keine Assassinen waren.
Diese schienen sich gerade etwas zurück zuziehen, was mir nur in die Karte spielten! Damit wollte ich mich nicht auch noch auseinandersetzen müssen.
„Es handelt sich um einen Trupp von ungefähr 40 Leuten, davon 15 Fußvolk. Sie alle lauern in den Wäldern ringsum London und in den kleineren Dörfern. Es ist ein diebisches Pack und es ist, als könnten sie sich allesamt unsichtbar machen.“ diese Beschreibung eines Herrn aus der Bruderschaft der Franzosen hier, hörte sich nach eben den Meuchelmördern an. Aber umgekehrt konnten es ebenso gut abtrünnige Templer sein, wer weiß das schon?
Einen Tag später machte ich mich mit meinem Mann per Pferd auf den Weg, den Spuren zu folgen. Es gab Einbruchsspuren bei einer angesehenen Familie hier in der City, welche Haytham entsprechend rekapitulieren konnte und so fanden wir nach weiteren 2 Tagen einen Unterschlupf in einem baufälligen Haus, am Rande der Stadt.
Dieses Viertel trieb mir kalte Schauer über den Rücken. Alles baufällige Häuser, wenn man sie denn so bezeichnen könnte, heruntergekommene Kinder mit ihren ebenso verwahrlosten Geschwistern oder Müttern. Die Armut war hier überdeutlich zu spüren und vor allem zu sehen.
Im besagten Unterschlupf trafen wir jedoch niemanden an, leider.
„Wir können uns so aber ein wenig umsehen, ohne Kämpfe.“ sagte mein Mann beiläufig und ging in eines der Nebenzimmer.
Ich hingegen durchsuchte das große Ess- und Wohnzimmer nach Hinweisen.
Überall lag Unrat und immer wieder stupste ich unbeabsichtigt eine Ratte zur Seite… dieses Quieken schüttelte mich, weil ich mir nicht ausmalen wollte, was passiert, wenn ich gebissen werden sollte!
Ich ließ irgendwann frustriert meinen Blick umherwandern, wurde aber hier im Erdgeschoss nicht fündig. Ich hob meinen Kopf und sah nach oben. Dort! Im ersten Stock konnte ich etwas goldenes ausmachen!
„Haytham, da oben ist was!“ rief ich ihm zu, bekam aber keine Antwort. „Haytham!“ rief ich noch einmal. Immer noch nichts. In meiner Angst um ihn versuchte ich ihn zu finden… er müsste noch hier unten sein, aber… nein… ich sah eine Spur… Schleifspuren, welche von Füßen stammten! Sie führten mich nach draußen, über den Innenhof…
Plötzlich waren alle meine Sinne in Alarmbereitschaft! Man hatte Haytham, wie auch immer, betäubt, ihn zur Seite geschafft und wartete nun auf mich! Eine Falle!
Erkannt mein Kind! Gehe hinaus, deinem Mann fehlt nichts, er ist nur… ein wenig benommen! Warum gerade jetzt? So oft wartete ich auf seine Stimme, seine Worte, doch sie kamen nicht. Warum jetzt, Odin? Immer wieder hatte ich mir diese Frage gestellt, es schien willkürlich zu sein, keinem Muster folgend. Geh einfach und denke daran, dass wir nicht immer alles in die Hand nehmen. Du hast noch viel zu lernen. GEH!
Bevor ich mich aufregen konnte, setzte ich meine Suche nach meinem Mann fort. Ich musste in den kleinen Garten hinter dem Haus. Dort stand eine Art großer Schuppen, vor welchem die Spur endete. Ich lehnte mich an die Wand neben der durchlöcherten Tür und lauschte auf verräterisches Atmen oder andere Geräusche.
Noch einmal aktivierte ich meinen Blick, linste dann um die Ecke und erkannte zwei rote leuchtende Auren, welche über einem goldschimmernden Körper hingen. Ansonsten konnte ich nichts an Gefahrenquellen ausmachen.
Vorsichtig schlich ich mich auf Zehenspitzen hinein, ließ meine versteckten Klingen hervorschnellen. Als ich schon auf dem Sprung war, um den beiden Widersachern den Garaus zu machen, wirbelten sie herum und griffen mich breit grinsend an.
„Ahhhhhhhhh… fein! Du willst also diesem Arschloch Gesellschaft leisten, Weib? Wolltet euch wohl einen schönen Tag in unserem Haus machen, wie?“ laut lachend schwang der Mann vor mir seinen Knüppel. Seine Kleidung bestand eigentlich nur aus Lumpen und in seinem breit grinsenden Mund waren wenige verbliebene Zähne zu sehen! Sein Partner sah nicht anders aus, aber zu meinem Erstaunen waren beide nüchtern. Es gab keine Alkoholfahne!
Vorsicht war also geboten und ich wappnete mich für einen Kampf.
Sie griffen zeitgleich an, was ich erwartet hatte und schon mit meinem Schwert parat stand. Der rechte Herr wurde von meiner Schwertschneide an der linken Wange getroffen, während sein Kollege meine versteckte Klinge auf seinem Unterarm zu spüren bekam.
Plötzlich sah ich in ihren Augen die Erkenntnis, dass ich nicht nur einfach ein „Weib“ war, sondern eine Frau, die sich zu verteidigen wüsste.
„Uuuuiiiii… nur weil du nen Schwert halten kannst, brauchst du nicht so großspurig grinsen, Hure!“ fauchte mir der rechte Angreifer entgegen.
„Ich weiß, Gentlemen, es ist viel zu schwer für mich, wollt ihr es mir nicht abnehmen?“ dieser sarkastische Satz hatte für Ablenkung bei ihnen gesorgt, welche ich ausnutzte.
Ich drehte mich um den linken Penner, welcher noch schnell versuchte mir dabei zu folgen. Leider war er doch recht flink, sodass ich ihn nur mit meinem Schwert an der Wade streifte! Verdammt!
Sein Kumpan sprintete nun brüllend auf mich zu und zu spät sah ich, dass er neben seiner Kugelkeule auch noch einen Dolch gezückt hatte. Dieser traf meinen Schwertarm schmerzhaft tief! Mein Atem wurde aber ruhig, weil ich wusste, dass ich im Anschluss meine Wunden versorgen konnte!
Mit meiner Linken versuchte ich ihn nun in die Seite zu treffen, er sah es jedoch voraus und blockte meinen Arm mit der Keule. Verdammte Axt…!!! Axt!!! Natürlich…
Ich ließ meine Arme sinken und für den Bruchteil einer Sekunde sah ich meine Vorfahrin vor mir, sah die Bartaxt vor meinem inneren Auge.
Dann spürte ich diese beruhigenden Gewichte in meinen Händen und hörte ein erschrockenes Aufkeuchen meiner Angreifer!
„Wie… das ist Hexerei! Hier treibt sich noch so eine rum!“ schrie der linke Herr nun panisch, aber leider hatte er sich recht schnell wieder gefasst und war dabei mich wieder zu attackieren. „Du wirst diesen Tag nicht mehr überleben und wenn wir dich morgen auf den Scheiterhaufen stellen, hast du es auch noch schön warm!“
Ich lachte laut auf, aber … nicht ich selber war es…
Ab jetzt fühlte ich eine Sicherheit, dass mir nichts passieren konnte und ich begann auf die beiden Männer einzudreschen, ohne einen wirklichen Plan zuhaben! Und damit hatten sie nicht mehr gerechnet.
Beide hatten nun Schwierigkeiten, an mich heranzukommen, weil die scharfen Axtklingen ihre Kleidung aufschlitzten und die Haut darunter immer wieder einritzten. Nicht tief, nein! Ich wollte sie mürbe machen!
Das Klirren von Stahl klang wie Musik in meinen Ohren und ich ließ mich und meine Aggression davon treiben. Auch ich blieb nicht ohne Blessuren. An einigen Stellen spürte ich ein warmes Rinnsal auf meiner Haut.
Eine Faust landete unvermittelt auf meiner Wange, welche ich wegschlug und mit der linken Waffe fast abtrennte. Somit war ein Angreifer schon mal fast ausgeschaltet.
Sein Freund war aber immer noch mit Eifer bei der Sache, schlug immer wieder mit dieser widerlichen Keule auf mich ein und traf meine Schultern einige Male schmerzhaft.
Als er erneut angreifen wollte, konnte ich seine Bewegung voraussehen. Er wollte sich hinter mich drehen!
Ich kam ihm zuvor, drehte mich schon jetzt und trat mit meinem Fuß nach seinem Magen! Er sackte etwas vornüber und das nutzte ich aus. Meine rechte Axt fuhr von unten unter sein Kinn und hebelte seinen Kiefer aus, welcher jetzt schief in seinem Gesicht hing.
Keuchend stand er nun vor mir, rieb sich seine wunden Knochen im Gesicht und schaute mich grimmig an.
„Du bist besser als ich dachte, wer hat dich gelehrt so zu kämpfen?“ Woher kam diese ordentliche Aussprache plötzlich?
„Sehr viele Menschen haben mich gelehrt mich gegen Abschaum wie euch zu verteidigen!“ meine Stimme war ruhig, aber laut!
Ich vernahm ein Jammern hinter meinem Angreifer und sah seinen Freund, wie er mit Blutleerem Gesicht auf seine Hand starrte. Dann sackte er ohnmächtig zur Seite!
„Lasst uns gehen! Wir wollten … dieses Haus ist unbewohnt, wir wollten nur… wir brauchen einen Platz zum Schlafen.“ dieser Herr stand mit gesenkten Schultern da und sah mich schon fast bettelnd an.
„Warum habt ihr uns dann angegriffen, verdammt nochmal?“ fauchte ich ihn an.
„Wir dachten, ihr wollt es euch unter den Nagel reißen! Genau wie diese Leute, die vor ein paar Tagen hier waren. Sie haben sich schon eingerichtet, ohne Rücksicht auf uns! Sie haben uns rausgeschmissen, einfach so!“ ich starrte ihn ungläubig an und schüttelte meinen Kopf.
„Und deswegen… aber bevor ihr weitersprecht, weckt meinen Mann auf. Und zwar pronto, wenn ich bitten darf!“ ich kniete mich neben Haytham, welcher friedlich, ja es sah wirklich so aus, schlief.
„Miss, dass geht leider nicht so einfach. Wir haben da so eine Flasche gefunden mit nem übel riechenden Zeug, was sogar uns fast hat umfallen lassen. Ich weiß nicht, WIE wir ihn aufwecken können!“ etwas unsicher sah er von einem zum anderen, dann fiel sein Blick auch auf seinen Kollegen. „Oh verdammt! Wie erklär ich das Olivers Frau nur?“ er kniete sich jetzt neben den Verletzten, während ich meinen Mann versuchte wieder wach zubekommen. Die Männer hatten wohl Chloroform gefunden.
„War das in diesem Haus? Und… woher könnt IHR so gut kämpfen?“ immer noch versuchte ich Haytham zu wecken, vergebens. Sein Herz schlug aber regelmäßig und sein Atem ging gleichmäßig.
„Im ersten Stock sind einige so komische Dinge. Sieht aus, als wäre da ein Arzt ab und an zu Gange…“ kam es etwas beiläufig von dem Belagerer. „Wartet hier, Miss. Ich rufe ein paar Leute, die euren Mann und meinen Freund hier ins Haus bringen.“ mit diesen Worten verschwand er. Jetzt hatte ich ihn gar nicht nach seinem Namen gefragt.
Wimmernd hörte ich plötzlich „Ich wollte doch nur ein Dach über dem Kopf…“ der Verletzte meldete sich und ohne zu überlegen, trennte ich die Hand ganz ab. Es klingt grausam ich weiß, aber sie hing wirklich nur noch an einem Hautfetzen! Aus meiner Tasche am Gürtel holte ich einen kleinen Verband, welchen ich um das Gelenk fest schnürte und hoffte so, dass er nicht noch mehr Blut verlor.
Mehr als warten konnte ich jetzt nicht. Immer wieder tätschelte ich Haytham, wedelte ihm Luft zu oder sah nach dem Handlosen.
Endlich nach einer gefühlten Ewigkeit erschienen 5 Männer in diesem Schuppen und verfrachteten meinen Mann und den Verwundeten auf einen kleinen Karren. Sie hoben mich auf die Ladefläche und dann brachten sie uns eine Straße weiter zu einem anderen Haus, wo eine Horde Kinder zu warten schien.
„Das ist meine Familie, Miss. Diese Bruchbude soll abgerissen werden, weil Platz gemacht werden soll für die Reichen!“ seine Stimme hatte einen angewiderten Ton angenommen.
„Das werde ich zu verhindern wissen.“ als ich in fragende Gesichter sah, erklärte ich meinen Gedanken. Wir würden einfach einen Teil dieser Häuser aufkaufen! Damit hätten wir die armen Familien gerettet und sie könnten mit ihrer Arbeitskraft helfen, die Unterkünfte wieder herzurichten! Gegen einen kleinen Obolus sollten sie dann hier wohnen bleiben. So mein Plan!
„Miss, ihr wisst nicht, mit wem ihr euch da anlegt.“ Angst klang aus diesen Worten, welche noch von seinem unruhigen Blick unterstrichen wurden.
„Nein, noch weiß ich es nicht. Aber das wird sich ändern.“ ich saß jetzt neben Haytham auf einer kleinen Pritsche vor einem Feuer und wartete. Leider hatte ich überhaupt keine Ahnung, wann so eine Wirkung von Chloroform aufhörte. Eigentlich sollte es recht zügig gehen, sobald normale Luft eingeatmet wurde.
Der andere Mann wurde nun verarztet von einem, vermutlich war es kein echter Arzt, Herren, der die Wunde ausbrannte und einen sauberen Verband anlegte. Wenigstens verstand er sein Handwerk.
Dann endlich machte mein Templer die Augen auf, schrak sofort hoch und übergab sich postwendend. Ich konnte gerade noch rechtzeitig in Sicherheit gehen.
Schwer atmend lag er wieder auf dem Rücken und sah zur Zimmerdecke empor.
„Was … war das… bitte für ein Zeug?“ er war so wütend, dass er zitterte.
„Sir, ich weiß es nicht und… es tut uns wirklich leid. Wir haben uns nur verteidigen wollen. Ich schwöre…“ Zu mehr ließ ihn mein Gatte nicht kommen.
„Ihr wart zu dritt, wo ist euer anderer Freund?“ dieser Ton war erschreckend und ich sah mich jetzt ebenfalls fragend um.
„Mein Kumpel liegt hier, er ist verletzt. Wir waren nur zu zweit, Sir.“ dieser Unglaube war nicht gespielt, ich sah es in seinen Augen.
Haytham erklärte sich. Er war in besagtes Nebenzimmer geschlichen, hatte sich umgesehen und aus den Augenwinkeln die Angreifer gesehen. Natürlich ließ er den Adlerblick aus und meinte, er hätte einen Blick für sowas. Drei Personen hätte er ausgemacht, welche ihm auflauerten und dann auch angriffen!
„Das kann nicht sein, wirklich nicht. Ich war mit Oliver alleine in das Haus gegangen…“ sein Blick ging zu seinem Freund, welcher nun auch langsam wieder zur Besinnung kam und schmerzerfüllt stöhnte.
Alex ich habe mir das nicht eingebildet! Es waren DREI rote Auren hinter mir! Hörte ich meinen Mann in meinem Geiste. Ich glaubte ihm, keine Frage. Aber wo war der dritte Herr und vor allem, WER war es?
„Wer sind diese anderen Leute, die sich dort eingenistet haben? Kennt ihr sie?“ Fragte ich nun nach, in der Hoffnung, dass Namen fallen würden. Auf einen hoffte ich ganz besonders, auch wenn in mir Panik hochkroch.
„Das ist eine Organisation von Halunken, Miss. Sie haben sich um ihren Anführer geschart, einen Russen, den wir aber hier noch nie gesehen haben. Ich weiß nur, dass er vor einigen Jahren einmal für Unruhe hier gesorgt hat und danach hatte er dutzende Anhänger auf seiner Seite…“ grübelte der Mann nun.
„Wie ist sein Name, Mister…?“ ich wusste überhaupt nicht mit wem ich gerade sprach.
„Timothy Grouter, Miss… zu euren Diensten.“ er stand auf, verbeugte sich etwas steif vor mir.
„Alexandra Kenway, Mr. Grouter und das ist mein Gatte, Haytham Kenway.“ nun war der Höflichkeit erst einmal genüge getan und ich fragte noch einmal nach, wie denn nun dieser Russe hieß.
„Ich meine er hieß Ardemev… oder war es Amadjev? Ich habe ihn nie gesehen, wenn ihr das wissen wollt.“ er winkte auch gleich entschuldigend ab.
„Avdeyev. Kann es sein?“ Haytham hatte sich aufgerichtet und sah in die Runde der Frauen und Männer hier.
„Ja, genau Sir! Er hat ein seltsames Schiff, das wurde mir noch erzählt! Ganz schwarz und riesig!“ jetzt hörten wir die Geschichte um das Auftauchen damals, als wir das erste Mal hier in London waren. Es hörte sich wirklich schon wie ein Märchen an, aber wir wussten es besser.
Mir brach der kalte Schweiß aus, weil er DOCH wieder erschienen war… aber Haytham unterbrach mich in meinen Gedanken.
Nein, er war es nicht. Es war eine völlig normale rote Aura! Er suchte aber selber noch nach einer Erklärung, wie es schien.
Es könnte ja auch ein Helfer von Hrymr gewesen sein, jemand den die Männer nicht sehen konnten. Gab ich zu bedenken.
Das machte aber alles keinen Sinn, weil sie irgend etwas hätten spüren oder sehen müssen! Eine dritte Person im Raum ist zu fühlen, man nimmt die Präsenz wahr oder lag es bei uns nur daran, dass wir etwas geschulter darin waren?
Alex, da hat jemand Gehirnwäsche betrieben! Mein Mann sprach das aus, was auch ich im selben Moment gedacht hatte.
„Was ist vorher passiert, Gentlemen? Bevor ihr uns vertreiben wolltet.“ Mein Mann begann eine Art Verhör, auf seine ganz eigene Art.
Die beiden hatten gesehen, wie wir ins Haus gingen und haben sich hinten reingeschlichen. Einer ging nach oben und fand in einem Kasten diese Fläschchen und einige Tücher. Er roch daran und, wie er bereits sagte, wäre er selber fast umgekippt. Tränkte aber nur den Lappen mit der Flüssigkeit und machte sich schnurstracks auf zu seinem Kumpan ins Nebenzimmer. Mich hatte man für harmlos gehalten und nicht weiter beachtet. Als mein Gatte dann bewusstlos war, schleiften sie ihn hinaus in den Schuppen und das wars.
„Sonst habt ihr nichts gesehen oder so?“ hakte ich nun auch noch nach.
„Nein, Miss! Aber von diesem komischen Zeugs ist mir irgendwie etwas schwummrig.“ er schüttelte sich dabei und rieb sich über seinen Nacken!
„Habt ihr dort Schmerzen, Mr. Grouter?“ mir kam der Gedanke, dass eine Art Giftpfeil, wie ich ihn damals verpasst bekommen habe, seinen Nacken getroffen haben könnte.
„Ja, es brennt etwas…“ erstaunt rieb er noch einmal darüber, dann weiteten sich seine Augen! „Miss, meint ihr man hat uns…“ sein Atem ging schneller und er ließ sich auf einen Stuhl in seiner Nähe sinken.
„Haytham, hast du noch alles bei dir?“ in meiner Panik tastete ich auch an mir herunter, doch ich war ja nicht betroffen gewesen, oder doch?
Er fühlte seine Taschen, seine Klingen, die Munition an seinem Gürtel. „Es ist alles dort, wo es sein sollte.“
„Ihr glaubt, wir haben euch ausgeraubt?“ die Stimme des Herren nahm einen wütenden Ton an.
„Nein, es könnte sein, dass man euch … manipuliert hat, mit einem Gift.“ also erklärte ich meine Gedanken und sah in große Augen.
„So etwas gibt es? Ich habe von diesen Zauberern gehört, die Menschen willenlos machen können. Die gibt es wirklich?“ voller Entgeisterung sahen sie mich alle an.
„Ja, es gibt so eine Möglichkeit.“ ich hakte noch einmal nach, aber niemand konnte sich an seltsame Dinge erinnern. Uns blieb deshalb nur noch eines. Wir mussten zurück in das Haus, in der Hoffnung dass niemand zwischenzeitlich dort erschienen ist.
Nachdem Haytham noch einen kräftigen Schluck Hochprozentiges zur Stärkung bekommen hatte, verabschiedeten wir uns und ich versprach, dass wir uns um diesen Häuserkauf kümmern werden. Mein Mann sah mich fragend an und im Geiste sagte ich ihm, dass wir hier einige Immobilien bald mehr haben werden.
Als wir dort wieder ankamen sahen wir aber schon verdächtige Person ums Haus patrouillieren. Verdammt.
„Drinnen sind auch so einige versammelt… 7 Mann im ersten Stock. Unten stehen an der Vorder- und Hintertür jeweils einer. Dazu die Wachen hier draußen. Das wird nicht leicht, Alex. Wir sollten besser Verstärkung rufen!“ Haytham hatte Recht, wir sollten da nicht alleine eindringen.
Unverrichteter Dinge ritten wir in Richtung unseres Büros und man ließ Nachricht an die hier stationierten Schläfer schicken. Es dauerte ungefähr eineinhalb Stunden, da erschienen hier 10 Frauen und Männer. Sie alle waren bewaffnet und bereit sich zu verteidigen!
Noch einmal machten wir uns auf den Weg zu diesem Unterschlupf und zu meinem Entsetzen waren es jetzt noch ein paar mehr Personen geworden. Ich stöhnte sauer und sah zu Haytham, auch er war alles andere als begeistert.
„Wir teilen uns auf…“ ein Teil sollte durch die Hintertür hinein gelangen, der andere einfach direkt von Vorne kommen. Mein Mann und ich würden über das Dach ins Innere gelangen und so von oben schon einmal die Bereinigung begingen. „Und denkt daran, wenn ihr merkt, es ist nur noch eine Person am Leben, dann haltet sie fest. Wir wollen Antworten!“
Ich kletterte neben meinem Mann an der Wand hoch und erntete einen erstaunten Blick.
„An meinen Haken habe ich gerade gar nicht gedacht. So bleibe ich aber fit und kann mit dir mithalten, mi amor.“ grinste ich und schwang mich aufs Dach.
„Schade, ich hätte sonst noch eine Lektion für dich gehabt…“ wie konnte dieser Mann in so einer Situation solche Gossengedanken haben? Lachend schüttelte ich meinen Kopf und wir konzentrierten uns auf unser Unterfangen.
Das Dachgeschoss war recht übersichtlich und klein. Nur drei Zimmer mit Dachschrägen, sie alle waren leer.
Das Geschoss darunter war im Grunde mein Primärziel, weil ich dort ja diesen goldenen Schimmer gesehen hatte vorhin. Ich wies Haytham da drauf hin und auch er war meiner Meinung. Wir würden dort als erstes nachsehen.
Aus dem Erdgeschoss vernahmen wir auch schon die ersten Kampfgeräusche und ich betete zu meinem Allvater, dass niemand starb oder schwer verletzt werden würden.
Keine Sorge, mein Kind. Zur Not wissen wir, was zu tun ist. Manchmal war Odin etwas seltsam was seine Art anging. Sarkastisch traf es ganz gut…
Das Leuchten kam aus einem recht großen Zimmer, was vermutlich einmal ein Schlafzimmer gewesen war. Zumindest dem Bettgestell nach zu urteilen, welches wie ein Skelett im Raum stand.
An der rechten Wand standen drei große Kisten aus Holz. Nur mit einfachen Schlössern versehen.
Die Wachen hier machten mich aber stutzig. Warum waren hier 15 Personen abgestellt, die in wohldurchdachten Routen auf und ab gingen? Und was mir vor allem wieder durch den Kopf ging, warum JETZT? Hatten wir doch die Aufmerksamkeit auf uns gezogen?
EDWARD! Dieser Gedanke ließ mich zittern vor Angst!
Haytham… doch zu mehr kam ich nicht, weil auch mein Mann diesen Gedankenblitz hatte.
Ich konzentrierte mich auf Finley und dann sah ich ihn vor mir.
Bitte, ihr müsst dringend zum Anwesen reiten und nach dem Rechten sehen! Loki erhob sich mit einem Ruck, nickte stumm, dann verschwand er aus meinem Kopf. Diese Geste beruhigte mich auf seltsame Art.
Ich atmete tief durch ehe wir uns zum ersten Geschoss hinunter begaben. Am Fuße der Treppe standen zwei Frauen mit dem Rücken zu uns, welche meinen versteckten Klingen zum Opfer fielen. Mein Mann und ich zogen sie ein Stück außer Sicht ihrer anderen Kumpane und gingen dann weiter zu drei Wachen, welche an den Fenstern zur Straße standen. Auch sie segneten schnell das Zeitliche und das auch noch, Odin sei Dank, völlig lautlos.
Aber wie sollte es anders sein, EINER musste natürlich in diese Richtung blicken, genau in dem Moment, als wir den Kadaver in eine Ecke ziehen wollten.
„Ihr da! Halt!“ brüllte er uns entgegen und bekam große Augen, als er uns erkannte. Woher er wusste, WER wir waren erschloss sich mir nicht. „Leute, wir haben Besuch, die Kenways sind zurück!“ schrie er jetzt lauter und mit einem Male hörte man von überall her ein Poltern und Trampeln.
Hier waren nicht nur 7 Mann, es waren noch mindestens 8 weitere Herrschaften, welche sich nun von draußen durch die Fenster Zutritt verschafften und uns so leider auch einkreisten!
Der Korridor war in Sekunden gefüllt mit Menschen und nun hieß es sich durchzukämpfen. Hoffentlich konnten die anderen einen lebend packen!, ging es mir durch den Kopf.
Seite an Seite mit Haytham schnetzelte ich mir einen Weg durch die Reihen der Angreifer und es war irgendwie befreiend.
Sie alle waren gut ausgebildet, kampferprobt und waren auf Blutvergießen aus. Das traf sich gut, ich hatte auch so richtig Lust darauf… erschreckt stellte ich fest, dass nicht ich das dachte… Egal, weitermachen und den Arslingen zeigen, wer hier das Sagen hat.
Mein Schwert traf immer wieder Arme, Hände, Wangen und Schultern. Von entgeisterten Gesichtern bis zu angsterfülltem Gejammer bekam ich hier alles geboten.
Das Kontern war hier zwar auf etwas beengtem Terrain nicht so leicht möglich, aber es klappte dennoch.
Doch dann verließ mich mein Glück und mich traf mit voller Wucht eine Faust in die linke Seite. Ich hatte den Angreifer nicht registriert, welcher in meinem toten Winkel dort gelauert hatte. Durch diesen Schmerz abgelenkt sah er sich am Ziel und holte mit seinem Schwert aus. Er traf! Mich durchfuhr erneut ein brennender Schmerz, welcher mich auf die Knie zwang. Dieses Arschloch hatte meinen Oberschenkel getroffen, den Stoff durchtrennt und eine tiefe Wunde gerissen!
Wie in Trance stand ich aber wieder auf! Nein, keine Schmerzen! Er hat den Tod für seine Tat verdient! Zeig es ihm!
Ich schwang mein Schwert mit einer ausladenden Bewegung um mich herum und ich traf, aber nicht nur ihn, nein auch meinen Mitstreiter und einen anderen Angreifer! Dieser sackte mit einer klaffenden Wunde am Bauch vor mir zusammen und ich sah, wie seine Innereien auf den Boden klatschten. Es war widerlich!
Unbeirrt ging ich zum nächsten über. Dieser zog sich mit geweiteten Augen vor Angst immer weiter vor mir zurück.
„Geht weg! Kommt mir nicht zu nahe! Ihr… ihr seid mit dem Teufel…“ ach halt deine verdammte Fresse! Ich zog meine Pistole, zielte und drückte ab. Mit einem klaffenden Loch in der Stirn fiel der Mann hintenüber und direkt einer meiner Begleiterinnen vor die Füße.
Ich grinste sie an, weil sie ein nettes Spränkelmuster auf ihrem Gesicht hatte, so als hätte man mit einem Farbpinsel gespielt!
„Mistress Kenway!“ ihre entsetzte Stimme drang wie durch einen Schleier aus Watte zu mir. Ich sah in ihre braunen Augen, sah sie auf mich zu kommen und dann spürte ich ein Klatschen auf meiner Wange. Erst jetzt nahm ich wahr, dass ich haltlos lachte und ließ mich auf den Boden sinken!
Um mich herum lagen Tote und … mein Mann! Aus einer Wunde am Oberkörper floss Blut und seine Montur war schon völlig durchtränkt! Und als hätte man mir einen Eimer Wasser über gegossen schrak ich hoch, eilte zu meinem Templer und versuchte mit ihm zu sprechen.
Über seine Lippen kam nur ein „Verdammt noch mal, pass doch auf…“ dann sank er, wie vorhin schon, bewusstlos zur Seite.
Dann ging alles recht schnell. Unsere Mitstreiter brachten ihn so schnell wie möglich zu Dr. Crawford, besser sie orderten ihn zur Kenway-Villa. Ins Krankenhaus konnten wir nicht, weil wir das hier nicht erklären konnten.
Ich hingegen ging etwas widerwillig hinunter, weil man mir mitteilte, dass es eine Überlebende gab. Ich musste mich auf unsere Begleiter verlassen, die meinen Mann hoffentlich heile nach Hause brachten. Ich atmete erleichtert aus, weil ich vermutlich nicht sehr hilfreich in dieser Beziehung gewesen war, im Gegenteil.
In dem ehemaligen Ess- und Wohnzimmer hockte eine Frau auf einem Stuhl und sah zornig von einem zum anderen.
Ich bekam einen kurzen Bericht, dass es nur ein paar Schnittverletzungen gab, aber keine Toten aus den eigenen Reihen zu beklagen seien.
Man begann die anderen Verstorbenen beiseite zu schaffen und ich machte mich daran, die Befragung aufzunehmen.
Als man mir noch die Kisten hierher brachte, konnte ich mir auch noch deren Inhalt zu Gemüte führen. Ich staunte nicht schlecht, ich fand tatsächlich einige Schriftrollen, welche ich den Isu zuordnen konnte. Es war dieses elektrische Kribbeln, wenn ich sie berührte. Aber ich sah auch, dass es zwei größere Metallkistchen gab, welche ich so ohne Hilfe gerade nicht öffnen konnte.
„Bringt diese Truhen bitte alle zu unserem Büro in den gesicherten Keller und stellt entsprechende Wachen auf!“ befahl ich, bevor ich mich der gefesselten Dame wieder widmete.
Mir standen noch zwei Brüder zur Seite und bewachten das Verhör.
Ich erfuhr, ihr Name war Milena Sartori, sie kam aus Bulgarien und hatte sich hier einer Gruppe von Immobilienmarklern angeschlossen. DAS war ja noch richtig nett ausgedrückt.
„Aha, ihr seid euch sicher, dass es nicht irgendwelches einfaches diebisches Pack ist, welchem ihr euch angeschlossen habt?“ ich konnte mir dieses Grinsen nicht verkneifen.
„Bin ich, Miss. Und ihr seid immer noch nicht dahinter gestiegen, was euer Mann eigentlich für ein Tyrann ist!“ spuckte sie mir vor mir die Füße.
„So so, ein Tyrann. Habt ihr ihn also schon in Aktion erlebt, ja? Was hat er mit euch armen kleinen Mädchen denn gemacht? Euch böse angesehen?“ dieses Lachen klang unheimlich, welches aus meinem Mund kam.
„Ihr habt doch keine Ahnung! Ihr seid so dumm, dass es schon wehtut!“ fauchte sie mich an. „Haytham hat meine Familie ausgelöscht bei einem Auftrag, hat mich aber leben lassen, damit ich allen davon berichten kann, wie er mit Verrätern umgeht!“ ihre Wut prallte an mir ab, weil ich mir das nicht vorstellen konnte. DAS würde er nicht tun, oder doch?
„Wann soll das gewesen sein, Miss?“ ich stand mit verschränkten Armen vor ihr und sah sie fragend an.
„Vor EURER Zeit anscheinend. Oh ich verstehe, Haytham hat euch nie wissen lassen, dass er alles was nicht bei drei auf den Bäumen war, in sein Bett gezerrt hat, nicht wahr?“ ihre fiese Lache ließ mich immer zorniger werden. Nein, mein Mann würde sowas nie tun, auch wenn er sich mit einigen Waschfrauen oder Frauen von Herbergswirten vergnügt hat. Nein… einfach unmöglich!
Plötzlich fühlte ich einen stechenden Schmerz in meinem Kopf und es war, als würde man mir ein glühendes Eisen ins Auge rammen wollen! Aber es war nicht so, dass ich eine Vision hatte, nein, ich sah wieder klarer und als ich in die Augen dieser Frau sah, wurde mir bewusst, dass sie mich einfach nur versucht hatte zu provozieren. Auch sie schüttelte ihren Kopf, sah mich entsetzt an und öffnete den Mund. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, sah ich, wie aus ihrer Brust Blut rann und sie starrte ebenfalls darauf.
„So war das nicht abgemacht…“ hauchte sie noch und dann fiel ihr Kopf auf ihr blutiges Dekolleté!
Ich hörte noch ein leises diabolisches Lachen. Dann stand ich mit den Wachen und der Toten in diesem Zimmer.
„Mistress Kenway! Ist alles … was war das gerade? Wer hat diese Frau erschossen?“ Erschossen? Wie kam der Mann darauf. Er eilte zu einem der Fenster und sah hinaus. „Der Schütze muss auf einem dieser Dächer gewesen sein!“ er rannte zur Eingangstür und war verschwunden.
Als ich mich zur zweiten Wache umsah, blickten mich rotglühende Augen an.
„Das war ja leichter als gedacht! Und jetzt… reden wir!“ ich spürte wie ich in diesem Rot versank und befürchtete ich würde ertrinken!
Ich schlug die Augen auf, aber ich war nicht ertrunken, ich lebte… noch!
Langsam nahm mein Kopf seine Umgebung wieder wahr. Ich saß auf dem Boden eines spärlich beleuchteten Raumes und in der Ecke flackerte ein Feuer in einem kleinen Ofen. Ringsum waren die Wände aus Holz, so auch der Boden auf welchem ich hockte.
Die Angst, so gefesselt zu sein, bestätigte sich Odin sei Dank nicht.
Vorsichtig stand ich auf und hielt mich für einen Moment an einem kleinen Tischchen fest, weil sich alles drehte.
„Ahhh, schön! Du bist wieder wach! Willkommen in meinem bescheidenen Heim!“ vernahm ich eine mir bekannte Stimme, auch wenn ich sie immer nur in meinem Kopf gehört hatte. Eugene!
„Und euer Heim ist WO genau?“ fragte ich mit lahmer Zunge. Es fühlte sich an, als wäre ich nach einer langen Narkose wieder wach.
„Naaaaaa, das weißt du doch! Wo solltest du nach mir suchen lassen? Hmmmm? Dein kleiner Handlanger ist ja leider nie wieder bei dir angekommen. So ein Pech aber auch!“ dieses zynische konnte sich der Bastard abschminken! Nicht mit mir!
„WAS willst du, sag es einfach!“ in diesem Moment spürte ich, dass ich kaum Kraft zum Reden hatte. Ich wollte hier einfach weg! Verzweifelt begann ich nach einem Fluchtweg zu suchen!
„Ich WILL gar nichts! Ich WÜNSCHE etwas! Etwas, dass nur DU mir geben kannst!“ ein leises Kichern ließ mich aufhorchen. Ich drehte mich in die Richtung, aus der die Stimme kam und sah, wie ein Herr nur mit Hemd bekleidet auf einem großen mit Fellen ausgekleidetem Bett saß. Sein Blick auf mich geheftet, klopfte er auf die andere Seite des Bettes. „Komm schon. Es ist kalt und ich weiß, du magst es, wenn man dich wärmt.“ bei diesen Worten überkam mich eine unglaubliche Übelkeit.
Eugene saß dort wie ein Pascha und wusste, dass er immer seinen Willen bekam. Hrymr musste es ihm schon von klein auf eingetrichtert haben… Hrymr… die Mauer… Warum war ich hier?
„Nicht schon wieder, Schätzchen! Du bist wieder auf den alten Trick reingefallen. Deine Mauer hält nicht, du bist einfach zu schwach und jetzt lass mich dir zeigen, dass du es hier viel besser haben wirst und wir gemeinsam eine Weltmacht aufbauen können!“ etwas in seiner Stimme ließ mich stutzen und ich begann mich zurück zuziehen.
Ich konnte es, ich war mir sicher! DAS war nicht real hier! Aber es würde mich ein Stück weiter bringen, wenn ich wüsste, was dieser Gott wirklich will.
Also ging ich langsam auf sein Lager zu, in meinem Kopf begann sich eine Art unsichtbare Barriere zu bilden. Es waren die Bilder meiner Familie, Bilder meiner Freunde und meiner Schwester im Geiste. Je näher ich diesem Schlafplatz aus Fellen kam, um so mehr verspürte ich diese Ruhe in mir, die Angst wich einer Neugierde.
Eine flüsternde Stimme drang zu mir durch.
Lass es zu, du wirst durch einen Moment gehen, welcher dir nicht gefallen wird, aber dann werden wir Klarheit haben.
Und schon war sie wieder verstummt.
Meine Hände stützten sich auf die Bettkante, dann krabbelte ich ganz hinauf, an die Seite von Eugene. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich nur ein leichtes Unterkleid trug. Plötzlich überkam mich doch Panik! Nein, ich wollte nicht mit ihm schlafen müssen um zu erfahren, was er wirklich im Schilde führte! Das geht dann doch zu weit…
„So ist es brav, mein Schätzchen. Ich habe so lange auf dich warten müssen. Damals bei der alten Frau mit dem Armreif bist du mir einfach durch die Lappen gegangen. Das passiert nicht noch einmal.“
Er drückte mich mit seinem Körper auf die Matratze, seine Finger fuhren an meinem Körper entlang. Die Augen waren immer noch rotglühend, aber in ihnen loderte Lust auf.
Nein, ich war verheiratet! Ich liebte meinen Mann! Ich wollte nur meinen Templer solche Sachen mit mir machen lassen!
Mi sol, ich bin doch da. Hab keine Angst, niemand wird dir etwas zuleide tun.
Diese dunklen grauen Augen sahen mich verliebt an und ich beruhigte mich. Hatte ich das alles… Moment! NEIN! Ich nahm ein winziges Glimmen in dieser Iris wahr, es war nicht mein geliebter Templer! Und mit einem Male nahm ich auch diesen Geruch von Rauch wahr, es roch modrig und zugleich nach Winter! Kein Lavendel, keine Seife!
Lass dir nichts anmerken, mein Kind. Mach weiter!, warum zwang mich mein Göttervater dazu?
Im nächsten Moment tat ich, was ich am besten konnte. Ich schloss die Augen und ging in meine Dachkammer. Ich wollte von alle dem nichts mitbekommen.
„Naaaaaaa, du wirst dich nicht vor mir verschließen können. Ich brauche dich ganz und dein Verstand ist es, welcher mir wichtig ist! Also… SIEH MICH AN!“ seine Stimme wurde ungehaltener und wütender.
Im wahrsten Sinne des Wortes wollte er ALLES von mir, er wollte mich im Ganzen nehmen!
Ein Nachfahre, er wollte ein Kind. Etwas, dass ihn mit noch mehr verband als nur den alten Welten! Mit mir hätte er diese Möglichkeit!
Immer höher schlugen die Wellen der Panik und Angst in mir empor. Ich wollte nicht schwanger werden, nicht von diesem Gott! Nein…
Bilder aus den Katakomben flimmerten in meinem Kopf auf!
Ich begann mich mit Händen und Füßen zu wehren!
Ich schrie ihn an, bettelte um Gnade!
Ich weinte und wollte, dass es aufhört!
Nein, ich wollte das nicht!
Scheiß auf das Schicksal!
Und scheiß noch mal auf die verfickten Götter!
In mir schrie alles nach Erlösung, mein Körper bäumte sich auf und begann sich wie von alleine zu wehren!
„Halt still du verdammtes Miststück! Ich hätte dich wohl doch lieber anders hierher gebracht!“ ich schlug auf ihn ein, riss an seinen Haaren, biss ihm in die Hände, die Finger, die Schulter…
Ich nutzte alles was ich konnte… dann spürte ich einen Gegenstand in meiner Hand, es war ein kleines Messer! Mein geheiligtes Stiefelmesser… Ohne nachzudenken stieß ich einfach zu… immer und immer wieder…
Meine Hand war nass vom Blut meines Vergewaltigers, welcher mit leerem Blick halb auf mir lag!
Schwer atmend schob ich dieses Arschloch von mir, erhob mich und ging zu der Waschschüssel in der Ecke. Eine gefühlte Ewigkeit stand ich dort und schrubbte meinen Körper mit der Seife und dem Lappen… mein Körper zitterte und mein Verstand versuchte nun alles zu verpacken.
Dies hier war eine fiktive Welt, sie war nicht echt! DAS gerade war nicht passiert, es war Einbildung! Beruhige dich! Wo warst du zuletzt? Was hast du zuletzt gesehen!
Verdammt noch mal. Es war nur ein kleiner Schritt! Warum konntest du nicht einmal das tun, was ich verlange?
Elias Stimme drang wutentbrannt in meinen Kopf und ließ mich zusammenzucken. Eiskalt, skrupellos… er war nicht immer der liebe nette Gott!
Keine Erkenntnis ist es wert, sich einer Vergewaltigung hinzugeben! Außerdem weißt du doch jetzt, was er will. Er will einen übermächtigen Nachfahren haben! Sieh doch selber zu, wie du das hinbekommst! Fauchte ich zurück und suchte nach etwas, was nach Kleidung aussah. Ich wollte mehr als nur dieses Unterkleid tragen!
Als mein Blick auf die Blutgetränkten Felle fiel, war mein Peiniger verschwunden und ich sackte auf die Knie! Ich war sogar zu blöd in so einer fiktiven Situation etwas richtig zu Ende zu bringen!
Ich hatte ein paar notdürftige Sachen gefunden und zog mich hastig an. Dann ging ich Richtung der kleinen Holztür, sah mich aber noch einmal um. Irgendetwas musste hier sein, was mich eventuell bei einem erneuten „Besuch“ daran erinnern könnte, dass das hier fiktiv war. Und dann sah ich es!
Auf der linken Seite des Raumes hing ein Bild, es war aber von Monet! Oder zumindest ein Nachdruck. DAS konnte nicht im 18. Jahrhundert existieren! Somit hatte ich einen weiteren Punkt, welcher mich hoffen ließ, dass ich langsam Trugbilder von der Realität unterscheiden konnte.
Ich trat hinaus und stand auf dem Innenhof eines Häuserblocks! Es schneite, es war kalt und ich hörte murmelnde Stimmen hinter mir.
„Mistress Kenway, geht es euch nicht gut? Ihr… seid plötzlich hinausgerannt und habt euch übergeben! Soll ich nach einem Arzt schicken?“ diese Worte kamen von einer Schwester aus dem Orden, welche besorgt neben mir kniete und mich wieder hochzog.
„Danke, mir geht es schon viel besser. Vermutlich lag es an dem ganzen Blutgeruch im Haus.“ murmelte ich verlegen und wir gingen wieder hinein.
Die Dame, welche wir eigentlich verhören wollten, hing immer noch tot auf dem Stuhl.
„Man hat von dort drüben…“ man zeigte nach draußen durch das kaputte Fenster. „.. auf sie geschossen. Sehr präzise, wenn ich ehrlich sein soll. Die Entfernung ist schon erschreckend, dass schafft kaum ein gut geübter Scharfschütze.“
Oh nein, hatte Master Franklin etwa meinen Gedanken aufgegriffen und die Gewehre entsprechend schon aufrüsten lassen? Und schon hörte ich die Bestätigung.
„Das ist schon recht faszinierend, findet ihr nicht. Dieser Franklin hat wirklich die Augengläser perfektioniert für ein Gewehr. Das ist…“ ich ließ ihn nicht ausreden.
„Das ist total Scheiße! Wie ihr seht hatte ich so keine Chance auf eine Befragung. Sprich, in Zukunft muss man in einem abgesicherten Raum OHNE Fenster solche Verhöre stattfinden lassen.“ in meiner Wut war ich in mein altes 21. Jahrhundert-Ich gefallen!
„Verzeiht, Mistress Kenway, so habe ich es noch nicht betrachtet.“ Bei Odin, jetzt werd doch nicht auch noch so kriecherisch… Bevor ich aber vollends aus der Haut fahren konnte, ließ ich mich nach Hause bringen! Die Truhen wurden wie besprochen ins Büro, oder besser Hauptquartier hier gebracht und ich sollte dringend nach meinem Mann und meinen Kindern sehen!
Dort angekommen rannte mir Edward schon entgegen und umarmte mich stürmisch.
„Mama, Papa hat große Schmerzen!“ seine Stimme zitterte und ich drückte ihn an mich.
„Ich weiß, min lille skat. Wir werden ihn beide wieder gesundpflegen.“ flüsterte ich und dann sah ich, wie Sophia mit Florence an der Hand zu uns kam. In den Augen meiner Tochter loderte eine Wut, welche mich erschreckt zurückweichen ließ.
„Flo hat… sie hat… Mama… du hast Papa wehgetan…“ in diesem Moment verfluchte ich alle Götter, die ich kannte! Warum ließen sie so etwas zu. Unsere Kinder waren noch zu klein um das alles zu verarbeiten! Jetzt ließ man mich hier alleine zurück und ich müsste es den beiden erklären?
Ihr seid so unfair! Ich will das nicht mehr! schrie ich und rannte nach draußen ohne weiter auf meine Kinder zu achten!
Werd nicht ungerecht! Wir sind immer an deiner Seite und wir haben dir… dieses mal aber ließ ich Elias nicht ausreden! Nein!
Ich? Ungerecht? Wer hat mich denn in dieses Abenteuer geritten? Wer hat mich nicht aufgeklärt, sondern mich ins kalte Wasser geworfen? WER klärt mich erst nach und nach, Häppchen für Häppchen auf? SAG MIR! WER war es denn? Ich wollte es nicht, ich wurde einfach dazu verdammt! Ich hörte, wie sich meine Stimme überschlug dabei, dazu kam, dass ich nicht alleine sprach!
Ich stand in der kalten Dezemberluft draußen im hinteren Hof und versuchte mich zu beruhigen. Tief durchatmen.
„Alex, sieh mich an. Bitte!“ hörte ich Edward Seniors Stimme neben mir und spürte seine Arme um mich herum.
„Nein, ich will das wirklich nicht mehr. Das war heute einfach zu viel. Glaub mir, ich kann viel wegstecken, aber … nein! Das war einfach zu viel verlangt. Macht es doch alle selber! Ihr habt doch auch die Möglichkeit dazu. Täuscht dieses Arschloch oder sonstewas! Ich werde das sicher nicht über mich ergehen lassen, weil Hrymr einen Nachfahren haben will um über ALLE Welten und Zeiten herrschen zu können.“ Im Grunde war es genau das, was dieser abtrünnige Gott wollte. ER wollte der Herrscher über alles sein.
Doch er wäre nicht alleine, weil noch die Isu hinzukämen, die von der anderen Seite… Edward lächelte mich wissend an.
In diesem Moment kam mir die entscheidende Erkenntnis!
Faith war mir an die Seite gestellt worden um genau dieses Szenario nicht Wahrheit werden zu lassen. Ihre Fähigkeiten, die ihres Vaters oder besser die ihrer gesamten Familie, sollten im Grunde diesen Übergriff zusätzlich unterbinden. Bis es jedoch soweit war, würden noch Jahre vergehen, weil es einfach zu viel vorher zu bereinigen galt!
Mit einem Male beruhigte ich mich, mein Geist fuhr runter und ich spürte diesen Ruhemantel über mir. Dieses Mal war es sogar ein echter aus Wolle, welchen mir mein Schwiegervater überwarf, damit ich nicht fror.
Seine Arme umschlossen mich und ich lehnte mich seufzend an ihn.
„Du hast verstanden, oder? Nichts passiert, ohne vorher kalkuliert worden zu sein. Auch wenn es für dich vorhin willkürlich erschien, es wäre nie zu dieser Zeugung gekommen. Weil die Faktoren nicht zusammen passten. Du hast verstanden, dass es keine Realität war, und unser Göttervater wollte nur mehr über die Absichten von Hrymr erfahren. Hättest du nur ein paar… Minuten weiter durchgehalten, dann wüssten wir, was noch in seinem Hinterkopf steckt.“ seufzend fuhr er fort. „Und nein, ich mache dir keine Vorwürfe. Wir werden es sicher noch später herausfinden. Fürs erste versprich mir, dass du meinen Sohn wieder gesundpflegst. Schließlich hat er wegen dir sehr viel Blut verloren und ist bestimmt auch nicht gut zu sprechen auf dich!“ seine doch sehr zynische Sichtweise war beruhigend. Warum schaffte es mein Pirat immer wieder mich in diese entspannte Stimmung zu bringen?
Ich lächelte zu ihm auf und gab ihm einen Kuss. Mir war danach! Seine Lippen fühlten sich… gut an… die Erwiderung konnte ich ebenso spüren… Wie aus einem Mund kam es „Ich vermisse dich!“ aber im selben Moment lösten wir uns lächelnd voneinander, weil wir beide wussten, dass dieses Vermissen ein anderes war, als das was wir bei unseren Partnern hatten!
Die Küche war leer, als ich wieder eintrat. Ebenso die Eingangshalle. Aus dem Salon hörte ich die Stimmen meiner Kinder und ging etwas zögerlich darauf zu. Einmal tief durchatmen und ich öffnete die Tür.
„Mama! Geht es dir wieder besser?“ flüsterte mein Sohn mir zu und klammerte sich an mein Bein.
„Ja, es geht mir besser. Das war ein seltsamer Tag und diese bösen Kapitäne sollten wir ganz schnell von hier vertreiben. Hilfst du mir dabei, deinen Vater zu pflegen, min lille skat?“ ich drückte Edward an mich, konnte aber kaum die Tränen zurückhalten.
„Mama… Papa aua!“ jammerte Florence an meiner Seite und auch sie nahm ich meine Arme.
„Wir werden ihm helfen, ja? Bald geht es ihm wieder gut!“ flüsterte ich und langsam beruhigte mich.
Ich nahm Florence auf den Arm und Edward an die Hand. Gemeinsam gingen wir hinauf in Haythams ehemaliges Kinderzimmer. Doktor Crawford hatte noch einige Medikamente und Anweisungen hinterlassen, war aber guter Dinge wieder von Dannen gezogen. Mein Mann war doch recht robust und würde diesen Blutverlust mit ein paar Tagen Bettruhe sicher gut überstehen.
Jennys Erklärung war sachlich, hatte aber auch einen gewissen vorwurfsvollen Unterton dabei.
„Es tut mir leid, ich wollte das doch nicht…“ sprach ich leise, als ich auf Haytham hinuntersah, welcher blass und mit einem Schweißfilm auf dem Gesicht im Bett lag.
„Ich habe gesehen, was passiert ist.“ unvermittelt drehte mich Jennifer zu sich herum. „Wie ist das überhaupt möglich? Hat es mit diesem Armreif zu tun?“ irritiert blickte ich von meinem Mann zu ihr.
„Ja, so könnte man es im Groben sagen…“
Ich brachte an diesem Abend zwei unruhige Kinder ins Bett, welche vermutlich diese schrecklichen Bilder immer noch vor Augen hatten. Aber ich konnte nicht in ihrem Geist für Abhilfe sorgen! Verdammt!
Glaubst du ernsthaft, dass es immer so leicht sein wird, mein Kind? Du kennst unseren Einfluss, weißt um unsere Macht. Auch ist Hrymr daran beteiligt gewesen, weswegen es nicht so einfach mit den Trugbildern ist. Edward und Florence werden auch noch lernen müssen. Aber Brünhild und Thor werden sie wieder zur Ruhe bringen. Vertrau uns!
Ha! Das war ja wohl ein schlechter Witz!
Erst lässt man sie den ganzen Kampf mitverfolgen und dann soll ich darauf vertrauen, dass die Götter meine Kinder wieder beruhigen? Ein Widerspruch in sich. Zumindest hörte es sich für mich so an.
Vielleicht möchte ich es damit wieder gutmachen, mein Kind? Schon einmal daran gedacht?
Der Göttervater klang tatsächlich gekränkt, ich hingegen überging das und sang meinen Kindern noch etwas vor.
Als beide dann eingeschlafen waren, ging ich zurück zu Haytham. Auf der Bettkante sitzend strich ich ihm über seine gerötete Wange. Das Fieber war noch nicht abgeklungen, also wechselte ich den kalten Lappen auf der Stirn noch einmal.
„Es tut mir so leid, mi amor. Ich wollte das nicht. Ich habe dich überhaupt nicht gesehen.“ flüsterte ich, nahm seine Hand und hielt sie an meine Wange.
„Alex, er wird genesen. Dr. Crawford war da sehr zuversichtlich. Vergiss nicht, in Frankreich hat er damals auch die Stichverletzung überstanden. Wir müssen nur Geduld haben.“ sprach Jenny leise neben mir und ihre Finger strichen über meine Schulter.
„Geduld. Die habe ich nicht. Außerdem plagt mich das schlechte Gewissen!“ ich wurde lauter. Ein leiser Zorn auf mich selber kroch in mir hoch.
„Lass uns hinunter gehen, du brauchst auch etwas Ruhe. Michael wird auf seinen Herrn achten und wenn etwas ist, Bescheid geben. Komm.“ sie zog mich hoch und etwas widerstrebend folgte ich ihr, nachdem Haytham noch einen Kuss von mir bekommen hatte.
Aus den Augenwinkeln sah ich plötzlich ein sanftes Leuchten um meinen Mann herum. Aber niemand sprach mit mir, geschweige denn hörte ich überhaupt etwas. Nur der schwere Atem des Patienten war zu vernehmen.
Die Heilung begann!
Unten im Salon erwartete uns nicht nur Daniel, sondern auch noch Finley! Ihn hatte ich in dem ganzen Trubel völlig vergessen!
Bevor er jedoch die Eheleute Mormon bitten konnte, den Raum zu verlassen, sagte ich, wir könnten uns im Arbeitszimmer unterhalten.
Ich schloss leise hinter uns die Tür und für einen Moment herrschte eine mehr als unangenehme Stille zwischen Loki und mir.
„Ich weiß, wie du gerade fühlst. Man sieht es dir an. Genau in diesem Moment aber setzen wir die Genesung deines Mannes in Gang. Dennoch wird es etwas dauern, bis er ganz wieder auf den Beinen ist, weil dein Schwerthieb mehr als mächtig gewesen sein muss.“
„Hätte ich nicht so weit ausgeholt, dann hätte ich diesen Angreifer aber nicht abwehren können…“ sprach ich leise grübelnd. Dabei sah ich auf meine Hände, weil ich mich selber fragte, woher diese Kraft wirklich gekommen war.
„Wie ich sehe, hast du noch nicht ganz begriffen, dass du nicht nur die Waffen deiner Vorfahren, ihren Geist und ihre Fähigkeiten in dir hast, sondern dass auch ihre Stärke in dir ist! Wir werden wohl auch für dich ein kleines Training beginnen müssen, damit du das alles steuern kannst in einem Kampf.“ Finley hatte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch gesetzt und ich tat es ihm gleich.
„Wann beginnen wir damit?“ plötzlich hatte ich wieder einen gewissen Tatendrang in mir.
„Wenn du willst, gleich morgen! Vielleicht sollten wir auch gleich Edward dazu holen! Ich freue mich schon, ihm …“ ich schüttelte nur meinen Kopf.
„Nein, ich denke du solltest seinem Vater die ersten Kampfübungen übernehmen lassen. Ein bisschen hat mein kleiner Sohn ja schon gelernt, trotzdem möchte ich, dass dieses Privileg vorerst bei Haytham bleibt.“ Vor meinem inneren Auge hatte ich nämlich den enttäuschten und auch zornigen Blick meines Mannes schon gesehen, dass nicht er diese ersten Versuche überwachte.
„Natürlich, daran hatte ich nicht gedacht. Aber DU! Du wirst dich uns stellen und dann bin ich gespannt, wie du dich schlägst.“ ich hörte ein fieses Lachen von Loki, auch in seinem Gesicht spiegelte sich diese Vorfreude wieder!
Nachdem mich Magda dann umgekleidet hatte und ich endlich ebenfalls zu Bett konnte, legte ich mich erleichtert neben meinen Mann. Ich stützte mich auf einen Ellbogen und sah ihn an. Der Schweißfilm war nicht mehr da, aber seine Haut war immer noch warm.
„Verzeih mir, mi amor.“ hauchte ich und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Hmmmmmmm“ hörte ich ihn seufzen, dann herrschte wieder Stille zwischen uns.
Mein Arm und Bein schlangen sich um ihn, natürlich nur vorsichtig und langsam glitt ich in meine Traumwelt.
Wie versprochen erhielt ich am nächsten Tag das erste Kampftraining! Aber nicht nur irgendein Training, sondern eines der besonderen Art.
Im Freizeitraum des Anwesens sah ich mich Thor, Tyr, Odin, Loki… ach eigentlich waren sie ALLE anwesend und betrachteten mich grimmig.
„Wir sind hier und wir warten, mein Kind!“ maulte mein Göttervater mit verschränkten Armen vor der Brust.
„Ihr meint… aber WIE?“ fragte ich erstaunt nach.
Bevor aber eine Antwort kam, attackierte mich ein wütender Tyr ohne Vorwarnung. Er preschte auf mich zu, schwang sein Schwert mit einer ausladenden Bewegung in meine Richtung.
Gerade noch rechtzeitig konnte ich mein eigenes Schwert empor reißen um diesen Hieb abzufangen! Bei diesem einen Angriff blieb es nicht, nur leider hatte ich überhaupt keine Chance für einen Gegenangriff, weil er immer wieder mit seinem Schild meine Schläge unterbrach. Verdammt noch mal! Das war nicht fair!
Dachte ich noch, dass ich einen nach dem anderen abarbeiten konnte, hatte ich mich geirrt. Thor sprang ihm zur Seite und auch der Allvater ließ es sich nicht nehmen, fröhlich mitzumischen!
Einer Übermacht von DREI Göttern entgegentreten war nicht unbedingt das, was ich mir in einem Training in der ersten Stunde vorgestellt hatte. Aber zum Nachdenken hatte ich keine Zeit, weil schon der erste Speerhieb von Odin meine Flanke traf und mich zur Seite taumeln ließ.
„Konzentrier dich gefälligst, sonst wird es ein langweiliger Kampf!“ fauchte Thor und schwang seinen Hammer, welcher mir grelle Blitze und eine heftige Druckwelle entgegenschleuderte. Unsanft landete ich auf meinem Hintern, rappelte mich wütend hoch und rannte mit lautem Gebrüll auf die vor mir stehenden Götter zu.
„Na endlich! Jetzt wird es endlich spaßig!“ rief Loki lachend und auch er hatte jetzt einen Speer in der Hand, welchen er mich spüren ließ.
Als ich einen kurzen Blick auf meine Hände und meinen Körper allgemein werfen konnte, sah ich mich in seltsam anmutender Kleidung hier stehen. Ich hielt eine schwere Axt in meiner rechten und einen runden Schild in meiner linken!
Den Hieben und Schlägen konnte ich mit meinem Schild entgegenwirken und gleichzeitig war es mir möglich die Axt entsprechend meinen Gegnern entgegen zu schleudern. Moment? Warum hatte ich sie aber immer wieder in der Hand?
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Thor sich die Schulter hielt und erstaunt auf seine blutige Hand starrte.
„So haben wir nicht gewettet! Na warte!“ fauchte er und stürmte mit seinem großen Schwert schwingend auf mich zu. Die Breitseite traf mich völlig unvermittelt am rechten Oberarm und ließ mich aufjaulen! Mein Atem ging schwer. Aber ich fand zügig wieder in den Kampf.
Plötzlich war es, als würde ich eine Vision haben, ich sah, wie alle Götter gleichzeitig ihre Waffen gegen mich wandten!
Ich legte mir eine Reihenfolge zurecht und für den Bruchteil einer Sekunde blieb die Zeit stehen, in welcher ich mir eine Taktik vorstellen konnte. Dann lief alles wieder normal weiter. Ich war in der Lage zuerst Thor von seinem Schwert, welches er nun ergriffen hatte, zu befreien, indem ich ihm, mal wieder, den Unterarm aufschlitzte.
Danach war Loki dran, welcher mit seinem Speer und einem Dolch eine Attacke vor hatte. Mit einem schnellen Schlag meines Schildes flog sein Speer aus seiner Hand und sein Dolch wurde durch meine andere Waffenhand von ihm getrennt!
Nun war es an Odin, der seinen Speer auf den Boden rammte, dass es bebte und im selben Moment drosch er auf meinen Schild ein. Ich jedoch hatte es vorausgesehen und konterte mit meiner Axt unter diesem Schwung seiner Arme hindurch und schlug eine unschöne Wunde in die Seite meines Allvaters. Auch er taumelte zurück und sah mich entsetzt an!
Tyr! Er war noch als einziger unversehrt und immer noch in Kampflaune!
„Komm schon, Mädchen! Willst du nicht noch einmal meinen Oberkörper aufschlitzen? Anscheinend macht dir das ja Freude! Na LOS!“ schrie er mich an und ich sah plötzlich Haytham vor mir, welcher mit einer gewissen Enttäuschung im Gesicht vor mir stand.
Nein… nein … Freizeitraum… Kenway-Anwesen… Training mit den Göttern… und schon war er verschwunden und ich sah in Tyrs überraschtes Gesicht.
„Verdammt!“ zu mehr kam er nicht, als ich auf ihn eindrosch mit meiner Axt und gleichzeitig seine Schläge mit dem Schild abwehrte. Immer und immer wieder attackierten wir uns.
Dieser Gott hatte eine Ausdauer, die ich erschreckend fand.
Sein Schild traf mich einige Male im Gesicht, meine Axt traf immer wieder auf seine Arme. Wir gaben uns nichts!
Doch plötzlich schien mich mein Glück zu verlassen, weil ich mich seiner Schwertspitze gegenübersah, welche sich in meinen Hals zu bohren drohte, wenn ich nur eine winzige Bewegung machte. Ich spürte sogar schon ein warmes Rinnsal an meiner Haut herunter laufen!
„Ich könnte jetzt einfach zustechen, mit ein bisschen mehr Kraft! Zack und du wärst Geschichte! Mal wieder, Thyra!“ erschrocken blinzelte ich ihn an.
„Wie, schon wieder? Ich verstehe nicht…“ stotterte ich und versuchte mein Gleichgewicht nicht zu verlieren, aus Angst mir dann sein Schwert ganz in den Hals zu rammen!
Langsam entfernte Tyr den Stahl von meiner Haut und ging zwei Schritte zurück.
„Wir beide haben vor Jahrhunderten in einer Schlacht gekämpft, welche mehr als blutig ausging und keinen Sieger hervorbrachte.“ immer noch sah ich ihn völlig überrumpelt an.
Diese Schlacht fand 893 in der Nähe von Lunden dem heutigen London statt. Eigentlich sollte es schnell gehen, weil die Jarls sich mal wieder nicht ganz einig waren. Aufhalten konnte man es aber nicht mehr und am Morgen dieses Gemetzels traten die Soldaten des Königs Alfred der Große siegessicher auf das auserkorene Schlachtfeld.
Darunter Tyr, welcher aber bereits einem Feldherren des Königs zur Seite gestellt worden war.
„Sein Name ist unwichtig, weil er in keinster Weise etwas zur Sache tut.“ hörte ich Odin Augenrollend sagen, als ich nachhakte.
Das Ganze dauerte geschlagene 6 Stunden, dann waren mein Clan und deren Anhänger geschlagen. Einfach aus dem Grund, weil es eine neue Waffengattung gab, welche es den Angelsächsischen Kriegern erlaubte, aus noch größere Entfernung Brandladungen gezielt auf die Angreifern abfeuern zu können.
„Ich stand dieser Frau kurz vor der Kapitulation gegenüber, aber sie machte keine Anstalten klein beizugeben. Sie sah mich herausfordernd an, sagte kein Wort und ließ sich einfach auf mein Schwert fallen!“ in seiner Stimme klang ein gewisser Unglaube, aber auch große Anerkennung wieder.
„Du kanntest sie aber nicht, oder?“ ich fragte leise, weil ich eine Ahnung hatte…
„Doch, ich wurde ihrem Geliebten zugewiesen, schon weit vor ihrem Kennenlernen. Thyra war zum Zeitpunkt ihres Todes schwanger mit ihrem gemeinsamen Kind.“ ich starrte ihn ungläubig an! „Ich ließ ihn das wissen und aus Hass auf mich, oder sich selber, brachte er sich ebenso selber den Tod. Ich vermag es nicht mehr zu sagen.“ Tyrs Blick glitt zu Odin, welcher neben ihn trat.
„Wir können euch Menschen nicht immer leiten, jetzt verstehst du hoffentlich, was ich oft schon erwähnte. Ihr agiert nicht immer so, wie wir es wünschen. Oft seid ihr einfach unberechenbar!“ auch er klang etwas, das mag sich seltsam anhören, aber ernüchtert, würde ich es beschreiben.
Jetzt verstand ich auch, warum Tyrs menschlicher Körper damals nichts zur Sache tat! Das Kind wurde nie geboren, also ging man zu anderen über. Außerdem machte sich der Allvater genau wegen meiner Vorfahrin Vorwürfe. Sein Schutz hatte nicht gereicht, seine Lehrstunden waren unzureichend. Deswegen also wollte man bei mir auf Nummer sicher gehen und alles abdecken. Vom Kämpfen, übers Denken, das Handeln und … sogar meine Schwangerschaften?
„Ja, auch darüber haben wir unsere Hände gelegt in all den Jahren.“ hörte ich Fulla und neben ihr erschien Idun in ihrer leuchtenden Gestalt. „Thyra hat aber ein gesundes Kind bekommen, welches ihr genommen wurde und einem anderen Jarlspaar zugesprochen wurde. Eine Gegenleistung, welche damals nicht ganz unüblich war.“ völlig entgeistert stand ich in diesem Raum und hatte das Gefühl, als würde mir der Boden unter den Füßen weggerissen!
Ich hatte diesen Mann heute im Wald gesehen, wie er sich an einem kleinen Wasserlauf wusch. Zwischen ein paar Büschen versteckt, hatte ich ihn heimlich beobachtet. Ich weiß, dass sich so etwas nicht schickt, aber ich konnte meine Augen nicht von ihm lassen.
Doch als er langsam wieder in seine Kluft stieg, erschrak ich. Er trug die Robe der Angelsachsen! Vor Schreck fiel ich hintenüber und ein spitzer Aufschrei entfuhr meinem Mund.
„Wer da? Zeig dich!“ hörte ich diese tiefe Stimme, welche sich meinem Versteck jetzt schnell näherte.
Immer noch auf dem Hinterteil sitzend, versuchte ich mich davon zu schleichen, aber es war zu spät.
„Mädchen, was tust du hier?“ er sah zu dem kleinen Bach, dann wieder zu mir. Mit einem wissenden Grinsen sah er auf mich herab. „So ist das also. Du schaust gerne Männern beim Waschen zu, wie? Gehörst du zu diesen freien Weibern?“
Dieser Widerling glaubte ich würde gegen Silber…
„Nein, Herr!“ fauchte ich, rappelte mich hoch und wollte schon reiß aus nehmen. Er aber hielt mich am Arm fest. „Lasst mich… los!“ ich zerrte an seiner Hand, damit er mich losließ.
„Du verstehst mich also? Wie kommt es, dass du meine Sprache sprichst? Ihr Dänen seid doch sonst nicht so gelehrt!“ dieser Spott in seiner Stimme ließ mich wütend werden.
„Und du bist so ungehobelt, wie es euch Angelsachsen nachgesagt wird!“ keifte ich ihm ins Gesicht.
„Ungehobelt? Wer hat sich in Büschen versteckt und einen nackten Mann beobachtet?“ sein Griff wurde wieder fester und er zog mich an sich heran.
„Lasst mich los!“ und dann hob ich mit Schwung mein Knie. Ich traf recht gut, weil er kurz darauf keuchend von mir abließ und kotzend vor mir zusammensackte. Ich nutzte diesen Moment und rannte was das Zeug hielt.
Als ich völlig außer Atem in unserem Lager ankam, sah mich mein Chief erschrocken an.
„Sind sie wieder hinter uns her?“ sein Blick ging über meine Schulter.
„Nein…“ schmollte ich, weil es wie immer war. Wurde man Frauen gegenüber Handgreiflich, war das unwichtig. Aber sobald die Siedlung oder Clan bedroht wurde, war die ganze Sippe in Alarmbereitschaft!
Im Langhaus erwartete mich mein Bruder, welcher mit einigen Männer am Tisch saß und sich über die hiesige Lage beriet. Die Truppen des Königs formierten sich, aber jetzt im späten Winter mussten wir keinen Angriff fürchten. Also planten sie einen Einmarsch in das große Nachbardorf im Frühjahr, wie es aussah!
„Thyra! Komm her! Sofort!“ brüllte der Chief mich an und marschierte in seine Räume.
„Was hast du nur wieder angestellt, kleine Schwester?“ meinte Ragnall und grinste mich breit an. Die anwesenden Männer lachten ebenfalls und prosteten mir zu. „Viel Glück, möge dich Odin beschützen!“
Ich stand vor unserem Anführer, welcher mich nun auffordernd musterte. „Also! Ich warte!“
Stockend berichtete ich, was ich im Wald getan hatte und das mich dieser Soldat oder was auch immer er war, erwischt hatte.
„Thyra! Was ist das für ein Verhalten! Vielleicht sollten wir dir endlich deinen Gatten suchen! Es wird Zeit, dass dir jemand den Unfug aus dem Kopf treibt!“ seine Stimme erhob sich bei den Worten.
„Ja, Herr. Ich weiß…“ resigniert ließ ich die Schultern hängen und wollte gerade noch eine bissige Bemerkung hinzufügen, als wir laute Rufe und das Horn von draußen vernahmen!
„Angriff!“ und schon war ich unwichtig!
Ich warf mich in meinen ledernen Wams und schnappte mir meine Waffen und meinen Schild. Zusammen mit den anderen beiden Schildmaiden schritt ich auf den großen Vorplatz und gemeinsam mit den Männern stellten wir uns den Angreifern.
Es waren insgesamt 50 Mann, welche zum Teil zu Pferd in unser Lager preschten! Es waren Alfreds Leute, soviel wusste ich von den Bannern schon. Sie waren überall präsent um uns herum.
Wir waren jedoch in der Überzahl und der Überfall an sich dauerte nicht lange. Auch wenn die Männer des Königs zäh waren!
Zwei von ihnen droschen gleichzeitig auf mich ein mit ihren Schwertern. Dieser Stahl war härter als unserer und ich hegte die Hoffnung, endlich auch einmal so eines als Siegestrophäe zu bekommen!
Ich verteidigte meine Sippe und das Lager, so gut ich konnte. Meine beiden Soldaten versuchten es immer wieder aus der Höhe, weil ich wesentlich kleiner als sie war. Mit meiner Gegentaktik rechneten sie aber anscheinend nicht.
Ich duckte mich unter ihren Armen hinweg und hieb ihnen meinen Schild in die Seite und den einen Mann brachte ich sogar zu Fall, in dem er meine Axt direkt in den Rücken bekam. Leider hatte ich aber den Knochen getroffen und hatte meine Mühe, die Schneide wieder aus seinem leblosen Körper zu bekommen.
Das nutzte sein Kumpan nun aus und dachte, er hätte leichtes Spiel mit mir.
Seine Schwertspitze riss das Leder an meinem Oberarm entzwei und ich spürte einen brennenden Schmerz. Dann holte er erneut aus und traf meine linke Wange. Das Blut lief warm an meiner Haut herunter…
Plötzlich loderte eine immense Wut in mir auf und ich entriss dem toten Mann zu meinen Füßen sein Schwert! Ich hieb auf meinen Angreifer ein und traf.
Zuerst nur leicht auf seinem Oberschenkel, dann holte ich aus und sammelte meine letzten Kraftreserven. Dieser Schlag durchtrennte die Kehle des Soldaten. Ehe er noch reagieren konnte, sackte er röchelnd vor mir auf die Knie und kippte dann zur Seite weg.
Schwer atmend stand ich über ihm.
„Unterschätze nie eine Schildmaid, Arsling!“ und trat ihm mit voller Wucht in die Seite.
Langsam kam ich wieder zu Atem. Der Kampf war vorbei und um uns herum lagen Verwundete und zahlreiche Tote.
„Zur Abschreckung werden wir ihre Toten vor der Siedlung an Pfähle binden!“ schrie der Chief und seine Männer stimmten ihm mit lauten Götterpreisungen zu!
Ich selber versuchte nun meine Axt zu retten, was mir auch gelang und ging mit meinen beiden Mitstreiterinnen zu dem kleinen Bach hier in der Nähe. Dort konnten wir uns notdürftig waschen und etwas zur Ruhe kommen.
Kaum dass wir wieder bei der Sippe waren, hörten wir schon von weitem die Rufe nach Essen, Met und Ale. Sie hätten es sich nach diesem Sieg verdient!
Also ging ich in meine Hütte und zog mir mein Kleid an, flocht meine Haare und ging meinen Aufgaben nach. Es war immer so. Im Kampf gehörten wir dazu, danach waren wir fürs Essen und Bett zuständig.
„Thyra, wenn du weiter so missmutig schaust, leg ich dich hier vor allen übers Knie! Hast du mich verstanden!“ maulte mein Bruder mich an.
„Ragnall, DAS ist eine hervorragende Idee. Zeig uns, wie du deiner kleinen Schwester ihren Platz deutlich machst.“ ich schluckte schwer, setzte ein breites Lächeln auf und goss den Kriegern ihren Met ein. Ihre Hände landeten nicht nur an dem Fleisch auf ihren Tellern, sondern auch auf dem Fleisch meines Hintern.
Diese Siegesfeier endete wie so viele davor. Irgendwann grölte diese Schar der Krieger nur noch irgendwelche Heldenlieder und lag kurz darauf schnarchend auf den Bänken, dem Boden oder in einem Bett der freien Weiber.
Irgendwann durfte auch ich mich dann zu meinem Nachtlager begeben und warf mich einfach auf die Felle. Ich war nur noch müde…
„Psssssssst… Mädchen…“ zischte es aus der hinteren Ecke meiner Hütte und ich schrak hoch. Die Stimme hatte ich doch heute schon einmal gehört.
„Was willst du.“ sprach ich leise, weil ich niemanden hier wecken wollte. Ich war hier ja nicht alleine!
Zwei Hände zogen mich hoch und hinter sich her ins Freie. Wir bogen Richtung Wald ab, durch eine kleine Öffnung des Schutzwalls. Ich musste das morgen unbedingt melden, hier bestand Reparaturbedarf.
Etwas abseits ließen mich seine Hände los und ich sah im fahlen Mondlicht, dass es wirklich der Soldat von heute Vormittag am Bach war.
„Ich… habe euch vorhin beim Kämpfen beobachtet.“ seine Finger deuteten auf die Bäume.
„Du hast dich in den Ästen versteckt? Bist du ein Feigling?“ fragte ich neugierig.
„Nein… also… das war nicht meine Einheit, die euch angegriffen hat!“ seine Stimme klang wütend.
„Und was willst du jetzt, Herr?“ ich war etwas zu müde, um noch einen klaren Gedanken finden zu können.
„Können alle Frauen bei euch so kämpfen? Du bist sehr geschickt mit der Axt umgegangen…“ bevor er weitersprechen konnte, keimte in mir die Angst hoch, er könne uns einfach nur ausspionieren!
„Das geht dich nichts an!“ fauchte ich zurück.
„Du glaubst, ich werde sofort meinem König von hier berichten, nicht wahr?“ ein tiefes Seufzen, so als wäre er böse mit mir, war zu hören.
„Ja, das tust du doch auch. So wie alle anderen auch!“ mein Instinkt und das was ich bisher erfahren hatte, ließ mich so reagieren.
„Nein, das werde ich nicht. Wie kann ich dich überzeugen?“ für einen Moment sah er mich lächelnd an, dann rollte er mit den Augen. „Du hast Angst um deine Familie, richtig? Aber ich werde dir zeigen, dass sie unbegründet ist!“ mit diesen Worten ließ er mich hier stehen und verschwand in der Dunkelheit der Bäume!
Ich konnte nur mit dem Kopf schütteln, wandte mich dann um und ging wieder zurück. In dieser Nacht tat ich kein Auge mehr zu!
Immer wieder sah ich diesen Mann am Bach mit nichts als seiner Haut am Körper!
„Thyra! Wach endlich auf!“ rief die Clanmutter und warf mir meine Arbeitstunika zu! „Hier, du bist heute morgen für das Frühstück zuständig. Und beeil dich gefälligst!“
Gähnend erhob ich mich und nahm aus der kleinen Wasserschüssel meinen Lappen, wusch mir durchs Gesicht und kämmte meine Haare. Danach begann mein Tag, wie viele davor auch schon…
Das Schwert hatte ich hinter meiner Hütte vergraben, aus Angst, dass es mir einer der Krieger wieder wegnehmen könnte. Nein, das war meine Trophäe!
So vergingen die nächsten Tage und Wochen ohne dass sich die Angelsachsen noch einmal unserer Siedlung näherten. Auch hörten wir nichts von den Spähern, ob sich die Truppen des Königs näherten.
Immer mehr geriet der nackte Soldat in Vergessenheit und das war auch gut so.
„Thyra, ich hatte es übrigens ernst gemeint, dass wir dir einen Mann suchen werden.“ kam es zwei Wochen nach dem Julfest von meinem großen Bruder, als wir im Langhaus am Tisch beim Essen saßen.
Ich verschluckte mich an meinem Wurzelgemüse fast und sah ihn erschrocken an, fing mich aber wieder. Ich hätte im Grunde kein Mitspracherecht. Umgekehrt wollte ich erst einmal einen Blick auf den Auserwählten werfen dürfen. Den erhaschte ich aber schneller als mir lieb war!
„Siehst du ihn? Dort drüben.“ Ragnall deutete auf das Ende des Tisches, wo ein hochgewachsener rothaariger Mann saß und erwartungsvoll in meine Richtung blickte. „Er hat große Pläne in seinem Kopf und sie sprechen mir zu! Wir können mit ihm an die Macht kommen, Thyra!“ die Worte vernahm ich, aber ich starrte diesen Mann einfach weiter an. „Mädchen, was ist? So hässlich ist er nun auch wieder nicht!“ fauchte mich mein Bruder an.
Ich schüttelte meinen Kopf, weil ich für einen Moment nicht so recht wusste, was ich davon halten sollte. Also erklärte mir Ragnall, WER der Herr dort war. Es war Sigtryggr. Ein Krieger, welcher schon so einige Schlachten gewonnen hatte und nun plante auch Irland für seine Sippe und seinen Clan, im allgemeinen, wie er es formulierte, für sein Volk einzunehmen.
Endlich würde ich auch einmal von hier wegkommen. Ich war seit fast einem Jahrzehnt hier und wir waren nur ein Stück ins Landesinnere gekommen. Auch wenn ich meine Heimat von Zeit zu Zeit vermisste…
„Du träumst schon wieder! Hör auf damit! Das hilft dir auch nicht!“ Ragnall schlug mit der Faust auf den Tisch, er hatte meinen Gesichtsausdruck falsch gedeutet, wie es schien.
„Nein, ich träume nicht und wenn dann nur von Dänemark. Das wird mir ja wohl noch erlaubt sein!“ polterte ich los und sah, wie Sigtryggr grinsend weiter in unsere Richtung sah.
In den nächsten Tagen wurden wir bekannt gemacht und man ließ uns Zeit, damit wir uns kennenlernen konnte. So fortschrittlich war mein großer Bruder ja schon, auch wenn er mich im Endeffekt vor vollendete Tatsachen stellen würde!
Ich fand Gefallen an diesem Krieger. Er war wortgewandt, fiel nicht gleich über mich her und stellte mir Fragen über mich selber.
„Ich möchte dich kennenlernen, Thyra. Wenn wir den Rest unseres Leben miteinander verbringen sollen, sollte ich wissen, wer mit mir das Lager teilt.“ mir gefiel sein Lächeln und je länger wir Zeit miteinander verbrachten um so mehr vergaß ich den angelsächsischen Soldaten. Auch wenn er nie ganz aus meinem Kopf zu verschwinden schien.
Vier Wochen später verkündete mein Bruder dann unsere Vermählung. Sie würde zum Ostarafest stattfinden!
Mir wurde jetzt doch etwas seltsam zumute, weil ich … ich war noch nie mit einem Mann zusammen… ich wusste überhaupt nichts… Die anderen Frauen schwiegen immer über das, was sie mit ihren Ehemännern taten, wenn die Tür verschlossen war. Auch wenn ich immer wieder seltsame Geräusche hörte aus den Hütten oder den Schlaflagern einiger Kriegern. Oft machte mir das Angst, weil es sich nach Schmerzen anhörte.
Irgendwann nahm ich mir ein Herz und ging zu meiner Clanmutter.
„Hilda! Bitte. Sag mir was ich machen muss, wenn ich das Lager mit ihm teile in unserer Hochzeitsnacht.“ flehte ich sie an, aber sie lachte nur und drehte sich um.
„Kindchen, er wird dir zeigen, was du wissen willst und was ER will. Nicht mehr und nicht weniger!“ entsetzt sah ich ihr hinterher.
In den nächsten Tagen wurde mein Kleid genäht, es wurden die allgemeinen Festivitäten vorbereitet und unsere Seherin wurde mir zur Seite gestellt. Sie sollte mich in die „Geheimnisse der Ehe“ einweihen. Aber alles was dieses Weib machte, war mir noch mehr Angst zu machen.
Sie sagte, ich sollte mich einfach entspannen, dafür hätte ich an diesem Tag einen Trank an meinem Bett, der mir dabei half. Dann würde diese Nacht für meinen Mann zufriedenstellend verlaufen! Und was war mit mir? WAS würde er tun?
Eine Woche vor meiner Vermählung rannte ich in den Wald des nächtens, setzte mich an den kleinen Wasserlauf und weinte. Ich hatte Angst vor allem plötzlich. Warum aber nur davor. Wenn ich kämpfen musste, dann war ich doch auch nicht so?
Ich fragte die Götter, erhielt aber keine Antwort. Niemand sprach mit mir.
„Doch, ich.“ hörte ich den Angelsachsen mit einem Male hinter mir. „Verzeih mir, ich habe dich belauscht.“ schüchtern setzte er sich nun neben mich und sah auf seine Füße die im Gras lagen.
„Warum bist du wieder hier und lauerst mir auf?“ ich zog laut meine Nase hoch und wischte mir die Tränen mit dem Ärmel meiner Tunika ab.
„Ich lauere nicht, aber … willst du wirklich wissen, was zwischen Mann und Frau passiert wenn sie das Lager teilen?“ in seiner Stimme klang keine Belehrung, keine Belustigung oder ähnliches. Es war ehrliches Interesse. Verstand er meine Ängste?
„Woher weißt du es? Bist du verheiratet?“ flüsterte ich.
„Nein, bin ich nicht. Aber… ich habe schon ein oder zweimal… also ich weiß vermutlich, wovor du Angst hast.“ ich spürte seinen Blick mehr auf mir, als das ich ihn sah. Es war nur ein Halbmond am Himmel.
„Sag mir, was passiert in so einer Nacht.“ ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden. Und dann begann er mir zu erzählen, wie der Mann sein Eheweib nahm, wie die Zeugen die erste Nacht mitverfolgen würden und was ein Mann… also… mir wurde für einen Moment bei dem Gedanken übel.
„Das ist… aber hat man dabei auch Freude?“ ich wusste, ich klang völlig ungläubig und hörte ein leises Lachen.
„Ja, es ist, wenn man weiß worum es geht, sehr schön und mit dem richtigen Menschen weißt du auch, dass dir nichts passieren kann.“ plötzlich spürte ich seine Hand auf meiner und seine kühlen Finger fuhren meinen Arm hoch. Ich zuckte zurück und stand abrupt auf.
„In wenigen Tagen werde ich es dann ja wissen!“ ich straffte die Schultern und sah auf ihn hinunter.
„Das wirst du. Ich wünsche dir… also ich… glaub mir, es ist nicht so schlimm, wie du es dir vorstellst.“ seine Stimme war fast tonlos und erst jetzt bemerkte ich, dass dieser Mann traurig in meine Augen sah.
„Ich wünsche dir ein schönes Leben! Mögen die Götter dich beschützen und dich auf deinem Weg begleiten.“ ein wenig war meine Kehle wie zugeschnürt.
„Der Vater des Verstehens leite dich!“ das war das letzte, was ich von ihm vor meiner Hochzeit hörte und damit verschwand er wieder in der Dunkelheit.
Ich erwachte und mit mir die Angst vor diesem Tag.
„Thyra, mein Kind! Schau nicht so traurig. Heute ist ein Tag zum Feiern und gerade du musst heute strahlen! Also los…“ die Clanmutter zog mich aus meinem Bett, ohne weiter auf mich zu achten.
Den ganzen Vormittag wuselten die Frauen um mich herum. Suchten passende Blumen, die in meine Haare kamen und in den Kranz dafür. Mein Kleid wurde mir angezogen und entsprechend drapiert.
„Setz dich, Kind.“ hörte ich die Seherin, welche mich auf einen Hocker drückte. „Heb dein Kleid an, ich muss an deine Knöchel!“ Was? Als ich zu ihr hinunter sah, bemerkte ich aber nur den Federkiel und Farbe, welche sie mir auf die Haut auftrug. „Die Zeichen für die Fruchtbarkeit, Zeichen für eine glückliche Ehe!“ hörte ich sie sagen.
Von draußen drangen laute Männerstimmen zu uns herein. Sie alle waren wohl schon in Feierlaune!
Die Tür zu meiner Hütte schlug gegen die Wand, als mein großer Bruder hereinplatzte.
„Was dauert denn hier so lange? So hässlich ist meine Schwester auch wieder nicht, dass es so lange braucht um sie herzurichten.“ grölte er und lachte dabei laut.
Hinter ihm standen seine Männer und konnten sich das Lachen ebenfalls nicht verkneifen.
„Nein, die würde ich auch nicht von meinem Lager vertreiben wollen. Lass sie mich doch einfach einmal testen. Nicht dass ihr Bräutigam…“ mit einer schnellen Bewegung hatte er die Faust meines Bruders im Gesicht!
„Halt dein Schandmaul, Torstein! Du sprichst immer noch von meiner Schwester!“ pöbelte er den Mann an. „Seid ihr dann auch bald mal fertig, wir wollen endlich feiern können!“
Die Seherin erhob sich wie eine Lichtgestalt, so anmutig und es schien wirklich, als würde sie leuchten! Ich konnte meinen Blick nicht abwenden!
„Verschwinde, du Nichtsnutz! Du hast bis heute kein Weib an deiner Seite, weil es keine länger als einen Tag bei dir aushält. Wahrscheinlich kannst du die Weiber nicht einmal im Bett zufrieden stellen!“ zum ersten Mal sah ich diese Frau, wie sie Partei für mich ergriff. Sie wurde mir sympathisch.
„Halt DU deinen Mund, altes Weib. Wer will schon mit dir eine Nacht verbringen, da kann ich ja lieber einen Baum pflügen, der ist feuchter!“ und jetzt hatte er eine schallende Ohrfeige der Seherin erhalten! Alle Frauen hier lachten laut auf, hielten sich aber sofort die Hände vor den Mund.
„Das wirst du mir büßen, Seherin!“ fauchte Ragnall, drehte sich um und donnerte die Tür wieder zu.
Sie trat wieder vor mich, als wäre nichts gewesen.
„Weiter, heb dein Kleid, verdammt nochmal. Deine Arme kommen gleich auch noch!“ sie klang genervt, sah mich aber nicht mehr an.
„Das war… das hat noch nie eine Frau bei meinem Bruder gewagt.“ sprach ich leise und sah, dass auch die anderen Frauen im Raum noch recht sprachlos waren.
„Das wird auch nie wieder passieren. Noch bevor der Morgen graut, werde ich nicht mehr leben!“ erschrocken sah ich auf sie herab.
„Warum… woher weißt du das?“ doch im selben Moment dämmerte es mir. Sie hatte es gerade vor ihren Augen gesehen. Nein, das konnte ich nicht zulassen!
„Nein, er wird nicht Hand an dich legen!“ fauchte ich wütend und erntete ein belustigtes Kichern.
„Und das aus dem Mund eines Mädchens, dass Angst vor ihrer ersten Nacht mit ihrem Ehemann hat!“ machte sie sich ernsthaft über mich lustig?
„Ich meine es ernst, ich kann kämpfen…“ mir wurde über den Mund gefahren.
„Schieb die Ärmel hoch, Kind.“ damit war das Gespräch beendet und meine Sympathie für die Seherin schwand wieder auf ein Minimum.
Fertig ausstaffiert wurde ich von den Frauen der Sippe zum Mittelpunkt der Siedlung gebracht, wo schon ein Podest aufgebaut war, welches mit einer Art Spalier und Blumen geschmückt war.
Ringsum standen die ganzen Anwohner und warteten auf die Zeremonie.
Mein Bruder stand neben meinem zukünftigen Ehemann und neben diesem seine Männer. Ich sah, wie sie das Schwert der Ahnen bereits hielten und mein Bruder hielt einen Anhänger in Form von Thors Hammer in Händen!
Mir hatte man das Ganze noch in kurzen Sätzen erklärt, aber es war nicht hängen geblieben, ich war zu aufgeregt.
Dann endlich stand ich auf diesem Podest und der Chief wickelte die Tücher um unsere Hände, in den Farben unserer Clans. Seine Hand legte sich darauf und er begann für uns die Götter anzubeten. Sein Singsang ließ mich ruhiger werden, ich hörte Stimmen, welche mich beruhigten und mir sagten, dass dies eine wichtige Erfahrung in meinem Leben und dem unserer Nachfahren sein würde.
Aus einer großen Schüssel mit Blut eines Schafes, welches heute unser Festmahl darstellte, wurde uns der Segen des Häuptlings ausgesprochen. Seine Finger glitten Sigtryggr und mir über die Stirn, seine Worte waren kaum zu vernehmen.
Es folgte das Ahnenschwert, welches den Fortbestand der Sippe symbolisierte und mein Bruder legte den Anhänger Thors Hammer auf unsere verbundenen Hände.
„Möge eure Verbindung fruchtbar sein!“ rief er.
Wir sprachen unsere Gelübde und als man uns die Ringe gab, wurde ich noch um einiges nervöser! Auch mein Gatte schien nicht mehr ganz so selbstsicher zu sein. Fast hätte er den Ring fallen gelassen!
Im Anschluss reichte man den großen Kelch mit Ale, welchen ich meinem Mann reichte um damit die Ehe als gültig zu untermalen!
Kaum dass er einen Schluck daraus getan hatte, brach der große Jubel aus und damit war die Feier eröffnet.
Mein Ehemann hob mich auf seine Arme und trug mich zum Langhaus des Häuptlings, wo die Tafel schon bereit fürs Essen war.
Ab diesem Zeitpunkt lief es wie in einem Traum, ich sah die Menschen um mich herum, ich hörte ihre Gespräche, antwortete wenn ich gefragt wurde, aber wirklich erinnern konnte ich mich nicht mehr.
Später lag ich mit Sigtryggr in unserer Hütte und ein Seufzen neben mir ließ mich doch wacher werden.
„Ich weiß, du hast Angst vor mir. Die brauchst du nicht zu haben.“ er lächelte mich an und plötzlich war ich beruhigt, es war als hätte mir gerade jemand einfach diese Angst genommen. Den Trank würde ich nun nicht mehr brauchen!
„Nein, ich habe keine Angst mehr…“ flüsterte ich und meine Lippen berührten seine. Ich kann diese Nacht nicht beschreiben, sie befreite mich und meinen Körper! Warum ich immer dachte, dass es weh tat, erschloss sich mir plötzlich nicht mehr. Auch wusste ich nicht, warum die anderen Frauen so ein Geheimnis darum gemacht hatten.
Natürlich war ich im ersten Moment etwas „überrascht“ über die Größe eines Mannes, jedoch fühlte ich, dass es passte. War es bei anderen Frauen nicht so?
Wie durch einen Nebel vernahm ich plötzlich das freudige Gemurmel, dass man nun unbesorgt die eigenen Nachtruhe antreten könne, weil das frisch vermählte Paar ihre Ehe besiegelt hatte!
Ich hatte die anwesenden Zeugen tatsächlich vergessen!
Die nächsten Monate verstrichen mit den üblichen Vorkehrungen für meine Abreise und die damit verbundene Einführung in die Sippe meines Gatten. Diese konnte bei den Feierlichkeiten nicht dabei sein, weil es, laut meines Bruders, zu kurzfristig war.
Eigentlich würden wir nur weiter ins Landesinnere wandern, weiter weg von Lunden und fast in die Mitte von Wessex. So hatte ich die Männer verstanden.
Nach 3 Wochen zu Pferd kamen wir beim Dorf meines Mannes an, wo wir, nein ich muss sagen, ER herzlich begrüßt wurde.
Mich sah man missbilligend an und warf mir Blicke zu, die mich verfluchten. Ich hatte ihnen doch gar nichts getan! Mir trieb es eine Gänsehaut über den Rücken und ich wünschte mir meine Sippe in meine Nähe!
Ohne weitere Worte wurde ich in das Haus der Frauen geschleift, wo man mich begutachtete und mir Fragen stellte.
„Hast du die blutigen Tage, Kindchen?“ oder „Dein Becken ist aber eher schmächtig. Kannst du überhaupt ein Kind austragen?“ und das schlimmste „Du bist viel zu blass und hast ja nichts auf den Rippen! Das kann ja nichts werden!“
Die Enttäuschung über mich ließen mich die Frauen deutlich spüren.
In dem Haus meines Mannes gab es eine Sklavin, die für unser Wohl zuständig war. Sig musterte sie beim Eintreten eingehend und nickte dann zufrieden.
„Damit kann man doch was anfangen!“ freute er sich und verließ unser Heim wieder.
„Herrin, ich werde eure Sachen auspacken. Sagt mir, was ihr wünscht!“ diese leise ehrfürchtige Stimme ließ mich wütend werden.
„Macht einfach!“ fauchte ich und ließ mich vor der Feuerstelle auf einen Hocker fallen.
„Ja, Herrin!“ ach halt einfach deinen Mund!, ging es mir durch den Kopf.
In den folgenden Wochen durchlebte ich die schlimmste Zeit meines Lebens. Man wollte mich hier nicht, man erkannte mich als Sigtryggrs Frau nicht an. Niemand redete mit mir!
Immer weiter zog ich mich zurück und eines Nachts, es war ungefähr 5 Monate später, beschloss ich zu meinem Bruder zu fliehen. Mein Mann war nicht schlecht zu mir, er schlug mich nicht oder ähnliches. Er war ein sehr liebevoller Mann, aber er stand mir nicht zur Seite. Nie ergriff er Partei für mich, wenn man mich wieder einmal verunglimpfte!
Nein, dass wollte ich so nicht.
Also hatte ich mein Pferd mit dem in den letzten Wochen heimlich gepackten Bündel an Kleidung und Proviant gesattelt und stahl mich eines Nachts einfach davon.
Ich hinterließ meinem Mann Thors Hammer als Symbol, dass ich nicht ihn sondern seine Sippe verlasse.
Nach zwei Wochen querfeldein reiten stieß ich an meine Orientierungskenntnisse. Von weitem sah ich eine kleine Ansiedlung und war dankbar darum. In den letzten Wochen hatte ich mir anscheinend den Magen verdorben, mir war furchtbar übel und ich war dankbar für eine ordentliche Mahlzeit. Man beherbergte mich und mir wurde ein junger Bursche zur Seite gestellt, welcher mir den rechten Weg zurück zu meinem Dorf zeigen sollte. So weit war es angeblich nicht mehr und man sollte recht behalten.
Weitere zwei Wochen später ritt ich durch das Tor und sah schon, wie mein Bruder wütend auf mich zu rannte.
„Thyra, du dumme Gans! Was tust du hier?“ schrie er, ehe ich vom Pferd steigen konnte.
Ragnall griff meine Hand und zerrte mich einfach in das Langhaus des Chiefs, wo dieser auch schon Hof hielt und mich mit großen Augen ansah.
„Das darf nicht wahr sein! Ragnall, hast du deiner Schwester denn gar nichts beigebracht?“ rief er uns entgegen, bevor ich überhaupt einen Ton sagen konnte.
„Was machen wir jetzt mit ihr?“ sprach mein Bruder und sah sich hier um.
„Du wirst persönlich dafür sorgen, dass sie wieder heile bei ihrem Mann ankommt. Das fehlte noch,
dass wir Krieg mit ihnen anfangen müssen wegen eines Weibes!“ fluchte unser Häuptling und spuckte auf den Boden.
Man gewährte mir aber eine Nacht hier im Haus der Frauen, welche ich dankbar annahm. Ich bekam gutes Essen, saubere Kleidung und konnte mich gründlich waschen.
„Thyra, du trägst ein Kind in dir. Wie lange schon?“ hörte ich eine der Älteren mich fragen und sah sie mit großen Augen an.
„Ich bin… wie ist das möglich?“ um mich herum kicherte man ungehalten.
„Du hast doch sicherlich das Lager mit deinem Mann geteilt, oder nicht? Dann solltest du wissen, dass er dir ein Kind gemacht haben wird!“ Immer noch sah ich sie mit großen Augen an.
„Nur weil er… ich dachte…“
„Dein Blut ist ausgeblieben, nicht wahr? Wie lange schon, Kindchen?“ ich überlegte für einen Moment und es müssten jetzt 4 Monaten sein. „Dann solltest du schnellstmöglich auch wieder zurück und deiner Sippe das Kind schenken.“ diese Worte kamen kalt in meinen Ohren an. Warum sollte ich mein eigen Fleisch und Blut diesen Menschen schenken? Es gehörte mir!
Einige Tage später war Ragnall Aufbruch bereit und gerade als wir aus dem Tor der Siedlung wollten, kam eine Gruppe Reiter auf uns zu. Darunter auch mein Mann, welcher mich zornig anfunkelte.
Wieder einmal musste ich mich rechtfertigen, mein Bruder gelobte in meinem Namen Besserung und unser Häuptling versprach eine Wiedergutmachung für meine Flucht.
„Nein, nicht ihr werdet dafür eintreten, sondern meine Frau. Sie wird das Kind an meinen Clan übergeben und es wird bei einer guten Familie aufwachsen! Ich werde bald nach Irland aufbrechen, wenn es die Götter wollen. Da wäre es nicht gut, ein Kind mitzunehmen!“
Ich stand zwischen diesen ganzen Männern und fühlte mich völlig unsichtbar. Als ich mich in Bewegung setzte, bemerkte es auch niemand und ich ging… hinaus aus der Siedlung zu dem kleinen Flusslauf.
Ich hoffte, dieser Angelsachse würde wieder zufällig auftauchen, doch ich wartete vergebens Stunden um Stunden!
Dann sah ich Fackeln die sich mir näherten und laute Rufe „Ich habe sie gefunden!“ man brachte mich zurück und ich saß im Langhaus auf einer Bank und starrte vor mich hin.
Der Weg zurück war für mich wie in einem schlechten Traum. Ich fühlte plötzlich die Bewegungen in meinem Bauch und freute mich. Gleichzeitig wusste ich, dass ich dieses Kind nie wirklich sehen würde. Ich schloss innerlich mit diesem Ganzen ab und konzentrierte mich auf meine Aufgabe. Ich sollte meinen Mann nach Irland begleiten…
Es tut mir leid, wir können es nicht steuern. Hörte ich eine seltsame Stimme, aber sie klang entschuldigend!
Ich brachte Ende letzten Jahres unsere Tochter zur Welt.
Mehr brauche ich nicht dazu sagen, ich hatte Schmerzen, aber das wurde ignoriert. Ich hatte Angst um dieses kleine Mädchen, auch das wurde nicht erwähnt. Man ignorierte mich weiterhin. Einen Namen durfte ich ihr auch nicht geben! Das einzige was ich tun konnte, war ihr zu wünschen, dass ihr immer die Götter zur Seite standen!
Wir werden sie begleiten, verlass dich darauf, Kind.
Ich folgte meinem Mann in kleinere Schlachten, stand ihm als Schildmaid zur Seite, wie es meine Aufgabe war.
Ich teilte nie wieder eine Nacht das Lager mit ihm!
In der Nacht, als meine Tochter geboren wurde und mir weggenommen wurde, war etwas in mir gestorben, was mich völlig erkalten ließ. Ich handelte nur noch, tat wie mir befohlen wurde. Nicht mehr, nicht weniger.
Es hieß jetzt, die Grenzen von Wessex auszubauen, weswegen wir nun wieder hier waren. Seite an Seite mit meiner alten Sippe und einem weiteren kleineren Clan aus dem Norden.
Wir wussten, Alfred hatte nun eine weitaus größere Formation ausgehoben, welche er weiter vorschob! Er sah sein Königreich in Gefahr und ich war versucht mich den Angelsachsen anzuschließen. Einfach nur aus Rache an meinem Clan und dem meines Mannes.
„Weib, du bist wirklich unausstehlich. Ich werde dich bald einfach in ein Boot setzen und dich alleine lassen!“ hörte ich meinen Gatten des öfteren wütend neben mir, wenn ich mal wieder gedankenverloren am Feuer saß.
„Wir sollten sie übers Knie legen, dann weiß dein Weib, was gut für sie ist.“ johlte einer der Krieger meines Mannes und natürlich brachen sie alle in Gelächter aus.
Aber euch beschützen dürfen wir, ja? Weil eure Schwänze zu klein sind, um sich dem Gegner entgegenzustellen… Leider muss ich das wohl laut gedacht haben!
„Wie war das!“ schrie Sigtryggr mich an und zerrte mich hoch!
„Du hast mich schon verstanden…“ meine Stimme war einfach nur ein Schatten meiner selbst. Ich war… ja ich war des Lebens müde.
Diese Nacht tat ich kein Auge zu, ich spürte, was es hieß, so mit meinem Mann zu sprechen und als er fertig war, lag er schwer schnaufend neben mir mit einem fetten Grinsen im Gesicht.
„Lass dir das eine Lehre sein, Weib!“ damit drehte er sich um und schloss unsere Sklavin in die Arme!
… Wie viele Wochen vergangen waren, kann ich nicht sagen.
Ich atmete, ich aß und trank. Ich schlief. Mein Mann forderte hin und wieder sein Recht ein, aber im Grunde tat es auch die Sklavin, welche sich ihm willig unterwarf. Oft lag ich daneben, drehte mich einfach um und versuchte sie zu ignorieren.
Immer weiter wuchs dieser Wunsch in mir, mich diesen Angelsachsen anzuschließen! Auch wenn sie sicherlich nicht viel besser waren was die Moral anging, aber ich sah bei ihnen einfach mehr für meine Zukunft.
Man hatte mich heute mit zwei weiteren Männern zum Auskundschaften in ein kleines Waldstück geschickt.
Wir hockten an einem Trampelpfad von welchem wir wussten, dass hier erst vor kurzem berittene Soldaten durchgekommen waren.
Anhand der Hufspuren konnten wir sehen, dass sie Richtung Westen unterwegs waren. Aber ich sah plötzlich noch etwas anderes. Ein Flimmern oder Glühen auf dem Boden. Erschrocken wich ich zurück.
Hab keine Angst, konzentriere dich auf diesen Moment noch einmal. Hörte ich eine seltsame Stimme, aber ich sah hier niemanden! Nun gut, ich tat es wieder und sah wirklich diesen Weg, den die Soldaten anscheinend eingeschlagen hatten. Ich sah sogar diese Silhouetten der Männer.
Ich fuhr ein Stück zurück und stolperte an die Brust einer meiner Begleiter.
„Bei allen Göttern, was ist nur mit euch Frauen los. Da ist keine Maus, die auf dich lauert! Hast du endlich gefunden, wonach wir suchen!“ maulte der Mann mich an.
Eine halbe Stunde später erreichten wir eine Lichtung und ich roch Rauch. Aber auch meine Begleiter sahen die Rauchsäule. Nasses Holz verbrennen ist wirklich mehr als auffällig!
Als ich aber erwähnte, dass es auch eine Falle sein könnte, weil es zu offensichtlich war, wurde ich ausgelacht.
„Lass das unsere Sorge sein!“ damit marschierten die beiden in Richtung dieser Rauchquelle. Ich aber blieb einfach, wo ich war.
Ich hörte ihre Todesschreie und versteckte mich hinter einem kleinen Strauch und hoffte, dass man mich nicht fand. Eine gefühlte Ewigkeit verharrte ich dort, ehe ich mich wieder heraus traute.
Ich hörte wieder eine Stimme, welche mich anwies dem Ganzen auf den Grund zu gehen. Aber ich zögerte, weil ich nicht auch gleich niedergemetzelt werden wollte.
Du zweifelst an meinen Worten? Donnerte mir diese Stimme in den Ohren, oder war es mein Kopf? Erschrocken sah ich mich um, es war niemand in meiner Nähe auszumachen!
Als ich beim Ort des Geschehens ankam, wurde mir klar, dass man hier einfach Rachsucht hat walten lassen. Meine beiden Begleiter waren auf Pfählen aufgespießt, ein jeder in Richtung des Weges.
Hier war nichts, hier gab es keine königlichen Truppen! Nicht MEHR!
Ich konzentrierte meine Augen wieder und sah Spuren von Füßen die sich weiter in westliche Richtung anscheinend bewegten. Sollte ich dem alleine nachgehen oder lieber zurück zum Lager um Bericht zu erstatten?
Ich machte es einfach. Mit dem Blick auf den Boden gerichtet ging ich in den Wald hinein. Seltsamerweise hatte ich das Gefühl, als würde ich besser hören können, wenn ich mich so konzentrierte. Als hätte man mir ein weiteres Paar Ohren gegeben.
Meine Sinne waren mit einem Male auch schärfer und ich schrak erneut einen Moment zurück. Woher kam das?
Wenn du erst deiner wahren Bestimmung begegnest, wirst du wissen, was wir von dir wollen! Hörte ich diese tiefe Stimme wieder in meinem Kopf.
Dann hörte ich jemand anderen sprechen!
„Wie einfach man doch diese Dänen in die Falle locken kann. Die haben wirklich immer noch nicht dazu gelernt!“ johlte einer der Männer an dem Lagerfeuer.
„Nein, die sind immer noch einfach nur primitive Höhlenbewohner, welche man von unserem schönen Land vertreiben sollte.“ auch diesem Soldaten stimmten alle lachend zu.
„Was machen wir jetzt? Wir sollten unsere Fallen rund um ihre Lager ausbauen. Hatte nicht Hemsleth davon erzählt, dass diese Kindsköpfe nicht bis drei zählen können? Worauf warten wir also noch?“
Wir waren also nur ein Haufen primitiver Krieger für sie, vermutlich noch nicht einmal das. Wohl eher niederes Fußvolk!
Gerade als ich mich zurück zu unserem Lager aufmachen wollte, hielt mich eine Hand an meiner Schulter auf.
„So sieht man sich wieder, Mädchen!“ ich sah in diese warmen bernsteinfarbenen Augen und für einen kurzen Moment war ich froh, ihn hier wieder zusehen. Ich musste mich aber auf meine Mission konzentrieren! Also atmete ich tief durch um wieder klar denken zu können.
„Gehörst du zu diesem Spähtrupp? Hast du ihnen gesagt, wie sie die Fallen verbessern können?“ Da ich seinen Namen nicht kannte, könnte ja auch auch er dieser Hemsleth sein.
„Ja, das habe ich. Wir haben… unsere Befehle. Deine Leute dringen in Gebiete vor, die euch nicht zustehen und wir haben Berichte über Langschiffe entlang des großen Flusses gehört.“ immer noch sah er mich durchdringend an.
„Du denkst also auch, wir sind dumm, stimmt es? Lass dir gesagt sein, das sind wir nicht. Wir weihen nur nicht alle in unsere Rituale und Vorbereitungen ein!“ fauchte ich und sah zornig zu ihm auf. „Du bist der, den sie Hemsleth nennen, richtig?“
„Hemsleth Orwen, das ist richtig. Und wie nennt man dich?“ war da ein goldenes Leuchten in seinen Augen zusehen oder spielten mir meine eigenen Sinne einen Streich?
Sieh genau hin, Kind! Spüre seine wahre Gestalt. Schon wieder diese merkwürdige Stimme.
„Du solltest der Aufforderung deines Göttervaters nachkommen.“ diesen Angelsachsen umgab ein warmes goldenes Licht und ich konnte eine Rüstung erkennen. Er trug ein Schwert mit Schild und einen Helm. Aber ich wusste nicht, wer dort vor mir stand. Aus Angst ging ich immer weiter zurück. „Erkennst du mich nicht?“
In meinem Kopf hörte ich plötzlich den Namen, es war einer der Götter des Krieges, des Rechts. War es möglich? Stand Tyr vor mir? In meiner Panik warf ich mich auf den Boden zu seinen Füßen! Niemand hatte das Recht, einem solchen in die Augen zu blicken!
„Steh auf!“ und er reichte mir seine Hand.
Als ich wieder auf meinen Füßen war, bekam ich eine Erklärung. Diese Zuneigung, die ich schon damals gespürt hatte, rührte von unserer Verbundenheit zu den Göttern her. Aber als mir jetzt diese unsichtbare Stimme wieder in den Kopf drang, war ich mir nicht sicher, ob das wirklich so passierte.
Anscheinend spürte man meinen Unglauben und auch die Unsicherheit. Neben Tyr erschien ein Mann wie aus einem Nebel. Er trug einen Reiseumhang, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und stützte sich auf seinen Stab. Beim genaueren Hinsehen erkannte ich, dass es ein Speer war. Reich verziert und vollständig aus einem glänzenden Metall. Langsam zog er seine Kopfbedeckung ab und ich starrte in ein faltiges Gesicht mit grauem Bart und nur einem Auge!
„Nein…“ kam es tonlos aus meinem Mund, welcher völlig trocken war. „Das… ist unmöglich!“ hauchte ich und trat auf den Wanderer zu, fasste an seine Wange, weil ich wissen wollte, ob er wirklich vor mir stand.
„Doch mein Kind! Wir bewachen dich schon seit deiner Geburt, gaben dir die Fähigkeit und Stärke einer Kriegerin. Du sollst unsere Geschicke weiter fortführen und sie an deine Nachfahren weiterreichen. Denk an deine Tochter! Sie ist in Sicherheit und beschützt von Mutter Idun.“ immer noch starrte ich meinen Allvater mit offenem Mund an.
„Thyra, sieh mich an. Wir sollten uns begegnen, damit wir gemeinsam einen Frieden erzielen können. Wir werden weiter in zwei Lagern kämpfen. Dennoch ist es für eine gemeinsame Zukunft!“ hörte ich jetzt den Angelsachsen sprechen.
„In wenigen Monaten wird es eine große Schlacht geben, an welcher sogar König Alfred selber teilnehmen wird. Ihr werdet es hoffentlich richten können, dass es keinen Sieger geben wird. Ohne Blutvergießen wird es nicht gehen, aber das ist von kleinerem Belang für mich!“ wie konnte Odin so kalt sein? Er opferte wissentlich Menschenleben, unschuldige Krieger! „Du musst das große Ganze überblicken, Kind. Du bist eine meiner Töchter und wirst es bald verstehen!“
„Wie kann… aber mein Bruder? Ragnall?“ stotterte ich und ich erhielt eine weitere seltsame Auskunft.
„Eure Vorfahren sind alle meine Nachkommen! Erinnere dich an die Legende um Ragnar Lothbrok!“ Bilder stoben vor meinem inneren Auge auf und zeigten mir diese Saga um diesen berühmten Krieger.
Ich ließ mich auf den Waldboden sinken, weil meine Beine mich nicht mehr tragen wollten. Mein Gesicht ließ ich in meine Hände fallen.
Das kann nicht sein… ich träume das alles nur… gleich wache ich auf…
„Du träumst nicht, Thyra. Und Jetzt steh auf, es ist ganz nass hier. Du sollst nicht krank werden!“ Hemsleth zog mich mit Schwung hoch und hielt mich dicht an seinem Körper, was mich seltsamer Weise plötzlich beruhigte.
„Ich werde jetzt wieder gehen. Und denk immer daran, mein Kind! Du bist nie alleine, auch wenn du das oft glaubst!“ langsam löste sich der Wanderer in diesem hellen Nebel wieder auf und ließ den Angelsachsen und mich zurück.
„Ich werde mich jetzt auch besser wieder zu meiner Einheit aufmachen, Thyra. Jetzt weiß ich wenigstens deinen Namen. Und ich… es tut mir leid, was dir alles bisher widerfahren ist. Ich wünschte, ich dürfte dir richtig zur Seite stehen.“ flüsterte er mit einem warmen Lächeln im Gesicht.
Ich zog sein Gesicht zu mir herunter und gab ihm einen Kuss, welchen er seufzend erwiderte.
„Wir werden uns wiedersehen.“ damit drehte er sich um und ging zu seinen Leuten ins Lager zurück.
Unschlüssig stand ich einen Moment auf diesem Weg, machte mich dann aber auch auf zu meiner ungeliebten Sippe. Ich musste noch die schlechte Kunde vom Tod unserer Späher überbringen.
Im Lager wurde ich schon ungeduldig von meinem Mann erwartet.
„Was hat so lange gedauert, Weib? Hast du dich verlaufen? Wo sind die Männer?“ fragend sah er sich um.
„Sie sind tot. Man hat sie auf Pfähle gespießt, als sie den Truppen des Königs in die Finger kamen!“ meine Stimme klang unbeteiligt und ich ging ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei in unsere Hütte.
Dort holte ich meine Truhe unter dem Bett hervor, wo das Schwert versteckt drin war. Ich schlug das Tuch beiseite und betrachtete es. Auf ihm waren seltsame Zeichen zu sehen. Ganz anders als die Runen, die wir nutzten. Gerade als ich es wieder verstaut hatte, erschien unsere Sklavin und fragte, ob sie mir nun beim Umziehen helfen sollte.
Mein Blick fiel auf ihren dicken Bauch. In diesem Moment ging ich schnellen Schrittes auf sie zu und ließ sie meine flache Hand auf der Wange spüren. Meine Finger zeichneten sich auf ihrer Haut ab. Ihre Augen sahen mich erschrocken an.
„Herrin! Was…“ mit einer ausladenden Handbewegung gebot ich ihr, den Mund zu halten.
„Geh mir aus den Augen. Du wirst nicht mehr für uns arbeiten! Verschwinde aus meinem Heim!“ schrie ich sie an und schubste sie nach draußen, wo sie mit Sigtryggr zusammenstieß.
„Was ist hier los? Thyra, was soll das? Du kannst sie nicht frei geben, sie ist schwanger…“ fauchte er mich an und schob die Frau wieder hinein.
„Gut, dann gehe ich! Ich will nicht mit ansehen müssen, wie sie DEIN Blag zur Welt bringt!“ Ich wollte an ihm vorbei aus der Tür stürmen, da erschien der Jarl!
„Gar nichts wirst du, Weib. Er hat nichts unrechtes getan. Wenn du ihm kein Kind mehr schenken willst, dann muss es jemand anderes tun. Und jetzt verhalt dich still, oder ich lasse dich vor allen auspeitschen!“ brüllte er, drehte sich wütend um und verschwand wieder.
Dieser Vorfall hatte mich nur weiter bestärkt, dass diese Begegnung im Wald damals und auch vorhin mit dem Angelsachsen, etwas zu bedeuten haben musste. In meinem Kopf begann ich zu planen, wie ich die treue Ehefrau weiterhin spielen konnte, aber auch Hemsleth zur Seite stehen konnte.
Die Wochen vergingen ab da einfach zu langsam.
Mittlerweile hatten mein Angelsachse und ich einen kleinen Unterschlupf gefunden, wo wir uns von Zeit zu Zeit heimlich trafen um uns gegenseitig Trost zu spenden. Ich genoss diese kurzen Momente, genoss diesen Mann, welcher wirklich mich haben wollte und nicht nur auf ein Kind aus war.
Er erstattete mir Bericht darüber wie weit die Planung für die große Schlacht war. Ich wiederum erzählte, was meine Sippen vorhatten und wo ihre Schwächen waren. Durch meine neue Fähigkeit dieses Glühen von Spuren wahrzunehmen, war es mir bisher immer ohne Probleme gelungen mich aus dem Lager und wieder hinein zu schleichen.
Doch dann hatte mich mein Glück mal wieder verlassen und als ich dieses mal an unserer kleinen Höhle ankam erwartete mich bereits mein Mann mit einem seiner Krieger!
„So ist das also? Ich reiche dir wohl nicht mehr, wie? Du lässt dich von einem Angelsachsen vögeln? Du hintergehst deine eigene Sippe und deinen Ehemann? Dafür sollte ich dir den Kopf abschlagen, WEIB!“ brüllte er und hatte dabei meinen Hals gepackt.
Ich spürte, wie mir die Sinne schwanden, weil er zu fest zudrückte! Plötzlich umgab mich nur noch Dunkelheit!
„Wach auf, Hure!“ ein Schwall kaltes Wasser traf mein Gesicht und ich schrak hoch. Ich war immer noch in dieser Höhle, aber nicht mit Hemsleth!
Ich sah, wie mein Mann und sein Kumpan sich gerade wieder anzogen!
Langsam setzte mein Verstand ein, ich hatte überall Schmerzen. Besonders am Rücken und erst jetzt sah ich, dass mein Hemd völlig zerrissen war und meine Sachen auf dem Boden verteilt lagen!
Zitternd klaubte ich alles zusammen. Versuchte mich notdürftig anzuziehen. Ohne mich weiter umzusehen, ging ich mit wackeligen Beinen nach draußen. Es war stockdunkel, aber von meinem Angelsachsen war nichts zusehen.
Plötzlich begannen meine Beine wie von alleine zu rennen. Sie trugen mich in Richtung unseres Lagers, in unsere Hütte. Mit Tränen verschleiertem Blick zog ich mich hastig richtig an und holte das Schwert aus meiner Truhe. Dann begann ich hektisch ein paar Sachen zusammen zupacken.
Ich würde hier nicht mehr bleiben! Sie konnten mich nicht zwingen!
Aus den Augenwinkeln sah ich unsere Sklavin, wie sie mich überheblich grinsend ansah und sich über den Bauch strich!
Es war vorbei! Mit einem Kampfschrei stürmte ich auf sie zu, holte mit dem großen Schwert aus und schnitt ihr so die Kehle auf.
Schwer atmend stand ich über ihr, wischte die Schwertschneide an ihrem Gewand ab und legte es wieder in die Truhe. Ich war mit einem Male die Ruhe in Person.
Kurz darauf wurde die Tür aufgerissen! Mit vor Entsetzen geweiteten Augen sah Sigtryggr auf die Sklavin und ließ sich sofort neben ihr nieder!
„Wer war das…“ aber sein Blick ging in meine Richtung, die gerade dabei war ihre blutigen Hände zu waschen.
„Ich!“ mehr sagte ich nicht und erschreckte selber vor dieser Kälte in meiner Stimme.
„Du hast den Verstand verloren, Weib!“ mein Mann baute sich vor mir auf, zerrte mich zu sich herum.
„Mag sein, mein Liebster. Aber DU hast mir vorhin etwas genommen, was unersetzlich ist! Meine Würde! Sieh hin. Dort liegt deine Würde, dein Stolz und blutet aus!“ ich sagte es in einem völlig sachlichen Ton, so als würde ich ihm gerade erzählen, was es morgen bei Tisch zu Essen gab.
Ich wartete das Begräbnis der Frau noch ab. Die Seherin hatte noch versucht, das Kind zu retten. Vergebens, wie ich erleichtert feststellte.
Dann begann ich mich wieder mit Hemsleth zu treffen, blieb aber im Dorf. Ich hatte hier vernommen, dass die Truppen des Königs unweit unseres Lagers bereits ein Schlachtfeld auserkoren hatten und sich dort formierten!
Es würde nicht mehr lange dauern.
Sigtryggr ignorierte mich mittlerweile und schlief meistens im Langhaus bei seinen Kriegern oder mit irgendeinem Weib, aber das war mir mittlerweile egal geworden. Die Kälte in mir nahm immer weiter zu, nur in den Momenten wo ich mit dem Angelsachsen zusammen war, wurde mir wieder wärmer.
„Wenn das alles vorbei ist, dann werden wir einfach verschwinden. Nach dieser Schlacht wird uns sicherlich niemand mehr vermissen.“ flüsterte er mir eines Nachts ins Ohr, als wir aneinander geschmiegt in den Fellen lagen.
„Ich sehne diesen Moment herbei!“ sprach ich leise und gab ihm auf seine Hand einen Kuss.
Zwei Wochen später bemerkte ich, dass ich ein Kind in mir trug. Eines welches unter keinen Umständen bei meinem Ehemann bleiben durfte. Dafür würde ich sorgen!
An diesem Morgen erwachte ich wie immer alleine in unserer Hütte, zog mich an und begab mich hinüber zum Langhaus. Dort war man auch schon wach und begann sich vorzubereiten. In wenigen Stunden würden wir den Truppen König Aelfreds gegenüberstehen und dann würde es hoffentlich schnell vorbei sein!
„Du wirst hierbleiben, ich will dich nicht dabei haben, Weib.“ bekam ich zornig von meinem Mann zu hören, ignorierte seine Worte aber. Stattdessen zog ich mir meinen Lederwams an, versorgte mich mit Waffen und meinem Schild.
„Lass sie, sie hat den Verstand verloren! Vielleicht hast du ja Glück und sie kommt aus der Schlacht nicht mehr zurück!“ lachte einer der Männer des Jarls und sah mich breit grinsend an.
„Das hoffe ich auch!“ wie immer klang ich kalt und völlig desinteressiert.
Kurz darauf ritten wir durch das Tor in Richtung des vereinbarten Ortes! Es dauerte ungefähr zwei Stunden, bis wir ihn erreichten. Ein Nebel lag auf dieser Mulde, wovon ich wusste, dass es genauso angedacht war, damit wir keinen richtigen Überblick bekommen konnten.
Hemsleth wusste, WO unsere Bogenschützen stehen würden, umgekehrt wusste ich, dass die neuen Katapulte mit einer höheren Reichweite unweit des Waldes platziert waren. Der Nebel verdeckte alles perfekt und ich grinste in mich hinein.
„Du scheinst ja bester Laune zu sein, Thyra. Darf ich fragen, warum?“ fauchte mich der Chief an.
„Es ist schon viel zu lange her, dass wir richtig gekämpft haben. Da kann man schon einmal unruhig werden, findest du nicht?“ mir entwich ein leises Lachen und ich trieb mein Pferd weiter auf das Feld zu.
Wir reihten uns auf, so auch die Gegner.
Und dann ertönten von beiden Seiten die Signale zum Angriff!
Der Dreck und Matsch stob von den Hufen der Pferde empor, als wir auf die Linien der königlichen Truppen zuhielten!
Ich hatte dieses Schwert, neben meinen Äxten und dem Schild dabei. Irgendwie fühlte ich mich damit sicherer. Mit eben diesem in der Hand ritt ich einige Gegner nieder, ließ sie die Hufe meines Pferdes spüren. Anderen verpasste ich ein zweites Grinsen oder schlug ein oder zweimal Köpfe ab. Es war fantastisch! Die Schneide war wahnsinnig scharf und ließ mich immer mehr Soldaten niederstrecken!
Leider hatte man dann mein Pferd mit einem Bolzen einer Armbrust getötet, sodass ich mich nun zu Fuß weiter bewegen musste.
Rechts und links neben mir, kämpften sie verbissen um jeden Millimeter Land, welchen es zu erobern galt.
Mich traf ein Pfeil in der linken Schulter und ließ mich kurzzeitig unaufmerksam werden, was einer der Angelsachsen ausnutzte und sich auf mich warf.
Er hatte nur den Winkel, in welchem ich mein Schwert hielt nicht bedacht und ließ sich im Endeffekt direkt darauf fallen! Ich schob den Toten von mir, rappelte mich hoch und versuchte noch weitere Gegner zu vernichten.
Aus einiger Entfernung stiegen Flammenbälle empor in unsere Richtung. Der Boden bebte, wenn sie auftrafen und man hörte Schmerzensschreie von den Verwundeten. Es war anscheinend egal, ob Freund oder Feind getroffen wurde. Dieser Aelfred war recht skrupellos.
Ein hochgewachsener Mann rannte Morgenstern schwingend auf mich zu. „Das man auch Weiber kämpfen lässt, ist mir unbegreiflich!“ schrie er und versuchte mich mit dieser gezackten Kugel zu erwischen. Mein Schild war erst frisch erneuert worden und hielt diesen Schlägen stand. Gerade als er wieder ausholte, konnte ich mich auf die Knie fallen lassen und rammte meine Schwertspitze in seinen Unterschenkel. Schnell zog ich meine Waffe heraus und hieb mit Wucht nach oben und schlitzte seinen Unterleib somit auf. Mir spritzten seine Innereien um die Ohren und dieser Geruch ließ mich kurzzeitig würgen.
Ich ging zum nächsten Soldaten über, welcher völlig außer Atem war und kaum noch genügend Kraft hatte seinen Säbel zu halten! Er breitete die Arme aus und rief „Möge Gott der Allmächtige mich zu sich holen! Amen!“ ich half ihm bei diesem Übertritt in dem ich meine Klinge über seine Kehle zog!
Spürst du es, Kind? Du trägst kaum Verletzungen davon und dein Körper ist immer noch voller Kraft., hörte ich die Stimme des Göttervaters und plötzlich war ich noch beruhigter.
Ich tötete noch unzählige von den Gegner, ich konnte nicht mehr genau sagen, wie viele es waren.
Irgendwann stand ich einem Angelsachsen gegenüber, welcher mit seinen bernsteinfarbenen Augen auf mich hinabsah.
„Es ist soweit, Thyra. Wir sind angekommen. Es gibt hier keine Sieger…“ sein Schwert hob sich, die Spitze lag an meiner Kehle! Umgekehrt zielte meine Schneide auf seinen Unterleib!
„Ich bin schwanger, Hemsleth.“ ich führte seine andere Hand an meinen Bauch und mich durchfloss eine wohlige Wärme dabei. Im selben Moment wurde mir bewusst, dass wir weit, sehr weit weg von hier fliehen mussten, um zusammen sein zu können. Weit weg von meinen Clans und Hemsleth möglichst ebenso in weiter Ferne zu seinem König.
Die Entscheidung wurde mir jedoch von einem Pfeil eines Gegners abgenommen, welcher mich mittig im Rücken traf.
Ich konnte nicht mehr atmen, hörte noch, wie jemand sagte „Herr Gott, nimm dein Schwert und erlöse diese Dänin. Dann haben wir es hinter uns!“
„Nein, DU wirst dafür büßen!“ mein Geliebter begann seinen Kameraden anzugreifen. Jedoch wurden beide von meinen Leuten überrannt und lagen kurz darauf verblutend am Boden.
All das nahm ich verschwommen wahr, während mir die Sinne langsam schwanden. Ich kroch zu Hemsleth, welcher schwer atmend mit offenem Unterleib auf dem matschigen Boden lag.
„Wir werden nie zusammen sein können.“ flüsterte er über diesen ganzen Kampflärm um uns herum. Aber es zählten nur noch wir beide, wir nahmen nichts anderes mehr wahr.
„Nein, es gibt keinen Weg für unsere Liebe.“ mir versagte die Stimme.
Man erwartete nicht von mir zurückzukehren.
So war das nicht erdacht… es war als würden alle Götter gleichzeitig sprechen. Anscheinend konnten sie nicht mehr eingreifen. Ich würde also hier sterben, mit meinem Geliebten!
In mir breitete sich Ruhe aus, über mir sah ich die Wolken vorbeiziehen, welche nun die Sonne freigaben.
Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Wange und ich drehte mich in ihre Richtung. Mein Geliebter lag neben mir auf dieser Wiese.
Nichts war mehr von der Schlacht zu sehen, keine Toten, keine Verwundeten. Es herrschte Frieden um uns herum.
Jemand hat also für euch eine andere Wahl getroffen! Wie gut, dass wir schon weitergedacht haben. Unser Göttervater klang enttäuscht, resigniert aber auch stolz. Deine Tochter wird nun deine Aufgabe übernehmen. Dein Schwert wird den Anfang für ihre Suche nach unseren Hinterlassenschaften darstellen! Mit diesen Worten verabschiedete sich Odin endgültig und überließ uns unserer Zweisamkeit, welche der Angelsachse und ich völlig losgelöst genießen konnten.
Ich schlug meine Augen auf und alles drehte sich. In meiner Nase hing der Geruch von Blut, Rauch und Exkrementen. Ich schüttelte mich und versuchte mich zu orientieren!
Um mich herum standen sie immer noch.
Besorgt trat Odin auf mich zu.
„Eigentlich solltest du das noch nicht im Ganzen sehen. Aber es scheinen andere Mächte am Werk zu sein, welche mich veranlassen dir deine Vorfahrin näher zubringen. Thyra war, wie würdest du es nennen?, ein Prototyp und Übungsobjekt für mich. Auch wenn ich schon einige meiner Kinder vorher auf dieser Welt hatte. Sie war anders und ich hatte andere Pläne mit ihr. Wie du jetzt weißt, existierte eine Tochter. Die Tochter von Sigtryggr! Später nahm er sie wieder bei sich auf und sie wuchs in Irland auf. Von dort begann ihr Werdegang und ihre Suche nach unseren Artefakten.“
Man reichte mir etwas zu trinken und ich nahm es dankend an.
„Wie lange war ich denn jetzt weg? Ich fühle mich wie gerädert.“ sprach ich leise und sah mich hier um.
„Oh, keine Sorge. Hier ist vielleicht eine Stunde vergangen, mein Kind.“ lachte mein Göttervater.
„Habe ich deswegen diese Momente in Shays Gegenwart, die mich an Irland und die Erinnerungen der Tochter von Thyra erinnern?“ hakte ich nun nach, weil mir diese Stimmen wieder in den Kopf kamen, welche ich damals ein paar mal gehört hatte.
„So ist es. Außerdem hattest du auch einen kurzen Einblick in Thyras Leben nach einer kleinen Schlacht. Erinnerst du dich? Du hast Haytham vor die Füße gekotzt.“ nun war es Thor welcher laut lachte.
„Ah ja, ich erinnere mich. Nicht sehr schmeichelhaft, wenn man bedenkt, dass ich vorher in seine Richtung geblickt haben muss.“
Ein Klopfen riss uns aus dieser Unterhaltung und meine Schwägerin trat ein!
„Alex, Haytham ist gerade aufgewacht. Er möchte dich sehen!“ etwas irritiert sah sie sich in dieser illustren Runde um. „Guten Tag, Gentlemen.“ und dann verschwand sie wieder.
Mir kam dieser Gedanke mit der Verbindung zu Tyr und meinem Templer.
„Schon damals hatte man mich…“ ein Seitenblick auf Odin reichte, damit ich verstand, dass er damals nicht ganz einverstanden mit dieser Wahl zu sein schien. „… einem der Ordensmitglieder zur Seite gestellt. Über die Jahrhunderte hat sich diese Tradition gefestigt und ich hatte so einige Herren, welchen ich erst einmal das Kämpfen richtig beibringen musste.“ auch er konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. „Und jetzt, geh hinauf! Ich spüre, Haytham ist etwas unleidlich!“ Augenzwinkernd zog er mich hoch.
„Fürs erste verschone deinen Mann mit dieser neuen Erkenntnis. Er muss erst vollständig genesen sein.“ mahnte mich Odin eindringlich, als ich zur Tür hinaus wollte.
Doch dann kam mir noch ein Gedanke.
„Wie lange stehst du Haytham schon zur Seite?“
„Äh… seit… seiner Geburt. Odin und Heimdall hatten das beschlossen. Wo ist dieser Halunke eigentlich mal wieder? Der hat beim Training heute wieder gefehlt…“ kichernd ging ich hinaus, sollten sich die Götter doch untereinander zurechtweisen. Es war reichlich absurd, aber so wundervoll normal in diesem Moment.
Oben vor der Tür atmete ich tief durch, strich mein Kleid glatt und… Bei Odin, warum tat ich so, als stünde ich vor dem Büro des Rektors, weil ich etwas ausgefressen habe?
Weil du tatsächlich etwas angestellt hast, Kind! seine Stimme zitterte vor lachen und ich schüttelte nur den Kopf.
Im Zimmer erwartete mich ein mürrisch dreinblickender Gatte, welcher am Kopfende in den Kissen lehnte. Sein Gesicht war immer noch blass, aber auf seinem Schoss hatte er ein Tablett mit Tee und etwas trockenem Brot.
„Mi amor… du bist wieder wach…“ zu mehr kam ich aber nicht.
„Das war nicht unbedingt dein Verdienst, Alex.“ Das Gespräch könnte jetzt noch dauern, also wappnete ich mich und setzte mich direkt aufs Bett neben ihn.
„Verzeih mir, ich… habe es wirklich nicht mit Absicht getan. Du warst… zur falschen Zeit am falschen Ort.“ meine Stimme wurde immer leiser.
„Gib mir nicht die Schuld an deiner Unfähigkeit zu kämpfen!“ entweder lag es an dem Blutverlust oder daran, dass sein Verstand noch nicht ganz wieder im Hier und Jetzt angekommen war.
„Ich gebe dir nicht die Schuld. Ich weiß ja, dass es falsch war…“ ich atmete tief durch und sah ihn entschuldigend an.
„Es war unheimlich, mi sol. Als ich diese unglaubliche Wut in dir sah, wie du dein Schwert mit beiden Händen umschlossen hattest… es war einfach, ja es war faszinierend! Zu spät habe ich deine Absicht dahinter erkannt und ich gebe es zu, ich hätte mich ebenso in Sicherheit bringen können.“ nun war es Haytham welcher verlegen leiser geworden war.
„Ich weiß aber jetzt, wie ich damit umgehen kann. Aber ich erzähle dir das alles, wenn du wieder alleine stehen kannst und du nicht mehr den Wunsch hast, mir eine entsprechende Lektion zu erteilen.“ kicherte ich und gab ihm einen Kuss.
„Autsch, meine Lippen sind trocken. Reichst du mir bitte das Wasser.“ fragend hob ich eine Augenbraue. „Bitte, auch ich habe dazu gelernt, mi sol.“ langsam kam mein Ehemann wieder zum Vorschein und das beruhigte meinen Geist.
Es klopfte und ich hörte schon ein leises Winseln von Walka vor der Tür.
„Kommt herein.“ sprach ich und sah wie unsere Kinder beide strahlten, als sie bemerkten, dass ihr Vater wieder wach war.
„Das hab ich gut gemacht, Vater, oder?“ Edward wollte schon auf den Schoß von Haytham klettern, als ich ihn davon abhielt.
Florence hatte ebenso einen glücklichen Ausdruck im Gesicht.
„Papa… heile“ brabbelte sie auf meinem Arm und strich vorsichtig über seine Wange.
„Ja, ich bin fast wieder gesund. Ihr beide müsst aufpassen, dass ich auch brav alles zu mir nehme, was mir der Arzt verordnet hat.“ oh, ich wüsste schon jemanden, der das zu gerne übernehmen würde. Einfach nur um seinen Vater zu ärgern, weil dieser dasselbe auch immer von ihm verlangt.
„Du kannst dich auf mich ver… tunlassen… ver… verlassen!“ Edward brauchte einen kleinen Anlauf, ehe er die richtigen Worte auf englisch fand.
„Danke, mein Sohn.“ Haytham gab ihm einen Kuss auf die Stirn und ließ sich mit einem tiefen Seufzen in die Kissen zurücksinken.
Ungefähr eine Woche später erhielten wir die Nachricht, dass Faith und Shay in London angekommen wären. Noch konnten wir sie nicht besuchen gehen, weil mein Gatte eine leichte Entzündung davongetragen hatte, welche aber bereits am Abklingen war. Dann würden wir das Ganze im neuen Jahr zelebrieren, wenn Haytham wieder ohne Schmerzen und fremder Hilfe, hoffentlich, stehen konnte.
Die Feiertage verbrachten wir also unter uns, was auch Jennifer sichtlich genoss. Sie hatte mir ein paar Weihnachtsfeste von damals beschrieben, bei denen ich ja leider nicht anwesend war.
„Mein kleiner Bruder hat Vater oft wahnsinnig gemacht, weil es ihm nicht schnell genug mit der Bescherung ging. Oder er saß während des Gottesdienstes nicht still. Ich sage dir, eine Plage manchmal.“ aber ihr Lachen war ein Zeichen, dass sie es im Grunde in guter Erinnerung behalten hatte.
Haytham erholte sich immer weiter und Mitte Januar dann endlich erzählte ich ihm von meinem Training und von der Rückführung, welche mich eine meiner Vorfahrinnen, oder Vorfahren allgemein, sehen ließ.
„Da hatte ich immer Recht mit meiner Vermutung, dass dein Glaube an die nordischen Götter, deren Rituale und vor allem auch die Sprache, wirklich tief verwurzelt sind. Weißt du was ich besonders interessant finde?“ grinsend sah er mich mit hochgezogener Augenbraue über sein Whiskyglas an.
„Nein, aber verrat es mir bitte.“ mir fiel wirklich nicht ein, WAS er meinen könnte.
„Deine Vorliebe für Kriegsgötter und Templer!“ mein Mann saß leise lachend vor mir und griff meine Hand. „Also ist es wirklich so gewollt gewesen, dass wir einander finden und zusammenbleiben! Ich hoffe aber, dass es nicht so endet, dass du an meiner Schwertspitze landest.“ seine Lippen legten sich auf meinen Mund, bevor ich etwas erwidern konnte.
Nein, DAS wollten wir beide nicht und wir waren gut genug informiert, so hoffte ich, dass uns keine Missverständnisse mehr aus der Bahn werfen konnten.
Aber auch Haytham erhielt nun eine kleine Einweisung!
Fasziniert sah ich dabei zu, wie er im Freizeitraum von einem hellen Leuchten umgeben war.
„So sah es bei dir auch aus, als wir dich deine Vergangenheit haben sehen lassen!“ mein Allvater stand vor uns und sah auf meinen Mann hinab.
Es dauerte ebenfalls eine geschlagene Stunde, ehe mein Templer wieder geistig anwesend war.
„Das war… Dieser Hemsleth war kein böser Mensch, man hatte ihm nur die falsche Seite gezeigt. Alex, die Rituale der Templer, in diesem Falle eines alten Ordens, haben sich nie wirklich verändert. Das ist… erstaunlich. Dieser Werdegang von diesem Soldaten ist im Grunde gar nicht anders als meiner. Sein Vater wurde durch einen Verräter getötet und er selber bekam eine entsprechende Ausbildung!“ hörte ich meinen Mann mit zum Teil Entsetzen aber auch einer gewissen Erkenntnis sagen.
„Ich habe Waffen, Schmuckstücke und auch alltägliche Dinge gesehen, welche aber anscheinend von Bedeutung sein werden!“ immer noch war es, als sähe er durch mich hindurch. Natürlich brauchte es eine gewisse Zeit um alles zu verpacken und auch zu verinnerlichen.
Seine Rückführung war aber anders als bei mir, vielleicht täuschte ich mich auch.
Ich bat Haytham die gesehenen Gegenstände zu beschreiben und, wenn möglich, auch zu zeichnen.
Doch es war mal wieder mein Göttervater, welcher mir dabei half, das Gesehene zu visualisieren. Gleichzeitig sah ich auch die Liste vor mir und konnte entsprechend aussortieren. Bei Odin, solch eine Hilfe hätte ich damals während meiner Schulzeit dringend gebraucht!
Ich wusste aber nun, dass es unter anderem um Thyras Schwert ging, welches einfach aufgrund der ungewöhnlichen Härte in den Fokus geraten war. Haytham sprach auch von König Aelfreds Rüstung, welche ein besonderes Merkmal aufwies. Sie war nicht in den üblichen geflochtenen Metallstreifen gefertigt, sondern darunter lag ein versteckter Brustpanzer, der kaum zu überwinden war.
Vor meinen Augen sah ich ihn vor mir, sah seine Form und einige Zeichen darauf. DAS waren keine Runen… es waren Zeichen der Vorläufer!
Meinen Körper durchfuhr ein Schauer, welcher kaum enden wollte.
Die ganzen Puzzleteile fügten sich und langsam ergab sich ein Bild. Leider aber nur sehr sehr langsam, was meiner ungeduldigen Persönlichkeit nicht zuträglich war!
Dann war dieses Relikt eines der Isu und weder Odin noch ein anderer der Götter konnte uns helfen. Es hieß also, danach zu forschen und Haytham begann schon in alten Geschichtsbüchern zu stöbern.
So eine Rüstung wird ja nicht irgendwo einfach herumliegen. Unsere Liste war da aber auch keine Hilfe, dort stand lediglich, dass sie im Laufe der Jahre „vererbt“ wurde und Reginalds Inventarbuch gab auch nichts her. Leider hatte ich von diesen englischen Königen und ihrer Erbfolge keine Ahnung und verließ mich jetzt auf Haythams Wissen.
Also klärte er mich über die Könige, deren Erben und die Thronfolgen auf. Nach einer halben Stunde rauchte mir der Schädel.
„Das kann sich doch keiner merken, mi amor. Also ist diese Rüstung immer noch im Besitz der Königsfamilie? Wie sollen wir aber daran kommen?“ grübelte ich laut vor mich hin.
„Die ganzen wertvollen Juwelen, Kronjuwelen und ähnliches werden im Tower aufbewahrt und auch entsprechend bewacht. Wir sind aber im Vorteil durch unsere Fähigkeiten, mi sol.“ in seinen Augen sah ich, er begann einen Plan im Kopf auszuarbeiten.
„Wie wäre es, wenn du mich auch einweihst?“ lachte ich, weil Haytham keine Anstalten machte, weiter zusprechen.
Wir würden einen nicht allzu eisigen Tag abwarten, da es einfach zu kalt und zu frostig für wartende Scharfschützen war.
Wir verbrachten einige Zeit über den Plänen des Towers, auf welchen mir Haytham zeigte, dass die Gegenstände im nordwestlichen Turm gelagert wurden. Dorthin zu gelangen würde nicht einfach werden, aber ich könnte durchaus für Ablenkung sorgen! Illusionen! Sie waren nicht zu meinem persönlichen Vorteil, sie schadeten niemanden und ich würde den Wachen später eine Rundum-Erinnerung verpassen, in welcher ein mysteriöser vermummter Dieb dort eingedrungen ist. Außerdem konnten wir uns die Pubs an den Außenmauern noch zunutze machen und mit einigen Betrunkenen für Ablenkung sorgen.
Beim Gedanken an die Scharfschützen fiel mir dann auch wieder ein, dass ich noch nach einem Büchsenmacher suchen musste, der sich mit Franklins Linsentechnik bereits auskannte. Ich hoffte, dass wir ihn schnell ausfindig machen würden.
Ich beauftragte einen unserer Schläfer, sich hier in der Stadt und den umliegenden Gebieten umzuhören. So ein Können müsste sich ja recht schnell herumsprechen!
In den erbeuteten Truhen hatten wir einige wertvolle Relikte gefunden! Darunter auch ein kleiner mit Edelsteinen besetzter Kelch, welcher auf unserer Liste stand! Als ich ihn berührte war mir sofort klar, dass es sich um einen Gegenstand der Isu handelte, weil meine Haut wieder kribbelte.
Der Rest waren entsprechende Dokumente über ein paar wichtige Persönlichkeiten aus der Vergangenheit und auch aus der Gegenwart. Mit Schrecken stellten wir fest, dass man aber ebenso detailliert über die Familie Kenway berichtete!
Unter anderem wurde mein Pirat und sein Werdegang beschrieben. Kurz bevor er als Freibeuter aufbrach, hatte er Bekanntschaft mit dem Templerorden gemacht. Leider hatte er es als nicht so wichtig empfunden und ad Akta gelegt.
Des öfteren las ich, dass man hoffte, er würde nie wieder zurückkehren. Es tat weh, so etwas zu lesen und ich sah, dass auch Haytham damit ein Problem hatte. Nur Edward selber sah sich diese Unterlagen in aller Ruhe an ohne eine Miene zu verziehen.
„Sieh einer an. Da habe ich immer Recht gehabt, dass uns nicht alle Menschen wohlgesonnen sind.“ Plötzlich lachte er laut auf! „Reginald wird als ein Märtyrer hingestellt! Er hätte den Templern einen großen Gefallen getan!“ aber in seiner Stimme klang auch unendliche Wut und Trauer mit.
Die Litanei an Beobachtungen und Auswertungen, Analysen der Familienmitglieder bis hin zu den Besuchern hier im Anwesen, ging etliche Seiten weiter und über Jahre.
Mit einem Male stutzte Haytham und blätterte noch einmal eine Seite zurück. Sein Blick wurde hart!
„Ich kann es nicht fassen! Vater, schau dir das an. Meine Vermutung, dass Mr. Simpkin nicht nur als Verwalter gearbeitet hat, bestätigt sich gerade.“
Tatsächlich! Dieser Herr wurde eingesetzt, natürlich von Master Birch persönlich, um auch nach der Abreise von ihm und Haytham, hier die Beobachtungen weiterzuführen. Dieser Mann führte ein Doppelleben! Je nachdem wer ihm positiv zugewandt war, wehte er wie ein Fähnchen im Wind. Wollten die Assassinen etwas, war er sofort dort zur Stelle! Sobald aber der Orden etwas wünschte, kroch er dort hin.
Wir hörten ein tiefes Durchatmen des ehemaligen Hausherrn. Als ich ihn fragend ansah, konnte ich regelrecht sehen, dass er erleichtert war, diesem Mann nichts von dem Kellergeschoss erzählt zu haben!
„Ich werde umgehend Mr. Simpkin aufsuchen und ihn zur Rede stellen!“ fauchte Haytham, schnappte sich im Hinausgehen seinen Mantel und den Hut und war verschwunden! Perplex blieb ich mit meinem Schwiegervater im Arbeitszimmer stehen und sah meinem Mann hinterher, wie er eiligen Schrittes zum Tor hinaus war.
Bald würden wir von einem weiteren Toten hier in London erfahren!
Erst am späten Abend erschien Haytham wieder. Er sah erschöpft, aber erleichtert aus. Mein Blick wanderte über seine Garderobe, aber ich sah kein Blut oder eventuelle Kampfspuren.
„Mi sol, der Mann lebt noch. Ich habe ihn verhaften lassen und er sitzt jetzt in einer Zelle im Gefängnis. Er bekam eine Unterbringung direkt neben Charles! Ich hoffe, die beiden werden sich nett unterhalten!“ ein seltsames Lächeln umspielte seine Lippen, was mir eine kalte Gänsehaut über den Rücken jagte.
„Er wird Charles nichts erzählen, was wir nicht schon aus den Unterlagen wissen.“ gab ich zu Bedenken.
„Nein, aber vielleicht kommt Master Lee ja in Plauderstimmung. Alex, hier geht es nur darum, herauszufinden, wer uns gegenüber wirklich loyal ist und wer nicht. Ich bin bei Lee immer noch nicht ganz überzeugt, das weißt du!“ plötzlich sah er sich suchend um. „Wo sind unsere Kinder? Ich habe heute noch gar keine Zeit für sie gehabt.“ mit einem Kuss auf meine Stirn, ging er an mir vorbei und in den Salon.
Versteh einer diesen Mann! Aber vielleicht hat er Recht und wir würden über diesen Hundefreund noch etwas mehr erfahren, was ich für meinen kleinen geplanten Foltertag mit Faith nutzen konnte. Ja, ich malte es mir seit Jahren jetzt schon aus, was ich mit diesem Arschloch am liebsten anstellen wollen würde. Wie er an Ketten an der Wand hängt und meine Klingen ihm kleine fiese Schnitte über den Körper brachten! Verzeiht, ich schweife ab.
Ein paar Tage später erhielten wir einen Brief, welcher aus den Kolonien kam. Er war von Master Johnson, welcher mitteilte, dass seine Frau überraschend verstorben sei. Es sei wohl eine Lungenentzündung gewesen, laut des Arztes, der Mrs. Johnson betreute.
Ich las einige Male über diese Zeilen und spürte, wie mir die Tränen über die Wangen liefen. Langsam ließ ich mich auf dem Sofa hier im Salon nieder und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.
Ich wusste, dass die Ehefrau von William Johnson versterben wird und er mit einigen indianischen Geliebten später leben würde. Aber das WANN stand in keiner Aufzeichnung
„Er tut mir unendlich leid und wir können noch nicht einmal bei Catherines Beisetzung dabei sein.“ hörte ich Haytham neben mir flüstern.
„Leider nicht, wir können ihm nur in Gedanken beistehen.“ meine Worte kamen mir fast tonlos über die Lippen.
„Schlechte Nachrichten, ihr beiden?“ meine Schwägerin trat leise ein und sah uns besorgt an. Wir erzählten ihr vom Tod Williams Ehefrau und dass es traurig sei, dass wir ihm nicht persönlich beistehen konnten. „Haben die beiden denn Kinder? Master Johnson wird doch sicherlich nicht ganz alleine in seinem Haus leben, oder?“
Vermutlich würde sich der älteste Sohn, welcher als Nachfolger seines Vaters galt, um ihn kümmern.
Haytham verfasste ein ausführliches Kondolenzschreiben im Namen von der gesamten Familie Kenway. Außerdem schrieb er auch an Jonathan, welcher derzeit in der Nähe von New York verweilte um sich mit einigen Aufständischen auseinander zusetzen. Er sollte in unserem Namen an der Beerdigung teilnehmen.
Es dauerte nicht lange, als kurz danach mal wieder die Assassinen auf sich aufmerksam machten!
Manchmal waren sie lästig und des öfteren ging mir der Gedanke durch den Kopf, ob die Templer auch über mich so gedacht hatten von Zeit zu Zeit.
Ich hatte heute ein Gespräch mit einem Büchsenmacher, welcher sich hier in London einen Namen gemacht hatte, indem er hochwertige Pistolen und Musketen mit einer „gewissen“ Zielgenauigkeit fertigen konnte.
Diesen Tipp hatten wir über einen unserer Mittelsmänner bekommen, welcher sich unter die hier immer noch schleichenden Meuchelmörder gemischt hatte.
Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass wir wirklich so weiterkamen! Genauso war es möglich ein Gleichgewicht herbei zuführen. Auf beiden Seiten konnten wir Leute einschleusen, die sich dann entsprechend weitere Brüder und Schwestern rekrutierten.
Von vielen wusste ich mittlerweile sogar, nicht nur hier in London, sondern auch schon in Frankreich oder in Amerika, dass es noch weit aus mehr Menschen gab, die zum Beispiel diese Gabe des Adlerblickes hatten.
In einem Gespräch mit Elias verdeutlichte er mir noch einmal, dass diese Gaben nicht ausschließlich von den Göttern stammten.
„Die Isu hatten des öfteren ihre gierigen Finger mit im Spiel. So stellten sie sicher, dass immer ein kleiner Einfluss ihrerseits in den Menschen schlummerte. Auch in dir!“ in seiner Stimme klang Verachtung und zugleich auch Frustration mit. Sie waren nicht in der Lage, so etwas zu verhindern! Ich verfolgte jedoch diese Entwicklung zufrieden und hoffte, dass es zu keinem großen Krieg kommen würde.
Der Büchsenmacher! Mr. Stephan Yates. Ein Mann von etwa 1,70 m Größe und dunkelbraunen Haaren. Sein Alter schätzte ich auf ungefähr 40 und er schien ein Gourmet zu sein, wenn ich mir seine Körpermitte so ansah.
„Mistress Kenway, es freut mich, euch hier zu sehen. Was verschafft mir die Ehre eures Besuches?“ dieser Mann hatte eine sehr angenehme Stimme und deutete mir, ihm in den hinteren Bereich seines Geschäfts zu folgen. Die eigentliche Werkstatt schloss im Nebengebäude an, welche er mir später dann zeigen wollte.
„Mr. Yates, mir ist zu Ohren gekommen, dass ihr Gewehre mit einem neuartigen Aufsatz herstellt, welcher von Master Benjamin Franklin entworfen worden ist. Ich würde mich gerne einmal selber davon überzeugen, was es damit auf sich hat.“ Stephan sah mich fragend an und wandte sich dann zu einem Regal um, auf welchem einige seltsam anmutende Zylinderförmige Gebilde lagen.
„Ihr meint… diese Zielvorrichtungen? Ich weiß gar nicht, ob sie wirklich so gut funktionieren. Sie sind ja nur für den einzelnen … Oh, ich verstehe! Dann hatte Ben Recht als er mir erklärte, dass man so auch für die Jagd bestens gerüstet sei. Man müsste nicht mehr in unmittelbarer Nähe seiner Beute sein um sie zu erlegen.“ diese doch recht zynische Umschreibung kam mir gelegen, weil er anscheinend wusste, worauf es hierbei ankam. Er war Experte bei Schusswaffen, wusste wofür man sie einsetzte… nicht ausschließlich für die Jagd auf Füchse!
„Genau diese meine ich. Darf ich bitte einen Blick darauf werfen? Ich würde gerne einige Exemplare für unsere Wachen ordern wollen und auch in den nächsten Monaten werdet ihr weitere Anfragen erhalten.“ Gedankenverloren sah ich durch dieses Zielfernrohr und staunte nicht schlecht. Es war mehr als präzise und man könnte auch eine Fliege von der Wand schießen, wenn man denn wollte.
Shay! Er sollte das Ganze einmal testen und mir sagen, ob wir damit wirklich auf dem richtigen Weg waren, oder ob man noch etwas verbessern konnte. Mittlerweile wusste ich, dass ihm Horus´ Augen beschieden waren und er auch ohne diese Hilfe sein Ziel auf zig Metern Entfernung orten konnte. Wenn ich es recht bedachte, dann hatte er ähnliche “Weitsicht“ wie mein Schwiegervater, weil Heimdall ebenso große Distanzen überblicken konnte! Dennoch würde es ein nettes Spiel werden, wenn wir beide die Genauigkeit testen könnten!
„Mr. Yates, bitte seid so gut und lasst uns 5 dieser Musketen zukommen! Wenn alles zu unserer Zufriedenheit ist, werdet ihr noch weitere Aufträge erhalten! Diese Art von Waffe ist wirklich fantastisch!“ ich war völlig aus dem Häuschen und verabschiedete mich von dem Büchsenmacher mit dem Versprechen seinerseits, dass in einer Woche die Waffen zum Kenway-Anwesen geliefert werden würden.
Als ich dann wieder daheim ankam, stand Haytham im Salon am Fenster, mit den Händen auf dem Rücken verschränkt da. Seine Finger bewegten sich und ich wusste, er dachte darüber nach, wie er jetzt beginnen sollte. Als er sich dann auch noch mit gesenktem Kopf zu mir umdrehte, war mir klar, es war etwas vorgefallen!
„Alex, setz dich bitte!“ seine Stimme war leise aber bestimmend und ich fühlte, wie mein Herz mir bis zum Hals schlug. Was war passiert? War Florence oder Edward etwas passiert?
„Haytham! WAS?“ fauchte ich, als ich mich niederließ.
„Ich … der Zugang zum Untergrund wurde wieder geöffnet und man hat versucht hier in das Kellergewölbe einzudringen. Als du weg warst, habe ich mit den Wachen die Eindringlinge erledigen können. Wir konnten jetzt eine Art unsichtbare Barriere errichten, welche aber nicht ewig halten wird. Tyr hat sie mit mir errichtet. Alex, wir brauchen einen neuen Schutz! Einen weltlichen, keinen göttlichen!“ sein Gesicht war fahl und man spürte, dass er erschöpft von dieser Anstrengung war. Noch waren die Spuren meines Schwerthiebes nicht gänzlich verschwunden! Haytham war auch nur ein Mensch!
In mir begann es zu arbeiten und ich sah vor meinem inneren Auge elektrisch gesicherte Tore und Fallen, die zuschnappten, wenn sich jemand unrechtmäßig Zutritt verschaffen wollte. Aber das wäre utopisch und noch nicht umsetzbar.
Zumal ich für diese Art der Elektrizität auch Franklin bräuchte! DER war aber gerade wieder einmal in Frankreich! Ich beschloss einfach, dass wir ihn hierher beordern und wenn wir wieder aufs Festland reisen, würden wir ihm eine kostenlose Passage anbieten. Nicht viel zu dem was er für uns tun müsste.
„Aber wie würde so etwas dann aussehen?“ mein Mann stand immer noch unschlüssig vor mir.
„Du musst dir das mit vielen Drähten, Blitzen und so weiter vorstellen. Mi amor, ich bin auch nicht so firm darin. Aber ich weiß, wenn ich Ben das Ganze erkläre, dann weiß er, was zu machen ist!“ und ich war wirklich mehr als zuversichtlich, dass dieser sympathische Wissenschaftler mein Vorhaben auch so umsetzen konnte. Vor meinem inneren Auge sah ich auch eine Teslaspule vor mir, aber DAS war wirklich noch in weiter Ferne!
„Dann lasse ich sofort eine Eilbotschaft senden!“ und damit stürmte mein Mann hinauf in das Arbeitszimmer seines Vaters.
Ich hingegen saß hier und wollte doch eigentlich noch die Geschichte mit dem Büchsenmacher und dem Test erzählen.
Doch das musste jetzt noch warten. Vielleicht könnte man ja auch beides in einer anderen Konstellation verbinden?
„Mama! Du bist wieder da!“ mein Sohn stürmte auf mich zu und hielt mir etwas felliges vors Gesicht. „Schau mal, diese Maus habe ich selber gefangen! Die isst doch Athene, nicht wahr?“ ich zuckte zurück, als ich das leise Quieken hörte.
„Ja, min lille skat, das ist richtig. Aber hier im Haus haben Mäuse nichts zu suchen! Lass sie bitte im Garten wieder frei. Tante Faith hat sicherlich genug von ihnen für ihre Eule!“ enttäuscht und mit hängenden Schultern schlurfte Edward aus dem Zimmer.
„Mama mag dich nicht, dabei bist du doch gar nicht garstig!“ jammerte er.
Florence hingegen war guter Dinge und hatte mit Sophia und ihrer Tante einen kleinen Blumenkranz aus den Blüten im Gewächshaus gefertigt.
„Mama…. Da… Yasmi…“ und sie hatte ihrer kleinen gehäkelten Puppe diesen Kopfschmuck aufgesetzt. Diese hatte Jennifer ihr anfertigen lassen und als Vorbild eine persische Prinzessin genommen.
„Das sieht wunderschön aus, min lille engel.“ ich hob Florence hoch und wir beide richteten diesen Kranz. „Jetzt ist sie wirklich eine Prinzessin!“ lobte ich meine Tochter und ihre Augen strahlten.
„Yasmi!“ und sie schloss sie in ihre Arme.
Mir gingen diese 1001 Nacht Geschichten plötzlich im Kopf herum. Sollte ich unseren Kindern vielleicht wirklich davon erzählen? Es wäre einfach mal eine Abwechslung zu unserer Tradition und sie würden darüber auch andere Volksstämme kennen lernen.
„Jenny, du musst unbedingt deine Geschichten weiter aufschreiben. Ich glaube wirklich, dass Edward und auch Florence sie lieben werden!“ in den Augen meiner Schwägerin glänzten Tränen.
„Ich bin schon dabei und ich gebe sie dir, sobald ich ein paar Seiten fertig habe.“ sie wischte sich verstohlen ein paar Tränen aus den Augenwinkeln und dann wurde schon das Abendessen angekündigt.
Anschließend ging ich mit Haytham hinunter in den Keller um mich selber von dem Zustand der Barriere zu überzeugen.
Ich sah mit meinem Blick eine wabernde durchscheinende Wand an der Seite, wo eigentlich die steinerne Tür sein sollte!
„Du hast Recht, das wird nicht ewig halten! Zumal du deine eigene Kraft dafür nutzen musst und das ist auf Dauer schlichtweg nicht möglich.“ sprach ich leise und griff durch dieses Geflecht aus Lichtbündeln. Ich spürte sofort, wie sich die Zeichen auf meiner Haut formten, gleichzeitig fühlte ich mich, als würde man mir meine Energie absaugen. Widerlich!
„Alex, nur wir kommen dort durch, oder unsere Kinder. Edward hat es vorhin versucht und auch bei ihm begann die Haut zu leuchten. Ich spüre aber, dass sie schwächer wird, je öfter jemand hindurch zu greifen versucht. Deswegen müssen wir schnellstmöglich etwas sichereres haben.“
Haytham hatte sich über eine Stahltür Gedanken gemacht, welche man sicherlich einbauen könnte! Und wenn wir diese darüber hinaus mit Elektrizität versorgen konnten, wären wir theoretisch auf der sicheren Seite! Nur wir brauchten eine dauerhafte Stromversorgung. In dieser Zeit noch nicht so leicht umzusetzen!
Wir begannen eine Zeichnung anzufertigen, wo ebenfalls solche Sicherheitstüren installiert werden müssten. Nicht nur hier im Keller des Kenway-Anwesens waren sie von Nöten, auch in unserem Büro! Außerdem gab es noch ein paar Gebäude, die uns gehörten, welche auch aus dem Untergrund zu betreten waren. Sie mussten ebenfalls gesichert werden.
Uns kam Edward Seniors Karte gerade Recht, da sie sehr präzise alles verzeichnet hatte. Ob nun von Ein- oder Ausgängen oder eben kleineren Schlupflöchern wie Rinnsteine oder Themsen-Zufluss.
Am nächsten Tag machten wir uns auf, den alten bereits zugemauerten Zugang von damals zu inspizieren. Wohl war mir bei diesem Gedanken nicht, weil ich Angst vor meiner eigenen Courage plötzlich hatte. Es war jetzt schon lange her, die Schuldigen waren bestraft worden. Bis auf eine Person, aber diese Bilder hingen wieder in meinem Kopf und hinterließen einen kalten Schauer auf meiner Haut!
Schon von weitem sahen wir, dass wir nicht die einzigen waren, die sich hier umsehen wollten.
Wir versteckten uns hinter einem Stapel alter Kisten am Ufer und ließen unsere Blicke über die Menschen hier wandern! Nicht alle leuchteten in diesem Rot, es gab zwei gelb-gold strahlende Personen!
„Kannst du sehen, wer das ist, Haytham? Sie scheinen zu uns zu gehören.“ flüsterte ich, bis mir einfiel ich könnte ja auch wortlos mit ihm kommunizieren. Ja, manchmal war ich nicht ganz bei der Sache.
„Eine Frau gehört zum preußischen Orden und der Mann ist einer der neuen Assassinen aus dem Büro. Sie versuchen diese anderen Personen zu überzeugen, dass dies nicht der richtige Eingang ist.“ auch mein Mann sprach leise. „Wir sollten nicht eingreifen, es sei denn, die Assassinen versuchen doch noch durchzubrechen. Ich hoffe, sie können überzeugt werden.“
Er hatte es noch nicht ausgesprochen, da hörten wir lauter werdende Stimmen, die sich über die Unfähigkeit der neuen Rekruten aufregten.
„Woher wollt ihr das denn wissen? Es gibt, laut Aufzeichnung unseres Mentors, nur diesen Eingang, welcher auch bis zu den Kerkern führt und darüber hinaus auch noch die ganze Stadt vernetzt!“ fauchte ein Herr, welcher einen deutschen Akzent hatte.
„Wenn ihr euch jetzt schon in die Hosen scheißt, dann bleibt besser hier! Wir werden jetzt die kleinen Sprengladungen anbringen! Verzieht euch einfach!“ kam es wütend von einer großen Dame, welche mit ihrer versteckten Klinge vor unseren Leuten herumfuchtelte!
Großartig, wir waren hoffentlich NICHT aufgeflogen, sondern die beiden „Neuen“ würden nur als Feiglinge dastehen.
Es dauerte nicht lange, dann zogen sich die ungefähr 13 Mann etwas zurück und wir sahen, wie eine Zündschnur gelegt wurde.
„Wie in Frankreich mit den Giftkapseln. Nur haben sie es hier noch weiter ausgebaut, wie es scheint.“ hörte ich Haytham erstaunt sagen und sah, wie er schon näher heran schleichen wollte.
Wir setzten uns beide in Bewegung, weil wir dieses gewaltsame Eindringen verhindern mussten! Wer weiß, was sonst noch alles zu Schaden kommen würde. Diese Gänge waren ja auch schon recht alt und oft nicht mehr ganz sicher. So eine Erschütterung könnte fatale Folgen haben.
Nicht wir waren die, die es verhinderten, sondern unsere beiden Leute!
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie der Mann, er hatte sich außer Sicht der Meuchelmörder versteckt, ein Wurfmesser zückte. Er zielte, warf und für einen Augenblick dachte ich, er hätte sich verrechnet. Nein, er traf! Und zwar wirklich Punktgenau!
Die Lunte wurde an einer Stelle durchtrennt, die von den Assassinen im ersten Moment nicht eingesehen werden konnte.
Man entzündete sie nun und wartete… vergebens auf die erhoffte Explosion!
„Verdammt nochmal, was ist denn jetzt schon wieder!“ keifte einer und machte sich auf, dem Fehler auf den Grund zu gehen. Plötzlich sackte er wie ein nasser Mehlsack zur Seite und blieb liegen!
Bevor jetzt aber die anderen zu ihrem Kumpanen eilen konnten, fielen sie alle nacheinander unseren Schlafpfeilen zum Opfer! Mal wieder war ich für diese Luftgewehre Dankbar und dass wir alle damit ausgerüstet hatten!
„Ah, Master Kenway, Mistress Kenway! Ich wusste doch, ich habe ein goldenes Leuchten gesehen!“ hörte ich die freudige Stimme der preußischen Dame. „Dann wollen wir die Herrschaften mal ordentlich verschnüren und … was machen wir jetzt mit ihnen?“ sie sah fragend von uns auf die schlafenden Assassinen.
„Wir werden sie zum Gefängnis bringen. Dort werden sie in den nächsten Tagen dann verhört und ich hoffe inständig, dass sie gesprächig sein werden.“ Haytham hatte mit dem Fesseln begonnen währenddessen.
Im Gefängnis wurde es langsam eng, weil König George dazu übergegangen war auch kleinste Delikte hart zu bestrafen! Dies rief aber den Unmut der Bevölkerung herauf! Man versuchte hier die Unterschicht im wahrsten Sinne des Wortes auszudünnen!
Auch wenn es kein akkurater Vergleich sein mag, aber es drängten sich mir plötzlich Bilder von Hitler auf.
„Alex! Das ist ja grausam!“ hörte ich meinen Mann fassungslos neben mir auf dem Kutschbock sagen. Wir hatten uns zwei Karren besorgt um die schlafenden Meuchelmörder in Gewahrsam zu bringen. Einen davon steuerte nun Haytham!
„Ich weiß…“ flüsterte ich leise, weil in mir Schuldgefühle hochkamen, auch wenn ich nicht für diese Massaker verantwortlich war. Uns wurde aber immer vermittelt, dass wir es nie vergessen sollten. Auf unserem Weg erzählte ich meinem Templer also ein wenig vom 2. Weltkrieg und wie es sich mit diesem machthungrigen Österreicher verhielt.
(* ich werde da keine links dazu packen! Jeder weiß, wovon die Rede ist!)
„Dieser Mann muss ein Verrückter gewesen sein, mi sol. Wie konnte man ihm Glauben schenken?“ kopfschüttelnd saß Haytham neben mir. Ich hatte ihm noch meine Mutmaßung kundgetan, dass Adolf auch aufgrund des Todes seiner Mutter solch einen Hass gegen die jüdischen Menschen hatte. Sie war an Krebs erkrankt und hatte einen jüdischen Arzt, welcher ihr aber leider nicht helfen konnte. In den Augen eines solchen Psychopaten sieht es wie unterlassene Hilfeleistung aus, vermutete ich weiter.
Bevor ich aber noch weiter ausholen konnte und glaubt mir, ich hätte noch so einiges dazu zu sagen, trafen wir vor den Toren des Gefängnisses ein.
„Halt! Mann, was ist mit diesen Leuten passiert? Was sollen wir mit Toten hier?“ maulte uns eine Wache an, als sie einen Blick auf die Ladefläche geworfen hatte.
„Sie schlafen und ich würde sie gerne in einer Zelle sehen, ehe sie wieder aufwachen!“ der Mann vor uns zuckte zusammen, weil Haytham etwas lauter geworden war.
„Ja, Sir. Ich werde Nachricht an den obersten Richter schicken!“ Mr. Browne war heute nicht zugegen, laut seiner Auskunft.
Im Zellentrakt wurden die Delinquenten aufgeteilt. Die Frauen bekamen einen separaten Bereich und die Männer wurden einfach zu den anderen gesperrt. Im Hintergrund hörte ich wieder diese Schreie, welche von Schmerzen herrührten und in mir stieg wieder dieser Wunsch empor, endlich Charles einer ordentlichen Behandlung zu unterziehen!
Ein leises Glucksen hinter mir, ließ mich herum schrecken. Ich sah in blitzende graue Augen, welche mich auffordernd ansahen.
„Wann hast du geplant ihn zu quälen, mi sol? Darf ich auch anwesend sein?“ in diesen wenigen Worten hörte ich eine gewisse perverse Freude über meine Phantasien!
„Noch gar nicht konkret. Aber… ich könnte es mit einigen schönen Spielchen verbinden. Zum Beispiel muss Shay mir sagen, ob diese Scharfschützen…“ leider konnte ich nicht weitersprechen, weil ein Bruder unserer Sache neben uns trat.
„Sie sind jetzt alle untergebracht. Braucht ihr uns noch?“ fragte er.
„Nein, ihr könnt nun gehen und ich hoffe, dass wir in Zukunft weiterhin so gut zusammenarbeiten.“ der junge Mann verbeugte sich vor uns und verabschiedete sich mitsamt der preußischen Frau.
„Master Kenway, der Richter möchte euch sprechen!“ hörten wir einen Soldaten neben uns zögerlich sagen.
„Wir kommen sofort.“ also auf zu Richter Davies.
Er erwartete uns mit gefalteten Händen sitzend an seinem Schreibtisch!
„Master Kenway, Mistress Kenway! Erfreut euch wieder zusehen! Und wie ich feststelle beabsichtigt ihr mir immer mehr Arbeit aufzubürden!“ er war wütend, zurecht. Aber nicht wir alleine waren Schuld an dieser Überfüllung hier.
„Es wird nicht für lange sein, Richter Davies. Das verspreche ich euch.“ sagte ich entschuldigend und erntete eine hochgezogene Augenbraue.
„Ja, von eurer Einstellung habe ich bereits erfahren, Mistress Kenway!“ ich sah zu Haytham, welcher aber auch nicht so recht wusste, was der Herr meinen könnte. Aber eine Erklärung bekamen wir nicht, umgekehrt nachfragen mochte ich ebenso wenig.
„Aber nun gut. Was wird mit diesen Herrschaften nun passieren? Sollen sie verhört werden, übernehmt ihr diese Aufgabe, soll ich mich damit auseinandersetzen oder…“ mein Mann fiel ihm ins Wort.
„Nichts dergleichen. Sie werden eine Weile, vielleicht ein oder zwei Wochen hier bleiben. Ohne jedwede bevorzugte Behandlung. Ich will sie mürbe machen, weil wir Antworten brauchen. Diese Leute gehören zu einer Gruppe von Aufständigen, von welcher wir ausgehen müssen, dass sie den König stürzen wollen!“ das war zwar nicht die ganze Wahrheit, aber es sollte als Grund ausreichen!
„Gut, dann… werde ich alles weitere in die Wege leiten, Master Kenway.“ In Richter Davies´ Stimme klang ein wenig Ungläubigkeit mit, aber er musste uns vorerst Vertrauen schenken!
Bevor wir aber wieder hier verschwanden, stattete mein Mann seinem Schützling einen Besuch ab. Ich folgte ihm schweigend. Je näher wir ihm kamen um so mehr verspürte ich diese Rachegelüste. Zum Ersten Mal kam mir der Gedanke, ob es wirklich nur wegen der versuchten Vergewaltigung war, oder ob ich auch wegen meiner geschichtlichen Kenntnisse so einen Hass auf diesen Mann hatte.
„Oh, Master Kenway! Ich bin so froh, euch hier zu sehen. Ich hoffe, die Überfahrt war nicht allzu beschwerlich! Seid ihr wohlauf?“ hörte ich seine schnarrende, unterwürfige Stimme, aber er selber würdigte mich keines Blickes! Na warte, du…!
„Wir hatten kaum mit Unannehmlichkeiten zu kämpfen, danke dass ihr fragt, Charles! Aber sagt, wie ist es euch bisher ergangen. Ihr seht recht gut aus!“ Haytham konnte manchmal ziemlich fies werden, was mich in diesem Falle wieder wahnsinnig freute.
Und dann begann Lee ihm sein Leid zu klagen. Er jammerte über seine Zellennachbarn, über das Essen, die Zugluft, die Art, wie er hier behandelt wurde im Allgemeinen und und und. Ich rollte nur mit den Augen und ging ein Stück zu der anderen Zelle, wo sich Mr. Simpkin befinden sollte.
Aber nicht er war dort, sondern irgendein anderer Herr. Ich wollte aber nicht vorgreifen und behielt meine Gedanken für mich, weil ich befürchtete, dass Mr. Simpkin verstorben sein könnte.
„Charles, noch werdet ihr für eure Vergehen hier bleiben müssen. Das Strafmaß ist euren Taten angemessen, denkt ihr nicht auch? Ihr habt euch an fremdem Eigentum bereichert, habt Unschuldige für euer Vergnügen leiden lassen! Bedenkt, wenn ihr im Rang der Armee weiter aufsteigen wollt, so zügelt euch. Ich werde zu diesem Zeitpunkt nichts für euch tun können, so leid es mir tut.“ diese Stimmlage trieb mir eine kalte Gänsehaut über den Rücken. Abgeklärt und diese kalte Templerart!
Ich sah, wie er den Mund öffnete um sich zu rechtfertigen, schloss ihn aber sogleich wieder, als sein Blick auf mich fiel.
„Mistress Kenway, das Muttersein scheint euch gut zu tun. Ihr seht sehr wohlgenährt aus.“ höhnte er und ich wäre ihm am liebsten an den Hals gesprungen! Hatte er mich gerade FETT genannt?! Nein, ich würde mich hier und jetzt zügeln, verabschiedete mich aber von den Herren und ging zurück zum Büro des Richters.
Dort wurde ich etwas genervt zu Mr. Davies gelassen.
„Was gibt es denn noch?“ als er aber meinen Blick sah, straffte er sich und sah mich mit großen Augen an. „Verzeiht, Mistress Kenway. Ich habe leider alle Hände voll zu tun. Kann ich euch irgendwie behilflich sein?“
Ich begann ihm von meinem Wunsch zu berichten, dass Master Lee noch einmal für eine „Sondermission“ benötigt wurde und das nach Möglichkeit in zwei Wochen. Vorher musste ich das Ganze noch mit Shay und Faith absprechen.
„Was finden nur alle so interessant an Master Lee? Er ist eine Nervensäge, wenn ich das so sagen darf…“ plötzlich verstummte Richter Davies und biss sich auf die Zunge.
„Seht ihr, nicht nur ich bin dieser Meinung.“ grinste ich breit. In diesem Moment kippte die Stimmung zwischen uns. Wir waren uns einig, dass er durchaus auch einmal „außer Haus“ eingesetzt werden könnte.
„Richter Davies, aber eine Frage habe ich noch. Was ist mit Mr. Simpkin, welcher die Zelle neben Lee hatte, passiert?“ fragte ich leise.
„Er hat sich eines Nachts einfach mit einem scharfkantigen Stein in die Arme geschnitten und ist wohl so verblutet. Meine Leute haben ihn erst am Morgen so gefunden. Das ist eine Woche her.“ ihm dämmerte bei seinen Worten, dass er es versäumt hatte, uns zu unterrichten. „Ich entschuldige mich…“
Der Inhaftierte war schon beerdigt worden, somit konnte ich mich von der Wahrheit dieser Worte nicht überzeugen. Verdammt!
Außerdem wussten wir nun nicht, was Lee noch so zum Besten gegeben hatte, wenn er denn überhaupt etwas gesagt hatte.
Ich kam mit dem Richter überein, dass ich mich melde, sobald ich einen festen Termin hätte. Wir würden dann Charles holen, wie auch schon beim letzten Male.
„Frische Luft wird ihm sicherlich auch mal gut tun.“ höhnte Davies, also waren wir uns in diesem Punkt einig.
Vor dem Gefängnis traf ich dann wieder auf meinen Mann, welcher ebenfalls tief durchatmete.
„Er hat sich über Simpkin beschwert!“ sprach er leise. Der alte Verwalter hatte sich anscheinend ausgiebig über die überhebliche und arrogante Art der Familie Kenway ausgelassen. Was Charles natürlich überhaupt nicht verstehen konnte. Sogar als mein Mann mir das erzählte, sah ich wie ihm dabei schlecht wurde. Diese unterwürfige Art ihm gegenüber von Lee war schon immer ekelerregend.
Um Haytham auf andere Gedanken zu bringen, nun ja, ein wenig zumindest, erzählte ich von meiner Übereinkunft mit Davies.
„Dann ist es dir mit… dieser kleinen Lehrstunde für Charles wirklich ernst, ja?“ hakte er nach.
„Natürlich!“ kam es entschieden von mir.
Wenn nichts dazwischen kam, würden wir in zwei Wochen noch einmal hier vorstellig werden. Bis dahin könnte ich auch Lee mitnehmen.
„Ihr könnt ihn sicherlich im Williams-Anwesen in einen der Kerker verfrachten, mi sol.“ zum ersten Mal hörte ich diesen lüsternen Unterton dabei in seiner Stimme.
„Du würdest mich auch gerne so hilflos sehen, oder mi amor?“ hauchte ich jetzt etwas atemlos an seinen Lippen, weil mir seltsamerweise dieser Gedanke gefiel.
„Durchaus. Aber das weißt du ja.“ mit einem festen Griff in meine Pobacke verdeutlichte er seine Aussage.
In dieser Nacht demonstrierte mir mein Mann eine weitere seiner Phantasien. Was soll ich sagen? Es war berauschend, es war einfach bombastisch und ich spürte diesen Adrenalinkick in mir, welcher mich schon fast schweben ließ!
„Ich wusste doch, du würdest mich verstehen.“ hauchte er später an meiner Brust, als er versuchte wieder gleichmäßig zu atmen.
„Du kennst mich einfach zu gut, mi amor. Es ist immer wieder beruhigend, dass ich dir so vertrauen kann.“ flüsterte ich in seine wuscheligen Haare, während meine Finger sanft darüber strichen.
Es war soweit!
Mein kleiner Ausflug ins Gefängnis zu Charles stand an! Mittlerweile hatten wir auch die fünf Scharfschützen Gewehre bekommen und Faith war sofort Feuer und Flamme, als ich ihr von meinem Vorhaben berichtete.
Nicht nur ich hatte einen berechtigten Hass auf diesen Mann, auch sie, ebenso Shay!
„Wo wollen wir ihn aber hinbringen?“ kam es kurz vor dem Termin von meiner Schwester.
„In die Kerker eures Anwesens! Dort wird man ihn nicht hören, niemand weiß, wie man dorthin gelangt. Wir sind einfach unter uns, mo rionnag.“ ich wusste ich klang wie ein aufgeregtes Kind, aber diese Vorfreude war einfach nicht zu zügeln. Vermutlich wuchsen mir kleine Teufelshörnchen bei diesen Worten zusätzlich!
Gesagt getan.
Als wir vor dem Anwesen ankamen, staunte Charles nicht schlecht und sah sich schon fürstlich speisen. Vermutlich hegte er auch die Hoffnung, dass er hier den Rest seiner Strafe „verbüßen“ würde.
„Vergesst es, Charles!“ fauchte ich nur und zerrte ihn aus der Kutsche. Er war immer noch in Eisen gelegt, ich wollte kein Risiko eingehen. Unsicher sah sich Lee nach seinem Mentor um, welcher aber völlig desinteressiert neben uns herging. Nur ich sah sein böses Grinsen auf dem Gesicht.
Dem Delinquenten wurden in der Eingangshalle die Augen verbunden und wir brachten ihn hinunter. Für einen kurzen Moment musste ich innehalten, weil es immer noch hin und wieder vorkam, dass ich dieses Wasserplätschern und auch dieses Gefühl von Kanalisation abschütteln musste.
Ich glaube, ich hatte die Kerker hier noch nicht gesehen. Aber es war beeindruckend, wie gut alles erhalten war. Kaum verrostete Gitter oder Ketten, es sah aus, als hätte man hier erst gestern noch Gefangene befragt.
Zur Rechten fand ich eine für mich sehr geeignete Zelle.
Es gab genügend Platz, an den Wänden waren in allerlei Höhen Ringe angebracht und es gab einen Stuhl mit Lederfesseln für Arme und Beine. Dazu sah ich, dass es noch eine Art Bock gab, welcher ganz aus Holz gefertigt war, nicht aber zu verwechseln mit dem spanischen Pferd.
Hier würde Charles sich sicher wohlfühlen und ich fühlte erneut, wie sich diese Teufelshörnchen durch meine Stirn brachen!
„Nehmt ihm die Fesseln ab und dann…“ mehr konnte ich nicht sagen, weil mir Lee ins Wort fiel.
„Oh, ich danke euch vielmals Mistress Kenway! Endlich habt ihr erkannt…“ aber auch er wurde unterbrochen.
„Haltet die Klappe Charles! Shay, hilf mir ihn dort drüben an der Wand zu fesseln!“ damit zog ihn der Ire dorthin, schnallte die Hände von Lee in die Eisenfesseln und wartete einen Moment. Sein Blick wanderte mit einer großen Zufriedenheit über diesen Mann.
„Endlich!“ mehr sagte er nicht!
Ich ging hinüber, nahm Charles die Augenbinde ab und lächelte ihn zynisch an.
„Ich freue mich, euch hier in unserer illustren Runde begrüßen zu dürfen Master Lee! Ich hoffe, die nächsten Stunden werden euch genauso viel Freude bereiten wie uns allen hier.“ und mein Lachen klang so dermaßen diabolisch, dass mich Haytham mit großen Augen ansah!
Ich schritt die Reihe an Werkzeugen ab, schätzte ab, wann welches zum Einsatz kommen sollte. So viel Auswahl, so viele Möglichkeiten.
Zu aller Erst wollte ich aber dieses Gewehr testen! Ich nahm mir das mit dem Visier, wohingegen Shay seine einfache Muskete nahm.
Faith platzierte einen winzigen Becher auf Charles Kopf mit den Worten, dass wir einfach die Genauigkeit dieser neuartigen Schusswaffen testen wollten.
Mit vor Panik geweiteten Augen sah mich dieser Mann an und es schien, seine Augenfarbe verblasste noch weiter.
„Ihr habt den Verstand verloren! Master Kenway! Ich bitte euch! Das könnt ihr…“ er klang, als sei er im Stimmbruch und ich konnte mich vor Lachen kaum noch halten!
„Haltet einfach still, dann ist es umso schneller vorbei.“ Allein dieser Befehlston ließ ihn stramm stehen. Bis auf das hektische Atmen war von seiner Unsicherheit für einen Moment nichts mehr zu spüren.
Shay und ich legten an, zielten.
„Auf drei, du böses preußisches Weib.“ lachte Shay und ich sah, dass auch er seinen Spaß daran hatte.
„Auf drei, mein abtrünniger Kapitän!“ grinste ich und wir schossen fast zeitgleich. Aber wie erwartet, war Shays Horus-Blick um einiges feiner als das Visier von dem Gewehr. Ich traf die Ziegelsteine links neben Charles Kopf, er traf den Krug. Dieser zerbarst in tausende kleiner feiner Teilchen und hinterließ einen roten Staubfilm auf der Haut des Hundefreundes.
„Naaaa, das war noch nicht aussagekräftig genug. Oder was meinst du, Shay?“ kicherte ich ungehalten.
„Ich glaube auch, wir sollten noch einmal auf Nummer sicher gehen!“ grinste er und wir legten erneut an.
Dieses Mal schoss ich zuerst und streifte leicht die Schläfe unseres Opfers, wohingegen Shay auch dieses mal im wahrsten Sinne des Wortes ins Schwarze traf. Auch der neue Krug zerbarst.
„Bitte Sir, was habe ich getan, dass man mich so quält…“ jammerte Lee und sein Körper zuckte dabei.
Mein Blick glitt zu Faith, welche bis jetzt noch recht unbeteiligt war.
Das änderte sich aber schlagartig. „Shay, Haytham! Holt ihn da weg. Auf den Stuhl!“ fauchte sie und sah genüsslich dabei zu, wie er dort erneut gefesselt wurde und sein Gesicht vor Schmerzen verzog.
„DAS gefällt mir doch schon besser!“ meine Schwester hatte sich einige Werkzeuge auf den kleinen Tisch neben dem Stachelstuhl gelegt. „Hmmm… was könnte euch gefallen, Charles? Vielleicht wollt ihr einmal wissen, wie es ist, gebissen zu werden?“ in ihre Augen trat ein fieses Funkeln, welches ich schon einmal gesehen hatte. Die Kämpfe mit ihrem Vater, oder aber auch in Virginia.
Ich sah zufrieden auf ihre Wahl! Sie hatte eine der größeren flachen Zangen in der Hand, welche sie zuerst am Unterarm ansetzte und zudrückte. Ein lauter Schmerzensschrei war zu hören, welcher aber von den dicken Ziegelwänden verschluckt wurde.
Faith wanderte von einem Arm zum anderen, dann waren die Oberschenkel dran und irgendwann kam sie zum Oberkörper. Wenn ich jetzt sage, jeder Piercer wäre schreiend davon gelaufen, trifft es mein Empfinden recht gut. Denkt euch euren Teil!
Charles hingegen atmete schwer und versuchte immer wieder sich nichts anmerken zu lassen. Bei Odin, er war doch härter im Nehmen, als erwartet.
Dann trat plötzlich mein Mann vor und verabreichte ihm eine Schelle, die sich gewaschen hat.
„DAS war jetzt der Anfang dafür, was ihr meiner Frau angetan habt.“
Eine weitere Ohrfeige folgte. „Und das ist für eure Tölen, die ihr nicht unter Kontrolle habt.“
Wieder folgte die flache Hand im Gesicht von Lee. „Dieser Schlag war für eure impertinente unfähige und vor allem schleimerische Art!“ brüllte mein Mann. Zum ersten Male sah ich ihn die Kontrolle wirklich verlieren.
Er schlug zu, immer wieder. Nicht nur die flache Hand, es landeten auch seine Fäuste im Gesicht von unserem Opfer.
Irgendwann hielt ich ihn zurück, weil… ich wollte auch noch etwas von diesem Arschloch haben!
Erst als Shay meinen Mann packte und von Charles wegzog, wurde ihm bewusst, was er getan hatte. Sein Atem ging schwer und sein Blick war völlig vernebelt.
„Master Kenway…“ hörte ich Shay leise sprechen.
„Es… es geht mir gut.“ flüsterte mein Mann. In seinem Gesicht sah ich eine gewisse Befriedigung. „Das war nötig, mi sol. Wie sagst du es so gerne? Ich musste mich austoben. Es hatte sich einiges angestaut.“ sprach er leise weiter. „Mach weiter, ich will ihn leiden sehen.“ dieser Befehlston ermunterte mich, wirklich meinen Gelüsten nachzugehen. Lasst euch gesagt sein, ich habe es genossen.
Charles hatte irgendwann unzählige kleine Schnittwunden am ganzen Körper, sein Gesicht sah unförmig aus und die Haut war blutunterlaufen. Sein Jammern half ihm aber nicht, im Gegenteil! Es stachelte mich an, weiter zumachen. Nicht nur mich.
„Was meinst du, mein preußisches Weib. Wollen wir mal sehen, was er sonst noch aushält? Austeilen kann dieses Arschloch ja, kann er aber auch einstecken?“ in diesen Worten klang ein solcher Hass mit, dass es mich… nicht schüttelte. Im Gegenteil! Ich schloss von hinten meine Arme um meine Schwester.
„Lass ihn uns weiter quälen…“ sprach süffisant und grinste über ihre Schulter auf Charles herab.
In den nächsten Stunden erlebte er neben den Qualen auch einige selige Momente, welche aber keinesfalls von uns gewollt waren. Bei Odin, stand er etwa auf sowas? Seine Erregung zeitweise war eindeutig. Faith und ich fanden aber schnell eine Abhilfe dafür.
Es gab ein kleines feines Röhrchen aus Elfenbein, welches zum Ende breiter wurde. Berührungsängste hatte nur ich, meine Schwester als Heilerin war da etwas unbekümmerter.
„Mi sol, das wird doch nicht dahin geschoben…. Jesus!!!!!“ hörte ich meine Mann erstickt ausstoßen. Ja, DORT wurde es eingeführt, langsam und stetig. Nie wieder würde er auf die Idee kommen eine Frau anzufassen, hoffte ich jedenfalls!
„Und solltet ihr in Zukunft auch nur im entferntesten noch einmal eine Frau gegen ihren Willen nehmen wollen, dann wünsche ich euch, dass euch euer Schwanz abfallen möge!“ fauchte ich dicht an seinem Ohr.
Wir machten noch eine Weile weiter, es gab ja noch mehr Haut, noch mehr Körperregionen, die wir malträtieren konnten!
Der Bock war dann etwas, wo sich Shay austoben konnte, aber auch Haytham ließ Lee die Riemen spüren.
Irgendwann sackte dieser Möchtegern-Feldherr jammernd zusammen und ich sah grinsend auf dieses erbärmliche Häufchen Mann. In diesem Moment war ich froh zu wissen, dass er NIE eine Frau haben wird. Außerdem würde er nie in unsere Nähe ziehen, so wie mein Mann es ja eigentlich im Tagebuch damals beschrieben hatte. Dafür hatten wir alle gesorgt. Die Geschichte änderte sich, wenn auch nur im kleinen Rahmen.
Du kannst ihn nicht so in seine Zelle zurückbringen. Er muss unversehrt dorthin gebracht werden. Hörte ich Odin in meinem Kopf.
Widerwillig begann ich, seine Blessuren zu mildern…
„Oh, danke… danke Mistress Kenway…“ nun gut! Ich wollte ihn nicht allzu sehr frohlocken lassen und beließ einige nicht sofort sichtbare „Wunden“ an seinem Körper.
„Halt einfach die Fresse und freu dich auf die Zelle!“ fauchte ich.
Sogar Faith hielt sich mit ihren „Heilkünsten“ zurück. Wir beide grinsten uns an, dabei stieg in mir plötzlich ein wohliges und vor allem lüsternes Kribbeln empor!
Wenn er wieder hinter Schloss und Riegel ist, will ich dich, mo rionnag! Hörte ich mich sagen oder denken? Aber weder Shay noch Haytham schienen es gehört zu haben.
Ein lautes Stöhnen ließ mich aufschrecken und ich sah diesen Mann, welcher im wahrsten Sinne des Wortes in den Seilen hing.
Unsere Männer banden ihn los und ließen ihn sich wieder ankleiden. Bei Odin, dieser Körperbau war unter aller Sau, wenn man mich fragt. Aber vermutlich reine Geschmackssache, oder?
Nur Haytham und ich würden ihn wieder zurückbringen, Shay und Faith blieben hier. Wir wollten nicht zu viel Aufmerksamkeit auf uns ziehen.
In der Eingangshalle begannen wir, Lee eine andere Erinnerung einzupflanzen. Jedoch ließ ich es mir nicht nehmen, ihm mitzuteilen, dass ihm immer, wenn er etwas aus Elfenbein sieht, übel wird.
DAS war nicht ganz das, was wir… aber ich kann dich verstehen… hörte ich den Göttervater in meinem Kopf. Er billigte es, wie so oft war auch er recht skrupellos, was mir natürlich in die Karten in diesem Moment spielte.
„Mi sol, ich denke, Shay und ich werden Charles wieder zurückbringen!“ hauchte er leise an mein Ohr mit einem verstohlenen Blick zu Faith.
„Lasst euch ruhig Zeit, mi amor.“ flüsterte ich ebenso leise, dann wandte ich mich meiner Schwester zu. Unsere Männer verschwanden in der Nacht und ich folgte mo rionnag in ihr Schlafzimmer. Ohne Worte holten wir uns aus den Sachen und ehe ich mich versah, lag ich unter ihr auf dem großen Bett.
„Ich habe dich vermisst, mo rionnag.“ hörte ich mich stockend sagen.
„Ich dich auch, aber… du hast mir etwas zu erklären…“ in ihrem Tonfall lag ein gewisser Befehlston, welcher mich aufhorchen ließ.
„Was?…“ seufzte ich, als ihre Finger über meine Haut strichen.
„Wer war diese andere Frau?“ woher wusste sie… oh natürlich…
„Evelyn ist… sie ist… bei Odin… wenn du weiter so mit deiner Zunge machst, werde ich nicht antworten!“ stöhnte ich und umschlang sie mit meinen Armen.
„WER ist sie!“ in diesen Eisblauen Augen lag eine Dominanz welche mich unweigerlich auf die Knie sinken ließ! Also erzählte ich, dass es mit Balders Zeichen zusammenhing, dass es aber eine völlig andere Verbindung als zu ihr war.
„Dreh dich um.“ hörte ich sie sagen, kniete mich aufs Bett und spürte zuerst nur ihre Hände, welche meine Haut am Hintern wärmten. Dann aber war es ein leichter stechender Schmerz, keiner der unangenehm war, aber… es war Schmerz.
Irgendwann lagen wir auf den Laken, küssten uns und unsere Finger erkundeten jeden Millimeter Haut der anderen.
Plötzlich sah ich, wie die Zeichen sich auf ihrer Haut hervorhoben, genauso wie bei mir und ich fühlte wieder diesen Wunsch, Faith haben zu wollen. Es war lange nicht mehr so intensiv gewesen und ich hatte es vermisst.
Ich ließ meine Lippen erneut über ihren Körper wandern und tauchte mit meiner Zunge in sie ein. Es war einfach himmlisch. Ihr Becken hob sich mir entgegen und leise hörte ich meinen Namen aus ihrem Mund.
Faith zog mich wieder zu sich hoch und sie ließ mich ebenso in diesen Genuss kommen! Ich wollte mehr, es war wie damals, im Fort Arsenal! In meinem Kopf hörte ich diese Worte „Ich will mehr!“
Und dann klopfte es.
„Dürfen wir hereinkommen, oder sollen wir lieber unter freiem Himmel schlafen.“ Shay klang ein wenig genervt und ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen.
„Nein, ihr dürft uns gerne Gesellschaft leisten!“ hörte ich mich sagen!
Wir lagen einfach, wie Gott und Odin uns schufen, auf dem Bett und sahen unsere Männer grinsend an.
„Ist das jetzt eine Einladung?“ Haythams Stimme war rau und in seinen dunklen Augen sah ich, er wusste genau, was er zu tun hatte.
In Windeseile waren auch beide Herren entkleidet und… es war so ein unglaublich warmes Gefühl von Verbundenheit. Es war mir egal, dass mich ein anderer Mann so sah, es war mir egal, dass ich Faith und Shay zusah, während sie sich liebten.
Es war … wie hatte ich es immer genannt, eine Notwendigkeit, eine Art Rettungsanker. Meine doch recht sadistischen Gelüste kompensierte ich nun und konnte mich entspannen.
Irgendwann würde ich Faith sicherlich auch Evelyn vorstellen und wer weiß… ein entspannter Frauentag im Bad…
Am nächsten Morgen wurden wir unsanft von einem Boten mit der Nachricht geweckt, dass sich zwei der Insassen im Gefängnis das Leben genommen hatten. Wir mögen doch bitte sofort erscheinen und die anderen Personen separieren.
Ein Arzt hatte den Verdacht geäußert, dass eine Seuche umging und deshalb nicht nur unsere Gefangenen auch andere sterben würden!
„Oh bitte… das ist einfach Selbstmord. Holt nen Psychologen und gut ist.“ maulte ich schlaftrunken und erntete erstaunte Blicke.
„Was sind das für Menschen, welche Krankheiten können sie heilen?“ fragte mich der Ire gähnend.
„Krankheiten im Kopf.“ fluchte ich laut und begann mich aus den Laken zu befreien.
„Kann ich nicht einfach hierbleiben, mo rionnag?“ jammerte ich und warf mich auf meine Schwester.
„Wenn es nach mir ginge schon!“ verdammte Axt… unterdrücke dieses Kribbeln im Bauch.
Es war nebelig und kalt. Das machte diesen Weg nicht einfacher! Im Gegenteil!
„Da seid ihr ja! Nachdem die beiden ihre Mahlzeit bekommen hatten, lagen sie kurz darauf nach Luft ringend am Boden. Niemand vermag zu sagen, WAS das ganze ausgelöst hat.“ Master Davies war besorgt und ungehalten, weil er keine Erklärung hatte. Hieß es nicht, sie seien in der Nacht verstorben?
Im Grunde wurde mir schnell klar, dass es einfach dieser, ja ich wiederhole mich, Levantinische Weg war. Wir wurden dazu ausgebildet… mich schüttelte es dabei. Kamikaze-Assassinen… es gab sie wirklich! Vermutlich hatten sie absichtlich spitze Gegenstände verschluckt, weil es, auch wenn das Essen hier nicht das beste war, nicht an den Speisen liegen konnte.
Um die Diskussion und Erklärung abzuwenden sagte ich nur, wir würden uns darum kümmern.
Also hieß es jetzt, schnell Antworten zu bekommen.
Die letzte Nacht beflügelte mich immer noch und gab mir die Zuversicht, dass wir alles auch entsprechend aufklären konnten!
Haytham übernahm die Männer, während ich die 4 Frauen unter die Lupe nehmen wollte. Hier gab es ein kleines Zimmer, welches für Verhöre genutzt wurde. Zu meiner Enttäuschung gab es hier aber keinerlei „Werkzeuge“, vielleicht würde ja auch meine Fähigkeit für diese Dame ausreichen.
Besagte Insassin saß nun festgebunden auf dem Stuhl vor mir und sah mich hasserfüllt an.
„Ich wusste, ihr würdet früher oder später hier auftauchen! Aber ich werde schweigen wie ein Grab. Leider war ich noch nicht schnell genug, mich selber zu opfern für unseren Meister!“
Das klang so ehrfürchtig, dass man meinen könnte, sie spräche von einem Gott!
„Dann lasst mich vielleicht zu aller erst wissen, WER denn euer Meister ist. Ich kenne gerne die kleinen feinen Hintergründe.“ ich stellte mich hinter sie und bog ihren Kopf nach hinten, so dass sie mich ansehen musste.
„Ich kenne seinen Namen nicht!“ kam es entschieden aus ihrem Mund.
„So so. Und das soll ich euch glauben?“ höhnte ich.
„Ja, werdet ihr wohl. Mehr bekommt ihr nicht von mir zu hören!“ fauchte diese Frau.
Das hier war ein Verhör, oder nicht? Also war es nicht zu meinem persönlichen Vorteil, sondern ich musste Antworten bekommen! Langsam versuchte ich in den Kopf von der Gefangenen zu gelangen, aber mir fiel plötzlich eine kreisrunde Narbe an ihrem linken Oberarm auf! Ich ließ mir nichts anmerken und machte in meinem Tun weiter.
Diese verwirrenden Gänge in ihrem Kopf waren unheimlich, aber meine Vermutung bestätigte sich umgehend, als ich von weitem schon eine Erinnerung aus ihrer Kindheit sah. Sie saß mit ihren Eltern, vermutete ich mal, in einem Wohnzimmer und schaute Fernsehen!
Das war jetzt nicht das was ich gesucht hatte, aber es waren mal wieder Zukunfts-Assassinen hierher gelangt! Somit suchte ich jetzt als erstes genau DANACH! Es dauerte eine Weile, weil sich wie in einem Labyrinth Wände zu verschieben schienen und mich immer wieder andere Wege suchen ließen.
Dann endlich fand ich die entsprechenden Bilder und erschrak. Das Portal, durch welches sie hierher gelangte, war auf unserer Plantage! In einem der, aus ihrer Sicht, alten Lagerhäuser! Ich sah, wie sie mit einigen anderen dort eine Falltür öffnete und in den Untergrund ging. Es gab ein großes Geflecht aus kleineren und größeren Gängen, welche sich kreuz und quer anscheinend unter unserem Hab und Gut erstreckten! Würden WIR diese Tunnel bauen oder waren sie schon vorhanden?
Die Gruppe betrat nach einer Weile einen kleinen runden Raum, welcher in der Mitte besagtes Portal aufwies. Die Wände waren gemauert und es gab elektrisches Licht hier unten.
„Wir sind da, dann wollen wir mal sehen, ob es nicht doch möglich ist, diese ganze Bagage vom Erdboden zu tilgen.“ Höhnte einer der Herren, welcher sich als erster aufmachte, hindurch zugehen. Die anderen folgten ihm schweigend nacheinander. Die Gefangene schritt mit als letztes hindurch und ich sah, wie sie in einem dunklen Raum wieder auftauchte.
Sie folgte ihren Mitstreitern nach oben und als sie aus dem Keller heraustraten, sah ich, dass sie in dem alten Anwesen gelandet waren hier in London, welches von der Familie Kenway als Notunterkunft nach dem Brand genutzt worden war! Aber dort war nichts von einem Portal zu sehen gewesen damals. Weder Haytham noch ich hatten dort etwas ähnliches gesehen oder gespürt.
Also wäre das unsere Nächste Aufgabe! Ein weiteres dieser Portale hier zu schließen und ich machte mir im Hinterkopf eine Notiz für Yannick schon mal.
Langsam ging ich jetzt weiter, weil ich immer noch nicht wusste, WER sie denn nun hierher geschickt hatte. Von ihren Mitreisenden kannte ich niemanden und sie sahen auch alle eher „unwichtig“ aus. Niemanden von ihnen würde ich als „Meister“ betiteln!
Ich bog um eine weitere Ecke, ging immer weiter, fand aber keine weiteren Anhaltspunkte! Verdammt noch mal! Fluchte ich und donnerte meine Faust gegen eine Wand, oder besser ich wollte es. Meine Hand tauchte einfach hindurch!
War das hier alles nur Fake? Vorsichtig tastete ich mich weiter durch diese seltsame Barriere. Vor mir tauchten jetzt tatsächlich Erinnerungen auf, welche Rückschlüsse auf den Auftraggeber und Meister zuließen.
Leider war es nicht Eugene, wie ich gehofft hatte! Es war ein Spanier allem Anschein nach, sein Gesicht konnte ich jedoch nicht erkennen.
Ich bekam ein Gespräch mit, in welchem er sich über die ungerechte Behandlung seiner Familie durch die Templer beschwerte. Diese „Briten“ hätten vor ein paar hundert Jahren seinen Ururururgroßvater, wenn ich es richtig verstand, ermordet um sein Tagebuch zu bekommen! In den darauf folgenden Jahren versuchte die Familie es zurück zu erlangen, scheiterte aber immer wieder an dem Widerstand des britischen Ritus und dann fiel der Name Reginald Birch!
„Dieser Lackaffe hat seine stupiden Handlanger überall gehabt. Er hat sie dazu ausgebildet, die abtrünnigen Brüder zu beseitigen! Wir werden dem vorzeitig ein Ende bereiten, damit sie gar nicht erst soweit kommen können.“ sprach dieser Herr nun euphorisch und sah sich in der vor ihm sitzenden Gruppe um.
„Das heißt, wir müssen noch einmal diesen Russen bemühen, damit er ein Portal für uns öffnet?“ diese Frage klang genervt und kam von einem jungen Mann, welcher kopfschüttelnd auf seinem Stuhl saß.
„Ihr wisst doch, Seníor Avdeyev hat uns bisher nie im Stich gelassen!“ dieser feste Glaube an diesen Herren war aus diesen Worten zu hören. „Ich werde ihn gleich heute Abend noch benachrichtigen. Wir sollten jetzt Nägel mit Köpfen machen!“
Langsam löste sich diese Erinnerung auf und ging in eine andere über.
Die besagte Gruppe war also in London eingetroffen und hatte angefangen, sich umzuhören.
Immer wieder hörte ich sie sich beraten und die Verunsicherung der Leute war deutlich zu spüren. Man befürchtete, zu einer falschen Zeit angekommen zu sein!
„Hier gibt es diesen Birch aber nicht! Wie kann das sein?“
Sie schlichen sich zum Kenway-Anwesen und plötzlich sah ich, wie sie im Keller des Hauses die Wand einrissen! Der Kampf mit Haytham war zu sehen, den er mir geschildert hatte, nach welchem er dann die Barriere erschaffen hatte. Aber mein Mann hatte gesagt, er hätte die Truppe erledigt! Waren doch nicht alle tot?
Wie es aussah nicht! Dieser kleine Teil der Assassinen hatte sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können und war durch eine noch nicht abgesicherte Röhre wieder verschwunden!
„Da stimmt was nicht! Dieser Kenway sollte gar nicht hier sein!“ fauchte einer der Männer, als sie wieder an der frischen Luft waren. „Außerdem… hat das jemand von euch auch gesehen? Dieses Leuchten um ihn und dass er sich verändert hat? Was für eine Macht hat der Typ plötzlich? Warum wissen wir davon nichts?“
In diesem Moment atmete ich erleichtert durch, weil nichts von unseren Fähigkeiten, den uns angehörenden Göttern und ähnlichem, zu ihnen durchgesickert war. Ich konnte mir ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen und streifte noch eine Weile hier weiter durch.
Nach einigen Erinnerungen, welche die Dame an ihren Liebhaber hatte, beschloss ich, mich zurück zuziehen. Langsam tauchte ich im Verhörraum wieder auf und sah auf eine Frau hinunter, die mich mit großen Augen musterte!
„Wie… wie macht ihr das? Das …!“ Ihren Namen hatte ich noch erfahren, aber der tut nichts zur Sache, weil sie hier bald das zeitliche segnen wird und nie wieder zurückkehren wird. Wir konnten keine weiteren Risiken mehr eingehen!
„Das, meine Liebe, bleibt mein Geheimnis. Ihr werdet es nicht weiter erzählen können, davon könnt ihr ausgehen!“ flüsterte ich düster in ihr Ohr und ich spürte die Gänsehaut auf ihrem Körper.
Zufrieden ließ ich sie von einer Wache wieder in die Zelle der Frauen bringen und ging zu meinem Mann.
Haytham hing über seinem Gefangenen, hatte seinen Kiefer ergriffen und zischte ihn an, endlich den Mund aufzumachen.
Der Herr bemerkte mich und grinste, er versuchte es besser gesagt, meinen Templer an.
„Stures Pack, mehr kann ich dazu nicht sagen.“ fauchte er über seine Schulter in meine Richtung.
„Lass ihn einfach, ich habe alles nötige schon erfahren. Sie haben sich, wie schon so viele andere vor ihnen, fehlleiten lassen. Vermutlich weil Eugene sie alle für entbehrlich hielt und somit diese Brut schnell loswerden konnte!“ erklärte ich die Situation etwas überspitzt, weil ich hoffte, dadurch diesen Abschaum zum Reden zu bekommen.
„Vielleicht sollten wir ihn über diese Meute richten lassen, was meinst du?“ jetzt war auch mein Mann besserer Laune und in seiner Stimme klang ein tiefer Zynismus mit, welcher bei dem Gefangenen nicht sehr gut ankam. Seine Augen weiteten sich und er begann zu stammeln.
„Nein, ihr könnt mich so nicht gehen lassen. Ich werde…“ ich brauchte keine Erklärung mehr und hieß ihn schweigen!
„Wer spricht denn davon, dass wir euch gehen lassen?“ in meiner Stimme klang das kleine böse Teufelchen mit und mein Lächeln ließ ihn erstarren!
Bevor es aber soweit sein sollte, wurde der Herr zurück zu seinen Freunden gebracht. Wenn ich recht darüber nachdachte, könnten wir auch darauf warten, bis sie sich selber das Leben genommen hatten. Und ich weiß, das klingt mehr als makaber, aber es wäre einfacher, als sie alle hinrichten zu lassen. Denn das ließe sich mitunter in der Geschichte Londons später noch nachlesen und wir mussten so etwas einfach vermeiden, oder wenigstens versuchen zu vermeiden.
Ich folgte der Wache, dem Gefangenen und meinem Mann zu der „Männerzelle“. Im Gang herrschte Aufregung und einer der Soldaten hantierte hektisch mit dem Zellenschlüssel herum.
„Schneller, er stirbt!“ schrien die Inhaftierten der Zelle. Haytham und ich sahen uns an, zogen die Schwerter und machten uns Kampfbereit. Das klang nach einer Falle!
Die Zellentür war noch nicht ganz offen, da stürmten die Männer heraus und überwältigten den völlig überraschten Wachmann.
Aber mit uns, die wir noch außerhalb ihres Sichtfeldes geblieben waren, hatten sie nicht gerechnet! Alle Gefangenen waren unbewaffnet und mussten sich mit ihren Fäusten wehren, was uns zum Vorteil gereichte.
Aus den Augenwinkeln sah ich aber, wie sich einer den Schlüsselbund schnappte und schon auf dem Sprung zu den Frauen war. Diese waren einen Gang weiter untergebracht. Ich sprintete hinter ihm her, sprang in seinen Rücken und er fiel mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Ich hörte ein unangenehmes Knirschen von Knochen und als er sich jetzt stöhnend aufrichten wollte, sah ich, dass seine Nase etwas schief in seinem Gesicht hing.
Ich trat noch einmal nach und schob damit die Knochen in seinen Schädel. Er war tot, bevor er wieder auf die Backsteine aufschlug!
Als ich wieder zurück zum Männertrakt kam, herrschte dort große Aufregung. Sogar Richter Davies war erschienen und inspizierte das Chaos.
„Wie konnte das passieren? Welcher Idiot hat bitte die Zelle aufgeschlossen?“ brüllte er die hier anwesenden Soldaten an.
„Ich war das, Sir.“ es war mehr ein Flüstern und dieser Mann verkroch sich regelrecht hinter seinen Kameraden. Aber das würde ihm nichts nützen!
„4 Wochen Soldentzug und Latrinendienst!“ schrie der Richter und deutete dem Herren sich unverzüglich zu entfernen. „Und jetzt räumt hier auf und… haben wir Namen für die Gräber?“ hörte ich ihn jetzt etwas ruhiger fragen.
„Nein, Sir. Wir haben noch nichts aus ihnen herausbekommen.“ entschuldigte sich ein weiterer Wächter.
„Dann kann ich es auch nicht ändern. Schafft die Toten hier weg! Master Kenway! Ihr seid mir eine Erklärung schuldig, warum es immer zu irgendwelchen Katastrophen kommt, sobald ihr und eure Gattin hier auftauchen!“ seine Stimme hatte sich wieder erhoben.
„Woher sollen wir das wissen, Richter Davies?“ rutschte es mir heraus, weil ich doch ein wenig genervt gerade war.
„Mistress Kenway, ich muss doch sehr bitten!“ er sah mich böse an. Dann bat er uns, ihm zu folgen!
In seiner Richterstube setzte er sich seufzend an seinen Schreibtisch!
„Wieder haben wir einige Tote zu beklagen, ob ich sie der Flucht beschuldigen kann und ihr Ableben dahin gehend erklären kann... Dennoch… woher stammen diese Leute und was haben sie mit euch zu tun?“
Für einen Moment war ich am Überlegen, wie man ihm das erklären könnte. Es war aber Haytham, welcher ihm jetzt erklärte, dass es sich um Geldfälscher, Diebe und Vergewaltiger gehandelt hätte.
Warum auch immer schien Richter Davies das als Antwort und Erklärung zu genügen.
„Was machen wir mit den Frauen? Sie sind sicherlich harmlos, also werde ich sie wieder auf freien Fuß setzen.“ er überlegte, ob er sofort zur Tat schreiten sollte.
„Nein, sie müssen noch in Gewahrsam bleiben, bis wir sicher sein können, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht.“ wieder hatte mein Mann das Wort ergriffen.
„Und wie viel Zeit wird das in Anspruch nehmen, Master Kenway?“ hörte ich den Richter genervt fragen.
„Nicht sehr lange, vermute ich.“ souverän erhob sich mein Templer und wir verabschiedeten uns.
Auf dem Gang nahm er mich zur Seite und sah mir lange in die Augen.
„Wir müssen diese Damen zum Schweigen bringen. Wir sollten ein Messer oder ähnliches in die Zelle geben. Laut deiner Aussage sind diese Assassinen auf diesen Weg des Sterbens trainiert.“ mir widerstrebte es ein wenig, sie so umkommen zu lassen. Aber Haytham hatte Recht, sie waren schon vorher selber auf solch eine Idee gekommen.
Mein Gatte hatte seinen kleinen „Notfalldolch“ gezückt und wir marschierten zu den Frauenzellen.
Hier herrschte wirklich langsam Platzmangel und es waren nicht nur arme Bettler oder Huren hier vertreten. Man sah auch besser gekleidete Damen und Herren, welche zitternd vor Angst auf ihren Pritschen lagen oder saßen.
Beiläufig ließ mein Templer den Dolch am Gitter der Frauenzelle herunterfallen und ging dann weiter.
Plötzlich hörte ich ein leises „Danke“. Als ich mich umdrehte, sah ich eine junge Frau, welche den Dolch an sich genommen hatte und uns wirklich dankbar anlächelte.
Trotzdem fühlte ich mich nicht gut bei dem Gedanken, andere zum Selbstmord anzustiften, auch wenn es einem antrainiert worden ist.
Auf dem Weg hinaus ins Freie erzählte ich Haytham jetzt, was ich aus meiner Gefangenen herausbekommen hatte.
„Dieser Spanier ist ein Nachfahre von Vedomir? Bist du dir sicher?“ seine Stimme klang ungläubig.
„So wie es aussieht ja und aus irgendeinem Grund hat sich seine Familie wohl dann vom Templerorden ganz abgewandt und hat sich den Assassinen angeschlossen. Was ich aber mehr als beunruhigend finde ist, dass Avdeyev lustig durch die Geschichte reist und überall ein heilloses Durcheinander hinterlässt. Aber wir können stolz sein! Von unseren Fähigkeiten oder den Göttern an unserer Seite scheint nichts an ihre Ohren gekommen zu sein! Auch Eugene hat ihnen nichts verraten!“ freute ich mich, ebenso sah auch mein Mann etwas erleichterter war.
„Das ist wirklich mal eine gute Nachricht, mi sol. Aber dieser Spanier, hast du ihn gesehen?“ und mir kam der Gedanke, dass er wohl bei der Gruppe gewesen sein muss, die Haytham gen Hel geschickt hatte.
„Leider habe ich nur seine Silhouette gesehen. Er trug einen dunklen Anzug, aber sein Gesicht konnte ich nicht sehen.“ flüsterte ich leise, weil ich gar nicht mehr weiter darüber nachgedacht hatte.
Plötzlich schlug Haytham gegen die Mauer und sah mich grinsend an.
„Wir haben aber jemanden, der uns da weiterhelfen kann! Charles. Seine Zelle ist unweit der von diesen Assassinen!“ mit neuem Elan zog er mich wieder hinter sich her in das Gebäude. Eigentlich wollte ich so langsam hier weg, aber im Grunde mussten wir wirklich noch erfahren, ob jetzt alle beseitigt waren.
Bei besagtem Lee angekommen, wurden wir überschwänglich begrüßt. Seine Blessuren waren abgeklungen und er schien bester Laune zu sein.
„Master Lee, wie ich sehe, geht es euch gut. Wie ist das werte Befinden?“ Mein Mann war ganz der Großmeister und sah auf seinen Schützling herab.
„Danke der Nachfrage, Master Kenway. Mittlerweile werde ich hier auch entsprechend meines Standes behandelt. Was verschafft mir die Ehre eures Besuches?“ als aber sein Blick auf mich fiel, verdunkelte sich sein Gesicht und er funkelte mich böse an.
„Habt ihr in den Nachbarzellen vielleicht etwas vernommen von den Gesprächen der Insassen? Gerade von denen, die erst vor ein paar Tagen hierher gebracht wurden?“ diese Neutralität fand ich sehr bemerkenswert, ich sollte noch daran arbeiten, sie selber einsetzen zu können.
Und Charles begann zu plaudern!
Die Herren, allesamt niederes Fußvolk und völlig ungebildet seiner Meinung nach, hätten sich über einen Herren ausgelassen, welcher für diese Situation zuständig sei. Ihr Meister würde sie aber sicherlich aus dieser Misere befreien, da waren sie sich durch die Bank weg einig.
„Wisst ihr vielleicht, aus welchen Regionen die Herren stammten? Habt ihr einen Akzent heraus hören können?“ kam es neugierig von Haytham.
„Oh Sir, sie alle hatten einen grauenhaften Akzent! Preußisch!“ fauchte er mit Blick in meine Richtung.
„Seid ihr euch sicher, dass es keine anderen Sprachen waren?“ mein Gatte war die Ruhe in Person, hatte mir aber zur Beruhigung seine Hand auf meinen Arm gelegt.
„Wenn ich so darüber nachdenke… es könnte auch etwas wie italienisch gewesen sein… Wisst ihr, ich kenne mich da nicht so gut aus, Sir.“ entschuldigte er sich schleimerisch bei seinem Großmeister.
„Spanisch vielleicht?“ mit einer hochgezogenen Augenbraue sah ich ihn an.
„Als wenn ihr wüsstet, wie sich das anhört!“ schnaubte er mich an.
„Charles!“ Haytham trat einen Schritt auf ihn zu. „Ihr habt nicht so mit meiner Frau zu reden, ist das klar? Ansonsten kann ich euch auch noch länger hier festsetzen!“
„Verzeiht mir, Master Kenway.“ in mir stieg wieder diese Übelkeit hoch. Ich hasste dieses widerliche Rumgeschleime einfach. „Es könnte aber auch spanisch gewesen sein. Was ich aber noch gehört habe, ist dass man sich fragte, wo Master Birch sei. Man weiß doch, dass er nicht mehr lebt, warum sollten sie nach ihm gesucht haben?“ in seiner Stimme hörte ich diese Neugierde heraus, welche auch Haytham nicht entging. Wir würden einen Teufel tun, ihn in dieser Angelegenheit weiter zu unterrichten.
„Diese Herrschaften sind einfach zu leichtgläubig.“ kam es leichthin von meinem Templer.
Wir verabschiedeten uns jetzt, aber nicht ohne ein bisschen Quälerei von meiner Seite! Beim Umdrehen holte ich einen kleinen Elfenbeinstab aus meiner Rocktasche und hielt ihn Lee vors Gesicht. Mit lautem Würgen und einem grünen Gesicht, drehte er sich um und erbrach sich heftig in die Ecke seiner Zelle.
Zufrieden konnte ich nun hier verschwinden, meine kleine Gehirnwäsche zahlte sich aus!
Draußen atmete ich erleichtert aus, dann sog ich die klare Luft in meine Lungen.
„Das tat gut, mi amor!“ kicherte ich.
„Du bist ein böses Weib, mi sol. Aber ich liebe dieses garstige an dir.“ in seinen Augen sah ich, dass er noch ganz andere Dinge an mir liebte.
Wir machten uns nun endlich auf den Weg nach Hause, wo wir auch schon sehnsüchtig erwartet wurden.
Nachdem wir uns umgezogen hatten, konnten wir uns zu den anderen zum Abendessen ins Esszimmer setzen.
Florence saß bei Sophia auf dem Schoß, aber rührte ihr Essen nicht an. Besorgt sah ich sie an. „Min lille engel, hast du keinen Hunger?“
Mit trüben Augen sah sie mich an und begann zu weinen. Gerade als Sophia zu mir herüberkommen wollte, übergab sich meine Tochter. Eine Magd stellte schnell den Ascheeimer vor Florence, ehe sie noch einmal auf den Teppich spucken konnte.
Ich hielt sie jetzt fest und strich ihr vorsichtig über den Rücken.
„Geht es wieder?“ flüsterte ich leise, aber sie weinte weiter, zeigte auf ihren Bauch und jammerte. „Dein Bauch tut weh?“ ein Nicken reichte mir, ehe ich sie wieder über den Eimer hielt.
Auf dem Weg nach oben, lehnte Florence sich an meine Schulter und ich sah diesen Schweißfilm auf ihrem Gesicht. Sie war Leichenblass, atmete hektisch und ihre Augen fielen immer wieder zu.
In ihrem Zimmer legte ich sie ins Bett, machte ihr kühle Wadenwickel und legte kalte Lappen auf die Stirn. Immer wieder musste ich der kleinen Maus eine Schüssel reichen, weil sie sich übergab.
„Mama, AUAAAAAAA!“ sie wurde dabei immer lauter und hielt sich den Bauch. In mir keimte die Angst, dass der Blinddarm schuld sein könnte. Als ich die rechte Seite abtastete, zuckte sie dabei tatsächlich zusammen.
„Haytham, lass den Arzt rufen. Wenn ich mich nicht irre, dann ist der Blinddarm entzündet.“ Bevor er aber noch fragen konnte, woher ich das wusste, scheuchte ich ihn mit einem zischenden Laut davon.
„Mama, was hat Flo denn?“ Edward saß neben seiner Schwester auf dem Bett und strich ihr über das nasse Gesicht.
„Genau weiß ich es nicht, aber in ihrem Bauch hat sich wahrscheinlich etwas entzündet. Das tut ihr jetzt weh, min lille skat.“ ich versuchte dabei ruhig zu bleiben, aber als Mutter war das leichter gesagt als getan.
Immer wieder wälzte meine Tochter sich hin und her, jammerte, erbrach sich. Ich fühlte mich so dermaßen hilflos gerade und fragte mich, wo JETZT unsere Götter waren? Warum stand man uns nicht bei in diesem Moment?
Ich hatte es noch nicht zu Ende gedacht, da erschienen auf der Haut meines Sohnes diese Zeichen. Aber sie sahen anders aus, leuchteten intensiver als sonst. Ohne dass ich noch etwas sagen konnte, strich er mit seinen Händen über den Bauch von Florence. Immer wieder mit bedächtigem Druck. Auch um ihn herum war dieses goldene Leuchten zu sehen.
Plötzlich klopfte es und der Doktor bat um Einlass. Wie auf Knopfdruck war Edward wieder er selber, lächelte mich aber zufrieden an, dann legte er sich einfach auf die andere Seite des Bettes.
„Dann wollen wir doch mal nach der kleinen Patientin sehen.“ hörte ich Doktor Crawford neben mir und machte ihm Platz.
Florence sah ihn mit ängstlichem Ausdruck an und begann wieder zu weinen.
„Min lille engel, keine Angst. Der Arzt schaut nur, was dir fehlen könnte.“ dabei hielt ich ihre kleine Hand fest.
Auch er drückte hier und da, fühlte nach Fieber und anderen Anzeichen von Ausschlag zum Beispiel. Irgendwann stand er auf, wusch sich die Hände und stand dann unschlüssig am Bett.
„Mistress Kenway, versteht mich nicht falsch, aber eurer Tochter fehlt nichts. Es ist wohl nur eine Magenverstimmung. Das kommt bei den kleinen Kindern ja des öfteren vor. Da braucht ihr euch nicht zu sorgen.“ ich hörte aber, dass er der Meinung war, ich hätte überreagiert.
„Ich habe meine Schwester…“ wollte mein Sohn schon anfangen, doch Haytham sah ihn streng an, was unseren Sohn augenblicklich verstummen ließ.
„Master Edward, ihr habt Miss Florence zur Seite gestanden. Das habt ihr hervorragend gemacht. Ein großer Bruder sollte immer auf seine kleine Schwester achten.“ Doktor Crawford wuschelte ihm noch anerkennend durch die Haare, ehe er sich ganz verabschiedete und Haytham ihn nach draußen begleitete.
„Habe ich etwas falsch gemacht?“ flüsterte Edward jetzt mit Tränen in den Augen.
„Nein, min lille skat. Aber du weißt doch, dass du das nicht einfach so fremden Menschen erzählen sollst.“ Ich hob ihn auf meinen Schoß, nachdem ich Florence noch einmal das Gesicht abgewischt habe und Sophia sie nun in ein Nachthemd steckte.
„Eddy!“ hörte ich die freudige Stimme meiner Tochter und ihr großer Bruder nahm sie in den Arm.
„Ich passe auf dich auf und Mutter Idun hat gesagt, dass das jetzt nicht mehr bei dir passieren kann.“ fragend sah ich ihn an, hörte aber dann die Stimme der Göttin in meinem Kopf.
Dieses kleine Stückchen böses Gewebe ist nicht mehr da. Dein Sohn hat es wirklich fast alleine geschafft, sie zu heilen! Du kannst stolz auf ihn sein. Sie war ebenso stolz auf ihren Schützling, welcher mit stolzgeschwellter Brust auf meinem Schoß saß, während er seine Schwester festhielt.
Mittlerweile hatte meine Tochter auch wieder Farbe im Gesicht und fragte nach etwas zu trinken. Sophia gab ihr etwas von ihrem Tee, was sie auch begierig trank. Wie gut konnte ich sie verstehen, ihr Hals tat ihr bestimmt weh. Vom Durst mal ganz abgesehen!
Als sie dann erschöpft einschlief, während Edward sie weiterhin im Arm hielt und ebenso eingeschlafen war, ging ich leise hinaus.
Unten wartete Haytham schon und starrte in den Kamin.
„Ist alles in Ordnung?“ fragte ich besorgt, weil er gar nicht mehr oben gewesen war.
„Was? Ja, natürlich. Ich hatte nur für den Bruchteil einer Sekunde diese Panik, dass ich, dass WIR Florence verlieren könnten. Und das nur wegen eines völlig unnützen Organs!“ woher er das wüsste, wollte ich wissen. „Idun hat es mir erklärt, nachdem mich Doktor Crawford auch noch einmal darauf hingewiesen hat, worauf man in dem Falle achten sollte. Wie hat man das aber in deiner Zeit in den Griff bekommen?“ gerade als ich ansetzte und nur den Begriff Operation in den Mund nahm, verstand er umgehend.
„Faszinierend eure Medizin!“ flüsterte er immer noch recht ehrfürchtig und zog mich an seine Seite.
„Ja, aber sie birgt ebenso große Risiken wie dieses Jahrhundert mit der Medizin in den Kinderschuhen. Du weißt doch, alles hat Vor- und Nachteile.“ seufzte ich, weil plötzlich die Anspannung und das Adrenalin von mir abfielen.
Wir wünschten Jenny noch eine gute Nacht und gingen dann nach oben. Daniel hatte heute noch seine Herrenrunde in einem Club und vor 4 Uhr war mit ihm nicht zu rechnen. Zum ersten Mal fragte ich meinen Mann, warum er eigentlich noch nie bei solchen Treffen war?
„Ich weiß es nicht. Es hat mich nie wirklich interessiert. Außerdem fehlte mir meistens die Zeit. Aber wenn du mich gerne los werden willst, kann ich das in Zukunft ja ruhig öfter anstreben. Bedenke aber, dass es dort auch nette Damen zur Freizeitgestaltung gibt.“ gespielt fies sah er mich an.
„Gerne, dann habe ich auch endlich mal einen freien Abend…“ so schnell konnte ich nicht schauen, wie ich auf unserem Bett unter ihm lag.
Freie Abende wären mir also demnach nicht wirklich vergönnt, wenn ich seine Lektion richtig verstanden hatte.
In seinen Armen schlief ich wenig später ein, aber die Bilder von meiner kranken Tochter ließen mich in dieser Nacht nicht los.
Der Gedanke, dass unseren Kindern etwas ernsteres zustoßen könnte und wir sie nicht retten konnten, brachte mir eine recht schlaflose Nacht.
Der nächste Morgen war einfach grausam. Auf dem Flur hörte ich lautes Poltern, bellen und lautes Kinderlachen. Nicht dass ich DAS schlimm fand, es war die Uhrzeit, welche mich störte!
„Mamaaaaaa! Papaaaaaa! Aufstehen!“ schwups war Edward mit Schwester und Hündin bei uns im Schlafzimmer.
Florence hatte sich schnell erholt von gestern Abend und krabbelte aufs Bett zu ihrem Vater, während Edward mich in Beschlag nahm.
„Wollen wir heute wieder die Tiere ansehen gehen? Bitteeeeeeeeee!“ bettelte mein kleiner Schatz und warf sich mir auf die Brust.
„Frag deinen Vater.“ gähnte ich. Besagter Mann hatte seine Tochter auf dem Schoß.
„Vater! Sag schon! Gehen wir wieder die Löwen anschauen?“ er stupste seinen Vater dabei immer wieder an.
„Das wäre sogar eine wunderbare Idee, nicht wahr, mi sol? Der Tower ist so groß, da gibt es bestimmt auch noch vieles andere zu sehen.“ ohhhh, ich verstand, worauf er anspielte. Noch hatten wir die Rüstung nicht in Angriff genommen, weil wir den Scharfschützen diesen Frost nicht zumuten wollten. Jetzt war es aber März und die Temperaturen stiegen stetig.
„Du hast Recht, mi amor. Aber Edward und Florence haben bestimmt keine Lust, den ganzen Vormittag dort zu bleiben…“ ich legte meinen ganzen Sarkasmus in diese Worte. Entsetzt sah mich Edward an. „Doch! Ich will dahin! Ganz bestimmt!“ als ich begann zu lachen, verstand er, dass ich es gar nicht so ernst gemeint hatte. „Mama, du bist gemein. Immer ärgerst du mich!“ aber auch mein kleiner Schatz konnte sich ein Kichern nicht verkneifen.
Beim Frühstück saß uns ein verkaterter Master Mormon gegenüber, welcher mit blassem Gesicht in seine Teetasse starrte.
„Daniel, geht es euch nicht gut? War einer der 30 Brandys doch schlecht?“ ich konnte mir diesen Satz einfach nicht verkneifen, wer den Schaden hat…
Erst jetzt bemerkte ich, dass Jennifer ihn wütend anfunkelte.
„Und anscheinend hat ihn auch noch etwas angegriffen. Dort müssen wohl unerzogene Haustiere sein, die einfach so in den Oberschenkel beißen!“ fauchte sie und mir dämmerte, dass gerade der Haussegen etwas schief hing.
Bissspuren an dieser Stelle, ich vermutete auch eher in den höheren Regionen, deuteten auf die besagten Damen zur Freizeitgestaltung hin. Aber ich konnte mir das beim besten Willen nicht von meinem Schwager vorstellen. Er war eine treue Person!
Nach dem Frühstück nahm ich mir Jenny und ging mit ihr in den Salon, während Haytham sich Daniel schnappte und mit ihm ins Arbeitszimmer verschwand.
„Alex, er hatte wirklich die Abdrücke von Zähnen auf den Innenseiten seiner Schenkel und er roch nach diesem billigen Puder und Parfüm der Huren! Er hat sich tatsächlich mit einer dieser Schlampen eingelassen!“ schluchzend hing sie an meiner Schulter. Beruhigend strich ihr über den Rücken.
„Nein, das kann ich mir nicht vorstellen…“ aber sie ließ mich nicht ausreden.
„Du kannst ja auch leicht reden. Haytham würde gar nicht auf so eine Idee kommen, weil er einfach zu gut erzogen wurde. Aber Daniel scheint ja jede Gelegenheit zu nutzen, sich mit diesen Flittchen zu vergnügen.“ wieder liefen die Tränen und ich reichte ihr ein Taschentuch.
„Das glaube ich nicht. Diese Frauen sind die reinste Plage, dass hat auch schon dein Bruder gesagt. Auch er kam ab und an nach Hause und hatte diese Puderspuren auf seinem Rock oder roch nach diesen billigen Duftwässerchen.“ versuchte ich sie zu beruhigen, auch wenn es nicht ganz ehrlich war. Im Grunde war mein Mann nur ein einziges Mal so heim gekommen und das war noch zu der Zeit, als ich ihn in New York gepflegt hatte.
„So betrunken war er auch noch nie und weißt du, was noch schlimm ist? Man hat ihm seine Brieftasche gestohlen, wo er ein paar Notizen für seine Kollegen mitführte. Von dem Bargeld will ich gar nicht reden!“ schniefte sie weiter.
War das doch eher geplant? Steckte da mehr dahinter? Ich ermahnte mein Paranoides-Ich für ein paar Minuten noch Ruhe zu geben, damit ich später mit Haytham darüber reden konnte. Wer weiß, was Daniel ihm erzählen würde, oder besser noch berichten könnte. Viel wird es nicht sein, so betrunken wie er gewesen sein muss.
Ich reichte meiner Schwägerin ein Glas Brandy und redete ihr gut zu. Ich versuchte ihr den guten Charakter ihres Gatten noch einmal vor Augen zu führen, weil ich wirklich daran glaubte, dass dieser Mann treu war!
Etwas später saß ich mit Haytham dann in unserem Zimmer und wir berieten über diesen Vorfall.
„Daniel versicherte mir, dass er nicht mit einer dieser Damen geschlafen hat. Sie hätten ihn zwar dazu ermuntert, daher auch die Bissspuren, aber er sei standhaft geblieben… Alex! SO meinte ich das nicht!“ aber ein leises Lachen konnte auch er sich nicht verkneifen bei dieser zweideutigen Bemerkung. „Als er die Notizen ansprach, habe ich auch gleich nachgehakt, aber es waren nur Termine für ein Treffen mit einem Kameraden aus seiner alten Einheit. Außerdem hatte er ein Angebot bei sich für ein Collier für Jenny zum Geburtstag. Mehr war es nicht… Du kannst deine Verschwörungstheorie also ad Akta legen, mi sol.“ grinsend sah er mich an. Ja, er kannte mich zu gut!
„Deine Schwester muss noch lernen ihm zu vertrauen. Glaubst du auch, es liegt noch an ihren schlimmen Erfahrungen von damals? Wie können wir ihr die aber nehmen?“ ich wollte meiner Schwägerin diese Ängste nehmen, aber das würde nicht so einfach werden.
„Wir sollten sie heute in Ruhe lassen, damit sie das Ganze klären können. Wir werden erst am Nachmittag zurück sein, denke ich.“
Sehr zuversichtlich gedacht, Master Kenway.
Gesagt getan machten wir uns also mit den Kindern auf den Weg zum Tower um die Tiere mal wieder zu sehen.
Wir nutzten diese Gelegenheit um uns ein Bild von dem Gelände zu machen. Die Mauern, die Türme und auch die Sicherung, die Wachen und so weiter nahmen wir in Augenschein. Mit unseren Blicken konnten wir entsprechende Grundrisse ausmachen und uns so ein Bild machen, wohin wir müssten. Wir beobachteten auch den Wachwechsel, oder wie die Patrouillen verliefen.
Irgendwann wurde es aber Edward und Florence zu langweilig und wir gingen endlich die Tiere anschauen. Haytham sollte Recht behalten, wir verbrachten hier einige Stunden, aßen im Anschluss in einem kleinen Pub noch zu Mittag und waren erst am frühen Nachmittag wieder daheim.
Dort angekommen ging mein Mann auch gleich hinauf in das Arbeitszimmer um den Plan, welchen wir hatten, zu Papier zu bringen.
Florence war leider völlig übermüdet und wollte nicht mehr schlafen, also spielten wir mit ihr und Edward.
Die Eheleute Mormon schienen ihre Streitigkeiten beglichen zu haben. Beide hatten einen zufriedenen Ausdruck im Gesicht, welcher mich schmunzeln ließ.
Beim Abendessen erhielten wir dann die Nachricht, dass die inhaftierten Frauen einen Dolch in die Finger bekommen hätten und sich das Leben genommen hätten. Leider hat keine überlebt, also könne man auch keine weiteren Verhöre führen. Richter Davies versicherte, er sei untröstlich. Somit hatten wir eine kleine Sorge weniger. Fürs Erste!
Aber wir mussten immer noch das hiesige Portal schließen, von welchem ich ausging, dass es von Hrymr stammte.
Mir kam zum ersten Mal der absonderliche Gedanke, wenn ich so eine „Tür“ öffnen konnte, war es dann nicht auch umgekehrt möglich sie mit meinem Geist wieder zu schließen? Ich bräuchte es mir ja nur vor meinem inneren Auge vorstellen.
Durch die Erinnerung der Dame im Verhör wusste ich ja, WO sie eingestiegen waren!
„Wir sollten es versuchen.“ Haytham klang zwar etwas skeptisch, aber er vertraute mir, das wusste ich.
Wir machten uns an diesem Morgen also auf in das Haus in Bloomsbury. Ich hoffte, dass hier nicht noch mehr solches Assassinen-Pack aufgetaucht war.
Nein, es waren keine Auren auszumachen und auch Haytham nahm nichts weiter wahr, außer das Portal selber, welches tatsächlich immer noch im Keller aktiv war.
Wir schlichen uns hinunter, sicher ist sicher.
Schnell spürte ich, dass es sich um eine andere Art Portal handelte, auch wenn es exakt wie meines aussah!
„Vielleicht sollten wir einmal dort hindurch…“ fragte ich meinen Mann und er sah mich entsetzt an.
„Nein, ich will da nicht irgendwo in eine Falle laufen! Lass uns nun versuchen, dass hier zu schließen!“ in seiner Stimme klang ein wenig Angst mit, welche ich durchaus verstehen konnte.
„Also gut…“
Ich berührte meinen Armreif, stellte mir diese Falltür auf unserer Plantage vor, ging den Weg bis zu dem runden Raum und sah tatsächlich wieder dieses Gebilde vor mir. Plötzlich aber schoss mir der Gedanke in den Sinn, dass ich gar keine Zeitangaben hatte! Ich brach alles ab und erklärte mich auch gleich Haytham.
„Ich habe überhaupt nicht nach einem Datum gefragt! Ich kann es nicht schließen, wenn ich keine Zeitangabe habe! Verdammt!“ frustriert schnaubte ich und schlug mit der Faust auf eine der Wände.
„Alex, dein Ernst? Ich dachte, du hattest das in der Erinnerung gesehen?“ stöhnte Haytham genervt auf.
„Es tut mir ja leid, aber … ach verdammte Scheiße!“ fluchte ich erneut. Ich durchforstete noch einmal dieses Gespräch mit der Frau, suchte nach Anhaltspunkten für ein Datum, ein Jahr vielleicht. Die Kleidung brachte keine Erkenntnis, weil sie halt wie in den 2020ern war, nichts außergewöhnliches.
Plötzlich kam Bewegung in diesen Spiegel und ich schreckte zurück, genau wie Haytham. Wir zogen uns ein Stück zurück und warteten ab.
Hinaus trat eine einzelne Person, ein Mann. Hochgewachsen, olivfarbene Haut, dunkle Haare…
„Vedomir?“ flüsterte Haytham und sah mich mit großen Augen an. Woher sollte ich das wissen, ich kannte ihn nicht.
Mein Mann verließ unser Versteck und ging auf den Mann zu. Dieser fuhr erschrocken herum, als er unsere Anwesenheit bemerkte!
„Wer seid ihr?“ fuhr er uns erschrocken an, sprach aber spanisch. Diese paar Brocken konnte ich dann auch noch verstehen.
Haytham begann mit ihm zu sprechen, erklärte wo er sich befand und das Jahr tat er auch gleich kund.
„Das ist unmöglich! Seníor Avdeyev hat mir versprochen, dass ich Rache üben kann!“ sprach er erzürnt in gebrochenem Englisch.
Es entbrannte eine hitzige Diskussion darüber, wer wer ist, warum wer gerade hier ist und so weiter. Irgendwann saß ich auf dem Boden und zählte die Backsteine in der Wand, weil ich kaum noch ein Wort verstand.
Plötzlich klopften sich die beiden Männer auf die Schulter und ich sah sie erstaunt an.
„Darf ich euch meine Frau vorstellen? Mistress Alexandra Kenway.“
Der Spanier verbeugte sich vor mir, griff meine Hand und schüttelte sie enthusiastisch.
„Ich bin froh, dass ich hier nicht gleich überfallen werde! Unser vorheriger Trupp wird ja nun nicht mehr zurückkommen. Ich… muss mich entschuldigen, Mistress Kenway. Ich bin anscheinend einer Lüge aufgesessen. Aber ist es wahr? Meine Leute sind nicht mehr am Leben?“ betrübt sah ich ihn an, weil es mir schon ein wenig leid tat.
„Leider ja, Seníor Vedomir. Man hatte versucht uns zu überfallen und anzugreifen…“ weiter kam ich aber nicht.
„Euer Mann hat es mir schon geschildert. Auch wenn ich immer noch nicht verstehe, warum dieses Tagebuch von meinem uralten Urururgroßvater so wichtig war.“ Aber auch das war schnell erklärt und Vedomirs Nachfahre bekam große Augen. „Mehr war es nicht? Es ging nur um den Fundort dieses Amulettes? Aber warum sucht meine Familie dann immer noch nach Birch und seinen Nachfahren? Diese Vorläufer sind doch mittlerweile schon in einem Einklang mit uns. Ich verstehe das nicht.“
Und dann sah ich eine gewisse Erkenntnis in seinen Augen aufblitzen!
„Er will nicht, dass IHR honoriert wird! Dieser Russe ist eifersüchtig. Sehe ich das richtig?“ nun ja, nicht ganz, aber man könnte es so umschreiben. Im Grunde wussten wir nicht, inwieweit der Spanier im Bilde mit den Göttern war.
„Wisst ihr um die nordischen Götter Bescheid, Seníor Vedomir? Wie sie Einfluss auf uns Menschen nehmen können?“ fragte ich jetzt frei raus, mehr als mich sofort angreifen konnte er nicht. Aber nichts dergleichen passierte.
„Nein, warum sollten sie uns nützen? Ich habe keinen Bezug dazu.“ Stirnrunzelnd sah er mich an.
Also waren in seinen Augen nur die Vorläufer am Werk, oder zumindest wurden sie einbezogen. Dass Avdeyev ihm nicht wohlgesonnen ist, war ihm noch gar nicht in den Sinn gekommen. Hielt sich Hrymr bei ihm zurück? Mein Blick ließ ihn in einem blauen mit Goldfäden durchzogenen Schleier erscheinen.
In mir wuchs dieser Hass auf Hrymr oder besser Eugene weiter. Er hatte sich so einige Menschen manipuliert, ihnen falsche Informationen gegeben und sie dann einfach für seine Zwecke eingesetzt. Nur um an mich heranzukommen!
Dennoch ließ ich es mir nicht nehmen und drang in seinen Kopf ein. Vorsicht ist besser als Nachsicht, nicht wahr?
Es offenbarte sich mir aber keine neue Erkenntnis oder ähnliches. Dieser Mann war wirklich einfach einer Lüge aufgesessen, nicht wie einige andere Assassinen, welchen wir damals hier begegnet waren. Und plötzlich hatte ich ein schlechtes Gewissen den ganzen Gefangenen gegenüber! Hätte man sie auch anders überzeugen können?
Für diese Überlegung war es aber jetzt eh zu spät und wir schickten den Herren wieder zurück mit der Bitte umgehend dieses Portal zu schließen. Trotzdem machte ich mir die Notiz, es in mein Tagebuch für Yannick zu schreiben! Sicher ist sicher!
Als dieser Mann wieder hindurch war, sah ich mich hier noch einmal um, aber nahm nichts mehr wahr. Wieder einmal ging mir durch den Kopf, dass das alles zu einfach war!
„Ganz wohl ist mir bei der Sache auch nicht, aber auch ich habe ihn analysiert und konnte sehen, dass er tatsächlich mit einem Irrglauben hierher kam und einer Lüge aufgesessen war.“ Haytham klang aber auch erleichtert und atmete tief durch.
War es das dann hier fürs erste?
Ich hoffte es!
Mit einem lauten Rauschen verschwand auch dieses Portal vor unseren Augen und hinterließ nur den leeren Raum.
Dieser Spanier war aus dem Jahr 2024 hierher gelangt, erklärte mir Haytham nun, als wir uns auf den Weg nach oben machten.
„Mr. Avdeyev hat überall wie es scheint, seine Leute sitzen. In jeder Zeit, in … jeder Welt befürchte ich.“ bei dem Gedanken schüttelte es mich, weil ich wieder an die parallel Welt mit dem Chevalier denken musste.
„Das könnte noch ein Problem werden.“ grübelte mein Templer leise vor sich hin. „Mal angenommen, du würdest dich auf diese anderen Welten konzentrieren. Könntest du dann dorthin ein Portal öffnen?“ Diese Überlegung war mir auch schon gekommen, hatte sie aber immer wieder beiseite geschoben, weil ich nicht dieses Bedürfnis nach einer solchen Reise hatte.
„Im Grunde schon. Leider weiß ich aber nicht, wie es in den anderen Welten aussehen würde. Von daher würde das Ganze etwas schwer werden, weil ich keine Anhaltspunkte hätte.“ Auch ich dachte laut nach. Und wenn wir ehrlich sind, wollte ich so ein Risiko wirklich eingehen? Wer weiß was wir dann lostreten würden.
„Du könntest es aber, oder nicht?“ Warum hörte sich das jetzt so quengelig an? Wollte er ernsthaft so ein Abenteuer, oder besser Horrorszenario wenn wir Pech hatten, antreten? „Ich denke an eine etwas, nunja, freundlichere Welt. Du… hast mir die 9 Welten der nordischen Mythologie beschrieben. Ich bin neugierig ob du dorthin auch…“
Mit einem ohrenbetäubenden Donner erschien mein Göttervater, neben ihm Heimdall und Thor! Und ohne eine Begrüßung oder ähnliches polterte er auch los.
„Ihr lebt in eurer Welt, Midgard! Das reicht und wenn es soweit ist, dann erst werde ich euch zu uns holen! Bis dahin… bleibt ihr hier!“ Zum ersten Mal sah ich ein Leuchten in Odins Auge, welches im wahrsten Sinne des Wortes funkelte.
„Verzeiht, es war ja nur ein Gedanke.“ hörte ich Haytham etwas kleinlaut sprechen, was mich leicht schmunzeln ließ. Er sah aus, als hätte er gerade von seinem Vater eine Strafpredigt erhalten. Genauer betrachtet stand dieser ja auch hier vor uns!
„Dann ist es ja gut. Es bleibt ein Gedanke, habt ihr mich verstanden?“ Ich war versucht zu sagen „Jahaaaaa, ist schon gut“ aber ich biss mir auf die Zunge.
Sogar Heimdall ermahnte uns noch einmal eindringlich, die Finger und Füße still zu halten! Danach verschwanden die drei Gestalten wieder und ließen uns mit großen Augen zurück.
„Du hast es gehört, mi amor. Wir bleiben wo wir sind.“ Aber was ist wenn ich noch weitere Amulette finde? Bevor ich aber zu Ende denken konnte, hörte ich die warnende Stimme des Allvaters wieder, dass ich mein blaues Wunder erleben würde, sollte ich ungehorsam sein!
Also schön. In meinem Hinterkopf hatte ich aber diese Angst, dass mich Eugene irgendwann wieder in so eine Situation bringen könnte. Wäre ich dann in der Lage mithilfe des Armreifs einfach wieder zurück zukommen? „Am besten schreibe ich meine Gedankengänge gleich zuhause auf! Ich werde sonst noch wahnsinnig.“ Meine Stimme klang leicht gequält, weil mein Gehirn sich mal wieder verknotete bei diesen vielen Möglichkeiten, den vielen Wenns und Abers!
„Gute Idee, ich werde das auch machen.“ lachte Haytham und nahm mich in den Arm. „Da hat man schon mal diese… gut gut, ich lass es.“ er hatte sich dabei vorsichtig umgesehen.
Zuhause wurden wir von unseren Kindern begrüßt, die beide aussahen, als hätten sie gerade eine Essensschlacht hinter sich.
„Wie seht ihr denn aus? Was habt ihr gemacht?“ Ich war wirklich geschockt, weil die beiden so etwas noch nie gemacht hatten.
„Wir haben in der Küche Tante Jenny geholfen beim Süßigkeiten machen!“ Stolz stand unser Großer vor uns und leckte sich die zuckrigen Finger ab.
„Aber ist auch noch etwas in den Dosen angekommen, oder habt ihr euch den Bauch damit vollgeschlagen?“ lachte Haytham, während er versuchte seine klebrige Tochter etwas auf Abstand zu halten.
„Papa, nammm!“ Florence hielt ihm die kleinen Finger vor die Nase, als er aber ihrem Wunsch zu probieren nicht nachkam, steckte sie sie selber in den Mund.
„Hallo ihr beide. Wie ihr seht, habe ich ihnen die Kunst der Bonbonherstellung näher gebracht.“ kicherte Jenny als sie auf uns zuhielt. Auch sie sah pudrig aus.
„Master Edward, kommt. Umziehen, dass Mittagessen ist gleich fertig.“ und Sybill ging mit Sophia und den Kindern hinauf zum Waschen und Einkleiden. Wobei ich überlegte, ob wir nicht einfach das Essen noch abwarten sollten. Als mein Blick aber auf Haytham fiel, wusste ich, dass er es lieber sah, wenn sein Nachwuchs ordentlich und sauber bei Tisch saß.
Wir hatten endlich einen Termin mit einem Advokaten, welcher diese Häuser in seinem Portfolio hatte, die wir aufkaufen wollten. Leider hatte ich das Ganze verdrängt und im Grunde taten mir die armen Leute auch leid, aber ich konnte nichts für unser doch recht ereignisreiches Leben.
Wir saßen dem Herren gegenüber, welcher ungefähr 40 sein dürfte. Sein Name war Maxwell Donnahugh. Er trug eine ordentlich gepuderte Perücke, dazu einen schwarzen Anzug und ein tadelloses weißes Hemd.
„Mistress Kenway, Master Kenway. Was führt euch nun genau zu mir? Ihr spracht von einigen Gebäuden die ihr aufkaufen möchtet, richtig?“ Diese Frage war überflüssig, weil ich ihm das schon genauestens geschildert hatte. Die Aussage meines Angreifers damals hatte sich leider als Falschinformation entpuppt. Die „Makler“ hatten bereits alles wieder aufgegeben und waren von dannen gezogen, nachdem wir einen Großteil gen Hel geschickt hatten.
„Korrekt, Master Donnahugh. Es sind drei größere Häuserzeilen, welche ich beabsichtige zu kaufen und dann mit den dort lebenden Anwohnern eine Renovierung vorantreiben möchte. Die Grundsubstanz der Gebäude ist noch gut in Schuss laut unseres Architekten. Von daher erwarte ich keine größeren Schwierigkeiten.“ mein Mann war professionell wie immer und unser Gegenüber hatte eigentlich keine Gegenargumente mehr.
„Das hört sich nach einem sozialen Projekt an, Master Kenway. Aber ihr werdet daraus kaum Profit schlagen, wenn ich das so sagen darf. Oder plant ihr die derzeitigen Bewohner dann umzusiedeln? Ich hätte durchaus einige Interessenten, die dort ansässig werden wollen.“ Ich konnte die Pfundzeichen schon in seinen Augen sehen. ER malte sich einen großen Profit bei diesem Geschäft aus. Provision von uns UND dann noch einmal für die Weitervermietung zum Beispiel.
„Ich weiß, aber mir geht es schlicht weg darum, diese Menschen dort aus diesen untragbaren Zuständen zu holen, welche man einfach nicht dulden kann. Kleine Kinder auf der Straße, weil kein Zimmer richtig bewohnbar ist, oder aber die kaputten Fenster. Das zieht Gesindel, Diebe und anderes Fußvolk an. Wir möchten es dort wieder etwas sicherer und vor allem auch lebenswerter machen.“ Bei meinen Worten warf mir der Advokat einen erstaunten Blick herüber. Achja, ich bin ja eine Frau. Ich darf ja keine Meinung haben. Also wiederholte mein Mann jetzt noch einmal meine Gedanken und er bekam auch eine Antwort.
Ich beschloss, dass ich diesen Donnahugh nicht mochte und froh bin, wenn wir hier wieder mit den Verträgen draußen sind.
Es begannen zähe Verhandlungen, weil „Mr.-Ich-Dulde-Keine-Meinung-Einer-Frau“ davon ausging, er hätte jemanden vor sich, der keine Ahnung von solchen geschäftlichen Dingen hätte. Manchmal war ich dankbar für dieses, verzeiht mir, Schnöselige an Haytham. Tarnung war in diesem Moment wirklich gut!
Stolz verließen wir dann die Kanzlei wieder nach zwei geschlagenen Stunden. Wir waren nun Besitzer von drei Häuserzeilen hier London.
Wir beschlossen, dass wir Timothy und Oliver gleich die frohe Kunde überbringen. Kaum dort angekommen wurden wir von einer kleinen Horde Kinder umgeben. Sie alle sahen uns neugierig an, wurden aber von Mr. Grouter verscheucht, als er uns sah.
„Mistress Kenway, Master Kenway. Es freut mich, euch wieder zusehen. Kann ich euch behilflich sein?“ Fragend sah er von einem zum anderen.
„Wir haben frohe Kunde, Timothy! Wir haben soeben die Verträge für den Kauf dieser Häuser unterschrieben. Bald schon können wir mit den Baumaßnahmen beginnen. Ich werde entsprechende Leute hierher beordern, die ein Auge darauf haben werden. Ihr hattet ja ebenfalls schon angedeutet, dass einige tüchtige Männer unter euch sind, die bei den Renovierungs- und Instandsetzungsarbeiten helfen können.“ lächelte mein Mann ihn an.
„Sir, ich… weiß nicht was ich sagen soll.“ er ergriff unsere Hände, schüttelte sie überschwänglich und rief dann über seine Schulter nach seinen Freunden. „Wir können bald ohne Durchzug hier wohnen!“ Mr. Grouter war so außer sich vor Freude, dass ihm die Tränen in die Augen traten! Neben ihm tauchte seine Frau auf, auch sie war völlig überwältigt.
„So etwas hat noch nie jemand für uns getan. Das können wir nie wieder gut machen.“ schluchzte sie an der Schulter ihres Gatten.
„Das erwartet auch niemand. Eure Arbeitskraft und ein kleiner Obulus, damit alles am Laufen gehalten werden kann, reichen aus.“ Haythams Stimme war in einem warmen, familiären Ton gerutscht, den ich nur sehr sehr selten von ihm bei Fremden hörte.
Wir wurden noch zu einem Umtrunk eingeladen und die gesamte Nachbarschaft erschien. Jeder brachte etwas mit, auch wenn es nicht üppig war. Aber ich fand diese Geste und diese große Gastfreundschaft einfach großartig gerade. Wer wenig hat, teilt mehr, als der der alles hat. So war es auch hier!
Aus den Gesprächen hörte ich heraus, dass sie hier sogar eine Hebamme zur Verfügung hatten und ein arbeitsloser Lehrer lebte hier mit seiner Familie. Somit war auch für Bildung und ähnliches gesorgt.
Erst am späten Nachmittag waren wir wieder daheim. Erschöpft, von den vielen Gesprächen und Menschen um mich herum, ließ ich mich auf das Sofa im Salon fallen.
„Alex, ist alles in Ordnung?“ hörte ich die besorgte Stimme meiner Schwägerin.
„Mir geht es gut, keine Sorge. Es war ein ereignisreicher Tag. Und es fühlt sich gut an, wenn man anderen helfen kann. Ich hoffe, dass diese armen Menschen in Zukunft auch friedlich weiterleben können und nicht mehr von solchem Gesocks belästigt werden.“ seufzte ich und nahm einen Schluck von dem Wein, welchen mir Mrs. Byrnes gebracht hatte.
„Es freut mich, dass der Kauf so schnell geklappt hat. Ich werde dann ab und an, während eurer Abwesenheit, dort nach dem Rechten sehen. Haytham hatte mir im Dezember schon von den Zuständen dort berichtet. Schrecklich, wirklich!“
Edward kam freudestrahlend in den Salon und warf sich neben mir aufs Sofa. „Ich habe heute mit Tante Jenny Buchstaben geübt. Schau mal.“ er hielt mir ein Blatt vor die Nase und ich staunte nicht schlecht! Man konnte erkennen, dass es ein A sein sollte oder ein B. Natürlich hatte Jennifer mit den Namen begonnen, damit war das üben leichter.
„Min lille skat. Das hast du großartig gemacht. Dann kannst du ja bald auch in die Schule wie Gilbert!“ dabei drückte ich ihn an mich, weil ich doch ein wenig stolz auf ihn war.
„Ich hörte Schule?“ Haytham erschien mit einem Stirnrunzeln in der Tür und hatte seine Tochter auf dem Arm, welche wohl gerade erst von ihrem Mittagsschlaf wachgeworden war. Zumindest sah sie mit kleinen verschlafenen Augen in die Runde.
„Vater, guck mal. Ich kann meinen Namen schreiben. Hat mir Tante Jenny heute gezeigt.“ auch mein Mann begutachtete den Zettel und hob erstaunt eine Augenbraue.
„Fantastisch, mein Sohn. Übe so weiter und du kannst wirklich bald mit den anderen Kindern in die Schule!“ seine Hand wuschelte durch die dunklen Haare seines Sohnes. Für einen Moment sah es aus, als würde Edward Junior einige Zentimeter vor Stolz wachsen.
„Ich … darf … zur … Schule!“ brüllte er drauflos und rannte in die Eingangshalle. Dort tat er seine Freude auch allen Bediensteten kund, die ihn sogleich beglückwünschten.
Im Herbst sollten wir das in Angriff nehmen, damit der kleine Quälgeist bis dahin auch noch seine unkontrollierten Wutausbrüche in den Griff bekam. Wobei ich sagen muss, es hatte sich schon gebessert. Ab und an schlug er dennoch über die Stränge, warf dann auch einfach mal etwas um oder beleidigte mich oder Haytham. Seltsamerweise machte er DAS aber immer nur in der alten Sprache, nie auf Deutsch oder Englisch.
„Will auch…“ hörte ich ein leises Jammern von Florence und sie sah traurig zu ihrem Vater hoch. Ich glaube kaum, dass sie schon verstand WAS die Schule war. Es war mal wieder einfach dieser Wunsch, das was ihr Bruder durfte, wollte sie auch. Kleinere Geschwister sind halt so, ging es mir durch den Kopf.
„Flo, ich kann dir ja dann auch was beibringen. Dann kannst du das auch bald.“ Edward war wieder ganz der große Bruder und setzte sich mit ihr auf den Boden, schob ihr ein Blatt hin und drückte ihr den Kohlestift in die Hand. Bevor ich reagieren konnte, kritzelte sie wild drauf los. Aber es blieb nicht auf dem Papier, nein, der Teppich und ihr Kleid waren in Sekunden schwarz.
Entnervt sah ich mir das Chaos an, schüttelte aber nur den Kopf.
In ihrem Gesicht konnte man sehen, wie sie sich anstrengte, etwas zu malen.
Unser Sohn ließ es sich nicht nehmen und zeigte ihr ab und an, wie sie diesen Stift halten musste.
Plötzlich sah ich, wie er anfing mit links zu schreiben. „Jenny, hat er vorhin auch schon mit der linken Hand geschrieben?“ Von Haytham weiß ich, dass er beide Hände nutzen konnte, wenn es drauf ankam. Und ja, das klingt schon wieder zweideutig!
Ich selber wurde immer ermahnt, die rechte Hand zum Malen und Schreiben zu nutzen. Es war damals verpönt ein Linkshänder zu sein, obwohl man ihnen nachsagt, sie seien sensible Menschen.
„Ja, ist das schlimm? Ich habe mir nichts dabei gedacht. Sieh mal, Florence hat automatisch die rechte Hand genommen.“ Es war eigentlich egal, also ließen wir die beiden jetzt in Ruhe. Auch wenn der Teppich morgen dringend gereinigt werden musste.
Später in unserem Zimmer lag ich im Bett und betrachtete Haythams Hände.
„Ich habe saubere Finger, mi sol. Ich gehe nie…“ Ich unterbrach ihn mit einem Kuss.
„Das weiß ich doch. Nein, ich war gerade am Überlegen, welche Hand bei dir dominiert? Ich habe nie wirklich darauf geachtet, wenn du etwas geschrieben hast.“ Sprach ich meine Gedanken aus und hielt seine langen Finger vor meinen Mund.
„Ich sollte dir einmal zeigen, welche Hand dich dominieren wird.“ hauchte er mit rauer Stimme an mein Ohr und schon war ich Wachs in seinen Händen!
Wir gingen noch einmal unseren Plan für den Raub der Rüstung durch an diesem diesigen Morgen.
„In beiden Pubs werden um diese Uhrzeit schon einige Zecher sitzen und sind bestimmt auch dankbar für die eine oder andere spendierte Runde. Wenn diese Herren sich dann um die am Tor stehenden Wachen kümmern und ich gehe davon aus, dass auch noch weitere hinzukommen werden, dann können wir mit den 6 Scharfschützen als Rückendeckung über die Mauern gelangen. Denke daran, dass du mit deinem Kletterhelfer schneller oben bist und deine Aufgabe ist es für die erste Ablenkung am kleinen Turm nahe dem Tor zu sorgen!“ Haytham war ganz in seinem Element und positionierte mit kleinen Schachfiguren unsere Leute auf dem vor uns liegenden Plan des Towers!
„Ich hoffe, dass diese Gewehre so gut sind, wie behauptet.“ Auch wenn ich den Test mit Shay gemacht hatte, so ganz sicher war ich mir noch nicht. Aber ich bin auch keine ausgebildete Scharfschützin.
Vor unserem Zielort angekommen, verteilten wir uns alle in den Pubs. Wie lange konnte so ein Abfüllen schon dauern?
Nach über einer Stunde war es dann soweit und die Gruppen der trunkenen Herrschaften machten sich auf den Weg, die bösen Männer in roter Kutte zur Rede zustellen. Fasziniert sah ich dabei zu, wie sie begannen die Soldaten anzupöbeln, welche sich aber im ersten Moment nichts anmerken ließen.
Ihnen wurde unterstellt, dass nur wegen ihnen das Ale so teuer war, die Huren so grausig aussahen und so weiter. Schnell wurde mir aber bewusst, dass diese Zecher einen wirklichen Hass auf die britische Krone hatten. Sie alle waren in ihren Handwerken unterbezahlt und mussten für seltsame Steuern aufkommen, die sie nicht verstanden! Wieder einmal ging mir durch den Kopf, dass es nun nicht mehr lange dauerte, bis auch die Kolonien auf die Barrikaden gingen. Die friedliche Zeit war bald vorbei!
Die Ablenkung funktionierte aber hervorragend, weil, - leider - eine der königlichen Wachen niedergestochen wurde und somit auch die anderen Soldaten mit auf den Plan rief.
Trotzdem blieben noch genügend dieser Rotröcke auf ihren Posten, die es nun galt anderweitig abzulenken.
Auf der Themseseite war der Graben nicht ganz so tief, weswegen wir beschlossen hatten, dort einzusteigen.
Während wir auf diese kleine Brücke auf der rechten Seite zuhielten, ließ ich schon jetzt eine Art Trugbild für die Soldaten auf den Mauern entstehen. Sie sahen uns zwar, aber für sie waren wir harmlose Bettler, welche dort Unterschlupf suchten.
An einer Stelle sah ich, dass dort niemand patrouillierte und zog ich mich hinauf, rollte mich oben ab und fischte mein Seil wieder zusammen.
Die Eisenbrüstung kam mir gerade recht, damit ich das Kletterseil für die anderen befestigen konnte. Es dauerte nicht lange, da waren wir alle hier oben und versteckten uns in einem der Ecktürme am äußeren Wall.
Von dort machten wir uns schleichend weiter auf den Weg. Der Vorteil war, dass der sogenannte Salt Tower am nächsten der Außenmauer stand und ich somit mit meinem Haken hinüber gelangen konnte.
Es war an der Zeit, dass sich die Scharfschützen mit ihren Gewehren bereit machten einige Wachen schlafen zu legen. Wir waren alle überein gekommen, dass wir keine Toten gebrauchen konnten! Nach und nach dezimierten unsere Leute die Patrouillen auf dem inneren Festungsring, bis wir sicher unseren Weg fortsetzen konnten.
Gerade als ich auf dem Wehrgang geduckt um eine Mauer wollte, hörte ich stramme Schritte auf mich zukommen. So schnell konnte ich mich nicht mehr in Sicherheit bringen und stieß mit dem Herrn zusammen. In meinem Kopf begann es zu arbeiten, noch liefen die Trugbilder in meinen Gedanken und ich hoffte, dass sie hier auch noch ausreichen würden.
„Mam, ihr habt hier oben nichts zu suchen! Habt ihr euch verlaufen?“ kam es im höflichsten britischen Akzent, den ich je gehört hatte. Es funktionierte.
„Sir, ich dachte schon ihr wolltet mich überfallen. Verzeiht, ich werde sofort wieder zu den anderen gehen.“ hauchte ich demütig, ging zügig an ihm vorbei und eine kleine Treppe hinunter. Als ich sicher sein konnte, dass ich ungestört war, lehnte ich mich schwer atmend an einen Baum um mich wieder zu beruhigen.
„Mi sol, das war knapp.“ flüsterte mein Mann neben mir, welcher mit einem anderen Bruder ebenfalls hier unten angekommen war.
„Das kannst du laut sagen. Ich denke, wir müssen uns doch beeilen. Ich befürchte, dass ich nicht für alle diese Illusionen so lange aufrecht erhalten kann. Mein Kopf fühlt sich schon jetzt an, als würde er zerspringen!“ Außerdem spürte ich immer mehr eine Übelkeit in mir aufsteigen durch die Anstrengung.
„Dann lass mich jetzt für einen Moment übernehmen.“ Haytham sah mir tief in die Augen und übernahm die Bilder, setzte sie im Grunde fort für die verbliebenen Wachen.
Ich war ihm dankbar, weil ich so auch entspannter mit meinem Adlerblick die Gegend absuchen konnte. Wir waren jetzt nur noch vielleicht 60 Meter von dem White Tower und der dortigen Schatzkammer entfernt.
Mit einem Zeichen deutete ich den Scharfschützen sich entsprechend weiter zu verteilen. Noch war hier niemand misstrauisch geworden, Odin sei Dank!
Ich hatte die Kleiderkammer jetzt vor mir und ließ mich auf das Dach ziehen. Von hier inspizierte ich nun den Außenbereich unseres Zielortes. Hier wimmelte es von Wachen. Immer wenn ich dachte, ich hätte ihr Patrouillenmuster erkannt, änderten sie ihre Wege. Das durfte doch nicht wahr sein. Also mussten auch hier die Schlafpfeile herhalten und einer nach dem anderen sackte schnarchend zusammen.
Dieses neuartige Serum wirkte länger, dass hatte uns Dr. Crawford noch versichert. Er hatte sich mit Jenny vor ein paar Wochen zusammengesetzt und über Schlafmittel allgemein philosophiert. Ich war dankbar für ihre Kenntnis von pflanzlichen kaum schädlichen Opiaten und ähnlichem! Somit hätten wir noch etwas Zeit.
Endlich konnten wir auf das Dach der Schatzkammer. Zu meiner Freude gab es hier zwei kleinere Dachluken die auf den Dachboden führten. Zu sehen war hier auf der Etage niemand und wir ließen uns vorsichtig hineingleiten. Haytham und mir folgte ein Scharfschütze, die anderen bezogen ihre Posten auf den nahegelegenen Mauern und Dächern.
Im Inneren mussten wir uns erst einmal orientieren, weil wir keinen Weg nach unten fanden. Im Holzboden war keine Luke oder ähnliches, erst beim näheren Hinsehen nahm ich an einer Wand einen Haken wahr. Dieser öffnete eine kleine Tür hinter der sich direkt eine schmale Treppe befand.
Bei jedem Tritt knartschte das Holz und ich wünschte mir schweben zu können in diesem Moment. Aber man hatte uns noch nicht bemerkt, zumindest rührte sich die Wache auf der nächsten Ebene nicht. Es waren insgesamt 6 Personen, die wir mit einer gut platzierten Ladung Schlafgas zur Ruhe betteten.
Weiter ging es die nächste Treppe hinunter, dort am Fuße erwartete uns eine ganz andere Art der Wache. Sie waren bis an die Zähne bewaffnet, hatten eine Art Brust- und Schienbeinpanzer angelegt und waren so platziert, dass sie diese Etage komplett im Auge behalten konnten.
Sie sahen uns natürlich, aber ein Blick zu meinem Mann zeigte mir, dass er ihnen weiterhin vorgaukelte, dass wir nur verirrte harmlose Besucher seien.
„Ihr könnt hier nicht einfach so herumlaufen.“ etwas an dieser Stimme sagte mir, er zweifelte an dem, was er sah und auch seine Augen verengten sich. „Mister…“ zu mehr ließ ihn unsere Schlafgasbombe aber nicht kommen. Ebenso waren seine Kumpane schnell eingeschlafen!
„Etwas an diesem Herren war anders.“ Haytham war irritiert. Ich ließ meinen Blick über die Schlafenden gleiten. Blau! Nichts auffälliges! „Wir sollten trotzdem vorsichtig sein.“
Am Ende des Ganges sahen wir eine schwere Eichentür, welche mit Schlössern und Eisenbeschlägen gesichert war.
Der Bruder der uns begleitete war bekannt für seine Schlossknacker-Fähigkeiten und machte sich schnurstracks ans Werk.
Die ersten beiden Scharniere waren kein großes Hindernis für ihn. Aber beim nächsten brach ihm einer der Dietriche ab, was er laut fluchend kommentierte. Mein Mann und ich hingegen blieben als Wache hier stehen.
„Die ersten Männer werden schon wieder wach. Ich spüre, dass ich wieder stärker…“ leichenblass hielt er sich plötzlich den Kopf.
„Setz dich, Haytham. Ich übernehme noch einmal.“ flüsterte ich, gleichzeitig ließ ich ihn auf dem Boden nieder. Aber auch mir fiel es wahnsinnig schwer noch weiter diese Bilder zu senden! Immer wieder begann sich die Erde zu drehen und mir wurde immer schlechter.
„Alex, in der Kammer ist etwas! Ich spüre dieses Kribbeln auf der Haut!“ Haytham war erschrocken aufgesprungen, nahm meinen Arm und drehte mich zur Tür.
Unser Schlossexperte hantierte ungerührt weiter, aber seine Finger taten nur so, als würde er versuchen diese Barriere zu öffnen.
Bevor ich reagieren konnte, schoss er herum mit gezücktem Schwert.
„Was glaubt ihr eigentlich, was ihr hier macht? So einfach kommt ihr bestimmt nicht an dieses Artefakt! Diese Rüstung ist MEIN und bleibt hier!“ brüllte er uns entgegen. Ich war so perplex, dass ich einfach reagierte. Ich konterte und blockte seine Angriffe, genau wie mein Mann auch einfach nur begann zu kämpfen.
Von unten drangen zeitgleich auch die ersten Stimme herauf, die fragten, was los sei! Verdammte Scheiße! Es dauerte nicht lange, dann wimmelte es hier von Soldaten. Sie alle sahen aber für den Bruchteil erschrocken auf ihre am Boden liegenden Kollegen!
„Ihr habt sie alle umgebracht! Das wird ein Nachspiel haben, darauf steht der Tod durch den Strang!“ Und ab jetzt hieß es sich nur noch zu verteidigen.
Unser Plan war leider nicht ganz aufgegangen und in mir breitete sich Verzweiflung aus. Wir mussten an diese Rüstung gelangen!
Um mich herum fühlte ich mit einem Male eine große Präsenz, es fühlte sich nach Macht an und ich begann mit meiner Verteidigung. Aber ich brachte diese Männer vor uns nicht um, nein! Ich schaffte es, sie alle mit… mit meinem Willen zurück zu drängen. In ihren Augen sah ich Angst und einer nach dem anderen fiel auf die Knie. Sie bettelten, ich möge aufhören!
Ich spürte wie meine Kraft wieder zunahm. Mein Kopf fühlte sich wie schwerelos. Sogar unser Bruder, der mit der Tür beschäftigt war, begann wieder damit sie zu öffnen.
Diese Kraft in mir war aber nicht böse, sie war wie ein Schutz, sie kam nicht von Hrymr! Ich sah Heimdall vor mir, wie er diese Männer vor mir regelrecht auf den Boden drückte. Er verursachte keinen Schaden, nur Schmerzen, welche bald wieder nachlassen würden!
Gebannt sah ich diesem Schauspiel zu, es war faszinierend zu sehen, wie dieser Gott agierte!
„Konzentriere dich weiter, Alex! Gleich seid ihr am Ziel!“ seine Stimme drang wie durch Watte zu mir hindurch.
„Sir! Die Schatzkammer ist offen!“ jubilierte unser Scharfschütze hinter uns! Neben mir spürte ich, wie Haytham sich in Bewegung setzte. Ich selber rührte mich nicht, es war mir gar nicht möglich, wie ich jetzt erschrocken feststellte!
„Was ist das?“ flüsterte ich und sah mich um. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass um mich herum ein goldenes Licht floss, die am Boden liegenden Wachen wurden ebenso umspült!
„Das bist du!“ hörte ich wieder Heimdall. Seine Stimme hatte einen stolzen, anerkennenden Ton angenommen. „Du hast diese Macht schon länger in dir. Erinnere dich! Was hat Balder gesagt? Du kannst die Leute bereinigen, ihnen Bilder schenken! Bisher brauchtest du noch nie bis zum äußersten gehen. Aber heute ist der Zeitpunkt gekommen, an dem du noch weitergehen musst. Ich leite dich fürs erste, damit dein Geist nicht überfordert ist.“
Langsam erlosch das Licht um mich. Ich stand immer noch in diesem Gang zur Schatzkammer. Vor mir knieten oder besser lagen die Wachen, welche gerade noch um Erlösung gebettelt hatten. Sie schliefen, so schien es!
Hinter mir hörte ich schweres Atmen, das in ein würgendes Geräusch überging!
Als ich mich umdrehte stand mein Mann mit einer Hand an die Wand gelehnt da und erbrach sich. Neben ihm war unser Bruder und klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken.
„Master Kenway, ihr habt großartige Arbeit dort drinnen geleistet! Ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll. Wie habt ihr das gemacht.“ dann glitt sein Blick in meine Richtung, aber seine Augen weiteten sich erschrocken. „Mistress Kenway, eure Haut… die Wachen… wie… ich verstehe das nicht.“ mit einem entsetzten Laut ließ er sich plötzlich einfach auf den Fußboden plumpsten!
Wir hatten aber keine Zeit mehr, die Rufe der wieder erwachten Soldaten draußen drangen an unsere Ohren. Wir mussten hier schnellstens weg!
„Lass mir nur einen winzigen Moment Alex, verdammt!“ fauchte mich Haytham an. Seine Augen funkelten Goldleuchtend dabei! Tyr! „Ja und jetzt lass mich!“
Etwas unschlüssig stand ich nun neben den beiden Männern. Inständig hoffte ich, dass hier nicht gleich die Hölle losbrechen würde. Schritte wurden laut und die Stimmen kamen näher!
„Wir haben keine Zeit mehr! Komm jetzt! Du kannst nachher deine Wunden lecken!“ ich zerrte einfach an seinem Arm und versuchte ihn so zum Gehen zu bewegen. Verdammte Axt!
„Sieh zu, dass du die Männer ablenkst!“ jetzt brüllte er mich regelrecht an, schnappte mich und warf mich über seine Schulter!
Unser Begleiter eilte voraus zur Treppe. Haytham ging, nein es schien als würde er sprinten, hinter ihm her.
Im Dachgeschoss erwartete uns Odin sei Dank nur Stille, sodass wir ohne Hindernisse durch die Dachluke wieder aufs Dach konnten.
In meinem Kopf produzierte ich ununterbrochen Bilder von einem maskierten Räuber, welcher auf dem Weg zum Middle Tower war, wo seine Kumpane auf ihn warten würden. Also genau die entgegen gesetzte Richtung unserer Flucht!
Wir drei schafften es zu unseren anderen Mitstreitern zu gelangen, welche alle durch die Bank weg mit großen Augen in unsere Richtung blickten!
Mein Mann hatte mich mittlerweile gnädigerweise wieder auf die Füße gestellt, sodass ich meinen Kletterhelfer nutzen und uns so auf die äußeren Mauern bringen konnte. Von da war es nur noch ein Entkommen über den Graben und die kleine Brücke.
Wir kamen atemlos an einem der Pubs an und ich ließ mich einfach an der Wand herunterrutschen. Es war mir egal, dass es hier matschig und nass war. Meine Beine gaben einfach nach!
Laute Rufe waren zu hören. Sie alle suchten anscheinend nach einem großen Mann, fast ein Riese, mit zwei Schwertern auf dem Rücken und Katzenaugen, die einen zu Stein werden lassen können. Ach du heilige… Was hatte ich denn bitte für Bilder im Kopf gehabt? Geralt von Riva als Riese mit der Fähigkeit von Medusa? Oh bitte!
„Komm Alex. Du brauchst dringend etwas zu trinken!“ flüsterte mir die tiefe Stimme meines Mannes ins Ohr und unsere Begleiter stimmten alle freudig mit ein. Wir konnten alle eine Stärkung vertragen!
Der Krug mit Ale vor mir war plötzlich der Himmel auf Erden. Ich goss diese Flüssigkeit einfach in mich hinein.
„Mistress Kenway, so kenne ich euch gar nicht.“ lachte einer der Scharfschützen, tat es mir aber gleich.
„Ich habe ja auch noch nie so etwas erlebt! Krieg ich noch mehr?“ fragte ich in die Runde, dabei hielt ich meinen Krug in die Höhe!
Keine Minute später stand Nachschub vor mir. Das tat wirklich gut.
„Ich habe diese Bilder gesehen, Mistress Kenway. Wer ist dieser Riese? Er sah furchterregend aus!“ schüttelte sich ein Schütze bei der Frage.
„Eine slawische Sagengestalt. Ich gehe davon aus, dass hier wohl niemand diese Geschichten kennen wird und auch nicht weiter suchen wird.“ lachte ich, weil diese gesamte Anspannung von mir abfiel.
Bisher war mein Mann recht schweigsam und starrte in seinen Krug, welchen er noch nicht angerührt hatte. Ich machte mir langsam Sorgen, so kannte ich ihn nicht. Aber vor allen Anwesenden wollte ich ihn auch nicht fragen.
Aber unser Begleiter bei der Schatzkammer gab einen kurzen Bericht ab.
Als die Tür geöffnet war, schritten sie in den riesigen Raum, welcher gefüllt mit allerlei Juwelen, Rüstungen, Truhen, Schwertern und Stoffen ist. Die Regale und Schränke waren zum Bersten gefüllt damit!
Haytham hätte unbeirrt auf eine Truhe zugehalten, diese geöffnet als wäre sie aus morschem Holz und sei dann wie in einen Wahn verfallen.
Auch ihn hatte ein Leuchten umgeben! Jedoch war es, so beschrieb der Herr es, als würde Blut hindurchströmen. Rote Rinnsale die sich ihren Weg in den Körper meines Mannes gebahnt hatten.
Ein Mann sei dann erschienen, gegen welchen man gekämpft hätte.
„Dieser Kerl war wirklich stark! Immer wenn er meinen Schwertarm traf hatte ich das Gefühl, als würden meine Knochen zerbersten! Master Kenway aber konterte vortrefflich und drängte diese Gestalt immer weiter in den Hintergrund! Es war wie ein Gespenst, so durchscheinend war der Angreifer, aber dennoch greifbar. Unbeschreiblich!“ in der Stimme des Mannes hörte man dieses ungläubige Staunen.
Als dann auch noch mein Mann in der Gestalt seines Gottes auftauchte, schien es, als müsse er gar nicht mehr kämpfen und überließ einfach seinem Großmeister das Feld!
Dieser wehrte sich gegen den Angreifer geschickt mit Schwert und Schild, so als hätte er nie etwas anderes getan.
Dabei blieb es aber nicht, der Gegner begann zu sprechen, aber in einer Sprache die unser Mann nicht verstand. Es schien eine hitzige Diskussion zu sein, aus welcher sich Master Kenway einfach winden konnte und dann schlug er zu! Sein Schwert durchtrennte die Kehle seines Gegners! Einfach so, als wäre es das leichteste auf Erden!
Plötzlich hätte die Erde vibriert und er sah, dass sich der Tote noch einmal erhob und sich über seinen Mentor schwang. Dieser blockte den Angriff geschickt mit einem Hieb seines Schildes ab und schleuderte den Angreifer in hohem Bogen gegen eine Wand!
Aber es war dort niemand mehr zu sehen.
„Es war, als wäre der Mann durch die Mauern geflogen und verschwunden! Aber das ist unmöglich.“ kam es leise und ehrfürchtig aus seinem Mund, während er Haytham betrachtete.
Danach wäre eine unheimliche Stille eingetreten, während dieser betraten sie dann wieder den Gang. Der Rest wäre mir ja auch bekannt.
„Haytham, war es so? Sag doch was. Du machst mir ehrlich gesagt gerade etwas Angst!“ flüsterte ich, griff seine Hand und drückte zu.
„Ich habe einen Mitstreiter Hrymrs vernichtet, Alex! Er hat mir Bilder gezeigt und wollte, dass ich mich ihm anschließe. Der König solle endlich abdanken! Nur er wäre der wahre König Großbritanniens! Es war nicht Aelfred, wie ich zuerst vermutet hatte, weil es ja seine Rüstung ist. Es war ein späterer König, Heinrich, wenn ich es richtig verstanden habe. Aber der wievielte erschließt sich mir nicht! Wenn wir aber davon ausgehen, dass diese von Eugene geschickten Leute böse sind, dann muss es der grausame Heinrich gewesen sein. Ich grüble die ganze Zeit darüber, wer es war.“ seine Stimme war immer leiser geworden und ich sah, wie er wieder in Gedanken versank.
Im Grunde war es mal wieder unser Vorteil, dass wir hier vor unseren Begleitern kein Blatt vor den Mund nehmen mussten. Sie waren eingeweiht, nicht in alle Details, aber im Großen und Ganzen wussten sie über unser Tun Bescheid.
„Ihr glaubt, wir haben es mit einem Reisenden wieder zu tun? Aber … es erschien kein Spiegel oder ähnliches…“ grübelte ein anderer Herr vor sich hin.
„Vielleicht hat man ihn mit dem Brustpanzer herauf beschworen, als die Truhe geöffnet wurde?“ ein interessanter Ansatz, wie ich fand.
„Das war es auch! Mich erschlug diese Präsenz plötzlich. Ich kann euch aber alle beruhigen, wir sind in Sicherheit und dieser Heinrich wird hier nicht mehr auftauchen!“ mit einem Satz leerte er seinen Krug, donnerte ihn anschließend mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht auf den Tisch. „Heinrich VIII.! Natürlich! Er muss diesen Teil der Rüstung ebenso in Gefechten genutzt haben. So leicht war auch er nicht zu besiegen, wenn man der Geschichte glaubt.“
Langsam kamen alle wieder runter und beruhigten sich, so dass wir uns gegen späten Nachmittag wieder auf den Heimweg machten.
Während unseres Ritts sah ich immer mal wieder zu meinem Mann hinüber, welcher jetzt wieder Farbe im Gesicht hatte. Schützend hielt er unsere Beute vor sich auf dem Sattel fest!
„Hast du die Isu gespürt, mi amor? Waren sie ebenfalls dort?“ fragte ich leise, weil ich eigentlich etwas Angst vor der Antwort hatte. Aus welchen Gründen auch immer, diese Vorläufer waren mir nicht geheuer.
„Ich konnte sie sogar vor mir sehen. Es war… eigentlich war es unglaublich, mi sol! Ich sah sie vor mir, ihre Stadt. Diese Spezies muss ein ungemeines Wissen haben!“ man hörte immer noch diese Faszination aus seinen Worten. „Aber auf der anderen Seite war es unheimlich und auch etwas unangenehm. Gerade als ich Tyr spürte, wie er mich übernahm und gegen Heinrich ankämpfte.“ Sein Blick ging in weite Ferne, dabei ließ er mich in seine Gedanken blicken.
Dieser Kampf war faszinierend! Eine unglaubliche Schnelligkeit der beiden Kämpfer war deutlich zu sehen, fast schon, als müsse man dringend auf Zeitlupe stellen!
Der alte König schimmerte in diesem üblichen Rotton, aber mit einer Portion Gold darin! Ich konnte Haythams Kraft spüren, wenn er sein Schwert oder Schild nutzte, ich las das Gespräch zwischen ihm und Heinrich!
Dieser Monarch machte UNS für seinen Tod verantwortlich, wir hätten ihn in sein Grab gebracht! Noch nicht einmal seine Beichte hätte er noch ablegen können, weil das Gift zu schnell gewirkt hätte. Leider hatte ich keine Ahnung, wie oder wann dieser Mann gestorben war, aber anscheinend wusste es nun Haytham.
„In den Geschichtsbüchern heißt es, er ist eines natürlichen Todes gestorben. Aber, wenn ich es noch recht im Kopf habe, dann war ein Master Crammers zum Todeszeitpunkt anwesend und hätte seine Hand sogar gehalten. Vielleicht hat dieser Mann aber auch etwas damit zu tun? Wer weiß das schon.“ Wo wir mal wieder bei Verschwörungstheorien angekommen wären, doch diese hier sind zu lange her und wären müßig, ihnen zu folgen!
Im Kenway-Anwesen wurden wir schon von Jenny erwartet. Kaum waren wir eingetreten, stürmte sie auf uns zu.
„Was habt ihr nur angestellt? Die ganze Stadt spricht von Geistergestalten, Riesen und einem Einbruch in die königliche Schatzkammer!“ rief sie uns entgegen. „Aber ich bin froh, dass ihr wieder heile hier seid.“ sie umarmte uns nacheinander und auch Master Mormon klopfte uns auf die Schultern.
Unsere Begleiter verabschiedeten sich jetzt für ihren wohlverdienten Feierabend.
„Es wird nicht langweilig in eurer Gegenwart.“ lachte einer der Schützen, dann waren sie wieder aus der Tür heraus.
„Ich brauche jetzt erst einmal etwas Wasser im Gesicht und ein leichtes Kleid.“ stöhnte ich und machte mich mit Magda auf nach oben. Mein Mann folgte uns mit Michael.
Edward und Florence waren mit zwei Wachen und den Kindermädchen bei den Nachbarn, beruhigte uns Jenny. Die Baretts waren kurz nach dem Angriff damals hier weggezogen und es zog ein junges Ehepaar ein, welches mittlerweile auch schon Enkelkinder im Alter von unseren beiden Sprösslingen hatte. Somit brauchte ich mir keine Sorgen machen und ließ mich von meiner Kammerzofe wieder herrichten.
„Mistress Kenway, euer Rabe sieht anders aus.“ Magda sah stirnrunzelnd auf meine Schulter und dann in den Spiegel. Ich beugte mich vor und betrachtete meine Tätowierung. Tatsächlich, es schien, als hätte er die Farbe geändert! Sie war nicht mehr ganz schwarz sondern hatte jetzt einen Lila-Stich angenommen mit weißen Zügen darin!
„Faszinierend!“ mehr brachte ich nicht über die Lippen.
Es werden sicherlich noch so einige Veränderungen auf dich zukommen, mein Kind. Und ich muss sagen, du hast mich heute stolz gemacht. Du warst gefasst, hast bedacht gehandelt und hast deinen Geist jetzt im wahrsten Sinne des Wortes erweitert! Odin klang euphorisch und stolz. Mir stiegen die Tränen in die Augen, weil ich noch einmal einen Schritt in meinem Training machen konnte, das war mir vorhin noch gar nicht bewusst geworden.
Mit einem Blick auf Haytham neben mir, wusste ich, dass auch er diese Veränderung nun bemerkt hatte. Sein Lächeln tat in diesem Moment einfach gut und mich durchfloss eine fast unbändige Liebe zu diesem Mann.
Für heute lassen wir euch alleine. Lasst euch von euren Gefühlen treiben… langsam verschwand mein Allvater im Nebel.
Magda und Michael entließen wir kurz darauf. Für einen Moment standen wir uns gegenüber und sahen uns an. Es brauchte gerade keine Worte, wir waren einen Schritt in unserer Zukunft vorangekommen, der uns noch näher zusammenführte.
Die nächsten zwei oder auch drei Stunden, ich kann es nicht mehr genau sagen, gehörten uns alleine. Wir waren wirklich auch im Geiste alleine.
Wir zelebrierten diesen Fortschritt, diese innige Nähe und begannen uns wieder zu erkunden. Nicht nur körperlich, sondern auch geistig ließen wir uns dahingleiten. Losgelöst von allem Ärger oder allen Ängsten!
„Ich liebe dich, mi sol.“ hauchte Haytham an meiner Brust, als er schwer atmend seinen Kopf darauf legte.
„Ich liebe dich, mi amor.“ auch ich brachte nicht viele Worte zustande, sondern schlang mich um meinen Mann und es dauerte nicht lange, da erschien wieder ein lüsternes Grinsen auf seinem Gesicht.
„Ich muss dir noch etwas zeigen…“ flüsterte er und führte mich in seinen Gedanken an einen See in den Bergen. „Shhhhhhh… keine Angst. Ich habe diesen Traum von dir gesehen und ich will, dass du nie wieder daran erinnert wirst.“
Es war schon lange her, es war der erste Traum den ich nach meiner Rückkehr von Haytham in meine Zeit hatte. Er ließ mich darin fallen und ich stürzte durch Wolken auf die Erde zu.
Aber nicht dieses mal. Die Wolken schienen uns aufzufangen, federleicht trieben wir dahin und ich konnte spüren, dass mir hier nichts passieren würde. Er würde mich halten. Mein Mann würde mich nie fallen lassen! Mit dieser Erkenntnis im Kopf erlebte ich einen unglaublichen Höhepunkt, welcher mich an den Rand des Wahnsinns trieb, gleichzeitig bescherte ich meinem Mann eine sehr laute Götterpreisung!
Haytham ließ mit einem ebenso lauten Ausruf meines Namens los und lag kurz darauf erschöpft neben mir. In seinem Gesicht sah ich dieses selige Lächeln, als er sich mir zuwandte.
„Das wollte ich schon längst getan haben.“ Seine Lippen berührten vorsichtig meine und er atmete erleichtert aus.
Es dauerte eine Weile, bis wir wieder vorzeigbar waren. Außerdem brauchte ich eine Zeit, damit ich keine Puddingbeine mehr hatte.
„Ich kann es immer noch, mi sol.“ kicherte Haytham hinter mir, als er mir das Korsett schnürte.
„Ich habe auch nie etwas anderes behauptet, oder?“ tief seufzend lehnte ich mich nach hinten an seine Brust.
„Wir können jetzt sogar solche widrigen Umstände beseitigen! Es ist fantastisch. Wusstest du, dass Tyr eine Vorliebe für Met hat? Ich kann es spüren und wenn ich ehrlich bin, ich hätte jetzt Durst darauf!“ dieses kindliche Freuen von ihm war immer wieder großartig, weil ihm dass kaum jemand zutrauen würde, der ihn nicht kannte!
Von unten drang lautes Kinderlachen herauf und ermahnte uns, dass wir auch noch Eltern waren.
„Hopp mein stolzer Ritter in glänzender Rüstung. Es wird Zeit, unseren Kindern von den Heldentaten zu berichten!“ lachte ich und ließ meine Hand auf seinen Hinter klatschen.
„Aber sicher doch, holde Maid. Ich werde ihnen die Mär vom Riesen mit den zwei Schwertern erzählen!“ Selbst Haytham bekam sich fast nicht mehr ein vor Lachen.
„Mama! Papa!“ rief Florence und krabbelte ein paar Treppenstufen herauf. Ihr Vater nahm sie hoch und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
„Na mein kleiner Engel. Wie war dein Tag, was hast du erlebt?“ Die beiden gingen hinunter und er nahm seinen Sohn an die Hand. Gemeinsam gingen sie in den Salon, wo schon der Tee bereit stand.
Ich verstaute aber noch das Bündel mit dem Brustpanzer in meiner gesicherten Truhe und folgte ihnen dann.
„Du hast gegen einen König gekämpft? So wie König Harald auch schon? War das schwer?“ fragte unser Sohn staunend gerade als ich eintrat.
„Dein Vater hat ihn mit Schwert und Schild vertrieben, min lille skat! Das kann nicht jeder!“ lächelte ich auf die drei herunter, ehe ich selber auf dem Sofa Platz nahm.
Jenny saß mit ihrem Mann ebenso staunend da und lauschte der Erzählung.
Als dann aber von Edward Junior die Frage kam, wozu ein Riese zwei Schwerter bräuchte, musste ich an mich halten. Im Grunde wartete ich auf die Frage, ob er eines als Reserve dabei hätte, falls eines verloren ginge! Ich erinnerte mich an das Spiel und die Bücher über den Hexer Geralt, in welchen dieser erklärte, wozu sie da wären.
„Das eine ist aus Silber und tötet böse Monster, das andere ist aus hartem Stahl und wird im Kampf gegen böse Menschen eingesetzt.“ erklärte ich dieses Phänomen.
Ich hatte aber die Rechnung ohne meinen Sohn gemacht, welcher natürlich jetzt unbedingt die Geschichte um diesen Hexer hören wollte!
Das würden spannende Abende werden, dass könnt ihr euch vorstellen!
Wir hatten ein weiteres Artefakt, welches von unserer Liste gestrichen werden konnte. Und so langsam sollten wir uns über die Reise zum Festland unterhalten!
Ich hatte bereits vor ein paar Wochen ein Entschuldigungsschreiben an die de Gooijers geschickt, weil wir noch nicht dort waren. Heute kam ein Brief, in welchem Myrte mir verzieh und sie mir noch einmal eindrücklich sagte, die Geschäfte gingen vor. Sie würden auch noch morgen in den Niederlanden leben.
Trotzdem wurde es dringend Zeit, die Zelte in London abzubrechen und unsere Reise fortzusetzen. Wie so oft vermisste ich auch Virginia, mein Zuhause und meine eigenen vier Wände!
Bevor es aber soweit war, gaben die Eheleute Mormon uns zu Ehren noch eine Gesellschaft um den Gerüchten, welche mal wieder um die Familie Kenway kursierten, Einhalt zu gebieten.
„Mistress Kenway, fühlt ihr euch denn überhaupt in dieser Familie willkommen, wenn immer wieder solche Wirren verbreitet werden?“ diese Frage hörte ich nicht zum ersten Mal an diesem Abend. Aber niemand wusste wirklich, ob es mit dem gefürchteten Piraten Kenway zusammenhing. Sie bauten sich ihre Gerüchte selber. Das ist schlimmer als bei Twitter oder Instagram, schoss mir mal wieder ein Gedanke durch den Kopf, den ich schon eine Weile nicht mehr hatte.
„Von welchen Wirren sprecht ihr denn?“ hakte ich betont gelangweilt nach.
„Man hat schon wieder in die Schatzkammer des Königs eingebrochen. Das kann doch kein Zufall sein!“ ich musste mir ein böses Kichern verkneifen, weil ich an Faiths Diebstahl mit der Bibel gar nicht mehr gedacht hatte.
„Wer weiß welche dunklen Schergen sich des Nächtens im Tower herum treiben!“ ich machte mir einen Spaß daraus, diese Gruselgeschichten anzuheizen. Das lenkte die Bevölkerung auf jeden Fall von den Kenways ab.
Die Rechnung hatte ich aber ohne die ach so wissenden Herren der Schöpfung gemacht, welche sich über potenzielle Königsmörder ausließen! Das nicht auch noch!
„Ich habe gehört, dass man vorhat den König zu ermorden. Deswegen hat man aus der Schatzkammer auch das Krönungsschwert entwendet.“ Moment mal, DAS war gar nicht dort gelagert. Haytham hatte mir erklärt, dass diese zeremoniellen Dinge in einem Kellergewölbe aufbewahrt wurden. Separiert um eben diese Art von Diebstahl zu verhindern.
Ich lauschte den Gesprächen an diesem Abend, trank meinen Champagner und dachte mir meinen Teil.
Eine junge Frau kam plötzlich auf mich zu. Erwartungsvoll sah sie mich an, sagte aber keinen Ton. Sie war etwas größer als ich, hellblonde gelockte Haare, ebenso helle Haut die mit Sommersprossen verschönert wurde und ihre Augen hatten einen warmen grünlichen Schimmer.
„Kann ich euch helfen, Miss?“ fragte ich zögerlich, als nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch kein Ton über ihre Lippen gekommen war.
Unvermittelt nahm sie meine Hand und ich spürte diese Bewegung ihres Fingers auf meiner Handinnenfläche. In Sekunden war ich in Alarmbereitschaft, vermittelte Haytham meinen Eindruck in der Hoffnung, dass er diese Dame eventuell zuordnen konnte.
Nein, ich kenne sie leider nicht, mi sol. Zieh dich mit ihr zurück und versuche sie zu befragen.
„Miss, dann folgt mir, wenn es euer Wunsch ist.“ Ich deutete ihr mir auf die Terrasse zu folgen.
„Ich dachte schon, ihr würdet nicht wissen, worum ich euch bat.“ ihre Stimme klang zögerlich und leise.
„Worum bittet ihr mich?“ ich war in meine Rolle der Großmeisterin gerutscht.
„Mistress Kenway, es ist mein Wunsch dem Orden beizutreten. Bisher… ich habe mich nie getraut… niemand schenkt mir wirklich Beachtung. Mein Vater ist … er ist… er… ist einer von den Scharfschützen… beim Tower…“ diese Worte stammelte sie mit gesenktem Kopf. Ich konnte spüren, dass sie plötzlich Angst hatte, etwas falsch gemacht zu haben. Aber ich musste auf Nummer sicher gehen.
„Er ist Scharfschütze, so so. Erzählt mir, was er für ein Gewehr nutzt.“ meine Stimmlage war recht kühl, aber ich musste mich und meine Familie schützen.
Mit einem Male sprudelten die Worte aus ihr heraus. Sie konnte bis ins kleinste Detail diese neue Zielvorrichtung beschreiben, der Aufbau dieser Waffen war ihr auch vertraut. Außerdem wusste sie um die Lehren der Templer, ihren Aufbau und als sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich einen Namen nannte, erfuhr ich postwendend von Haytham, dass es sich um einen Freund von Master Mormon handelte.
Warum aber hatte sie nicht mit ihm gesprochen, das wäre um einiges leichter gewesen.
„Ich darf nicht einfach so mit einem fremden Mann reden, Mistress Kenway. Ihr wisst doch. Die Etikette!“ kam es entsetzt von ihr, als ich ihr meine Gedanken kundtat.
„Das mag sein, aber auch ihr solltet lernen, dass in unseren Kreisen mitunter andere Verhaltensmuster herrschen. Aber erzählt mir von euch, eurem Training.“
Ich verbrachte mit dieser Frau über eine Stunde, in welcher sie mir ihre Lebensgeschichte erzählte, ihren Wunsch endlich mehr Anerkennung zu bekommen. Vor allem wollte sie etwas Gutes für die Menschheit bewirken können.
„Es ist mein Wunsch seit geraumer Zeit. Aber bisher hat man mich nicht erhört…“ betrübt sah sie zu Boden.
„Weil ihr nie mit Mistress Scott-Mormon gesprochen habt. Sie ist eine adäquate Ansprechpartnerin, wenn ihr selber nicht mit einem Herren in Kontakt treten möchtet.“ Gemeinsam gingen wir wieder zurück.
Ihr Vater wie ich nun wusste, kam auf uns zu und sah mich fragend an. Heute Abend war nicht die richtige Zeit um so etwas zu besprechen, wir würden uns morgen noch einmal zusammensetzen um die Aufnahme und Ausbildung zu besprechen. Auch Haytham, welcher hinzugekommen war, betonte noch einmal, dass neue Ordens-Schwestern immer gerne gesehen wurden.
Eine Woche später begrüßten wir ein neues Ordensmitglied, welches einstimmig aufgenommen wurde.
Aber immer noch mussten wir uns auf die Reise zum Festland vorbereiten.
Auf der Jackdaw lagerten mittlerweile einige Güter, die es hieß in die Niederlande zu bringen oder nach Frankreich zu schicken.
Ein Besuch bei White´s durfte dennoch nicht fehlen. Ich hatte mich noch einmal mit dem Besitzer unterhalten, bis auf ein oder zwei Lieferungen war alles zu seiner Zufriedenheit mit dem Kakao. Bei den beschädigten Blöcken schien es sich um minderwertige Ware zu handeln, die man unter die übliche Lieferung geschummelt hatte.
Daniel hatte mir zugesichert, dass er das im Auge behalten würde. Von daher konnte ich beruhigter die Abreise in Angriff nehmen.
Edward und Florence genossen die heiße Schokolade und den Kuchen, wo hingegen die Herren sich dem Ale widmeten. Jenny warf mir ein Augenrollen zu und ich grinste zurück. Sei es ihnen doch gegönnt.
Nachdem wir noch einmal meinen verhassten Hundefreund im Gefängnis aufgesucht hatten, um ihm die für ihn frohe Kunde zu überbringen, dass er in wenigen Monaten wieder auf freiem Fuße sei, wurde es Zeit für die Reise aufs Festland!
Dann war es endlich am 26. März soweit, dass wir am Hafen standen und auf mein zum Ablegen bereites Schiff blickten.
„Könnt ihr nicht noch etwas bleiben?“ sprach Jenny an meine Schulter gelehnt, als ich sie verabschiedete.
„Würde ich gerne, aber du weißt doch…“
„Ja ja… die Geschäfte… und du vermisst dein Zuhause…“ ihr Seufzen war mehr Verständnis als Worte ausdrücken konnten.
„Mama, kann Tante Jenny nicht mitkommen? Wir haben doch ein großes Haus.“ jammerte jetzt Edward plötzlich und sah zu seiner Tante mit Tränen in den Augen, ebenso flossen die Tränen bei Florence, die bei Haytham auf dem Arm war.
„Sie wohnt aber hier mit Onkel Daniel, das ist ihr Zuhause. Glaub mir, auch du wirst irgendwann ein eigenes Zuhause haben.“ ich hoffte, er würde es verstehen. Vermutlich müsste ich noch ein paar Stunden Erklärungen mit einplanen. Etwas Zeit hatten wir ja jetzt, bis wir in den Niederlanden ankämen.
An Bord stand ich an der Reling und sah dem Treiben der Hafenarbeiter zu. Unsere Ladungen waren alle gut gesichert, sodass ich Segel setzen lassen konnte. Langsam nahm meine Jackdaw Fahrt auf und folgte der Themse.
Nach geschlagenen 16 Tagen konnten wir in ´s Gravenhage (heutiges Den Haag) endlich anlegen. Ich war, wie so oft, dankbar für festen Boden unter meinen Füßen.
Mittlerweile war es der 12. April und wir mussten uns eingestehen, dass wir so schnell nicht zurück in die Kolonien kamen. Von hier würden wir noch einmal 6 Tage unterwegs sein mit Kutsche zum eigentlichen Wohnort der de Gooijers. Amersfoorter. Unterwegs sollten wir auf ihren Boten treffen, welcher uns dann weiter zum Gut der Händler bringen würde.
„Mama, ist es noch weit? Mir ist langweilig!“ nörgelte Edward drauf los, kaum dass wir eine Stunde in der Kutsche saßen. Und natürlich machte seine Schwester auch mit.
War es mit Yannick damals nicht auch so gewesen? Wir saßen noch nicht ganz im Auto, da musste er, ihm war langweilig oder ihm war schlecht.
Also versuchte ich mit Geschichten und Wortspielchen die beiden bei Laune zu halten, während mein Gatte schlafend an der Seite hing. Danke, mi amor. Du wirst dich noch wundern! Das würde er noch zu spüren bekommen.
Sophia hatte mit Florence aber ihre Bestimmung gefunden. Es war hier fast flaches Land und man konnte sehr sehr weit blicken.
„Miss Florence, schaut! Dort hinten seht ihr einen Turm. Dort wohnt bestimmt eine Prinzessin und wartet auf ihren Prinzen.“ meine Tochter lauschte diesen Worten und reckte ihren Hals um auch diesen Turm sehen zu können.
Edward fand diese Mädchengeschichten langweilig, also musste ich mal wieder in meiner Gedächtniskiste ein paar spannende Dinge ausgraben.
Als wir nach 2 Tagen auf den Boten unserer Geschäftspartner trafen, verweilten wir am Abend in einem netten kleinen Gasthaus, welches wirklich sauber und geräumig war. Das Essen war hervorragend! Auch wenn sich das holländische Essen kaum von unserem deutschen unterschied, es war wie Heimat!
Auch die nächsten Tage gingen dann doch recht zügig um und ich war froh, als wir den Hof von Myrte und Jon endlich erreichten. Er war doch größer als gedacht und ähnelte einer kleinen Plantage. Hier wurden aber Kühe gehalten, Weizen und Rüben angebaut. Der Rest wurde anderweitig beschafft und lief über den mittlerweile florierenden Handel des Ehepaares.
Sie begrüßten uns herzlich als wir aus der Kutsche stiegen und zeigten uns gleich unsere Zimmer. Es mag sich seltsam anhören, aber so stellte man sich das typische Haus in den Niederlanden vor. Bescheiden aber geräumig! Die Wohnstube verdiente ihren Namen, weil man hier aß, sich am Abend vor dem Kamin zusammensetzte oder eben die Nachmittage verbrachte. Es gab keine Aufteilung wie Esszimmer, Salon oder ähnlichem. Es war… bescheiden, aber unglaublich gemütlich!
Unsere Kinder fühlten sich sichtlich wohl und als dann auch noch zwei Hunde auf Edward zukamen, war es schon mal um ihn geschehen. Walka jedoch hatte noch ihre Schwierigkeiten wie es schien. Auch wenn sie die Überfahrten ohne Komplikationen gut überstanden hatte, hier hatte sie eine Art „Konkurrenz“ und stand dicht bei ihrem Herrchen.
„Es freut mich, dass ihr endlich hier seid! Wir haben schon so darauf gewartet.“ Myrte war in ihrem Element und bewirtete uns fürstlich.
Die Herren zogen sich später dann zu Zigarren und Genever in das Herrenzimmer zurück. Florence und Edward wurden zu Bett gebracht und ich konnte mit der Hausherrin ausgiebig tratschen. Warum ich das auf einmal so genießen konnte, war mir schleierhaft! Bisher waren mir solche Dinge immer zuwider, aber wir tauschten die tollsten Geschichten aus.
Weder bei ihr war es die ganze Wahrheit über ihre Nachbarn zum Beispiel, welche sich übernommen haben sollen mit einem Geschäftspartner aus Frankreich, noch war es die ganze Geschichte aus London mit dem Riesen… Es war einfach Reden. Sich austauschen mit Gleichgesinnten.
Irgendwann gegen Mitternacht erschienen unsere Ehemänner und taten kund, sie würden jetzt gerne zu Bett gehen. Ich war versucht zu sagen „Dann geh doch einfach.“ aber in den Augen von Haytham sah ich, dass er ein wenig Zweisamkeit vermisste.
„Ich wünsche euch eine wundervolle erste Nacht hier bei uns, Alex.“ lächelte Myrte und wir gingen hinauf in unser Zimmer.
„Warum fühle ich mich so wohl, mi sol?“ kam es später gähnend von Haytham an meiner Seite. Er hatte mich für die letzten Tage der Abstinenz mehr als entlohnt und ich hatte ihm meinen Dank mündlich kundgetan. Was er mit einem weiteren Erkunden meines Körpers belohnte.
„Es fühlt sich einfach heimisch an. Die Niederlande sind nicht so weit entfernt von Friesland, meiner eigentlichen Heimat. Leider habe ich überhaupt keine alten Karten im Kopf und weiß, wie die Grenzen verlaufen…“ grübelte ich plötzlich vor mich hin.
„Vielleicht kann dir Jon ja weiterhelfen. Ich würde auch gerne wissen, wo genau du herkommst.“ über Haytham wusste ich Bescheid, aber er wusste so gut wie nichts über mich, woher ich wirklich kam…
Dunkle Wolken zogen wieder auf und ich spürte wie mir die Tränen herunterliefen.
„Niemand ist jetzt dort wo ich einmal wohnen werde. Auch jetzt bin ich wieder alleine…“ Ich konnte meine Gefühle gerade nicht stoppen. Sie waren da! Punkt!
„Du musst aber doch irgendwelche Verwandten auch in diesem Jahrhundert hier haben, mi sol.“ vermutlich hatte ich sie, wusste aber eigentlich gar nichts über meine nähere Vergangenheit und das wurde mir gerade schmerzlich bewusst!
„Ich habe mich nie näher damit befasst. Ich war zu sehr mit deinem Leben beschäftigt…“ Es klang mehr als Vorwurfsvoll, obwohl ich es gar nicht beabsichtigt hatte.
„Auf der einen Seite schmeichelt es mir, dass du mich als Fokus hattest. Auf der anderen… Alex! Sieh mich an!“ er drehte mich vorsichtig zu sich, damit ich ihn ansehen konnte. Aber mein Blick verschwamm immer wieder unter den Tränen. „Dann lass uns damit jetzt beginnen! Dann bleiben wir vielleicht einige Monate noch hier! Aber… ich kann es nicht ertragen dich so zu sehen!“
Das waren die Worte die ich brauchte, um Virginia nicht allzu schmerzlich zu vermissen! Eine Reise durch meine alte… nein zukünftige Heimat… ach egal. Auf in ein, wenn auch kleines, Abenteuer!
Jon konnte mir tatsächlich mit einer Karte der Vereinigten Niederlande und den angrenzenden preußischen Gebieten helfen. Hannover lag aber nicht wirklich in diesem Bereich, sondern es gehörte zum Fürstentum Hannover. Ich muss gestehen, SO genau hatte ich damals wohl im Unterricht nicht aufgepasst.
Ich verbrachte einige Zeit damit, mir das ganze einzuprägen. Hin und wieder zeigte ich Haytham, wo ich geboren wurde oder wo ich dann schließlich gelebt hatte.
„Du bist wirklich mehr als bodenständig, wenn ich das so sehe. Bist du wirklich nie woanders gewesen?“ in seiner Stimme klang ein leichter Unglaube mit, welchen ich bestätigen musste.
„Nicht wirklich, nein. Wie du weißt gab es einen Spanien Urlaub vor 30 Jahren… Bei Odin, das klingt so seltsam wieder einmal. Und mit unserer Schule sind wir einmal im Jahr auf sogenannte Klassenfahrten gegangen. Aber… naja, wir blieben in Deutschland, was recht langweilig war.“ seufzte ich immer noch von dieser Tatsache enttäuscht.
„Was macht man auf diesen Ausflügen mit den anderen Kameraden?“ woher sollte er das auch wissen? Als ich meine Erklärung beendet hatte, sah er mich mit großen Augen an. „Dann war das mehr zu Lehrzwecken, als zur Unterhaltung für euch Schüler gedacht? Aber das ist doch gut, so habt ihr unterschiedliche Eindrücke bekommen, die den Unterricht sicherlich bereichern konnten. Ob wir so etwas bei Mr. Hathaway einmal vorschlagen sollten? Natürlich nur im kleinen Rahmen, versteht sich.“ ich sollte aufhören, ihn auf solche Ideen zu bringen. Im Grunde konnte es nicht schaden, nur wäre es kaum umsetzbar mit den Kindern der Bauern und Pächter. Erkundungen in der näheren Umgebung wären da sicherlich praktikabler.
Zwei Tage später lernten wir noch ein paar Nachbarn und Freunde der Familie de Gooijer kennen. Mit einem Herren hatte ich dann die Gelegenheit mal wieder Deutsch zu sprechen. Er kam ursprünglich aus Strackholt, ist aber seiner Gattin zuliebe in die Niederlande gegangen.
„Meinen Eltern war das überhaupt nicht recht damals, ich sollte gefälligst den Hof übernehmen als ältester Sohn. Dass ich aber schon mit meinen Brüdern alles geklärt hatte, konnten sie ja nicht wissen. Mittlerweile sind wir aber alle wieder versöhnt, vor allem meiner Mutter zuliebe.“ Bei solchen Erzählungen ging mir immer durch den Kopf, dass diese Zeit doch nicht so rüpelhaft und ungehobelt war. Die Kinder waren schon darauf bedacht, ihren Eltern keine Schande zu machen. Nun gut, in meinem Jahrhundert sah ich das krasse Gegenteil, aber ich schweife mal wieder ab.
Der Herr zeichnete mir auf einer provisorischen Karte eine Route über Land auf, nach der wir die einzelnen Ortschaften „abarbeiten“ konnten.
„Ihr werdet aber sicherlich einige Wochen einplanen müssen. Bedenkt vor allem das Moorgebiet in Westfriesland. Die Kutscher hier sind aber entsprechend geschult und werden wissen, wo es sicher ist voran zu kommen.“ das klang ja sehr zuversichtlich und ich schluckte schwer. An diese ganzen Moraste hatte ich nicht gedacht. Ich erinnerte mich lediglich daran, das mein Großvater als Kind noch zum Torfstechen mit raus musste...
Der ganze Besuch war recht unspektakulär, aber einfach ein Gefühl wie Urlaub machen.
Als uns Jon dann noch in den Genuss des hiesigen Tabaks kommen ließ, war ich völlig erstaunt. Hier wurde auch so etwas angebaut? Aber sogar mein Mann klärte mich auf, dass es deswegen so viele Preisunterschiede und verschiedene Sorten gab. Ich bekam eine Lehrstunde in Tabakanbau, mal wieder. Haytham war, genau wie Jon, ganz in seinem Element. Noch am selben Tag besuchten wir ein entsprechendes Lager in der Stadt. Ich staunte nicht schlecht über die Menge der Ware, die hier gelagert wurde.
„Das Geschäft läuft prächtig. Ich hoffe, es bleibt auch so.“ freute sich Herr de Gooijer.
Nach ungefähr einer Woche verabschiedeten wir uns dann und machten uns auf den Weg zu unserem ersten Etappenziel! Emden!
Was soll ich sagen? Es war ein echtes Abenteuer mit diesem ganzen Tross, welcher uns begleitete. Unser dortiger Zwischenstopp dauerte nur einen Tag. Dann ging es weiter nach Wittmund. Ernüchtert sah ich mich dort um, auch wenn die Stadt schon recht ansehnlich war. Für meine Begriffe war es noch ein Dorf. Auch hier blieben wir nicht lange und machten uns schon am nächsten Tag auf weiter nach Oldenburg, von dort in grober Richtung Osnabrück. Langsam sah ich tatsächlich bekannte Gebiete, auch wenn von den geteerten Straßen noch nichts zu sehen war.
Und dann endlich kamen wir nach insgesamt etwas über 4 Wochen, einigen durchwachten Nächten, schmerzenden Knochen und mauligen Kindern, in Pyrmont an. Unser ortskundiger Kutscher hatte eine großzügige Pension in der Nähe des Schlosses aufgetrieben. Dort aßen wir kurz zu Mittag und machten uns dann zu Fuß auf den Weg in die … Stadt.
Was denn davon bis jetzt schon zu sehen war. Vom eigentlichen Kurpark war natürlich noch nichts zusehen, ebenso wenig vom Hylligen Born. Ich ließ es mir nicht nehmen, meine Familie trotzdem mit meinem „zukünftigen“ Wissen zu nerven.
Wir gingen dann weiter in Richtung der St. Petri Kirche, von der ich wusste, dass sie schon existierte. Einige Häuser erkannte ich drumherum tatsächlich wieder. Das alte Verlagshaus zum Beispiel oder das spätere Wohnzentrum. Ich plapperte vermutlich ohne Luft zu holen.
„Mi sol, es ist faszinierend zu sehen, wie du die Gegend hier eigentlich wahrnimmst. Ich habe daran gar nicht mehr diese Erinnerung. Leider waren wir nicht lange genug hier.“ seufzte Haytham plötzlich, während er sich ebenfalls nach bekannten Anhaltspunkten umsah.
Von meiner zukünftigen Straße, der Stadtkirche und ähnlichem war halt noch nichts auszumachen.
„Mama, kommst du von hier?“ fragte Edward leise, als er sich skeptisch umsah.
„Ich habe hier gewohnt, min lille skat. Du warst auch schon einmal hier. Aber das ist lange her.“ lächelte ich ihn an.
Wir verbrachten hier noch eine Nacht und brachen dann in Richtung Weser auf. Die Jackdaw würde dort auf uns warten und wir würden, plump gesagt, Richtung Norden segeln. Von dort dann die Rückreise in die Kolonien antreten.
Im Grunde war es weder spannend noch abenteuerlich. Aber für mein Gemüt war es beruhigend gewesen. Ich hatte endlich die Chance bekommen, meine Heimat zu sehen. Ich kam zur Ruhe, auch wenn ich es kaum richtig beschreiben kann.
Wir kamen Mitte Juni endlich an unserem Treffpunkt an der Weser an. Es war mittlerweile recht warm geworden. Wieder einmal war ich dankbar für die Kompetenz unserer Diener, welche entsprechende Kleidung gepackt hatten.
Florence war jetzt fast 2 Jahre alt. Ihren Geburtstag würden wir auf meinem Schiff feiern. Für einen Augenblick überließ ich meine Kinder den Kindermädchen und machte mich mit Haytham auf, hier in Nienburg ein Geschäft aufzutun, wo ich noch eine Kleinigkeit für meinen kleinen Engel besorgen konnte.
Wir wurden fündig in einem kleinen Laden, welcher wunderschöne handgefertigte, nunja in dieser Zeit war alles handgefertigt, ich weiß, Puppen und Stofftiere anbot. Nein, ich kaufte keine 100ste Puppe, ich sah ein hübsches Pferd welches Fenrir sehr ähnlich sah. Dazu gab es sogar einen kleinen Sattel aus Leder. Wir hatten bereits ihre Vorliebe für Pferde bemerkt, wie bei allen Kenways eigentlich.
„Unsere Tochter sollte auch ein eigenes Pferd bekommen, mi sol.“ kam es gedankenverloren von meinem Mann, welcher unseren Einkauf bestaunte.
„Wenn wir wieder daheim sind, sollten wir das in Angriff nehmen. Ich werde mich mit Mr. Gillehand in Verbindung setzen sobald wir dort sind. Er sprach von erneutem Nachwuchs letztes Jahr.“ ich muss gestehen, auch ich war mehr als neugierig auf den Nachwuchs seiner Stute!
Gerade als wir uns auf den Weg zurück zur Jackdaw machten, kam eine Gruppe vermummter Menschen auf uns zu und umringte uns. Es waren 5 an der Zahl.
„In dieser Gegend habt ihr nichts verloren! Also, her mit euren Brieftaschen.“ rief eine männliche Stimme in diesem Nienburger Platt uns entgegen. Haytham verstand kein Wort, brauchte er auch nicht. ICH kannte es noch!
„Und wenn wir höflich ablehnen?“ warum ich das sagte, kann ich mir nicht erklären. Aber ich war mir sicher, diese Bande hätte kaum eine Chance gegen uns, auch wenn ich im Kleid hier stand!
„Dann wird euch das leidtun!“ der nächste in der Gruppe zückte sein Schwert. Er schwang es etwas unkontrolliert.
„Seid nicht dumm und lasst uns gehen. Wir haben nichts, was euch interessieren könnte!“ Haytham war vorgetreten, hielt seine rechte Hand aber am Griff seines Schwertes.
Und dann ging es eigentlich ganz schnell!
Diese Männer hatten nicht mit unseren Fähigkeiten gerechnet! Wir hatten den Überraschungsmoment auf unserer Seite, welchen wir natürlich ausnutzten. Aber wir brachten sie nicht um, sondern machten sie nur kampfunfähig.
„Und jetzt verzieht euch wieder! Sagt eurem Boss, dass er seine Leute besser ausbilden muss.“ fuhr ich einen der Herren an, der keuchend vor mir kniete mit meiner versteckten Klinge am Hals.
„Ich habe noch nie ein Weib so kämpfen sehen! Wer seid ihr?“ kam es schwer atmend von ihm, während er mit weit aufgerissenen Augen zu mir aufsah. In diesem Moment ritt mich eine Idee… vermutlich eine ziemlich blöde, aber…
„Mein Name ist Alexandra Frederickson. Vielleicht solltet ihr euch das merken! Ich komme wieder, sollte ich noch einmal hören, dass ihr unbescholtenen Bürgern die Taschen plündern wollt!“ fauchte ich ihm entgegen, ließ meine Klinge wieder verschwinden und richtete mich auf.
Ohne einen weiteren Blick zurück, gingen wir Richtung Anlegestelle.
„Alex, war das eine so gute Idee mit deinem Namen?“ Haytham war ebenso skeptisch wie ich selber.
„Ich… weiß es nicht. Es überkam mich einfach.“ flüsterte ich und nahm seine Hand. „Ich existiere noch nicht, die können sich dumm und dusselig suchen, mi amor. Wie ihr damals…“ ich unterbrach mich, weil ich wieder an meine Ankunft in New York denken musste vor … 10 Jahren!
„Oh, ich kann mich noch sehr gut erinnern.“ lachte er, zog mich aber zügig weiter, weil es zu nieseln begann. Gerade schien doch noch die Sonne!
Auf der Brig sah ich schon Florence und Edward herum toben.
„Flo, du musst schneller rennen. Ich kriege dich ja immer!“ kicherte Edward, während er mit Hündin im Schlepptau seine kleine Schwester kitzelte.
„Nein, lass das!“ jaulte sie und ließ sich einfach fallen. „Papaaaaaaaaaaa! Eddy ärgert mich!“ rief sie, als sie ihren Vater sah.
„Edward…“ aber ich ließ Haytham gar nicht erst zu Wort zu kommen, er war drauf und dran, seinen Sohn zu maßregeln.
„Min lille skat, du hast viel längere Beine als deine Schwester, das ist unfair.“ ich nahm ihn zur Seite und flüsterte ihm ins Ohr, dass er ihr ruhig ein wenig mehr Zeit zum Wegrennen geben sollte. So hat Florence nicht das Gefühl immer zu verlieren.
„Aber Gilbert und Jessy machen das auch immer mit mir!“ maulte er mich an. Ich seufzte tief, setzte mich auf die Bohlen und zog die Kinder zu mir.
„Hört mal, es gibt Momente, da sollte man jemandem eine Chance geben, der vielleicht nicht so schnell ist oder schon so gut reiten kann. Viel besser ist es, wenn man sich gegenseitig etwas beibringt. Edward, du kannst Florence doch zeigen, wie sie schneller werden kann, oder?“ in der Hoffnung, dass man mich verstand, gab ich ihnen noch einen dicken Kuss.
„Ja, Mama.“ kam es wie aus einem Mund…
„Papaaaaaaaaaaa… Eddy ist doof!“ rief Florence und ich hatte mal wieder das Gefühl, ich hätte mit einer Wand geredet. Genervt sah mich mein Sohn an, in seinen Augen tat sich eine große Wut auf. Plötzlich aber entspannte er sich, blickte zu mir, dann zu seiner Schwester.
„Flo ist auch doof! Aber ich hab sie lieb.“ wieder einmal hatte er einen Schritt weiter mit diesen Wutausbrüchen getan.
„Das hast du großartig gemeistert, min lille skat.“ flüsterte ich. Dafür bekam ich eine Umarmung und ein Küsschen.
Es wurde Zeit, dass wir aufbrachen, die Mittagssonne stand im Zenit und Mr. Hargreaves war schon recht zappelig. Die Mannschaft freute sich ebenso darauf ihre Familien wieder in die Arme nehmen zu können.
Die Jackdaw legte ab, nahm Fahrt auf und auf dem Steg sah ich noch ein paar Schaulustige uns hinterher blicken.
„Ob auch hier so ein Gerücht…“ mehr brauchte ich nicht sagen, da sah ich Edward Senior grinsend vor mir! Auch hier hatte er sich „blicken“ lassen! Diese Jungsstreiche wird man dem Großvater wohl auch nicht mehr austreiben können.
Auf halbem Wege wurde unsere Fahrt jäh unterbrochen. Nahe des heutigen Jadebusens wurden wir von einem kleinen Kurierschiff aufgehalten.
„Mistress Kenway, es ist ein Sendschreiben… aus Frankreich! Es eilt!“ der Kapitän überreichte mir das Schreiben und eine kleine Kiste. Dann verschwand er wieder auf seinem Schiff mit einer tiefen Verbeugung.
In diesem Moment sah ich schon unsere Heimreise als gecancelt!
In meiner Kajüte öffnete ich den Brief von König Ludwig. Dieser war in der formellen Anrede gehalten! Das hieß, einer der Sekretäre hatte ihn verfasst und tatsächlich. Es waren keine guten Neuigkeiten! Maria war verstorben! In diesem Schreiben bat man uns, an der Beisetzung teilzunehmen. Marias Wunsch war es, das einige der vertrauten Damen ihr ein letztes Geleit geben sollten.
„Mi sol… du meine Güte! Was…“ Haytham umschlang mich mit seinen Armen, drückte mich an sich, als er den Brief überflog.
„Ich wusste doch nicht, dass … ich hasse Beerdigungen.“ mir liefen die Tränen über die Wangen, weil ich wirklich nicht gerne an solchen Dingen teilnahm. Auch wenn es keine Angehörigen oder enge Freunde waren.
„Wir müssen aber, Ludwigs Worte sind deutlich!“ mein Mann brachte mich wieder in die Realität. Ich darf nicht einmal an eine Absage denken, es war der König von Frankreich, welcher uns um unsere Anwesenheit bat.
„Dann werden wir doch noch eine Weile hier bleiben.“ seufzte ich, steckte den Brief wieder weg und öffnete die kleine beiliegende Kiste.
Zum Vorschein kamen Ohrringe die wie ein Edelweiß aussahen, mitsamt des passenden Colliers.
„Meine Gattin hatte explizit euren Namen dabei vermerkt.“ las ich noch eine kleine Karte, welche im Futter des Kistchens steckte.
„Ich… Haytham… ich bin völlig überwältigt. Ich kann das nicht wechseln.“ Hatte ich wirklich so einen Eindruck hinterlassen bei Maria? Mein ganzer Körper zitterte vor Aufregung, vor Stolz.
„Wir sollten ihr die letzte Ehre erweisen, Ludwig hat es ebenso verdient, mi sol.“ diese tiefe Stimme beruhigte mich wieder ein wenig und ich sah schniefend zu meinem Mann auf.
„Dann… auf nach Versailles!“ lächelte ich, obwohl mir überhaupt nicht danach war!
Wir mussten jetzt aber auch noch unseren Kindern erklären, dass wir noch einen kleinen Besuch in Frankreich absolvieren würden.
„Einen König?“ Edwards Augen wurden groß und er sah uns ungläubig an. „Ihr kennt einen? Ist der nett?“ seine natürliche Neugierde war einfach wieder niedlich.
„Ja, wir kennen Ludwig persönlich. Aber dieses Mal reisen wir dorthin, weil seine Frau gestorben ist. Es ist kein fröhlicher Besuch.“ erklärte ich unserem Sohn.
Entsetzt sah er mich an! „Mama, kannst du auch sterben?“ diese Frage kam mit zitternden Lippen und ziemlich unerwartet.
„Jeder Mensch wird irgendwann sterben, Edward. Das ist ganz natürlich. Du hast doch Großvaters Grab gesehen, oder?“ immer noch sah mich mein Sohn entgeistert an.
„Nein! Das will ich nicht!“ heulend klammerte er sich an Haytham und mich. Nach Hilfe ringend sah ich zu meinem Mann, aber auch er war völlig überfordert.
„Edward, das ist aber der Weg, den wir alle gehen werden. Sogar Tyr oder Odin gingen diesen Pfad. Glaub mir, du brauchst keine Angst davor zu haben.“ zum ersten Mal versuchte Haytham eine Erklärung mit Hilfe der nordischen Götter! Im Grunde fand ich diesen Gedanken, in Odins Halle mit allen wieder vereint zu sein, immer beruhigend. Auch Edward Junior schien ruhiger zu werden.
„Das heißt, ihr werdet einfach da sein, aber ich kann euch, wie diesen seltsamen Gott von Mr. Hathaway, nicht immer sehen?“ erstaunt sah ich zu Haytham. Genau DAS war es, was wir verdeutlichen wollten.
„Wir sind immer da, min lille skat.“ ich drückte ihn an mich.
Florence hingegen fand diesen Abstecher eher langweilig, zumindest kam nur ein „Sind da auch Tiere?“ Mir huschte dabei ein breites Lächeln über das Gesicht. Sie würde einiges zu sehen bekommen. Vermutlich hatte sich auch vieles verändert dort in Versailles.
Wir kamen Anfang Juli dort an und es war einfach unangenehm heiß! Um uns herum waren alle Menschen etwas gereizt und auf Krawall gebürstet wie es schien.
Florences Geburtstag hatten wir unterwegs ein wenig gefeiert, wenn auch nicht gebührend, wie Haytham befand.
„Das werden wir dann später nachholen.“ sagte er mit einem breiten Grinsen in Richtung seiner Tochter, welche sich über ihren provisorischen kleinen Geburtstagskuchen hermachte.
Wie damals schon versprochen, bezogen wir wieder unsere Räume in der Nähe des Königs! Noch konnten wir ihm unser Beileid nicht aussprechen, ich hoffte aber, dass wir bald die Gelegenheit bekamen.
Stattdessen huschten einige neue Diener in der Gegend herum und beäugten unsere Wachen kritisch. Immer noch waren die privaten Sicherheitsleute nicht gerne gesehen.
Nachdem wir uns eingerichtet hatten, begaben wir uns Richtung der Gesellschaftsräume. Eine dieser „Kindergärtnerinnen“ (Ja, ich weiß, es heißt Erzieher:innen!) wollte gerade Edward und Florence mit sich nehmen, als ich auf die Kindermädchen hinwies, welche uns begleiteten.
„Madame! Das geht nicht! Eure Aufgaben sind ganz klar…“ Augen rollend, nahm ich einfach meine Tochter wieder auf den Arm, während Haytham Edward an die Hand nahm. Sophia und Sybill grinsten verstohlen in unsere Richtung.
„Unsere Kinder bleiben bis auf weiteres bei uns! Habe ich mich klar ausgedrückt?“ meine Stimme klang vermutlich mehr als befehlend, das war mir aber egal!
„Wie ihr wünscht…“ Nach einem bösen Blick, ging diese Frau endlich.
Wir waren nicht die einzigen Eltern, die ihre Kinder mit dabei hatten. Es dauerte auch nicht lange, da waren Edward und Florence mit ihren Kindermädchen bei den anderen und spielten.
Haytham sah mich grinsend an. „Du bist wirklich wie ein Löwin, wenn es um unsere Kinder geht. Ich liebe das.“ in seinen Augen sah ich plötzlich ein Glimmen, welches mich etwas stutzig machte. Für einen Bruchteil konnte ich seinen Wunsch nach einem weiteren Kind wahrnehmen. Würden wir wirklich noch einmal Nachwuchs bekommen? Aber die Götter haben nicht davon gesprochen! Vielleicht wäre es wie bei Faith. Sie wurde ohne alle Magie oder Göttereinfluss schwanger. Ein „Überraschungskind“ wäre dann noch mal eine andere Hausnummer, weil keine göttlichen Einflüsse dabei wären.
„Ich bin noch nicht soweit…“ meine Stimme kam kaum hörbar über meine Lippen, weil ich Haytham eigentlich nicht enttäuschen wollte, umgekehrt hatte ich aber ebenso diesen Wunsch. Wir sollten abwarten!
„Ich will dich nicht drängen. Verzeih mir, mi sol.“ hörte ich seine warme Stimme an meinem Ohr und seine Arme schlangen sich um mich.
Wir wurden in die Gespräche gezogen, welche um uns herum waren.
Man war sich zum Beispiel nicht sicher, ob man die richtigen Kleider für eine Trauerfeier hatte. Oder aber man munkelte bereits über eine neue Königin, weil Ludwig nicht alleine bleiben sollte und so weiter. In 2 Jahren würde sein Enkel Ludwig Marie Antoinette heiraten und sie wären damit später auch die Herrscher über Frankreich. Doch noch wusste das niemand hier, oder vielleicht spekulierte man schon darauf. Wer weiß!
Der Nachmittag verlief recht ruhig, so auch das Abendessen. Während dessen bat uns Ludwig um ein Gespräch unter vier Augen. Morgen sollte die Beisetzung stattfinden. Im Grunde waren wir gerade rechtzeitig in Europa, ging es mir durch den Kopf, daneben dachte ich aber über etwas sehr abstraktes nach. Wie konnte man einen Verstorbenen bei diesen Temperaturen in diesem Jahrhundert kühlen? Es gab ja noch keine Kühlkammern. Das Maria eingeäschert wurde, war mir auch nicht bekannt.
Unsere Kinder waren im Bett und wir gingen zu Ludwig.
Er war, wie ich schon am Nachmittag gesehen hatte, niedergeschlagen und melancholisch. Auch wenn er und Maria Differenzen hatten, er schien seine Gattin wirklich zu vermissen.
„Maitrésse Kenway, Maitre Kenway! Ich freue mich außerordentlich, dass ihr eure Reisepläne für diesen Anlass verschieben konntet.“ Man sah ihm an, dass er zwar in Trauer war, aber versuchte einen zuversichtlichen Eindruck zu machen. Im Grunde musste sich dieser Mann in der Öffentlichkeit entsprechend präsentieren. Nicht ganz leicht, wenn man so distanziert gelebt hat.
„Eure Gattin war mir eine gute Freundin, es ist meine Pflicht, an diesem Tage hier zu sein.“ König Ludwigs Augen sahen mich mitleidig an.
„Maria hat mir einigen Kummer bereitet, aber auch schöne Erinnerungen hinterlassen. Ich… spreche unsere Kinder nicht an. Ihr wisst von den Verlusten.“ das kam kaum hörbar über seine Lippen. Im Grunde musste er wirklich auf seinen Enkel zurückgreifen um einen Thronfolger zu küren. In mir stieg ebenfalls diese Trauer empor. Maria hatte sie unzählige Male erlebt!
Wir besprachen den morgigen Ablauf der Beisetzung.
Die Königin würde im Familienmausoleum ihre letzte Ruhe finden. Vorher fand eine Andacht in der königlichen Kapelle im Schloss statt. Im Anschluss an das ganze Zeremoniell sollte es ein großes Essen zu ihren Ehren geben.
Wir verabschiedeten uns für die Nacht, jedoch blieb in mir ein unwohles Gefühl zurück. Mir behagten Beerdigungen einfach nicht.
„Mi sol, dir geht dieser Tod ja doch näher als gedacht.“ hörte ich Haytham neben mir sagen, als wir auf dem Weg zu unseren Räumlichkeiten waren.
„Nein, das ist es nicht, oder nicht ganz. Mir läuft bei diesem Gedanken einen Menschen in einem Sarg in die kalte Erde zu geben, eine Gänsehaut über den Rücken. Edward hat es ja auch schon gesagt, er mag das auch nicht. Bitte, Haytham, ich möchte verbrannt werden…“ flüsterte ich.
„Ich werde dafür sorgen, dass es so geschieht, wie du es festgelegt hast.“ sein Arm legte sich bei diesen Worten sanft um meine Schulter.
„Danke!“ hauchte ich und lehnte meinen Kopf an ihn.
In dieser Nacht schlief ich nicht richtig. Ich sah meine Mutter wieder vor mir im Bestattungshaus, wo wir sie hatten aufbahren lassen, damit jeder noch einmal Abschied nehmen konnte. Diese Träume verursachten immer wieder eine große Unruhe in mir, welche meistens noch den ganzen nächsten Tag andauern würde.
- Für meine Mama -
So war es dann auch.
Ich erwachte völlig unausgeruht, mir taten meine Muskeln weh und mein Kopf schien zugekleistert zu sein.
„Mama! Aufstehen!“ hörte ich Edwards freudige Stimme neben dem Bett.
„Ja, gleich, min lille skat.“ gähnte ich herzhaft. Als ich mich zu meinem Mann drehte, war dieser bereits aufgestanden. Er und Michael waren gerade dabei den passenden Anzug zusammen zustellen.
„Es sollte schwarz sein, mit der passenden Weste und der Halsbinde. Die Westen sind aber alle bestickt…“ mit einem Finger an den Lippen grübelten beide, was dem ganzen angemessen wäre!
Ich hingegen hatte es leichter, da ich tatsächlich ein fast ganz schwarzes Kleid besaß. Magda hatte es bereits an den Schrank gehängt, sowie den passenden Schmuck für mich und meine Haare auf meine Kommode gelegt.
Das Frühstück fiel schweigsam aus, weil jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Ich sah einige bekannte Gesichter bei Tisch. Unter anderem sogar Monsieur Dorian mit Gattin, sowie uns schräg gegenüber Monsieur de la Sérre. Sicherlich würden wir im Anschluss an die Trauerfeier noch Gelegenheit bekommen uns zu unterhalten.
Am späten Vormittag versammelte man sich dann in der Kapelle, wo vor dem kleinen Altar der prächtig geschmückte Sarg der Königin stand. Er war umringt von zig Blumenkränzen, Gestecken und Vasen mit wunderschönen, duftenden Blumen. Leider habe ich nicht ganz so viel Ahnung von dieser Botanik, sie sahen aber wirklich hübsch aus.
Die Andacht war recht lang, aber nicht langweilig. Der Priester hatte eine großartige Predigt vorbereitet, bei welcher mir kontinuierlich die Tränen herunterliefen.
Haythams Hand legte sich auf meine, während er mir sein Taschentuch reichte.
„Wunderschön gewählte Worte, mi sol.“ flüsterte er, musste aber auch schwer schlucken.
Mit dem Glockenschlag gingen wir alle hinter dem Sarg her Richtung des Mausoleums. Dort würde aber nur die engste Familie noch einmal Abschied nehmen.
Marias Geschwister waren ebenfalls angereist, ich kannte jedoch von ihnen niemanden. Da ließ mich mein historisches Wissen leider im Stich.
Jetzt war es Zeit für das große Essen mit anschließendem Bankett. Mir erschloss sich nicht, warum man bei einer Trauerfeier so etwas veranstaltete. Wie immer, wer bin ich das zu beurteilen?
Die Kinder durften dann auch wieder dabei sein, was Florence und Edward freute. Beide rannten lachend auf uns zu, beinahe wäre unsere Tochter noch über ihre eigenen Füße gefallen, so aufgeregt war sie.
Wir wurden mit ein paar anderen Kindern und deren Eltern bekannt gemacht, welche Edward auch gleich zu uns nach Virginia eingeladen hatte.
„Mutter, Lilly und Julius müssen unbedingt Darius kennenlernen! Und ich darf sie auch einmal besuchen kommen, nicht wahr?“ Mit großen Augen sah er fragend in die Runde.
„Natürlich, Edward. Wir freuen uns schon, einmal nach Amerika zu segeln.“ Julius´ Mutter war Französin, ihr Gatte war Spanier. Beide sprachen aber flüssig englisch, was ich begrüßte, weil meine Sprachkenntnisse immer noch nicht die besten waren.
Wie erwartet hatten die Kinder die neuen Tiere besucht, die Ställe unsicher gemacht, was man an der Kleidung definitiv sah.
„Bevor ihr zu Tisch könnt, Master Edward, werden wir euch neu einkleiden.“ tadelte Sybill ihren Schützling, aber auch Sophia schnappte sich jetzt Florence.
Das üppige Essen war wie gewohnt lecker, sehr erlesen und in so großen Mengen wieder aufgetischt worden, dass es mir im Herzen leidtat, wenn ich diese Verschwendung sah.
Im Anschluss hatten wir bis zum abendlichen Bankett Zeit uns unseren Dingen zu widmen. Leider wurde mein Mann aber von König Ludwig in Beschlag genommen, weil es um einige Gelder und militärische Dinge ging. Als sein Berater musste Haytham, wenn wir zugegen waren, bei diesen Gesprächen natürlich dabei sein.
Also ging ich mit einigen Damen hinaus, weil es drinnen zu stickig wurde.
Im Park sah ich, dass einige Wege neu hinzugekommen waren, ein paar Pavillons waren ebenso neu errichtet worden.
Hier roch es herrlich nach Blumen, nicht wie im Palast ziemlich schmutzig. Natürlich gab es entsprechende Klosetts, diese Erfindung war bis hier her durchgedrungen, aber kaum jemand nahm sie ihn Anspruch! Wenn es an mir wäre, würde ich überall Zettel aufhängen lassen mit einer entsprechenden Mahnung an diese Möglichkeit!
Wir spazierten ein wenig durch den Park um die Sonne zu genießen. Ein paar Frauen hatten ihre Zofen dabei, welche ihnen die Schirme hielten um die vornehme Blässe zu behalten. Ich hingegen war froh, ein bisschen Farbe zu bekommen, weil Haytham oft sagte, ich sei recht blass.
„Habt ihr schon gehört? Es ist wertvoller Schmuck plötzlich abhanden gekommen! Marias Kammerfrau soll sich die Stücke einfach genommen haben. Ich finde ja, sie gehört hart bestraft. Also ich achte ja darauf…“ zu mehr ließ ich diese Frau nicht kommen, weil ich solchen Tratsch hasste.
„Woher wisst ihr das so genau? Habt ihr gesehen, wie die Zofe damit herumgelaufen ist oder wie sie es in Händen hielt als sie das Zimmer verließ?“
Erstaunt sah sie mich an, runzelte dann aber wütend die Stirn.
„Man weiß doch, dass dieses Pack alles stiehlt, was nicht angewachsen ist! Außerdem ist dieses Weibsbild auch noch eine entlaufene Sklavin!“ mit einem überheblichen Grinsen bedachte sie mich jetzt.
„Und das soll mir jetzt was genau sagen, Madame? Ihr schürt hier Gerüchte, die einer Unschuldigen große Schwierigkeiten bringen könnten.“
Mir sprang jetzt eine andere Mutter bei. „Ich könnte mir auch eher denken, dass Ludwig selber den Schmuck nun in seinen Räumlichkeiten aufbewahrt. Als Andenken an seine Gattin!“
„Wenn ihr meint…“ meckerte die andere in unsere Richtung, ging dann aber mit hochgehobener Nase in Richtung der Palastterrasse!
Odin sei Dank waren wir diese Tratschtante los.
Aber im Grunde ließen mir diese Worte doch keine Ruhe. Ich beschloss später König Ludwig darauf anzusprechen!
Plötzlich hörte ich lautes Geschrei in unserer Nähe.
Bei einem Brunnen standen mein Sohn und ein anderer Junge beisammen. Aber nicht friedlich, nein, sie schlugen sich.
„Du bist eine hohle Nuss!“
„Nein, du bist ein Idiot!“
„Ich zeig dir, dass ich besser bin!“
„Du kannst gar nichts, weil du gar nichts gelernt hast!“
Die beiden waren vermutlich in einem Alter, aber Edward war etwas größer, was er ausnutzte. Bevor ich jedoch einschreiten konnte, holte er mit der Faust aus und schlug dem anderen Jungen in den Bauch. Als dieser nun keuchend vornüber hing, faltete mein Sohn seine Hände und hieb von oben auf den Rücken des anderen ein.
Mit einem Sprint war ich bei ihnen!
„Edward! Was soll das? Was tust du hier?“ ich brüllte nicht, ich war nur laut und befehlend!
„Dieses Arsch…“
„EDWARD!“ ermahnte ich ihn. „Was ist das für eine Sprache? Was habe ich dir beigebracht?“
Bevor er antworten konnte, trat ein Herr wütend auf mich zu.
„Ist das etwa euer Bengel? Dieser Rotzlöffel hat meinen Friedrich einfach ohne Grund bepöbelt. Ihr Neureichen solltet euch bessere Manieren aneignen, hier habt ihr nichts zu suchen!“ in dieser Stimme klang Wut mit, der Hohn und diese Überheblichkeit waren ebenso nicht von der Hand zu weisen!
„Wie bitte? Sagt das noch einmal, Monsieur!“ fauchend baute ich mich vor ihm auf, viel größer als ich war er nicht, vielleicht einen halben Kopf, wenn überhaupt.
„Ihr habt mich schon verstanden. Hier wird ja jedes daher gelaufene Gesindel seit neuestem reingelassen. Da ist es kein Wunder, dass auch die Kinder beginnen zu verrohen!“ seine Nase rümpfte sich bei diesen Worten, während sein Blick abfällig auf meinen Sohn fiel.
„Mama, der Junge hat aber angefangen. Er hat gesagt…“
„Halt dein Maul, du Wichtigtuer!“ jetzt war es der Vater des jungen Friedrich, welcher entsetzt zu seinem Sprössling hinunter sah.
„Friedrich Heinrich! Was ist in dich gefahren?“ brüllte er drauf los. Gerade als er zu einer Schelle ausholen wollte, hielt ich ihn auf.
„Lasst das! Wir sollten vielleicht die Jungen fragen, was hier los ist.“ Ich weiß, so sollte man nicht unbedingt daran gehen, schon gar nicht im 18. Jahrhundert, aber ich wollte es möglichst friedlich klären.
Nun begannen die Damen und Herren, die anwesenden Kinder ebenfalls, lautstark zu berichten, was sich hier zugetragen hatte.
Im Grunde begann der Streit, weil Friedrich mit dem kleinen Segelboot von Edward herumspielte und es ihm immer wieder wegnahm. Irgendwann war es meinem Sohn dann zu blöd und er hat sich das Holzschwert des anderen genommen. Als er damit herumspielte, schlug er ungünstig auf die Kante des hiesigen Brunnen. Dabei zerbrach es! Friedrich sah es, schmiss Edwards Schiff zu Boden und sprang darauf herum!
Im Zuge dessen entbrannte dann dieses kleine Handgemenge mit einhergehendem Wortgefecht.
Friedrich hatte dann gebrüllt, dass Edwards Vater ein Sklaventreiber aus Amerika sei und hier auf der Suche nach „neuer Ware“ sei. Auch sei sein Vater ein böser Mann, der nur hier ist, weil er den König umbringen will. Deswegen wäre er auch soviel bei ihm!
Mein Sohn hingegen konterte, dass Friedrichs Vater gar nicht sein richtiger Papa sei, man sähe ihm an, dass er von einem hässlichen Zwerg abstammen würde. Entschuldigt, ich musste mir ein Kichern verkneifen bei dieser Erzählung.
Außerdem wären die Eltern seines Kontrahenten ja auch nur irgendwelche Bettler, die sich verkleidet hätten!
Ein Wort gab das andere. Den Rest hatten wir dann alle gesehen. Warum aber hatte niemand eingegriffen? In diesem Moment sah ich suchend in die Runde. Weder Sybill noch Sophia waren hier!
Ich spürte, dass ich wütend wurde. So etwas kannte ich von den beiden nicht, sie waren immer an der Seite meiner Kinder! Plötzlich sah ich sie auf uns zurennen, aber ohne Florence!
„Mistress Kenway, ich war nur kurz… also…“ sie hatte sich „die Nase gepudert“. Neben Mrs. Wallace sah ich Sophia beschämt nach unten schauen.
„Und wo ist Florence?“ fauchte ich die beiden an.
„Miss Florence ist gerade mit Mademoiselle Aphrodite und ihrer Mutter Madame Marguerite-Catherine im Spielzimmer. Vor drei Wochen gab es Nachwuchs bei den Katzen!“ sie kam flüsternd etwas näher. „Sie ist eine der Mätressen des Königs, Mistress Kenway.“
Ob mich das jetzt beruhigen sollte, weiß ich nicht. Aber auf irgendeine Weise tat es das.
Ich widmete mich jetzt wieder dem Streit der jungen Herren vor uns.
„Wie wäre es, wenn ihr euch einfach bei dem anderen entschuldigt? Oder hast du das Schwert absichtlich kaputt gemacht?“ mahnend sah ich meinen Sohn an! Ich wusste, dieser Blick würde für ihn reichen, die Wahrheit zu sagen.
„Nein, es ist mir weggerutscht als ich Schwung geholt habe, so wie Vater es mir immer zeigt. Da habe ich den Halt verloren…“ nuschelte er leise mit betrübtem Blick.
„Das hast du absichtlich gemacht…“ schrie ihn Friedrich jetzt an, begann aber zu weinen.
„Junge, du bist ja schlimmer als ein Mädchen! Hör auf zu heulen! Du hast ihm gezeigt, wer hier das Sagen hat und das reicht jetzt. Du da!“ Der Vater deutete ungeduldig auf Edward. „Entschuldige dich gefälligst und dann geh!“
„Ich glaube, so geht das nicht. Mein Sohn hat es ja nicht mit Absicht getan. Friedrich aber schon. Von den Schlägen möchte ich jetzt nicht anfangen! Ich denke, wir sind hier Quitt, Monsieur.“
Er warf mir einen verachtenden Blick zu! „Was habt ihr schon zu sagen? Geht einfach wieder eurer Handarbeit nach und beglückt euren Nichtsnutz von einem Ehemann!“ Seine Hand schnappte sich die seines Sohnes. Gerade als er sich zum Gehen umwandte, platzte mir die Hutschnur!
„Geht zurück in den Schoß eurer Gattin und lasst euch lobhudeln. So wird euer Sohn sicherlich nie auf eigenen Beinen stehen können!“ rief ich ihm hinterher.
Mit einem Ruck drehte er sich um, marschierte schnellen Schrittes auf mich zu und sah mit hochrotem Kopf auf mich herunter.
„Ich habe schon von eurem losen Mundwerk gehört, Mistress Kenway! Euer Ruf eilt euch aus London hinterher! Meine Männer werden euch schon noch zeigen, WER den längeren Atem hat!“ flüsterte er dicht an meinem Ohr. Damit dreht er sich wieder um und verschwand!
Ich setzte jetzt eine Wache auf ihn an, weil ich wissen musste, WER sich hinter diesem arroganten Arschloch versteckte! „Ich werde mich sofort umhören, Mistress Kenway!“ schon war der Herr verschwunden.
„Das war… Ihr… Maîtresse Kenway, ich bin sprachlos! Ich habe noch nie eine Frau gesehen, die so mit einem fremden Herren diskutiert hat.“ mich sahen erstaunte Gesichter an.
„Mama, das war toll!“ jubelte Edward. Aber ich musste ihm den Wind aus den Segeln nehmen.
„Edward! Du hast den Jungen geschlagen und das mit Tricks, die nicht fair waren! Friedrich scheint noch keine Ahnung von solchen Techniken zu haben und du bist größer als er. Wenn du ihn noch einmal siehst, versuche dich zu entschuldigen!“ tadelte ich meinen Sprössling jetzt in meiner Mutterstimme!
„Ja, Mutter! Aber…“ mit einem Wisch deutete ich ihm, nichts mehr zu sagen. Wir hatten es geklärt. Alles andere würden wir nachher noch mit Haytham klären. Wobei ich hoffte, dass es keine allzu große Strafpredigt werden würde. Aber Edward war ja nicht alleine dabei.
Nach dem Abendessen ging ich mit den Kindern in unsere Gemächer um sie Bettfertig zu machen. Danach würde mich Magda auch noch für das Bankett einkleiden.
Mein Mann war ebenfalls jetzt anwesend, also atmete ich tief durch, sah zu Edward und begann von dem Nachmittag zu berichten. Als ich fertig war, sah mich Haytham wütend an, dann wanderte sein Blick zu seinem Sohn.
„Wie bitte? Du nutzt deine Größe aus und dann auch Kampftechniken, die andere Kinder gar nicht beherrschen?“ seine Stimme wurde immer lauter, während Edward immer kleiner wurde! „Habe ich dir gar nichts beigebracht? Zur Strafe bleibt Walka die nächsten Tage im Hundezwinger mit den anderen königlichen Hunden. Sie darf erst wieder bei dir bleiben, wenn du mir sagen kannst, wie man so einen Streit auf eine gute Art klärt.“ mit hochrotem Kopf stand Haytham auf, sah wütend auf Edward und ging dann mit der Hündin hinaus.
Neben mir saß ein weinendes Häufchen Elend, welches hinterher sah.
„Ich hasse Papa!“ schrie er und rannte in sein Zimmer.
Perplex sah ich ihm hinterher. Und ja, mein Mann hatte leider so reagiert, wie ich es befürchtet habe. Er kann nicht aus seiner Haut, wenn es um diese essentiellen Erziehungsmethoden ging. Er kannte es nicht anders. Ich wusste aus seinen Erzählungen, dass auch Reginald ihn oft sehr hart bestraft hatte, wenn er etwas falsch gemacht hat.
Aber was sollte ich jetzt tun? Ich wollte nicht, das unser Sohn das Bild im Kopf hat, dass Mama die Liebe ist und Papa der Böse! Wir sollten für ihn ebenbürtig sein, gleich sein!
Erschöpft ließ ich mich auf dem Sofa hier im Empfangszimmer sinken.
„Mistress Kenway, ich weiß, es ist unpassend, aber ihr müsst euch fertig machen…“ Magda sah mich mitleidig dabei an.
„Ohne Master Kenway kann ich schlecht am Bankett teilnehmen. Also habe ich noch Zeit, bis der werte Herr es für nötig erachtet, wieder hier zu erscheinen.“ fauchte ich sie an.
„Wie ihr wünscht.“ flüsterte sie leise und ging ins Nebenzimmer, vermutlich um meine Garderobe zu richten.
Plötzlich donnerte die Tür von unseren Räumlichkeiten auf und ein wütender Ehemann erschien.
„Du hast den Vater des Jungen auch noch beleidigt? Was bitte ist in dich gefahren?“ brüllte er mich an, gleichzeitig sah ich, dass er dieses goldene Leuchten um sich hatte.
„Lass Tyr aus dem Spiel, vorher brauchst du nicht mit mir reden.“ pöbelte ich zurück, spürte aber ebenso meine Vorfahrin hervorkommen!
Mit einem Male standen wir uns lauernd gegenüber, diese grauen kalten Augen musterten mich berechnend.
„Gib es zu, du hast es genossen, ihn wissen zu lassen, dass du ihm überlegen bist!“ zischte er mir entgegen.
„Oh ja, das habe ich. Sein Sohn wird sonst später einmal der typische Mann, welcher seine Frau unterdrückt. Der sich wie der Herrscher der Familie aufspielt! Aber keine Ahnung davon hat, wie man Konflikte löst!“ Meine Stimme war nicht minder wütend!
„Es ist sein gutes Recht! Du hast uns nicht zu sagen, wie wir unsere Söhne zu erziehen haben, Weib!“ Millimeter trennten uns nur noch voneinander, seinen wütenden Herzschlag konnte ich schon spüren!
„Oh, ihr Männer… Ihr ach so hochgelobten tollen Geschöpfe, welchen niemand das Wasser reichen kann. Ihr seid sooooooo unfehlbar! Master, sagt mir was ich darf und was nicht… ich bin so unwissend…“ ich konnte mich nicht mehr bremsen, es sprudelte aus mir heraus!
Wie in Zeitlupe wanderten Bilder an uns vorbei. Sie trugen uns in eine längst vergessene Zeit zurück. Es war nicht die Zeit von Hemsleth und Thyra. WO waren wir auf einmal?
Um uns erschienen recht hohe Gebäude, aber… sie waren nicht aus meiner Zeit, aber auch nicht aus diesem Jahrhundert. Die Straßen waren gepflastert, wir sahen Kutschen um uns herum. Aus hohen Schornsteinen stieg schwarzer Rauch auf und hüllte die Luft über der Stadt in einen seltsamen Dunstschleier!
Es war nicht London, wie man es aus Steampunk-Geschichten her kannte, es war aber auch keine Fantasystadt!
Dann hörte ich einen Zeitungsjungen in unserer Nähe etwas rufen! „Kauft die New Yorker Gazette! Die Sklaven wollen ihre Freiheit! Lincoln wird sie ihnen schenken!“
Für einen Moment wurde mir schwindelig, weil ich nicht glauben konnte, wo ich war. Erschrocken sah mich Haytham an, seine Wut war völlig verflogen. Sie war einem Staunen gewichen.
Doch bevor wir noch in irgendeiner Form reagieren konnten, tauchten wir wieder in Versailles auf.
Macht euch auch darauf gefasst, dieser Krieg wird ebenfalls kein leichter werden! Moment mal, wir hatten ja noch nicht einmal den Revolutionskrieg erlebt! Bitte, nicht alles auf einmal. Ich sagte doch, wir haben noch einen weiten Weg vor uns! Hörte ich da ernsthaft ein fieses Lachen in der Stimme meines Allvaters?
„Alex, was hat er gemeint? Ist es dieser Krieg der Südstaaten, von dem du gesprochen hast?“ Haytham hörte sich an, als wäre er gerade von einem Dauerlauf zurück gekehrt. Sein Atem ging stoßweise, genau wie meiner.
„Ja, den meinte ich… aber… können wir nicht erst mal das eine in trockene Tücher bringen und dann das nächste in Angriff nehmen?“ jammerte ich drauf los, weil es mir gerade wirklich etwas zu viel wurde.
Und dann änderte sich die Haltung meines Mannes schlagartig und er funkelte mich wieder an.
„So, wir können jetzt also da weiter machen, wo wir aufgehört haben! Warum in drei Teufels Namen bist du diesen Herren so unverschämt angegangen?“ Stellt euch jetzt ein entnervtes Augenrollen meinerseits vor, hatte ich mich dazu nicht vor einigen Minuten schon geäußert?
„Ich kann es dir auch gerne schriftlich geben, in dreifacher Ausfertigung und mit Inhaltsangabe. Hmmm? Vielleicht auch noch in vier verschiedenen Sprachen? Wie beliebt es denn dem Herren heute?“ Unwillkürlich hatte ich diesen Passierschein A-38 im Kopf und musste haltlos dabei kichern, was Haytham natürlich falsch verstand. Woher sollte er…
Seine Hände lagen plötzlich auf meinen Wangen, seine Augen waren starr auf meine gerichtet. Immer noch atmete er stoßweise.
„Ich sollte dich vor aller Augen züchtigen, weißt du das, Weib?“ zischte er wieder einmal. „Damit du weißt, wohin du gehörst!“ wie eine heiße Kartoffel ließ er mich los. Haytham ging einige Schritte von mir weg, ließ mich aber nicht aus den Augen!
Genau in diesem Moment erschien Michael, zeitgleich kam auch Magda aus dem Nebenzimmer!
Wie aus einem Mund hörten wir uns beide sagen „Wir brauchen euch heute nicht mehr!“ Die Eheleute sahen uns entgeistert an, drehten sich mit Verbeugung und Knicks aber um und verließen uns.
„Dann wollen wir mal zur Tat schreiten!“ Seine Schritte waren schneller als gedacht und schon stand er vor mir mit glühenden goldenen Augen! „Ich habe schon so lange darauf gewartet, dich in deine Schranken zu weisen. Heute bist du zu weit gegangen!“ Seine Worte waren kalt, wütend und hinterließen eine unwohle Gänsehaut auf meinem Körper!
Bevor er jedoch etwas unternehmen konnte, schoss Thyra in mir empor.
„Ich bin dir ebenbürtig, schon vergessen? Du gabst mir dein Wort, dass du hinter mir und meinen Entscheidungen stehst!“ diese Worte waren dicht an sein Ohr gehaucht, oh, ich wusste, wie ich meinen Mann besänftigen konnte.
„Mit fremden Vätern hast du nicht so zu reden, schon gar nicht, wenn unser Sohn in eine Schlägerei verwickelt war!“ versuchte sich mein Mann zu erklären.
„Ahhhh… eine reine Männerangelegenheit also. Soll ich lieber auf die Knie gehen, um dir meine Demut zu zeigen? Soll ich in Zukunft die liebe hingebungsvolle züchtige Ehefrau mimen, damit du zufrieden bist? Ja? Ist es das, was du willst?“ in meiner Stimme lag ein solcher Zynismus der mir schon selber unheimlich war.
Das goldene Leuchten um uns wurde intensiver, wir verloren uns darin. Irgendwo, tief in meinem Unterbewusstsein schlich sich ein Gedanke ein. War es das, was wir oft suchten? Diese Sticheleien, so wie damals im Fort Arsenal oder auch als ich ihn gepflegt hatte während der Gehirnerschütterung? Aber warum jetzt?
„Du weißt, was ich erwarte! Das wusstest du schon immer!“ hörte ich seine leisen Worte, sah aber auch, dass Haytham ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf ging. Wir hatten immer noch unausgesprochene Dinge im Kopf. Auch nach über 5 Jahren zusammen leben.
„Ich habe versucht einen Streit zu schlichten, aber ich kann nichts dafür, dass so ein Neandertaler der sich Vater nennt, seinen Sohn so verteidigt. Meine Worte hatte er verdient!“ auf meine diplomatische Art versuchte ich jetzt eine Erklärung…
Dieses Grinsen in Haythams Gesicht ließ mich alles andere vergessen und wir durchbrachen im wahrsten Sinne des Wortes unseren Konflikt!
„Ich… er hat mit mir gesprochen, als ich Walka in den Zwinger gebracht habe. Alex, er ist halt Mann! Wir werden so erzogen, unsere Söhne ebenfalls.“ als wäre er aus einem tiefen Traum erwacht, seufzte er und schüttelte sich. „Wir sollen EUCH beschützen, nicht umgekehrt, mi sol! Ich möchte, dass diese Tradition, auch wenn sie dir nicht passt, bitte beibehalten wird. Es ist… mir ein Bedürfnis, zu wissen, dass ich meine Ehefrau vor Unheil bewahren kann. Es ist für mein Ego wichtig, weil es einfach so ist.“ Bei diesen Worten schlangen sich seine Arme um mich. Dieses Gefühl von Wut und Hass erlosch augenblicklich. Ich spürte, dass es nur WIR waren, kein Hrymr der uns manipulierte. Mit einem Grinsen wandte ich mich an meinen Templer.
„Versprich aber, dass du Tyr ab und an ruhig einmal… zur Tat schreiten lässt, mi amor. Das gefällt mir.“
Bei Odin, ich war wie eine rollige Katze gerade und das sogar ohne einen Tropfen Alkohol.
Lag es an Versailles, an Frankreich allgemein? Immer wenn wir hier waren, fühlte ich mich etwas eigenartig!
Das Bankett ließen wir Bankett sein. Wir waren wichtig, nichts anderes!
Die nächsten Stunden verbrachte ich als brave Ehefrau, während mein Gatte es sich nicht nehmen ließ, mir zu zeigen, wo mein Platz war.
Irgendwann lag ich an Haytham geschmiegt, befriedigt, zufrieden und in gewisser Weise wie losgelöst.
Leider waren wir uns noch nicht einig, was Walka und Edward anbelangte. Etwas in mir sträubte sich gerade, das anzusprechen. Aber das brauchte ich auch nicht, es war mein Mann, der sich äußerte.
„Edward muss noch begreifen, dass er weder seine Größe noch seine Kampftechniken bei Kontrahenten einsetzen darf, die noch nicht so weit wie er sind.“ sprach er leise in meine wirren Haare.
„Das war es, was ich auch schon zu ihm sagte. Er hat unfair gehandelt, auch wenn dieser Friedrich ein kleines Ekel ist, genau wie sein Vater….“ in diesem Moment kam mir der Satz dieses Mannes wieder in den Sinn, dass er seine Männer einsetzen würde.
„Du hast jemanden darauf angesetzt, das muss erst einmal reichen. Lass uns morgen weitersehen, mi sol.“ bei diesen Worten, wanderten seine Finger zu meinem intimsten Piercing, was mich unwillkürlich Willenlos machte.
„Mama?“ hörte ich eine leise Stimme neben mir.
Edward stand betrübt am Bett mit seinem Lieblingsschimmel in der Hand.
„Min lille Skat! Guten Morgen! Hast du gut geschlafen?“ flüsterte ich, schob die Decke beiseite, damit er darunter klettern konnte. Als er neben mir lag, kuschelte er sich an mich.
„Ja, aber… kann ich jetzt zu Walka? Sie ist ganz alleine und draußen…“ sein Zittern, als er begann zu weinen, war zu viel für meinen unterkoffeinierten Verstand. Doch bevor ich aufstehen konnte, um zum Zwinger zu gehen, hielt mich eine rigorose Hand auf.
„Nein, ich hatte gesagt, dass sie erst einmal dort bleibt.“ Bei Odin! Er hatte doch gerade noch geschlafen!
„Vater! Bitte!“ jammerte Edward, als er sich an Haytham klammerte.
„Was hast du gestern falsch gemacht?“ Schon war mein Templer in vollem Einsatz. Etwas was er bei mir in meiner Mutterrolle immer faszinierend fand. Umgekehrt war er nicht anders!
„Ich… habe meinen Vorteil ausgenutzt…“ begann unser Sohn.
„Nein! Das ist es nicht alleine!“ Haythams Stimme hatte die Vaterrolle inne.
„Friedrich… er kann nicht so kämpfen wie ich. Er hat niemanden wie Thor oder dich, der ihm hilft…“ nuschelte unser Sprössling leise.
„Genau das ist es, Edward. Wir meinen es doch nicht böse mit dir. Aber du musst dich zügeln! Zeig mir in den nächsten Tagen, dass du ein Gentleman beim Kämpfen und Diskutieren bist, dann ist Walka schneller wieder bei dir, als du schauen kannst.“ Da waren sie, die Worte, die ich immer so gehasst habe oder auch noch hasse. Wo endet der Gentleman, wo beginnt das widerliche Arschloch? Da gibt es leider fließende Übergänge! Aber was machte ich mir darüber Gedanken, Florence verlangte nach Aufmerksamkeit.
Bei Odin, sie war gestern völlig außer Acht gelassen worden! In mir tobte das mütterliche schlechte Gewissen, welches mich umgehend aufspringen und ihr Zimmer eilen ließ! Dort wurde ich von einer gähnenden Tochter begrüßt, die sich gerade anziehen ließ.
„Mamaaaa, auch anziehen…“ kicherte sie, als sie mich in meinem Nachthemd und den verwuschelten Haaren sah.
„Min lille engel, du siehst aber schick aus.“ staunend stand ich neben Sophia, welche sie in ein wunderschönes rotes Kleidchen gesteckt hatte mit passenden Schleifen für ihre blonden Haare. Mittlerweile waren sie hell, mit leichten dunklen Strähnen durchzogen. Jede Frau in meinem Jahrhundert würde alles für diese Farben geben.
Ich nahm meine Tochter mit in unser Zimmer, wo auch schon Edward fertig angekleidet am Fenster stand und sehnsüchtig auf den, von hier aus gut sichtbaren, Hundezwinger sah.
„Eddy…“ begeistert rannte sie auf ihn zu. Seine Arme schlossen sich um sie. Beide standen am Fenster und…
„Mi sol, auch ich sehe es.“ die Arme meines Templers lagen plötzlich um mich.
„Sieh sie dir an. Sie können nicht miteinander, aber ohne geht es auch nicht.“ flüsterte ich. Unsere Kinder standen Arm in Arm dort und sahen andächtig in den Park, oder besser zu den Hunden!
Als wir hinunter zum Speisesaal gingen um zu frühstücken, wurden wir schon missmutig angesehen. Ja, wir waren gestern zum Bankett anlässlich der Ehrung von Königin Maria nicht anwesend. Die Gründe mussten ja nicht alle wissen.
Aber der Vater von diesem verzogenen Friedrich hatte schon kundgetan, dass mein Mann mir für mein loses ungehobeltes Mundwerk eine Strafpredigt gehalten und mir ordentlich die Leviten gelesen hätte. So wie ich es auch verdient hätte.
Jetzt sah ich auch zum ersten Mal die Gattin dieses Machos! So stellte man sich das kleine Mauerblümchen vor, nichts sagend, unscheinbar, immer nur stumm nickend und so weiter… War das wirklich ihr Wunsch, ihr Lebensziel?
„Mi sol, hier ist nicht die Zeit für deine… wie hast du gesagt… Emanzipation! Bitte… du wirst es nicht ändern können…“ es klang mehr flehend, dass ich meinen Mund halte. Nun gut, ich würde mich zurück halten. NOCH! Aber ich könnte hier und da ein paar Bemerkungen einfließen lassen, weil die Frauen ja gerne hier herum tratschen.
Haytham war im Anschluss mit Edward zum Zwinger verschwunden und ich machte mich mit Florence und einigen anderen Frauen auf, die kleinen Kätzchen zu sehen.
Die Mätresse des Königs war eine sehr ruhige besonne Frau, welche mit ihren Kindern ebenso liebevoll umging.
„Mama, will auch chat haben!“ flüsterte meine Tochter plötzlich.
„Wir haben aber doch schon einige Katzen daheim, min lille engel.“ erklärte ich.
Sie zeigte auf ein bunt geflecktes kleines Knäuel, welches sich kaum rührte. Diese kleine Mieze war etwas kleiner als die anderen, dazu hatte sie ein ganz anderes Fell.
Ich sprach Madame Haynault darauf an, weil wir im Grunde eine Katze an Bord immer gut gebrauchen konnten. Ob sie aber auch mit Walka zurechtkam wäre eine andere Sache.
„Natürlich könnt ihr dieses kleine Ding mitnehmen. Hier wäre sie eher verloren… wie so viele Dinge…“ die Mätresse wurde immer leiser bei diesen Worten. Diese Melancholie in ihrer Stimme war unheimlich. Hier war nicht alles zum Besten bestellt. Das sollte jedem klar sein, oder? Aber es mal wieder vor Augen geführt zu bekommen… das ist eine andere Hausnummer.
Ich konnte aber nichts ausrichten!
Wir blieben danach noch zwei Tage, welche ich mit Recherchen über diesen Vater verbrachte. Soviel wussten wir, er gehörte einer Bruderschaft in Belgien an, welche es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Templer, egal woher sie kamen, zu jagen. Bitte, sollten sie es versuchen. Friedrich würde sicherlich ein guter Assassine werden, wenn er einen Mentor bekam, der ihm die richtigen Lehren zeigte.
Auf der einen Seite war ich froh, dass nichts weiter dahinter steckte, umgekehrt aber nagte diese Begegnung an mir. Mein Ruf war ihm bekannt…
Ich bat Ludwig einfach noch einmal um eine Audienz!
Die bekam ich postwendend.
„Maitrésse Kenway, wie kann ich euch helfen?“
Also begann ich von dem Vorfall zu berichten, in der Hoffnung, dass der König wusste, wer hinter diesem Mann steckte.
„Seid unbesorgt, er gehört einer Bruderschaft an, die von einigen anderen Gilden hier in Frankreich bereits bekämpft werden. Euer Gatte hat verlauten lassen, dass dieser Herr des Hofes verwiesen werden sollte ob seines Verhaltens. Er hat meinen vollsten Zuspruch!“
Auf der einen Seite stimmte mich das zufrieden, aber… etwas in mir war nicht ganz einverstanden damit.
Einen Tag später wurde uns sein Ableben kundgetan, seine Ehefrau sei vorläufig in Gewahrsam genommen worden, weil sie die Tat begangen haben sollte.
Womit? Hat sie die Kissen auf sein Gesicht gedrückt? Ja, ich hatte vor Jahren den gleichen Gedanken bei Haytham!
Dieser Herr sei hinterrücks erschossen worden… Die Ermittlungen wurden der französischen Justiz überlassen!
„Nein, da ist etwas nicht ganz koscher.“ diese Worte von meinem Templer ließen mich erstaunt aufsehen. Wusste er doch mehr, als ich? „Wie wir wissen, waren bereits andere auf ihn angesetzt worden. Sein Ruf innerhalb der Bruderschaft war auch nicht der beste. Dieser Herr war aufsässig, handelte immer nach Gut dünken und eigenem Willen. Damit hatte er sich und die belgische Bruderschaft einige Male in große Schwierigkeiten gebracht. Vielleicht hat jemand aus den eigenen Reihen das Ganze in die Hand genommen, damit Ruhe einkehrt.“
Die Gemahlin würde bald wieder auf freiem Fuß sein, da sie gestern mit ein paar anderen Frauen hier im Palast noch gesehen wurde. Es hört sich böse an, aber vielleicht war sie ja auch ganz froh, dass ihr Gatte nun das zeitliche gesegnet hatte. Nur der Junge tat mir leid. Als ich Haytham ansah, wusste ich, dass auch er gerade an diese Situation in seiner Kindheit zurück dachte.
Wir verließen Mitte Juli Versailles, um endlich wieder nach Hause zu segeln. Im Gepäck hatte ich neue Eindrücke, neue Waren sowie neue Handelspartner. Trotzdem war ich etwas frustriert. Dieser Tod des Assassinen war unbefriedigend, vermutlich aber auch nur für mich, weil ich mir schon wieder ausgemalt hatte, einem größeren Verbrechen auf der Spur zu sein.
Die Fahrt nach Le Havre war leider verregnet, aber schwül gewesen. Einige Gewitter begleiteten uns auf unserem Weg.
„Das ist Thor, der sich gerade austobt.“ kicherte Edward um seine kleine Schwester zu beruhigen.
„Thor ist gemein.“ jammerte Florence. Die Angst vor den Blitzen und dem Donner spürte man bei ihr deutlich.
„Nein, ist er nicht. Du bist eine dumme Gans…“
„EDWARD! Noch so eine Beleidigung und wir setzen Walka hier auf der Stelle aus!“ dröhnte Haytham wütend!
„Entschuldige, Vater.“ kleinlaut entschuldigte er sich jetzt auch bei seiner Schwester, welche zufrieden grinste. Was für ein kleines Biest sie doch schon sein konnte.
„Mamaaaa! Mamaaaa! Schau! Da ist die Jackdaw!“ brüllte mein Sohn mir ins Ohr, als er über mich drüber kletterte um sie besser sehen zu können!
„Aua! Ja, ich sehe sie auch. Edward, du tust mir weh…“ Seine spitzen Knie drückten sich in meinen Oberschenkel!
„Tschuldige!“ langsam rutsche er auf den Sitz, stillsitzen war aber nicht mehr drin.
Die Kutsche hatte noch nicht ganz gehalten, da sprang unser Nachwuchs schon heraus.
„Mr. Hargreaves!“ winkend rannte er die Laufplanke hinauf, wo unser erster Maat schon auf uns wartete.
„Master Edward! Ihr seid ja schon wieder gewachsen! Willkommen an Bord!“ grinste er in unsere Richtung.
Haytham war mal wieder etwas säuerlich, weil Edward seine Manieren vergessen hatte. Bei Odin, er freute sich einfach wieder nach Hause zu kommen, wie wir alle vermutlich!
Als alles verstaut war, wir unsere Quartiere bezogen hatten und ich eine kleine Ansprache an die Besatzung gerichtet hatte, konnten wir ablegen.
Das Segel setzen, dieses Geräusch von dem flatternden Stoff, versetzte mich in eine euphorische Stimmung.
Ich freute mich auf Zuhause!
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Sätze: | 17.074 | |
Wörter: | 255.519 | |
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