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Wo die Vergangenheit atmet

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28.10.18 13:06
6 Ab 6 Jahren
Fertiggestellt

Charaktere

Aragorn

Aragorn ist Isildurs Erbe. Aufgewachsen in Bruchtal wusste er lange nichts davon, doch seit seinem zwanzigsten Lebensjahr strebt er nach dem Thron Gondors, der rechtmäßig ihm zusteht. Zudem ging er mit Arwen, der Tochter Elronds, einen Bund ein.

Als sich der Sommer dem Ende neigte und die kühlere Luft und schwindende Sonne dafür sorgten, dass sich die Blätter der Bäume wie eine goldene Decke über das Land legten, wurde eine neue Seite des achtjährigen Estel offenbar: Während er in den vergangenen Monaten bereits neugierig jede Ecke, die er finden konnte, erkundet hatte, begann er nun, sich ohne Begleitung von Elronds Haus zu entfernen um die umliegenden Wälder zu entdecken. 
Nicht, dass sich anfangs jemand sorgte – Estel war schon immer ein aufgewecktes Kind gewesen, und er hielt sich an Regeln, soweit man es von einem Kind seines Alters erwarten konnte. Er besaß ein funktionierendes Gefahrenbewusstsein, und kletterte nur auf für Menschenkinder als gefährlich eingestuften Dächern oder Geländern herum, wenn es warm und trocken war.
Ein entscheidender Vorteil, der sich für ihn daraus ergab, war, dass er sich in unbeobachteten Momenten vom Haus entfernen konnte, ohne, dass man sich allzu große Sorgen machte.
Schon von klein auf war er – damals noch in Begleitung von Elronds Söhnen oder anderen in der Wildnis erfahrenen Lehrern – durch das Tal gezogen, hatte die Namen der Bäume gelernt, bevor er lesen konnte, und die Merkmale der essbaren und giftigen Pflanzen, bevor er sein erstes Holzschwert bekam. 
Und so hatte er sich auch an diesem warmen Herbstmittag davongeschlichen, denn die Luft war noch angenehm, die Sonne hell, und die Lieder der Vögel hatten eine Unruhe in seinem Herzen erweckt, die nur das goldene Laub zu stillen vermochte.
Estel sah die Bäume, die er erklimmen konnte, die Pfade, die durch das Tal führten, und die Wildwechsel, die ihren Weg durch das Unterholz zu neuen Abenteuern bahnten. 
Sein Orientierungssinn war gut, und er konnte am Stand der Sonne ablesen, dass er bereits einige Stunden gelaufen war, als das dichte Unterholz plötzlich aufhörte, und den Blick auf einen Streifen freimachte, auf dem die wenigen Bäume weit jünger und weniger dick waren. 
Estel wäre beinahe zurückgetaumelt, als er sich dies genauer ansah. Er hatte geglaubt, die Gegend zu kennen, aber vor ihm erstreckte sich ein ihm unbekannter Weg, der vor langer Zeit mit Steinen ausgelegt worden und nun überwuchert von Gräsern und Moos war, und dünne Bäumchen suchten ihren Weg durch die Steine. 
Für einen Moment zögerte Estel, bevor er den Weg einschlug, der nach Süden führte, weg von Elronds Haus, welches vermutlich irgendwo am anderen Ende stand. Er würde herausfinden, wohin dieser Weg führte.
Die Neugierde und die Abenteuerlust trieben Estel an, und so dauerte es vielleicht eine halbe Stunde, bis der Weg abrupt endete, und in einen Platz mit Springbrunnen überging, der nur noch halb mit Regenwasser gefüllt war. Darum herum lagen verschiedene Häuser – Ein Lager, Wohnhäuser, eine Schmiede, und weitere Dinge, die das alltägliche Leben brauchte. Sie waren jenen ähnlich, die um Elronds Haus verteilt waren, doch waren diese berührt vom Zahn der Zeit, und Teil der Natur, die ihr Revier zurückeroberte. Verlassen.
Aber was war dieser Ort? Und warum hatte er den Weg hierher noch nie zuvor gefunden? 
Vor zwei Statuen, die neben der offenen Eingangstür eines Wohnhauses standen, blieb Estel stehen. Sie wirkten … neu. Sauber. Als würde man sie regelmäßig pflegen und verhindern, dass Moos sich ablagerte, oder Vögel ihre Nester in den Kronen der Könige bauten. 
Auf den ersten Blick erkannte Estel, dass es sich um Elben handelte, zwei groß gewachsene Männer mit ungebändigten Haaren. Beinahe konnte man das wilde Feuer in ihren steinernen Augen sehen, obwohl sie ruhig standen, ehrenhaft, stolz. Relikte aus alter Zeit. Ihre Köpfe trugen die gleiche Krone, eine, die Estel schon auf den Gemälden gesehen hatte, die in Elronds Haus hingen, auch wenn der Mann, die diese trug, auf jenen Bildern weit weniger furchteinflößend aussah. 
Erst als Estel unter den Blicken zurückwich, bemerkte er die anderen Statuen. Sie waren an weiteren Ecken des Hauses verteilt, und so wie diese hier im Vergleich zum Rest der Siedlung sahen auch sie neu aus. Insgesamt waren es acht Statuen, aber während nur zwei davon diese Krone trugen, ähnelten die Anderen ihnen in Realitätsnähe und dem Blick, der Estel zu folgen schien und einen Schauer über den Rücken laufen lassen ließ. 
Wer waren diese Elben? Und warum sollte man sich derart furchteinflößende Statuen um sein Haus stellen, warum sollte man sie erschaffen? 
Estel blieb an der letzten Statue stehen und besah sich auch diese genauer. Auch dieser Mann trug das Feuer in seinen Augen und ein Schwert an seiner Seite. Allerdings wirkte diese beinahe vernachlässigt, und Moos hatte sich an ihren Füßen abgelagert – als würde sich jemand um die anderen kümmern, aber nicht um diese.

Als hätte irgendjemand darauf gewartet, dass Estel zu dieser Erkenntnis gelangte, raschelte nun das trockene Laub, und einige Holzbretter knarzten, sodass er zusammenzuckte und im gleichen Moment herumwirbelte, bereit, sich mit seinen stolzen einmeterneununddreißig dem Fremden entgegenzustellen. 
Nicht, dass er sich große Chancen ausmalte, den Gegner zu überwältigen, sollte dieser ihn angreifen, aber vielleicht würde er ihn weit genug verwirren können, um eine Chance zu haben, die Flucht zu ergreifen. Und im Wald kannte er sich gut aus. Würde er im Unterholz verschwinden, war die Wahrscheinlichkeit, dass ihn jemand fand, gering.
So weit jedoch kam es nicht. Der Neuankömmling war in einiger Entfernung stehen geblieben, und besah Estel nun interessiert.
Es handelte sich um einen Elben, und wenn Estel geglaubt hatte, dass Elrond alt wirkte, so war dieser Mann um ein vielfaches älter – ihm wuchs sogar ein Bart, wenngleich dieser nicht so beeindruckend war wie die Bärte der Zwerge, die auf manchen Gemälden in Elronds Haus zu sehen waren.
„Wer seid Ihr?“, brachte Estel nach einigen Sekunden, in denen sie sich gegenseitig beobachtet hatten, hervor, noch immer bereit, davonzurennen. 
„Ich? Ich bin nur ein vergessener Musiker. Man nennt mich Hyarmo. Die interessantere Frage ist jedoch – wer bist du? Menschen sind in dieser Gegend nicht sonderlich häufig, aber du kleidest dich wie jemand aus Elronds Haus, und dein Gesicht erinnert mich an jemanden, den ich einst kannte...“ 
„Mein Name ist Estel“, sagte der Junge, und biss sich im nächsten Moment auf die Zunge. Er sollte nicht mit Fremden reden. Er sollte nicht – aber er wollte. Und dieser ein Teil von ihm wollte diesem Elben vertrauen, auch wenn er nichts über ihn wusste. 
„Estel“, wiederholte der Elb. „Ein sehr hoffnungsvoller Name.“ 
„Wer seid ihr?“, fragte Estel erneut, denn noch immer wusste er nichts über den Fremden.
„Dies ist nicht der Ort zum reden, denn die Antwort auf deine Fragen ist lang und bald wird ein Sturm aufziehen. Folge mir ins Haus, und ich werde dir Antworten geben.“
Für einen Moment zögerte Estel. Ihm war nicht wohl dabei, einem vollkommen Fremden zu folgen, aber auf der anderen Seite hatte er wohl nicht wirklich eine Wahl. Wenn der Elb ihm etwas hätte antun wollen, hätte er bereits ausreichend Gelegenheiten dafür gehabt. Zu Elronds Haus war es weit, und sollte wirklich ein Sturm aufkommen, würde es gefährlich im Wald werden.
Also nickte er. 
Der Elb führte ihn in das Haus, um welches er herumgeschlichen war. Es sah von außen beinahe genauso dem Verfall überlassen aus, wie die anderen Häuser, doch die Wände und das Dach waren dicht, und je weiter man sich darin fortbewegte, umso deutlicher wurde, dass es bewohnt war: Kräuter hingen in der Küche zum Trocknen, Töpfe wirkten, als würden sie häufig genutzt werden und irgendwo erhaschte Estel sogar den Blick auf eine Harfe, auch wenn diese reichlich verstaubt aussah.
Neben einem Kamin war ausreichend Holz gestapelt, dass es für einige Wochen als Heizungsmaterial reichen würde. 
Hyarmo deutete auf einen Sessel, der an einem runden Tisch an einem der Fenster stand und deutete Estel, sich hinzusetzen. Er selbst füllte Wasser in einen Kessel und hängte diesen in den flackernden Kamin.
Die ganze Zeit über staunte Estel, denn trotz des sichtbaren Alter des Elben waren seine Bewegungen leise und geschmeidig, elegant wie ein im Wind tanzendes Blatt. 
„Verzeih, ich bekomme hier nicht allzu oft Besuch“, sprach der Elb, als er einen zweiten Teebecher herausgesucht und befüllt hatte und sich gegenüber Estel auf einen Stuhl setzte. „Ich nehme an, du hast Fragen?“ 
Estel nickte, aber wusste nicht genau, wo er anfangen sollte. „Wer bist du?“, wiederholte er. „Und warum lebst du hier draußen, so abgeschieden von den Anderen?“
Einen Moment lang schien sich der Blick Hyarmos zu verdunkeln, aber dieser Eindruck verschwand, bevor er es zu merken schien. „Meinen Namen verriet ich dir. Allerdings - um deine Frage zu beantworten, müsste ich dir eine Geschichte erzählen, die außer mir nur wenige an diesem Ufer noch vollständig erzählen können, weil sie ein Teil von ihr sind. Vielleicht bin ich auch der Letzte, ich weiß es nicht.“ 
Sein Blick fiel aus dem Fenster, wo sich nun graue Wolken auftürmten, und die Sonne verdeckten. „Willst du sie hören?“ 
Und Estel nickte, also begann der Elb zu erzählen. 

Er begann mit einem fremden Land, weit im Westen jenseits des Meeres, welches nun der Welt entrückt war, und von leuchtenden Bäumen und Dunkelheit und Sternenlicht und den verschiedenen Stämmen der Eldar. Er sprach von großen Königen und deren Nachkommen, sprach von den Errungenschaften Feanors und der Dunkelheit, die durch Melkor ins Land gebracht wurde, und Wind kam auf, der an den Zweigen zerrte und am Haus rüttelte, den Regen gegen die Fenster schlug. Er sprach von Feanors größtem Werk, und beinahe schien es Estel, als würde der Blick des Elben weit in der Vergangenheit liegen, als würde er gar nicht wahrnehmen, dass es dunkel wurde, und die einzige Lichtquelle der Kamin und gelegentliche Blitze waren, die über den Himmel zuckten.
Schatten und Schmerz lagen auf dem Gesicht des Elben, als er von den Zweifeln der Noldor sprach, und vom Tod der Bäume, vom Tod des Königs und von Feanors grausamen Eid, vom ersten Sippenmord, dem Fluch, der auf ihnen allen lag und der Reise über das Meer und den brennenden Schiffen, aber auch von denen, die es nicht akzeptierten, zurückgelassen worden zu sein, und das Meer auf ewigem Eis überquerten.

Es war Nachmittag gewesen, als der Elb seine Geschichte begonnen hatte, aber als seine Augen an diesem Punkt zurück in die Realität wanderten, war der Himmel schwarz. Noch immer peitschte der Regen gegen die Fenster, und nicht zum ersten Mal fragte Estel sich, ob es eine gute Idee war, hier zu sein. Sein Kopf schwirrte mit Namen und Orten und Ereignissen, die er selbst nicht ganz begreifen konnte, aber sie schienen dem Fremden wichtig zu sein, und dies faszinierte ihn. 
Der Elb jedenfalls blinzelte, sah Estel für einen Moment an, bevor er den Jungen wieder beachtete. „Verzeihung, du bist seit langem der Erste, dem ich diese Geschichte erzähle. Ich denke, ich schweife zu weit ab.“ Einen Moment war er ruhig, bis ihm etwas einfiel. „Hast du Hunger? Bist du müde? Ich hörte, ihr Menschen müsst mehr schlafen als ein alter Elb?“ 
Bisher war es Estel nicht aufgefallen, aber bei der Erwähnung des Essen rührte sich etwas in seinem Magen, was er, gebannt von der Geschichte, beinahe vergessen hatte. Noch immer gebannt von der Geschichte nickte Estel nur und Hyarmo verließ das Zimmer in Richtung der Küche.
Einen Moment lang überlegte Estel, ob es sinnvoll war, ihm zu folgen, aber der Kamin spendete nur noch wenig Licht, und er hatte zu viel Angst, selbst im spärlich eingerichteten Haus irgendetwas zu zerstören.
Dennoch nutzte er die Gelegenheit, sich aufmerksam umzusehen: auch, wenn dieses Haus seinem Zustand nach zu urteilen über viele Jahre lang bewohnt sein musste, waren nur wenige persönliche Gegenstände hier zu finden, die auf die Herkunft des Elben hindeuteten, und irgendwie machte dies Estel traurig. 
Ein Mann, der so viel Geschichte erlebt hatte, der manchmal so traurig aussah, und hier allein lebte … irgendetwas musste er tun. 
Kaum hatte er jedoch den Beschluss gefasst, trat Hyarmo einige Nahrungsmittel balancierend zurück in den Raum und stellte diese auf dem Tisch ab. Es war nichts besonderes – ein wenig Brot, einige Früchte. Dinge, die man anbauen konnte, wenn man allein irgendwo lebte, ohne mit anderen Handeln zu müssen, aber Estel würde sich nicht beschweren. Zu faszinierend waren die Geschichten, die ihm erzählt worden waren.
Sie aßen schweigend, der Elb hing seinen eigenen Gedanken nach, während Estel sich nicht traute, die Stille zu durchbrechen. Hyarmo wirkte abweisend, und Estel hatte schon früh gelernt, dass manche Elben ungehalten werden konnten, wenn man ihre Gedanken störte.
„Die Statuen draußen“, sprach Estel schließlich, als der Tisch abgeräumt war. „Warum habe ich sie noch nirgendwo gesehen?“ Er lebte in Imladris, und Herr Elrond hatte die größte Bücherei und eine weitere riesige Sammlung an Kunstgegenständen aller Zeitalter, und Estel hatte geglaubt, die Helden der Vergangenheit alle zu kennen, doch diese waren ihm vollkommen unbekannt, und trotz der Angst, die ihm die Figuren gemacht hatten, hatten sie ihn doch fasziniert. 
„Weil dies Feanor und seine Söhne sind“, erklärte der Elb. „Du wirst vielleicht mitbekommen haben, dass ihre Entscheidungen nicht immer die Besten waren, ein Faden, der sich durch das gesamte erste Zeitalter zieht.“
„Und trotzdem hat sich jemand die Mühe gemacht…?“
„Sie waren nicht böse, nicht schlechter als ein Narr, der mit guten Intentionen ein Unglück heraufbeschwört, auch wenn es Momente gab ...“ Er brach ab. Schüttelte den Kopf. „Es ist eine lange Geschichte, für einen anderen Tag.“
Estel nickte verstehend, aber unzufrieden. „Kannst du mir sagen, warum diese Siedlung hier gebaut wurde, und nicht irgendwo in der Nähe des Haupthauses?“ 
„Es gab viele Gründe – zum Einen war das Tal einst viel belebter, als es nun ist. Es war notwendig, dass man sich weiter ausbreitete, und als mein Volk begann, diese Ufer zu verlassen, leerte sich die Siedlung, bis sie aufgegeben wurde.“ Für einen Moment schwieg er. „Außerdem gab es Spannungen. Anhänger von Feanors Söhnen und deren Nachfahren wurden offen angefeindet, und hielten es für besser, unter sich zu bleiben, um keine größeren Auseinandersetzungen zu riskieren.“
„Wurde dieses Tal nicht erst im letzten Zeitalter bewohnt?“, staunte Estel, und unterdrückte ein Gähnen.
„Du wirst noch lernen, dass es manchmal schwierig ist, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, zu vergeben und zu vergessen.“ Hyarmo lächelte traurig. „Aber ja, das wurde es, lange nach den Ereignissen, von denen ich dir erzähle. Aber nun komm, ruh‘ dich ein wenig aus, du musst müde sein!“ 
Estel nickte schwach, und ließ sich von Hyarmo in ein weiteres Zimmer führen, welches außer einem Bett kaum Einrichtung besaß. Der Elb wollte sich gerade verabschieden, als der Junge erneut eine Frage stellte: „Hyarmo?“, fragte er in die Dunkelheit, „Warum bist du noch hier?“ 
„Weil ich nicht zurück kann“, war die leise Entgegnung. „Aber nun schlaf. Du bist hier sicher, so sicher jedenfalls, wie man in diesen Landen sein kann.“ 
Mit diesen Worten schloss er die Tür hinter sich, und Estel blieb allein zurück. 
Er schlief schnell ein, der Tag hatte ihn mehr erschöpft, als er geglaubt hatte, und in seinen Träumen sah er die Erzählungen wieder. Ein hohes Gebirge an einer Küste, und durch einen Spalt in jenem fiel Licht auf eine Insel, die so winzig aussah. Er sah die Statue des ersten Elben, lautstark mit jemandem streiten und verstand kein Wort, aber er erkannte die Wut, die in ihm brodelte, und das Feuer in seinen Augen. Er sah ihn herausstürmen, die Stadt verlassen, und mit sieben Anderen diskutieren. 
Es dauerte eine Sekunde, bis sich Estel erschloss, dass es sich um die Söhne Feanors handeln musste. In ihren Augen brannte ein grausames Feuer, welches alles niederbrennen würde, was in seinem Weg war. Und sie schien Estel zu bemerken, denn diese brennenden Augen brannten sich in seinen Kopf, tödlich, schmerzhaft …

… bis Estel schwer atmend aufwachte, diese grausamen Augen noch immer vor Augen. Er wusste, dass es ein Traum gewesen war, doch war dieser für seinen Geschmack zu nahe an der Realität gewesen. 
Während sich sein Atem wieder beruhigte, hörte Estel eine leise Stimme durch die Wände schwingen, als sänge das Haus selbst voller Kummer, und als er sich wieder hinlegte, den Kopf auf das Kissen drückend, fielen ihm die Augen wieder zu, und der Traum verschwand in die hinterste Ecke seiner Gedanken. 

Er erwachte am nächsten Morgen, als goldenes Sonnenlicht durch das nach Osten gerichtete Fenster fiel, und es dauerte einen Moment, bis er sich orientiert hatte, bis er erkannte, dass er sich nicht in seinem zu Hause befand, sondern bei einem Fremden, an einem ihm unbekannten Ort. Der Raum sah sehr nach einem üblichen Raum in Imladris aus – die Decken waren Hölzern, verziert mit Ranken und Blüten, die so fragil wirkten, als seien sie echt, und das Glas der Fenster war rein, ließ beinahe ungefiltert das Sonnenlicht durch. 
Dann fiel ihm ein, dass seiner Mutter aufgefallen sein musste, dass er am vergangenen Abend nicht zurückgekehrt war, und dass sie sich sicher Sorgen um ihn machte. Er musste zurück, erklären, dass es ihm gut ging, dass ihm der Sturm nicht geschadet hatte, und sich im Idealfall noch eine Ausrede überlegen, denn er wusste, dass Mutter es nicht mochte, wenn er allein in den Wald ging, auch wenn er dort problemlos wochenlang überleben könnte.
Estel fand Hyarmo vor dem erloschenen Kamin sitzend, vertieft in Notizen, welche in feiner Handschrift einer unbekannten Sprache geschrieben waren. Jedoch bemerkte er den Jungen sofort, drehte sich zu ihm um. „Ah, es wird Zeit, dass du wach wirst“, sprach er, und für einen Moment fragte sich Estel, ob der Elb überhaupt schlief, oder ob er die ganze Nacht dort gesessen hatte. Im hereinfallenden Sonnenlicht hatte er beinahe wie ein Gemälde gewirkt, während der Staub vor dem Fenster tanzte. Ein Geist einer vergangenen Zeit. „Hast du gut geschlafen?“ 
Estel nickte. „Die Nacht war sehr erholsam, aber … ich denke, ich sollte heute zurück zu Elronds Haus gehen, meine Mutter macht sich sicher schon Sorgen um mich. Besonders nach dem Sturm letzte Nacht …“
„Ja, das solltest du“, Hyarmo lächelte traurig, als würde er einer Erinnerung hinterherhängen. „Aber vorher isst du etwas, okay?“ 

Wenig später standen sie vor dem Haus, zwischen den Statuen der Könige. Estel wusste nicht klar, was er zum Abschied sagen sollte, aber Hyarmo schien ebenfalls etwas abwesend zu sein. 
„Ich“, der Elb räusperte sich. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn dein Wissen über meine Anwesenheit hier und von dieser Siedlung hier fürs Erste unter uns bleiben würde?“
Mit großen Augen sah Estel Hyarmo an. „Aber … warum?“ 
Ein Zögern. „Weil ich noch nicht bereit bin, meiner Vergangenheit entgegen zu treten.“
„Kann ich dich wenigstens besuchen kommen, damit du mir mehr von deinen Geschichten erzählst?“ 
Ein Lächeln breitete sich auf Hyarmos Gesicht aus, etwas, was Estel sowohl erstaunte, als auch verzauberte. „Ich denke, ich werde noch einige Zeit hier bleiben, also komm vorbei, wann immer du willst.“

 

Autorennotiz

So, dieses Werk liegt seit (buchstäblich) Jahren auf meiner Festplatte, und wartete jedes Jahr im Herbst darauf, veröffentlicht zu werden. 
Ich hoffe, es gefällt euch :)

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Mephistorias Profilbild
Mephistoria Am 11.06.2019 um 6:02 Uhr
Ist esMaglorodergarMeadros esistaufjedenesistaufjedenFalleinNoldo dasOswarsehrgut
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Elenyafinwes Profilbild
Elenyafinwe
M
Am 09.12.2018 um 20:46 Uhr
Hallo, wie versprochen der Kommi ^^
Na ich ahne doch, wen Estel da gefunden hat :) Wobei ich mich frage, ob er wirklich schon einen Bart hätte. Höchstens graue Haare dank Elrond und Elros *lach* Ist dann wohl auch etwas künstlerische Freiheit, dass er da lebt, wenn man an den entsprechenden Satz im Silm denkt.
Generell hat mir dein Stil sehr gut gefallen und ich habe die Geschichte sehr gern gelesen. Freue mich, mehr von dir zu lesen, vielleicht auch eine Fortsetzung dieses Os :)
lg Auctrix
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Wintergeist (Autor)Am 09.12.2018 um 23:37 Uhr
Vielen Dank für den Kommentar!
Der Bart ist entstanden, weil er irgendwann ... nun, er hat viel Stress und ein hartes Leben hinter sich, da ist ihm halt n Bart gewachsen, das passiert den Besten, oder? (... bekommen Elben eigentlich graue Haare? Also, ich frag mich grad, weil mir keine Textstelle dazu einfällt).
Dass er da wohnt ist auch eher den Umständen der Entstehung geschuldet - zuerst war der Gedanke, dass es neben Elronds Haus ja sicher noch andere (verlassene) Siedlungen geben musste, weil zu Hochzeiten da sonst zu viel los gewesen wäre.
Und dann war da die Frage, wer da gewohnt hat. Und wen Estel da potentiell trifft, der ihm so ein Bisschen was erzählt. Und weil in einer meiner HC-Versionen ein gewisser Elb eh in den Norden reist, passte das dann ganz gut zusammen :D

(ich habe noch eine ewig alte "Mädel reist mit mysteriösem Elb nach Norden"-Geschichte auf meiner Festplatte, die überarbeitet werden müsste, aber das wäre eher ne Vorgeschichte. Vielleicht schreib ich auch irgendwann mal, wie sich da zwei Leute wiederfinden, aber das könnte von der Länge her eskalieren. Weil Konflikt und so.)
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Autor

Wintergeists Profilbild Wintergeist

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Sätze: 155
Wörter: 3.278
Zeichen: 19.051

Kurzbeschreibung

Der achtjährige Estel findet auf einem seiner Streifzüge durch das Verborgene Tal eine scheinbar verlassene Siedlung und stößt auf ein Geheimnis, das mit den Jahren in Vergessenheit geriet.

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