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Kapitel: | 10 | |
Sätze: | 934 | |
Wörter: | 12.956 | |
Zeichen: | 75.314 |
1.Kapitel Die fremde Heimat
Frühling 66 V. Z., Celebrian
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als mein Gefolge die Grenze zu Rohan passierte. Fünf Tage und Fünf Nächte waren wir nun schon Unterwegs. Als ich aus meiner Kutsche spähte, sah zu meiner Enttäuschung ich nicht viel mehr als Felder und ein paar einzelne Bauernhäuser. //Das also ist das Land, dass ich nun regieren soll.//
Im Norden sah ich von weitem einen Wald, das musste Fangorn sein! Wie gerne hätte ich meinen Wachen befohlen, umzukehren und mich dorthin zu bringen! Doch ich sagte nichts, sondern schüttelte nur den Kopf und löste den Blick von dieser neuen, faszinierenden Umgebung. Selbst wenn ich es befohlen hätte, man hätte es mir nicht erlaubt. Nach dem unerwarteten Tod meines Vaters galt es, mich schnellstmöglich auf den Thron zu bringen. Die Berater meiner Mutter wollten auf diese Weise verhindern, dass es zu Unruhen kommen könnte. Denn ein unbesetzter Thron bedeutete, dass das Königreich schwach und angreifbar ist, das hatte mich mein Vater gelehrt.
Um mich nicht länger trüben Gedanken hinzugeben, holte ich mein Tagebuch, Tinte und Feder aus der kleinen Kiste unter meiner Sitzbank hervor, und begann, die letzten beiden Tage meiner Reise festzuhalten:
Frühling 66 V.Z
„Die Reise gestaltet sich genauso eintönig wie ich es erwartete. Man ist sehr darauf bedacht, mich auf dem schnellsten Wege nach Helms Klamm, in die Obhut von einem Hofstaat zu geben, der meinem Vater über Jahre hinweg gedient hat. Meistens ziehen wir in angespannter Stille weiter, abgesehen von dem Hauptmann, der für dieses Unterfangen verantwortlich ist, spricht niemand mit mir.
Trotz diesen Umständen bin ich frohen Mutes, denn ich darf an jedem Tag unserer Reise ein paar wenige Stunden selber reiten, was für eine Willkommene Abwechslung zu der holprigen Kutschenfahrt das doch ist!“
//Meine Mutter wird nach dem Begräbnis meines Vaters sofort nach Arnor zurückkehren und mich in Rohan zurücklassen. Ob sie immerhin zu meiner Krönung kommen wird? // Ich wartete geduldig, bis die Tinte komplett getrocknet war und verstaute das dünne Buch darauf wieder sorgfältig.
Auch die nächsten beiden Tage brachten nichts Interessantes mit sich, da die eher karge Landschaft nur dünn besiedelt war. Wir hatten, abgesehen von einigen Wandern und Boten keine Menschenseele angetroffen. Helms Klamm konnte von mir aus schon in den nächsten Sekunden erreicht werden, von der angespannten Stille hatte ich langsam aber sicher genug.
Später...
„Eure Hoheit?“ Es bedurfte ein paar Sekunden, bis ich verschlafen in das grelle Licht der aufgehenden Sonne blinzelte und etwas verwirrt in die Richtung sah, aus der die Stimme gekommen war. Ich setzte mich langsam auf. „Ja?“
Aldor, der Hauptmann, öffnete die Tür meiner Kutsche und verneigte sich eilig vor mir. „Wir haben Helms Klamm beinahe erreicht. Eure Mutter hat ein Zelt bereitstellen lassen, damit Ihr Euch für den Empfang an Eurem Hof frisch machen könnt.“
Ich nickte, ergriff dankbar seine Hand, und stieg etwas steif aus der Kutsche aus. Meine Hoffnung, mir die Umgebung auch nur kurz ansehen zu dürfen, wurde in wenigen Augenblicken zunichtegemacht, als vier Zofen aus dem Zelt hinter der Kutsche eilten und praktisch im Gleichtakt vor mir knicksten.
„Eure Majestät.“
Ich fragte mich unwillkürlich, ob überhaupt fünf Leute gleichzeitig in dieses Zelt passen würden, aber nickte den Mädchen höflich zu. „Ich will schnellstmöglich nach Helms Klamm, also lasst uns beginnen. Haltet euch nicht mit Details auf, habt ihr verstanden?“
Stummes Nicken. „Gut.“
Ich folgte den Zofen hinein und entdeckte als erstes ein kniehohes Becken mit Dampfendem Wasser. //Was gäbe ich für ein richtiges Bad! // Natürlich liess ich mir meine leichte Enttäuschung nicht anmerken und wartete ungeduldig, bis zwei meiner bediensteten alle Verschlüsse von meinem Oberkleid geöffnet hatten und es sorgfältig abstreiften. Den Unterrock öffnete ich mit einem Handgriff selber und streifte ihn mir rasch ab, was mir einen entrüsteten Blick der wohl ältesten Zofe einbrachte, was mich aber nicht weiter kümmerte.
„Wenn Ihr nun weitermachen würdet, ich werde heute noch erwartet.“ Sie nickte nur und murmelte eine Entschuldigung, während sie mein Korsett aufschnürte.
Als man mir das steife Kleidungsstück endlich abstreifte, stieg ich langsam in das warme Wasser, das mir knapp über die Knie reichte und seufzte wohlig.
Die jüngste der vier Bediensteten drehte meine kupferfarbenen Haare zu einem Knoten zusammen und fixierte sie mit einer Haarnadel an meinem Hinterkopf.
Ich liess sie gewähren und wartete schweigend auf meine Weiterreise, während man mich wusch.
Zwei Stunden später…
Als meine Kutsche vor der hohen Festung von Helms Klamm hielt und spähte ein letztes Mal durch die Fenster der Kutsche und erhaschte einen kurzen Blick auf die Menschen, die sich vor den Mauern der Festung versammelt hatten, um ihre neue Königin zu sehen.
//Wie viel einfacher das hier wäre, wenn Mutter mit mir gereist wäre oder ich Elfwines Hof kannte. //
Ich strich meine weisse Haube zurecht und stieg langsam aus der Kutsche aus.
Einen Moment lang schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Alle die neugierigen Blicke waren nun auf mich gerichtet, auf die Königin von Rohan.
Der Augenblick war vorbei. Die Fanfaren hallten laut und klar von den Felswänden herab, ich setzte mich wie in Trance in Bewegung. Die Frauen und Männer an denen ich vorbeiging, fielen auf die Knie, von hier und da waren Jubelrufe zu hören.
Diese ganze Szene wirkte so irreal auf mich, obwohl ich tief in mir wusste, dass genau das die Rolle war, auf die man mich mein ganzes Leben vorbereitet hatte.
Ich durchschritt das Tor der Aussenmauer und erkannte erleichtert das weisse Trauerkleid meiner Mutter, das in dem schattigen Hof der Hornburg zwischen den dunkeln Gewändern der Männer leuchtete. Der Gedanke daran, dass sie immerhin die nächsten paar Tage noch bei mir sein würde, tröstete mich ein wenig.
Zwei Schritte vor meiner Mutter und ihren Beratern blieb ich stehen und sank mit gesenktem Blick zu Boden, als Zurschaustellung von tugendhafter Demut.
Meine Mutter legte mir, wie es die Tradition verlangte, sachte beide Hände auf den Kopf und erhob dann die Stimme.
„Willkommen in Rohan, meine teure Tochter!“
Mein Herz klopfte vor Aufregung so laut, dass ich fürchtete, die versammelten Höflinge könnten es hören. Ich legte meine Hände in meinen Schoss, damit niemand sehen konnte, wie sie zitterten.
Langsam erhob ich mich aus meinem Knicks und richtete mich auf. Als ich meinen Blick langsam hob, lächelte Mutter mich an. Sie schien mir in den Zwei Wochen, in denen wir getrennt gewesen waren, um Jahre gealtert.
Ihr goldblondes Haar wirke unter dem hellen Schleier, der an ihrer Haube befestigt war, schon beinahe Weiss.
//Sie hat ihren Ehemann und König verloren, ich sollte mich für solche Gedanken schämen! //
Einer der Männer, der still hinter meiner Mutter Alyndra, der Königin von Arnor, gestanden hatte, trat mit einer tiefen Verbeugung vor mich, in den Händen hielt er eine hölzerne Schatulle.
„Eure Majestät.“
Ich öffnete das Holzgefäss vorsichtig und erblickte einen silbernen Haarreifen, dessen feine Drähte wie Blütenblätter geschmiedet waren.
//Wie schön es ist! //
Ich berührte das Schmuckstück flüchtig, nur um mich zu vergewissern, dass es auch echt war und lächelte dem Mann, der es hielt, zu. „Ein gelungener Haarreifen. Richtet dem Schmied aus, dass es mir sehr gut gefällt.“
Ich warf der Königinmutter einen letzten ehrfürchtigen Blick zu und nahm kaum Notiz von der Zofe, die herangetreten war und meine Haube löste.
Mutter nahm das Schmuckstück behutsam aus der Schachtel und hielt es sowohl in meine, wie auch in die Richtung des Volkes hoch.
Ich neigte den Kopf und spürte überrascht, wie leicht sich das Diadem anfühlte.
„Lange mögest du Regieren, Königin Celebrian!“
Die Jubelrufe hallten von allen Seiten, und ich wusste beim besten Willen nicht, wohin ich meinen Blick zuerst richten sollte, oder was genau es zu fühlen galt. //Dies ist nun mein Volk und bei Eru, ich werde ihnen eine gute Herrscherin sein! //
3.Kapitel Ein königlicher Abend
Da die Trauerzeit unbedingt eingehalten werden musste, war mein Hochzeitstag genau so schlicht gestaltet wie der silberne Ehering von Théodred und mir, aber das störte mich nicht.
Als wir, die beiden neuen Herrscher den Saal betraten, sanken alle auf die Knie und verharrten in dieser Position bis mein Gemahl und ich den Thron erreicht hatten. Kaum sassen wir, setzte die Musik ein und die Höflinge jubelten.
Wie es das Protokoll verlangte enthielt das Essen kein Fleisch, dafür eine beachtliche Auswahl an Salaten sonstigen Speisen, die für diese karge Region typisch waren.
Mutter und taten alles, was von uns erwartet wurde. Wir nahmen Segenswünsche von Botschaftern entgegen, versprachen den einheimischen Adeligen Familienmitglieder in den Hofstaat aufzunehmen, planten Besuche auf diesem oder jenem Landsitz, diskutierten über Veranstaltungsorte für Bankette oder Turniere. Im Grunde genommen tat ich dabei nichts, ausser zu nicken und oberflächliche Kommentare abzugeben.
Der sonnige Tag wich bereits dem sanften Abendrot, als ich mich ganz im Sinne des Protokolls neben meinen Mann an den Tisch aus dunklem Holz setzte. „Haben die werten Ambassadoren meiner Gemahlin genug Zeit gestohlen?" Erschrocken zuckte ich zusammen, als sich die kräftige Hand von Théodred auf meine legte.
Er hat mich angesprochen! Was verlangt die Etikette schon wieder? Muss ich meine Hand wegziehen?
Es fiel mir beim besten Willen nicht ein, also lächelte ich kurz zaghaft. „Mein werter Gemahl, die Botschafter haben der Königinwitwe und mir viele äusserst wertvolle Ratschläge gegeben, die gewiss auch Euch zugutekommen werden."
Kaum hatte ich geendet, setzte die Musik ein und die ersten Tänze begannen.
Seine Dunkeln Augen funkelten amüsiert. Er beugte sich zu mir hinüber und raunte: „Ich bin überzeugt, dass Ihr und Eure Mutter mich zu gegebener Zeit informieren werdet, was es zu beachten gilt."
Etwas an der Art wie er das sagte, brachte mich zum Schmunzeln. Dieses erstarb sofort, als Théodred weitersprach. „Nach Sonnenuntergang ist es Zeit, uns zurückzuziehen."
Innerlich erstarrte ich. Die Hochzeitsnacht hatte ich völlig verdrängt! Meine Bediensteten hatten sich oft darüber den Mund zerrissen, was wohl so geheimes im Ehebett passieren musste, das keine verheiratete Frau je darüber sprach.
Besorgt spähte ich aus dem Fenster. Der Einbruch der Nacht würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ein leichter Druck auf meine Hand riss mich aus meinen Gedanken. „Darf ich Euch um einen Tanz bitten, werte Gemahlin?" Unsicher suchte ich den Blick meiner Mutter, die aber mit einem älteren Herrn in ein Gespräch vertieft war. „Welchen Tanz würdet Ihr denn während der Trauerzeit als angemessen erachten?", fragte ich, um Zeit zu gewinnen.
Der Gedanke an einen Tanz mit meinem Mann schien mir so wenige Wochen nach Elfwines Tod eine Sünde in den Augen Erus zu sein.
„Kommt." Er liess meine Hand los, stand auf und verbeugte sich tief vor mir. Die Musik verstummte, alle schauten zu uns. „Meine werte Gemahlin, erweist Ihr mir die Ehre mit mir zu tanzen?" Jetzt hatte ich keine Wahl mehr. Ich erhob mich langsam von meinem Thron und stellte mich mit einem strahlenden Lächeln neben Théodred. Plötzlich hatte ich eine Idee. „Es ist mir eine Ehre, mein werter Gemahl. Wenn Ihr mir erlaubt, den Tanz zu wählen." Er nickte. „Selbstverständlich."
„Spielt eine Pavane!" Beim Einsetzen der Musik konnte ich ein Lächeln nicht unterdrücken. Die Pavane war ein geradetaktiger, feierlich-langsamer Schreittanz. Einem königlichen Ehepaar durchaus würdig, wie ich fand. Hand in Hand begannen wir zu der langsamen Musik zu tanzen, Takt für Takt. Das Stück näherte sich schon bald seinem Ende zu, und damit auch seinem schwierigsten Teil. Mein Mann, der mich überragte, kniete sich nieder während er meine Hand hielt, ich schritt im Takt der Musik um ihn zwei Mal um ihn herum. Auf die letzte Note des Stückes hin sank ich vor ihm langsam und anmutig zu Boden.
Dieser Moment hätte von mir aus noch ewig andauern können. Seit ich gestern aus meiner Kutsche ausgestiegen war empfand ich das erste Mal eine Art kindliche Freude. In diesem Moment vergas ich die Sorgen um meine unmittelbar bevorstehende Hochzeitsnacht und um meine Krönung. Alles schien so surreal, so weit weg zu sein. Doch wie alle wundersamen Momente war auch dieser viel zu schnell vorüber. Die anwesenden applaudierten begeistert. Mein Gemahl richtete sich auf und half mir aufzustehen, wie es sich gehörte.
Wir verliessen den Festsaal und begaben uns gemeinsam in die geräumigen Gemächer, die man für uns hergerichtet hatte. Zwei Zofen nahmen mir schweigend meinen Schleier ab und lockerten die Schnüre meines Oberkleides. Als sie damit fertig waren, brachten sie eine kleine Schale mit Wasser, in der wir uns die Hände wuschen.
Sie knicksten, wünschten uns eine gute Nacht und verliessen die Gemächer, jetzt war ich mit alleine meinem Ehemann, dem ich vor wenigen Stunden Treue und Gehorsam versprochen hatte.
Kurz darauf standen wir uns in unseren Unterkleidern gegenüber. Er setzte sich auf das grosse Bett und deutete mir, mich zu ihm zu setzen. Ich gehorchte und spannte mich an, als er mir mit seiner rechten Hand langsam dem Hals entlangfuhr. „Hast du Angst?" Ich nickte. Zu meiner Verwunderung lächelte er darauf. „Mach einfach genau das was ich dir sage, ja? Dann wird es dir nicht wehtun."
Ich betete stumm um Erus Segen für unsere Ehe und liess ihn gewähren.
(Siennas Sicht, Gondor)
Das Dienstmädchen duckte sich noch gerade rechtzeitig, um nicht von dem Becher getroffen zu werden, den ich nach ihr geworfen hatte. „Geh mir aus den Augen! Verschwindet, ihr alle! Ich will alleine sein!"
Kaum war die Türe geschlossen, drückte ich mein Gesicht fest in eines der weichen Kopfkissen und schrie meine Wut hinaus. Es war mir einerlei, ob die Bediensteten mich hörten oder nicht. Ich hatte dieses dumme Geschwätz lange genug ertragen. Die Krönung meiner Cousine war zwei Wochen her und wie es schien hatte der ganze Palast kein anderes Gesprächsthema mehr. Dafür hasste ich sie, sie alle! Ich hasste diese dummen Zofen, die Wächter und meine Familie. Ganz besonders meine Familie. Vor über einem Monat war die Einladung zur Krönung der neuen Königin Rohans angekommen. Ab diesem Tag war in Minas Tirith förmlich jeder Stein poliert worden, wie lächerlich!
Das Gefolge, dass meine Mutter nach Edoras gebracht hatte, war prächtig gewesen, eine Zurschaustellung der stärke Gondors. Ich hätte sie begleitet und zusammen mit ihr diesen Bauern deutlich gezeigt, wie mächtig Gondor ist. Was war sie schon? Ihr Vater Elfwine war der König von Rohan gewesen, ein Mann, der sich stets an seine Worte gehalten hatte. Nun, auch er hatte in seinem Leben Fehler begangen, grosse Fehler. Die junge und schöne Prinzessin aus Arnor hatte ihm während einem Besuch dermassen den Kopf verhext, dass er sie zur Frau genommen hatte. Das Skandalöse an dieser Verbindung war Keineswegs der Stand dieser „Prinzessin Alyndra von Arnor" gewesen, sondern dass man Arnor damit offiziell als eigenständiges Königreich anerkannt hatte. Dabei war in ganz Minas Tirith bekannt, dass Arnor nichts weiter als ein eigenständig verwalteter Teil von Gondor war.
Und jetzt, kaum war Elfwine tot, bestieg sein einziges überlebendes Kind, diese Celebrian den Thron Rohans. Damit wurde das Haus Elessar erneut gedemütigt. Ein gerade 18 Jahre altes Mädchen aus dem hintersten Winkel von Arnor, dass laut den Gerüchten nicht einmal die Sprache der Rohririm beherrschte. Zum Teufel damit!
So plötzlich wie die rasende Wut über mich gekommen war, verschwand sie auch wieder und wich einem abstrakten Plan, der sich ohne, dass ich es wirklich wollte von selber vervollständigte. Bis meine Mutter aus Rohan zurückkommen würde, waren es noch zwei Wochen. Diese ungewohnte Leere im Palast liess sich auf verschiedenen Wegen ausnutzen. Welchen ich wählen würde, hing alleine von mir ab.
Und ich hatte nichts zu verlieren solange meine meine Bediensteten dichthielten, Das würden sie natürlich, schliesslich wollte niemand riskieren, entlassen zu werden. Der Erste Teil meines Plans war einfach. Ich brauchte ein anderes Kleid, wenn ich hier weg wollte. Ich klingelte mit der kleinen Glocke auf meinem Schreibtisch und musste keine Zehn Sekunden warten bis meine Erste Zofe das Zimmer betrat und etwas ungeschickt vor mir knickste. „Zu Diensten eure Hoheit." „Rebekkah, du musst mir helfen. Ich brauche ein einfaches Kleid für heute Abend." Der Blick des Mädchens wanderte augenblicklich zu meiner üppigen Garderobe, dann zurück zu mir. „Habt Ihr genauere Wünsche wegen dem Kleid? Das dunkelblaue habe ich am schnellsten geschnürt."
Ich winkte ungeduldig ab. „Nein, das bringt mir nichts. Soviel ich weiss hast du Morgen deinen freien Tag?" „Das Stimmt meine Herrin. Braucht Ihr mich Morgen, dass Ihr fragt?" „Nein, ich brauche dich jetzt. Hast du noch ein anderes Kleid als deine Zofentracht?" „Ja. Es ist uns nicht erlaubt, unsere Arbeitskleidung zu tragen, wenn wir nicht im Dienst sind." „Gut. Dann möchte ich dich um einen Gefallen bitten. Hol dein Kleid und bring es mir." Die junge Frau runzelte irritiert die Stirn über diesen Auftrag, fasste sich aber sogleich wieder und war nach einem raschen knicks aus meinem Ankleidezimmer verschwunden.
Eine knappe Stunde später folgte ich Rebekkah mit der Kapuze tief im Gesicht durch die dunkeln Gassen von Gondor. Der Kleidertausch hatte länger gedauert als angenommen, weil sie etwas kleiner und breiter gebaut war als ich. Demzufolge war es eine Herausforderung gewesen, dem hellgrünen Kleid einen sicheren Sitz über meinem Korsett zu verpassen.
Vor dem Wirtshaus packte meine Zofe mich am Ellbogen, ich fuhr gereizt zu ihr herum. „Was ist denn?"
„Sienna, seid Ihr euch sicher, dass ihr das machen wollt? Und wenn euch jemand erkennen wird?" „Ich lebe zwar in anderen Verhältnissen als du, aber ich weiss sehr wohl um die Gedächtnismindernde Wirkung von Bier. Komm jetzt!"
Kaum hatte ich die Tür geöffnet, schlug mir stickige Luft entgegen. Der Raum war grösser als ich es erwartet hatte und bot für mindestens zwanzig Tische in verschiedenen Grössen Platz. Kellnerinnen eilten mit grossen Krügen von Tisch zu Tisch, um den Männern Bier nachzuschenken, was sie dann auch in in luftiger Höhe taten. Ich war so mit meinen Beobachtungen beschäftigt, dass ich vor Schreck zusammenfuhr, als sich eine grosse Hand auf meine rechte Schulter legte und mich ohne jegliche Vorwarnung zur Seite schubste wie ein lästiges Ungeziefer. Der Mann brummte etwas von „Unnützes Frauenzimmer" und ging, ohne mich weiter zu beachten zu einem der Tische, an dem seine Kameraden sassen.
Rebekkah, die anders als ich nicht im Eingang stehen geblieben war, kicherte mädchenhaft, und packte mich am Arm, um mich zu einem der freien Tische zu schleppen. „Heute wird es wohl einen Auftritt geben, sonst wäre hier mitten in der Woche nicht so viel los." Ich beschloss, mir meine Kränkung von vorhin nicht anmerken zu lassen und atmete erst einmal durch. „Kommst du öfter hierher?" Die Zofe zuckte mit den Schultern. „Wenn meine Familie einen erfolgreichen Monat hinter sich hat, essen wir manchmal hier. Mein Vater war hier Stammgast, hat manchmal das Geld der ganzen Woche einfach hier ausgegeben. Ein unverbesserlicher Trunkenbold eben."
Eine der Kellnerinnen unterbrach unser Gespräch, indem sie uns zwei Krüge Bier auf den Tisch stellte und nachdem wir bezahlt hatten mit der gleichen missmutigen Miene zurück zu Theke lief. //Welch eine Arbeitsmoral. // Ich roch neugierig an dem Bier, bevor ich vorsichtig daran nippte. Es schmeckte bitter, aber auch erfrischend. „Und rechnest du damit, dass dein Vater heute auch hierherkommt?", fragte ich mehr aus Anstand als aus Interesse. „Nein. Er ist vor einem Jahr verschieden. Mein Bruder ist seither das Familienoberhaupt. Er kümmert sich gut um uns." Darauf wusste ich nichts zu erwidern, so verblieben wir beide eine ganze weile ohne etwas zu sagen.
Von den vollen Tischen erklangen laute Ermunterungsrufe und eine Gruppe bestehend aus zwei Männern und zwei Frauen stimmte auf einer Laute ein Lied an. Die Melodie war tief und irgendwie hatte ich im ersten Augenblick das Gefühl, mir die Ohren zuhalten zu müssen.
Einer der Männer stimmte das Lied an:
„Ach komm du Schöne bring den Wein zu mir,
Bring den Wein zu mir, ich verdurste hier
Ach komm du Schöne bring den Wein zu mir,
Denn mir ist nach Wein und Weib!"
//Ach ein Trinklied. Warum erstaunt mich das nicht? //
Die ältere der beiden Frauen wandte sich ihm mit zu und stimmte ein:
„Ich schenk' dir ein nur wenn du tanzt mit mir,
Wenn du tanzt mit mir, dann komm ich zu dir
Ich schenk' dir ein nur wenn du tanzt mit mir,
Dann bekommst du Wein und Weib!"
Die Männer johlten begeistert, sogar Rebekkah hatte ein schelmisches Grinsen im Gesicht.
Der Sänger schien mit dieser Stimmung zufrieden zu sein und Griff nach einem Becher mit Bier, den die wirklich entrüstet aussehende Kellnerin wohl für einen anderen Gast gedacht hatte. Nach einem herzhaften Schluck Bier ging es weiter:
„Oh, komm du Schöne auf den Tisch hinauf,
Auf den Tisch hinauf, komm wir tanzen drauf
Oh komm du schöne auf den Tisch hinauf,
Denn es soll uns jeder sehn'!"
Seine Partnerin spielte mit ihrem langen Rock und liess sich theatralisch auf den nächsten freien Stuhl fallen.
„Ich komm hinauf für einen Kuss von dir,
Einen Kuss von dir, ja den wünsch' ich mir
Ich komm hinauf für einen Kuss von dir,
Will ich oben bei dir stehn'!"
Die Zeit verging viel zu schnell. Nachdem die Gruppe eine Pause eingelegt hatte, wurde das letzte Lied angekündet und alle anwesenden dazu aufgerufen, zu tanzen. Die meisten Männer waren mittlerweile so betrunken, dass sie sich kaum anständig auf den Füssen halten konnten. So hakte ich mich kurzerhand bei meiner Zofe unter und tanzte mit.
„Die Sünde lockt
Und das Fleisch ist schwach
So wird es immer sein!
Die Nacht ist jung
Und der Teufel lacht
Komm wir schenken uns jetzt ein!"
Kaum war der letzte Ton verklungen, hastete Rebekkah zu unserem Tisch, um unsere Mäntel zu holen. Ich folgte ihr nur langsam, denn der Alkohol vernebelte meinen Blick. Die Männer um mich herum grölten. Ich duckte mich im letzten Moment, um nicht von einem übermütig geschwungenen Bierkrug am Kopf getroffen zu werden.
„Pass auf!"
Die Warnung kam im gleichen Moment, wie der Festbank vor meinen Füssen landete und ich darüber stolperte.
6.Kapitel Bainrìgh Celebrian
„Bainrìgh Celebrian! Bainrìgh à Rohan! Gun dìonadh sibh. Dia agus an taigh leotha!"
In meiner linken Hand hielt ich den Reichsapfel, rechts das Zepter. Beides fühlte sich schwer und kalt an. Trotzdem fühlte ich eine unerschütterliche Ruhe tief in mir.
Die Zeremonie hatte ihren Höhepunkt erreicht. Mein Eid hatte ich wie es verlangt wurde in der Sprache Rohans abgelegt.
„Ich, Prinzessin Celebrian, Tochter von Elfwine und Alyndra, schwöre hiermit, meinem Reich zu dienen und es zu beschützen. In Krieg sowie auch im Frieden, in Krankeit wie auch in Gesundheit, werde ich Erus Stellvertreterin hier in Arda sein."
Kaum hatte ich geendet, setzte der höchste Priester die Messe unbeirrt in der Sprache Rohans fort, ganz wie es das Protokoll verlangte.
Ich verstand zwar nur etwa die Hälfte der Predigt in dieser groben und unryhtmischen Sprache, doch was machte das schon aus?
Jetzt war ich die Königin Rohans. Ich würde über allen anderen stehen, sogar über meiner Mutter und meinem Mann.
Meine Gedankengänge wurden durch den rundlichen Geistlichen unterbrochen, der mir auffordernd einen Kelch Rotwein unter die Nase hielt. Ich murmelte wie ich es gelernt hatte eine Dankesformel und trank einen kleinen Schluck. Der Wein schmeckte eher säuerlich und hinterliess einen unangenehmen Geschmack im Mund. Ich hätte wirklich gerne gewusst, warum ausgerechnet der Wein einen derart hohen Stellenwert in der Messe hatte. Selbstverständlich kannte ich auf diese und auch auf viele andere Fragen die Antwort der geistlichen, doch die Wahrheit kannte wohl nur Eru selber.
Die Musik setzte sein, der Chor stimmte ein feierliches Lied an. Es war geschafft. Langsam erhob ich mich und schritt langsam durch die Halle. Ähnlich wie bei meiner Hochzeit sanken alle anwesenden auf die Knie.
Doch heute war es anders. Die Anwesenden verbeugten sich nicht mehr vor der Thronanwärterin, sondern vor Ihrer Königin.
Ich trat ins Freie und blinzelte gegen das blendende Licht der Nachmittagssonne.
Noch während sich meine Augen an das helle Licht gewöhnten, hörte ich den Jubel des Volkes, dass sich versammelt hatte.
Théodred hatte sich zusammen mit seinem Gefolge direkt vor dem Eingang versammelt. "Meine Königin." Théodred zwinkerte mir zu, bevor er sich räusperte und die Stimme erhob: "Eure Majestät, Königin Celebrian von Arnor und Rohan. Als Euer Gatte und Verbündeter schwöre ich vor Euch, und Eurem Volk, dass ich so Eru will, jegliches Unheil von euch abwenden werde." Er verneigte sich tief vor mir und verharrte wie es die Tradition verlangte so. Eigentlich verlangte die Tradition jetzt, dass der König seiner Königin befahl, sich zu erheben. „Théodred, Sohn von Elboron, Herr Ithiliens. Als mein Gemahl sollt Ihr von meinem Volk, aber auch von mir als Herr über Helms Klamm geachtet und geliebt werden!"
Später...
Die Morgendämmerung war nicht mehr weit entfernt und viele der Gäste hatten sich schon zurückgezogen. Es war ein langer, aber aufregender Tag gewesen. Nicht nur ich und Théodred waren vereidigt worden, sondern auch unser Kronrat. Auch die wichtigen Familien hatten, sofern es das Protokoll verlangte, geschworen Rohan zu dienen.
Jede Familie hatte mir ein Geschenk mitgebracht. Anders als ich es von Arnor kannte, war das Spektrum der Gaben fast unendlich. Dieses ging von Einladungen zu wichtigen Anlässen, über Tiere (darunter auch eine kleine Natter) bis zu einer Gruppe Tänzerinnen aus dem Süden. Der Gedanke an diese jungen Frauen brachte mich zum schmunzeln. Der Saal war augenblicklich still geworden, als sie eingetreten waren. Sie waren leicht bekleidet gewesen. Seltsame Hosen und Oberteile, die den Blick auf ihren Bauch frei gaben. Den Männern waren die Augen fast aus dem Kopf gefallen, ihre Frauen hatten die Tänzerinnen nur düster angestarrt. Es war ein wirklich amüsantes Geschenk gewesen.
Ich suchte den Raum mit den Augen nach meiner Zofe ab, da stand meine Mutter vor mir. „Celebrian." Sie knickste knapp. „Meine Schwägerin, Königin Tariél wartet darauf, dass Ihr sie empfängt. //Die Königin von Gondor!// Théodred musste den gleichen Gedanken gehabt haben, er versteifte sich. „Lady Tàriel ist hier zu Gast. Sie hat wohl kaum das Recht, meine Gemahlin um ein vertrauliches Treffen zu bitten." Auch wenn ich eigentlich dieser Meinung ear, überragte die Neugier deutlich. „Die Königin ist für diesen Anlass hierher gereist, dann kann sie auch mit mir sprechen. Mein Mann widersprach mir nicht, aber drückte meine Hand kurz als ich gehen wollte. „Seid wachsam."
Tariél knickste tief vor mir, als ich in das Empfangszimmer kam. „Bainrìgh Celebrian." Ihre Aussprache war makellos, aber ihr Akzent erinnerte mich daran, dass sie aus Rohan stammte. Die jüngere Schwester meines Vaters, die Tochter von König Eomer. Mein Vater hatte sie als „den Sonnenschein von Edoras" beschrieben. Sie musste mittlerweile um die vierzig Jahre alt sein, wenn ich mich recht erinnerte. Nichts desto trotz war sie eine sehr schöne Frau. Sie hatte ein rundes, aber schmales Gesicht und mandelförmige braune Augen. Ihre Haare waren unter einer mächtigen runden Haube, vermutlich aber waren sie braun.
„Tariél, Bainrìgh à Gondor. Willkommen in Edoras. Es ist mir eine Freude, Euch persönlich zu begegnen." „Ich danke Euch, es erfüllt mein Herz mit Freude, die Heimat meiner Jugend wiederzusehen. König Eldarion und die Prinzessin Sienna richten Euch ihren besten Wünsche und ihr Beileid für den Verlust Eures Vaters und Königs aus." Etwas in der Art, wie sie das sagte, löste ein seltsames Gefühl in mir aus. Ich wusste nicht, was es war, aber dem würde ich später nachgehen. „Danke. Darf ich Fragen, ob Ihr und Elfwine euch nahe standet?"
Sie wich meinem Blick aus und seufzte. „Nein. Unsere beiden Pflichten haben uns einander entfremdet. Dennoch hatte ich bis zuletzt gehofft, dass er meinen Erben auch die Titel Rohans zuspricht."
Mit einem Schlag war meine Sympathie weg. Ich fühlte mich unsäglich hintergangen. „Darauf seid Ihr aus! Ihr habt den Tod meines Vaters ausgenutzt, um hierher zu kommen und meinen Kronrat auf eure Seite zu bringen!"
„Wenn Ihr glaubt, meine Absichten zu kennen, irrt Ihr." Sie hatte so leise gesprochen, dass ich mir zuerst nicht sicher war, ob ich es mir nur eingebildet hatte. „Ich bin hier als die Königin Gondors, als treue Gemahlin und Mutter! Wenn Ihr glaubt, wegen einem unbedeutenden Titel hätte ich diesen Weg auf mich genommen, dann irrt Ihr. Mein Gemahl trug der Prinzessin und mir auf, diesen. Tag als Grundstein für einen zukünftigen Frieden zu sehen." „Eindrucksvoll. Und wenn die Prinzessin, meine Cousine, auch eine abgesandte aus Minas Tirith ist, warum ist sie denn nicht hier?"
„Wie Ihr sicher wisst, halten viele um ihre Hand an. Ein äusserst vielversprechender Kandidat wird in diesen Tagen nach Minas Tirith kommen, um sie persönlich kennen zu lernen." „Nun." Zuerst wusste ich nicht, was ich auf diese seltsame Ausrede antworten sollte, dann kam mir eine Idee.
„Dann wünsche ich meiner werten Cousine alles gute. Wie froh ich doch darüber bin, dass meine eigene Verlobung so vortrefflich arragniert wurde."
Das hatte gesessen. Tariél ballte die Hände zu Fäusten, ihre hellgrünen Augen sahen mich scharf an. „Auch wenn Ihr Euch nun Königin von Rohan nennt, rate ich Euch, Eure Zunge zu hüten! Ihr versteht nichts, aber auch gar nichts von den Mächten, mit denen Ihr es zu tun habt." //Sie will mich nur einschüchtern.// „Und wenn Ihr so viel mehr von diesen Mächten versteht als ich, warum erzählt Ihr mir nicht einfach davon? Als eine Rohirrim kennt Ihr die Gepflogenheiten in Rohan."
Tariél seufzte und wischte sich eine blonde Haarsträhne aus den Augen, die sich unter ihrem Haarnetz gelöst hatte. „Wenn ich Euch einen Rat gebe, werdet Ihr dafür die Titel von mir und meinen Nachkommen wieder anerkennen?"
Ich hätte gerne gehört, was sie mir zu sagen hatte, doch ich konnte es nicht. Sie Stammte zwar aus Rohan, doch sie war durch ihre Hochzeit zu der Königin Gondors geworden, zu einer Feindin.
Darum ging ich in dieser Nacht ohne mich mit meiner Tante auszusprechen. Ich wusste nur, dass ich den Menschen in Gondor nie wieder Vertrauen schenken durfte, wenn ich meinen Thron behalten wollte.
Sienna
Mein Herz Klopfte mir so heftig im Hals, das ich befürchtete, alle anwesenden im Thronsaal könnten es hören.
Eldarion hatte sich noch nie dafür interessiert mich zu bestrafen, das war die Aufgabe meiner Gouvernanten oder meiner Mutter gewesen. Dieses Mal schien es aber anders zu sein. Ich hatte auf seine Anweisung hin die ganze Woche in meine Gemächern verbracht. Es wäre durchaus möglich, dass mein Vater einfach beschlossen hatte das Problem (also mich) bis zu der Rückkehr meiner Mutter aufzuschieben.
Im grossen und ganzen interessierte mich meine Strafe nicht. Auch wenn ich ihr einziges Kind und somit die Erbin des Throns war legte man nur begrenzt Wert auf meine Ausbildung.
Meine Überlegungen wurden beendet, als ich bis zum Ende des Raums sah, wo meine beiden Eltern auf mich warteten. Wie es das Protokoll verlangte, knickste ich tief und verharrte ungefähr eine Minute lang so. Kaum hatten alle anderen den Raum verlassen, gab Eldarion mir das Zeichen, aufzustehen.
„Welch eine schöne Überraschung, die eigene Tochter genau mal dort vorzufinden, wo sie sein sollte."
Diese zynische Bemerkung kam zu meiner Überraschung allerdings nicht von meiner Mutter, sondern von meinem Vater. Ich öffnete den Mund um etwas zu erwidern, Eldarion bedachte mich jedoch mit einem strafenden Blick, so schwieg ich.
„Sienna, du bist kein Kind mehr und trotzdem verhältst du dich wie eines. Ich muss nicht erwähnen, dass dein Verhalten den Ruf unserer Familie schädigt. Da du dich nicht einsichtig zeigst, haben deine Taten Konsequenzen. Der grosse Rat drängt mich seit einiger Zeit, dich zu verloben."
Ich merkte, wie mir das Blut in den Adern gefror. „Vater!" Tariél warf ihm eine vorwurfsvollen Blick zu. „Eldarion, ich bitte dich. Sie ist noch zu jung für einen Mann. Darüber haben wir schon mehr als einmal gesprochen. Verängstige sie doch nicht dermassen!"
Der König ergriff die Hand seiner Frau und lächelte sie an. „Wie du wünschst, mo leannan."
Dann wandte er sich wieder mir zu. „Mo nighean, du wirst Morgen nach Dol Amroth abreisen und dort in dem Haushalt von Fürst Elphirs Frau leben. Sie wird dich von einer ungezogenen Prinzessin zu einer zukünftigen Königin von Gondor machen. Wie ich hörte lebt ihre Tochter zur Zeit auch in der Stadt, es wird dir also nicht an guter Gesellschaft mangeln."
„Warum schickt Ihr mich fort Vater?", begehrte ich auf. Meine Heimat ist hier in Minas Tirith, nicht in Dol Amroth! Was soll ich in einer nach Fisch stinkenden Hafenstadt denn lernen? Netze flicken? Ich gehöre hier hin, an die Seite des Königs!"
Eldarion ignorierte meinen Protest gekonnt, in dem er sich erhob und meiner Mutter seine Hand anbot. Tariél warf mir einen entschuldigenden Blick zu, bevor sie die Hand ihres Mannes ergriff und ihm aus dem Saal folgte.
Am Abend...
Ich hatte mein Abendessen alleine in meinem Zimmer eingenommen und beobachtete die beiden bediensteten beim Packen meiner Sachen. Es war nicht vieles, was ich mitnehmen wollte. Ich hatte nicht vor lange in Dol Amroth zu bleiben. „Ich gehöre nach Minas Tirith.", sagte ich mir in Gedanken immer wieder. So wie ich Mutter kannte, würde sie nachher noch auf mein Zimmer kommen und mir sagen wie lang ich in dieser Stadt bleiben musste. Ich war erst einmal dort gewesen, aber ich konnte mich kaum noch daran erinnern. Es musste nach dem Tod von Fürst Elphir gewesen sein, wie lange war das her?
Mein Blick fiel auf meine Zofe, die gerade damit beschäftigt war, meinen Schmuck sicher in die grosse Holzkiste zu verstauen. „Rebekkah, komm bitte zu mir." Das Mädchen erstarrte kaum merklich, legte ihre Arbeit aber gehorsam nieder und kam die paar Schritte zu meinem Sessel, der neben dem Kamin stand und knickste. „Wie kann ich euch Dienen, meine Herrin?" „Man sagte mir, du seist gut gebildet, stimmt das?"
Ihre rehbraunen Augen weiteten sich bei dieser Frage überrascht, sie nickte leicht. „Als wir noch einen Marktstand hatten hebe ich oft mit Reisenden gesprochen, so konnte ich ein wenig über die Geschehnisse ausserhalb der Stadt erfahren." Etwas unsicher fügt sie hinzu: „Nicht das Minas Tirith nicht interessant genug wäre meine Herrin. Es war einfach so faszinierend..."
„Geschichten über Orte zu hören die weit entfernt sind, das ist mir auch klar.", fiel ich ihr ungeduldig ins Wort. „Aber sag mir, wie lange ist es her das Fürst Elphir gestorben ist?"
„Wenn ich mich recht erinnere war das im Jahre 57 des Vierten Zeitalters, also vor Neun Jahren. Seither ist sein Sohn Alphros der Fürst von Dol Amroth. Seine Schwester Ivrinel ist die Herrin über Ithilien."
„Und weisst du, ob Fürst Alphros verheiratet ist?" „Nein, das weiss ich nicht. Aber falls Ihr es wünscht könnte ich das sicher für Euch in Erfahrung bringen." „Nein, nicht nötig. Ich werde es schon erfahren wenn ich ihn sehe.", sagte ich nachdenklich. „Was wirst du tun während ich in Dol Amroth bin?" „Ich werde meiner Mutter dem Markt helfen, Mylady. Und wenn Ihr heimkehrt werde ich Euch erwarten."
„Ich habe eine bessere Idee. Rebekkah, du bist meine erste Zofe. Komm mit mir nach Dol Amroth."
Eigentlich war ich schon immer der Meinung gewesen, dass das Dienstmädchen ungesund blass war, allerdings bewies sie mir just in diesem Moment das Gegenteil. Ihr wich alle Farbe aus dem Gesicht, sie sah wie ein verängstigtes Tier zu mir auf. „Meine Herrin, ich fühle mich geehrt, aber ich kann nicht von Minas Tirith fort! Meine Familie braucht mich hier. Mein Bruder ist ein Rekrut in der Armee, bis er zum Soldat ausgebildet ist muss ich einen Teil seiner Aufgaben übernehmen. Meine Schwestern sind noch zu klein um Mutter auf dem Markt zu helfen. Bitte, trennt mich nicht von meiner Familie meine Herrin!"
Ich konnte das Mädchen verstehen. König Elessar hatte einige Jahre nach dem Ringkrieg eine Wehrpflicht für jeden tauglichen Mann eingeführt. Diese bedeutete für jeden Mann das er sein siebzehntes Lebensjahr in der Armee verbrachte. Der Vorteil in dieser Strategie war ganz klar, das Gondor jederzeit für einen Angriff gewappnet war. Für viele Familien bedeutete es aber auch ein Jahr in Armut. Der Rekrut verdiente während seiner Ausbildung zwar seinen Sold, aber das Einkommen reichte oft nicht aus, um der Familie etwas abzugeben. Der Rat versuchte schon lange diesen Misstand zu verbessern, das hatte mir Eldarion einmal erzählt. Soweit ich mich aber erinnern konnte, fehlte Gondor nach dem Krieg und dem Wiederaufbau der Stadtmauern schlicht das Geld um die Rekruten besser zu entlohnen.
Ich konnte das zwar nicht ändern, aber ich war fest entschlossen meine Zofe mit nach Dol Amroth zu nehmen. Sie war für mich das, was einer Freundin am nächsten kam.
„Geh zum Oberstallmeister und sage ihm, ich hätte dich geschickt. Er soll deiner Familie während deiner Abwesenheit zwei Stallburschen zur Verfügung stellen. Deiner Familie soll es an nichts mangeln während du in den Diensten der Krone stehst."
„Mylady, das ist so grosszügig von Euch, ich..." Ich winkte ab. „Geh und steh Morgen früh bereit."
Ich sass vor dem Spiegel und bürstete meine dunkelbraunen Haare, die mir bis zum Ellbogen reichten. Die restlichen Dienstmädchen hatte ich kurz nach Rebekkah weggeschickt. Normalerweise bürstete eine der Zofen meine Haare vor dem zu Bett gehen, die andere bereitete meine Kleider für den nächsten Tag vor. Morgen würde ich kein aufwendiges Kleid für einen Empfang oder eine sonstige Veranstaltung brauchen, nur mein Reisekleid und die dazugehörige Haube. Fast schon konnte ich die tadelnde Stimme meiner Gouvernanten hören: „Es ziemt sich für eine Frau adeliger Abstammung nicht, sich ohne Kopfbedeckung in die Öffentlichkeit zu begeben." Sie war jedes Mal hochrot angelaufen und mir Stundenlang Vorträge darüber gehalten, wie wichtig ein gutes Benehmen für die Thronfolgerin war wenn sie mich ohne Haube erwischt hatte.
„Mo nighean?" Meine Mutter trat ein und setzte sich auf meine Bettkannte, so dass ich sie hinter mir im Spiegel sehen konnte. „Ich möchte dich nicht gehen lassen, ohne mit dir gesprochen zu haben. Du wirst dich schnell einleben, Fürst Alphros und seine Familie sind enge Freunde von uns. Du wirst viel lernen können." „A màthair. Spar dir deine Belehrungen bitte. Wie lange soll ich dort bleiben?" „Das steht noch nicht fest. Eldarion wird dich nach Minas Tirith holen wenn er davon überzeugt ist, das du gelernt hast was es bedeutet, die Thronfolgerin zu sein."
„Und was bedeutet es? Mutter, ich bin wichtig genug um hier im Palast zu leben und nicht ohne eine Leibgarde raus zu dürfen, aber nicht wichtig genug um an die Krönung dieser... Prätendentin reisen zu dürfen?"
Tariél seufzte und entledigte sich der rundlichen Haube, ihre blonden Haare fielen ihr darauf über die Schulter. Die Abneigung gegen die grossen Kopfbedeckungen war eines der wenigen Dinge, die wir gemeinsam hatten. „Es war weder meine noch Eldarions Entscheidung das ich nach Meduseld geschickt wurde. Der Rat hat mich als Zeichen dafür das Gondor eine Nachkommin Arnors auf dem Thron Rohans akzeptiert gesendet. Damit ganz Mittelerde weiss, das wir keinen Anspruch erheben. Alyndra ist die Regentin über Arnor, Celebrian die Königin von Rohan."
Diese Meinung teilte ich zwar nicht, aber meine Neugier siegte schlussendlich über meinen Missmut. „Erzählst du mir von ihr, a màthair? Die Bediensteten erzählen sich sie sei so schön wie eine der Eldar."
„Königin Celebrian kommt ganz nach ihrer Mutter. Sie denkt das sie machen kann was sie will, weil sie den Titel Königin trägt. Aber Elfwine war kein Narr. Sie wurde noch vor der Krönung mit einem gewissen Théodred verheiratet. Er stammt aus einer alten Familie von Rohan, seine Vorfahren haben dem König treu gedient. Er hat eine handvoll Männer in der Armee, die ihm direkt unterstellt sind..." Kopfschüttelnd fügte sie hinzu: „Eine gute Wahl, aber Alyndra hätte sicher einen Mann mit Titel für ihre Tochter ausgesucht der sie in der ersten Krise verrät."
„Mutter! Ihr weicht vom Thema ab! Wie sieht sie aus?" „Sie ist gross und schlank, wie du. Sie hat Saphirblaue Augen, wie ihre Mutter. Ihre Haut ist leicht gebräunt, das hat sie sich von den Rohirrim abgeschaut. Ihre Haare sind ihr aussergewöhnlichstes Merkmal, sie sind kupferrot."
„Kupferrot? Weder Alyndra noch Elfwine hatten rote Haare soweit ich weiss. Ist sie ein Bastard?" „Sienna, Achte auf deine Worte!" Mutter sah mich entsetzt und tadelnd an. „Die Haarfarbe hat nichts mit der Abstammung zu tun, ausserdem würde es sogar eine Prinzessin aus Arnor niemals wagen, ihren Mann zu hintergehen."
„Aber...", versuchte ich erneut einen Einwand zu erheben.
„Schweig! Deine lasche Zunge wird eines Tages noch dein Untergang sein! Rohan und Arnor sind unantastbar, das hat man uns gerade erst beweisen. Mittelerde erlebt endlich etwas Frieden, dafür solltest du dankbar sein!"
Sie seufzte, nahm ihre Haube und wandte sich zum gehen. „Deine Zeit wird kommen, mo nighean, aber sie ist noch nicht jetzt. Ar righinn oig, fas as faic. Do thir, dileas fhein!" *
Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, murmelte ich leise: „Naoidhean bhig, ar righinn og..." **
Übersetzung von Gàidhling ins Deutsche
*Junge Lady, wachs und sieh dein Land, dein eigenes, treues Land!
** Kleines Baby, unsere junge Lady
Frühling 66 V.Z
Ich tauchte meinen Federkiel in die Tinte und schrieb folgendes nieder:
„Rohan, eine Woche nach meiner Krönung. Wo soll ich anfangen? Die dringlichsten Geschäfte und Abkommen sind dank dem Kronrat erledigt worden. Königin Alyndra, eigentlich sollte ich sie jetzt nur noch Königin Mutter nennen, wurde erneut als Regentin von Arnor proklamiert. Der Grund dahinter ist wie mir zugetragen wurde, sowohl einfach wie auch weitsichtig. Arnor wird somit auch nach dem Tod meines Vaters von Rohan als eigenständiges Königreich anerkannt.
Für den Fall das Gondor wie schon so oft in meiner geliebten Heimat einfallen sollte, wird Rohan Arnor unterstützen. Ausserdem wird so auch die Botschaft übermittelt, das meine Mutter nach dem Trauerjahr nach einem geeigneten Mann suchen wird. Wir alle wissen zwar, dass dies vom Kronrat in Fornost entschieden wird, aber es ist laut meinen Beratern wichtig, diese Zeichen schon jetzt zu senden.
Wie auch meine Mutter, ist Lady Tariél ist abgereist. Ihr Mann wird über ihren Misserfolg als Botschafterin nicht erfreut sein, aber das ist nicht mein Problem. Genug der Politik, davon bekomme ich Kopfschmerzen."
Nachdenklich fügte ich an:
„Théodred besucht mich jeden Abend, ich bete für einen Erben. Die Menschen in Rohan huldigen Eru anders als es in Arnor üblich ist. Mir ist ihre Bezeichnung leider entfallen, vielleicht erinnere ich mich später daran."
Kaum hatte ich mein Tagebuch geschlossen, klopfte es und Théodred betrat mein Zimmer. „Störe ich, Mylady?" „Überhaupt nicht, mein Gemahl. Ich hatte euch nur nicht so früh erwartet. Lasst mich nur rasch meine Haube ausziehen, dann bin ich bereit." Ich griff mechanisch nach den Haarnadeln die meine Haube befestigten, doch Théodred war schneller und hielt mich davon ab, in dem er meine Hände in seine nahm. „Lasst das. Ich bin nicht dafür hier." Ich drehte mich etwas erschrocken zu ihm um und fragte: „Seid Ihr meiner schon jetzt überdrüssig geworden? Sagt mir, was ich falsch gemacht habe und ich verspreche Euch, das ich mich bessern werde!"
Er runzelte die Stirn und begann dann zu meiner Überraschung an zu lachen. „Für was für eine Art Mann haltet Ihr mich, meine Gemahlin? Ein Mann der herumhurt, obwohl er eine Frau hat, die auf ihn wartet ist ein Narr. Ein Mann der eine Königin hintergeht hingegen ..." Seine Hände legten sich auf meine Schultern. „Ist ein todgeweihter Narr." Ich lachte leise und sah zu ihm auf. „Was führt Euch denn nun zu mir?" „Es scheint mir, dass Ihr seit der Abreise der Königin Mutter etwas einsam seid.", erwiderte er beinahe gleichmütig auf meine Frage.
Damit hatte er recht. Ich hatte niemanden hier in Edoras. Mein Gefolge war mit Mutter nach Fornost zurückgereist und meine Bediensteten waren zum Grossteil die gleichen Leute, die Alyndra hier als Königin gedient hatten. „Warum seid Ihr bei mir, wenn Ihr nicht das Bett mit mir teilen wollt?" „Sagt Euch der Begriff Beltanie etwas?" „Das Fruchtbarkeitsfest, das gemeine Volk nennt es auch gerne den Frühlingsanfang. Es ist heute, nicht? Ich habe die Bediensteten darüber reden hören." „Darauf wollte ich hinaus. Ich würde Euch gerne darum bitten, daran Teilzunehmen. Ihr seid nun die Königin, das Volk sollte Euch sehen."
Es behagte mir nicht, an diesem Rytus teilzunehmen. Ich kannte die Geschichten um diesen Ort nur zu gut. Diejenigen über die Steine hatten mir während den Studien über Rohan beinahe am besten gefallen. Am liebsten waren mir die zahlreichen Sagen über die Elben gefallen, laut denen die Elben diesen Ort mit einem Zauber belegt hatten.
Trotzdem stieg ich noch vor Mitternacht zusammen mit meinem Gemahl und meiner Leibgarde auf den Creagach na beatha, den mein Vorfahr König Théodred nach der Schlacht um Helms Klamm hatte errichten lassen. Kaum hatte ich den Anstieg bewältigt, war ich einen Moment lang geblendet vom Feuerschein. Soweit ich Blicken konnte, waren in regelmässigen Abständen vier grosse Feuer errichtet worden. Darum hatten sich grosse Menschenmengen gebildet. Als ich mich langsam auf das Zentrum des Geschehens zubewegte, folgten mir die Blicke der Anwesenden, hier und da wurde etwas gemurmelt. Die Maitanne ragte in der Mitte der vier Feuer in den Himmel Empor. „Ein schlanker Stamm", ging mir überrascht durch den Kopf. Noch überraschter war ich, als mir vier Frauen entgegeneilten und vor mir auf die Knie fielen.
„Banrìon Celebrian! BanrÌon Celebrian!" Eine meiner Wachen sah das Ausbleiben einer Reaktion meinerseits wohl als Aufforderung den Weg Frei zu machen und ging einen Schritt auf die Frauen zu.
„Nein." Meine Stimme klang fest und klar.
„Lasst sie." Théodred nickte dem Mann zu, worauf der Mann wieder hinter mich trat.
„Erhebt euch. Heute Nacht feiern wir als ein Volk, nicht als Herrin und Diener."
Die Frauen gehorchten, sahen mir aber nicht in die Augen. Ihre Blicke waren auf den Boden gerichtet. „Wenn ihr mir sagen würdet, weshalb ihr zu mir gekommen seid?", setzte ich ungeduldig an. Es war schliesslich die kleinste der vier, die das Wort ergriff. „A banrÌon Celebrian, Ihr und Euer Gemahl erweist uns eine unsagbare Ehre, indem Ihr zu diesem Fest erscheint. Heute Nacht verkörpern wir bei der heiligen Zeremonie die vier Jahreszeiten. Würdet Ihr uns die Ehre erweisen und den Baum der Fruchtbarkeit segnen?"
„Den Baum der Fruchtbarkeit?", wiederholte ich an Théodred gewandt. Die Sprache Rohans war der von Arnor ähnlich, doch reichte mein Wissen nicht aus, um diesen Zusammenhang zu verstehen. „Die Maitanne", sagte er und deutete darauf. „Der Legende nach bringt es eine reife Ernte und einen milden Winter, wenn die Königin sie segnet." Ich nickte und sah etwas kritisch zu der Tanne herüber. Sie stand ziemlich genau in der Mitte eines Steinkreises, was im klaren Licht des Vollmondes sowohl wunderschön wie auch furchteinflössend auf mich wirkte. Ich wusste zwar nicht, was bei der Segnung eines Baumes gesagt werden sollte, aber das konnte kaum von belang sein, oder?
Wenig später fand ich mich vor besagter Tanne wieder und hoffte, das man meine Stimme auch hören würde. So laut ich konnte rezitierte ich einen kurzen Segen auf Gàidhling:
„Am fear nach dèan cur sa Mhàrt, cha bhuain e san Fhoghar.
Gum fosglach dorus na bliadhna ùire chum sìth, sonas is sàmchair.
Gun cuireadh do chupa thairis le slàinte agus sonas.
Gum biodh ràth le do thurus.
Deagh-bheus, slàinte agus beartas!"
Wer im März nicht säht, wird im Herbst nichts ernten
Möge dir die Tür des kommenden Jahres den Weg zu Frieden, Glück und stillem Zufriedensein öffnen.
Möge Eru dich und die deinen Segnen.
Tugend, Gesundheit und Glück!
Ich hatte meine Augen geschlossen, während ich die Worte gesprochen hatte. Mir war dank der Feuer um mich herum angenehm warm, die Worte meiner Muttersprache erfüllten mich zusätzlich mit Stolz. Die Slàinte! Rufe der anwesenden hörte ich kaum. Zum ersten Mal seit meiner Krönung fühlte ich mich wahrhaftig wie die Banrìgh Celebrian, die rechtmässige Königin von Rohan.
Wie jeder schöne Augenblick verflog auch dieser viel zu schnell. Ich zog mich etwas zurück, um den vier Frauen von vorhin Platz zu machen. Sie waren nun in schmucklose weisse Kleider gehüllt und trugen einen Schleier über ihren Haaren, jede hatte eine Laterne in der linken Hand.
Sie schritten langsam in den Steinkreis, die Hand mit der Laterne in die Mitte gerichtet, die andere gen Himmel. Sie knicksten anmutig, gingen einige Schritte weiter und knicksten erneut. Dieses Ritual wiederholten sie vier mal, darauf ging alles sehr schnell. Sie schritten leichtfüssig um jeden der Steine, die Laternen unbeirrt in der Hand, dann fassten sie sich an den Händen und umkreisten zuerst die Tanne, dann die Steine mit fliessenden Bewegungen. Sie hätten lächerlich aussehen sollen, aber so war es nicht. Ich beobachtete das geschehen gebannt.
Eine der Tänzerin trennte sich von den anderen dreien, jedoch ohne die Energie?, frage ich mich verwundert, des Rituals zu stören. Sie drehte sich zur Maitanne und sprach einige Worte in einer fremden Sprache. In dem Moment in dem sie verstummte, drehten sich die anderen zu ihr und hielten die Laternen ebenfalls in Richtung der Tanne.
Vielleicht lag es an der warmen Luft oder dem Vollmond, aber ich wusste, das ich in diesem Augenblick einen Ruck unter meinen Füssen spürte. Was es auch sein mochte, es kam nicht von den versammelten Menschen. Mein Herz schlug mir vor Schreck bis zum Hals. Panisch griff ich nach Théodreds Arm, doch da war nichts. Ein Geräusch schien in meinem Kopf entstanden zu sein, ein lautes Summen. Es schwoll zu einem regelrechten dröhnen an, bis es kaum mehr zu ertragen war. Ich schrie auf, doch es kam kein Ton aus meiner Kehle. Ein paar Hände hielt mich fest, von scheinbar weit weg meinte ich meinen Namen zu hören.
Das dröhnen endete abrupt. Ich merkte nicht mehr, das ich zu Boden sank, es kümmerte mich nicht. Es herrschte nur noch die seelige stille die auf das dröhnen folgte.
03. Juni, Jahr 66 V.Z
Der ganze Hof war in heller Aufregung. Die Nachricht meiner Schwangerschaft hatte sich schon jetzt wie ein Lauffeuer verbreitet. Théodred hatte gleich am Morgen den Kronrat einberufen. Heute würden sie mir und meinem ungeborenen Sohn die treue schwören. Ich schritt aufgeregt durch die Goldene Halle, zwei von Mutters Zofen hinter mir. Noch war der Raum leer. An den Wänden hingen die Banner von Rohan, hinter dem Thron das Wappen Arnors. Ich liebte diesen Anblick und dachte fröhlich: « Gondor versucht schon so lange sich Arnor anzueignen, doch wir werden das nicht zulassen. Durch diese Allianz mit Rohan haben wir unsere Unabhängigkeit endgültig erlangt. » Ich wandte mich schmunzelnd an meine Begleiterinnen.
« Eine Prinzessin aus Arnor, der zu allem übel auch noch der Thron von Rohan zusteht. Die adeligen in Gondor müssen gerade so vor Wut schäumen, denkt ihr nicht auch, Beywyn? » Die Frau zögerte, antwortete dann aber: « Mylady, ihr wisst das es nicht ratsam ist, in aller Öffentlichkeit so zu sprechen. » « Wir sind aber unter uns, ausserdem ist es kein Geheimnis. Gondor ist erneut gescheitert. Arnor ist und bliebt ein eigenständiges Königreich. Und heute werden wir das Leben feiern. Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder zu tanzen!»
Aus einem plötzlichen Instinkt packte ich die andere Zofe, Dúnwyn an den Händen und drehte mich übermütig mit ihr durch die Halle. Dies würde mein Tag sein.
Ich liess die Zofe schliesslich wieder los und sang das Lied, das der Hochzeit meiner Mutter gewidmet war:
« Zum ersten Mal seit Ewigkeiten wird Musik spiel'n, Lichter strahl'n!
Und zum ersten Mal seit langem wird' sie tanzen durch den Saal! Heut' Nacht wird' sie wunderschön ausseh'n! Witzig, charmant, ihr werdet seh'n! Ein Bild von Anmut und von Lieblichkeit! »
« Gun dìonadh sibh Dia agus an taigh leotha! »
Ich war so in meine träumereien versunken gewesen, das ich mich fürchterlich erschrak, als die Ratssitzung mit diesen Worten begann. Lord Ruthven, der königliche Schatzmeister, war der erste, der vor mir niederkniete. « Ich schwöre beim Namen Eru, des Allmächtigen, der Verfassung Rohans treu zu sein, die Rechte, die Freiheit und die Unabhängigkeit des Volkes und der Bürger zu ehren, nach allen meinen Kräften alles zu vermeiden und zu verhindern, was die Religion unserer Väter und die guten Sitten beeinträchtigen könnte, das Amt, das ich bekleide, nach bestem Gewissen zu verwalten und niemals meine Amtsbefugnisse zu überschreiten. Möge Gott mir helfen, diese Verpflichtungen gegenüber meiner Königin und ihrem Erben zu erfüllen."
Jedes der Ratsmitglieder wiederholte dieses Gelübde. Ich bemühte mich konzentriert zu wirken, aber meine Gedanken schweiften immer wieder ab. Sollte mein erstes Kind wirklich ein Junge sein, würde das die Position von Rohan und auch Arnor festigen. Ich machte mir keine falschen Hoffnungen. Mein Sohn würde nicht mir, sondern den Königreichen von Rohan und Arnor gehören. Meine Position wäre dafür deutlich gestärkt. Was konnte Gondor dann schon ausrichten? Meine Cousine war noch nicht mündig und auch nicht verheiratet.
Es hiess, sie sei widerspenstig und widersetze sich sogar König Eldarions befehlen. Ausserdem ging das Gerücht um, das sie die Gunst ihres Vaters verloren hatte und er sie für eine unbestimmte Zeit nach Ithilien geschickt hatte. Das war mir nur recht. Wenn Eldarion damit beschäftigt war, einen Mann für die Prinzessin Gondors zu suchen, profitierten Rohan und Arnor davon. Ich würde bald einen Thronfolger zur Welt bringen und war noch jung genug, um weitere Kinder zu gebären. Damit war die Linie gesichert. Und was sollte Gondor dagegen machen können? Sie würden keinen Krieg riskieren, solange ihrem eigenen Thron die Erben auszugehen drohten. Meine Regentschaft war also vorerst sicher.
Diesen Abend speiste ich mit den Sechs Mitgliedern des Kronrats. Mein Gemahl war nicht anwesend, er würde sich in der früh zu einem Treffen der Eorlingas aufmachen. „Lord Darnley?" Der ältere Mann, der links von mir sass, wandte sich mir zu. „Eure Majestät, wie kann ich Euch dienen?" „Ihr seid ein Rechtskundiger Mann. Ich wollte Euch etwas fragen. Wie Ihr sicher wisst, war such die Königin von Gondor an meiner Hochzeit anwesend. Sie hat mich gebeten, ihren Nachkommen Adelstitel von Rohan zu geben. Warum war ihr das so wichtig? Meine Base Sienna wird doch gewiss die Kronprinzessin von Gondor sein, sofern kein Sohn geboren wird?"
Die freundliche Miene des Mannes wurde ernst. „Ihr habt Recht, Lady Sienna ist die Kronprinzessin, sofern das Königspaar keinen Sohn zeugt. Wie Ihr aber sicher wisst, ist eine weibliche Thronfolgerin nicht üblich. Ich kann Euch die Gründe von Königin Tariél nicht zweifellos nennen. Allerdings denke ich, dass sie damit hauptsächlich in Erinnerung rufen will, dass sie und auch ihre Tochter ein entferntes Recht auf Euren Thron hat."
Mir drehte sich schlagartig der Magen um. Ich stützte mich auf den Tisch und brauchte einige Zeit, bis ich mir einigermassen sicher war, dass der Schwindel überstanden war. Ich kam mir unsäglich dumm vor. Eigentlich hatte ich das alles gewusst, es hätte mich nicht überraschen dürfen. Ja, ich hatte unseren Stammbaum gekannt. Mir war nur nicht klar gewesen, wie angreifbar ich war. Ja, ich war in Guter Hoffnung und würde wahrscheinlich ein gesundes Kind gebären. Doch auch ich wusste, dass viele Frauen das Kindbett nicht überlebten. Und wenn sowohl ich, wie auch das Kind sterben würden? Alleine der Gedanke daran verursachte wieder Übelkeit in mir.
als ich mich wieder gefasst hatte, wandte ich mich wieder an Lord Darnley, der ebenfalls blass geworden war. Ich liess ihn aber gar nicht erst zu Wort kommen.
„Darum also sind unsere Länder verfeindet. Sollte ich sterben, wird Gondor Rohan annektieren. Und ist das erst vollbracht, ist auch Arnor verloren."
17. März, Jahr 67 V.Z
Im Leben einer Königin war nichts Privat. Das war mir jetzt mehr bewusst als je zuvor. Der Raum war zum bersten voll. Nicht nur mit den Hebammen und diversen Bediensteten, sondern auch mit Mitgliedern des Kronrats.
Die Geburt des Thronfolgers von Rohan und Arnor musste vor Zeugen stattfinden. Was für eine Ironie es doch war! Den ganzen letzten Monat hatte ich gemäss Protokoll strenge Bettruhe in einem stickigen, abgedunkeltem Raum einhalten müssen. Nur meinen vier Zofen hatte man den Eintritt gewährt.
Und jetzt, wo ich entblösst und schwitzend in meinem Bett lag und unvorstellbare Schmerzen erlitt, war der halbe Hofstaat um mich versammelt. Wie lange ging das schon? Eine Stunde? Fünf Stunden? Ich wusste es nicht. Schliesslich presste ich auf Anweisung der Geburtshelferin noch einmal mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte. Der Schmerz schien viel stärker zu sein als alles, was mein Körper aushalten konnte. Ich schrie und war mir sicher, dass ich gleich sterben würde.
Dann endlich war mein Kind da. Ein Raunen ging durch die Menge. Die Hebammen machten sich eilig daran, das Neugeborene zu säubern. Einen fürchterlich langen Moment war es still. Gerade als mich die Angst erfasste, wurde diese Stille aber durch den unverkennbaren Schrei eines Neugeborenen durchbrochen. Ich liess mich erschöpft in mein Kissen fallen. Es war geschafft!
Die Hebamme wickelte das Kind in ein besticktes Tuch mit dem Wappen Rohans und reichte mir das kleine Bündel. Ich wusste, was jetzt von mir erwartet wurde. Ich sollte der Welt meinen Sohn zeigen, den Thronfolger. Aber die Welt konnte warten. Einen langen Moment hatte ich nur Augen für meinen Sohn. Er war wunderschön. Er hatte gleichen dunkelbraunen Augen wie Théodred, mit denen er mich neugierig ansah. „Halò, a balach.", sagte ich liebevoll und berührte seine winzige Hand mit meiner. Dann riss ich meinen Blick von ihm los und schaute die versammelte Menge stolz an.
"Dhia glèidh prionnsa Alaisdair!" (Gott schütze Prinz Alasdair)
18. April, Jahr 67 V.Z
Als ich in das helle Licht der Sonne trat, waren die zwei Monate, die ich in dem finsteren Raum verbracht hatte, beinahe vergessen. Ich hatte in den frühen Morgenstunden den mütterlichen Segen empfangen und war somit wieder in der Gesellschaft aufgenommen. Théodred war der erste, der mich begrüsste.
„Mo bean, mo banrigh! A dhia glèidh a' Bhanrig!" (Meine Frau, meine Königin! Gott schütze die Königin)
Es wurde ein Fest, wie es Rohan seit dem Ende des Ringkriegs nicht mehr gesehen hatte. Mich aber interessierten die ganzen Würdenträger und anderen Gäste an diesem Tag nicht. Sollte sich der Kronrat darum kümmern.
Ich verbrachte jede freie Minute in der Kinderstube bei meinem Sohn. Ich war überzeugt davon, dass er schon jetzt Théodred sehr ähnlich sah. Nur seine hellen Haare schimmerten rötlich, genau wie meine. Ich hatte ihn seit der Geburt nicht mehr sehen dürfen und verfluchte das Protokoll einmal mehr für seine ganzen Regeln. „Mylady?" Eine Zofe reichte mir einen Brief mit dem unverkennbaren Siegel meiner Mutter. Ich entliess sie mit einem Wink und setzte mich auf eine Bank, um zu lesen.
„Meine geliebte Tochter! Ich kann kaum in Worte fassen, wie glücklich mich deine Nachricht gemacht hat. Ein Prinz war genau das, was Rohan gebraucht hat. Auf diese Leistung kannst du stolz sein. Aber ich warne dich, wähne dich jetzt nicht in falscher Sicherheit! Bete täglich zu Eru für die Gesundheit von Prinz Alasdair. Und lass deinen Gemahlen dich so bald wie möglich wieder in dein Bett. Mit diesem Sohn beginnt es erst. Du musst auch an Arnor denken, dein zweitgeborener wird über das Land deiner Geburt herrschen wenn ich nicht mehr bin. Es braucht einen Erben und einen Ersatz, für beide Königreiche. Ich weiss, das ist viel verlangt. Aber Arnor muss ein eigenständiges Königreich bleiben, egal wie hoch der Preis auch sein mag. Vergiss das nie, mein teures Kind.
PS: Der Tratsch an deine Krönung war mehr als nur etwas Unterhaltung. Als König Eldarion noch jünger war, hat er viel Zeit mit einer Elbin verbracht. Sie reist oft durch Mittelerde und bald werde ich sie in Fornost empfangen. Und wer weiss, vielleicht auch du in Meduseld?"
Ich las den Brief sicher fünf Mal durch, und mit jedem Mal wurde ich wütender. Schliesslich zerknüllte ich das Papier, schmiss es in den Kamin und sah mit einer gewissen Befriedigung zu, wie das Schriftstück verbrannte. Das war so typisch für meine Mutter! Mein Sohn und Erbe war gerade erst einen Monat alt und schon rügte sie mich, ich solle Kinder bekommen. Was bildete sie sich ein? Dass Kinder auf Bäumen wachsen? Strenggenommen war sie an dem jetzigen Dilemma auch mitschuldig. Wenn sie und mein Vater nicht so viele Jahre getrennt verbracht hätten, gäbe es neben mir vielleicht immerhin eine Schwester, die die Thronfolge in Arnor sichern könnte.
Allerdings änderte meine Wut nichts daran, dass meine Mutter recht hatte. Mit einem einzigen Sohn war meine Aufgabe noch nicht erfüllt. Niemand wusste, ob er seine ersten Jahre überleben würde, oder später einen tödlichen Unfall haben würde. Daran konnten alle Gebete der Welt nichts ändern. Ich würde also meinem Mann noch eine sehr lange Zeit in meinem Bett empfangen müssen, dachte ich seufzend. Der Akt an sich war nicht unangenehm oder gar schmerzhaft, ich störte mich lediglich daran, was für eine Sauerei es jedes mal war. Ich hasste das klebrige Zeug auf dem Bettlaken und zwischen meinen Beinen.
Trotzdem empfing ich meinen Ehemann diesen Abend wieder in meinem Bett, denn ich hatte eine Pflicht zu erfüllen...
Mai, Jahr 67 V.Z
Sienna
Ich hatte mich schneller in Dol Amroth eingelebt als erwartet. Die Stadt war um einiges kleiner als Minas Tirith, aber definitiv nicht weniger aufregend. Dol Amroth lag auf einer gebirgigen Halbinsel am südwestlichen Küstenstreifen von Gondor, unweit von Belfalas. Nördlich der Stadt lagen die Bucht Cobas Hafen, sowie der ehemalige Elbenhafen Edhellond. Fürst Alphros persönlich hatte mich diese Dinge gelehrt. Er war der 24. Fürst der Stadt und regierte diese bereits seit zwanzig Jahren.
Bald würde es eine Feier zu diesem Jubiläum geben. Er selber würde diese Feier wohl am liebsten nie ausrichten, denn es wurde von ihm erwartet, dass er zu diesem Anlass auch seine Verlobung mit einer neuen Frau bekanntgeben würde. Seine Frau war vor einem Jahr im Kindbett verstorben, und der Stadtrat drängte ihn, sich erneut zu vermählen.
Der Gedanke daran machte mich jedes mal unruhig. Ich hatte mich an das Leben hier gewöhnt und war mir ziemlich sicher, dass die neue Frau des Fürsten die Freundschaft zwischen ihrem Gemahl und mir nicht billigen würde. Das war aber nicht meine einzige Sorge. Meine Cousine hatte nach einem knappen Jahr auf dem Thron schon einen Sohn geboren. Somit war der Anspruch meiner Mutter auf den Thron Rohans praktisch nichtig. Selbst wenn das Kind jung sterben sollte, würde Celebrian sicher alles daran setzen, weitere Erben zu zeugen.
Schliesslich würde es in Arnor auch eines Tages einen anderen Herrscher brauchen als die Königswitwe Alyndra. Und wenn es nach meinem Vater ginge, würde er das sein. Ich konnte mir einfach nicht erklären, was er sich von diesem zusätzlichen Gebiet für Vorteile erhoffte. Arnor hatte vor vielen Jahrhunderten zu Gondor gehört und sich dann abgespalten. Wahrscheinlich wäre diese Unabhängigkeit schnell beendet worden, wenn die Könige von Arnor es nicht immer wieder geschafft hätten, Bündnisse mit Rohan zu schliessen.
Schliesslich schob ich meine Gedanken entschlossen beiseite und machte mich auf den Weg in die Bibliothek. Alphros hatte um eine Privataudienz gebeten und man sollte seinen Gastgeber nicht warten lassen. Als ich wenig später in den kleinen, aber hellen Raum eintrat, fand ich den Fürsten am Schreibtisch, über einen Stapel Papiere gebeugt vor. Als er mich hörte, sah er lächelnd hoch. „Ah, Prinzessin Sienna, schön seid Ihr hier!" Ich knickste höflich und setzte mich auf seine Gehste hin auf einen der beiden braunen Ledersessel. Der hochgewachsene Mann mit den dunkeln Haaren setzet sich in den anderen Sessel mir gegenüber und wirkte auf ein Mal angespannt. „Wie Ihr ja bereits wisst, drängt man mich darauf, bald wieder zu heiraten. Darum wollte ich mit Euch sprechen."
Das überraschte mich nicht besonders, trotzdem wurde ich nervös. „Wenn Ihr wollt, dass ich abreise, dann verstehe ich das natürlich.", brachte ich nur mühsam beherrscht raus. Ich wollte hier nicht weg. Und vor allem wollte ich nicht zurück nach Minas Tirith.
Alphros unterbrach mich mit einer raschen Handbewegung. „Eben genau das ist es ja. Bitte hört mich an, Prinzessin. Die Ehe zwischen mir und meiner Frau war arrangiert, trotzdem haben wir uns mit der Zeit kennen und jedenfalls ich sie auch lieben gelernt. Als Witwer widerstrebt es mir, mich noch einmal auf eine Verbindung einzulassen. Als Fürst aber kenne ich meine Pflichten. Darum möchte ich Euch, Sienna, bitten, mich zu ehelichen."
Ich starrte ihn ungläubig an. „Mich? Aber... Ich... Ich fürchte ich verstehe nicht ganz." Alphros nahm meine Hände und sah mir eine Weile tief in die Augen, als würde er darin nach etwas suchen. „Ihr seid noch sehr jung, und eines Tages werdet Ihr über ein grosses Königreich herrschen. Dazu braucht Ihr den passenden Mann an Eurer Seite. Wenn Ihr mich wählt, habt ihr einen Freund an Eurer Seite, was sicher besser ist, als einen fremden. Ausserdem könntet Ihr Dol Amroth zu Eurem Sommersitz machen, das würde der Stadt zu Aufschwung verhelfen."
Meine Gedanken rasten. Alphros Vorschlag war Vernünftig, das wusste ich. Ausserdem kannte ich den Fürsten mittlerweile gut genug um zu wissen, dass seine Mutter ihn auf diese Idee gebracht hatte. Ich bewunderte diese Frau. Sie war eine strenge Lehrerin, aber sie hatte noch nie die Stimme oder gar die Hand gegen mich erhoben, wenn ich mir etwas nicht hatte merken können. Wenn also seine Mutter der Meinung war, dass eine Verbindung zwischen dem Fürsten und mir vorteilhaft war, dann würde das wohl auch so sein. Ausserdem dachte ich mir: Besser der Teufel, den man kennt, als der, den man nicht kennt.
Schliesslich atmete ich tief durch. „Ich kann Eure Beweggründe verstehen, sie scheinen auch mir sinnvoll zu sein. Deshalb nehme ich Euren Antrag gerne an. Aber ich stelle eine Bedingung: Ich darf bis zu unserer Hochzeit weiterhin hier im Haushalt Eurer Mutter leben."
Alphros nickte und liess meine Hände los, er wirkte nun viel ruhiger als zuvor. „Dann werde ich noch heute einen Boten zu Eurem Vater schicken und Offiziell um Eure Hand anhalten. Ich verspreche Euch, ich werde Euch ein wahrhaftiger Mann sein. Und ich werde Eure Jugend auch respektieren. Ihr habt von mir nichts zu befürchten."
Einige Tage später sass ich am Abend mit ein paar Hofdamen zusammen am Kamin. Wir tranken Wein und genossen unsere Ruhe. Unsere Hauben lagen verstreut am Boden. Als uns der Wein langsam in den Kopf stieg, liessen sich zwei der jüngeren Frauen dazu überreden, mir ein Lied vorzutragen, dass hier sehr bekannt war. Und „unziemlich" sowieso.
„Diese Nacht ist kalt
Und der Wind, der bläst
Durch unser Land
Und wer jetzt noch geht
Ist ein armer Tor
Oder auf dem Weg zu der Liebsten
Die jede Reise lohnt"
„Oh, öffne mir, lass mich hinein
Dein Liebster steht im Mondenschein
Diese Nacht ist so kalt, so öffne mir
Denn morgen wird es zu spät sein
Mein Vater wacht über Haus und Hof
Meine Tür versperrt ein Eisenschloss
Und ich habe keinen Schlüssel dafür
Es führt heut Nacht kein Weg zu mir."
„Oh, öffne mir, lass mich hinein
Dein Liebster steht im Mondenschein
Diese Nacht ist so kalt, so öffne mir
Denn morgen wird es zu spät sein
Doch die Nacht ist so kalt
Endlich öffnet sie ihm
Und sie küsst ihres Liebsten kalte Stirn
Diese Nacht ist so kalt
Doch sie öffnet die Tür und er küsst sie
Sieben Mal dafür"
Beim nächsten Refrain hatte mich das Lied auch gepackt, also sang ich begeistert mit:
„Oh, öffne mir, lass mich hinein
Dein Liebster steht im Mondenschein
Diese Nacht ist so kalt, so öffne mir
Denn morgen wird es zu spät sein"
Wie das Lied endet, würde ich wohl nie erfahren. Als die beiden Frauen die letzte Strophe anstimmten, schwang die Tür auf und Rebekkah führte einen Boten in das Zimmer. Der Bote verneigte sich eilig. „Mylady, es tut mir leid, Euch zu dieser späten Stunde noch stören zu müssen, aber ich fürchte, die Botschaft die ich Euch überbringe kann nicht bis morgen warten."
Ich fluchte verhalten und packte die erste Haube die mir in die Finger kam, stopfte meine zu Zöpfen geflochtenen Haare darunter und folgte dem jungen Mann ins Nebenzimmer. „Gebt mir den Brief. Ich hoffe, es ist so wichtig wie Ihr sagt!"
Als der Bote mir den Brief reichte, verflog meine Wut. Der Brief trug das persönliche Siegel meines Vaters. Was musste passiert sein, dass mein Vater mir schrieb?
Als ich den Brief öffnete, war es aber nicht die Schrift meines Vaters, sondern die meiner Mutter...
12.Kapitel Das Rad dreht sich
Celebrian, 05. Juni, Jahr 67 V.Z
Nach und nach hatte sich das Leben in Rohan wieder normalisiert, soweit das mit einem neuen Erben möglich war. Und mit dem Kronrat. Ich hasste die meisten von diesen alten Besserwissern. Mein Sohn war noch keine drei Monate alt und sie diskutierten bereits über Dinge wie einen eigenen Haushalt oder sogar seine Verlobung! Zum Glück aber konnten sie ohne meine Unterschrift nichts beschliessen. Darum hatten sie sich nach kurzer Zeit wieder wichtigeren Dingen gewidmet.
Heute hatten Théodred und ich uns etwas frei genommen. Die Gemeinsame Zeit ausserhalb unseres Schlafzimmers war rar. Trotzdem hatten wir uns mittlerweile aneinander gewöhnt. Ob wir „genug Liebe“ füreinander empfanden, wie es in einer guten Ehe sein sollte, wusste ich nicht. „Celebrian?“ „Ja?“ „Habt ihr euch eigentlich schon Gedanken über Arnor gemacht?“ „Was für eine Frage! Ich mache mir andauernd Gedanken über Arnor. Worauf willst du hinaus, mein Gemahl?“
„Es ist nur so, Ihr seid die Erbin nach unserem Sohn. Und Alasdair wird, sofern Eru will, König von Rohan werden. Er wird aber nicht an zwei Orten gleichzeitig regieren können. Das heisst Arnor würde durch Rohan verwaltet werden. Und ein Königreich ohne König ist angreifbar.“
Ich seufzte. „Müssen wir jetzt wirklich über Politik sprechen, wenn wir schon einmal alleine sind?“ Théodreds Miene wurde weich. Er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht.
„Ich will dich nicht so besorgt sehen, mo leannan. Aber es geht um unsere Zukunft. Und wer weiss, wann wir das nächste Mal die Gelegenheit haben, ganz offen zu sprechen?“
„Also gut.“ Ich seufzte. Was schlägst du vor?“ „Wir haben zwei Möglichkeiten, und beide beruhen auf Glück. Entweder wird unser nächster Sohn der Thronfolger von Arnor, oder deine Mutter macht noch einmal eine gute Partie und bringt ein Kind zur Welt. Somit wären die Königshäuser wieder getrennt.“
„Das klingt alles so einfach. Du redest von einem weiteren Sohn, als könnte man sich einen Erben auf dem Marktplatz erkaufen. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie viele Frauen im Kindbett sterben?“
„Ja, das ist mir bewusst. Aber du bist jung und gesund, du solltest dich nicht mit solchen Gedanken befassen.“ Ich wusste, dass Théodred mich beschwichtigen wollte, aber das war mir einerlei.
Wie lange waren wir jetzt verheiratet? Ungefähr ein Jahr. Rückblickend hatte ich in diesem Jahr stets versucht, das richtige zu tun. Aber was hatte ich damit erreicht? Ja, ich hatte die Linie gesichert. Damit war meine Pflicht als Frau vorläufig erfüllt. Aber es braucht einen Erben und einen Ersatz, für beide Königreiche, mahnte eine leise Stimme in mir. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und sah meinen Gemahl an.
„Ich kenne meine Pflicht sehr wohl! Aber ich sehe es nicht ein, weshalb wir uns über vage Vorstellungen der Zukunft Sorgen machen. Es gibt viel wichtigere Belange zu klären, jetzt da die Erbfolge gesichert ist. Ich muss die Zunge der Rohirrim wieder erlernen. Was sollen die Menschen Rohans über mich denken, wenn ich im Herzen ihrer Heimat eine fremde Sprache anstatt der ihrer spreche? Ich bin nicht naiv. Wenn das Volk sich gegen mich auflehnt…“
Théodred antwortete nicht sofort und schien über meine Worte nachzudenken. „Ich verstehe Eure Sichtweise, denke ich jedenfalls. Ihr bevorzugt es, euch um Angelegenheiten zu kümmern, die Ihr direkt beeinflussen könnt, nicht wahr? Aber gut, dann lass uns die Zeit nutzen.“
„A bheil banrìgh comasach a th’annad?“
Das brachte mich zum Schmunzeln. Théodred hatte mir nicht nur eine wirklich seltsame Frage gestellt, er hatte es auch mit einem sehr breiten Rohirrim-Akzent gemacht.
„Hast du deine Königin gerade wirklich gefragt, ob sie nützlich ist? Das grenzt an Hochverrat!“
Er lachte nicht. „Ja, und so wird es im ganzen Land zu hören sein wenn du weiterhin nur Gàidhlig sprichst. Nicht nur du musst dich umgewöhnen, dein ganzer Hofstaat auch. Du musst Einheit demonstrieren, Gemahlin.“
Ich seufzte. „Bidh mi…“ Ich räusperte mich und legte mir die Worte zurecht. „Je… vais.... changer... des choses.“ Er hatte Recht, ich musste einiges ändern. Und ich würde mit diesen frevelhaften Haarnetzen anfangen.
Bevor wir das Gespräch weiterführen konnten, erreichte uns ein Bote. „Majestät, Eure Hoheit? Bitte Entschuldigt die Störung, aber ich habe einen dringenden Brief aus Arnor zu überbringen. Die Regentin gab mir die Anweisung, ihn Euch persönlich zu übergeben.“
„Was kann Mutter denn nur wollen? Sie hat mir doch erst letzte Woche geschrieben.“, fragte ich verwirrt und lehnte mich mit dem Brief an die kühle Wand der Halle Meduseld.
„Meine teure Tochter, ich hoffe dieser Brief erreicht dich so schnell wie irgend möglich. Wie du weisst, habe ich zuverlässige Informanten in Gondor. Also verzichte ich auf weitere Erklärungen, denn die Zeit rennt. Der Zustand von König Eldarion hat sich in den letzten Wochen massiv verschlechtert. Es wird von einem Unfall und einer entzündeten Wunde gesprochen. Was wirklich geschehen ist, wissen wir nicht.
Fakt ist, dass der Konrat das Land regiert, bis der König sich erholt hat. Sollte dies nicht der Fall sein, so Gnade uns Eru! Auch wenn Eldarion sich Verfehlungen hat zuschulden lassen kommen, so war er stets darauf bedacht, den zerbrechlichen Frieden zwischen Gondor und Rohan zu bewahren. Er hat die Folgen des Ringkrieges von Kindesbeinen an miterlebt und wollte nicht noch mehr Leiden verursachen.
Wenn aber der schlimmste Fall eintritt, stehen uns düstere Jahre bevor. Sofern es nicht zum Rosenkrieg zwischen dem Kronrat und der königlichen Familie kommt, wird der Thron an Prinzession Sienna gehen. Sie ist jung und gemäss Berichten temperamentvoll. Wer kann vorhersehen was sie tun wird, wenn sie an der Macht ist? Sofern man sie nicht klangheimlich verheiratet hat, ist sie an keinen Mann gebunden. Es wird somit sehr schwierig sein, ihr Grenzen zu setzen.
Bis wir mehr wissen, kann ich dir jedoch keinen besseren Rat geben, als dich auf einen Sturm vorzubereiten. Wäge dich nicht in falscher Sicherheit!“
Ich liess den Brief sinken und atmete einmal tief durch. “Dhia glèidh rìgh Eldarion…“ (Gott schütze König Eldarion)
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