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Kalia und die Magie der Träume

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29.01.20 11:42
16 Ab 16 Jahren
Heterosexualität
Homosexualität
Bisexualität
In Arbeit

Autorennotiz

Dies ist mein Baby. Seit 20 Jahren arbeite ich unterdessen an diesem Text. Dies sind meine Charaktere, meine Ideen, meine Völker, meine Welt... Erwartet nicht zu viel Schlachten und Kriege. Hier geht es um die Zwischenelfischen Beziehungen, die sich mit Sicherheit nicht sehr von den unseren unterscheiden... Ich habe mich, glaube ich, bei allen möglichen Elfenideen bedient und meine eigenen Völker und eigenen Magien kreiert. In diesem Sinne: Viel Spaß!

1. Das Findelkind

Weit entfernt hinter dem Himmelsgebirge und noch weiter von der trostlosen Ebene entfernt, erstreckte sich auf einer Halbinsel ein tiefer, undurchdringlicher, heißer Dschungel - der Nachtschattenwald.
Das leuchtende Dunkelgrün der Bäume, Sträucher und Gräser wurde nur durch den in der Sonne türkisblauen Strom eines Flusses geteilt. Man konnte Unmengen von silbernen, glitzernden Fischleibern unter der sich kräuselnden, manchmal schaumigen Oberfläche dahingleiten sehen. Grauschwarze Felsen, scharfkantig und steil und an manchen Stellen vom Wasser glatt poliert oder rund geschliffen, bildeten die Ufer des Flusses, für Ortsunkundige unüberwindbare Hindernisse.
Doch es gab einen kleinen Stamm von Elfen, der seit vielen Generationen in einem Dorf, tief im Dschungel versteckt, lebte und den Fluss einfach nur „Mutter aller Wasser“ nannte. Nur sie kannten die geheimen Pfade und Wege, die einem zum Wasser hinabführten, um zu Angeln oder zu schwimmen. Sie waren nicht viele ihrer Art, aber glücklich darüber, hier eine Heimat für sich gefunden zu haben.
Der dichte Urwald bot ihnen alles, was sie zum Leben benötigten - Nahrung, Tiere jeglicher Art, für die Zucht geeignet oder einfach nur zum Jagen, Früchte und Gemüse zum Anbauen und Essen, Wasser zum Trinken und Holz zum Bauen ihrer kleinen Hütten.
Ihr Leben war einfach, aber nicht trostlos. Sie wussten wie man feiert, wie man sich liebt, den Frieden und die Ruhe im Wald genießt und die Tage geregelt nutzt, um ihr Leben so schön und angenehm wie möglich zu gestalten. Nichts trübte ihre Fröhlichkeit. In der näheren Umgebung lauerten keine wirklichen Gefahren, keine fremden, kriegerischen Stämme weit und breit und sah man mal von den wenigen Tieren ab, die ihnen gefährlich werden konnten, waren es nur noch Unwetter und Trockenperioden, die ihnen das Leben schwer machen konnten, aber auch diese natürlichen, bisher kleineren Katastrophen hatten sie immer gut in den Griff bekommen.

***

Hand in Hand lief ein Elfenpaar, auf einem der vielen ausgetretenen Pfade durch den dichten Wald. Großgewachsen, feingliedrig, aber muskulös, wie es ihrer Rasse entsprach, sah es aus, als würden sie den trockenen, staubigen Boden gar nicht berühren. So grazil bewegten sie sich vorwärts.
Die junge Elfe Taira, mit den langen, bis zur Hüfte reichendem schwarzen Haar, blickte immer wieder verstohlen zu ihrem Partner Kalerm, der das blauschwarze Haar zu einem aufwendig geflochtenem Zopf trug.
Taira betrachtete das sanft geschwungene Profil ihres Gefährten, die vollen Lippen mit dem leicht energischen Zug um das Kinn, während sie in Gedanken nach den richtigen Worten suchte. Sie wusste nicht, ob sie es ihm sagen oder doch lieber auf gedanklicher Ebene mitteilen sollte, was sie im Moment euphorisch stimmte, denn sie trug ein kleines, süßes Geheimnis unter ihrem Herzen. Bisher hatte sie es geschickt geschafft, Kalerm von ihrem Innersten fern zu halten, dass er nicht mal einen Verdacht schöpfte und er die kleine heranwachsende Seele in ihr nicht spürte.
Beinah zwanzig Regenzeiten war es nun schon her, dass sich Tairas und Kalerms Magie fand. Ihr anfängliches Schwärmen für den Sohn des Anführers der Schattenwaldelfen, war schon bald zu einer großen, brennenden Liebe entfacht, die er zu ihrem Glück erwiderte. Ihrer beider Magie schrie so laut nacheinander, dass sie dem inneren Drang nachgaben und sich der alles verzehrenden Glut der Liebe hingaben, immer und immer wieder vereinten sie sich nicht nur körperlich, sondern auch in ihrem Ich, in ihrer Magie, bis sie ein neues Ich für diese Welt und ihren Stamm erschaffen hatten.
In den Jahren, an der Seite Kalerms, hatte Taira, Tochter eines einfachen Jägers und einer Pflanzerin, viel über ihr Volk erfahren, viel über Traditionen gelernt und ihre ganz eigene Magie entdeckt.
Ihr gemeinsames Kind würde etwas Besonderes sein. Sie und Kalerm durften sich Besitzer, sehr starker magischer Kräfte nennen. Sie standen am oberen Ende der magischen Kräfteleiter und aus genau diesen Beziehungen, in denen sich auch noch die Magie vereinte, entsprangen die kräftigsten, gesündesten und überleben fähigsten Kinder ihrer Rasse, mit neuen starken magischen Fähigkeiten.
Nie hatte sie mit einer dermaßen starken Kraft bei sich gerechnet, da ihre Eltern so gut wie keine Magie besaßen, ihre Magie nie vereint hatten und sie somit kein sogenanntes magisches Kind war, aber ihr Sohn mit Kalerm würde es sein - ein Kind der Magie, zu höheren Dingen bestimmt.
Im Augenblick genoss Taira die Einsamkeit des Dschungels, die sie und Kalerm umgab. Endlich mal mit ihm allein und nicht umgeben von den Angehörigen ihres Stammes. Als sie damals mit Kalerm den magischen Bund einging, hatte sie nie damit gerechnet, dass die Elfen ihres Dorfes so sehr zu ihr Aufblicken würden. Plötzlich kamen sie mit ihren Sorgen, Ängsten und Problemen zu ihr, suchten bei ihr Rat, egal, um was es sich dabei handelte. Sie kamen zu ihr, sei es wegen einer Krankheit, einem Streit mit Freunden oder einfach nur wegen einem leckeren Rezept.
Anscheinend waren die Elfen froh, dass es nun noch eine weibliche Elfe in der Familie des Anführers gab. Jemand mit einem anderen Weltbild, mit einer ganz anderen Lebenserfahrung mit anderen Werten. Natürlich konnten sich die Schattenwaldelfen mit allen Belangen an Kopen wenden, aber ihm mangelte es ein wenig an weiblicher Intuition. Wenn es um die Jagd ging, den Bau von Hütten oder die nächste Aussaat, wusste Kalerms Vater immer weiterzuhelfen, aber bei den alltäglichen Dingen oder besser gesagt weiblichen Sachen, wie Kochen, Nähen oder Kindererziehung, war er hilflos überfordert, erst recht, nachdem seine Seelengefährtin Rajan gestorben und ihre Seele tatsächlich diese Welt für immer verlassen hatte.
Jeder hier im Dorf wusste, das Kalerm in absehbarer Zeit die Leitung des Stammes übernehmen würde, da sein Vater Kopen immer mehr in sich zusammenfiel und wohl bald seiner Gefährtin folgen würde, damit ihr Ich wieder eins werden konnte. Dies war der Nachteil einer magischen Verbindung, stirbt ein Teil davon, folgt bald darauf der andere, da dieser ohne das zweite Ich in sich, nicht mehr lebensfähig war. Wie einfach ist es da für die Liebenden. Sie konnten sich nach dem Tod ihres Partners neu orientieren, den Verlust auf ihre Art und Weise verarbeiten, sich neu verlieben und uralt werden. Manche Elfen sollten so alt geworden sein, dass sie sich nicht mehr an ihre Kindheit erinnerten und vergasen die Regenzeiten zu zählen. Sie konnten sechshundert Regenzeiten, aber genauso gut schon zweitausend Regenzeiten alt sein. Bei Magiegefährten wurden diese unzählige Art der Regenzeiten eher selten erreicht.
Taira erinnerte sich an Rajan, eine sehr weise, alte Elfe, die viele Jahrhunderte an der Seite von Kopen den Stamm mit führte und leitete. Sie ist eine strenge, aber gerechte Elfe gewesen, die bei Streit schlichtet und selten jemanden vor den Kopf stieß. Ihr Urteil nahm beinah jeder ohne großes Murren hin.
Eine Jahreszeit war es nun schon her, das Kalerms Mutter starb, einfach so. Ein riesiger Schock für jedes Mitglied des Stammes und erst recht für ihren Seelengefährten Kopen und ihren einzigen gemeinsamen Sohn.
Es hatte keine Vorzeichen gegeben, keine Krankheit, keine Verletzung, nichts dergleichen. Rajan hatte nur über Unwohlsein geklagt, sich hingelegt, um sich ein wenig auszuruhen und war nicht wieder erwacht.
Danach konnte man zusehen, wie Kopen von Tag zu Tag weniger wurde und regelrecht in sich zusammenfiel. Von dem einst so stattlichen Elf war nicht mehr viel geblieben, und Althai, ihre Heilkundige, gab Kalerms Vater nur noch ein paar Tage und Nächte, ehe er seiner geliebten Rajan folgen würde.
Kalerm wusste von der alles zerfressenden Trauer seiner Vaters, von der Tatsache, dass er nur noch einige Tage mit ihm verbringen konnte und dann, dann würde er der Anführer der Schattenwaldelfen sein, mit Taira an seiner Seite, wie einst Rajan an der Seite von Kopen.
Schweigend lief Kalerm neben Taira, die ihre Finger fest miteinander verflocht. Nachdenklich biss sie sich auf die Unterlippe, immer noch nicht sicher, was sie tun sollte. Durch nichts zeigte Kalerm, was ihm durch den Kopf ging, wie er sich fühlte und was er dachte, aber Taira ahnte, was den großen Elf beschäftigte. Gerade erst hatte der Schwarzhaarige seine Mutter verloren und nun würde ihn auch noch sein Vater verlassen.
Vielleicht kann ihn die Freude auf den eigenen Sohn wenigstens ein wenig aufmuntern, dachte Taira, die in den letzten Nächten immer wieder mit sich gerungen hatte, Kalerm die Wahrheit zu sagen. War dies der richtige Zeitpunkt? Gab es diesen überhaupt? Nein, es gab ihn nicht, legte die, mit neunzig Jahren, noch sehr junge Elfe fest. Es würde immer etwas geben, dass gegen ein Kind sprach.
Taira verhielt in ihrem Schritt, den sie bisher Kalerm angepasst hatte und zog leicht an dessen Hand, als Zeichen das er stehen bleiben sollte. Als er sich dann in ihre Richtung drehte, sah sie ihn an. Kein Wort drang über seine vollen Lippen. Er wartete einfach nur ab.
Der leichte Wind, der heute schon den ganzen Tag über mit dem Grün der Bäume spielte und das Laub leise rascheln ließ, fuhr sanft in die Strähnen, die sich aus dem Zopf, den sie ihm heute morgen flocht, gelöst hatten. Ihr Blick glitt über das geliebte Gesicht, die kleine, etwas zu breite Nase, die hohen Wangenknochen und die schmalen, mandelförmigen, tiefschwarzen Augen, zum Schutz, gegen die schonungslos vom blauen Himmel strahlende Sonne, leicht zusammengekniffen. Fragend schaute er sie an.
**Kalerm!** Ihre Verbindung war rein und klar, traf tief in sein Innerstes, zeigte ihr die Trauer, die Sorgen, die er sich um die Zukunft machte und sie spürte seinen Dank und seine tiefe Liebe, die er für sie empfand. Bisher war es Taira immer gelungen zu verhindern, dass er die zweite Seele, die ja auch ein Teil von ihm war, spürte.
**Taira?** Sein Blick bohrte sich in ihren, als er ihre magische Verbindung vertiefte und sie sich ineinander verloren. Nichts blieb in diesem Moment verborgen, alles war rein und klar, jeder Gedanke, jedes Gefühl, einfach alles, was sie waren, was sie ausmachte. Fest schlang er die braunen, kräftigen Arme um sie, zog sie liebevoll an sich und gab sich ihr vollkommen ohne Schutz hin.
Ja, dies ist der richtige Zeitpunkt, dachte Taira, als sie all die unaussprechlichen Gefühle, die Kalerm für sie empfand, auf sie einstürzten, und so öffnete sie sich ihm voll und ganz, ließ ihn bis zu ihrem Kind vordringen, zu jenem geheimen Ort, den sie bisher rigoros vor ihm geheim hielt, was sie unglaublich viel Selbstbeherrschung und Kraft gekostet hatte.
Kopens Sohn reagierte im ersten Moment gar nicht. Er stand einfach nur da, beinah wie zu Stein erstarrt.
Er muss es doch fühlen, dachte Taira und mit einem liebevollen und geführten: **Kalerm**, wies sie ihm den direkten Weg zu ihrem Sohn.
Erst weiteten sich seine Augen unmerklich, dann wurden sie eins Spur dunkler und zum Schluss glitzerten sie verräterisch in der Sonne. War dies alles? Wollte keine wirkliche Freude, über das neue Leben in ihr aufkommen? War Kalerm so in die Trauer um seine Mutter und den kommenden Tod seines Vaters verstrickt, dass er sich nicht über einen eigenen Sohn freuen konnte? Doch, endlich kam Regung in den großgewachsenen Elf. Hart schluckte er, ehe er Taira an der Taille fasste, sie ein Stück anhob, so das sie die Beine um seine Taille schlingen und er das Gesicht in ihrem vollen, seidigen, langen Haar verbergen konnte.
„Mein Vater stirbt und ich werde Vater“, murmelte er in ihr spitzes Elfenohr.
Unfähig auf Kalerms Gefühlschaos zu reagieren, konnte Taira nur nicken, denn ganz plötzlich hing ein weiterer gemeinsamer tragischer Verlust zwischen ihnen. „Wenn Vater stirbt, ist er nicht nur bei Mutter, sondern auch bei unserer Tochter.“
Tränen traten Taira in die Augen. Schon lange hatte sie nicht mehr an den traurigsten Moment ihres Lebens gedacht, an eben jenen Tag vor achtzehn Regenzeiten, als sie ihre gemeinsame Tochter verloren. Diese Erfahrung, hätte ihr beinah das Herz aus dem Leib gerissen. Tagelang war sie zu nichts fähig gewesen, hatte nur auf ihrer Liegestatt gelegen, nichts gegessen, nichts getrunken, nicht gesprochen, denn mit dem Kind, war auch ein Teil von Kalerms und ihrer Seele gegangen. Nur seine Kraft, seine Liebe und der gleiche Verlust waren ihr eine Hilfe gewesen und hatten ihr geholfen, dieses riesige entstandenen Loch in ihr wieder zu füllen. Nie hatte sie damit gerechnet, jemals wieder ein Kind unter ihrem Herzen zu tragen, zu hart war der Verlust gewesen. Eben nicht nur seelisch, sondern auch körperlich. Es war Rajan gewesen, die im Laufe der Zeit eine winzige Hoffnung auf neuen Nachwuchs in ihr wecken konnte. Kopens Gefährtin hatte ihr immer wieder Mut zugesprochen, von anderen Elfen des Stammes berichtet, die in der Vergangenheit ähnliches durchlebten. Das Nächste wird kommen, pflegte sie zu sagen, wann immer du wieder bereit dazu bist. Und anscheinend war sie vor zwei Neumonden genau das gewesen, bereit für einen Sohn.
Und diesmal, diesmal wusste sie, dass ihr Sohn das Licht der Welt erblicken würde. Er schien kräftiger, stärker und mit unglaublicher Willenskraft ausgestattet zu sein. Sie fühlte sein Ich in jedem Moment, anders als damals, als sie ihre Tochter so gut wie nie spürte.
„Wann?“, erkundigte sich Kalerm mit leiser, leicht kratziger Stimme, überwältigt von den Gefühlen, die in ihm tobten.
„Vor zwei Neumonden.“ Taira, Kalerm und ihr noch ungeborener Sohn vereinigten sich, banden sich auf ewig aneinander. Ein Band, welches bis über den Tod hinaus bestehen würde.
Mit so unglaublicher Heftigkeit, so als könnte er es immer noch nicht glauben und müsste sich noch einmal ganz genau davon überzeugen, umarmte Kalerm Taira, dass es ihr für einen Moment dem Atem raubte.
„Ich werde Vater“, murmelte der Dunkelhaarige. „Ich werde Vater“, nun eine Spur lauter und noch einmal: „Ich werde Vater!“
„Lässt du mich wieder runter“, bat Taira und fühlte kurz darauf den ausgedörrten, harten Boden unter den Füßen. Sie spürte die kleinen Steinchen durch die weichen Ledersohlen ihrer Riemchensandalen, die sie erst vor ein paar Tagen, von ihrer engsten Vertrauten und besten Freundin seit Kindertagen, Kemi, geschenkt bekam.
Noch immer die Finger verschränkt liefen sie langsam weiter. Wieder herrschte tiefes Schweigen zwischen ihnen, doch nun war es nicht durch Trauer geprägt, sondern von Freude, Liebe und einem neuen Familienmitglied. Nun waren es nicht mehr nur zwei Ichs in dem Schweigen, sondern drei.
Gefangen in ihrem neuen Gefühl der Dreisamkeit, achtete niemand auf die nähere Umgebung. Ihnen fiel nicht auf, dass sich die Tiere des Waldes verkrochen, die Vögel nicht mehr sangen, die Insekten nicht mehr summten und um sie herumschwirrten. Sie bemerkten auch nicht, dass sich der leichte Wind auf einmal vollständig gelegte hatte - die Ruhe vor dem Sturm. Drückende Schwüle umgab sie. Es fühlte sich an, als würden sie die Luft trinken und nicht atmen. Erst als die Sonne sich hinter schwarzen Wolken versteckte, es sich merklich abkühlte und der Wind fühlbar auffrischte, bemerkten sie das aufziehende Gewitter - keine Chance mehr zurück in das sichere Dorf zu gelangen. Sie konnte nur noch einen Ort aufsuchen, der ihnen etwas mehr Schutz bot. Bis zum Fluss war es nicht mehr weit, den würden sie innerhalb der nächsten Augenblicken erreichen können, denn hier zwischen den hohen Bäumen würde es zu gefährlich für sie sein. Herunterfallende Äste, umstürzende alte Bäume und vor allen Dingen einschlagende Blitze konnten sie in Lebensgefahr bringen, aber auch die bevorstehenden Wassermassen waren nicht zu unterschätzen. Wie schnell wurde aus einem Rinnsal, ein reißender Bach, der alles und jeden mit sich riss, wenn der ausgedörrte Boden dem fallenden Regen nicht mehr Herr werden konnte.
So schnell sie ihre Beine trugen, machten sie sich auf den Weg zur „Mutter aller Wasser“. Erste große, schwere Tropfen fielen vom Himmel herab, hüllten sie in einen dichten Schleier, durch den sie kaum noch etwas erkennen konnten. Fernes Donnergrollen deutete darauf hin, dass das Gewitter stetig näher kam. Immer wieder zerteilten gezackte Blitze den dunklen Himmel, hellten die Umgebung auf und tauchten die Bäume in ein gespenstisches Licht, welches ein Fortkommen erschwerte, da die nähere Umgebung unnatürlich anmutet. Man konnte denken, dass es finsterste Nacht war. Aus bekannten Pfaden wurden fremde Wege. Dazu kam der tosende Lärm, der die ansonsten geschärften Sinne der Elfen weiter vernebelte.
Schon bis auf die Haut durchnässt, erreichten sie endlich den Fluss. Nicht weit von hier befand sich eine kleine, natürliche Höhle, eher ein besserer Vorsprung, aber dieser musste reichen.
Strähnig hingen Taira die nassen Haare in die Augen, klebten ihr an Stirn und Wangen. Immer wieder peitschte ihnen der Wind die großen Regentropen ins Gesicht, wo die Tropfen sich mit anderen vereinten, um dann in langen, dicken Bahnen an ihren Haut hinabrannen.
Endlich erblickten sie das dunkle Loch in den Felsen. Und damit sie beide in dem Spalt Platz fanden, mussten sie sich zusammenkauern und eng aneinander schmiegen. Arm in Arm, ihren eigenen Gedanken nachhängend schauten sie hinaus in den Regenguss und lauschten dem Donner, der hier zwischen den Felsen doppelt so laut grollte und den Boden unter ihren Füßen leicht erzittern ließ.
Sie wussten nicht, wie viel Zeit, seit Einsetzen des Unwetters vergangen war, aber das Gewitter verschwand genauso schnell, wie es aufgezogen war. Durch die tropische Hitze, in diesem Teil der Welt, war es ganz normal, dass sich innerhalb von Minuten eine Gewitterfront bilden konnte. Über die Jahrtausende hatten die Elfen gelernt damit zu leben. Sie kannten die Orte im Wald, an denen sie Schutz suchen konnten und für ihre Jäger gab es kleine Schutzhütten, verteilt überall in der näheren Umgebung, in der sie bevorzugt auf die Jagd gingen.
Als das junge Paar sich sicher war, dass die Gewitterfront so weit fortgezogen, dass ihnen keine Gefahr mehr drohte, krochen sie aus der natürlichen, winzigen Höhle. Beide streckten sich ausgiebig, da sich vom Kauern ihre Muskeln ein wenig verhärtet hatten.
„Taira, bist du in Ordnung?“ Suchend ließ Kalerm den Blick über ihren Körper schweifen.
„Mir ist nichts passiert“, antwortete sie und schüttelte sich lachend wie ein nasses Tier. Die sich von ihr lösenden Wassertropfen flogen in alle Richtungen davon und glitzerten dabei wie kleine Sterne am nächtlichen Firmament.
Langsam richtete sich die ersten Pflanzen wieder auf, streckten sich den wärmenden Strahlen der Sonne entgegen, die ihren Weg hinter den schwarzen Wolken, die nun Richtung Westen abzogen, hervor gefunden hatte. Der Boden war durchweicht, die Wege kaum mehr begehbar, knöchelhoch und tiefer standen überall Pfützen, betörender Duft, der farbenprächtigsten Blumen hing zwischen den Bäumen. Die Kelche der Blüten standen voller Wasser. Käfer die dort Schutz gesucht hatten, waren entweder ertrunken oder strampelten hilflos mit ihren Beinchen, um einen Weg zurück aufs Trockene zu finden.
Die ersten mutigen Tiere verließen ihre Verstecke. Ein kleiner roter Vogel schwirrte aufgeregt zwitschernd vor ihnen hin und her und in der Ferne vernahmen sie das Gekreische einer Horde Klettertiere.
„Wir müssen zurück.“ Nass klebten die Sachen an Kalerms Körper, der sich kurzerhand das Hemd über den Kopf zog und den Stoff auswrang. „Ich muss nachsehen ob es allen gut geht. Außerdem müssen wir in trockene Sachen, sonst werden wir noch krank.“ Er wartete nicht erst auf Tairas Antwort, sondern ging einfach los.
Lächelnd folgte ihm die langhaarige Elfe, die die Aussicht auf die breiten Schultern, die schmale Taille und den festen Po, der sich deutlich unter dem nassen Stoff der Hose abzeichnete, genoss. Schade, dachte sie. Nur zu gern hätte sie sich und ihren Partner jetzt aus den nassen Sachen geschält, diese irgendwo zum Trocknen aufgehängt und die nächsten Minuten ganz alleine mit ihm verbracht. Verschiebe ich es halt auf heute Abend. In Gedanken schon jeden Moment der Zweisamkeit ausmalend, dauerte es einige Augenblicke, bis Taira das leise Wimmern hörte, dass ihr Unterbewusstsein, schon eine geraume Weile vernahm. „Kalerm, hörst du das?“
Der große Schattenwaldelf verhielt in seinen Schritten und drehte sich um. „Was denn?“
„Ich glaube ich habe ein Wimmern gehört.“ Und genau in dem Moment, als Taira die Worte aussprach, klang das Wimmern eher wie ein lautes Weinen.
„Das hört sich wie ein Baby an“, stellte Taira, sich nun ziemlich sicher, fest. Im Kopf ging sie alle Mitglieder ihres Stammes durch, aber niemand hatte zur Zeit so ein kleines Kind und schwanger war auch keine der Elfen gewesen, also gehörte dieses schreiende Baby nicht zu ihnen.
„Das kommt vom Fluss.“ Mit zusammengekniffenen Augen blickte Kalerm in die Richtung zurück, aus der sie eben gekommen waren. „Warte hier! Ich geh nachsehen.“
„Sei vorsichtig! Wer weiß was es ist. Vielleicht ein verletztes Tier. Kleine kämpfende Gelbstreifen klingen manchmal wie Babys.“ Mit einem verschmitzten Lächeln erinnerte Taira sich an die beiden noch kleinen Gelbstreifen, die sich vor einigen Jahren nachts in ihr Dorf verirrt hatten. Spielerisch kämpften die kleinen gelben Fellknäuel miteinander und fauchten, als gäbe es kein Morgen mehr. Den gesamten Stamm hatten sie mit ihrem Gekreische, dass teilweise wie das Schreien eines Babys klang, geweckt. Amüsiert hatten die Elfen die kleinen Raufbolde beobachtete. Eigentlich wollte Elmor die kleinen Racker adoptieren, wenn nicht Kopen ihr Anführer, ihn daran erinnert hätte, dass die Mutter irgendwo in der Nähe sein musste. Irgendwann zogen die Gelbstreifen-Winzlinge von Dannen und im Dorf kehrte wohlverdiente Nachtruhe ein.
Verstehend nickend lief Kalerm los. Taira sah ihm nach, bis er hinter der nächsten Wegbiegung verschwand. Fröstelnd schlang sie die Arme um sich, rieb sich die Oberarme, in der Hoffnung, das ihr etwas wärmer wurde. Auch, wenn die Sonne wieder auf sie hinab schien, wärmten die nassen Sachen nicht. Sie lauschte dem Wimmern, bis es irgendwann verstummte. Woher sollte hier denn den Baby kommen? Weit und breit lebte doch niemand in dem dichten Wald. Wenigstens Drei-Neumondes-Märsche entfernt, gab es keine anderen Elfen oder sonstige Rassen, die auf dieser Welt existieren konnten.
**Taira!** Kalerms Senden war eindringlich und mit Bildern versehen, während er sich auf den Rückweg zu seiner Gefährtin begab. **Es ist ein Elfenmädchen, gerade erst geboren.**
Seine hochgewachsene Gestalt schälte sich neben ihr aus dem Wald. In den Armen hielt er ein winziges Bündel. „Sie gehört nicht zu uns. Es gibt noch andere unserer Art. Die Geschichten der Ältesten sind tatsächlich wahr. Wir sind nicht alleine auf dieser Welt.“
Vorsichtig legte er Taira das Baby in die Arme. Sanft drückte die Elfe das winzige Geschöpf an sich, schaute in das kleine, rundliche Gesicht und strich mit dem Daumen über den sonnenfarbenen Flaum auf dem Köpfchen. „Sie ist so winzig und so hell“, stellte sie flüsternd fest.
Das leise Wimmern verwandelte sich in ein zufriedenes Glucksen und dann schlug das Baby die Augen auf - strahlend blau, wie der Himmel an einem wolkenlosen, klaren, heißen Tag. Das Elfenpaar konnte nur noch staunen, denn solch eine Augenfarbe hatten sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Die Schattenwaldelfen waren eher dunkel in ihrem Typ, von den schwarzen Haaren, über die braune, manchmal gelblich schimmernde Haut, bis hin zu den dunklen Augen. Sie waren großgewachsen und schlank. Dieses Baby war anders, das völlige Gegenteil von ihnen, hellhäutig, blauäugig, hellhaarig und dazu noch um einiges kleiner, als ihre eigenen Neugeborenen.
Das kleine Mädchen trug ein winziges Oberteil aus dünnen, ganz weich gegerbten braunen Leder und ein winziges Höschen aus derben Stoff. Eigentlich viel zu warm für diesen Ort. Man kannte auch hier Fell und Leder, wusste auch, wie man es verarbeitet, trug es aber eher selten am Leib. Leder trug man hier an den Füßen und benutzte es als Baugrundstoff, für Trinkflaschen, Schüsseln oder Bespannungen von Hockern und Liegen. Selbst für Fell fand man hier so gut wie keinen Verwendungszweck, da es einfach zu warm war. Mann nutze das Haar höchsten als Fütterung für weiche Kissen oder das gesamte Leder als Schlafunterlage.
„Was ist das?“ Vorsichtig griffen Kalerms Finger nach einen dünnen Lederband, welches das Baby um den Hals trug und zog sacht daran. Ein kleiner, leuchtend blauer Kristall, der beinah die Augenfarbe des Neugeborenen besaß, kam zum Vorschein.
Ganz genau betrachtete Kalerm den Stein. Hier im Nachtschattenwald fand man überall Edelsteine wenn man tief genug buddelte und die „Mutter aller Wasser“ spülte regelmäßig in allen Farben glitzernde und schimmernde Steine ans Ufer, aber noch nie hatte er einen in diesem Blau zu Gesicht bekommen.
„Wo mögen ihre Eltern sein?“, wollte Taira leise wissen. „Man lässt sein Kind doch nicht einfach alleine. Wir müssen sie suchen gehen. Sicher vermissen sie ihr Baby schon.“
„Ich fand die Kleine am Flussufer, ein Stück Flussaufwärts. Weit und breit war niemand zu sehen. Wenn ihre Eltern ...“ Zärtlich strich Kalerm dem Baby über die winzige Spitze des rechten Ohres. „... noch hier wären, dann doch sicherlich in Sichtweite zu ihrem Kind. Wir werden einen Suchtruppe zusammenstellen und sie suchen gehen.“
„Und wenn wir sie nicht finden?“ Zufrieden nuckelte das Baby an Tairas kleinem Finger, den sie ihr vor die Lippen gehalten hatte.
„Dann wird mein Vater entscheiden, was mit ihr geschieht.“ Liebevoll legte der Elf einen Arm um die Schultern seiner Partnerin. „Und nun lass uns zurückgehen.“
Der, durch das Unwetter, vollkommen aufgeweichte Weg, machte ihr Vorwärtskommen nicht gerade einfach. Bis zu den Knöcheln versank Taira in dem Schlamm und auch Kalerm, der ihre Schuhe in der Hand trug, fluchte hin und wieder leise neben ihr, wenn er auf dem Matsch ausrutschte und ins Straucheln geriet.
„So wichtig der Regen auch für die Natur ist, so schlecht ist er für unsere Wege. Wir sollten überlegen, ob wir die Pfade außerhalb des Dorfes auch mit Hölzern begehbar machen“, dachte er laut nach. „Ich werde den Vorschlag nachher gleich mal unterbreiten.“
„Gute Idee“, pflichtete Taira ihm bei, während sie das Elfenbaby etwas fester an sich drückte und vorsichtig und langsam durch eine knietiefe Pfütze watete, da sie ja nicht sehen konnte, was sich am Boden unter der Wasseroberfläche befand oder wie tief das Loch wirklich war. „Wir alle gehen gerne baden und angeln. Da finden sich sicherlich ein paar Freiwillige, um Bohlen zu zimmern und sie dann zu verlegen.“
Beinah eineinhalb Stunden benötigten sie für den Rückweg, für den sie hinzu gerade mal eine Stunde gebraucht hatten, aber durch den Matsch und die kleine niedliche Fracht kamen sie nur langsam vorwärts. Ab und zu mussten sie über einen herabgefallen Ast steigen oder über Baumstämme klettern, die zu umgestürzten Bäumen gehörten. Die Schattenwaldelfen würden einige Tage benötigen, bis sie die Wege wieder gefahrlos begehbar beräumt hätten.
Endlich lag das kleine, beschauliche Dorf vor ihnen. In mehreren großzügigen Halbkreisen, die hintereinander lagen, waren die Pfahlhütten so angeordnet, dass sie einen Dorfmittelpunkt für Feierlichkeiten, Versammlungen und ähnliche Aktivitäten besaßen. Genau dort hatte sich auch schon ein kleiner Teil des Stammes zusammengefunden und beratschlagte, wer welche Aufräumarbeiten übernehmen sollte. Zwei der Pfahlhäuser waren durch einen großen, starken Ast, den der Sturm genau auf die Dächer gefegt hatte, beschädigt. Nichts Großes, aber trotzdem wichtig, wenn die Bewohner beim nächsten Regenguss in ihren eigenen vier Wänden trocken bleiben wollten.
Überall im Ort stand das Wasser, bildete Pfützen, hier und da sahen die Pfützen eher wie kleine Seen aus, aber dies störte nicht. Dank der Bauweise standen ihre Hütten alle auf Stelzen und blieben so trocken, da sich der Wohnraum weit über dem Wasser befand. Gerade in der andauernden Regenzeit, die in einigen Neumonden vor ihnen lag, war diese Bauart wichtig, wenn es tagelang regnete und das Wasser nirgends mehr ablaufen konnte.
Die Schattenwaldelfen hatten sich über die Jahrtausende den Bedingungen des Dschungels angepasst, was man auch den raffinierten Stegsystem ansah, welches die Häuser allesamt miteinander verband. Auf diese Weise gelangten die Bewohner des Dorfes immer trockenen Fußes von einem Ort zum anderen.
Nur auf ihrem Versammlungsplatz, der von Stegen umgeben war, fand man keine einzige Holzbohle, da dieser vor langer Zeit wohlweislich aufgeschüttet worden war und somit erhöht lag. Schön gestaltet mit Tischen und Bänken, die sich ohne erkennbare Ordnung darauf verteilten. Mit bunten Blumen und anderen Zierpflanzen, hatten sie eine kleine Oase geschaffen, deren Mitte eine große Feuerstelle bildetet, groß genug um den leckeren Gelbstreifen zu grillen, der ganz oben auf der Liste der Jäger stand. Durch das Unwetter verwüstete bot ihr Versammlungsplatz im Moment einen traurigen Anblick. Nicht lange, dann würden sich die Pflanzen erholt haben und ein paar Freiwillige würden noch heute damit beginnen die abgerissenen Äste, Blätter und Früchte der Natur, die der Wind hierher wehte, zu beseitigen.
Noch waren Taira, Kalerm und das Baby nicht bemerkt worden, so vertieft waren die anderen in ihre Gespräche. Es war Kopen, der seinen Sohn und dessen Gefährtin aus den Augenwinkeln bemerkte und zu ihnen kam. Neugierig richteten sich die dunklen Augen von Kalerms Vater auf das Baby. Die Kleine noch immer fest im Arm, wiegte Taira sie hin und her. Sie musste nichts erklären. Bestimmt war Kalerm gerade dabei die letzten Stunden mit seinem Vater zu teilen.
Stille breitete sich aus. Jeder wollte wissen, was los war. Eine Elfentraube bildete sich um Taira und das Baby. Niemand flüsterte, obwohl bestimmt hunderte Fragen durch die Köpfe der anderen schwirrten. Woher kommt das Kind? Wer sind seine Eltern? Was wollten sie hier? Was passiert nun? Doch dies alles spielte sich nur in den Gedanken, die im Stillen geteilt und weitergegeben wurden, der Schattenwaldelfen ab.
Es waren Elmor, ihr Koch und Brauer und dessen Liebesgefährtin Kemi, einer der Pflanzerinnen des Stammes, mit denen Taira eine innige Freundschaft verband, mit denen sie alles erlebte teilte. Sie mochte die Beiden, denen das Glück einer magischen Verbindung bisher nicht beschert war. Es gab immer wieder Paare, die sich sehnlichst wünschten ganz eins zu sein, die es aber nie in ihrem Leben erfahren würden und leider gehörten Elmor und Kemi dazu. Wirklich erklären konnte niemand, wieso der einer einen Magiegefährten fand und der andere nicht.
„Wo ist Nari?“, erkundigte sich Taira nach ihrer anderen besten Freundin, denn auch ihre Näherin sollte hier und jetzt alles erfahren.
„Zum Fluss runter. Sie wollte Angeln gehen und ein wenig allein sein. Sie hatte heute keine Lust auf Nadel und Faden“, lachte Kemi leise, um den Winzling in Tairas Armen nicht zu wecken.
Gespannt warteten sie Schattenwaldelfen ab, warfen fragende Blicke auf Taira und das Baby, Kalerm und Kopen, der hoffentlich bald etwas sagen würde. Bevor er dies jedoch tat kam er zu Taira und nahm ihr vorsichtig das kleine Bündel ab.
„Wir alle kennen die Sagen und Legenden unseres Volkes, in denen erzählt wird, dass sich unser Volk, vor vielen tausend Jahren, in alle Himmelsrichtungen verstreut haben soll. Wir alle ahnten immer, dass es noch andere von uns gibt, die wie wir auf dieser Welt einen Ort zum Leben gefunden haben. Heute, heute halte ich den Beweis dafür in meinen Armen ...“, zärtlich lächelte der uralte Elf das Baby an. „... dieses kleine Mädchen.“
Wie aufs Stichwort erwachte die Kleine und fing mörderisch an zu schreien. Da nun niemand mehr ein Wort von ihrem Anführer verstehen würde, verfiel dieser in ein offenes Senden, dass alle in ihrem Stamm einschloss: *Ich bitte die Jäger einen Suchtrupp zusammenzustellen. Falls die Eltern der Kleinen noch am Leben und in der Nähe sind, müssen wir sie finden. Brecht sofort auf! Mein Sohn begleitet euch zu der Stelle, wo er sie gefunden hat.*

***

Zwei Nächte und zwei Tage suchten die Jäger, Kalerm und ein paar Freiwillige schon nach der Familie des Findelkindes. Der Rest des Stammes kümmerte sich in der Zeit um die Beseitigungen der Unwetterschäden.
Für den Suchtrupp stellte es sich nicht gerade als leicht heraus, die nähere Umgebung systematisch abzusuchen. Überall stand Wasser, teilweise sogar hüfthoch. Plötzlich gab es Seen, wo sonst keine waren und umgestürzte Bäume erschwerten ihnen das Vorwärtskommen. Selbst Otar, ihr erfahrenster Jäger und Spurensucher fand keinerlei Anzeichen von fremden Elfen. Keine Feuerstellen, keinerlei Reste, sei es von Nahrung oder Gepäck. Sicher, das Unwetter hatte die meisten Spuren, falls sie denn je vorhanden waren, verwischt, trotzdem musste doch irgendetwas von den Elfen zurückgeblieben sein.
Während die eine Hälfte des Stammes mit der Suche beschäftigt war und die andere Reparaturarbeiten ausführten, kümmerten sich Taira mit ihren beiden Freundinnen Nari und Kemi um die Kleine, in die sich ausnahmslos jeder verliebt zu haben schien.
Sie mussten das Baby mit Milch von ihren Horntieren füttern, da im Augenblick keine Babys, ja nicht mal Kinder in ihrem Stamm lebten. Der jüngste von ihnen Sojor, Otars Sohn, war mit einundfünfzig Jahren kein Jungspund mehr. Aber bald würde nachts wieder das Schreien von Babys durch das Dorf hallen. Nicht nur Tairas Sohn würde geboren werden, nein, auch der von Nari, denn vor zwei Tagen hatte Taira Naris Empfangen gefühlt, hatte gespürt, wie das Leben in ihr erwacht war. Seit dem fragte sie sich, wer der Vater des Kindes sei. Es war keiner von ihnen, da war sie sich sicher.
Nicht das sie die Magie von anderen fühlen konnte, nein, dass war ihr nur mit Kalerm und ihrem Sohn gegeben. Trotzdem ließ ihre Gabe sie spüren, wenn zwei Magien sich verbanden oder ein neues Leben geschenkt wurde.
Es führte kein Weg mehr daran vorbei. Nari schwieg beharrlich, gab nichts von sich preis. Taira musste mit ihr sprechen, musste erfahren, was an dem Tag des Unwetters geschah, denn eigentlich kam nur ein Fremder in Frage, der Vater des Kindes auf ihren Armen.
**Nari, ich muss mit dir reden!** Ganz bewusst wählte Taira die gedankliche Sprache und ein geschlossenes Senden. Auf diese Art und Weise würde niemand anderes von ihrem Gespräch erfahren.
Mitten auf dem Dorfplatz blieb die schmale Elfe stehen und wartete. Sanft, ohne es wirklich zu bemerken, streichelte sie mit den Fingerspitzen über den sonnenfarbenen Flaum des Babys, noch immer von diesem einmaligen Farbton fasziniert.
**Was gibt es?** , erkundigte sich die Näherin, wobei sie ihr Innerstes geschickt verbarg. Ähnlich, wie es Taira selber noch vor ein paar Tagen getan hatte, um ihren Sohn zu verheimlichen.
**Du musst dein Kind nicht vor mir verstecken**, antwortete sie, wobei sie so sanft wie möglich, die Verbindung zu Nari aufrecht hielt. **Ich habe es gespürt, habe gefühlt, wie sich deine Magie mit einer anderen vereinigte, wie dein Sohn gezeugt wurde. Dies ist meine Gabe, Nari. Ich werde niemandem etwas sagen, nicht Kalerm, nicht seinem Vater und auch sonst niemanden, aber ich muss erfahren, was geschehen ist.**
Lange blieb es still. Nari hatte sich zurückgezogen und die mentale Verbindung zu ihrer Freundin unterbrochen.
**Nari, dem Baby auf meinen Armen zu liebe**, versuchte Taira es weiter. **Vielleicht ist der Vater deines Kindes auch der ihre.** Abwartend, das Kind sanft hin- und her wiegend, schaute Taira zu Naris Hütte, in der sie schon so viele Jahre allein lebte, zwischen all ihren Stoffen, Nadeln und Garnen. Dies war ihre Welt - Kleider entwerfen, schneidern und nähen.
Tatsächlich tat sich etwas. Der leichte Vorhang, der Insekten aus dem Wohnraum fernhalten sollte, wurde von einer zarten, feingliedrigen Hand zur Seite geschoben. Ihr folgte ein schlanker, brauner Arm, der zu einer sehr zierlichen Elfe gehörte. Nari war ein wenig kleiner als Taira und schmaler. Sie wirkte zerbrechlich und so gar nicht für schwere körperliche Arbeit gemacht. Man konnte sich kaum vorstellen, dass Nari auf einem Feld arbeiten würde oder gar irgendetwas baute. Zwischen all ihren bunten Stoffbahnen war sie sehr gut aufgehoben.
Mit kleinen, langsamen Schritte kam sie auf Taira zu und bat: „Lass uns ein Stück spazieren gehen!“
„Bringen wir die Kleine vorher zu Kemi“, schlug Taira vor und schlug den Weg zu den Feldern ein, die auf halben Weg zum Fluss lagen.
Hier bauten sie an, was sie zum Leben benötigten. Einige der Gemüsesorten wuchsen zwar auch wild im Wald, aber es war viel zu aufwendig, die weit verstreut wachsenden Pflanzen aufzusuchen. Auf den Feldern wuchsen sie direkt nebeneinander und mit dem gut durchdachten System war es leichter alle Mitglieder des Stammes satt zu bekommen.
Die einzelnen Felder wurden durch Wassergräben, die dank dem Unwetter beinah überzulaufen drohten, getrennt und durch diese auch bewässert. Fünfundzwanzig Felder waren es an der Zahl, in einem Rechteck angeordnet, und auf jedem Feld gedieh etwas anderes.
Während Taira zu Kemi ging, sah Nari nach ihren Sträuchern, die rund um die Felder verstreut wuchsen und teilweise bis zu sechs Metern in den Himmel reichten. Nicht mehr lange und sie konnten, die weichen, weißen Kapseln ernten, aus denen sie ihr Garn spann. Alleine würde sie den Bedarf an Kleidung nicht decken können, weshalb ihr einige andere Elfen des Stammes abends beim Spinnen halfen. Es bildete sich stets eine gemütliche Runde. Für Speis und Trank sorgten sie gemeinsam und wie es sich für ein Frauenkränzchen gehörte, wurde viel geredet, gelacht und getratscht. Nach einem gemeinsamen Spinnabend befand sich jede der Elfen auf dem neusten Stand.
Ohne das Neugeborene, dafür aber mit zwei reifen, weichen Mangofrüchten beladen, begaben sich die beiden schwangeren Elfen zum Fluss, um sie sich ein gemütliches, schattiges Plätzchen zum Niederlassen zu suchen. Der Fels den sie auserkoren, war warm, glatt und groß genug, damit sich beide darauf ausstrecken konnten, wenn sie wollten.
Eine ganze Weile saßen sie schweigend beieinander, aßen die Mangos und ließen sie Seele baumeln.
„Was ist passiert, Nari?“ Vor Neugierde hielt es Taira kaum noch aus.
Anstatt jedoch eine Antwort zu geben, stellte die Näherin eine Gegenfrage: „Wieso weiß niemand von deiner Magie?“
„Kalerm weiß es, sein Vater und Rajan war auch eingeweiht.“ Taira fasste nach Naris Hand, entwand den Fingern einen kleinen, anthrazitfarbenen Kieselstein, den sie die ganze Zeit über schon umklammert hielt und verschränkte ihre Finger. „Bitte, behalte es für dich!“ Fest sah sie Nari in die Augen, untermalte somit ihre Bitte nach Diskretion. Ein schwaches Nicken war ihr Antwort genug. „Wenn du vor zwei Tagen von meiner Magie gewusst hättest, von einer Kraft die das Geheimste einer Elfe, eines Elf, ihr Ich, deren Magiepartner und die daraus resultierende Verbindung zeigt, hättest du deine Vereinigung genießen können?“
Irritiert schaute Nari wieder auf, dachte über die eben gefallenen Worte nach und schüttelte dann den Kopf. „Nein, ich glaube nicht. Ich hätte wohl ständig daran denken müssen, dass jemand anderes in diesem intimen Moment bei mir ist.“
„Deswegen halte ich meine Magie geheim“, nickte Taira. „Ich möchte nicht, dass sich die Elfen unseres Stammen unwohl fühlen, nur weil sie wissen, dass es jemanden gibt, der magische Verbindungen, Empfängnis und Tod sehen und spüren kann. Sie alle sollen unbeschwert leben können.“
„Ich werde es für mich behalten, keine Sorge.“ Fest schlossen sich Naris, von Nadeln zerstochenen Finger, wieder um Tairas. „Ich verstehe auch, wieso du es mir, deiner besten Freundin, nicht gesagt hast. Danke, das du den Moment meiner ersten und vielleicht einzigen magischen Verbindung mir alleine gelassen hast.“
Taira fiel ein riesengroßer Stein vom Herzen. Ihr Geheimnis blieb geheim und ihre beste Freundin war ihr nicht böse. „Und nun erzähl mir von ihm! Ich will alles wissen.“
„Wo soll ich anfangen?“ Naris Augen glitzerten, strahlten hell und ihr Gesicht schien regelrecht zu leuchten. Sie schien glücklich zu sein, zumindest im Moment.
„Am Anfang“, lachte Taira, die bemerkte, wie nervös ihre Freundin plötzlich war.
„Ich wollte baden gehen, ein wenig für mich sein und angeln. Ich verspürte keine Lust zu nähen oder etwas anderes zu tun. Dieser wunderschöne Tag sollte ganz alleine mir gehören, und so brach ich zeitig auf, noch lange bevor es hell wurde. Ich traf Otar. Er kam vom Fluss, hatte zehn Fische gefangen und ich fragte mich, ob er noch ein paar für mich drinngelassen hat. Ich sagte ihm wo ich hinwollte, nur für den Fall der Fälle und ich mich so weit entferne, das mich niemand über Gedanken erreichen könnte.“
Ein verträumter Zug machte sich auf Naris Gesicht breit, dann verfiel sie aufgeregt ins Senden – bunt und in allen Farben der Welt ließ sie Taira teilhaben. **Ich lief stromaufwärts, bis zu dem uralten Baum, dessen Geäst weit übers Wasser reicht. Du weiß schon, wo die Jungs ihre Mutproben abhalten, von dem Baum in den Fluss springen, um sich dann von der Strömung, bis zum Wasserfall, mit treiben zulassen.**
Taira nickte und erinnerte sich zurück an die Zeit, als sie und Kalerm gerade achtzehn Regenzeiten alt waren. Natürlich hatte sich auch Kalerm dieser Mutprobe unterzogen. Der Fluss war an jenem Tag unruhig gewesen und die Probe bestand darin sich von den Stromschnellen mitreißen zu lassen, bis zu dem Stück, an dem die ersten spitzen Felsen aus dem Wasser ragten. Dort und nur dort, kurz vor dem Wasserfall, durfte man ans rettende Ufer schwimmen. Spätestens an dieser Stelle musste man auch raus, wenn man nicht Gefahr laufen wollte von den Wassermassen mit über die Kante gerissen zu werden. Wer jedoch vor der Roten Markierung am Uferrand an Land ging verlor und was tat Kalerm? Der Sohn des Anführers dachte mit keiner Silbe daran den Fluss zu verlassen. Geschickt schwamm er durch die zerklüfteten Felsen im Wasser und ließ sich bewusst mitreißen.
Die am Ufer stehenden Freunde, unter ihnen auch Taira, schrien entweder auf oder hielten geschockt den Atem an. Sie alle liefen los, sahen den braunen Leib fallen und in dem, in der Sonne glitzernden, Wasservorhang verschwinden. Gebannt starrten alle auf die schäumende Stelle. Wo würde Kalerm wieder auftauchen? Dann sahen sie ihn, ein Stück flussabwärts, an einer ruhigen Stelle erschien der junge Elf und riss triumphierend die Arme nach oben, ehe er an Land watete, wo er nass und zitternd auf seine Freunde wartete, die erst zu ihm hinabklettern mussten.Unglaublich wütend und böse war Taira damals auf ihn gewesen, hatte ihm vorgehalten wie verantwortungslos und kindisch er sich verhielt. Und seit eben jenen Tag war die Mutprobe um jenen Sturz über den Wasserfall erweitert wurden. Lange war es her, schon so lange, dass kaum noch jemand daran dachte, dazu kam der fehlende Nachwuchs der letzten Jahre. Vielleicht waren es ja ihre Söhne, die diese Tradition wieder auferstehen ließen.
**Ich saß auf einem der Äste und ließ mir neue Schnittideen durch den Kopf gehen. Irgendwann hatte ich das Gefühl beobachtet zu werden. Ein komisches Gefühl. Von uns war es niemand, da war ich mir sicher. Jeder von uns wäre ganz offen zu mir gekommen. Um ehrlich zu sein: es machte mir Angst. Es tat sich nichts, aber das komische Gefühl blieb, also redete ich mir ein, dass irgendein Tier im Wald auf der Lauer lag. Auf dem Baum, die Beine über dem Wasser baumelnd, war ich sicher, zumindest drohte mir keine unmittelbare Gefahr. Außerdem befand ich mich ja noch in Sendweite zum Dorf und konnte zur Not um Hilfe rufen.** Für einen winzigen Augenblick unterbrach Nari die Gedankenverbindung mit Taira.**Trotzdem sah ich mich immer wieder um. Dieses Kribbeln in meinem Nacken wollte nicht weichen und dann entdeckte ich ein paar graue Augen zwischen den Zweigen. Was dann geschah, kann ich nur als animalisch beschreiben. Es traf mich wie ein Blitz. Plötzlich war da eine fremde Magie in mir, nur ganz kurz, aber wild und unbeherrscht, vollkommen anders als ich, aber doch so vertraut. So, als würde wir uns schon unser ganzes Leben kennen, als wären wir schon immer eins und füreinander geschaffen.**
Taira nickte. Ihr war es mit Kalerm nicht anders ergangen, mit nur einem Unterschied, Kalerm war für sie kein vollkommen Fremder gewesen.
**Ich konnte nicht anders. Ich ließ meine Angel einfach in das Wasser fallen, kletterte von dem Baum und näherte mich dem Fremden, der sich bisher hinter dem Busch versteckt hielt. Hellbraunes, widerspenstiges Haar umrahmte das kantig geschnittenes Gesicht mit den stechenden grauen Augen.**
In Naris Erinnerungen sah Taira den fremden Elfen, der sich grundlegend von den Schattenwaldelfen unterschied. Er war klein von Wuchs, reichte Nari, die selbst nicht zu den größten hier gehörte, gerade mal bis zur Brust, aber er war drahtig, gut definiert, auf seine Weise schön und eben wild in seiner Ausstrahlung. Der gut trainierte Körper steckte in weichen, anschmiegsamen Ledersachen.
**Wir konnten nicht anders. Als wir voreinander standen fielen wir einfach übereinander her.** Diese Erinnerung wollte Nari lieber ganz für sich alleine behalten. „Es ging gar nicht anders. In mir schrie alles nach ihm. Unsere Vereinigung war wild, beinah brutal, aber unglaublich befriedigend und befreiend.“
Mit geröteten Wangen schlug Nari den Blick nieder. „War es bei Kalerm und dir genauso?“
„So ähnlich“, stimmte Taira zu. „Wir konnten uns nicht dagegen wehren, was wir ja auch gar nicht wollten. Wir hatten es uns unser ganzer Leben lang gewünscht, wie du weißt. Für uns war es die Erfüllung eines lang gehegten Traumes und das Lager teilten wir schon viele Jahre. Von daher konnten wir es langsam angehen und unsere Verbindung mehr genießen.“
„Raynir, so sein Name, blieb bei mir liegen, hielt mich fest und verband sich mit mir auf eine mir unbekannte Art und Weise. Innerhalb von Sekunden erfuhr ich alles über ihn und er von mir. Oh, Taira, es war unglaublich. Wir liebten uns immer und immer wieder, konnten nicht genug voneinander bekommen. Irgendwann schliefen wir erschöpft ein.“ Seufzend lehnte Nari sich zurück, lag ausgestreckt auf dem, von der Sonne, aufgeheizten Felsen und schaute hinauf in den strahlend blauen Himmel.
**Als ich erwachte, fühlte ich mich wie erschlagen, als wäre ich von einem umgestürzten Baum begraben worden. Jeder Zentimeter tat mir weh, aber es war ein angenehmes Ziehen und Zwacken. Ich wollte mich wieder an Raynir kuscheln und erschrak. Direkt neben Raynir lag ein großes Tier und schaute mich aus braunen Augen an: nicht böse, eher neugierig. Den Kopf hatte das Tier auf seinem Bauch gelegt. Vorsichtig, da ich ja nicht wusste, ob das Tier böse oder gut ist, setzte ich mich auf und weckte Raynir, der dem Tier daraufhin den Kopf kraulte und leise mit ihm sprach. Er erklärte mir, dass dies ein Hund sei und auf den Namen Strolch hört.**
Taira sah das wunderschöne Tier in ihrem Kopf. Ein Hund also. Hier, in diesem Wald hatte sie noch nie etwas ähnliches gesehen. Sie würde die Jäger danach fragen, wenn sie wieder im Dorf ankamen. Die braunen Augen, über der spitzen Hundeschnauze mit den Reißzähnen, schauten treu in die Welt. Das Fell des Tieres war dunkelbraun, mit hellbraunen und noch helleren Flecken gescheckt, ziemlich lang und sicher genauso weich und kuschelig, wie das der Gelbstreifen. Große Pfoten trugen den kräftigen Körper, dem man die Kraft und die Ausdauer ansah.
**Ich durfte mit Strolch kuscheln und toben. Es war schön mit den beide. Wir hatten unglaublich viel Spaß. Dann zog das Unwetter auf. Ich führte die beiden zu der Schutzhütte, die nicht weit entfernt im Wald steht. Wir unterhielten uns lange, teilten alles was uns einfiel, hielten uns fest umschlungen, versuchten uns so nah wie möglich zu sein, bis das Gewitter weiterzog und mit diesem auch Raynir.** Naris Erinnerungen trübten sich leicht ein. Taira merkte die Traurigkeit und die Sehnsucht in ihrer besten Freundin.
**Er befand sich auf dem Weg zu jemanden. Er war verabredet, aber diesen Teil seines Lebens schützte er vor mir. Er ging. Er verließ mich einfach.Ich weiß nicht wo Raynir hin ist. Es tut so weh...**
„Oh, Nari, es tut mir leid.“ Sanft streichelte Taira Naris Oberschenkel. Jetzt verstand sie, wieso ihre Freundin in den letzten Tagen in sich gekehrt, abwesend und geknickt gewirkt hatte. Taira konnte sich nicht ausmalen, was ihre Näherin gerade durchmachte, getrennt von einem Teil ihrer Magie. War es ähnlich wie bei Kopen? Würde Nari an der Trennung von Raynir zerbrechen? Trotz der Qual, die Nari gefangen hielt, musste sie fragen: **Hast du bei ihm eine Tochter gesehen?**
**Nein, nur einen Sohn – erwachsen.**

Taira spürte die Einsamkeit, die alles verzehrende Sehnsucht, die Nari fest in ihren Klauen hielt. Wie konnte sie ihr helfen? Was tun? Im Moment fiel ihr nur eines ein, Nari an sich zu ziehen und ganz fest in die Arme zu schließen. „Ich bin für dich da, wann immer du mich brauchst. Du kannst Tag und Nacht zu uns kommen, wenn du glaubst es vor Sehnsucht nicht mehr auszuhalten.“
„Mir ist...“ Nari schlang die Arme um Taira und suchte bei ihr Schutz. „Ich fühle mich leer, als hätte jemand den größten Teil meines Ichs gestohlen.“
„Das hat Raynir wohl auch, aber er hat dir auch etwas dagelassen.“ Zärtlich strich Taira über Naris Bauch. „Fühlst du deinen Sohn? Er wird das Loch in deiner Seele wieder füllen.“
„Unsere Söhne werden gemeinsam aufwachsen und eventuell beste Freunde werden, so wie wir.“ Ein leises Lachen rang sich aus Naris Kehle. „Und wer weiß, vielleicht streiten sie sich um unser Findelkind, wenn wir seine Eltern nicht finden.“

***

Trotz fünftägiger, ausdauernder und gewissenhafter Suche war es den Jägern des Stammes nicht vergönnt die Eltern des Babys zu finden. Ihnen blieb nichts weiter übrig, als eine Entscheidung zu Gunsten des Kindes zu treffen.
Gemeinsam saßen sie am Abend um ein Feuer, über dem ein Kessel mit Gemüsesuppe hing, dazu gab es Brot, welches im Moment, auf heißen Steinen am Rande des Feuers ausbuck und frische Früchte. Stimmengewirr hüllte den Versammlungsplatz ein, über den sich nächtliche Dunkelheit senkte. Die Stimmung im Dorf war gelöst, trotz der Fragen, die sich in den letzten Tagen und Nächten bei den Schattenwaldelfen angesammelt hatten.
„Wir wissen nicht woher das Kind kommt“, erhob sich Kopen, der kränklicher aussah, als je zuvor. Sofort gehörte alle Aufmerksamkeit ihm. Jedes Augenpaar richtete sich auf ihn. „Wir können sie nicht einfach so zu ihrer Familie nach Hause bringen, aber, wir können ihr ein neues zu Hause geben, hier bei uns. Wir werden sie lieben, wie jemanden von uns, werden sie wie eine Elfe von uns erziehen, ihr unsere Werte vermitteln und alles beibringen, was sie in ihrem Leben brauchen wird, auch um alleine zu überleben. Und wir müssen als Stamm entscheiden, ob wir uns auf die Suche nach anderen Elfenstämmen begeben, nun da wir wissen, dass es andere von uns gibt. Schlaft eine Nacht darüber. Vielleicht gibt es ja jemanden unter euch, der gern in die weite unbekannte Welt ziehen würde.“
Körperlich geschwächt und zittrig auf den Beinen, ließ Kopen sich wieder auf der Bank hinter sich nieder. „Ich werde die Kleine gerne in die Obhut von Elmor und Kemi geben, wenn ihr nichts dagegen habt. Kemi hat sich die letzten Tagen aufopfernd um sie gekümmert und schon eine Verbindung zu ihr aufgebaut. Diese zarte Band werde ich ihnen nicht zerstören.“
Dies war die letzte Entscheidung, die Kopen in seinem Leben traf. Einige Stunden später folgte er seiner geliebten Seelengefährtin Rajan.

2. Missverständnisse

Verschwitzt erwachte ich. Das schulterfreie, weiche, blaue Hemd klebte an meiner feuchten, kalten Haut und fühlte sich widerlich an. Nass hingen mir wirre Strähnen meines hellen Haares ins Gesicht und kitzelten mich an der Stirn und im Nacken. Leise seufzend strich ich die Haare nach hinten, fasste sie am Hinterkopf zusammen und tastete in der Finsternis nach dem Lederband, mit dem ich meine Lockenmähne immer bändigte.
Angewidert von mir selbst strampelte ich die leichte Decke weg und setzte mich auf. Finsternis und Stille hüllte mich ein, nur hier und da vernahm ich leise, typische Geräusche für den nächtlichen Wald und ein im Schlaf liegendes Dorf.
Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Dunkel. Erste Umrisse schälten sich hervor. Mein Blick glitt zu meiner jüngeren, aber viel größeren Schwester Ouni, die nur ein Stück von mir entfernt auf ihrem eigenen Schlaflager tief und fest schlief, hoffte ich zumindest.
Verwirrt starrte ich vor mich hin, nachdem ich mich wieder hingelegt, die Arme unterm Kopf verschränkt hatte und versuchte meine chaotischen Gedanken zu ordnen. Ein Traum? War das ein Traum gewesen? Hatte dieser mich geweckt? Was hatte ich gesehen? Plötzlich erinnerte ich mich, ganz klar, beinah überdeutlich zuckte die Erinnerung durch meinen Kopf. Was sollte das? Wieso träumte ich solchen Blödsinn? Wieso tat mir mein Unterbewusstsein dies an? Hatte ich tatsächlich so große Angst vor meinen eigenen Gefühlen, dass ich sie mir unbewusst vermieste? Musste ich mich selber schützen? Oder war es einfach nur ein Alptraum gewesen? Ja, das war es, nur ein schlechter Traum. Wieso sonst sollte ich so was verrücktes träumen? Diese Bilder konnten, durften nicht echt sein.
Heftig schlug das Herz in meiner Brust, eine Gänsehaut zog über meinen Rücken, die Oberarme und die Schenkel. Der Traum hatte mich ganz schön mitgenommen, kein Wunder bei dem, was ich darin erlebte.
Leise, um Ouni nicht zu wecken, erhob ich mich, tappte barfuß zu meiner Truhe, die neben meiner Liege an der Wand stand und hob den Deckel an. Irgendwo darin befand sich ein weiteres hauchdünnes Schlafoberteil. Gar nicht so einfach den roten Stoff ausfindig zu machen, wenn man nichts erkannte. Im Dunkeln sah alles irgendwie grau aus. Mit den Fingern tastete ich mich durch die verschiedenen Kleidungsstücke, bis sich ein Stoff so dünn und weich anfühlte, dass ich mir sicher war, das richtige Oberteil gefunden zu haben. Das wird es schon sein, dachte ich, und wenn nicht, dann wasch ich es morgen schnell durch. Im Augenblick wollte ich nur aus dem feuchten Stoff raus, zog ihn mir über den Kopf und das frische Hemd über, danach kroch ich zurück auf mein Schlaflager.
Neben mir regte sich meine Schwester und schlug die Augen auf, die im diffusen Dunkel geheimnisvoll glitzerten. „Hast du wieder von ihm geträumt?“
Oh ja, das hatte ich, wie beinah jede Nacht und in meinen Tagträumen. Meine Gedanken drehten sich fast nur noch um ihn. In den wildesten Farben malte ich mir aus, wie es sein könnte, was ich mir alles mit ihm, von ihm wünschte. Aber der Traum heute, der war anders gewesen, als alle meine Wunschträume davor. Dieser war irgendwie realistischer, beinah so, als hätte ich ihn heimlich beobachtet und Dinge gesehen, die nicht für meine Augen bestimmt waren und mir gar nicht gefielen. Nein, dieser Traum hatte mir wehgetan, ließ mein Herz schmerzen und alle meine Wünsche zerplatzen.
„Nein, habe ich nicht“, antwortete ich leise und versuchte meiner Stimme einen festen Klang zu geben, was mir nicht wirklich gelang.
„Glaub ich dir aufs Wort“, lachte meine Schwester und drehte sich auf die andere Seite. „Denk vorm Einschlafen lieber nicht an ihn, sondern ans Fische ausnehmen oder etwas ähnliches, dann träumst du ganz bestimmt nicht von ihm.“
Wie Recht meine Schwester doch hatte. Es war ganz bestimmt nicht hilfreich, wenn ich mir vor dem Einschlafen vorstellte, wie es wäre, mich an ihn zu schmiegen, seine Arme um mich zu fühlen und seine weiche braune Haut an der meinen. Aber es war so schön daran zu denken, wie es sein könnte, dabei das aufgeregte Kribbeln im Bauch zu spüren und noch immer seinen Duft zu riechen, mit der leichten Nuance Mango, die ihn immer umgab. Kein Wunder, dass er mich im Schlaf nicht in Ruhe ließ. Er war doch so aufregend, so groß, so kräftig, so... Schluss jetzt, hör auf damit, mahnte ich mich im Stillen. Tatsächlich versuchte ich mich nun auf silbrig glitzernde, glitschige Fischleiber zu konzentrieren. Für ein paar Sekunden gelang mir dies auch, doch dann fand ich etwas besseres.
Ich dachte zurück und versank in meiner Kindheit, die schon so weit weg zu sein schien, dass sie kaum noch wahr war. Mit achtundzwanzig gezählten Regenzeiten kam einen dies anscheinend so vor.
Unten am Fluss hatten Taira und Kalerm mich gefunden. Ich wusste ganz genau wo, denn die letzten Regenzeiten war ich wenigstens einmal bei Neumond dort gewesen, hatte auf den Felsen gesessen und gewartet. Vielleicht tauchten meine Eltern doch irgendwann auf. Mir war die Wahrheit nie vorenthalten worden. Ich habe immer gewusst, dass ich ein Findelkind war. Taira, Kalerm und auch meine Eltern hatten mir die damaligen Ereignisse regelmäßig geschildert, mir von dem Unwetter erzählt, von der fünf Tage andauernder Suche und der Entscheidung, dass ich bei Elmor und Kemi aufwachsen sollte.
Ich war keine Elfe dieses Stammes. Die Schattenwaldelfen waren groß, beinah elegant in ihrem Wuchs, schwarzhaarig, dunkeläugig und besaßen braune Haut. Ich dagegen war recht klein, reichte den meisten gerade mal bis zur Brust, war kräftig in der Statur und wirkte eher plump als elegant. Mein helles, welliges Haar und meine strahlend blauen Augen waren immer etwas besonderes gewesen. Mit den Jahren gewöhnten sich die Schattenwaldelfen an mein Aussehen und der Satz: „Ach, wie süß sie doch ist“, verschwand aus ihrem Wortschatz. Zum Glück, denn je älter ich wurde, um so mehr hatten mich die Feststellungen geärgert, ähnlich wie der Satz: „Bist du groß geworden!“ Ich war nicht groß und ganz bestimmt nicht süß. Ouni, ja, Ouni war süß mit ihrer kleinen Stupsnase, den tiefschwarzen Augen und den zarten Gliedern. Ich würde niemals so grazil wirken wie sie.
Oh man, das Grübeln half mir auch nicht beim Einschlafen und das Ouni nun auch noch anfing zu schnarchen, machte es auch nicht leichter.
Schritte vor der Hütte meiner Eltern zerrissen die Stille. Irgendjemand von uns war wach und spazierte durch das dunkle Dorf. Noch jemand, der wie ich, keinen Schlaf fand. Vielleicht sollte ich es genauso tun und eine Runde an der kühlen Nachtluft drehen.
„Kolam, mir reicht es!“ Das war Degens Stimme. Er schlich also da Draußen herum und schien nicht alleine zu sein. Ich sah den Sohn unserer Näherin vor mir - die hellbraunen, großen Augen, das leicht kantige Kinn, die große Nase, meiner gar nicht so unähnlich und die wirren, braunen Locken die sein Gesicht umrahmten. Im Gegensatz zu den Schattenwaldelfen trug er sein Haar nicht lang.
Kolam, natürlich befand er sich an der Seite seines besten Freundes - unzertrennlich, man sah keinen von beiden jemals alleine. Es gab sie nur im Doppelpack.
Für einen Augenblick zogen sich meine Magenwände schmerzhaft zusammen. Ein untrügliches Zeichen dafür, wie tief Kolam in meinem Herzen verankert war, wie gern ich den Sohn unseres Anführers hatte. Dieser schwarzhaarige Elf trieb sich jeden Tag und jede Nacht in meinen Gedanken herum, ließ mich nicht zur Ruhe kommen und mich wie einen Einfaltspinsel aussehen, wenn ich mich in seiner Nähe befand.
„Degen, zwing mich nicht zu etwas, das ich nicht tun möchte.“ Kolams tiefe, sanfte und volle Stimme drang bis in die letzte Faser meines Körpers, verursachte überall eine Gänsehaut.
Wieso schlichen die beiden mitten in der Nacht durch das Dorf? Was taten sie oder was hatten sie getan? Um was ging es?
Ich vernahm schnelle Schritte, sie stampfend davon eilten, dann kehrte Ruhe ein.
Verwirrt rieb ich mir die müden Augen, erinnerte mich wieder an den seltsamen Traum, der mich weckte und versuchte mich an jede Kleinigkeit zu erinnern, aber wie es nun mal mit Träumen ist, nach einer Weile verblassen sie, bis sie irgendwann ganz verschwinden und nur ein dumpfes Echo zurück blieb. Niemals genug um die Zusammenhänge, wenn es denn welche gab, zu verstehen. Trotzdem war noch genug Erinnerung übrig - Bilder die ich nicht verstand und mein Herz schmerzen ließ. Nein, sagte ich mir daher immer wieder, nein, nein, nein. Es war nur ein schlechter Traum. Nichts von dem, was ich darin gesehen hatte, war real, daran änderte auch Kolams und Degens komischer Wortwechsel nichts.
Irgendwann schlief ich erschöpft ein.

***

Bis zu den Knien im dreckigen, rot gefärbten Wasser stehend, halfen Ouni und ich unseren Eltern auf dem Feld. Noch waren die Pflanzen klein, aber bald würden sie wachsen und eines unsere Hauptnahrungsmittel bilden. Während ich die Setzlinge, Reihe für Reihe versenkte, hing ich meinen Gedanken nach. Es war ein Tag wie jeder andere. Die Sonne schien vom Himmel, die Vögel sangen ihr Lied und Insekten umschwirrten mich und trieben mich ab und zu mal zu einem kleinen Wutausbruch, wenn ich mit nassen Händen um mich schlug um sie zu vertreiben und das rot gefärbte Wasser mit vielen kleinen Tropfen meine Kleidung verfärbte.
Ich ging meinen mir selbst gewählten Pflichten nach. Vielleicht fand ich eines Tages etwas, mit dem ich mich wirklich identifizieren konnte. Das Jagen lag mir nicht. Ich gehörte eher zu den Elfen, die ein Tier pflegten und hegten und das Herz an es verloren, aber nicht erlegen konnten. Schon als Kind hatte ich jegliches Getier, sehr zum Leidwesen meiner Eltern, mit angeschleppt gebracht, mal waren es Kaulquappen aus einer Pfütze gewesen, die ich vor dem Sterben retten wollte und dann im Fluss aussetzte, mal Springbeine, die sich, sehr zum Ärger meiner Mutter, überall in der Hütte verteilten oder es waren kleine Piepser mit weichem grauen Fell, nicht gern in der Küche gesehen, weil sie alles annagten, aber doch so süß mit den kleinen schwarzen Knopfaugen. Kriechtiere mochte ich nicht, die sammelte ich, soweit ungiftig, ein und konnte sie, wie auch Fische, ohne Probleme zum Essen vorbereiten. Sobald aber etwas Fell oder Federn trug, schaffte ich es nicht mehr, sie zu töten. Mir taten die Tiere leid. Sie schauten einen an und man hatte das Gefühl, sie wüssten ganz genau, für was sie gefangen wurden waren.
Bei Nari hatte ich auch reingeschnuppert, aber den ganzen Tag nur Nähen und herumsitzen, war mir zu langweilig. Dagegen empfand ich es als entspannend, abends mal mit Garn zu spinnen. Und so half ich mal auf den Feldern mit, mal bei den Handwerkern und am meisten traf man mich beim Füttern und der Gehegepflege unserer Gackerbeine und Grunzer an. Irgendwann, vor vielen Jahren, als ich noch ein kleines Kind gewesen war, fiel mir auf, das die kleinen grauen und schwarzen Grunzer sich nicht nur gern im Schlamm suhlten, sondern auch schlaue Tiere zu sein schienen. Nach einem Wurf mit fünf Jungen suchte ich mir das kleinste Tier aus, taufte es Tüpfelchen, wegen der vielen schwarzen Punkte in seinen ansonsten hellen Borsten und kam täglich vorbei, um es an mich zu gewöhnen. Natürlich verwöhnte ich den Kleinen mit lecker Obst und irgendwann folgte Tüpfelchen mir auf Schritt und Tritt, sehr zur Erheiterung der anderen Elfen im Dorf. Der Kleine war so fixiert auf mich, dass er mir sogar die Holztreppe zu unserer Hütte hinauf folgte. Meine Eltern waren anfangs gar nicht begeistert, da Tüpfelchen aber um sein Geschäft zu erledigen unter dem Haus verschwand, durfte er bleiben.
Ich war wohl die erste Elfe mit einem Haustier und hatte wirklich Freude daran. Mit Hingabe brachte ich Tüpfelchen kleine Kunststückchen bei, sich um sich selbst drehen, tot stellen, bis fünf Grunzen und Gegenstände wiederbringen, nachdem ich sie versteckte. Mein Grunzer sorgte überall für gute Unterhaltung.
Lange lebte er bei uns, aber vor drei Jahren starb er leider und ich hatte nicht den Mut aufgebracht mir einen neuen Grunzer auszuwählen, zu sehr hatte mich Tüpfelchens Verlust getroffen. Sein Tot hatte mir so unendlich weh getan, dass mir beinah einen Neumond lang immer wieder Tränen über die Wangen liefen, wenn ich an Tüpfelchen denken musste. Ich war mir sicher, dass ich diesen Schmerz und diese Trauer nicht noch einmal erleben wollte, also blieben die Grunzer was sie waren, Nahrung für die Schattenwaldelfen und Materiallieferant. Seit Tüpfelchen hatte ich kein Grunzerfleisch mehr angerührt. Ich aß lieber was Wald und Fluss an Fleisch und Fisch hergaben und Gackerbeine.
Hier im Dorf gab es noch einen Elf, der sich ein Haustier hielt – Kolam. Vor einigen Jahren hatte er einen kleinen verletzten kunterbunten Vogel aus dem Dschungel mit nach Hause gebracht. Ein Jungtier, das entweder von seinen Geschwistern oder von einem Nesträuber aus dem Nest gedrängt worden war. Mit dem handvoll Vogel stand er eines Nachmittags vor Althai, unserer Heilkundigen. Es war nicht sicher, ob der verfrorenen, abgemagerte und vollkommen zerzauste kleine Vogel die nächste Nacht überlebte, aber er tat es und so sah man Kolam mit einer Schaufel im feuchten Boden nach Würmern graben, nicht um mit ihnen Fische zu fangen, sondern um Tschilp, wie er den Winzling taufte, aufzupäppeln. Was ihm gelang. Noch heute, Jahre später, sah man Tschilp ab und zu mal wieder aus dem Dschungel auftauchen und seinen Freund besuchen.
Kolam, und schon wieder drehten sich meine Gedanken um ihn. Beinah vier Neumonde war es her, dass ich heimlicher Zeuge seines nächtlichen Gespräches mit Degen geworden war und dieser seltsame Traum jener Nacht ließ mich auch nicht in Ruhe. Ich wusste bis heute nicht, was ich davon halten sollte. Irgendwann hatte ich angefangen die Freunde zu beobachten, da ich herausfinden wollte, welche Meinungsverschiedenheit die beiden damals austrugen.
Bisher hatte ich nur bemerkt, dass Kolam in den Tagen danach Degen aus dem Weg ging, obwohl dieser wieder und wieder versuchte hatte in Kolams Nähe zu gelangen. Doch Kalerms Sohn wich ihm aus, schien einen Zaun um sich gebaut zu haben, der so hoch war, dass Degen ihn nicht überwinden konnte. Was war geschehen, dass die Unzertrennlichen plötzlich gar kein Zeit mehr miteinander verbrachten?
Ich grübelte, zermarterter mir den Kopf, fand jedoch keine Erklärung und ich war mehr als nur froh darüber, als die Freunde sich langsam wieder zusammenrauften und bald darauf wieder die Unzertrennlichen gaben. Der Streit schien keinen Knacks in ihrer Freundschaft hinterlassen zu haben, diese war eher noch tiefer geworden. Tag für Tag verschwanden sie, gingen irgendwo hin und blieben manchmal über Nacht fern. Was sie auch ausheckten, ich würde es herausfinden.
„Kalia!“ Neben mir, in dem wadenhohen Wasser, hockte Ouni und half wie ich, beim Stecken der Pflanzen.
„Was?“, fragte ich erschrocken, da sie mich mitten aus meinen Überlegungen gerissen hatte.
„Da hinten kommen Kolam und Degen.“ Mit dem Kinn deutete sie Richtung Dorf, zu einem schmalen Trampelpfad, der beinah im Grün des Dschungels verschwand. Man musste schon genau hinsehen, um die beiden Elfen erkennen zu können. Degen verschmolz in seiner Jägerkleidung regelrecht mit dem Grün des Waldes.
Für einen Moment schien mein Herz ein paar Schläge zu überspringen, dann spürte ich die tausenden Schmetterlinge in meinem Bauch. Tief holte ich einmal Luft, zwinkerte und atmete langsam aus um mich zu beruhigen.
Kolam war groß, so groß wie sein Vater Kalerm, kräftig gebaut, geschmeidig wie ein Gelbstreifen und so flink wie ein Klettertier. Das lange schwarzblaue Haar trug er zur Hälfte am Hinterkopf zusammengebunden. Die tiefschwarzen Augen strahlten und die vollen Lippen waren zu einem warmen Lächeln verzogen.
Degen, der genauso fröhlich strahlend neben ihm lief, war nicht ganz so groß, war fast einen Kopf kleiner als der Sohn unseres Anführers, sah aber genau so gut aus mit den braunen lockigen, halblangen Haaren und den hellbraunen Augen.
Neben mir richtete Ouni sich auf, watete durch das Wasser, das es nur so spritzte und eilte lachend auf die Zwei zu, die, als sie sie erblickten, stehen blieben und auf sie warteten.
Ich blieb wo ich war, schaute ab und zu mal auf, sah wie die drei sich lachend unterhielten und wusste nicht so recht, was ich tun oder lieber lassen sollte. Blieb ich an meinem Platz wirkte es uninteressiert und wenn ich rüber ging, dachte Kolam sicherlich, dass ich aufdringlich und neugierig bin und so hockte ich weiter im Wasser und erledigte meine Arbeit.
Innerlich brodelte es in mir. Natürlich war ich neugierig und wollte wissen, über was meine Schwester und die Freunde sprachen. Ich schien sogar eifersüchtig auf mein Schwesterchen zu sein, da sie immer ungezwungen mit Kolam plaudern konnte, was mir einfach nie gelingen wollte. Ich hielt mich meistens zurück und hörte nur zu, während ich gegen verräterische Zeichen meines Körpers ankämpfte, die ihm zeigen konnten, wie sehr ich ihn mochte. Zum Glück schützte mich im Moment eine goldene Flut aus Haaren, die mir ins Gesicht hingen. Trotzdem spürte ich das Kribbeln auf der Haut, das Brennen seines Blicks auf mir. Meine Neugierde siegte. Ich hob den Kopf und schaute direkt in Kolams schwarze Augen. Blut schoss mir in die Wangen. Ich spürte die Hitze in mir aufwallen und lief bis unter die Haaransätze rot an. Schnell schaute ich wieder weg. Wie peinlich.
Nur aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass Ouni wieder zu mir kam und Kolam und Degen ihren Weg fortsetzten. Endlich. Befreit atmete ich auf, sah ihnen nach und war wütend, weil ich mich wieder mal nicht getraut hatte mit Kolam zu reden. Seit dem Traum fiel es mir von Tag zu Tag schwerer ungezwungen mit ihm umzugehen und meine immer stärker werdenden Gefühle für ihn machten es auch nicht leichter.
„Du magst ihm wirklich sehr!“, stellte Ouni leise fest, als sie wieder ihren Platz neben mir einnahm oder hatte sie mich gefragt?
Ich zuckte mit den Schultern, schaute Kolam noch nach, bis er und Degen wieder vom Wald verschluckt wurden. Was sollte ich erwidern? Die Wahrheit?
„Ich mag ihn nicht nur“, antwortete ich ehrlich, nur um noch dunkler im Gesicht anzulaufen. Meine Schwester hatte es wirklich gut. Ihre dunkle Haut verdeckte gut, wenn ihr das Blut mal ins Gesicht stieg.
„Frag ihn doch mal, ob er dich im Stockkampf unterrichten kann. Dann könntest du Zeit mit ihm verbringen, ohne das du dir dabei dumm vorkommst.“
Das war meine kleine Schwester. Immer eine Lösung parat für jedes Problem, sei es noch so groß. Wieso war ich nicht von alleine darauf gekommen? Weil du alles und jeden vergisst, wenn es um ihn geht, lachte eine leise Stimme in mir. Ich griff nach Ounis Hand und drückte sie dankbar.
Aufmunternd nickte sie mir zu. „Soll ich dir dann die Haare machen?“
„Sehr gern, Schwesterchen.“ Mir war klar, das Ouni mir nicht wirklich die Haare flechten wollte. Nein, sie wollte mir mir reden und ich würde dieses Angebot annehmen, denn bei ihr konnte ich mein Herz ausschütten, ohne dass das was ich von mir gab, gegen mich verwendet werden würde.

Weit lag das Dorf hinter ihnen. Die Felder waren nicht mehr zu erkennen und sie endlich wieder allein. Sie waren froh darüber, dass sie den Tag für sich alleine nutzen durften. Die Jäger konnten auf Degen verzichten und Kolams Eltern diskutierten schon den Morgen über, welches Tier bei ihrer nächsten großen Feierlichkeit geschlachtet und dann zubereitet werden sollte. Somit war es Kolam gelungen davonzuschleichen.
Seit vier Monaten trugen die beiden jungen Elfen ein Geheimnis tief in sich versteckt. Niemandem hatten sie davon erzählt. Sie wussten ja nicht mal selbst, was genau geschehen war. Wie also sollten sie es jemandem erklären? Für Kolam war sein Leben plötzlich vollkommen auf den Kopf gestellt. Er hörte viele Geschichten zu Hause, sogar von Elfen, die schon so lange nicht mehr unter ihnen weilten, da sich niemand mehr wirklich an sie erinnern konnte. Außer sein Vater, der die Erinnerungen seines Vaters Kopen übernommen hatte, als dieser starb. Kolam war damals noch nicht geboren. Er hatte nicht erlebt, wie sein Vater die ersten Tage, nach der Erinnerungsteilung, mit seinen Gedanken kämpfte. Plötzlich wusste Kalerm nicht mehr, welche Erinnerungen und Gefühle die seinen waren und welche die von seinem Vater. Es hatte Tage gebraucht um Ordnung in das Chaos zu bringen und alles zu sortieren. Und nun, nun trug ihr Anführer die Erinnerungen der letzten Jahrtausende in sich und teilte sie am Abend gerne mit seiner Familie. Aber noch nie hatte Kalerm von anderen Elfen erzählt, denen ähnliches widerfahren wie, wie Kolam und Degen.
**Kolam!** Unendlich sanft und so vorsichtig, wie es ihm möglich war, verband Degen sich mit seinem besten Freund.
**Degen?**, reagierte Kolam, aber anders als der Braunhaarige, war Kalerms Sohn in seinen Gedanken ruppig und kurz angebunden.
**Wollen wir nicht endlich ...**
„Wir waren uns einig, dass wir niemandem davon erzählen“, unterbrach Kolam seinen Freund energisch. Er mochte es nicht, wenn Degen mehr von ihm erfuhr, als nötig war. Darum zerbrach er ihre Verbindung harsch. In ihm herrschte solch ein Chaos. Er verstand das alles nicht. Degen sollte nicht merken, das Kolam ihn durch die magische Verbindung immer mehr mochte und auch begehrte.
**Kolam, ich ...**
**NEIN!** Er konnte es einfach nicht. Viel zu viel war ungeklärt zwischen ihnen und so lange Kolam nicht wusste, was er wirklich wollte, sollten sie schweigen.
Degen wusste, dass es besser war, wenn er Kolam jetzt in Ruhe ließ und das heikle Thema mied. Irgendwann musste der junge Elf sich ja entscheiden, entweder für oder gegen ihn.
Hin- und hergerissen von seinen Gefühlen, den alten und den neuen unbekannten, dachte Kolam zurück, an jenen Tag, der alles änderte.

***

Es war ein schwüler Tag gewesen. Die Sonne versteckte sich hinter trüben Schleiern, erhitzte aber trotzdem den Dschungel, der vor sich hin dampfte und die Luft feucht werden ließ. Es war einer dieser Tage, an denen das Dorf in Stille lag. Die meisten Bewohner hielten sich in ihren Hütten auf und verbrachten einen faulen, freien Tag. Für die besten Freunde Kolam und Degen der Moment um gemeinsam zu trainieren.
Es gab nicht viele Schattenwaldelfen, die sich auf die Kriegskunst verstanden, aber die alten Kampfkünste wurden in der Familie der Anführer von einer Generation an die nächste weitergegeben. Auch, wenn sie seit hunderten von Regenzeiten in Frieden lebten, konnte es jeden Morgen damit vorbei sein und so war es gut, wenn es einige Elfen gab, die wussten wie man sich verteidigen und kämpfen konnte. Jeder durfte frei entscheiden, ob er die uralten Techniken erlernen wollte oder nicht und Degen war seit Kindertagen mit Ernsthaftigkeit und viel Freude dabei. Gemeinsam mit Kolam hatte er von Kalerm den Stockkampf erlernt.
Nur noch selten kamen sie dazu ihre Kräfte zu messen. Seit sie den Kinderschuhen entwachsen waren, gab es genügend andere Aufgaben zu erledigen. Degen hatte sich für die Jagd entschieden, erlernte bei Otar das Handwerk und war manchmal tagelang mit den Jägern unterwegs und Kolam, Kolam lernte alles, was er als zukünftiger Anführer der Schattenwaldelfen wissen musste.
Am Fluss gab es ein abseits gelegenes Plätzchen. Von Felsen umrahmt lag es ruhig eingebettet im dichten Grün des Dschungels. Kaum einsehbar und schwer zu entdecken, wenn man nicht wusste, wonach man Ausschau halten sollte. Genau dorthin hatte es die beiden so verschiedenen Elfen verschlagen. Nicht nur äußerlich waren sie das genaue Gegenteil des anderen, sondern auch in ihrem Wesen konnten sie nicht unterschiedlicher sein. Degen war ein ungestümer Charakter, heißblütig und offen, in ihm brannte ein stetiges Feuer, welches kaum zu bändigen, geschweige denn zu löschen war. Der Braunhaarige legte einfach los und dachte nicht wirklich über Konsequenzen nach. Immer nur vorwärts, nie zurück, den Moment nutzen, denn er kommt nie wieder, dies war Degens Devise, wen er dabei verletzte oder vor den Kopf stieß, spielte nur eine untergeordnete Rolle.
Kolam dagegen war ein ruhiger Elf, ausgeglichen und Kopflastig. Erst nachdenken, dann handeln und dabei nur niemandem wehtun. Tagelang konnte der junge Elf über ein Problem grübeln und dabei abwägen, was gut war und was nicht. Für ihn gab es immer zwei Seiten, für Degen eher nicht. Während Kolam sich bewusst damit auseinander setzte, was alles schief gehen konnte, legte Degen einfach los und dachte erst später über sein Tun nach, meistens dann, wenn es schon zu spät war.
Hier an ihrem geheimen Ort trainierten sie seit einigen Jahren gemeinsam. Kolam, der kaum das er laufen konnte von seinem Vater unterrichtet wurde, war lange von seinem Freund eingeholt worden, was Gewandtheit und Schnelligkeit betraf. Gegenseitig konnten sei sich eine Menge beibringen. Kolam zeigte Degen die Genauigkeit der Bewegungen und Techniken und Degen triezte Kolam in Sachen Ausdauer und Kraft.
Sie umkreisten, belauerten sich, suchten nach einer Schwachstelle in der Verteidigung des anderen, wobei jeder seinen, selbst in der Natur ausgewählten, Stab in der Hand hielt und diesen als Ablenkung kreisen ließ. Ganz genau beobachtete Kalerms Sohn Degens linke Schulter, denn diese zuckte immer, bevor Degen zum Angriff überging. Immer und immer wieder hatte Kolam seinen Freund darauf hingewiesen, aber das fast nicht erkennbare Zucken war geblieben. Zu seinem Glück, denn dadurch gelang es ihm meistens Degens erstem Vorstoß auszuweichen - heute jedoch nicht.
Hart traf ihn das Ende des Bambusstabes an der Schläfe. Überrascht riss Kolam die Augen auf. Er war doch wie immer nach links ausgewichen. Degen hätte ihn niemals treffen dürfen, aber der Jäger hatte seine Taktik geändert. Da er das Zucken der Schulter nicht unterbinden konnte, führte er den Schlag mit dem Stab einfach in die andere Richtung aus und somit war es Kolam in der Zukunft unmöglich seinem Freund wieder auszuweichen. Nun wusste er nicht, aus welcher Richtung der Angriff erfolgen würde. Gedanken, die ihm für den Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf huschten, eher er den stechenden Schmerz spürte und ihm schwarz vor den Augen wurde. Degen versuchte noch ihn aufzufangen, war aber zu langsam und griff ins Leere. Regungslos blieb der Schwarzhaarige auf dem von der Sonne aufgeheizten Boden liegen.
„Kolam?“ Noch während Degen neben seinem besten Freund in die Knie ging, ließ er seinen Kampfstab fallen. „Komm schon! So hart hab ich doch gar nicht ausgeholt.“ Mit den Fingerspitzen strich er sanft über Kolams heiße Stirn und schob ihm ein paar feuchte Haarsträhnen aus dem Gesicht. Besorgt schaute er auf den schlaffen Körper hinab und tätschelte vorsichtig die warme Wange.
„Werd' wach! Kolam!“ Nun schlug er doch ein wenig fester zu, bis er die rollenden Augenbewegungen hinter den Lidern wahrnahm, die sich langsam öffneten. Sein Blick versank in den tiefschwarzen Seen, die ihn verwirrt ansahen.
Wieso lässt Degen mich denn nicht schlafen?, zuckte es Kolam durch den Kopf. Ich will doch nur schlafen, es ist so schön weich und warm. Lass mich in Ruhe! Ich will nicht aufstehen, dachte Kolam immer und immer wieder, als er dumpf seinen Namen vernahm. Ich bin so müde.
„Ist ja gut, ich bin schon wach“, murmelte er, denn Degen würde ihm keine Ruhe gönnen, nicht bis er ihn ansah.
Verwirrt schaute er sich um. Wieso lag er denn auf dem Boden und nicht auf seinem Schlaflager? Was war geschehen? Wo befand er sich? Langsam stemmte er sich hoch, spürte das Drehen in seinem Kopf und den bitteren Geschmack auf der Zunge. Irgendwas stimmte hier nicht. Vorsichtig kam er auf die Beine und versuchte einen Schritt zu gehen. Zum Glück befand sich Degen an seiner Seite und stützte ihn, sonst wäre er der Länge nach wieder auf den Boden geschlagen. Sein Blick war getrübt und die Knie zitterten ihm.
„Mach langsam!“ Die Hände um Kolams Oberarm gelegt führte Degen seinen Freund zu einem Felsvorsprung. „Setz dich erst mal.“
„Was ist passiert?“ Die letzten Minuten seines Lebens waren ausgelöscht. Der junge Elf konnte sich einfach nicht erinnern. Fragend sah er Degen an, schaute in die hellbraunen Augen und da geschah es. Wie von einem Blitz getroffen zuckte Kolam zusammen. Er erschauderte unter der Intensität der Gefühle, die auf ihn einstürmten. Das ist Degen, huschte es ihm durch den Kopf. Das ist Degens tiefstes Ich – Ungeduld, Wildheit, unzähmbares Verlangen, Liebe, ein buntes Potpourri an Gefühlen und ganz tief versteckt etwas animalisches, das Kolam unwiderstehlich anzog. Bilder zuckten durch seinen Kopf, unglaublich schnell, reihten sich Degens Kindheitserinnerungen aneinander und auch die dazugehörigen Empfindungen und da war Liebe, viel Liebe, eine Liebe für ihn, eine Liebe, die alle anderen Gefühlsregungen überdeckte. Diese Liebe ähnelte nicht der Liebe seiner Eltern für ihn, nein, diese Liebe war eine andere, eine verzehrende, eine begehrende und körperliche Liebe, nicht die beschützende, weiche Liebe von Eltern für ihre Kinder.
Als Kolam endlich begriff, was gerade unerklärliches geschehen war, wurde ihm auch bewusst, dass nicht nur er erfahren hatte, wer Degen wirklich war, sondern im Gegenzug auch Degen jedes noch so kleine Geheimnis von ihm präsentiert bekommen hatte.
„Degen, was …?“ Sein bester Freund liebte ihn, begehrte ihn. Wieso hatte er nie etwas bemerkt?
„Ich weiß es nicht“, murmelte der Lockenkopf und schlug den Blick nieder. Die intensivste Verbindung, die es zwischen zwei Elfen geben konnte und Kolams Nähe ließen Degen am ganzen Leib zittern. So nah war er seinen Tagträumen noch nie gewesen.
„Wie kann das sein?“ Die sonst so ruhige tiefe Stimme von Kalerms Sohn klang gepresst und enthielt eine Spur Wut und Aufgeregtheit. Kolam war sich nicht mal sicher ob sein Ärger der magischen Verbindung galt oder der Tatsache, dass Degen ihn liebte.
„Wieso?“, schrie er, als Degen nur gleichgültig die Schultern hob. Natürlich, ihm kam es ja gelegen, aber nicht Kolam, sein Herz gehörte schon seit so vielen Neumonden einer anderen Elfe.
Er musste sofort von hier verschwinden. Tief in ihm schrie alles nach seinem besten Freund und das wollte er ganz bestimmt nicht. Auf der Stelle wirbelte er herum und lief einfach los. Der junge Elf befand sich im Augenblick nicht in der Lage seine wirren Gedanken und die neuen Gefühle zu sortieren. Was war von ihm und was von Degen? Wie konnte es sein, dass seine Magie in der von Degen das perfekte Gegenstück erkannte? Noch nie zuvor war dies in ihrem Stamm zwei männlichen Elfen widerfahren.
Mit der ganzen Kraft seines Geistes kämpfte Kolam gegen das Schreien seines Ichs an. Er musste sich wehren. Er wollte nicht mit Degen…
**Kolam, ich muss mit dir reden, bitte...**
Wie ein Messer, so scharf drang Degen in ihn ein, berührte ihn so tief, das Kolam am ganzen Leib erschauderte. Nein, rief er sich zurecht, ich will das nicht. Die Knie wurden ihm weich. Seine Gedanken gehörten ab heute nicht mehr nur ihm allein. Als er das begriff, hockte er sich im dichten Grün des Dschungels auf den Boden, legte den Kopf auf die verschränkten Arme, die er auf seine angezogene Knie stützte und versuchte Degens Ich auszusperren.
**Kolam!** Degens Senden vertiefte sich noch mehr, wurde so stark, dass Kolam nicht anders konnte. Verzweifelt presste er die Hände auf die Ohren. Ruhe, nur Ruhe, aber so konnte er Degen auch nicht ausschließen.
**Lass mich in Ruhe!** Kolam versuchte seinem gedanklichen Widerspruch einen energischen Ausdruck zu verpassen, aber es gelang ihm nicht. Hin- und hergerissen von seinen Gefühlen, teilte er alles mit, was in ihm vorging. Sein Kopf wollte Degen nicht sehen, wollte ihm nicht nah sein, aber seine Magie, sein Ich verlangte das genaue Gegenteil. Sein Ich wollte sich mit Degens Ich verbinden, auf ewig vereint sein, nicht nur auf der Gefühlsebene, sondern auch auf der geistigen und der körperlichen.
**KOLAM!**
Tief in sein Gedankenwirrwarr versunken suchte Kolam nach einem Ausweg. Er wusste nicht, was er tun konnte. War es mögliche eine magische Verbindung ungeschehen zu machen, den anderen auf Ewig wieder auszusperren? Nein, davon hatte er noch nie etwas gehört. Gut hatten es die Pärchen, die sich gemeinsam eine Magieverbindung wünschten und die ihnen gewährt wurde, wie bei seinen Eltern. So hatte er es sich in seinen Träumen ausgemalt, aber nicht mit Degen, nein, in seinen Wunschgedanken war es immer Kalia an seiner Seite gewesen. Sie sollte sein Innerstes erobern und nicht Degen.
Kolam vernahm leise Schritte in seiner Nähe, blickte aber erst auf, als er den grünen Hosenstoff erkannte. Es war Degen der direkt vor ihm stand und mit einem warmen, beinah schon zärtlich zu nennenden Blick zu ihm hinabsah. Ihre Blicke fanden sich - tiefes schwarz, traf auf helles braun. Vorsichtig zog Degen Kolam auf seine Füße, ehe er ihn fest in die Arme schloß und eng umschlungen hielt. Er spürte, wie sehr Kolam zitterte und strich ihm sanft über den Rücken, versuchte ihn zu beruhigen.
„Warum, Degen? Wieso wir? Wieso deine Magie?“, erkundigte sich Kolam, in der Hoffnung sein Freund hätte eine plausible Erklärung für das Chaos.
„Ich weiß es nicht...“, wisperte Degen in Kolams schwarzblaues Haar und atmete dabei den unverkennbaren Duft nach Mango ein. „Ich weiß es wirklich nicht.“ Noch immer glitten seine Fingerspitzen über Kolams Rücken. Es gefiel ihm, was er fühlte. Degen wollte mehr, viel mehr. Jede Faser seines Leibes schrie schmerzhaft nach dem Elf in seinen Armen, aber dieser wurde von Angst und Panik beherrscht. „Wir können Taira fragen“, schlug er daher vor. „Vielleicht weiß sie, was geschehen ist und was wir tun können.“
„Mutter?“ Mit einem Ruck löste Kolam sich aus der Umarmung und knurrte: „Niemals. Das was gerade geschehen ist, muss unter uns bleiben.“

Die darauf folgenden Tage gestalteten sich nicht gerade leicht für die noch jungen Elfen. Kolam wusste nicht, wie er sich Degen gegenüber verhalten sollte, denn dieser schien keine Probleme mit ihrer magischen Vereinigung zu haben. Er schien sich sogar regelrecht darüber zu freuen, was kein Wunder war, nachdem was Kolam tief im Innersten des anderen gespürt und erfahren hatte. Kalerms Sohn verstand es nicht. Er grübelte darüber nach, immer und immer wieder. Nichts anderes hatte mehr Platz in seinem Kopf, selbst sein Ich war davon erfüllt. Nur sein Herz schien frei von Degen, denn dies gehörte alleine Kalia. Für Kolam gab es im Moment nur einen Weg mit der Situation zurechtzukommen. Er hielt sich von Degen fern, konnte sich nicht in dessen Nähe aufhalten, versteckte sich regelrecht vor ihm, nur um ihn dann heimlich zu beobachten. Der langhaarige Elf verstand sich selbst nicht mehr, geschweige denn das Gefühlschaos in sich. Auf der einen Seite wünschte er sich Degen ganz nah zu sein. Er verzehrte sich nach ihm, was ihn innerlich zerfraß und auf der anderen Seite, wünschte er sich, der Jäger wäre ganz weit weg. Kolam schlief kaum noch, da ihn der Zwiespalt der Gefühle die Ruhe raubte. Seit zwei Tagen hatte er auch keinen Bissen mehr herunter bekommen. Er verspürte weder Hunger noch Appetit. Mit ein paar Worten, er fühlte sich komisch. Trotzdem suchte er keine Hilfe. Er wollte und musste allein mit dieser Situation fertig werden. Zu seinem Glück ließ Degen ihn in Ruhe, suchte keine Nähe zu ihm. Vielleicht wollte er ihm Zeit geben? Aber auch dies war Kolam nicht wirklich recht. Er vermisste seinen Freund. Die Tage fühlten sich schrecklich einsam, langweilig und lang an.
Es dauerte noch einige Tage, Tage voller Sehnsucht, verrückter Träume und Verlorenheit, ehe Kolam den Mut aufbrachte und auf seinen Freund zuging. Die Stille war kaum noch auszuhalten. Er musste etwas unternehmen, wenn er nicht noch länger leiden wollte. Vielleicht sollte er einfach alles geschehen lassen. Wenn er sich danach besser fühlte, würde sicher alles wieder gut werden.
„Können wir reden?“, fragte er den jungen Jäger, dessen Wangenknochen sich unterdessen deutlich unter der Haut abzeichneten. Dunkle Schatten lagen unter den hellbraunen Augen. Degen schien es nicht viel besser, als Kolam zu gehen, stellte dieser zufrieden fest, wenn auch ein wenig schockiert, denn sein bester Freund ähnelte seinem Großvater Kopen, als dieser Rajan verlor. Obwohl Kalerms Sohn damals noch nicht geboren war, erinnerte er sich daran, als wäre er dabei gewesen, so real waren Kalerms Erinnerungen an seinen Vater, als dieser sie vor einigen Monaten mit seinem Sohn teilte.
Degen nickt nur, sah nicht von seiner Tätigkeit auf, sondern schnitzte weiter an einem Ast, um daraus einen brauchbaren Jagdpfeil herzustellen. Die Jäger waren selbst für ihre Jagdutensilien verantwortlich und hielten diese funktionstüchtig.
„Jetzt gleich?“ Vorsichtig wand Kolam Degen das Messer und und den Ast aus den Händen.
„Wo?“
„Am Fluss, an unserem Trainingsplatz.“ Kolam wartete nicht ab. Er lief los, den Kopf gesenkt und voller wirrer Gedanken. Entweder folgte Degen ihm oder nicht. War es richtig, was er im Stande war zu tun? Wieso war es nur so kompliziert?

***

Die Hände unter dem Kopf verschränkt, beobachtete Kolam, wie die weißen zerrupften Wolken über ihm am strahlend blauen Himmel entlangzogen. Wo blieb Degen? Kolam wollte es endlich hinter sich bringen und je mehr Zeit verging, um so nervöser wurde er. In seinem Magen rumorte es komisch, leicht übel schien ihm auch zu sein und in seinem Kopf drehte sich alles. Sein Körper war angespannt, jeder Muskel hart wie Stein und nur dem gleichmäßigen Rauschen des Flusses war es zu verdanken, dass er das unaufhörliche Knirschen seiner Zähne nicht vernahm.
„Darf ich mich zu dir gesellen?“
Ein Schatten fiel auf Kolam. Er hatte Degen nicht kommen hören. „Sicher.“ Er setzte sich auf, schlang die Arme um die Knie und starrte hinab auf das rasch dahin fließende Wasser. Seine Nervosität steigerte sich ins unermessliche. Gleich würden sie über die Verbindung ihrer Magien reden. Seine Finger griffen nach kleinen Steinchen und warfen sie in den Fluss. In Gedanken war er soweit davon entfernt, dass er nicht bemerkte, wie die Fische unter der Wasseroberfläche auftauchten und nach den Steinchen schnappten, da sie glaubten es seien Fliegen, oder andere Insekten.
Neben ihm saß Degen und beobachte wie er einen Kiesel nach dem anderen warf. Mit der Zeit war der Jäger es leid einfach nur auf den Felsen zu hocken und zu schweigen. Es war Kolam, der mit ihm reden wollte, also sollte dieser auch beginnen.
„Ich geh schwimmen“, erklärte er daher leise.
Ein: „Hmm“, war alles, was Kolam erwiderte.
Degen zuckte mit den Schultern, erhob sich und zog sich das weiche, beige Hemd über den Kopf. „Magst du mitkommen?“
Jetzt erst blickte Kolam auf, blinzelte von der Sonne geblendet und schüttelte den Kopf. Sein Freund stand mitten im grellen Sonnenlicht, dessen Strahlen sich auf der helleren Haut brachen und diese in einem warmen Ton leuchten ließ. Kolam erkannte die wohldefinierten Muskeln, die durch das Licht- und Schattenspiel deutlicher hervortraten. Sein Blick glitt über die schmale Taille, die breiten Schultern und den sehnsuchtsvollen Ausdruck in den braunen Augen.
„Dann eben nicht“, grummelte Degen, streifte die Schuhe von den Füßen, ließ die Hosen zu Boden gleiten und hechtete in das klare, kalte Wasser.
Kolam sah den schlanken Körper unter der Wasseroberfläche dahingleiten. Jeden Zentimeter Haut betrachtete er und je länger er den Braunhaarigen beobachtet, um so mehr schrie alles in ihm nach diesen. Kolam konnte nicht mehr klar denken. Er gab seiner Magie nach und dem endlosen Schreien seines Ichs. Mit fliegenden Fingern zog er sich aus, ließ seine Sachen auf Degens fallen und sprang ihm nach. Prustend tauchte er auf, schaute sich suchend um und kraulte hektisch zu seinem Freund.
**Degen!** In diesem einen Wort lag all der Schmerz, der Kolam in den letzten Tagen und Nächten gequält hatte, all die widersprüchlichen Gefühle, die Sehnsucht und das tiefe Verlangen. Er dachte nicht mehr nach, als er die Arme um Degens aufgeheizten Körper schlang und diesen Seufzend an sich zog.
Ein: **Endlich**, war Degens Antwort. Dabei öffnete er sich seinem Partner voll und ganz und ließ Kolam vollständig an seinem Ich und seiner Magie teilhaben.

***

Ich saß auf der Veranda unserer Hütte und Ouni hinter mir. Ich spürte ihre Finger, die wieder eine Haarsträhne an meinem Hinterkopf abteilten, um eine aufwendige Flechtfrisur zu zaubern.
„Das muss ich mal bei Kolam machen“, lachte meine kleine Schwester und flocht dabei geschickt weiter.
Obwohl ich die Worte vernommen hatte, ging ich nicht darauf ein. Mich beschäftigen ganz andere Dinge. „Ouni, wie ist es in Gedanken mit anderen zu reden? Was geschieht da genau?“
Die Finger in meinem Haar unterbrachen ihre Arbeit und hielten still. „Damit gehst du am besten zu Taira. Sie kann das dir bestimmt besser und genauer erklären, als ich.“
„Du kannst es doch auch“, grummelte ich enttäuscht davon, dass mir meine Schwester nicht helfen wollte. „Wie ist es für dich?“
Mit einem Lederband fixierte Ouni ihre mühevolle Arbeit, ehe sie sich vor mich hockte und mir direkt in die Augen schaute.
„Im Senden gibt es nichts Falsches. Alles ist rein und klar. Stell dir vor, ich rede mit dir, gebe aber keinen Laut von mir und du kannst es trotzdem hören.“ Sie schob mir eine, sich eine aus dem Zopf gelöste, widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr. „Angenommen ich sage dir, dass ich deinen Lieblingsfisch nicht gegessen habe, dann kann ich lügen, weil ich ihn eben doch gegessen habe, aber in Gedanken kann ich das nicht. Ich könnte es dir zwar in Gedanken mitteilen, aber du würdest sofort merken, dass es nicht der Wahrheit entspricht.“
„Nichts Falsches? Keine Lügen?“ Diese Vorstellung schien unglaublich für mich. Wenn ich also fähig wäre, mit anderen in Gedanken zu kommunizieren, dann würde ich erfahren können, wie Kolam wirklich für mich empfand?
„Kann ich es erlernen?“ Alle Schattenwaldelfen konnten in Gedanken miteinander kommunizieren. Oft hatte ich mich ausgeschlossen gefühlt und ab und zu hatte man vergessen mir wichtige oder einfach nur ein paar Informationen mitzuteilen. Nicht mit Absicht, das war mir klar. Es lag einfach an der Gewohnheit, da man schon seit unendlich vielen Generationen auf diese Art und Weise kommunizierte. Es hatte ja auch noch nie ein Stammesmitglied gegeben, welches der Gedankenübertragung nicht mächtig war. Ich wollte nicht mehr vergessen werden. Ich wünschte mir, wie alle anderen, alles aus erster Hand zu erfahren.
„Ich weiß es nicht, Kalia.“ Ounis Blick fing mich ein. „Ich kann dir nicht sagen, wieso du es nicht kannst. Ich habe oft versucht mit dir zu reden, aber dich nie erreicht. Da steht eine Wand, die mich abprallen lässt. Diese Wand ähnelt der Wand, die wir benutzen, wenn wir nicht wollen, dass jemand in uns schaut.“ Ouni schlug ihren Blick nieder. „Vielleicht sind die Elfen deines Stammes nicht zu einer Gedankenverbindung in der Lage.“
Mein Stamm? Ich versank in einem meiner Tagträume. Mein Stamm, mein Stamm, wie dies klang. Irgendwo auf dieser Welt musste es ihn geben und in diesen Gedanken, waren diese Elfen alle so klein wie ich, mit blauen Augen, heller Haut und sonnenfarbenem Haar. Anders konnte es eigentlich gar nicht sein. Die Schattenwaldelfen, waren auch alle, bis auf eine Ausnahme, schwarzhaarig und schwarzäugig. Also mussten auch in meinem Stamm sich alle ähnlich sehen.
„Mein Stamm...“, murmelte ich. „Oh, Ouni, ich würde nur zu gern wissen, wo ich herkomme. Ob ich jemals erfahren werde, wer meine Eltern sind. Vielleicht habe ich ja einen Bruder oder noch eine Schwester. Wie heißt mein Stamm?“
Ich wurde in schlanke, braune Arme gezogen. „Sei nicht traurig, Kalia“, flüsterte mir Ouni ins Ohr. „Du gehörst zu uns. Mutter und Vater lieben dich genauso wie mich und alle anderen auch.“
„Und ich liebe Kolam“, seufzte ich.
„Ich weiß. Du redest manchmal im Schlaf von ihm“, lachte meine Schwester. „Ich möchte gar nicht wissen, was du in deinem Träumen mit ihm anstellst.“
Peinlich berührt schoss mir das Blut in den Kopf und rötete meine Wangen. Heiß lief es mir über den Rücken, meine Haut kribbelte und in meiner Brust schlug aufgeregt das Herz. Ich löste mich von Ouni, stand auf, trat an die Brüstung, lehnte mich mit den Armen auf das Geländer und blickte auf den Dorfplatz, der ruhig und im Halbschatten vor mir lag.
„Kalia, nimm das nicht so ernst. Du weißt, dass ich das für mich behalte, außer natürlich...“
„Außer was?“
„Du willst, dass ich mit ihm rede...“
Nein, nur das nicht. Auf der Stelle wirbelte ich herum, funkelte meine Schwester böse an und schüttelte den Kopf. Mit den Händen winkte Ouni ab und kicherte leise. Sie fand das wohl lustig? Nicht auf meine Kosten.
„Und was ist mit Degen in deinen Träumen?“ konterte ich sauer.
Meine Schwester runzelte die Stirn. „Das bleibt auch unser Geheimnis!“
Tief atmete ich durch, nickte und wandte mich wieder dem Dorf zu. Durch die Bauweise lagen unsere Hütten alle erhöht, was mir einen guten Überblick bescherte. Das Haus meine Eltern stand ziemlich zentral, weshalb ich beinah alle anderen Pfahlbauten einsehen konnte, wenn ich nach rechts oder links blickte.
Überall wuchsen kleine Palmen, verteilten sich, als würden sie freiwillig so gedeihen, dabei waren sie gepflanzt wurden, um an einigen Stellen Tagsüber Schatten zu spenden, meistens dort, wo sich Tische und Bänke befanden.
Tief in Gedanken versunken träumte ich vor mich hin, überlegte, was Kolam gerade tun könnte und vernahm erst nach einer geraumen Weile das fröhliche, aber schiefe Singen von Otar und den anderen Jägern, die von einem erfolgreichem Ausflug zurückkehrten.
„Heute wird gefeiert“, rief Ouni aufgeregt und fasste lachend nach meiner Hand.
Wir waren nicht die einzigen neugierigen Elfen. Lag das Dorf gerade noch in absoluter Stille und Verlassenheit, kehrte nun Leben ein. Einige andere Stammesmitglieder ließen ihre Arbeit Arbeit sein und begrüßten die Heimkehrenden mit lautstarken Beglückwünschungen.
„Ein Gelbstreifen“, teilte unser ältester und erfahrenster Jäger Otar mit, wobei er über das gesamte Gesicht strahlte.
Langsam füllte sich der Platz. Neugierig harrten die Elfen der Dinge, die da kommen sollten. Nach einiger Zeit erkannten wir Sojor, Baira, Tailo und Badrig einen riesigen Gelbstreifen, der an einen starken Ast gebunden war, in die Mitte unseres Festplatzes trugen und dort, sichtlich erleichtert das Gewicht des Tieres von den Schultern loszuwerden, ablegten. Es war Otar der sein Messer zog, an das erlegte Tier herantrat und ihm die Ohren abschnitt. Triumphierend hielt er seine Trophäen in die Luft und stieß einen lauten Freudenschrei aus. Ich war mir ziemlich sicher, dass niemand von den Schattenwaldelfen wusste wie viele Ohrenpaar unser bester Jäger in seinem Leben schon abgeschnitten hatte, nicht mal er selbst, da er schon vor meiner Geburt aufhörte mitzuzählen.
Ich lehnte mich an meine Schwester, die die Arme um mich schlang und freute mich auf das abendliche gemeinsame Mahl.
„Weißt du wie viele Ohren Degen besitzt?“, raunte Ouni in mein Ohr.
„Zwei Paar denke ich.“ Ich spürte wie Ouni mich fester umklammerte und ihr Kinn auf meinem Kopf ablegte, wie sie es nur zu gern tat. „Die Felle befinden sich bei seiner Mutter. Hast du das vergessen?“
Ouni löste sich von mir und schlug sich spielerisch mit der flachen Hand vor die Stirn. „Stimmt, das habe ich total vergessen.“
Irgendwie konnte ich ihr nicht so recht glauben. Nie und nimmer hatte sie die Siegesschreie vergessen, auf keinen Fall und als sie mir schelmisch zuzwinkerte, bestätigte sie mir meine Vermutung.
„Wollen wir Otar fragen gehen?“, wechselte sie galant das Thema, einmal um von Degen abzulenken und von ihren Gefühlen für ihn. Im ersten Augenblick wusste ich nicht, von was sie sprach, aber dann fiel es mir wieder ein.
„Es ist lange her, dass sie einen Gelbstreifen erlegten“, dachte ich laut nach. „Ob sich Otar noch daran erinnert?“
„Lass uns fragen gehen!“, murmelte Ouni.
Gerade, als wir die Treppe hinabsteigen wollten, rief Otar: „Ouni, Kalia, wie versprochen bekommt ihr das Fell. Ich hoffe ihr wisst schon, was ihr damit tun wollt.“

Es war Abend geworden. Dunkel und mit tausenden von Sternen übersät, präsentierte sich der nächtliche Himmel in seinem schönsten Gewand. Der Gelbstreifen war fachgerecht zerlegt. Für uns nicht verwertbare Teile des Tieres waren entweder verfüttert oder weit entfernt von unserem Dorf vergraben wurden. Unser Fell hatten wir zum Trocknen auf eine dafür vorgesehene Vorrichtung gespannt, ehe wir unter fachlicher Anleitung von Sojor die nächsten Bearbeitungsschritte erlernen würden - es war immerhin unser erstes Fell.
Der größte Teil des Fleisches war in dünne lange Streifen geschnitten wurden und diese hingen nun in einer winzigen Hütte, in der Tag und Nacht Holzspäne vor sich hin glühten, damit das Fleisch lange haltbar blieb. So besaßen wir in der Zeit des großen Regens genügend Vorräte und die Jäger mussten nicht jagen gehen, wenn der Boden zu aufgeweicht war, um noch normal gehen zu können.
Mit einigen anderen Elfen des Stammes waren wir heute im Laufe des Tages ausgeschwärmt um genügend Feuerholz zu sammeln. Ein Teil davon lag nun ordentlich geschichtet am Rande der Feuerstelle und der zweite Teil bildete einen dreieckigen Turm, der nur darauf wartete, entzündet zu werden.
Schnell hatte das trockene Holz Feuer gefangen. Fleischstückchen wurden auf Holzspieße gesteckt und über die Flammen gehalten. Das größte Stück des Tieres war von meinem Vater gewürzt und mit süßen Früchten bespickt, auf einen großen Spieß gesteckt worden, den er nun mit verträumten Ausdruck langsam über einem kleineren Feuer drehte.
Der Duft des frisch gebratenen Fleisches zog durch das Dorf und lockte auch die letzten Elfen aus ihren Hütten.
Ich saß bei Ouni und unserer Mutter am Tisch. Immer wieder ließ ich meinen Blick über die Anwesenden, die vom Schein des Feuers in ein warmes, flackerndes Licht getaucht waren, gleiten, auf der Suche nach Kolam. Jedoch konnte ich ihn nirgendwo entdecken und auch von Degen war nicht die geringste Spur auszumachen. Wie so oft in letzter Zeit blieben sie der Feierlichkeit fern.
Ouni, die meinen suchenden Blick bemerkt hatte, schüttelte leicht den Kopf. „Ich habe sie heute auch noch nicht gesehen...“ Bevor sie jedoch weiter sprechen konnte, trat Taira zu uns an den Tisch, ließ sich uns gegenüber auf der Bank nieder, lächelte uns an und erkundigte sich: „Habt ihr beiden wieder den leckeren Teig gemacht?“
„Ja“, antwortete ich Kolams Mutter. „Der Teig muss noch etwas ruhen. Wir holen ihn später.“
Beim letzten großen Fest hatten Ouni und ich lange überlegt, was wir ausgefallenes dazu beitragen könnten und viel herumexperimentiert, bis uns eine Idee kam. Wir nahmen etwas von dem Reis, zermahlten diesen in einer Schüssel, so wie es Althai mit ihren Kräutern tat, gaben frische Eier dazu, die schmeckten allen und zu guter Letzt gossen wir etwas Kokosnusssaft darüber und schnitten winzige Mangostückchen hinein. Dies alles verkneteten wir zu einer dicken Masse. Mutig kostete ich davon und war überrascht, wie lecker es schmeckte. Aber rohe Eier und ungekochter Reis, dies ging nicht, also mussten wir den Teig irgendwie noch garen und auch da fiel uns das passende ein.
„Vater hat ein neues Getränk gebraut“, kicherte Ouni neben mir, riss mich aus meinen Erinnerungen.
Das Lächeln schwand aus Tairas Blick, dafür wurde er ernst und richtet sich auf Elmor, der noch immer das große Stück Gelbstreifenfleisch über dem Feuer drehte. „Ich hoffe doch, dass es diesmal nicht so stark in seiner Wirkung ist.“
Herzhaft lachte mein Vater auf und viele stimmten in das Lachen ein, sogar Taira, denn vielen Anwesenden waren die Bilder, von den Elfen, die damals von Elmors Reissaft getrunken hatten, noch immer im Kopf. Auch ich erinnerte mich. Selbst Kalerm, sonst immer so ruhig und beherrscht, war an jenem Abend sehr redselig und aufgedreht gewesen und Otar hatte den Heimweg auf allen Vieren krabbelnd zurückgelegt. Diese verrückte Nacht würde keiner so schnell vergessen, bis auf einen, unser bester Jäger, der sich laut eigener Aussage, nicht mehr an die Geschehnisse erinnerte.
Nachdem die letzte Lacher verstummt waren und man sich gegenseitig an einige lustige Begebenheiten erinnert hatte, bat uns unsere Mutter: „Geht ihr bitte den Teig holen!“
Ouni nickte, griff nach meiner Hand und zog mich mit sich in unsere Hütte. Auf der Veranda stand eine große, mit einem Tuch abgedeckte Schüssel, in der unser süßer Teig ruhte.
Ein Strahlen erhellte das Gesicht meiner Schwester, als sie nach der schweren Schüssel griff. „Ich habe richtig großen Hunger.“
„Ich auch“, stimmte ich ihr zu und nahm die gewaschenen Palmblätter an mich, die wir vorhin extra vorbereitet hatten. Lachend eilten wir die Holzstufen wieder hinab.
Am Feuer angekommen stellten wir alles ab und sammelten große flache Steine, die wir am Rand in die Glut legten.
Nicht weit entfernt von uns standen Taira und Kalerm, dessen Blick suchend über seine Stammesmitglieder glitt, dabei trat er nervös von einem Fuß auf den anderen. Unwillkürlich musste ich an Kolam denken, der diesen Zug von seinem Vater geerbt zu haben schien.
„Ich kann die beiden nicht finden. Sie trainieren nicht am Fluss. Wo können sie nur sein?“Mit den Fingern fuhr sich unser Anführer durch das dichte, lange schwarzblaue Haar.
„Lass sie ihren Spaß haben. Ich bin mir sicher, dass es ihnen gut geht.“ Mit den Fingerspitzen strich Taira sanft über Kalerms Wangen.
„Ich kann sie nicht erreichen. Sie wissen doch gar nicht, wie gefährlich es da Draußen ist.“
Ein amüsiertes Lächeln huschte über Tairas Gesicht. „Denk mal zurück. Wie oft waren Elmor und du verschwunden? Hat dein Vater stets gewusst, wo ihr steckt? Sie werden wieder kommen, so wie Elmor und du damals auch.“
Kalerm schlang die Arme um seine Gefährtin. „Du hast ja recht.“ Er strich ihr ein paar widerspenstige Haarsträhnen aus der Stirn, ehe er an uns vorbei zu seiner Hütte ging.
Tief in Gedanken versunken schaute ich ihm nach und dann zu Taira, die vor sich hin lächelte, als wüsste sie ganz genau, wo Kolam und Degen sich im Moment aufhielten.
Ich zupfte Ouni am Ärmel und flüsterte: „Ich glaube Taira weiß, wo Kolam und Degen sind.“
„Hmm, das Gefühl habe ich auch“, murmelte meine Schwester geistesabwesend und formte, ohne sich dabei aus der Ruhe bringen zu lassen, weiter faustgroße Klöße aus dem Teig. Hatte sie überhaupt etwas von dem Gespräch mitbekommen? Ich war mir da nicht sicher.
Was verheimlichten Taira, Kolam und Degen? War es tatsächlich das was ich dachte? Irgendwann würde ich es erfahren und so zuckte ich mit den Schultern und half Ouni, indem ich die fertig geformten Klöße einzeln, ordentlich in die mitgebrachten Palmblätter einwickelte. Die so entstandenen Päckchen legte ich auf die flachen Steine, die durch die Hitze der Glut langsam heiß wurden. Hier konnte der Teig nun in Ruhe ausbacken.
Der Gedanke an Kolam ließ mich nicht in Ruhe. Alles drehte sich nur noch um den schwarzhaarigen Elf. Was war los mit mir? Ich mochte Tairas und Kalerms Sohn schon so lange ich mich erinnern kann, aber in den letzten Monaten war die Sehnsucht nach ihm stetig gewachsen. Sie tat mir regelrecht weh. Ich musste versuchen endlich Licht in das ewige Dunkel in mir zubringen. Die Unwissenheit würde mich nur noch unruhiger werden lassen. Wie hatte Taira einmal zu Nari gesagt: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Wie recht sie damit hatte.
„Ouni, kommst du mit zum Fluss?“, fragte ich meine Schwester leise, als ich den letzten Teigball am Rande des Feuers ablegte.
„Jetzt?“ Die Hände in die Taille gestützt, erhob sie sich, streckte sich einmal, um die steif gewordenen Muskeln vom langen Hocken zu lockern und schaute mich fragend an.
In ihren Augen las ich, dass sie nicht wirklich Lust auf einen abendlichen Spaziergang verspürte. „Warum nicht. Ich würde gerne noch etwas Angeln. Bis das Esser fertig ist dauert es noch etwas, außerdem schmeckt frisch gerillter Fisch am besten.“
„Ach ja?“ Verschmitzt lächelnd zog sie eine Augenbraue nach oben. „Du willst doch nur nach Kolam suchen.“
Ich konnte ihr nichts vormachen. Meine kleine Schwester kannte mich zu gut. Ein Glück für mich, dass es dunkel war und das Feuers orangenes Licht auf mich reflektierte, sonst hätte jeder in meinem näheren Umfeld erkennen können, wie sehr meine Wangen glühten. „Kommst du nun mit?“, hakte ich noch einmal nach.
„Ja, lass uns nur Mutter Bescheid sagen.“ Lachend reichte Ouni mir eine Hand und zog mich aus meiner hockenden Stellung hoch. „Ich kann nicht mit ansehen, wie sehr du leidest, wenn er nicht in deiner Nähe ist.“
Lange mussten wie Elmor und Kemi, die mit Nari und Taira an einem Tisch saßen, nicht überreden. Alles, was Mutter zu uns sagte war: „Passt auf, dass ihr nicht ins Wasser fallt!“
Auf meinem Gesicht ging die Sonne auf. Wenn das Glück auf meiner Seite stand, dann würde ich Kolam heute noch einmal sehen, nur um dann wieder von ihm zu träumen.
Gerade als wir aufbrechen wollten, um unsere Angeln als Tarnung aus der elterlichen Hütte zu holen, rief Taira uns nach: „Falls ihr unterwegs Kolam und Degen trefft, bringt sie bitte nachher mit.“
„Machen wir“, versprach ich Kolams Mutter, winkte ihr und eilte die Stufen hinauf.

***

Sie hatten einen ruhigen Nachmittag verlebt. Sie waren baden gewesen, hatten die Angeln ausgeworfen und den leckeren rohen Fisch sofort an Ort und Stelle verzehrt. Sie hatten sich einen Trainingskampf geliefert, bei dem sie beide nicht ganz ohne Blessuren davon gekommen waren. Degens Oberlippe war aufgeplatzt und leicht geschwollen und Kolams rechten Oberarm zierte ein tiefer Kratzer, der aber nicht weiter schlimm zu sein schien, denn er verkrustete schon.
Unterdessen war die Sonne untergegangen. Finsternis hüllte den Nachtschattenwald ein. Gemeinsam saßen sie in ihrer kleinen Hütte, stromaufwärts, abgelegen von den gängigen Pfaden der Jäger und auf der anderen Seite des Flusses. Als Kolam Degen vor vier Monaten nachgegeben hatte, beschlossen die beiden jungen Elfen sich einen Platz zu suchen, der nur für sie bestimmt war. Sie folgten dem Wasserverlauf, bis zu einer seichten Stelle, an der sie ungehindert und trockenen Fußes über die Felsen ans andere Ufer gelangen konnten. Noch nie war jemand von ihrem Stamm an diesem Ort gewesen. Ein uralte Regel besagte, dass niemals jemand den Fluss überqueren durfte und die Schattenwaldelfen hielten sie an die alten Gebote. Angeblich lebten auf der anderen Seite Monster, die ihnen nach dem Leben trachteten und gefährliche Magie ausübten.
Gruselgeschichten für Elfenkinder, nichts weiter, da war sich Kolam ziemlich sicher und so bildetet dies den richtigen Platz um sich ein eigenes kleines Reich zu schaffen. Es hatte ihnen gutgetan, die kleine Hütte mit den eigenen Händen zu errichten. Hier konnten sie sie selbst sein, alleine oder zu zweit und sich ausleben, ohne an die Elfen ihres Stammes denken zu müssen und daran, was diese dazu sagen würden. Dies war ihre geheime Welt.
An einem kleinen Tisch saßen sie sich gegenüber und aßen schweigend von den Früchten, die die Natur um sie herum bot. Ab und zu schaute Degen auf. Kolam spürte die Blicke und ahnte, dass seinem besten Freund etwas auf der Seele lag.
„Kolam!“
Sein Name, nur leise ausgesprochen, zerbrach die Stille.
„Du kennst alle Schattenwaldelfen so gut wie ich, vielleicht sogar ein wenig besser durch deine Eltern und du weißt auch, dass sich niemand gegen uns erheben würde. Sie werden akzeptieren was geschehen ist. Die Magiegefährten gehören zu unserem Volk. Sie sind ein Geschenk unserer Ahnen.“ Degen schob das Brettchen mit den Früchten von sich, stand auf und sah auf seinen Freund hinab, der weiterhin stur vor sich auf den Tisch blickte.
„Wir könnten dieses Versteckspiel aufgeben“, versuchte der Lockenkopf es weiter. „Ich könnte endlich offen zeigen, was ich wirklich für dich empfinde...“
Still schweigend lauschte Kolam seinem Freund, aß ruhig weiter und dachte nach. Degen war ihm wichtig, sehr wichtig sogar. Ihr ganzes bisheriges Leben hatten sie zusammen verbracht und er konnte sich nicht vorstellen, jemals ohne ihn zu sein. Er brauchte ihn als Freund, als Vertrauten, als Partner und unterdessen auch für sein Ich, welches ohne den jungen Jäger nicht mehr vollständig sein würde. Ja, er begehrte ihn auch, aber sein Herz, sein Herz gehörte einer anderen Elfe. Wenn er sie sah, dann spielte dein Körper verrückt, sein Herz schlug schneller, in seinem Magen rumorte es, ihm wurde heiß und kalt zugleich und seine Hände feucht. Sie liebte er, aber da war nun Degen und ihn liebte er auch, aber anders als Kalia. Die Liebe für Degen kam aus seinem Ich, von seiner Magie.
Nachdem er einen Schluck Wasser getrunken hatte, schaute er langsam auf, direkt in die hellbraunen Augen. „Ich...“ Er wollte etwas erwidern, kam aber nicht zu Wort.
„Lass mich bitte ausreden!“ Mit allen Fingern raufte Degen sich das Haar und brachte die braunen Locken somit noch mehr durcheinander, ehe er sich auf der Tischplatte abstützte und den Blick erwiderte. „Hör mir bitte einfach nur zu. Für mich war es auch nicht leicht. Ich war genauso überrascht wie du, aber ich...“
Kurz schloss Degen die Augen, überwältigt von der Erinnerung. „Mir war sofort klar, dass unsere Verbindung etwas ganz besonderes ist. Ich habe mich nicht dagegen gewehrt. Ich wollte mich nicht wehren. Seitdem habe ich viel über uns nachgedacht und ich glaube, ich könnte nicht mehr ohne dich sein. Du bist der wichtigste Elf in meinem Leben.“
Kolam schwieg, wartete entweder auf die nächsten Worte oder dachte über das nach, was Degen ihm eben mitgeteilt hatte. Schwer lastete die Stille auf Naris Sohn. Kolam musste doch darauf reagieren, irgendwie, immerhin hatte Degen ihm eben gestanden, dass es ihm nicht nur um die Verbindungen ihrer Magie ging, sondern um mehr, um wahre Gefühle.
„Degen..., ich..., ich brauche dich auch...“, stammelte Kolam sichtlich verwirrt. „Und ich würde nur zu gern alles raus schreien, aber Mutter und Vater...“ Gequält schloss der junge Elf die Augen, worauf Degen zu ihm trat, die Hände an seine Oberarme legte und ihn von dem Hocker hochzog, direkt in die Arme.
„Taira wäre die letzte, die etwas dagegen sagen würde und Kalerm... Kalerm ist nicht nur unser Anführer. Er ist auch dein Vater. Er liebt dich und würde nie etwas tun, was dich verletzten könnte.“ Sanft und beruhigend glitten Degens Finger über Kolams Seiten, fühlten die warme weiche Haut unter dem Stoff des weißen Hemdes.
„Vielleicht hast du recht“, murmelte Kolam. In Degens Worten lag viel wahres. Trotzdem konnte der junge Elf nicht über seinen Schatten springen.
„Ich kann es nicht, Degen. Lass mir Zeit!“, bat er. „Vielleicht merkt es Vater irgendwann.“ Damit war das Thema für Kolam erledigt. Bestimmt schob er Degens Hände von seinen Seiten und löste sich von ihm, ehe er nach einer halben Kokosnussschale auf dem Regal griff und etwas von Elmors Selbstgebrannten eingoss. „Willst du auch einen Schluck?“

***

Dunkelheit hüllte meine Schwester und mich ein. Das flackernde Orange des Feuers und der Fackeln lag hinter uns und nur noch das Licht der tausenden Sterne am Firmament sorgten für Orientierung.
Ich verspürte keine Angst. Zu gut kannte ich den Weg zum Fluss und wieder zurück. Unzählige Male war ich ihn schon gegangen, mal alleine, mal mit Ouni, meinen Eltern oder anderen Elfen unseres Stammes. Es fühlte sich drückend heiß an. Schwüle Feuchtigkeit hing zwischen den Ästen, legte sich wie ein durchsichtiger Film auf unsere Haut und ließ mich schwitzen.
Ich liebte es bei Nacht spazieren zu gehen, wenn die Natur schlief und nur die nachtaktiven Tiere die Stille zerbrachen, hier und da mal ein Rascheln, das Geräusch von schlagenden Flügeln oder das Quaken von Springbeinen. Ab und zu schien die helle Scheibe des Mondes durch die sich weit über uns befindenden Wipfel der Bäume und warf sein diffuses Licht auf den Pfad.
Tief atmete ich den Duft des Dschungels ein, spürte die betörende Wirkung der Blüten, die bei Nacht stärker schien, als am Tage und ließ mich treiben.
„Werden wir sie finden?“, hörte ich Ouni leise fragen.
„Ich glaube schon“, antwortete ich in dem selben Tonfall. Ich wollte die kleinen Tiere nicht verschrecken, die uns neugierig beobachteten. Viel zu schön sah es aus, wenn man ihre Augen im Dunkeln zwischen dem Geäst plötzlich hell und gelb leuchten sah. „Sie werden sich am Fluss befinden und Angeln oder baden.“
Ouni ließ sich zurückfallen, lief langsam hinter mir her. Kurz sah ich mich nach ihr um, erkannte, wie sie sich bückte und dann hinhockte. Sie bog ein paar dicke, dunkelgrüne, fleischige Blätter zur Seite und schaute darunter. Sicher wieder ein glänzender Stein, der ihre Aufmerksamkeit erregte.
Ich lächelte. Meine Schwester und ihre Steine. Sie konnte es einfach nicht lassen. Von überall her brachte sie sie mit, verteilte sie in der gesamten Hütte und erfreute sich an den verschiedensten Farben und dem vielfältigen Glitzern. Innerlich hoffte ich, dass sie irgendwann mal einen Stein fand, der das selbe Blau besaß, wie der kleine, den ich an einem Lederband um den Hals trug. Dieser Stein war alles, was ich von meiner Familie oder meinem Stamm besaß. Unbewusst schloss ich die Finger um den glatten Stein, der die Wärme meiner Haut gespeichert hatte. Oft spielte ich mit dem Stein, ohne es jemals wirklich wahrzunehmen.
Still ging ich weiter und ließ Ouni wo sie war. Sie kannte den Weg genauso gut wie ich und jeder andere Schattenwaldelf.
In Gedanken eben noch bei meinen Eltern, die in meinen Träumen und meiner Fantasie eine mir sehr ähnliche Gestalt angenommen hatten, malte ich mir aus, wie es sein könnte, wenn ich sie irgendwann in meinem Leben kennenlernen würde. Lange hielt ich mich aber nicht an diesem Wunschtraum fest. Es gab jemand viel wichtigeren und da war er wieder in meinem Kopf und in meinem Herzen - Kolam.
Ich achtete nicht auf den Weg, nahm meine Umgebung nicht wirklich wahr, bis zur nächsten Wegbiegung. Plötzlich sah ich ihn vor mir. Mitten auf dem Pfad stand er und hielt Degen fest umschlungen.
Neugierig blieb ich stehen, geschützt durch die Dunkelheit. Trotzdem zog ich mich hinter einen Baum zurück. Erfuhr ich jetzt ihr Geheimnis? Mein Traum war wieder präsent, der Traum, der mich vor vier Monaten aus meinem Schlaf geschreckt hatte. Sollte er doch wahr sein?
„Lass uns endlich gehen!“, hörte ich Kolam sagen. „Bevor sie anfangen nach uns zu suchen.“
Sicher um seine Worte zu unterstreichen, wand er sich aus Degens Umarmung, ehe seine Hand zielsicher nach der seines Freundes griff und sich ihre Finger wie selbstverständlich ineinander schlangen. Wie bei Ouni und mir, dachte ich, aber wir sind Schwestern. Und sie sind wie Brüder, wisperte mein Kopf. Trotzdem, irgendetwas störte mich daran. In mir jagten sich die Bilder aus meinem Traum. Schon komisch, wie real sie mir nach all der Zeit noch immer erschienen. Jeder andere Traum schien verblasst, kaum noch eine Erinnerung wert, aber dieser, dieser hatte sich tief in mir eingebrannt.
Heftig schlug das Herz in meiner Brust. War tatsächlich alles wahr oder interpretierte ich zu viel in die Umarmung? Ouni und ich umarmten uns oft, wenn wir uns über etwas freuten, wenn wir uns trösteten oder einfach nur mal so. Das war bei den beiden sicherlich nicht viel anders.
Da die beiden so unterschiedlichen Elfen meine Richtung eingeschlagen hatten, löste ich mich aus meinem Versteck und trat in die Mitte des Weges in den Mondschein. Kaum das sie mich erkannt hatten, blieben sie wie vor einen Baum gelaufen stehen und schauten mich an. Mir entging nicht, das es Kolam war, der ihr Finger voneinander löste. Genau in diesem Augenblick zerbrach etwas in mir. Schlagartig wurde mir klar, dass mein Traum der Wahrheit entsprach.
„Danke, dass du gewartet hast“, hörten wir Ouni rufen, aber niemand reagierte auf ihre Worte. Kolam, Degen und ich fixierten uns.
Es war Kolam, der als erstes den Blickkontakt unterbrach und verlegen den Kopf senkte. Mit der rechten Fußspitze scharrte er im Staub, während er sich nervös mit den Fingern durchs Haar fuhr. Die gesamte Situation schien ihm peinlich zu sein, ganz im Gegensatz zu Degen, der mich beinah herausfordernd anschaute, beinah so, als wollte er sagen: Und, was willst du nun tun?
Unterdessen war Ouni bei uns angelangt. Sie schien von Degens und Kolams zärtlicher Nähe nichts mitbekommen zu haben.
„Wo seid ihr gewesen?“, kam sie sofort auf den Punkt, ließ dabei jedoch Degen nicht aus den Augen und fuhr fort: „Kalerm hat nach dir gesucht, Kolam.“
„Wir waren gerade auf dem Weg ins Dorf“, grinste Degen, der nun auf Ouni, die neben mir stehen geblieben war, zukam.
Ich musste mit Kolam reden. Ich musste endlich erfahren, ob mein Traum real war, also trat ich zu ihm. Direkt vor ihm blieb ich stehen. Ich fühlte seine Nähe, die Wärme die sein Körper ausstrahlte und roch seinen unverkennbaren Duft nach Mangos, der mich anzog und ganz kribbelig werden ließ. Um ihn in die tiefschwarzen Augen schauen zu können, musste ich den Kopf in den Nacken legen. Er wich meinem Blick nicht aus, erwiderte ihn sogar und tief in den dunklen Seen erkannte ich, dass er zu Degen gehörte und ich ihn verloren hatte.
„Eure Magie ist eins?“, raunte ich so leise wie möglich und spürte das Kratzen im Hals, als ich die Wahrheit so deutlich aussprach.

Zögerlich nickte Kolam. Falls er irritiert von meinem Wissen war, dann konnte er es sehr gut verbergen. Keine noch so kleine Regung zeigte an, welche Gedanken ihm gerade durch den Kopf schossen oder was er fühlte. Zu meinem Erstaunen, beugte er sich zu mir herab und schob ein paar lose Haarsträhnen vor meinem Ohr mit warmen Fingerspitzen zur Seite. Ich fühlte seinen warmen Atem, der heiß meine Haut an den Wangen streifte und mir somit einen Schauer bescherte, der durch meinen ganzen Körper rollte, als er leise bat: „Erzähl bitte niemandem davon!“
Hart schluckte ich, während ich nickte. Er war mir so nah, so nah, wie noch nie zuvor. Am liebsten hätte ich meine Arme um seinen Nacken geschlungen und mich ganz eng an ihn gedrückt. Nicht dergleichen tat ich. Ich erkundigte mich nur mit zitternder Stimme, bemüht dabei die Fassung zu wahren: „Wann ist es passiert?“
Kurz waren wir durch ein fröhliches Glucksen und ein lautes Lachen abgelenkt. Degen hatte sich meine Schwester über die Schulter geworfen, hielt sie mit einem Arm an der Hüte fest und eilte mit ihr Richtung Dorf.
„Vor vier Neumonden“, antwortet Kolam, wodurch er meine volle Aufmerksamkeit zurückgewann. Kleine, scharf gezogene Falten bildeten sich auf seiner Stirn. Er schien selbst von seiner sofortigen Antwort überrascht zu sein. „Woher weißt du...?“
Ich schloss die Augen und versuchte die Bilder zu verscheuchen, die wieder in mir hoch drangen.
„Ich habe davon geträumt“, gestand ich. Es schien an der Zeit, diesen Trau mit jemandem zu teilen. „Ich sah dich... , mit Degen... , am Fluss...“, stammelte ich. Nun war es raus. Soeben hatte ich Kolam gestanden, dass ich einen für ihm mit Sicherheit sehr intimen Moment miterlebte.
Seine Augen weiteten sich, als er sich der Tragweite meiner Worte bewusst wurde.
„Ich war mir nicht sicher, ob es stimmt, was ich in meinem Traum sah“, sprach ich weiter. „Ich habe es als Albtraum eingestuft.
Trocken lachte Kolam auf. Kein freudiges Lachen, eher ein Laut des Unglaubens und zu einem kleinen Teil wohl auch Wut und Entsetzen.
„Nein, nicht Albtraum“, verbesserte ich mich schnell. „Ich muss eher Angsttraum dazu sagen. Du bist kein Albtraum, Kolam, niemals.“
„Angsttraum, wieso?“ Seine Stimme klang rau, tiefer als sonst, leicht belegt und kratzig. Sein Mund fühlte sich bestimmt genauso trocken an, wie meiner.
„Weil ich dich sehr gern habe“, stammelte ich, überrascht davon, woher ich plötzlich all den Mut nahm, ihm meine Gefühle zu gestehen. Trotzdem kostet es mich sehr viel Überwindung meinen Satz zu Ende zu führen: „Immer wenn ich mich in deiner Nähe befand, habe ich mir gewünscht...“
Mit einem festen Griff um die Taille zog Kolam mich an sich, presste mir dadurch die Luft aus den Lungen und unterbrach mich somit in meinem Geständnis.
Tief atmete er ein, ehe er hörbar wieder ausatmete. „Kalia, ich mag dich auch, aber...“ Auch er kämpfte gegen seine Gefühle an. „Ich kann nichts dagegen tun...“
Ich vernahm die Worte, die ich mir so oft zu hören gewünscht hatte und verstand sie trotzdem nicht. Sie wärmten mein Innerstes, ließen mich jubeln, aber sie kamen zu spät. „Ich weiß, dass es für uns keine Zukunft mehr gibt.“ Es war mein Kopf, der da sprach und nicht mein Herz, denn dieses wollte nur eins, dass ich ihm gestand, wie sehr ich ihn liebte. „Degen und du seid immer zusammen, unzertrennlich. Niemand wird es schaffen euch zu entzweien, auch ich nicht.“
Tief in mir spürte ich die Flut der Tränen, die unaufhaltsam ihren Weg ins Freie suchten. Es war vorbei, bevor es überhaupt begonnen hatte. Endlich wusste ich, woran ich war. Es tat weh, aber es war gut so. Ich benötigte Zeit für mich. Ich musste das Erfahrene verarbeiten und einen Weg für mich finden, der es erträglich machte, damit zu leben.
„Es tut mir leid“, murmelte ich, ließ dabei aber offen, was genau ich meinte, uns oder Degen und ihn. Ich wand mich aus seinen Armen, die so schützend und liebevoll um mich lagen. Noch länger in seiner Nähe und ich würde auf der Stelle die Fassung verlieren. Ohne ein weiteres Wort oder einen Blick auf ihn lief ich los, erst langsam, dann immer schneller einen Fuß vor den anderen setzend.
„Kalia, komm zurück!“, hörte ich ihn noch rufen, als ich den bekannten Pfad verließ und in den Wald eintauchte. „Es ist zu gefährlich - bei Nacht.“
Dies war mir gerade vollkommen egal. Die ersten heißen Tränen rannen mir über die Wangen und verschleierten mein Blickfeld. Blind stolperte ich vorwärts. Ich achtete nicht darauf wohin ich lief. Im Moment war es mir egal. Nicht mal ein Gelbstreifen wäre jetzt in der Lage gewesen mich zu stoppen. Zu tief saß der Schmerz - ein Schmerz, der meinen klaren Verstand ausschaltete und mich nur handeln ließ.
Derb schlug das Herz in meiner Brust. Ich fühlte das Klopfen in meinen Schultern, in meinem Bauch, ja sogar in meinem Kopf. Immer schneller lief ich. Meine Lungen brannten bei jedem Atemzug, meine Waden stachen unangenehm, da ich immer wieder über Wurzeln und Unebenheiten stolperte.
Was war nur los mit mir? Wieso war ich weggelaufen? Warum tat es so weh?
Irritiert schaute ich mich um, nachdem ich mehrmals mit den flachen Händen den Tränenschleier vor meinen Augen weggewischt hatte. Wo war ich?
Noch immer schlug das Herz hart in meiner Brust. Mein Puls raste und mein Atem rasselte, als ich tief ein- und ausatmete. Ich verstand mich nicht. Wieso hatte mich das Wissen um Kolam und Degen so dermaßen aus der Bahn geworfen? Ich ahnte ihre Nähe doch schon seit geraumer Zeit. Es stellte keine unerfreuliche Neuigkeit dar. Ich gönnte den beiden ihre verbundenen Ichs, ihre Liebe, ihr Verlangen, ja sogar ihr Intimität, aber... Genau das war es, dieses aber.
Keuchend blieb ich stehen, stützte die Hände auf meine Oberschenkel und atmete gleichmäßig ein und aus. Nachdem sich mein Atem ein wenig beruhigt hatte und das Stechen in der Seite erträglich geworden war, richtete ich mich wieder auf. Die Umgebung? Fremd - ich erkannte kein Blatt, keinen Zweig, keine Blüte, keinen Strauch und auch nicht Anordnung der Bäume. Nichts davon hatte ich jemals in dieser Konstellation gesehen.
Erschrocken eilte mein Blick hin und her. Nichts, aber auch wirklich gar nichts, kam mir bekannt vor. Ich hatte mich verlaufen. Alleine würde ich niemals den Weg zurück finden, erst recht nicht in der Finsternis, die mich dräuend einhüllte.
„Ruhig bleiben!“, ermahnte ich mich leise. „Erinnere dich!“ Ich schloss die Augen. Aus welcher Richtung war ich gekommen? War ich irgendwo abgebogen? Wie weit war ich gelaufen? Wie schnell gerannt? Wie weit hatte ich mich von unserem Dorf entfernt? Keine einzige Frage konnte ich beantworten. Mir blieb nur eins, warten bis die Sonne aufging und den Weg zurück suchen oder hier bleiben und darauf hoffen, das sie mich fanden.
Hier im Dickicht des Waldes, konnte ich mich nicht mal an den Sternen oder dem Mond orientieren, da ich den nächtlichen Himmel durch das Blätterdach nicht einsehen konnte und weiter laufen, nur um eine Lichtung zu finden, kam nicht in Frage. Ich würde mich mit Sicherheit noch weiter von unserem Dorf entfernen. Blieb noch der Fluss. Ich hielt den Atem an und lauschte angestrengt. Nichts. Es war kein Wasserrauschen zu vernehmen, nur das Rascheln der Blätter im warmen, nächtlichen leichten Wind.
Traurig lehnte ich mich an einen der riesigen Baumstämme, ließ mich an der Rinde nach unter rutschen, zog die Knie an die Brust und vergrub die Hände im Haar.

***

Kolam erkannte den Schmerz in Kalias Augen, ehe sie sich von ihm löste und in den Dschungel eintauchte. Perplex sah er ihr nach und rief sie, erhielt jedoch keine Antwort. Hinter seiner Stirn jagten sich die Gedanken. Schon zum zweiten Mal war sein Leben auf den Kopf gestellt worden. Kalia mochte ihn, war ihm anscheinend sogar richtig zugetan. Nie im Leben hatte er damit gerechnet. Sie verhielt sich ihm gegenüber immer so unnahbar, ja beinah kühl und plötzlich, plötzlich teilte sie ihm mit, dass sie ihm mochte. Manchmal spielte einem das Schicksal komische Streiche.
Verlassen und ein wenig verloren stand er auf dem dunklen Pfad, eingehüllt von silbernem Mondlicht. Ihm war klar, dass er Kalia folgen musste. Nicht nur, weil der nächtliche Dschungel eine Reihe an Gefahren barg, sondern auch, weil er ebenso für sie fühlte. Er musste mit ihr reden, alles erklären und wer weiß, vielleicht gab es ja eine gemeinsame Zukunft für sie. Degen würde ihn schon verstehen.
Kalerms Sohn wusste, dass er sich nicht allein auf die Suche nach Kalia begeben durfte, auch für ihn barg der Wald Gefahren. Ihm blieb nur eins: **Degen, ich benötige deine Hilfe. Kalia ist verschwunden. Wir müssen sie suchen!** Mit Absicht stellte er die gedankliche Verbindung nur zu Degen her. Die Feierlichkeiten im Dorf sollten nicht gestört werden, außerdem würden sich die Schattenwaldelfen Sorgen machen, einen Suchtrupp zusammenstellen und wissen wollen, was vorgefallen war.
**Kolam?** Auf den jungen Jäger war wie immer Verlass. Er reagierte augenblicklich auf den Hilferuf und fragte nicht erst nach was geschehen ist, auch wenn Kolam ihn in dieser Sache nicht aufklärte.
**Komm zurück!** Unruhig lief Kolam hin und her, drehte kleine Kreise auf dem schmalen Weg. Eigentlich wollte er sich nicht ausmalen, was Kalia alles zustoßen konnte. Trotzdem, oder genau deswegen, gaukelte ihm sein Hirn alles mögliche vor.
Zum Glück dauerte es nicht lange und Degen schälte sich aus der Dunkelheit, als er im Laufschritt den Pfad zurückgelaufen kam.
„Ich habe Ouni ins Dorf geschickt“, erklärte er ganz leicht außer Atem. „Wo ist sie verschwunden?“
Mit der Hand deutete Kolam in die entsprechende Richtung.
„Was ist denn passiert?“, wollte der braunhaarige Lockenkopf wissen, als er vorging.
Den Blick auf Degens Wuschelkopf gerichtet, folgte Kolam seinem Freund, schwieg aber weiter. Er konnte ihm nicht mitteilen, was vorgefallen war, denn dann musste er ihm gestehen, dass er Kalia mehr mochte, als er zugab.
Ohne ein Wort der Warnung blieb Degen stehen. Kolam, der dies nicht erwartete, lief direkt in seinen besten Freund, murmelte ein: „Entschuldigung“ und senkte den Blick, als der Elf vor ihm sich umdrehte und ihm direkt in die Augen schauen wollte.
„Sie läuft doch nicht ohne Grund weg!“ Ungehalten klang Vorwurf in der Stimme mit. „Kolam, noch einmal, was ist geschehen?“
Zögern nur erklangen die leisen Worte: „Sie weiß von unserer magischen Verbindung. Kalia weiß alles.“
„Wie?“ Fragend weiteten sich die hellbraunen Augen des jungen Jägers. „Woher?“
„Sie hat davon geträumt“, verteidigte Kolam sich, der das Gefühl nicht los wurde, dass Degen ihn für Kalias Verschwinden verantwortlich machen würde. „Und sie wird schweigen...“
Kolam sah, wie Degen schluckte, die Augen kurz schloss, tief durchatmete und dann knurrte: „Mir ist es vollkommen egal, ob sie jemanden davon erzählt, aber mir ist es nicht egal, wenn ihr etwas zustößt.“ Fest schloss sich Degens Hand um Kolams, beinah schon schmerzhaft, vielleicht sogar als Strafe gedacht, aber dann lockerte er seinen Griff etwas und ging zielstrebig los.
Falls der Jäger wütend oder enttäuscht war, dann ließ er sich zumindest nichts davon anmerken. Für ihn war es ein leichtes Kalias Spuren zu folgen - Fußabdrücke, abgebrochene oder umgeknickte Zweige und niedergetretenes Laub und Grashalme deuteten ihm den Weg.
„Sie scheint gerannt zu sein, ohne sich umzusehen, ohne Spuren zu verwischen. Sicherlich hat sie keine Ahnung, wo sie sich befindet“, erklärte er leise, während er ein fleischige Blatt, hellgrün,in der Form eines Herzen, mit einem dunkelgrünen Strich genau in der Mitte, dort wo der frische Knick verlief, der noch immer nässte, zwischen den Fingern hin- und herdrehte.
War er dabei sein Wissen mitzuteilen? Erklärte er nur was er dachte und sah? Oder erzählte der Braunhaarige so viel, um sich von Kalias Wissen abzulenken? Kolam wusste es nicht. Er wusste nur, dass sie sich in einer vertrackten Situation befanden. Er musste etwas unternehmen. So konnte es auf alle Fälle nicht weitergehen. Er musste all seinen Mut zusammennehmen und setzte drei mal erfolglos an, dann erst schaffte er es die wenigen Worte auszusprechen, das er dabei auf Degens Rücken schauten, machte es ihm leichter: „Degen, sie liebt mich.“
Hatte Naris Sohn die Worte verstanden? Mit allen Fingern fuhr sich Kolam nervös durch die Haare und stolperte hinter seinem Freund her, der nicht in seinem Schritt verhielt. „Sag doch was!“, bat er, ihm noch immer durch das Dickicht folgend.
Es dauerte noch ein wenig, dann endlich blieb Degen stehen und drehte sich ganz langsam um.
Er hat mich verstanden, dachte Kolam, als er den verletzten Ausdruck in den hellbraunen Augen erkannte. Kein Wort drang über die zusammengepressten Lippen. Stumm nur schaute er ihn an. Ein Schauer kroch Kolam über den Rücken. Immer unwohler fühlte er sich, unter dem kalten Blick, in seiner Haut. Nichts, keine Regung, einfach nichts, kein Nicken, kein Kopf schütteln. Degen nahm die Worte einfach hin, drehte sich wieder um und folgte den Spuren weiter, noch tiefer in den Dschungel hinein.
„Kalia!“, rief der Jäger und zerbrach somit das unangenehme Schweigen.
„Kalia, wo bist du?“ rief nun auch Kolam, jedoch eine Spur lauter, da keine Antwort auf Degens Rufen erklang. Er wusste , dass der Kelch noch nicht an ihm vorbeigegangen war. Es war einfach nicht der richtige Ort und nicht die richtige Zeit sich mit Degen zu streiten. Sie mussten Kalia finden, danach blieb ihnen alle Zeit der Welt ein klärendes Gespräch zu führen und das wusste auch der Jäger, weshalb er auf Kolams Geständnis nicht weiter einging.
„Viel weiter wird sie nicht gelaufen sein, Kolam“, war sich Degen sicher. „Die gut erkennbaren Spuren enden hier. Sie muss hier innegehalten haben.“
„Kalia!“ Kolams Stimme hallte doppelt so laut in der Stille der Nacht.
Ein verschnieftes: „Hier!“, erklang nicht weit von ihnen.
Mit klopfendem Herzen stolperte Kolam los. Sie hatten die Elfe gefunden.

Wie lange hockte ich eigentlich schon auf dem feuchten Waldboden und starrte vor mich hin? Mir war das Zeitgefühl vollkommen abhanden gekommen. Das Hadern mit meinen Gefühlen und Kolams Worte waren alles, was mich im Moment interessierte. Daher achtete ich nicht auf meine Umgebung und auch nicht auf die Sterne, die ich durch ein winziges Loch im dichten Blätterdach hätte sehen können. Immer deutlicher wurde ich mir der Lage bewusst, in die ich mich chauffiert hatte und je länger ich darüber nachdachte, umso mehr Angst stieg in mir auf. Gelbstreifen, Kriechtiere, Spinnen und giftige Pflanzen konnten für mich lebensgefährlich sein. Ein Wunder, dass mir noch nichts zugestoßen war. Was konnte ich tun? Was sollte ich tun? Ich bin in diesem Dschungel aufgewachsen. Ich musste doch fähig sein, ohne Probleme den Weg nach Hause zu finden oder zumindest wissen, wie ich mich alleine in der Nacht verhalten sollte. Wieso wusste ich so wenig? Bisher betraf es dich nicht, versuchte meine Gewissen mich zu beruhigen. Es war an der Zeit das ich mir bei unseren Jägern Nachhilfe in Sachen, wie überlebe ich alleine im Dschungel, geben ließ. Und wieder einmal hatte ich es meinen Gefühlen erlaubt, Herr über meinen Verstand zu sein.
Das gesamte Grübeln half mir in dieser Situation nicht weiter. Wenn ich die Nacht nicht mitten im Irgendwo, Nirgendwo des dichten Dschungels verbringen wollte, musste ich mich aufrappeln und eine Lichtung suchen, damit ich mich anhand des Sternenhimmel orientieren und vielleicht den Fluss finden konnte, um nach Hause zu gelangen.
„Steh auf!“, befahl ich mir, blieb aber weiter an den Baum gelehnt hocken und schaffte es nicht mich aufzurappeln. Was war, wenn sie schon nach mir suchten und ich mich nur noch weiter von ihnen entfernte?
„Kalia!“, vernahm ich meinen Namen. Bildete ich mir Degens Stimme nur ein? Erst als ich ein weiteres Mal meinen Namen vernahm, traute ich meinem Gehör. Kolam, er rief nach mir. Es war seine Stimme, die durch die nächtliche Stille hallte und mein Innerstes zu wärmen schien. Sofort fiel alle Angst von mir ab, mein Herzschlag schien sich zu beruhigen, nur um kurz darauf wieder heftig loszulegen, aber diesmal vor Aufregung und Freude. Trotzdem blieb ein schaler Nachgeschmack übrig. Ausgerechnet Kolam war es, der nach mir suchte. Natürlich freute es mich, zeigte es mir doch, dass er sich Sorgen um mich machte, aber er war auch derjenige, den ich im Moment eigentlich gar nicht sehen wollte. Viel zu weh tat mir seine Ablehnung. Für den Bruchteil eines Augenblickes dachte ich sogar darüber nach, mich ganz still zu verhalten.Vielleicht war das Glück ja auf meiner Seite und er lief an mir vorbei.
Was dachte ich da nur? Meine Gedankengänge entsprachen eher einem fünf Regenzeiten alten bockigen Elfenkindes, als einer erwachsenen Elfe. Wenn ich nicht die gesamte Nacht hier verbringen und eventuell als Gelbstreifenfutter enden wollte, dann musste ich mich melden.
Ich schluckte, atmete einmal durch, fuhr mir mit den Fingern durch die wirren Locken, da sich bei meiner Flucht die Zöpfe gelöst hatten und rief: „Ich bin hier!“ Die ersten beiden Worte waren kaum zu vernehmen, aber bei dem Wort hier, gelang es mir ein wenig Kraft in meine Stimme zu legen.
Plötzlich verschwand die Ruhe. Ich hörte eilige Schritte, vernahm das Rascheln von Blättern und das Knacken von Zweigen, wenn sie durch Kolams Gewicht brachen. Mein Blick fraß sich in die Finsternis, dann erkannte ich einen bekannten Umriss, nicht mehr als ein Schatten, der sich durch das Laubwerk auf meine kleine Insel schob.
„Kalia!“ Warme Finger griffen nach den meinen. „Dir ist nichts geschehen.“
Zögernd fasste ich nach Kolams Hand, als er sich ein wenig tiefer beugte. Seine Augen strahlten mich an. Ich spürte den festen Druck, zuckte kurz erschrocken zusammen, da es sich anfühlte, als würden lauter kleine Blitze in meinem Körper einschlagen.
Sacht zog er mich hoch in seine Arme und wisperte so nah an meinem Ohr, dass ich seine Lippen an der empfindlichen Haut fühlte: „Oh Kalia, es tut mir so leid.“
Mit spürbarem Druck legte er die Hände an meine Taille, dann verlor ich den Boden unter den Füßen. Ich schlang die Arme um seinen Nacken und klammerte mich mit den Beinen an ihm fest, einfach nur glücklich darüber, nicht mehr alleine zu sein. Es tat so gut seine Nähe zu spüren und seinen unverkennbaren Duft zu riechen. Wie lange hatte ich mich danach gesehnt? Ich musste diesen Moment auskosten, wer weiß, wie lange er andauerte und ob ich jemals wieder in seinen Armen liegen würde? Gerade, als ich mein Gesicht in seinem dichten, schwarzen Haar verbergen wollte, um den Duft nach Mango noch intensiver wahrnehmen zu können, fiel mein Blick auf Degen, der schweigend ein paar Schritte hinter Kolam stand. Fest hatte er die Lippen aufeinander gepresst, die Augen zu Schlitzen verengt und beobachtete ganz genau jede unserer Bewegungen. Die Zornesfalten auf seiner Stirn zeigten deutlich, welche Gefühle ihn gefangen hielten.
„Wir müssen los!“, forderte er barsch und funkelte mich dabei an. Seine Stimme klang tief und grummelnd. Jetzt wurde es gefährlich. Ich kannte das unzähmbare Temperament des jungen Jägers und wusste auch, dass er sich von niemand anderem ein Verbot auferlegen ließ. Für uns alle war es besser, wenn ich mich von Kolam lösen würde. Als dieser jedoch merkte, dass ich die Beine um seine Taille lösen wollte, schob er die Hände unter meinen Hintern und hob mich wieder höher, bevor ich an ihm herabrutschen konnte. Fest hielt er mich an sich gepresst, gab mir keinerlei Chance seinen Griff zu sprengen.
„Gehst du bitte zurück ins Dorf!“ Ruhig klang Kolams Stimme. „Ich muss mit Kalia reden.“
Zu den waagerechten Falten auf Degens Stirn, gesellten sich ein paar steile direkt zwischen seinen Augen über der Nase. Ein weiteres Zeichen dafür, wie ungehalten der Elf unterdessen war. Eigentlich rechnete ich mit Widerworten, aber nichts dergleichen geschah. Ganz im Gegenteil. Degen nickte, wenn auch nicht wirklich überzeugt, drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort fallen zu lassen und ohne sich noch einmal umzudrehen.
Noch immer hielt mich Kolam geborgen in seinen kräftigen Armen. Wärme und Zuneigung durchfluteten meinen Leib und ich konnte nichts gegen den Wunsch, der sich meiner bemächtigte, tun. Bevor ich jedoch meine Lippen auf Kolams legen konnte, ließ er mich sacht zu Boden gleiten.
„Ich glaube, wir haben viel zu besprechen“, stellt er leise fest. Dabei sah er mir mit festem Blick in die Augen und strich mir einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Wie eine Feder so leicht berührten seine Fingerspitzen meine Wangen und ließen die Haut dort kribbeln.
Was wollte er mit mir bereden? Eigentlich war doch alles ganz klar oder nicht? Ich schaute in die schwarzen Augen vor mir. War es Liebe die ich darin erkannte? Konnte es doch sein, dass Kolam mehr für mich empfand? Vielleicht sogar das Gleiche wie ich? Nein, soviel Glück besaß ich bestimmt nicht.
„Du und Degen“, setzte ich an. „Ihr gehört zusammen. Eure Magie hat sich gefunden, Eure magischen Fähigkeiten sind Eins geworden, ergänzen sich und...“ Ich verstummte. „So weit ich gehört habe, wisst ihr alles von euch. Es gibt keine Geheimnisse mehr. Ihr seid eine Person geworden, auf ewig miteinander, aneinander gebunden. Der eine kann nicht mehr ohne den anderen. Dort, in dieser Einigkeit habe ich nichts zu suchen. Ihr werdet zusammen alt werden, werdet immer füreinander da sein. Mich wundert es nicht. Bei euch hat sich nicht viel verändert. Ich wart bisher immer unzertrennlich. Ihr habt schon immer alles geteilt. Ich war nie ein Teil von dir...“ Heftig ging mein Atem. Es tat weh die Worte auszusprechen, als würde jemand einen Speer in mein Herz stoßen, aber ich musste so handeln, auch wenn es nicht dem entsprach, was ich fühlte und wünschte.
Am liebsten hätte ich Kolam nie wieder losgelassen. Trotzdem musste ich mich sofort von ihm lösen, sonst lief ich Gefahr es nicht mehr zu schaffen, um dann an meiner immensen Sehnsucht nach ihm zu zerbrechen.
„Kolam, du hegst schon immer Gefühle für Degen. Du liebst ihn und jeder der dich gut kennt, konnte diese Liebe in deinen Augen erkennen, wenn du mit ihm zusammen Zeit verbrachtest und ihn ansahst. Für mich ist es kein Wunder, das Eure Magie sich gesucht und gefunden hat.“ Tapfer schluckte ich. Jetzt erfuhr ich, wie weh Worte tun konnten, wenn man sie aussprach und nicht nur dachte.
„Ja, unsere Magie ist eins“, bestätigte er, wobei seine sonst so tiefe, sanfte Stimme aufgebracht klang, irgendwie unsicher, vielleicht sogar eine Spur wütend. Irritiert hob er die Augenbrauen. „Aber heißt das, das ich ihn liebe?“
Er fragt mich? Ausgerechnet mich. Ich, die so gar nichts über Gedanken teilen oder gar die Verbindung von Magie wusste. Ich war nicht in der Lage mich irgendjemanden mental mitzuteilen, mir blieben nur Blicke, Gesten und die Sprache.
„Kalia, ich muss dir soviel erklären.“ Sein auffordernder Blick ließ mich nicken.
Wieder griffen seine Finger nach den meinen. Still lief ich neben ihm her, als wir den Ort verließen, der mir in den letzten Stunden unheimlich vorkam. Ich würde die Bäume nie wiedersehen und selbst wenn, würde ich sie mit Sicherheit nicht wiedererkennen.
Mir war es vollkommen egal, wohin Kolam mich führte. Wie schon vorhin hatte ich nach einigen Schritten in der Finsternis die Orientierung verloren, aber ich vertraute Kolam und so dachte ich nicht weiter darüber nach. Erst als ich das bekannte Gurgeln des Flusses vernahm, wusste ich, dass ich jederzeit alleine den Weg nach Hause finden würde.
Eine ganze Weile liefen wir parallel zum Fluss und ich war mir sicher, dass wie uns eher vom Dorf entfernten, als uns näherten. Irgendwann ließ Kolam meine Hand los. Neugierig schaute ich mich um, erkannte jedoch nicht viel in der Dunkelheit. Felsen erhoben sich aus dem fliesendem Wasser. Mehr als kantige Umrisse waren jedoch nicht zu erahnen.
„Wir müssen auf die andere Seite.“
„Was?“ Mein Kopf drehte sich in seine Richtung. „Aber wir dürfen nicht...“
„Ich passe auf dich auf.“ Aufmunternd zwinkerte er mir zu. „Es ist ganz einfach. Bleib einfach direkt hinter mir und tritt nur auf die Felsen die ich benutze. Vertrau mir!“
Mein Nicken war ihm Antwort genug. Mit ein paar Schritten stand der großgewachsene Elf auf dem ersten Felsvorsprung am Ufer. „Pass auf, ab und zu ist es klitschig, aber die Steine sind rau genug.“
Es war gar nicht so einfach in der Nacht den sicheren Weg über den Fluss zu finden. Über uns strahlten die Sterne, ab und zu hinter Wolkenschleiern versteckt. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, testete erst die Oberfläche, ob ich wirklich nicht abrutschte, ehe ich den anderen Fuß nachzog. Wenn die Kluft zwischen den Felsen für meine Größe etwas zu weit war, hielt Kolam meine Hand und half mir den Abstand zu überwinden. Dankbar schaute ich zum nächtlichen Firmament auf, als die Wolken den Mond freigaben und ich endlich besser erkannte, wo ich hintrat.
Mit aufgeregt klopfendem Herzen hatte ich irgendwann das andere Ufer erreicht, von dem wir uns aber entfernten und wieder in dichten Dschungel eintauchten, der nicht anders schien, als auf unserer Seite der Mutter aller Wasser. Die nächsten Schritte hielt ich mich nah hinter Kolam, der meine Finger nicht wieder freigab. Mit der freien Hand schob er Äste und Blattwerk zur Seite, damit wir ohne Behinderungen durch das dichte Grün laufen konnten. Jetzt erst fiel mir auf, das der Wald hier dichter, dunkler und undurchdringlicher schien. Hier kam nicht sehr oft jemand lang. Wer auch, eigentlich war es ja auch verboten die andere Seite des Flusses zu betreten. Kolam ignorierte dieses Verbot und führte mich zu einer kleinen Hütte, eingebettet in dem dichten Grün. Wie die Pfahlhäuser in unserem Dorf stand die Hütte auf Stelzen, nicht ganz so hoch, aber ausreichend für die Zeit der anhaltenden Regenfälle, wenn der Fluss über seine Ufer trat und alles überschwemmte. Nass würde es im Inneren der Hütte nicht werden. Fragend schaute ich den Elf an meiner Seite an.
„Degens Idee“, erklärte er leise, als verspürte er Angst, dass ihn jemand hören konnte, ehe er die Leiter hinaufstieg und mich aufforderte ihm zu folgen.
Oben angekommen entzündete er eine Fackel, die direkt neben dem Eingang angebracht war, ehe er den Vorhang aus grünem Stoff zur Seite zog. Langsam, mit zittrigen Knien folgte ich ihm. Wieso hatten sie eine Hütte gebaut und wieso auf verbotenem Land? Wann hatten sie die Pfahlhütte gebaut? Immer dann, wenn sie gemeinsam das Dorf verlassen haben, lachte mein Kopf und wenn sie über Nacht nicht heim gekommen waren.
Im Rahmen blieb ich stehen, ließ meinen Blick über die Einrichtung gleiten. Vor mir, im vorderen Teil, stand ein Tisch mit zwei Hockern. An der Wand lehnte ein Regal, gefüllt mit all den Dingen, die man zum Leben brauchte - Trinkbecher, Krüge, Brettchen, Messer, Löffel und Vorratsbehälter für Reis und andere Trockennahrung. Alles in allem erinnerte es mich an die Hütten in unserem Dorf, nur eben etwas kleiner, einfacher und nur für zwei Elfen, nicht für eine Familie gedacht.
Mit der Fackel in der Hand trat Kolam hinter mir ein, entzündete zwei weitere kleiner Fackeln, die in der Mitte des Raumes in einem Gestell steckten und um uns herum wurde es heller. Dadurch erkannte ich nun auch den zweiten Teil der Hütte, der durch einen, im Moment geöffneten, hellen Vorhang abgetrennt werden konnte. Eine, mit Gelbstreifenfellen und leichten Zudecken ausgelegte Schlafstelle befand sich dort.
Sie schliefen sogar hier? In mir jagten sich die Gedanken. Von all dem hier hatte ich keine Ahnung und sicher auch niemand anderes von den Schattenwaldelfen. Dieser Ort war ihr großes Geheimnis. Wie hatte Ouni einmal gesagt: „Ich würde nur zu gern wissen, was die beiden aushecken.“
Nun gehörte ich dazu. Ich wurde in ihr Geheimnis eingeweiht. Kolam vertraute mir. Er wünschte sich anscheinend, dass ich erfuhr, was genau zwischen Degen und ihm stattfand.
„Setz dich! Ich geh Wasser holen.“ Noch bevor ich dem großgewachsenen Elf antworten konnte, war er verschwunden. Mit einem beklemmenden Gefühl nahm ich auf einem der Hocker Platz. Was tat ich hier? Dies war ihr Ort. Ich hatte hier nichts verloren. Eigentlich müsste ich mich erheben und gehen, aber die Neugierde ließ mich still sitzen bleiben. Vielleicht war ich auch einfach nur zu überrumpelt, um noch klar denken zu können. Ich wusste nur eins ganz genau, ich durfte mich nicht zwischen sie drängen. Dies würde nur Ärger geben. Ja, ich war in Kolam verliebt, schon lange Zeit, und gerade heute wurden mir meine Gefühle immer klarer vor Augen geführt. Ich liebte ihn so sehr, dass es beinah wehtat, aber Kolam hatte in Degen seinen Partner gefunden. Sie teilten alles, sogar ihre Magie. Für uns gab es keine gemeinsame Zukunft.
Erschrocken fuhr ich aus meinen Grübeleien hoch, als er einen Tonbecher vor mir auf die Tischplatte stellte.
„Danke“, murmelte ich und schaute ihm fragend in die wunderschönen tiefschwarzen Augen. „Was meintest du mit, ja, unsere Magie ist eins, aber heißt das auch, dass ich ihn liebe?“
Vorsichtig stellte er einen mit frischem Wasser gefüllten Krug in die Mitte des Tisches, ehe er sich auf den zweiten Hocker setzte, der mir genau gegenüber stand, und uns einschenkte. Lange überlegte er, wobei er mich nicht aus seinem Blick ließ, der irgendwie verträumt auf mich wirkte.
„Degen und ich mögen uns“, begann er. „Wir sind mehr als Freunde.“ Ein warmes Lächeln legte sich auf die weichen Züge seines Gesichtes. „Wir brauchen uns, aber auf eine andere Art und Weise.“ Nervös drehte er seinen Becher zwischen den Fingern.
Ich unterbrach ihn nicht. Er sollte sprechen können, bevor er dies jedoch weiter tat, trank er einen Schluck. „Wir ergänzen uns hervorragend. Wir kennen uns gut, wissen, was der andere mag, hasst, möchte und unterdessen auch, was er fühlt und denkt, aber Liebe...“ Er zuckte mit den Schultern. „Nein, keine Liebe, nicht die Art Liebe, wie sie zwischen deinen und meinen Eltern herrscht.“
Blind, da ich Kolam nicht aus den Augen ließ, tastete ich nach meinem Wasser und trank. Über den Gefäßrand hinweg, sah ich, dass er seine Finger um den Becher legte und auf das Wasser darin starrte.
Ich ließ ihn in Ruhe nachdenken. Trotzdem hätte ich nur zu gern gewusst, welchen Überlegungen er sich gerade stellte, fragte aber nicht nach. Wenn er mich daran teilhaben lassen wollte, würde er es mir sagen. Irgendwann empfand ich das Schweigen jedoch als unangenehm und ergriff das Wort: „Degen, er... er liebt dich.“
Meine Worte schafften es, dass er endlich wieder aufsah. Verwirrt, beinah schon wütend, schüttelte er energisch den Kopf. Ich ließ mich davon nicht ablenken und fuhr fort, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, das er etwas erwidern wollte: „Er liebt dich wirklich. Er liebt dich so sehr, wie Kalerm deine Mutter. Ich beobachte euch schon lange und heute... Seine Reaktion vorhin, sein böser Blick, als du ihn wegschicktest, als du mich im Arm hieltest. Sein Blick war nicht nur böse. Tief darin erkannte ich Traurigkeit, Wut, Verwirrung und Angst, Angst dich zu verlieren.“
Verwundert zog Kolam eine Augenbraue nach oben. Dies war die einzige Reaktion auf meine Worte, danach hatte er sich sofort wieder im Griff und gab durch nichts zu erkennen, was er wirklich dachte. Wieder gab ich ihm Zeit, damit er über meine Feststellung sinnieren konnte. Mir blieb nur noch, ihn über meine wahren Gefühle aufzuklären. Angst vor einer Zurückweisung breitete sich in mir aus. Woher sollte ich denn wissen, wie es um uns stand? Ich musste ihm endlich alles gestehen. Viel zu lange trug ich die Worte schon mit mir herum. Wie oft hatte ich mir in meinen Tagträumen ausgemalt, was, oder besser, wie ich es ihm sagen würde. Bisher hatte sich aber keine Möglichkeit ergeben. Diese Nacht jedoch bot sich mir der rechte Augenblick.
Plötzlich verkrampfte sich in mir alles, als ich nach den richtigen Worten suchte und sie nicht mehr fand. Daher stammelte ich, mit einem unangenehmen Ziehen im Magen und belegter Stimme: „Kolam, ich... auch ich liebe dich. Ich würde so gern... mit... dir...“ Mir versagte die Stimme.
Ganz langsam hob er den Kopf und schaute mich an. Sein Gesichtsausdruck wirkte skeptisch, dann huschte ein befreiendes Lächeln über die sanften Züge, nur um dann wieder zu verschwinden.
„Kalia“, sprach er mich mit einer ähnlich belegten Stimme an. „Wenn es Liebe ist, was ich für dich empfinde, dann weiß ich, wie es in dir aussieht, aber es wird nicht funktionieren. Degen und du? Nein... Es wird einen Grund geben, warum unsere Ahnen Degen und mich vereint haben.“
Zitterte seine Stimme tatsächlich? Enttäuscht ließ ich den Kopf sinken und starrte auf die glatt geschliffenen Holzbretter, die die Tischplatte bildeten. Ich durfte ihn nicht merken lassen, wie sehr mich seine Worte trafen und so begann ich mit den Fingern Bilder auf die Tischplatte zu zeichnen, dazu benutzte ich die Wassertropfen die sich auf dem Holz befanden.
„Wieso nicht?“, fragte ich dann doch aufgebrachter, als ich es eigentlich wollte. „Wir könnten es versuchen.“ Seine Zurückweisung hatte mich mehr verletzt, als ich mir eingestehen wollte und so suchte ich krampfhaft nach einem Grund, damit ich wenigstens ein einziges Mal in seinen Armen einschlafen und auch in ihnen erwachen durfte. Ich wusste, das ich mich kindisch benahm, aber das war es mir wert. „Ich werde das Dorf verlassen“, erklärte ich trotzig. Die Worte hatten meinen Mund verlassen. Ich konnte sie nicht mehr zurücknehmen und mich auch nicht herausreden. Kolams Blick bewies mir, das er ganz genau verstanden hatte, was ich sagte.
Dennoch, der Gedanke nach meinen Eltern und meinem Stamm zu suchen, stellte für mich die plausibelste Erklärung dar, für eine Nacht mit ihm. „Ich möchte nach meiner Familie suchen, meinen Stamm kennenlernen. Ich möchte endlich erfahren, woher ich komme.“
Der schwarzhaarige Elf mir gegenüber schwieg beharrlich. Glaubte er mir? Immerhin kam für ihn der Wunsch meine Familie kennenzulernen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich dagegen dachte immer öfter darüber nach welcher Abstammung ich sein könnte, wie meine Eltern aussahen. Vielleicht gab es sogar Geschwister, einen großen Bruder, eine kleine Schwester.
Mit den flachen Händen strich sich Kolam übers Gesicht. Für einen Moment schloss er die Augen, ehe seine Hände auf dem Tisch nach meinen suchten und fest umschlossen. Den Blick aus den nachtschwarzen Augen konnte man als stechend bezeichnen. Lange hielt ich ihm nicht stand. Ich hatte gelogen und wurde das Gefühl nicht los, dass Kolam es an meinem Gesicht ablesen konnte. Nervös biss ich mir auf die Zunge, um nicht laut aufzustöhnen. Mich plagte mein schlechtes Gewissen.
„Du willst uns verlassen?“
„Ja, für eine Weile“, antwortete ich und spürte, wie mir heiß wurde. Tränen stiegen in mir auf, brannten hinter meinen Augen. Mühsam kämpfte ich dagegen an. Nun konnte ich nicht mehr umkehren. Mir blieb gar nichts anderes übrig. Ich musste meine Worte in die Tat umsetzen, wenn ich nicht als Lügnerin oder Aufschneiderin dastehen wollte.
Kolam schob den Hocker nach hinten und erhob sich. Wollte er mich sitzen lassen und gehen? Nein, er umrundete den Tisch und blieb neben mir stehen. Warm legten sich seine Hände schwer auf meine Schultern, dann zog er mich hoch in seine Arme.
„Ich begleite dich.“
„Keine Sorge, ich werde wieder zurückkommen“, murmelte ich, in seine Worte fallend, mit rasendem Herzen. Erst nach und nach begriff ich, was er eben ausgesprochen hatte.
„Was hast du gesagt?“, vergewisserte ich mich. Vielleicht hatte ich ihn doch falsch verstanden.
„Ich komme mit dir, wenn du nichts dagegen hast.“ Seine Hände drückten mich fest an ihn, so fest, dass ich mir sicher war, gemeinsam alles bewältigen zu können. Ich würde nach meiner Familie suchen und in Kolam fand ich vielleicht sogar meine eigene zukünftige.
„Dagegen?“, lachte ich überglücklich. „Was sollte ich dagegen haben, wenn du an meiner Seite bist? Nur wir beide.“
Wirr hingen mir einzelne Haarsträhnen ins Gesicht. Durch den hellen Vorhang blickte ich zu ihm auf. Die dunklen Augen strahlten, schauten warm auf mich herab, mit ganz viel Gefühl, dann nickte er.
Ich barg das Gesicht an seiner Brust, gab mich ganz diesem Moment hin, der nur uns beiden gehörte. Ich spürte seine Hände an meiner Taille, die mich unruhig streichelten. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Kolam würde mit mir kommen. So weit hatte mich meine Lüge gebracht. Bedurfte es tatsächlich der Unwahrheit, um zu erfahren, wie wichtig man sich war? Was würden meine Eltern sagen, wenn ich ihnen von meinen Absichten erzählte? Was Kalerm und Taira? Würden sie uns ziehen lassen oder es uns zum Wohl des Stammes verbieten? Es musste soviel besprochen und geplant werden. Dieses Vorhaben war nicht von einem Tag auf den anderen umsetzbar. Nein, dies bedurfte langer Vorbereitungen und an Degen wollte ich gar nicht denken - erst mal nicht. Jetzt zählte nur die Stille des Waldes, die Hütte und Kolam, dessen Herz genauso schnell zu schlagen schien, wie meines.
Langsam stellte ich mich auf die Zehenspitzen, streckte mich, näherte mich ihm noch mehr und schaute in die wunderschönen, schmalen Augen, in denen ich mich verlieren konnte.
Still hielt er mich fest, wartete wohl ab, was ich als nächstes zu tun gedachte. Wie von selbst fuhren meine Finger in das lange seidige Haar. Ich versuchte mich noch größer zu machen. Woher nahm ich plötzlich den Mut? Ganz sanft legte ich meine Lippen auf seine, zaghaft, abwartend, was er tun würde. Sein leises Stöhnen war mir Antwort genug. Heißer Atem streifte meine Lippen, als er seinen Mund leicht öffnete.
Hart, aber auch weich fühlte ich seinen Körper an meinem und warme Hände, die sich einen Weg unter mein Hemd bahnten. Vergessen waren die letzten Stunden. Wie überließen uns unserem Verlangen nacheinander und taumelten selbstvergessen zu dem Schlafgemach im hinteren Teil der Hütte. Kurz darauf spürte ich sein Gewicht auf mir, als er mich auf die Felle presste.
Ich atmete ihn. Ich schmeckte ihn. Neues, unbekannte Land wartete darauf entdeckt zu werden. Ein fernes Land, in das er mich entführte. Ich gab mich ihm nur zu gern hin. Nur am Rande nahm ich wahr, das die Felle und Decken nach Degen rochen, aber Kolams Zärtlichkeiten vertrieben den jungen Jäger aus meinen Gedanken. Ich genoss jede noch so zarte Berührung und vergaß die Welt, die in Flammen zu stehen schien, um mich.
Meine Lust hielt mich gefangen und ich tauchte ab in die Welt der Liebe, des Verlangens und des Begehrens.

Im Laufschritt erreichte Degen das Dorf in Rekordzeit. Eigentlich hatte er sich mit dem Dauerlauf beruhigen wollen, was aber nicht funktionierte. Als er Kalia in Kolams Armen sah, hatte sich sein Herz schmerzhaft zusammengezogen und als Kolam ihn auch noch bat zu gehen, fühlte er sich betrogen, verletzt, verraten und verlassen.
Als er Kolams Magie eroberte, war für ihn ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen. Eigentlich dürfte nichts zwischen ihm und dem Elf seiner Träume stehen. Nichts hätte sie trennen dürfen, und nun? Nun war da Kalia. Kalia, eine Elfe, die nicht mal zu ihrem Stamm gehörte. Irgendwie konnte er verstehen, dass sich Kolam von ihrer hellen Haut, den sonnenfarbenen Haaren und den himmelblauen Augen angezogen fühlte, aber ihm gefiel nicht, dass sein Partner anscheinend doch tiefere Gefühle für die kleine Elfe hegte, als er jemals bekannt hatte.
Mit Sicherheit würde Kolam Kalia für eine Partnerschaft vorziehen. Elf und Elfe, so gehörte es sich, um eine Familie zu gründen und für den Fortbestand des Volkes zu sorgen. Degen spürte es. Immerhin hatte Kolam es in den vielen vergangenen Tagen nicht geschafft offen zu ihm zu stehen, zu einem Elf. Dies gehörte sich nicht für den Sohn eines Anführers. Nein, sie trafen sich weiterhin heimlich. Degen wäre es vollkommen egal, wenn die anderen Schattenwaldelfen sie sehen würden oder wüssten, was sie verband, aber Kolam...
Es tat ihm weh, dass Kolam ihn verleugnete, ihre vereinigte Magie verleugnete und ihre Verbundenheit für sich behielt. Vielleicht aber spürte Kalerms Sohn auch, dass ihre magische Verbindung nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.
Ja, Degen hatte es ausgelöst - dies war eine seiner magischen Fähigkeiten. Er konnte Jemanden Fremden an sich binden, kontrollieren und auch quälen. Niemals hatte er damit gerechnet, zu so etwas fähig sein zu können, aber seine Gefühle für Kolam hatten sich irgendwann grundlegend geändert. War Kolam früher wie ein Bruder für ihn gewesen, ein Freund, mit dem man durchs Feuer gehen konnte, so war er nun ein Geliebter. Irgendwann hatte es ihm nicht mehr gereicht nur an Kolams Seite zu sein, nein, er hatte sich gewünscht ihm nach zu sein, sich danach gesehnt ihn zu berühren, ihn ganz zu fühlen, dessen Magie spüren, wollte alles mit ihm teilen und dieser Wunsch war ihm dank seiner Kraft erfüllt wurden. Er hatte Kolam soweit manipulieren können, das dieser dachte, dass das Verlangen auch von ihm kam und nicht nur von Degen. Unterdessen konnte der junge Jäger sich nicht mehr vorstellen, auch nur einen Tag und eine Nacht von ihm getrennt zu sein. Er brauchte Kolam als Freund, als Bruder, als Vertrauten, als Gefährten, als Geliebten und für sein körperliches Verlangen.
Schon vor vielen Neumonden fing er an sich nach Kolams zu sehnen. Was ihm bei Tieren gelang, konnte doch bei einem Elf nicht viel schwerer sein. Wenn er bei der Jagd durch die Augen der Tiere schaute, dann konnte er doch auch deren urältesten Instinkte spüren - Angst, Panik, Ruhe, Sicherheit, nicht so differenziert wie bei Elfen, aber ähnlich. Jeden Tag, jede Nacht hatte er nach Kolams Magie gesucht, ob die beiden zusammen waren oder nicht. Nichts kostete ihn so viel Kraft und Beherrschung, wie die Suche nach seinem besten Freund. Degen verstand nicht, wieso sich manche Magien verbanden und andere nicht. Für ihn gab es nur seine Mutter Nari, mit der er verbunden war und irgendwo seinen Vater. Er spürte ihn in sich. Da befand sich ein Teil einer fremden Magie in ihm, würde jedoch nie ausgefüllt werden. Wenn er versuchte mehr über seinen Vater zu erfahren, verschloss Nari sich, ließ ihn nicht an diesen Erinnerungen teilhaben, was er akzeptierte. Wie Kalia schien sein Vater kein Schattenwaldelf zu sein. Vielleicht ließ sich dieses Rätsel irgendwann lösen.
Unterdessen wusste er, das die angeborene Verbindung zu Eltern eine andere war, als die erzwungene oder durch die Magie ausgelöste. Die Nähe zu den Eltern bezog sich auf das Wesentliche, nicht auf Verlangen, nicht auf den Wunsch den anderen vollständig zu besitzen. Er würde nie Naris gesamte Magie erfahren. Es war, als gebe es Tabuzonen zwischen Familienangehörigen.
Mit der Zeit drang Degen immer tiefer und immer stärker in seinen Freund vor. Ab und zu hatte er das Gefühl den natürlichen Schutzschild zu zerbrechen, dann spürte er, was Kolam fühlte, nur diffus, aber es war vorhanden und Kolam sich dessen nicht bewusst. Die winzigen Risse schlossen sich jedoch schneller, als Degen sie aufreißen konnte und er stand schon kurz davor aufzugeben, als sich ihm die perfekte Gelegenheit präsentierte.
Es war der Tag, als er Kolam ohne Absicht so hart an der Schläfe traf, dass dieser bewusstlos zu Boden sank. Im ersten Moment spürte er Panik in sich auflodern. Was würde sein, wenn er seinen besten Freund verletzt hatte? In Gedanken suchte er nach ihm und bemerkte dabei ziemlich schnell, dass Kolam seinen mentalen Attacken vollkommen hilflos ausgeliefert war. Mit all seiner Kraft, stieß er wie ein Pfeil in Kolam vor und fand endlich, was er schon so ewig suchte - Kolams Magie. Warm umschloss sie ihn, als wäre sie nur für ihn. Sie ergänzten sich, auf immer und ewig verbunden - endlich Eins.
Nur am Rande nahm Degen wahr, dass noch gefeiert wurde. Die Stimmung auf dem Dorfplatz wirkte ausgelassen und lustig, was wohl zum größten Teil Elmors Gebräu zu verdanken war und dessen Konsum.
Das Feuer war beinah niedergebrannt, schwelte nur noch ein wenig vor sich hin. Von dem frisch gebratenen Gelbstreifen lag nur noch ein kläglicher Rest auf einem riesigen Bananenblatt und als Degen den Blick über die anwesenden Elfen schweifen ließ, bemerkte er, dass nur noch ein paar wenige an den Tischen saßen und sich unterhielten. Der Rest des Stammes schien schon zu schlafen.
Mit zügigen Schritten eilte er an allen vorbei. Es tangierte ihn wenig, das er mit irgendjemanden zusammenstieß. Er blickte nicht auf, murmelte nur ein: „Entschuldigung“, stürmte die Stufen zur Hütte seiner Mutter hinauf und riss den Vorhang beiseite. Der rot Stoff überlebte die brutale Handhabung nicht und sank hinter ihm zu Boden.
In seinem kleinen Schlafraum angekommen, lehnte er sich gegen die Wand und stütze sich mit den Händen ab. Ganz bewusst atmete er tief ein und aus. Nichts half gegen den Schmerz in seinem Herzen, in seiner Magie und so schlug er mit der rechten Faust immer und immer wieder gegen das trockene Holz, versuchte so die Pein in sich zu kompensieren.
Erst als sie die Haut über seinen Knöcheln aufplatzte und die Wunden anfingen zu bluten hielt er inne. Mit einem tiefen Seufzer wickelte er ein Hemd, welches er wahllos aus seiner Truhe fischte, um die Hand und ließ sich auf sein Schlaflager fallen, dabei vergrub er das Gesicht in den Laken.
Seine Hand brannte und klopfte vor Schmerzen, aber die Wut in seinem Herzen und das Gefühlt verraten worden zu sein, schien stärker als zuvor.
Der braunhaarige Elf hatte in seinem Selbstverletzungsanfall nicht bemerkt, das seine Mutter ihm gefolgt war und ihn schweigend von dem Vorraum aus beobachtete. Sie hatte nicht eingegriffen, als er wie vergessen, auf die Wand einschlug. Nun näherte sie sich ihm, setzte sich vorsichtig zu ihm auf den Rand des Lagers, ließ die Finger beruhigend durch das lockige Haar gleiten und flüsterte: „Degen?“
Er benötigte kein Mitleid. Degen wollte mit seiner Qual alleine sein, sich nicht erklären und knurrte: „Lass mich bitte in Ruhe, Mutter!“
„Was ist denn geschehen?“ Nari ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie wollte erfahren, was vorgefallen war und wieso sich ihr einziger Sohn so sehr quälte.
Ruckartig drehte Degen sich auf den Rücken, schob dabei die Hand seiner Mutter fort und antwortete, obwohl er es eigentlich gar nicht wollte: „Kalia, sie... Kolam...“ Er verstummte. Was ging es sie an?
„Du liebst Kalia, aber sie Kolam?“, hakte Nari nach, die langsam anfing etwas zu ahnen. Daraufhin traf sie ein finsterer wütender Blick.
Trocken lachte Degen auf: „Ich und Kalia?“ Energisch schüttelte er den Kopf. „Wenn es nur so wäre, aber nichts verstehst du, gar nichts. Du würdest es nicht verstehen.“
„Dann erkläre es mir! Damit ich dir helfen kann“, forderte die verwirrte Elfe.
„Ich werde es dir nicht erklären. Es ist egal.“ Es ging sie nichts an, weder wessen Magie die seine war und schon gar nicht, wen er liebte, außerdem konnte er es ihr nicht sagen. Er hatte etwas getan, was niemand in ihrem Stamm gutheißen würde. Es gab nichts unantastbareres als die eigene Magie. Immerhin hatte er Kolam seine gestohlen und zu einem Teil der eigenen gemacht.
Wie eine Kugel rollte er sich zusammen und zog die dünne Decke über sich. Demonstrativ schloss er die Augen. Ein Zeichen dafür, dass er kein Wort mehr sagen würde, dazu verschloss er sich vollständig vor seiner Mutter. Sie sollte keinen Blick auf sein aufgewühltes Inneres werfen können.
Noch nie hatte Nari ihren Sohn so wütend, zerbrochen und traurig erlebt. Mit dem Instinkt einer Mutter spürte sie jedoch, dass irgendjemand ihrem Sohn sehr wehgetan hatte. Noch einmal strich sie sanft über das weiche Haar des vor ihr liegenden jungen Elf, als Zeichen, dass sie für ihn da sein würde, falls er doch jemanden zum Reden benötigte, dann erhob sie sich und verließ die Hütte. Wenn es jemanden gab, der wusste, was vorgefallen war, dann Ouni. Sie musste Kolam und ihren Sohn getroffen haben, denn sie war einige Zeit vor Degen alleine ins Dorf zurückgekehrt. Von Kalia und Kolam war bisher nichts zu sehen gewesen.

***

Nachdenklich saß Ouni bei ihren und Kolams Eltern. Sie fühlte sich ein ganz klein wenig von ihren Freunden zurückgesetzt. Wieso hatte Degen sie allein gelassen und zurück ins Dorf geschickt? Sie war so glücklich gewesen, als Naris Sohn sie sich über die Schulter gelegt hatte und sie ganz alleine mit ihm unterwegs war. Eine bessere Chance hatte sich ihr vorher nie geboten und plötzlich, plötzlich stand sie verlassen auf dem Pfad zum Fluss. Sie hatte Degen nicht aufhalten können, als dieser überraschend zu Kalia und Kolam zurückeilte. Dabei hatte Ouni sich doch für ihre Schwester gefreut, die endlich Zeit mit Kolam verbringen durfte.
„Wo bleiben denn die anderen?“, erkundigte sich Kemi und beugte sich zu ihrer Tochter.
„Kommen gleich nach“, antwortete Ouni ausweichen. Sie malte sich ihr eigenes Szenario aus, welches die Wendung des Abends erklären konnte. Degen konnte Kolam nicht mit Kalia alleine lassen, das er an ihr interessiert schien. Kein Wunder, wer konnte schon der kleinen, blauäugigen Elfe mit den sonnenfarbenen Haaren widerstehen? Schade, dachte sie aber ändern konnte sie es nicht. Trotzdem ließ sie der Gedanke, das Degen in ihre Schwester verliebt war, keine Ruhe. Es wäre aber auch zu perfekt gewesen - Kalia und Kolam und Degen und sie. Immerhin waren sie seit Jahren die einzigen Kinder im Dorf gewesen. Es gab niemanden in ihrem Alter und Taipur, Sojors Sohn, war noch viel zu jung für sie. Was in einigen Jahren keine Rolle mehr spielen würde.
Wie gebannt starrte sie Richtung Fluss. Sie wollte unbedingt mitbekommen, wenn die drei zurückkehrten. Es war dann Degen der wie ein Irrwisch, mit stechendem Blick, an ihnen vorbeizog und im Haus seiner Mutter verschwand. Er sah nicht gerade glücklich aus. Da schien einiges nicht so gelaufen zu sein, wie er es sich vorgestellt hatte. Fehlten also nur noch Kolam und ihre Schwester.
Nachdenklich griff Ouni nach dem Krug mit dem Gebräu ihres Vaters und goss sich ein. Ein einziger Tag hatte ausgereicht, um ihr Leben über den Haufen zu werfen. Wer wusste schon, wozu es gut war? Zumindest wusste Degen jetzt, dass er bei Kalia keine Chance bekam und irgendwann würde er darüber lachen können und dann bot sich Ouni der Versuch an, vorausgesetzt, sie hegte dann noch Gefühle für den jungen Jäger.
„Ouni, kann ich mit dir reden?“
Erschrocken zuckte die junge Elfe zusammen, drehte sich in die Richtung der Sprecherin und schaute in Naris besorgtes Gesicht. Zögerlich nickte sie.
„Was ist denn los gewesen?“, erkundigte sich Degens Mutter und kam sofort auf den Punkt.
„Ich weiß es nicht.“ Einen großen Schluck nehmend zuckte Ouni mit den Schultern. Brennend rann die Flüssigkeit in ihren Magen hinab und breitete sich dort mit wohliger Hitze aus. „Kalia und ich wollten angeln gehen. Unterwegs trafen wir Kolam und Degen. Kalia und Kolam wollten irgendwas besprechen und alleine sein, also ging ich mit Degen zurück.“ Ouni nahm noch einen Schluck. „Auf halber Strecke bat dein Sohn mich plötzlich alleine ins Dorf zurückzukehren. Er rannte zurück Richtung Fluss.“ Resigniert zuckte Ouni mit den Schultern. „Wie geht es ihm?“ erkundigte sie sich, da sie sich trotzt allem Sorgen machte.
„Das wird wieder“, lächelte Nari aufmuntern.
„Ich glaube, er ist in Kalia verliebt.“ Traurig verließen die Worte Ounis Mund, woraufhin Nari zustimmend nickte, Ouni in die Arme schloss und sanft hin- und herwiegte.

3. Ein neuer Morgen

Vögel zwitscherten, Blüten öffneten sich, Tiere liefen raschelnd durch das Unterholz, Tau glitzerte durch die Strahlen der aufgehenden Sonne auf den tiefgrünen Blättern und eine neuer Tag erwachte zum Leben.
Es war das gleichmäßige Rauschen des Wasserfalls, das mich aus einem traumlosen, tiefen Schlaf weckte. Langsam schlug ich die Augen auf und blinzelte, da mir die Sonne direkt durch die Fensteröffnung ins Gesicht schien.
Wieso klangen die morgendlichen Geräusche so fremd für meine Ohren? Alles, was ich vernahm, waren die natürlichen Geräusche des Dschungels und des Wassers. Keine Stimmen erklangen, die sich einen freundlichen, morgendlichen Gruß zuriefen. Das Rauschen, das war fremd, das vernahm ich in der elterlichen Hütte nicht und irritierte mich. Wo befand ich mich?
Müde schaute ich mich um. Das Schlaflager auf dem ich lag, schien nicht das meine. Die Wand mit der Öffnung die ich sah, war nicht die Wand in Ounis und meinem Schlafraum.
Ganz langsam kam die Erinnerung zurück, die Erinnerung an Kolam und die vergangene Nacht. Wie von selbst erschien ein glückliches Strahlen auf meinem Gesicht, als ich daran dachte, was wir getan hatten. Ungewohnte Wärme drang durch die Haut an meinem Rücken, in mein Innerstes. Leicht hob ich die Decke an und schaute hinab. Warm fühlte ich Kolams Hand auf meinem Bauch. Er lag hinter mir, fest an mich geschmiegt und schien zu schlafen. Sein Atem streifte mein Haar, meinen Nacken und ließ meine Haut kribbeln. Ganz nah spürte ich seinen Leib an dem meinen. Endlich, mein Wunsch, meine geheimsten Träume, waren erfüllt wurden.
Langsam drehte ich mich auf die andere Seite, dass ich ihm dabei die dünne Decke wegzog, störte mich nicht weiter. Ich blieb vorsichtig, da ich ihn auf keinen Fall wecken wollte. Sein Gesicht, so wunderschön, entspannt, mit einem Lächeln auf den Lippen. Tief in mir entstand der Wunsch ihn zu berühren, doch bevor meine Finger seine Haut streifen konnten, zog ich sie wieder weg. Ich sah ihn mir lieber an, ließ meinen Blick über seinen ungeschützten Körper gleiten. Jedes Stückchen Haut betrachtete ich, den gebräunte Oberkörper, die kräftigen Beine, die im Gegensatz zum Rest des Leibes, hellere Körpermitte, die mir wohlige Schauer über den Rücken jagte. Deutlich zeichneten sich die Muskelstränge unter der makellosen Haut ab, luden gerade dazu ein, die Hände darüber streichen zu lassen.
Bilder, wie aus einem Traum, tauchten vor mir auf, Bilder, vollkommen real, aber so unwirklich wirkend, Bilder von heute Nacht. Eine Nacht, die ich nie wieder vergessen würde. Ich lauschte in mich. Hatte sich etwas verändert? Hatte ich mich verändert? Ein glückliches Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Etwas hatte sich schon verändert, aber dieses anders sein, konnte ich nicht greifen. Ich fühlte mich wohl, ein wenig euphorisch und so unendlich glücklich. Am liebsten hätte ich mein Glück mit der gesamten Welt geteilt und sie an dieser unglaublichen Nacht teilhaben lassen. Diese innigen Momente aber sollten alleine Kolam und mir gehören. Niemand sollte erfahren, wie zärtlich Kolam gewesen war, dass er mich überall berührt und gestreichelt hatte, dass er mich immer und immer wieder küsste und Dinge mit mir anstellte, die ich mir nicht mal in meinen Träumen so ausgemalt hatte, schon gar nicht, das es so schön sein konnte, so phantastisch, so... Ich fand kein Wort dafür. Noch immer hatte ich das Gefühl eins mit Kolam zu sein. Ich konnte ihn noch immer in mir spüren, sein Gewicht auf meinem Körper, seine Kraft, seine Hände, die mich vollkommen vergessen berührten. Würde diese Nacht ein unsichtbares Band um uns schlingen und uns auf ewig aneinander binden?
Nur mühsam löste ich mich von meinen Grübeleien, aber es war an der Zeit, wir mussten zurück ins Dorf, ehe Kalerm einen Suchtrupp zusammenstellen konnte und sie uns hier fanden.
Vorsichtig beugte ich mich über Kolam, schaute auf seine vollen Lippen, die leicht geöffnet waren und regelrecht zu einem Kuss aufforderten. Ganz sanft legte sich mein Mund auf den seinen, in der Erinnerung daran, was er heute Nacht alles damit angestellt hatte. Plötzlich schaute er mich mit seinen nachtschwarzen Augen an. Besitzergreifend schlang er die Arme um mich, zog mich auf sich. Heiß berührten sich unsere Körper, schienen wie füreinander gemacht, als sie sich beinah perfekt aneinander schmiegten. Abwechselnd lief es mir heiß und kalt den Rücken hinab. Alles in mir kribbelte, schrie nach mehr. Von dieser Nähe würde ich niemals genug bekommen. Unruhig glitten seine Finger meinen Rücken hinab, zu meinem Po, drückten mich verlangend enger an seinen Schoß und ließen mich spüren, wie sehr er sich nach mir verzehrte. Wie sollte ich da widerstehen?
Verschwitzt und völlig außer Atem versteckte ich mich später in seiner Umarmung. Würde es ab jetzt immer so sein?
Wir schwiegen, hingen unseren Gedanken nach und gaben uns Zeit, uns ein wenig zu erholen. So schön es war, mit ihm eins zu sein, hinterher fühlte man sich unglaublich ermattet und müde.
„Was soll ich tun?“, murmelte Kolam in mein Haar, die Frage wohl eher an sich selbst gerichtet, als an mich.
Ich hob den Kopf und schaute in ein wehmütig dreinblickendes Gesicht, tief in den dunklen Augen, schien sich eine Spur Angst zu verstecken.
Degen, schoss es mir durch den Kopf. Ich schluckte. Kolams und Degens Magie hatten sich verbunden. Ihr Ich hatte sich gefunden und ich war mir ziemlich sicher, das sie nicht nur in ihrer Magie eine Einheit bildeten. Und dann, dann kam ich daher und brachte Kolams Leben gehörig durcheinander. Plötzlich befindet sich Kalerms Sohn bei mir und vergisst in dieser Zeit sogar seinen eigentlichen Partner und dieser ist allein.
Mit den Fingern fuhr ich Kolam durchs Haar, wickelte einige der schwarzblauen Haare um meinen Zeigefinger und überlegte. Vorbei war es mit der innigen Zweisamkeit. Unsichtbar schwebte der junge Jäger über unserer Köpfen.
„Du wirst es wissen, wenn du ihm gegenüberstehst.“ Es fiel mir nicht leicht, diese Worte auszusprechen. Gerade eben wünschte ich mir, dass Degen und Kolam keine Magie-Gefährten wären. Ich hatte bei der ganzen Sache kein gutes Gefühl. Das konnte nicht gut gehen, niemals, aber was sollte ich tun, konnte ich tun? Mit Degen um Kolam kämpfen? Nein, niemals. Degens Anspruch auf Kolam schien mir größer als der meine, immerhin teilten sie alles, ihr Wesen, ihr Erinnerungen, ihre Gefühle, ihre Magien und ganz sicher auch ihre Leidenschaft. Was teilte ich schon mit Kolam - Liebe und Verlangen? Dies ging nicht tiefer, eigentlich schien es eher eine oberflächliche Verbindung zu sein. Da war es mit Sicherheit das Beste, wenn ich diese Nacht ganz tief in mir verbarg, die Erinnerung schützte und Kolam Degen überließ. Für sie stand viel mehr auf dem Spiel. Ich würde nur ein gebrochenes Herz davon tragen, aber Degen würde einen Teil seines Ichs verlieren, was mir gefährlicher erschien. Ich musste mit dem Kopf entscheiden, nicht mit dem Wunsch nach seiner Nähe oder dem Herzen, und mein Kopf erklärte pragmatisch: Kolam gehört zu Degen.
Ich wand mich aus den kräftigen Armen und erhob mich. Besser ich setzte dem Ganzen jetzt ein Ende und fand mich damit ab oder aber ich beließ es, wie es ist und würde nur noch viel mehr leiden.
Kolam drehte sich auf die Seite, schob die Hände unter den Kopf und beobachtete mich schweigend, als ich die Hütte verließ.
Sofort hüllte die Wärme der Sonne mich ein, als ich ins Freie trat. Ein heißer Tag schien sich anzukündigen. Vor der Hütte angekommen ließ ich meinen Blick streifen. Ein schönes Fleckchen hatten die beiden sich zum Alleinsein rausgesucht. Vor mir schäumte der Fluss, hinter mir erstreckte sich dichter Dschungel. Erhöht lag die Hütte auf einem Felsen. Ein schmaler Pfad führte in den Wald, durch dessen Geäst es blausilbern glitzerte. Irgendwo musste es noch einmal Wasser geben. Ein Seitenarm des Flusses? Durchaus möglich. Neugierig ging ich ein paar Schritte und folgte dem Weg, der oberhalb eines Wasserfalles endete, dessen Wasser sich in einem Becken sammelte. Perfekt um zu baden.
Ich streckte mich, blinzelte in die Sonne und spürte Muskeln, von denen ich bisher nicht wusste, dass ich sie besaß. Sehnsuchtsvoll schaute ich hinab in das Wasser. Gab es einen Weg hinab in das Bassin? Jetzt eine Runde schwimmen würde mir gut tun und den getrockneten Schweiß von meinem Leib waschen. Irgendwo würde ich schon hinab kommen. Tatsächlich entdeckte ich Stufen, die an der, von der Sonne beschienen Seite, nach unten führten. Komisch, schoss es mir durch den Kopf. Der Weg wirkte, als wäre er erschaffen worden. Manchmal ließ die Natur seltsame Gebilde wachsen und entstehen. Ich dachte nicht weiter darüber nach, sondern eilte mich ins kühle Nass zu kommen.
Mein Herz stand in Flammen und es war Kolam gewesen, der dieses Feuer heute Nacht in mir entfachte. Mit einem leisen Freudenschrei stürzte ich mich in das Wasser, nachdem ich das Ende der Stufen erreichte. Kalt schlug das Wasser über mir zusammen. Für einen winzigen Moment setzte mein Herzschlag aus, alles zog sich vor Kälte zusammen. Meine Füße brannten, bis ich anfing mich zu bewegen. Langsam schwamm ich kleine Kreise, bis ich mich an die Kälte gewöhnte, erst dann legte ich mich auf den Rücken und ließ mich treiben, wobei ich die Felsen, die mich umgaben, nicht aus den Augen ließ.
Dunkel hob sich Kolams Umriss gegen die Sonne ab. Seine Haut glänzte, als sich die Strahlen darauf brachen. Er machte sich nicht erst die Mühe den Pfad hinabzusteigen. Mit gestrecktem Körper, die Hände seitlich am Kopf nach oben gestreckt, sprang er wie ein Fisch ins Wasser und glitt, ohne große Wellen zu verursachen in das Nass.
In der Mitte des natürlichen Beckens trat ich Wasser, beobachtete die Oberfläche und erschrak, als Kolam direkt neben mir auftauchte. Sofort zog er mich in seine Arme und barg den Kopf an meiner Schulter.
Sein Körper, noch warm, schmiegte sich an meinen. Fest klammerte ich mich an ihn, um von seiner Wärme zu zehren. Verlangend glitten meine Finger über seine Haut, hinab zu seiner Taille, um die ich meine Beine geschlungen hatte. Ich fühlte seine Lust, die meiner in nichts nachzustehen schien und so wanderten meine Hände tiefer, glitten nach vorn. Ich wollte ihn reizen, ihm zeigen, wie sehr mein Körper schon wieder nach ihm verlangte. Aber Kolam ließ dies nicht zu. Er schob mich von sich, schüttelte nur still den Kopf und kraulte zu den Stufen.
Verwirrt schaute ich ihm nach. Eben noch hatte ich seine Lust ganz deutlich gespürt und nun? Was war geschehen?
„Kolam!“, rief ich, als er die Stufen nach oben stieg. Oben angekommen, drehte er sich um, sah zu mir und schüttelte ein weiteres mal den Kopf, bevor er Richtung Hütte verschwand.
„Kolam?“ Ich bekam keine Antwort. Gerade eben nahm er mich in noch in den Arm und ließ mich spüren, wie sehr er mich begehrte, nur um mich kurz darauf mit meinem Verlangen alleine zurückzulassen.
Nachdenklich schwamm ich noch eine Weile auf der Stelle, ehe ich zu der Felstreppe kraulte. Ich musste erfahren, was ihm durch den Kopf ging. Hatte ich vielleicht etwas falsch gemacht? Aufgeregt schlug mein Herz, als ich die Stiege hinaufkletterte. Was, wenn es das schon gewesen war? Eine Nacht und mehr nicht. Daran wollte ich nicht denken, auch wenn mein Kopf mir sagte, dass es eigentlich das richtige war.
Mit angezogenen Beinen hockte Kolam vor dem kleinen Pfahlhaus. Die Arme um die Knie geschlungen, schaute er nicht auf, obwohl er mich mit Sicherheit bemerkte. Hell hüllten die Strahlen der Sonne ihn ein, trockneten die Wassertropfen auf seiner Haut und wärmten ihn.
Auf nackten, leisen Sohlen trat ich zu ihm, bis mein Schatten direkt auf ihn fiel. Nicht die kleinste Reaktion von ihm. Starr und stumm blickte er weiterhin vor sich auf den steinigen Boden.
„Kolam!“ Hinter ihm ging ich in die Knie, schlang die Arme um seine Taille, legte die Hände auf seinen Bauch und schmiegte mich an ihn. Am gesamten Leib zitterte er. Sacht ließ ich die Finger über die noch feuchte Haut gleiten, versuchte so, ihn ein wenig zu beruhigen, aber das Beben ließ nicht nach. Kolam verspannte sich eher.
„Ich kann nicht...“, wisperte er, nach einer gefühlt nicht enden wollenden Weile. „Nicht hier..., nicht im Wasser...“
Sacht streichelte ich ihn weiter, als Zeichen, das ich für ihn da war, ihm zuhören würde,
„Als Degens und meine Magie sich verbanden, als unsere Magie sich fand, kämpfte ich mit aller Macht dagegen an.“ Hart schluckte er, so stark, das ich das dabei entstehende Geräusch vernahm. „Degen ist mein Freund. So lange ich mich erinnern kann, sind wir Freunde, beste Freunde..., aber... Ich liebe ihn nicht. Ich...“ Immer wieder hielt er inne, als würden die gesprochenen Worte ihm Schmerzen bereiten. „Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich konnte niemanden um Rat bitten. Es tat so weh, alles in mir schmerzte. Mein Körper schien in Flammen zu stehen. Alles in mir schrie nach ihm, jede Faser meines Leibes wollte ihm nah sein. Meine Magie wollte die seine berühren, sie vereinen, uns vereinen, aber mein Kopf schrie wie noch nie zuvor lauthals: Nein. Ich wollte das nicht. Degen kämpfte. Immer und immer wieder drang er in mich vor, suchte nach mir und ließ mich spüren, nach was ihm verlangte. Egal, wie sehr ich mich vor ihm verschloss, er schaffte es immer wieder einen Weg in mich zu finden. Gegen ihn kam ich nicht an. Irgendwann gelang es mir nicht mehr, mich ihm zu verwehren und gab seinem verzweifelten Schreien nach...“
Eine Gänsehaut überzog seinen Körper. Die winzigen, weichen Härchen auf seinen Armen stellten sich auf.
„Ich ließ ihn, hielt ihn nicht mehr auf Abstand. Aus seiner und meiner Magie wurde eine. Ich gab mich ihm völlig hin, zu schwach mich noch dagegen zu wehren. Ich ließ ihn einfach tun und...“ Tief atmete Kolam ein, ehe er mit zitternder Stimme vollendete: „Am Wasserfall wurden unsere Körper eins...“ Heftig erbebte er, gefangen von den Erinnerungen.
Es dauerte einen Moment, ehe ich seine Worte sortiert hatte und deren Tragweite verstand. Nicht nur eins in der Magie, erinnerte ich mich an Ounis Worte.
„Was soll ich tun? Degen ist mein Magiegefährte. Er ist mir wichtig, aber ich liebe ihn nicht“, stellte er verzweifelt fest.
Gerade eben schaffte ich es nicht, darüber nachzudenken. Mich beschäftigten ganz andere Dinge. Bisher war ich davon ausgegangen, dass die beiden zwar in ihrer Magie eins waren, aber eben nicht mehr. Bilder zogen an meinen Augen vorbei. Ich sah Kolam und Degen, eng umschlungen, nackt, hinter mir in dieser Hütte, auf dem selben Schlaflager, auf dem ich mich heute Nacht Kolam hingeben hatte und sie... Nein. Energisch schüttelte ich den Kopf, versuchte die Bilder zu verscheuchen und nicht daran zu denken.
Fest hielt ich Kolam weiterhin in den Armen, spürte und hörte das rasche Schlagen seines Herzens.
„Ich verstehe es nicht... Ich hab mir immer vorgestellt, wie es mit dir sein würde, aber nicht mit ihm. Ich will das eigentlich gar nicht. Mir ist nicht danach ihm so nah zu sein. Auch jetzt nicht. Aber wenn Degen in meiner Nähe ist, wenn er mich berührt, unsere Magie eins wird, dann nimmt der Drang zu. Er wird so stark, das ich gar nicht anders kann. Ich fühle sein Verlangen, das sich anscheinend auf mich überträgt.“ Kolam hielt die Augen geschlossen, während er leise weitersprach. „Es ist, als würde Degen mich dazu ...“
„Wie fühlt es sich für dich an?“, erkundigte ich mich. Ich fühlte mich dabei unwohl, denn eigentlich war dies eine Sache zwischen Degen und Kolam, aber wenn einer sich dabei unwohl fühlte, fand ich musste darüber gesprochen werden.
„Es ist nicht schrecklich, nein... Es fühlt sich auf seine Weise gut an. Natürlich ist es schön, wenn man verwöhnt wird, festgehalten, berührt... Mit dir ist es anders, aufregender, weil ich es möchte, weil ich dich...“ Er verstummte, löste meine Hände von seinem Bauch, drehte sich in meine Richtung und kniete sich vor mich. Mit den Fingern fuhr er in mein noch feuchtes Haar, legte die Hände an meinen Hals und küsste mich verlangend. „Ich möchte dich küssen, nicht Degen...“
Diese Ehrlichkeit musste ich erst einmal verdauen. Dafür, das ich Kolam immer aus dem Weg gegangen war und mit ihm nie über private Angelegenheiten gesprochen hatte, war er mir gegenüber ungewohnt offen. Was aber auch davon zeugte, wie sehr er mir vertraute.
„Ich weiß nicht, wie es ist mit jemandem Eins zu sein, in der Magie auf ewig verbunden“, erklärte ich in dem nicht enden wollenden Kuss, den ich nach Luft ringend löste. „Ich kann mir nicht vorstellen, welche Gefühle in dir toben.“ Wie von selbst glitten meine Finger in das nachtschwarze Haar. „Ich kann nur für dich da sein, dir zuhören und vielleicht auf die eine oder andere Art helfen. Du kannst deine Magie nicht abstellen und du kannst Degen nicht aus dir verbannen. Ihr werdet Zeit zusammen verbringen, weil ihr gar nicht anders könnt.“ Gepeinigt von der Vorstellung daran, das Kolam in Degens Armen lag und Kolam das selbe mit Degen tat, wie mit mir, schloss ich für einen Moment die Augen. „Ich bin für dich da, wann immer du mich brauchst.“
Mit einem Ruck zog mich Kolam energisch an sich. „Ich danke dir.“

***

Unruhig lief Kalerm in seiner Hütte auf und ab. Er zählte nicht mit, wie oft er den Tisch schon umrundet hatte, an dem Taira saß und wissend vor sich hinlächelte. Immer wieder fuhr sich der große, kräftige Elf mit den dunklen Augen, durch das dichte blauschwarze Haar. Die Ähnlichkeit zu seinem Sohn konnte er nicht leugnen. Sie glichen sich in ihrer ganzen Art, wie sie sprachen, wie sie sich bewegten, die kleinen unbewussten Gesten, dies alles hatte Kalerm seinem Sohn mit auf den Weg gegeben.
„Wo sind sie?“, fragte er zum wiederholten Male. „Sind sie Eins?“
Unbeirrt von der Unruhe ihres Gefährten, schnitt Taira schmunzelnd das vor ihr liegendes Obst für einen Salat in kleine Stücke.
„Hat Kolams Magie, Kalias gefunden? Sag es mir Taira, du weißt es doch!“, drängte der Anführer der Schattenwaldelfen.
„Nein, ihre Magie gehört noch immer ihnen selbst, aber ich bin mir sicher, das sie sich lieben.“ Die schlanken, feingliedrigen Finger legten das Messer zur Seite. Die groß gewachsene Elfe erhob sich. Das rot leuchtende, weit fallende Kleid, umspielte ihre zierliche Figur und raschelte bei jeder Bewegung leise. Sie trat zu einer Schüssel mit Wasser, wusch sich den klebrigen Saft von den Händen und trocknete diese ab, ehe sie auf Kalerm zutrat und ihm beruhigend eine Hand auf den Unterarm legte. Lächelnd fügte sie hinzu: „Ich kann dir nicht sagen, wo sie sich befinden, aber es geht ihnen gut, das fühle ich.“
Sanft zog Kalerm seine Gefährtin in die Arme, hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und raunte: „Ich bin glücklich, dich an meiner Seite zu haben. Hoffentlich wird unserem Sohn auch so viel Glück zuteil und er findet sein passendes Gegenstück.“
Taira lachte auf. „Erinnerst du dich, wir waren ungefähr in ihrem Alter, als wir das erste Mal die Nacht außerhalb des Dorfes verbrachten. Denk daran, wie dein Vater, deine Mutter und meine Eltern reagierten, als wir am nächsten Morgen zurück kamen.“
„Ja“, grinste Kalerm. „Das erste was unsere Mütter wissen wollten, war, ob aus Ich Wir geworden ist und ob sie sich bald um Nachwuchs kümmern dürfen.“
Nickend bestätigte Taira Kalerms Worte. „Was sie erst viele Jahre später tun durften, als schon keiner mehr damit rechnete. Ich am allerwenigsten.“
„Kopen allerdings zeigte deutlich, das er nicht nur mein Vater war, sondern auch mein Anführer, denn er brummte mir für die nächsten Tage Unmengen Strafaufgaben auf, weil ich seine Regeln gebrochen hatte und als sein Sohn mit gutem Vorbild für alle anderen vorangehen sollte.“
„Und trotzdem fandest du die Zeit, dich Nachts davon zu schleichen, nur um bis zum ersten Sonnenstrahl bei mir sein zu können.“
Unendliche Regenzeiten schien es Taira her zu sein, als ihre Liebe erblühte und später ihre Magie sich fand. „Tu mir einen Gefallen, Kalerm! Wenn Kalia und Kolam nachher kommen, überfall sie nicht sofort. Wenn sie sich uns mitteilen möchten, dann werden sie dies schon tun.“ Sie wartete keine Antwort ab, sondern dirigierte Kalerm Richtung Schlaflager, um ihm die Wartezeit, bis zur Rückkehr seines Sohnes, zu verkürzen.

4. Eifersucht

Schweigend lief ich neben Kolam, unsere Finger fest miteinander verflochten. Wir hingen unseren Gedanken nach. Was würde im Dorf auf uns warten? Hatte Ouni uns entschuldigt, oder liefen alle vor Sorge um uns, wie aufgescheuchte Gackerbeine durcheinander? Hatte Kalerm schon einen Suchtrupp zusammengestellt und durchkämmte an dessen Spitze den Nachtschattenwald?
So viel war in den letztem Stunden auf mich eingestürmt. Es fiel mir schwer Ordnung in das Chaos zu bringen. Hinter meiner Stirn jagten sich die Gedanken. Den größten Zweifel bescherte mir die Situation zwischen Degen und Kolam und die Gefühlsunordnung, die auch mich betraf. Nur die Zeit würde zeigen, was aus uns wurde. Vielleicht traf auch Kolam irgendwann eine Entscheidung, für oder gegen mich. Wenn ich mir gegenüber ehrlich war, dann fühlte ich mich in meiner Haut nicht gerade wohl.
Nur noch ein paar Schritte, dann würde der Weg eine Kurve beschreiben und das Dorf sich aus dem Nachtschattenwald schälen. Das uns noch niemand entgegengekommen war, deutete ich als positives Zeichen. Es schien auch niemand mit Kolam in gedanklichen Kontakt zu treten. Er hätte es mir bestimmt mitgeteilt. Nervös blickte ich zu ihm auf und erkannte wie er nervös, an der empfindlichen Haut seiner Unterlippe nagte.
Die Sonne erreichte gerade ihren höchsten Punkt, als wir die ersten Pfahlhütten erkannten. Ruhig lag das Dorf vor uns, eingebettet in der flirrenden Hitze. Niemand befand sich auf dem Festplatz, der sich ordentlich und sauber präsentierte. Nichts deutete mehr daraufhin, dass am Abend ein Festessen stattfand.
„Sehen wir uns nachher?“, leise, da ich niemanden auf uns aufmerksam machen wollte, stellte ich meine Frage.
„Ganz bestimmt.“ An der Hand hielt Kolam mich zurück. „Vorher muss ich mit Degen sprechen.“
Wie unwohl musste er sich fühlen. Es lag an ihm, seinem besten Freund und Magiegefährten zu erklären, dass er zwar für ihn da sein würde, immer und überall, aber das er mich liebte. Nur zu gern hätte ich ihm diese Last von den Schultern genommen, aber es war nicht meine Aufgabe Degen die Wahrheit zu vermitteln. Mir blieb nur Kolam eine Stütze zu sein. Im Moment würde ich nicht in Kolams Haut stecken wollen. Er würde Degen verletzen müssen, ob er dies wollte oder nicht, und, wer den jungen Jäger kannte, der wusste, dass dieser eine jähzornige Seite zeigen konnte.
„Viel Glück!“, wünschte ich dem Elf, der mein Herz schon vor einiger Zeit eroberte.
Unsere Hände lösten sich, dann stürmte ich los, ohne mich noch einmal umzusehen, die Stufen zur Hütte meiner Eltern hinauf und schob mit zitternden Fingern den orangefarbenen Vorhang zur Seite. Friedlich speisend saß meine Familie am Tisch. Da mein Vater mit dem Rücken zu mir saß, war es mir nicht möglich seinen Gesichtsausdruck zu deuten, ganz im Gegensatz zu meiner Mutter, die mich lächelnd betrachtete, irgendwie wissend, aber auch neugierig fragend. Mein Platz am Tisch war mit eingedeckt worden, ein Brettchen lag da, ein Messer und auch einer der wunderschön geschnitzten Holzlöffel. Ich musste nicht hungern.
Ungestört aß Elmor weiter, als ich Platz nahm, legte mir jedoch zwinkernd einige der frisch gegrillten hauchdünnen Fleischstreifen auf das Brettchen und nickte mir als morgendliche Begrüßung zu. Nur Ouni reagierte nicht. Sie schob sich ein Stück Fleisch zwischen die weißen Zähne und begann demonstrativ zu kauen. Ich kannte meine Schwester gut genug, um zu wissen, dass sie im Augenblick nicht mit mir sprechen wollte. Ich wusste aber auch, das sie diesen Vorsatz nie lange durchhielt, früher oder später, würde sie wieder auf mich zu kommen und alles so sein, wie es immer war, als wäre nie etwas vorgefallen.
„Mutter, Vater, Ouni, es tut mir leid“, entschuldigte ich mich bei meiner Familie. „Seid mir bitte nicht böse!“ Flüsternd, da ich es nicht für ich behalten konnte, hing ich an: „Es war eine schöne Nacht.“ Ich musste den Gefühlsstau in mir mit jemanden teilen, da ich den Eindruck hatte, jeden Moment durch meine Emotionen zu platzen.
Das Lächeln auf dem Gesicht meiner Mutter wurde breiter. „Liebst du ihn?“
„Ja, ich glaube schon.“ Nun war es heraus. Ich konnte meine Gefühle nicht mehr leugnen und würde es auch in Zukunft nicht tun müssen. Sollten ruhig alle erfahren, dass mein Herz vor Freude, Glück und Liebe überschäumte.
Zufrieden nickte mein Vater. „Darauf müssen wir was trinken.“ Eilig füllte er vier Tonbecher mit frischem Kokosnusssaft und verteilte sie.
„Auf meine Tochter und Kolam!“, lachte er und brach somit die dennoch angespannt wirkende Stimmung.
Wir prosteten uns zu. Alles schien gut zu sein, zum Glück, nur Ouni wirkte verstimmt. Mir war ihr nachdenklich, erbost wirkende Blick nicht entgangen, als ich meine Liebe zu Kolam gestand. Geflissentlich ignorierte ich sie, da ich mir meine gute Laune durch sie nicht zerstören lassen wollte und machte mich hungrig über das Frühstück her.

***

Aufgeregt, da er das Gespräch mit Degen führen musste, war Kolam nach Hause geeilt, hatte sich bei seinen Eltern zurückgemeldet und wollte sich nun umziehen.
„Also du und Kalia“, stellte Kalerm fest, der in der Öffnung zu Kolams Schlafreich stand und seinen Sohn beobachtet.
„Ja“, antwortete der junge Elf, während er sich ein frisches Hemd überstreifte.
Kalerm nickte und zog für einen Moment die Stirn kraus. „Hinter Otars Hütte gäbe es ein schönes Plätzchen für euch. Wenn alle mit anfassen, könntet ihr in ein paar Tagen in eure Hütte...“
„Halt!“, unterbrach Kolam seinen Vater. „Kalia und ich...“ Wie sollte er seinem Vater erklären, wieso er sein Leben noch nicht mit der Elfe verbringen konnte, die er liebte und der sein Herz gehörte. Und wie sollte er ihm von Degen erzählen? Er musste doch selbst erst mal herausfinden, was genau er sich wünschte und Ordnung in die Unordnung seiner Empfindungen bringen. „Nicht so schnell, Vater. Kalia und ich haben gerade mal eine Nacht zusammen verbracht und unsere Magie ist nicht, wie die eure, auf ewig verbunden.“
„Ist die magische Vereinigung etwa Voraussetzung für Liebe?“ Noch immer zierten nachdenkliche Falten Kalerms Stirn.
„Nein, natürlich nicht.“ Betreten schaute der jüngere Elf zu Boden. „Es ist alles noch so neu. Wer weiß denn, ob wir nicht in ein paar Tagen bemerken, dass das zwischen uns nicht funktioniert?“
Ein schelmisches Lächeln erhellte, nach Kolams Worten, Kalerms Gesicht. Es ließ den Anführer der Schattenwaldelfen um Regenzeiten jünger aussehen. Mit väterlichem Stolz legte er seinem Sohn die Hände auf die Schultern. „Niemand weiß so etwas. Als ich mich vor gefühlt unendlich vielen Regenzeiten in deine Mutter verliebte, plagten mich ähnliche Zweifel, aber ich dachte mir, das ich es wagen möchte, denn Tairas Liebe war mir dies wert. Bis heute habe ich es nicht bereut, deiner Mutter dieses Heim, unser Heim gebaut zu haben.“
„Mutter und du teilt eure Magie“, erinnerte Kolam.
„Ja, aber nicht zu Anfang. Es dauerte noch sehr viele Regenzeiten, bis unsere Magie sich vereinte. Davor war es tiefe Liebe die uns verband.“ Mit den Finger der rechten Hand, zwang Kalerm seinen Sohn zu ihm aufzusehen, indem er dessen Kinn ein Stück anhob. „Genies die Zeit, die du mit ihr hast, in vollen Zügen.“
„Wenn Kalia und ich, wenn die kommende Regenzeit vergangen ist, immer noch nicht genug voneinander bekommen können, dann werde ich für uns eine Hütte bauen.“ Mit einem schlechten Gewissen, biss Kolam sich auf die Unterlippe. Wenn sein Vater auch nur ahnte, dass er schon für sich und Degen ein Pfahlhaus errichtet hatte und das er mit Degen seine Magie teilte, wie würde er dann reagieren? Kolam sollte sich zu diesem Zeitpunkt keine Gedanken darüber machen. Wichtig war nur mit Degen zu sprechen.
„Ich werde dich an deine Worte erinnern“, lachte Kalerm und ließ einen nachdenklichen Elf zurück, der im Kopf schon die Sätze sortierte, die er Degen mitteilten würde. Er war ihm eine Erklärung schuldig und auch ein Gespräch darüber, wie sie sich ihre Zukunft vorstellten. Am liebsten hätte er etwas von Elmors Gebräu getrunken, da dieses in kleinen Mengen eine entspannende und beruhigende Wirkung auf ihn ausübte. Je länger er wartete, um so mehr würde er Degen und sich selbst quälen, außerdem würde es ihm immer schwerer fallen, ein klärendes Gespräch zu führen. Fest entschlossen strich er den Stoff seines Hemdes glatt. Er straffte sich, indem er die Schultern einmal fest nach hinten zog und sich vollständig aufrichtete, dann erst verließ er das elterliche Pfahlhaus.
Kaum das der Vorhang hinter ihm zugefallen war und die Wärme der Sonne ihn einhüllte, entdeckte er den kleinen Trupp von Jägern. Sie saßen an einem der Tische, ihre Jagdutensilien vor sich ausgebreitet. Der Führer der kleinen Gruppe, Otar, prüfte mit wissendem Blick und Fingerfertigkeit seinen Bogen, indem er die Sehne immer wieder probehalber zurückzog und gehen ließ, dabei unterhielt er sich mit seinem Sohn Sojor, der gewissenhaft die Befiederung zurecht zupfte.
Ein wenig Abseits der Gruppe befand sich Degen, die Hände fest um einen Speerschaft gelegt, dessen Spitze in die Luft deutete und deren anderes Ende sich leicht in den Boden gebohrt hatte. Die Fäuste hielt er dabei so fest geschlossen, das die Fingerknöchel kantig und weiß hervortraten. Degens Gesichtszüge wirkten verbittert und verbissen. Wer auch immer den jungen Elf anschauen sollte, würde freiwillig einen großen Bogen schlagen, nur um ihm nicht über den Weg zu laufen. Normalerweise würde auch Kolam bei diesen Anzeichen seinem besten Freund ausweichen, aber nicht so heute. Heute musste er sich dem Zorn stellen, was blieb ihm anderes übrig?
Trotzdem wirkten seine Schritte nicht gerade beschwingt, als er sich ihm zögernd mit kleinen Schritten näherte. Unweit der Jäger hielt Kolam jedoch wieder inne. Sehnsüchtig beobachtete er den Elf. Innerlich gab sich Kolam noch mal einen Ruck und ignorierte dabei das unangenehme Ziehen in seiner Magengegend.
Wie würde sein Gefährte auf ihn reagieren? Ihn ignorieren? Ihn anschreien? Ihn vielleicht sogar in einen Kampf verwickeln? Ihm unzählige Vorwürfe an den Kopf werfen? Nur eine Konfrontation würde ihm diese Fragen beantworten. Noch einmal atmete der Schwarzhaarige durch ehe er nur zwei Schritt entfernt vor Degen stehen blieb und ihn ansah. Durch nichts gab Degen zu erkennen, was er fühlte oder dachte. Der Lockenkopf starrte weiter vor sich hin, schien regelrecht durch Kolam hindurchzusehen.
„Ich muss mit dir reden!“, versuchte Kolam Degens Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen, aber anstatt einem bestätigenden Nicken, sprühte ihm pure Wut und Hass aus den hellbraunen Augen entgegen. Nichts konnte er fühlen, rein gar nichts. Degen zog es vor, sich vollkommen vor ihm abzuschotten.
„Lass mich einfach in Ruhe und hau ab!“, knurrte Naris Sohn gefährlich, wobei er jedes Wort scharf zwischen den Zähnen hervor presste und die Finger noch fester um den Speerschaft schlang.
„Degen... ich...“ Mit all seiner mentalen Kraft, zu der Kolam gerade im Stande war, versuchte er eine Verbindung zwischen ihnen zu etablieren, versagte dabei jedoch kläglich. Degen wollte Kolams Gefühle und Gedanken einfach nicht empfangen.
„Nein, ich will es nicht hören, nicht wissen und nicht fühlen!“ Mit einem Ruck zog Degen das Speerende aus dem Boden und rammte mit aller Wucht die Spitze in das Holz der Bank neben sich, ehe er auf Kolam zustapfte, ihm die Hände fest vor die Brust stieß und ihm ein kurzes wütendes Senden zuteil werden ließ. All seine Enttäuschung, die Wut und die Zweifel fanden ihren Weg in Kolam, der ins Straucheln geriet und einige Schritte zurückweichen musste, um nicht zu stürzen. War Degen ihm gegenüber tatsächlich gerade handgreiflich geworden? Hatte er ihm tatsächlich fühlen lassen, das es besser wäre, wenn es ihn nicht gäbe? Nein, das konnte er nicht glauben, wollte es nicht glauben.
„Reicht das?“, knurrte Degen ihn an, dabei bohrte sich sein stechender Blick in Kolams, der unter der Wucht des Hasses erschauderte. In den wunderschönen hellbraunen Augen erkannte er keinerlei Zuneigung mehr, keine Wärme. Sie strahlten kühl, gepaart mit Wut und irgendwie tödlich. Zum ersten mal in all den Regenzeiten ihrer Freundschaft schaffte Kolam es nicht, diesem eisigen Blick stand zu halten. Getroffen schaute er zu Boden.
**Wag es ja nicht jemals wieder in meine Nähe zu kommen!**
Mit diesen gesendeten Worten und der unterschwelligen Drohung, die nur Kolam in sich fühlen konnte, hatte der junge Jäger einen Keil zwischen sie getrieben und Kolams Gefühle gespalten. Innerlich zerrissen, weil er einfach nicht glauben wollte, was eben vorgefallen war, nickte Kolam nur, unfähig auf diesen Hass etwas zu erwidern. Auf der Stelle drehte er sich um, wich den fragenden Blicken der anderen Jäger aus und eilte nach Hause. Niemand sollte merken, wie sehr ihn Degen eben verletzt hatte.

***

Alleine saß ich mit Ouni, die mich die ganze Zeit über mit ihrem Blick fixierte, am elterlichen Tisch und verspeiste die Reste vom gestrigen Abend.
"War es schön heute Nacht?", vernahm ich plötzlich ihre Stimme und wendete den Kopf. Ihr Blick schien sich in den meinen zu brennen.
"Phantastisch", murmelte ich kauend, bemüht ihr dabei weiterhin in die Augen zu schauen. Ich fühlte, dass etwas in ihr brodelte, wie Wasser in einer tönernen Schale, die über dem offenen Feuer hing, aber den Grund erahnte ich nicht.
Noch immer dachte ich über Kolam und Degen nach, über ihre magische Verbindung oder wie immer man dies auch nannte, wenn sich der eine für den anderen vollständig öffnete. Magische Verbindungen gab es bei den Schattenwaldelfen äußerst selten, praktisch gar nicht mehr. Jeder Elf, der diese Erfahrung in seinem Leben machen durfte, benannte es nach seinem Wunsch: Magiegefährten oder Gefährten im Ich. Mir erschloss sich jedoch nicht so richtig, was es genau damit auf sich hatte. Unsere Eltern jedenfalls durften nie ihr Ich teilen. Wieso besaßen die einen magische Fähigkeiten und trafen ihr magisches Gegenstück und andere nicht? Ich wusste, Magie findet Magie, um noch stärkere Kräfte hervorzubringen. Da weder Elmor, noch Kemi magische Kräfte besaßen, waren sie auch nicht in der Lage ihrer Tochter Ouni eine Fähigkeit mit auf den Weg zu geben. Wenn ich meine Gedanken weitersponn, dann mussten Kolam und Degen über Kräfte verfügen. Bei Degen wusste ich es. Er war nicht umsonst, neben Otar, einer unserer besten Jäger. Degen konnte durch die Augen der Tiere schauen, sah somit, was diese beobachteten und somit erfolgreich die Beute aufspüren. Sicher war seine Gabe ein Geschenk seines Vaters, der in Nari sein Gegenstück fand. Aber Kolam. Weder Kalerm noch Taira besaßen magische Kräfte. Zumindest war mir in diese Richtung nichts bekannt und aufgefallen war mir auch nie etwas. Welches Geheimnis hütete die Familie des Anführers? Ach, verdammt, ich kam nicht dahinter.
Und was hatte es mit der Gedankenübertragung auf sich? Die Schattenwaldelfen konnten alle still miteinander kommunizieren. War dies nicht auch eine Art von Magie oder war ich einfach nur eine Blinde unter lauter Sehenden, ohne diesen Sinn geboren? Verdammt, wieso war ich nur so anders? Ich musste mit jemanden darüber sprechen.
"Schwesterchen", sprach ich Ouni an, worauf sie nickend bestätigte das sie mir zuhörte. Sie griff nach einem der geschnitzten Löffel auf dem Tisch und drehte ihn in ihren Fingern spielerisch hin und her.
"Ich muss dich etwas fragen", brachte ich meinen Satz zu Ende.
Ouni kniff die dunklen Augen zusammen und betrachtete mich, als wäre sie in der Lage meine Gedanken zu lesen. Sicher konnten Degen und Kolam dies. Sie wissen, was den anderen beschäftigt, schoss es mir durch den Kopf.
"Weißt du, was genau passiert, wenn sich Magie verbindet?"
Die eben noch ganz schmalen Augen weiteten sich. Der Löffel glitt meiner Schwester aus der Hand und landete mit einem dumpfen Geräusch auf den dicken Bodenbohlen. Sie ließ den Löffel liegen wo er war. Sie bückte sich nicht danach, auch nicht, als sie den mit Leder bespannten Hocker nach hinten schob und zum Fenster trat. "Wieso willst du das gerade jetzt wissen?", erkundigte sie sich, den Blick nach draußen gerichtet.
Gerade, als ich es ihr erklären wollte, wirbelte sie aufgeregt herum und verhaspelte sich bei den wenigen Worten mehrmals: "Kolam und du... habt ihr... seid ihr... hast du... hat er..."
"Nein", murmelte ich niedergeschlagen, denn genau das war es ja, was ich mir wünschte. Ich wollte mehr über Tairas und Kalerms Sohn erfahren, viel mehr. Ich wünschte mir alles über ihn zu wissen, so viel, wie es Degen vergönnt schien.
"Aber du hättest es gern", stellte Ouni daraufhin fest. Plötzlich schien sich auch in ihren Blick Sehnsucht zu schleichen. "Ich weiß nichts darüber." Sie schluckte, wischte sich nervös die Hände an ihrem Rock ab und setzte sich wieder zu mir. "Ich kenne auch nur die Geschichten, die darüber kursieren. Es hat irgendetwas mit unserem Überleben zu tun, aber es ist wohl so selten geworden, dass keiner mehr so genau weiß, was der eigentliche Hintergrund ist. Kalerm und Taira könnten es wissen, sie teilen ihre Magie, genauso wie Kalerms verstorbene Eltern Kopen und Rajan. Somit wird wohl auch Kolam irgendwann seine passende Gegenmagie finden." Entschuldigend zuckte Ouni mit den Schultern.
Oder er hat sie schon gefunden, vollendete ich enttäuscht in Gedanken.
"Es gibt alte Legenden die erzählen, dass die Magie der Hauptbestandteil einer Vereinigung ist. Magie findet die passende Magie. Bei uns gibt es kaum noch magische Fähigkeiten, darum können sich die Kräfte nicht mehr vereinen. Niemand weiß, wieso die Magie uns verließ. Vor vielen, vielen, unzähligen Regenzeiten, soll angeblich jeder Schattenwaldelf magische Fähigkeiten besessen haben. Aber heute?"
Gespannt hatte ich meiner Schwester gelauscht. Was sie eben erzählte, wusste ich schon. Es war nichts Neues dabei. Musste ich wirklich mit Kolam darüber reden? Bei diesem Gedanken bemerkte ich, dass mir der kalt und hart gewordene Reiskuchen nicht schmeckte und die Mango für meinen Geschmack noch zu sauer war. Nachdenklich schob ich das Brettchen von mir. "Und was ist mit dir?"
Ounis Blick wirkte so traurig und wehmütig, dass ich sie am liebsten in die Arme geschlossen hätte. Sie war in Degen verliebt und wünschte sich mit Sicherheit das Gleiche mit ihm, wie ich mit Kolam. Ganz tief in mir sagte eine leise Stimme, dass ich Ouni die Wahrheit erzählen musste. Sie würde Degens Magie genauso wenig finden, wie ich Kolams. Aber ich hatte Kolam versprochen, niemandem von seiner magischen Verbindung zu Degen zu erzählen. Ich sah Ouni an, welche Gefühle in ihr kämpften. Sicher gingen ihr ähnliche Überlegungen durch den Kopf, wie mir. Ich war überzeugt davon, dass ich niemals das Ich von einem anderen finden würde. Wie auch? Ich befand mich ja nicht mal in der Lage dazu mit anderen in Gedanken zu reden.
"Nichts." Ouni senkte den Kopf und starrte auf die Tischplatte.
"Ich sehe doch, dass dich etwas quält", ließ ich nicht locker und griff nach dem Becher vor mir, um etwas zu trinken.
"Degen, er liebt dich", flüsterte sie kaum vernehmbar.
"Wie bitte?" Hustend spuckte ich etwas Wasser aus, an dem ich mich eben, überrascht durch ihre Worte, verschluckte.
"So, wie er sich gestern verhielt, muss er dich lieben."
Ich konnte nur erahnen, wie sehr sie sich zusammenriss, damit sie mich nicht anschrie.
"Ouni, er liebt nicht mich, dass musst du mir glauben. Ich kann dir nicht erklären, woher ich das weiß. Ich darf es dir nicht sagen. Ich musste es Kolam versprechen." Mit Nachdruck in der Stimme sagte ich noch einmal: "Degen ist nicht in mich verliebt."
"Wieso bist du dir so sicher? Du hast ihn heute Nacht nicht erlebt", antwortete sie barsch.
"Ich weiß es einfach", murmelte ich und schaute meine Schwester an. In ihrem knappen blauen Top und dem roten Rock wirkte ihr zierliche Figur zerbrechlich.
Ich bereute meine Nacht mit Kolam auf keinen Fall, dafür war sie zu schön gewesen, aber ich bereute, dass ich von Kolams und Degens magischer Vereinigung wusste und schweigen musste. Nur zu gern würde ich Ouni einweihen. Ich war mir sicher, sie würde es verstehen und der Schmerz dadurch nicht mehr so sehr an ihr nagen. Mein Blick hielt sie fest, während sie wieder zu dem Fenster trat.
"Kolam geht zu Degen", erklärte sie, ohne sich umzudrehen.
Vergessen war mein Frühstück. Ich schob den Hocker zurück und gesellte mich zu Ouni. Es war so weit, Kolam würde mit Degen reden. Wie würde der junge Jäger reagieren? Ich konnte Kolam seine Unsicherheit ansehen, als er vor seinem Gefährten im Ich stehen blieb und mit ihm sprach. Ich hätte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass Degen die Hände vor Kolams Brust stieß und so laut knurrte: "Reicht das?", dass selbst wir es verstehen konnten.
Neben mir riss Ouni stumm den Mund auf, dabei warf sie mir vorwurfsvolle Blicke zu, als wollte sie damit andeuten, dass sie sich im Recht befand.
"Ich muss zu ihm." Mir war egal, was Ouni dachte und vielleicht erwidern wollte. Ich rannte einfach los. Beinah wäre ich die Stufen hinabgestürzt. Ich konnte mich gerade noch rechtzeitig abfangen und suchte Halt am Geländer. Als ich an Degen vorbeilief, bemerkte ich den bitterbösen Blick, den er mir zuwarf, ignorierte ihn aber und hastete weiter, zu Kalerms und Tairas Hütte.
Vor Kolams privaten Bereich angekommen, blieb ich stehen. Neugierig atmete ich tief durch, ehe ich, durch den dünnen Stoffvorhang, fragte: "Darf ich reinkommen?"
"Natürlich."
Mit zitternden Fingern schob ich den Stoff zur Seite und schaute auf den, auf der Kante seines Schlaflagers, sitzenden Elf, der das Gesicht in seinen Händen barg. Dunkler als sonst glänzten die schmalen Augen, als er aufsah und mit leiser, aber gefasster Stimme erklärte: "Ich weiß nicht, warum er das getan hat."
"Das weiß nur Degen selbst", erwiderte ich genauso leise und setzte mich zu ihm. Sacht zog ich Kolam mit mir, als ich mich lang ausstreckte. Beruhigend strich ich ihm durch das dicke Haar, streichelte seine Schulter, seine Brust und war einfach nur für ihn da. Er sollte spüren, dass er sich nicht alleine in dieser Situation befand und ganz sicher nicht daran schuld.
Ich ließ ihn in Ruhe seinen Gedanken nachhängen und zwang ihm kein Gespräch auf. Er würde reden, wenn ihm danach war. Irgendwann regte er sich neben mir. Fordernd zog er mich an sich, auf sich und ich ließ es geschehen. Wenn ihm gerade jetzt nach Nähe war, dann wollte ich sie ihm nicht verweigern, obwohl ich mir nicht sicher war, ob dies der richtige Weg ist, um mit Problemen umzugehen. Mit zitternden Fingern zog er mich aus und drängte sich verlangend an meine Haut. Trotz der verwirrenden Situation erwachte in mir die Lust. Ich spürte das Lodern in meinem Leib und gab nur zu gern, dem fordernden Drängen nach. Wenn dies Kolam half, Degen zu vergessen, dann würde ich alles dafür tun, um ihm dabei zu helfen.

Unsere Jäger schienen erfolgreich von ihrer Jagd zurückgekommen zu sein, denn ihr Lied hallte freudig durch das eben noch in Stille liegende Dorf. Ich befand mich in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachsein, als Degens Siegesschrei in meinen Ohren widerhallte. Blinzelnd sah ich mich um. Vor mir, neben der Schlafstätte, stand Kolam. Sein Lächeln wirkte gelassen, nicht mehr so angespannt, wie noch vorhin. Er war gerade dabei eine Hose überzuziehen, was ich schade fand, denn von seinem nackten Anblick würde ich wohl nie genug bekommen - die langen, kräftigen Beine, die schmale Taille, der kleine, fest Hintern, der sich so gut unter meinen Händen anfühlte, der flache, trainierte Bauch, dessen Muskeln zuckten, wenn ich mit den Fingernägeln sacht über die Haut darüber kratzte.
Nur mühsam konnte ich ein Stöhnen unterdrücken, als ich mir in bunten Bildern Erinnerungen unsere Zweisamkeit ausmalte. Kolams entspanntes Gesicht, die geschlossenen Augen, wenn er sich meinen Zärtlichkeiten hingab und sein Stöhnen, wenn ich fordernder wurde und ihn tief in mir spüren wollte. Am liebsten wäre ich in ihn reingekrochen, nur um ihm noch näher sein zu können.
"Ich versuche noch mal mit ihm zu reden." Er beugte sich über mich, legte seine Lippen auf meine Stirn und strich mir dabei sacht über den Bauch.
"Hmm", machte ich, schlang im selben Atemzug die Arme um ihn und suchte seinen Mund, um mir einen Kuss zu stehlen, danach gab ich ihn frei.
Verträumt schnupperte ich noch einmal an dem Laken, das unsere beider Geruch angenommen hatte, ehe ich mich erhob, anzog und neugierig auf die Terrasse trat. Ich musste wissen, was da draußen vor sich ging.
Mitten auf dem Festplatz lag ein mittelgroßer Gelbstreifen, ein Jungtier, soweit ich erkannte, dem schon die Ohren abgetrennt worden waren. Es war Degen, der sie triumphierend in die Luft hielt, die Arm aber wieder sinken ließ, als er Kolam bemerkte, der noch immer am Ende der Treppe zum Pfahlhaus seiner Eltern stand.
Wie immer, bei einem Jagderfolg, fanden sich ein Großteil der Schattenwaldelfen ein, um den Jägern zu gratulieren. Wie lange hatten Kolam und ich nur geschlafen? War noch der gleiche Tag oder schon der nächste? Vielleicht hatte sich das Jungtier auch nur zu nah an unser Dorf gewagt und somit zu einem schnellen Erfolg beigetragen, denn meistens befand sich die Gruppe länger auf der Jagd. Gefühlt konnte es nicht länger als ein paar Stunden her sein, das Degen Kolam von sich gestoßen hatte.
Langsam näherte sich Kolam seinem Gefährten, aber dieser tat so, als wäre Kolam nur ein Lufthauch. Er schaute ihn nicht an, drehte ihm sogar demonstrativ den Rücken zu.
Aufgeregt biss ich mir auf die Innenseite der Wange. Nicht weit von mir entdeckte ich Taira, die mit Argusaugen über ihren Sohn wachte. Sie wusste etwas, da war ich mir sicher. Ich erkannte Sorge und Nachdenklichkeit in ihrem Blick, aber auch so etwas wie Mitleid, wenn ich es richtig deutete.
Noch immer reagierte Degen nicht auf Kolam. Das meine Liebe zu Kolam, solch ein Verhalten hervorrufen würde, hätte ich nicht gedacht. Ich war mir sicher, dies alles war meine Schuld. Immerhin hatte ich mich zwischen die Magiegefährten gedrängt und somit Degen wehgetan, der nun wiederum Kolam verletzte. So durfte es nicht weitergehen. Es musste eine Lösung her und das ganz schnell. Vielleicht half es ja, wenn wir drei uns zusammensetzten und in Ruhe darüber sprachen, ohne zu Lügen, zu Verleumden und vor allen Dingen ohne Vorwürfe. Hier musste Ehrlichkeit her, auch wenn diese schmerzen sollte. Wir mussten uns über unsere Ängste, Gefühle und Wünsche austauschen, nur so konnten wir erfahren, was genau wir voneinander erwarteten.
Noch immer stand Kolam schweigend hinter Degen oder doch nicht? Sprach er mit ihm in Gedanken? Teilte er sich ihm gerade mit und ließ den Jäger an seinem Gefühlswirrwarr teilhaben? Es schien so, denn der Elf mit den braunen Haaren drehte sich um und schaute Kolam an, ehe er nach dessen Hand griff und ihm mit sich zog. Abseits, außer Hörweite der anderen, hielten sie inne und sprachen miteinander - lange und angeregt.
Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete ich sie. Nur zu gern hätte ich erfahren, über was sie sprachen, da ich aber kein Wort verstand, blieb mir nur, ihre Körpersprache zu deuten. Die beiden wirkten angespannt, bei Degen sogar eine Spur aggressiv. Keine Spur mehr von Zusammengehörigkeit, keinerlei Zuneigung und nicht das kleinste Zeichen von Zärtlichkeit. Die Arme vor der Brust verschränkt, den Körper seitlich abgewandt und nur das Profil präsentierend, zeigte Degen ganz deutlich, was er im Moment von Kolam hielt, der die Schultern hängen ließ und dabei wie ein Elfenkind von sechs Regenzeiten wirkte, welches eine Schimpftirade seiner Eltern über sich ergehen ließ.
Nur aus den Augenwinkeln bekam ich mit, wie Otar und Sheira, gemeinsam mit ihrem Sohn Sojor, den Gelbstreifen häuteten, ausweideten, dabei das Blut in mehreren Schüsseln auffingen und dann gekonnt zerteilten.
Na toll, noch ein Fell für Degens und Kolams geheime Hütte am Fluss, huschte es mir durch den Kopf, den ich darauf schüttelte, da diese Art von Neid und Eifersucht nicht angebracht schien. Langsam verließ ich meinen Standort, begab mich auf den Platz und ging Richtung Feuer, welches eben entfacht wurde.
Jetzt erst trennten sich Kolam und Degen und gingen ihren Weg, jeder Richtung zu Hause.
"Ob sie sich geeinigt haben, wer dich bekommt?", vernahm ich Ounis giftige Stimme. Erschrocken wirbelte ich herum. Hatte sie sich die ganze Zeit über in der Nähe aufgehalten? Wie viel hatte sie mitbekommen?
"Es ist nicht, wie du denkst", verteidigte ich nicht nur die beiden Magiegefährten, sondern auch mich, leise. "Ja, die Streitigkeiten haben mit mir zu tun, aber bitte glaub mir, Degen liebt..." Fest biss ich mir auf die Innenseiten der Wangen. Beinah hätte ich Kolams und Degens Geheimnis preisgegeben. "Ich darf dir nicht sagen, was los ist. Bitte sei nicht böse auf mich!" Dachte ich wirklich, ich konnte meine Schwester mit diesen Worten beruhigen?
"Hmm", machte sie, warf dabei ihr langes Haar zurück und stolzierte mit hocherhobenen Kopf davon.
Was geschah hier? Kolam verlor seinen besten Freund und den Elf, der seine Magie teilte und ich anscheinend meine Schwester und Freundin. Und das alles nur, weil Kolam und ich uns liebten. Wie sollte es nun weitergehen? Vielleicht waren meine Überlegungen die Schattenwaldelfen zu verlassen, gar nicht so falsch. Kolam und Degen würden zusammen sein können und Ouni müsste nicht mehr auf mich eifersüchtig sein. Obwohl, wenn ich es mir recht überlegte, war dies nicht die Lösung. Ouni musste die Wahrheit erfahren und all die anderen eigentlich auch, aber diese Entscheidung lag nicht bei mir, sondern bei Kolam, dem ich neugierig wieder in die Hütte seiner Eltern folgte.
Dort saß er am Tisch, die Ellenbogen auf die Platte gestützt. Sein Kopf ruhte auf den Händen.
"Wie geht es mit euch weiter?", fragte ich, nachdem ich mich hinter stellte und die Hände auf seine Schultern legte.
"Er hat mich gebeten, ihm Zeit zu geben. Er möchte über alles nachdenken, obwohl er ganz genau weiß, wie sehr ich ihn brauche. Er will sich erst entscheiden, wenn der größte Schmerz vorbei ist." Kolam löste meine Hände, schob mich ein Stück von sich weg und erhob sich. Wütend schlug er mit der Faust auf den Tisch, ehe er verzweifelt knirschte: "Was gibt es da zu entscheiden? Wir sind Eins - verdammt. Ich brauche ihn und er mich."
Wieder erkannte ich den tief sitzenden Schmerz in seinen Augen. Bebend stand er vor mir, die Hände zu Fäusten geballt. Aus einem Reflex heraus, legte ich die Hände flach gegen seine Brust und lehnte mich an ihn.
Fest schloss er mich in die Arme, ehe er das Thema wechselte: "Ich habe vorhin Ounis Reaktion gesehen. Was ist mit ihr?"
Ich seufzte. "Sie ist böse auf mich. Sie ist davon überzeugt, dass Degen mich liebt", antwortete ich wahrheitsgemäß.
"Versteh ich nicht", murmelte er in mein Haar.
"Ouni hegt Gefühle für Degen", klärte ich ihn auf.
"Nicht das auch noch. Verliebt sich hier denn jeder in den Falschen? Degen in mich... Ouni in Degen..."
Ehe er fortfahren konnte, unterbrach ich ihn: "Nein, nicht jeder. Ich scheine mich in den Richtigen verliebt zu haben..."

5. Senden und das Finden der Magie

Schon lange stand der Mond am nächtlichen Himmel, als Kolam und ich die Hütte seiner Eltern verließen. Niemand schien uns vermisst zu haben, denn unsere Zweisamkeit war für keinen Augenblick gestört worden. Auf Kolams Schlaflager hatten wir uns aneinander gekuschelt und die Finger nicht voneinander gelassen. Es war schön mit ihm zusammen zu sein. Wir schienen uns ohne viele Worte zu verstehen, denn die meiste Zeit über schwiegen wir und genossen einfach nur die Nähe des anderen. Ich hatte seine Nähe, sein Wärme und seine Zärtlichkeiten aufgesogen, wie ein Kleidungsstück Wasser, wenn ich es wusch.
Dies alles war so neu für mich, der enge Kontakt zu ihm, der mir ein Gefühl von Geborgenheit vermittelte und mich glauben ließ, dass mir nichts mehr zustoßen konnte. Kolam würde mich beschützen und zu mir stehen, egal was geschah.
Irgendwann waren wir erschöpft, noch immer tief vereint, eingeschlafen und erst der Duft von frisch gebratenem Fleisch schaffte es uns zu wecken.
Die Finger fest verschränkt, traten wir später an den Tisch, an dem unsere Eltern saßen. Wir waren uns der Blicke bewusst, die uns neugierig folgten. Kolam und ich würden das Gesprächsthema der nächsten Tage sein. Endlich mal was Neues im Dorf. Einige würden rätseln, ob wir eins in der Magie waren, andere vielleicht an die erste Liebelei denken und wieder andere vermuteten sicherlich, das Degen und Kolam Streit hatten, weil sie um mich stritten. Mir war dies im Moment alles egal. Ich war glücklich und als ich Tairas und meiner Mutters Strahlen sah, gab es keinen Grund mehr für trübe Gedanken.
Neben meiner Mutter fand ich einen freien Platz auf der Bank, während Kolam zum Feuer trat, sich von Otar frisches Gelbstreifenfleisch reichen ließ, dieses auf einen angespitzten Stock spießte und dann über die Flammen hielt.
Trotz der Ruhe und der Gemütlichkeit, die über dem Festplatz hing, fühlte ich mich innerlich aufgewühlt. Mein Blick glitt über die Anwesenden. Ouni und Degen entdeckte ich nicht. Ob sie gemeinsam unterwegs waren? Nein, ich wollte nicht darüber nachdenken, sondern den Abend genießen und da ich das letzte Mal nichts von Vaters Gebräu getrunken hatte, griff ich nach einem der Becher und ließ mir etwas eingießen. Skeptisch roch ich an der klaren Flüssigkeit und kräuselte die Nase. Ich konnte den Geruch nicht beschreiben, aber der Geruch brannte mir in der Nase. Über den Becherrand hinweg schaute ich zu meinem Vater, der mir zwinkernd zunickte.
Gut, dann Augen zu und durch. Eine Getränk, dass so stark in der Nase stach, konnte nach meinem Gefühl nicht besonders lecker sein. Erst mal nahm ich nur einen winzigen Schluck. Erbärmlich brannte das Zeug in meinem Mund und Rachen. Tapfer schluckte ich, fühlte, wie sich das Brennen in meiner Kehle fortsetzte und fing kräftig an zu Husten.
Lachend schlug Taira mir zwischen die Schulterblätter. "Glaub mir Kalia, da ging uns allen so."
Mir trieb es Tränen in die Augen. Nickend atmete ich tief durch, wischte die Tränen fort und griff nach etwas Obst, damit ich den bitteren Geschmack auf meiner Zunge vertreiben konnte. Bevor ich jedoch die Drachenfrucht aß, fühlte ich der Hitze nach, die sich wohlig in mir ausbreitete und mich von innen wärmte. Das fand ich schön, also nahm ich doch noch einen Schluck, diesmal aber nicht vorsichtig nippend. Nein, ich kippte das Zeug einfach runter, schüttelte mich kurz, spülte mit frischem Wasser nach und grinste meinen Vater an.
Irgendwie beruhigte sein Gebräu mich, ließ mich schläfrig wirken, doch dann wurde ich unruhig, fühlte mich wie aufgedreht. Nach dem dritten großen Schluck wurden mir die Knie ganz schwer, als würde jemand meine Füße in den Boden ziehen wollen. Das fühlte ich eigenartig an. Selbst mein Blick, sonst scharf und fokussiert, schien anders, unscharf, verschwommen und irgendwie schien alles etwas schief zu stehen und sich zu drehen. Was war nur mit meinen Sinnen los? Verwirrt stellte ich den halbleeren Becher zurück auf den Tisch. Davon trank ich besser nichts mehr. Kein Wunder, das selbst Kalerm sich damals so komisch aufführte und Otar nach Hause gekrochen war.
Mein unruhiger Blick glitt zu Kolam, dessen Umriss sich scharf vor den hellen Flammen abzeichnete. Der nächtliche, warme Wind spielte mit seinem langen Haar, das er nicht wie sonst als Zopf, sondern offen trug. Verträumt lächelte ich vor mich hin, als ich ihn dabei beobachtete, wie er sich, mit den einzelnen Strähnen, die ihm immer wieder vor die Augen geweht wurden, abmühte und versuchte diese hinter die Ohren zu schieben.
"Magst du den Rest trinken?", erkundigte ich mich von meinem Platz aus.
"Gern. Ich komme gleich zu dir", antwortete er, während er verzweifelt versuchte, mit der linken Hand, die Haare im Nacken zusammenzufassen.
Ich konnte seine Bemühungen nicht mehr mit ansehen und erhob mich. In der Tasche, der weiten, weichen Hose, suchte ich nach einem der Lederbänder, die ich überall verteilte, damit ich immer ein Lederband bei mir hatte, falls mich meine Locken mal störten. Mit dem Band in der einen Hand und dem Becher in der anderen, näherte ich mich meinem Gefährten.
Hinter ihm blieb ich stehen und atmete tief die Mischung verschiedener Düfte ein: verbranntes Holz, lecker gegrillter Gelbstreifen und Kolam. Sacht legte ich die Hand mit dem Band an seine Taille und hielt ihm den Becher vor die Nase. "Halt mal, dann binde ich dir die Haare zusammen!"
Lächelnd drehte er sich in meine Richtung, schaute auf mich herab und nickte dankend.
Seine Finger berührten die meinen, als er nach dem Becher griff. Unsere Blicke fanden sich und plötzlich war alles anders. Wir waren allein, ganz allein. Da brannte kein Feuer mehr, kein Schattenwaldelf befand sich mehr bei uns. Es herrschte absolute Stille, nicht der kleinste Laut war zu vernehmen und dann brach ein heilloses Durcheinander über mich herein.
Das war ich, eindeutig, aber irgendwie neu, verändert, größer, als hätten sich meine Empfindungen erweitert und meine Gedanken sich verdoppelt. Ich hatte das Gefühl, dass mein Körper nicht mehr ausreichte, so viel Neues und Unbekanntes stürzte auf mich ein. Ich erinnerte mich an Begebenheiten, die ich längst vergessen hatte und ich sah Erlebnisse, die mir fremd schienen, denen ich nicht körperlich beiwohnte.
Was war das? Ganz langsam begriff ich. Ich spürte mich, fühlte mein Innerstes, meine Magie und das Fremde in mir? Das Unbekannte, dass unaufhörlich mein Innerstes eroberte und sich mit mir verband, das war Kolam. Die unbekannten Erinnerungen waren die seinen und die fremden Gefühle kamen von ihm.
Verwirrt zwinkerte ich und vernahm meinen Namen: **Kalia!**
"Ja", antwortete ich. Nur mit Mühe gelang es mir das einfache Wort auszusprechen. Ich verstand nicht, was gerade geschah. Eine unglaubliche Hitze hüllte mich ein, gepaart mit Liebe und Verlangen, einem unglaublichem Verlangen nach mir. Das war Kolams Lust und seine Begierde nach mir.
**Kalia, ist alles in Ordnung?**
Ich schwankte. Das war zu viel für mich, was da über mich hereinstürzte. Ich schaffte es nicht mehr klar zu denken, hatte das Gefühl mich selbst zu verlieren in der Flut der fremden und doch so vertrauten Empfindungen.
Meine Finger krallten sich an Kolams Taille. "Was hast du gesagt?", murmelte ich schwach, während ich mich mühsam auf den Beinen hielt.
**Ich habe nichts gesagt. Ich sende. Versuch es! Denk an mich!**
Mir war es, als würde Kolam in meinem Kopf lauthals und aufdringlich schreien. Ich konnte mich dem nicht entziehen und so langsam verstand ich. Ich schloss die Augen, leitete alle Kraft auf ein einziges Wort und mit diesem zwei gedachten Silben baute ich eine Brücke über den Abgrund, der bisher Kolam und Kalia entzweite.
**KOLAM?!**
**Ich bin da.**
Er hatte mich tatsächlich vernommen und mit dieser neuen Verbindung öffnete ich mich ihm. Ich konnte es nicht verhindern. Es geschah. Dies entsprach der Natur der Magie. Ich spürte, wie er ganz langsam und sanft in mich vordrang, jeden noch so geheimen Winkel eroberte und sich mit diesem verband. Ich war nicht mehr allein. Ein Teil von Kolam würde nun den Rest meines Lebens in mir verweilen.
Vorsichtig suchte ich nun auch nach ihm und was ich fand, fühlte und spürte, gefiel mir. Kolam strahlte eine Wärme, Zärtlichkeit, Kraft und Ehrlichkeit aus, die mich innerlich erbeben ließen. Er erfasste und umarmte mich, nicht körperlich, sondern auf eine andere Art und Weise, auf einer ganz anderen Ebene. Ich fühlte mich eingebettet in seiner kraftvollen Magie, welche nun ein Teil von mir war und mich ausfüllte. Nichts war uns mehr fremd. Wir kannten unsere geheimsten Sorgen, Wünsche und Ängste und ich fühlte noch jemanden. Ich spürte den Teil in Kolam, den Degen sein eigen nannte und dieser schien für mich gesperrt. Es fühlte sich an, als wäre ich gegen einen Zaun gelaufen. Ich durfte zwar darüber hinweg sehen, aber nicht eintreten.
So rasant wie der Sturm aufgezog, so schnell war er über mich hinweggefegt. Er hatte mich mächtig durchgeschüttelt und beinah umgeworfen. Nun war es an der Zeit aufzuräumen und die Schäden zu begutachten. Mit einem Schlag war die Verbindung zu Kolam unterbrochen. Unerwartet fühlte ich mich einsam und leer, was nicht wirklich stimmte, denn ganz tief in mir, war Kolam noch vorhanden – seine Magie eingebettet in der meinem.
Verstört blickte ich auf, schaute mich um und sah den Tonbecher zerbrochen zwischen uns auf dem Boden liegen, daneben der Stock mit dem Fleisch.
Warme Hände lösten meine verkrampften Finger von seiner Taille, an die ich mich noch immer klammerte. Sacht schlossen sich seine Hände um meine, ehe er mich bestimmt von dem Feuer fortzog.
Von meiner Umgebung bekam ich nicht viel mit. Ich sah nur Kolam, der mich führte. Nur er zählte noch. Er und ich.
In mir tobten die Gefühle, spielten regelrecht verrückt. Ich verspürte Empfindungen, die ich bisher nicht kannte. Es waren Kolams Gefühle und ganz tief in mir schrie etwas ganz laut nach ihm, nach seiner Magie.
Willenlos ließ ich mich von ihm auf den Arm nehmen. Fest klammerte ich mich an ihn und schloss die Augen. Ich lauschte dem Inneren meines Gefährten. Alles wollte ich erfahren, jede Kleinigkeit sollte die meine werden. Seine Magie schrie lauthals nach der meinen und da war noch etwas, ein Glühen, überall in ihm und es wurde stärker. Ich fühlte das Kribbeln in mir und auch in ihm. Dieses Verlangen war anders, stärker, tiefer als bisher. Wir konnten uns dem nicht widersetzen, selbst wenn wir es wollten. Diesem, seinem Verlangen würde ich mich nur zu gern hingeben.
Erst als ich die Weichheit seines Schlaflagers unter mir spürte, tauchte ich aus meinem schreienden Verlangen wieder auf und schaute direkt in Kolams fiebrigen Blick. Wie eine Ertrinkende klammerte ich mich an ihn. Mein Schoß schien in Flammen zu stehen und auch Kolams Lenden brannte. Ich konnte es körperlich spüren. Ich wollte nur noch eins, ihn ganz tief in mir spüren, dabei seine Magie berühren, uns vereinen und danach nie wieder loslassen.
Fast schon grob presste er mich an sich, nachdem er uns mit fliegenden Fingern aus den Sachen geschält hatte. Vollständig öffnete er sich mir. Ich spürte, was in seinem Leib vor sich ging, fühlte die körperlichen Bedürfnisse und begab mich vollständig in seine Hände. Tief nahm ich ihn in mir auf, drängte mich schreiend an ihn und fand die Erfüllung meines Lebens. Endlich EINS....

Was für ein Traum. Wieder war ich Kolam nah gekommen, näher als je zuvor. In meinen Wünschen der Nacht war Kolams Magie zu der meinen geworden. Wir waren Eins. Noch gefangen von den Empfindungen schlug ich die Augen auf. Moment mal, etwas war anders. In mir gab es etwas Neues. Kein Traum, es war kein Traum schoss es mir durch den Kopf. Es war real. Kolams und mein Magie waren tatsächlich Eins. Ich konnte es kaum fassen, aber dieses neue Gefühl in mir zeugte davon. Euphorie erfasste mich. Pures, reines Glück flutete meinen Körper. War ich jemals so glücklich gewesen?
Ich hielt mich in den Armen meines Magiegefährten versteckt und versuchte den Abend Revue passieren zu lassen. Wie die wilden Tiere waren wir übereinander hergefallen. Immer und immer wieder hatten wir uns körperlich und in der Magie vereint, bis wir kraftlos aufeinander eingeschlafen waren.
Trotz der körperlichen Mattheit, jeder Muskel im Leib schien zu schmerzen, fühlte ich mich munter und voller Tatendrang. War das Leben nicht schön? Ich spürte nicht nur mein eigenes Glück, sondern auch Kolams überschwängliche Freude in mir. Diese gepaarten Gefühle wirkten sich so stark auf mich aus, dass ich nichts gegen die Tränen der Freude tun konnte, die mir über die Wangen liefen.
Ich fühle den geliebten Körper an meinem, roch den derben Geruch, der uns einhüllte und davon zeugte, was wir die Hälfte der Nacht getan hatten. Fest zog ich seine Arme enger um mich. Nie wieder loslassen.
"Morgen", murmelte Kolam noch schläfrig in mein Haar. "Wir sollten mit unseren Eltern sprechen."
"Wenn sie es nicht schon wissen." Mühsam drehte ich mich in seine Richtung. Wirr hing ihm das schwarze Haar ins Gesicht, ließ kaum einen Blick in die dunklen Augen zu. Die Gewalt der Gefühle, die auf mich einstürzten, nun da er munter war, raubten mir beinah den Verstand. Ich konnte nicht mehr klar denken. Mein Geist war besetzt, wurde von seinem okkupiert und meine Magie schaukelte sicher eingebettet in der seinen. Das war ein unbeschreibliches Gefühl. Ein weiteres Mal überwältigte es mich. Welche Empfindungen waren die meinen? Welche kamen von ihm? Zwinkernd versuchte ich Ordnung in meiner Gefühlswelt zu schaffen.
"Tschuldige", raunte Kolam mir zu und von einem Moment zum anderen herrschte in mir Ruhe. "Du musst erst lernen, mit meinen Gedanken umzugehen."
Es fühlte sich eigenartig an, wieder alleine zu sein und Herr der eigenen Sinne. "Du kannst es abschalten?", fragte ich daher überrascht.
"Ja, ich kann entscheiden, mit wem ich was teilen möchte. Du musst das noch lernen." Nachdenklich spielten seine Finger mit meinem Haar. "Meine Mutter könnte dir eine gute Lehrerin sein. Ich fühl dich nämlich die ganze Zeit, wie einen wütenden Sturm in mir."
"Oh", machte ich überrascht.
"Ist nicht weiter tragisch. Ich kann dich aussperren, wenn es mir zu viel werden sollte, aber im Augenblick möchte ich das nicht. Es ist viel zu interessant, was dir durch deinen hübschen Kopf geistert." Mit diesen Worten rollte er sich auf den Rücken und zog mich mit sich, um mir einen Kuss zu rauben.
Endlich hatte ich mich selbst gefunden. Endlich wusste ich, wer ich war und was ich spürte, gefiel mir.
**Ich bin glücklich**, teilte ich ihm in Gedanken mit, neugierig darauf, ob mir dies noch gelang.
**Ich weiß. Ich fühle es.** Schweigend blieben wir liegen, bis Geräusche aus dem Vorraum an unsere Ohren drangen und uns anscheinend mitteilen wollten, dass es Zeit zum Aufstehen war.
Nur mühsam gelang es mir, mich aus Kolams Umarmung zu befreien. Mit zittrigen Fingern griff ich nach meiner Hose und dem Oberteil, die achtlos auf dem Holzboden lagen und zog mich an, mir dabei der Blicke meines Gefährten durchaus bewusst.
Kurz schaute ich zu ihm und bemerkte, dass auch er damit zu kämpfen hatte, wieder zurück in die Wirklichkeit zu finden. Aber wie ich, rappelte er sich auf und zog sich an.
"Wir sollten baden gehen", lächelte er und schnupperte an meinem Hals, worauf ich mir ein Kichern nicht verkneifen konnte. Er hatte recht. Meine Haut klebte und ihm ging es sicherlich nicht anders. Zielsicher fand seine Hand die meine, ehe er mit der anderen den dünnen Vorhang zur Seite schob, der sein Schlafreich von dem Rest des Pfahlhauses abtrennte.
Taira saß an dem großen Tisch, unterbrach ihre Arbeit und schaute auf, als wir den Raum betraten. "Setzt euch!"
Mit noch immer weichen Knien ließ ich mich auf dem mir am nächsten stehenden Hocker nieder. Kolam blieb hinter mir stehen, legte die Hände auf meine Schultern und küsste meinen Scheitel.
Ich schwieg. Wie hielten uns in Kolams Elternhaus auf und es war seine Mutter, die uns neugierig betrachtete, also fiel auch ihm das erste Wort zu. Bevor er jedoch zu einer Erklärung ansetzte, begab er ich zu einem riesigen Tontopf, der in einer dunklen Ecke stand und sicher, wie in der Hütte meiner Eltern, frisches Wasser enthielt. Mit zwei gefüllten Bechern, wovon ich einen erhielt, nahm nun auch Kolam platz. Nervös fuhr er mit den Fingern über tiefe Kerben, die sich am Rande der Tischplatte befanden und lächelte in Erinnerungen versunken. Durstig trank ich, leerte den Becher mit ein paar kräftigen Schlucken und fühlte mich unter der lastenden Stille von Moment zu Moment unwohler.
Kolams Blick hielt mich gefangen, während er trank, nicht so gierig wie ich, dabei musste doch auch er unglaublich Durst verspüren.
„Mutter“, setzte er an, verstummte aber sofort wieder.
Über den Tisch hinweg griff Taira nach den zitternden Fingern ihres Sohnes. Noch nie hatte ich meinen Gefährten so nervös erlebt.
„Wie oft kann man seine Magie mit jemandem teilen? Wie oft kann sie sich vereinen?“, brachte er mühsam hervor.
Sanft streichelten Tairas Finger Kolams Handrücken. Ihr Lächeln wirkte dabei beruhigend. „Ich weiß es nicht, mein Sohn.“
Taira ahnte etwas. Ich sah es ihr an. Kolams Mutter wusste längst, was vorgefallen war. Woher sie ihr Wissen hatte? Keine Ahnung, aber sie wusste es. Sie weiß von Degen und auch von mir, dachte ich, worauf mich ein gehetzter Blick von Kolam traf. Meine Gedanken, sind seine Gedanken. Oh weh, ich musste aufpassen, welche Überlegungen ich anstellte.
Sichtlich erkannte ich, wie schwer ihm die nächsten Worte fielen, aber er benötigte Klarheit und vor allen Dingen eine Erklärung.
„Vor einigen Neumonden hat sich Degens Magie mit meiner vereint. Ich hatte immer das Gefühl, das daran etwas nicht richtig sein konnte. Irgendwas muss die Magie falsch gemacht haben.“ Er schlug den Blick nieder.
„Und gestern Abend hat sich deine Magie mit Kalias vereint“, vollendete Taira. „Ich habe es erfahren, auch bei Degen und dir.“
Erschrocken entzog Kolam seiner Mutter die Finger. Eine steile Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen. „Woher? Wieso?“
Taira blieb ruhig. Sie lächelte sogar weiter, während ich mich immer unwohler in meiner Haut fühlte. Eigentlich ging mich dieses Gespräch nichts an.
„Das ist meine Magie, mein Sohn. Ich bin dabei, wenn sich Magie findet. Ich spüre die Empfängnis, wenn ein neues Leben entsteht und ich fühle es, wenn jemand von uns geht. Außer deinem Vater, Althai, Nari und nun Euch weiß niemand davon.“
„Hast du Vater von Degen und mir erzählt?“
Für einen kurzen, wirklich sehr kurzen Moment, schien ich Panik zu fühlen, aber Kolam bekam seine Empfindungen entweder wieder schnell unter Kontrolle oder er verschloss sich vor mir und verbannte mich aus seinem Inneren .
„Nein, habe ich nicht. Ich akzeptiere deine Entscheidungen und auch die all der anderen. Ich mische mich nicht ein. Wenn jemand darüber sprechen möchte, dann tut er dies früher oder später.“ Warm hüllte uns Tairas Blick ein. „Du musst es deinem Vater nicht mitteilen, wenn du dies nicht möchtest.“
Dankend nickte Kolam seiner Mutter zu. „Wie viel siehst du?“
„Gar nichts. Ich fühle nur. Ich weiß nicht, was zwischen dir und Kalia danach geschehen ist und auch nicht was mit Degen war. Diese Erfahrungen gehören den Elfen allein. Ich kann nur sagen, wessen Magie nicht mehr alleine ist oder wer von uns geht. Ich kann es nicht erklären, nicht in Worte fassen.“
Still hatte ich Kalerms Magiegefährtin gelauscht, verstand aber nur die Hälfte, von dem, was sie erklärte. Magie war für mich fremd, nicht greifbar, deswegen benötigte ich dringend ein paar Antworten. „Taira, was ist mit mir geschehen? Wieso fand Kolam meine Magie?“
„Ich kann nur Mutmaßungen anstellen und muss dafür etwas weiter ausholen.“
Wie gebannt starrte ich Kolams Mutter an. Wie alt war sie eigentlich? Ich hatte nie gefragt. War sie älter oder jünger als ihr Gefährte? Ich tippte ja auf jünger, war mir da aber nicht so sicher.
„Die Linie der Anführer der Schattenwaldelfen brachte bisher immer männliche Nachkommen hervor. Dich Kolam, deinen Vater, dessen Vater, dessen Vater und so weit die Erinnerungen zurückreichen, waren es immer die Söhne, der Söhne, die diese eine Magie erbten.“
„Ich habe magische Fähigkeiten?“, prustete Kolam, völlig überrumpelt von den Neuigkeiten.
„Ja, wie hätte sonst deine Magie die von Degen oder Kalia finden sollen? Du besitzt keine aktive Magie, nur eine passive. Du kannst mit deiner Magie nichts anfangen, aber sie ist es, die dafür sorgt, dass die Linie der Anführer gesichert und gestärkt ist und du gut gewappnet jeder Gefahr gegenübertreten kannst.“ Das Lächeln auf dem Gesicht der schlanken Elfe wurde weicher. Mit einem Ausdruck der Liebe, zu dem nur eine Mutter fähig sein konnte, schaute sie ihren einzigen Sohn an. „Deine Magie besteht darin, die Magie zu finden, die für die Schattenwaldelfen zum Überleben notwendig ist.“
„Aber ich besitze keine Magie“, murmelte ich. Ganz im Gegensatz zu Degen, der durch die Augen der Tiere sehen konnte und somit zu einem einzigartigen Jäger heranwachsen durfte und diese Kraft erklärte auch, wieso Kolam und Degen in ihrer Magie vereint wurden, denn Nahrung gehörte zu den wichtigsten Zutaten um zu leben.
„Anscheinend besitzt du magische Fähigkeiten, Kleines.“ Taira strahlte mich an, griff nun nach meinen Händen und hielt sie fest. „Du wirst erfahren, was deine Magie kann, ob sie passiv oder aktiv ist und du, mein Sohn hast nun zwei starke Elfen an deiner Seite. Für deine Magie war Degen vor sechs Neumonden der einzige im Stamm dessen Kraft deiner würdig erschien. Deshalb fandet ihr euch, und ich glaube, Kalias Gabe ist stärker als Degens und damit wichtiger für unser Volk. Ihr Magie scheint gestern Abend erwacht zu sein, weswegen du nun eine zweite Magie in dir spürst.“
Darüber musste ich erst mal nachdenken. So viele Neuigkeiten, so viel interessantes über Magie und das verrücktest an allem war, dass auch ich magische Fähigkeiten besitzen sollte. Konnte ich vielleicht? War es möglich? *Taira!*, versuchte ich Kolams Mutter in Gedanken zu erreichen. Nichts, keine Reaktion. Sie hörte mich nicht, alles was ich mit meinem Versuch erreichte, war, dass Kolam mich Stirn runzelnd ansah.
**Nichts?**
**Nein, ich kann nicht mit deiner Mutter in Gedanken kommunizieren.**
Versuchsweise rief ich nach Ouni, nach meinen Eltern, sogar nach Degen, aber alles was ich zurückerhielt, war schweigen.
**Vielleicht dauert es seine Zeit, bis sich deine Magie vollständig entfaltet.**
Ich zuckte mit den Schultern und dachte daran, welche Möglichkeiten sich mir nun boten. Vielleicht war meine Magie erwacht, weil sie es mir ermöglichte meine Familie zu finden, meinen Stamm. Meine Kraft war es vielleicht, die mir den Weg zeigen würde. Genau zum richtigen Zeitpunkt, da mein Entschluss nach meinen Eltern zu suchen, sich mit jedem Moment der verging, verstärkte.
„Kalia würde gern nach ihren Eltern suchen“, wechselte Kolam, sicher durch meine Gedanken daran erinnert, das Thema. „Nach ihrem Stamm. Wer weiß, vielleicht findet sie ja bei ihrer Suche, ihre magischen Fähigkeiten. Ich möchte mit ihr gehen. Keiner von uns hat dieses Dorf je verlassen. Wir wissen nicht wie viele es von unserer Art noch gibt. Wir könnten Freunde finden und wären nicht mehr alleine.“
„Ich habe immer geahnt, dass du es sein wirst, mein Sohn, der in die weite Welt hinausziehen wird, um nach anderen Elfenstämmen zu suchen“, vernahmen Taira, Kolam und ich die tiefe Stimme Kalerms, der in dem Türrahmen zur Terrasse stand. „Wann wollt ihr aufbrechen?“
Erschrocken sprang mein Gefährte auf und starrte seinen Vater an. „Seit wann stehst du hier?“ Ich fühlte die Angst, die sich in meinem Gefährten ausbreitete. Nein, keine Angst, Respekt gegenüber seinem Vater und Sorge darüber, was sein Vater zu seiner Verbindung zu Degen sagen würde, ob er eventuell enttäuscht darüber war.
„Lange genug, mein Sohn.“ Auf dem Gesicht, mit dem energischen Zug um dem Kinn erkannte ich nichts weiter, als Liebe und Stolz. Kolam hatte sich die letzten Neumonde unnötigerweise selbst verrückt gemacht. Seine Qual wäre nicht nötig gewesen, hätte er sich von Anfang an seinen Eltern offenbart.
„Wir müssen über so viel reden...“ Kalerm trat zu uns an den Tisch, legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter und nickte ihm zu. „Über euch, über Degen, über eure Pläne, über eure Reise...“

6. Das Erwachen der Magie

oncontextmenu="return false;" onmousedown="return false;" onmousemove="return false;" oncopy="return false;" unselectable="on">Eiserne Ketten fesselten die Handgelenke eines jungen Elf mit rotbraunen Haaren. Man hatte ihn geknebelt und die Arme über den Kopf an einem starken Ast fixiert. Allein die Ketten verhinderten das der entkräftete Elf zu Boden fiel. Sein halbnackter Leib war von unzähligen, verschiedenen Wunden übersät. Fürchterlich hatte man ihn gefoltert. Die grünen Augen waren kaum noch zu erkennen, so zugeschwollen waren sie. Blut lief ihm über die helle Haut und von den, für Elfen typischen, spitzen Ohren war nicht mehr viel zu erkennen. Man hatte sie ihm zur Hälfte abgeschnitten.
Er würde nicht der erste Elf sein, der hier an der riesigen uralten Eiche sein Leben lassen sollte. Neben ihm hingen mehrere gequälte Leiber, alle von dem selben Volk wie er. Einige der Elfen durften unterdessen bei ihren Ahnen angekommen sein, sie hatten die brutale Folter nicht überlebt. Andere schienen mehr tot als lebendig und sie alle trugen die selben Zeichen der Qual.
„Wo befindet sich euer Lager?“, schrien die Menschen, den Elfen gar nicht so unähnlich. Aber neben den anmutig wirkenden Geschöpfen der Magie, wirkten die Männer plump und grobschlächtig. Ihre Oberkörper waren nackt, strotzten nur so vor Muskelbergen und glänzten in der Sonne, als hätten sie sich mit Tierfett eingerieben. Schwarze Zeichen prangten auf den Schultern, den Oberarmen und den Oberkörpern – Stammeszeichen, Kriegskunst oder vielleicht ein Hinweis darauf, welchem Stand sie in ihrem Volk angehörten.
Kein Laut drang dem rotbraunhaarigen Elf über die Lippen. Kein Stöhnen verließ seinen Mund, als die fremden Krieger eiserne, glühende Lanzenspitzen gegen die noch unversehrte Haut seines Bauches pressten. Der Elf roch sein eigenes verkohltes Fleisch, spürte den brennenden Schmerz und schrie in Gedanken nach seinem Gefährten. Er sah noch, wie einer der Männer sein Schwert zog und fühlte, wie die Klinge in seinen Leib eindrang, bevor er ohnmächtig in sich zusammensackte.
Mit Urgewalt brach plötzlich eine Vielzahl von Elfen, die auf edlen Rössern saßen, über die Häscher herein. Ein noch sehr junger, blonder Elf, mit wehendem langen Haar, sprengte entschlossen auf den Baum zu, an dem die Gefolterten gefesselt hingen. Sein trainierter Körper steckte in grünem, derben Stoff. Über dem Oberkörper trug er eine Art Panzer, aus mehrfach gegerbten, beinah steinhartem Leder, welches ihn schützen sollte. In der rechten Hand hielt er ein Kurzschwert und in der anderen einen rautenförmigen Schild. Auf seinem Rücken trug er einen kurzen Kampfbogen und einen Köcher mit den dazugehörigen Pfeilen, mit den eisernen Spitzen. Wie ein Berserker schlug er sich den Weg zu dem rotbraunhaarigen Elf frei. Er achtete nicht auf das Schlachtgetümmel um sich herum. Für ihn zählte allein seine Stammesangehörigen und seinen Gefährten zu befreien. Nur aus den Augenwinkeln bekam er mit, wie ein Riese von Mann, nach einem brennenden Holzscheit griff und diesen auf das Reisig warf, dass die Menschen unter den Elfen aufgeschichtet hatten. Sofort fanden die Flammen in dem trockenen Holz Nahrung und züngelten an den Beinen der Elfen hinauf.
Der blonde Elf gab seinem Tier die Fersen zu spüren. Gnadenlos trieb er sein Pferd vorwärts, streckte dabei noch zwei Menschen nieder, um dann mit ein paar gezielten Schlägen seines Schwertes die Ketten, die seinen Freund gefangen hielten, zu zerstören. Mit einer Hand griff er nach seinem Gefährten, zog dann den ohnmächtigen Elf, der mehr tot als lebendig wirkte, vor sich, quer über das Pferd und ritt davon. Andere Elfen waren seinem Beispiel gefolgt. Schon kurz darauff hing kein Elf mehr gefesselt an der alten Eiche...<
„Es brennt... Feuer...“ Schreiend erwachte ich aus meinem Traum. Wild schlug ich mit den Händen auf meine Füße ein, wollte dadurch die Flammen ersticken und den brennenden Schmerz betäuben.
„Kalia!“ Fest griffen Finger nach meinen Händen, hielten mich somit davon ab, weiter auf mich einzuschlagen. „Es gibt kein Feuer. Es ist alles in Ordnung.“
Erst wehrte ich mich, als ich in eine Umarmung gezogen wurde. Ich wollte nicht gefoltert werden und schlug um mich, bis ich dir Worte nach und nach verstand.
Noch immer sah ich den rotbraunhaarigen Elf vor mir, fühlte seine Schmerzen, seine Angst, spürte, wie eine befreiende Ohnmacht nach ihm griff und ihm endlich Ruhe bescherte.
Schutz suchend klammerte ich mich an Kolam. Noch immer zogen die grausamen Bilder an mir vorbei. Nur am Rande nahm ich wahr, das Kolams Eltern sich nach mir erkundigten, wissen wollten, ob alles in Ordnung ist, worauf Kolam erwiderte, das ich nur einen Alptraum hätte.
Langsam nur fand ich zurück in die Wirklichkeit. „Es war fürchterlich“, murmelte ich mit trockenem Hals und nahm dankbar das Wasser entgegen, das Kolam mir reichte. Gierig trank ich. „So viel Gewalt. Da waren Elfen, wie wir, sie wurden gefoltert von...“ Menschen, schoss es mir durch den Kopf, grausamen Männern.
„Sie waren an einen Baum gekettet. Die Menschen haben sie verletzt, verstümmelt, in denen sie ihnen die Ohren abschnitten.“ Ein Beben rann durch meinen Körper. Mir wurde übel. Die realen Bilder waren zu viel für mich. Wieder sah ich die grünen, gequälten Augen vor mir und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
**Kalia!**
Kolam, er sah, was ich gerade sah.
**Teil es mit mir. Ich weiß, dass du es kannst.**
Nur mit viel Mühe gelang es mir, das eben Erfahrene mit ihm zu teilen. Beinah fühlte es sich an, als würde ich das Geschehen noch einmal durchleben, aber ich gab nicht auf, egal wie weh mir die Erinnerung tat. Ich spürte, wie Kolam unter der Intensität der Bilder litt. Unvorstellbare Dinge waren den fremden Elfen angetan wurden.
Nachdem die Bilder versiegten, schwieg Kolam betroffen. Er hielt mich einfach nur fest in seinen Armen, bis er den ersten Schock überwunden hatte. „Können dies Elfen aus deinem Stamm sein?“
„Ich weiß es nicht.“ Hinter meiner Stirn fing es an zu pochen. Erst nur ganz leicht, beinah nicht wahrnehmbar, aber dann wurde es schlimmer. Heftig pulsierte es in meinem Kopf, so, als würde jemand hinter meinen Augen sitzen und immer wieder kräftig dagegen schlagen.
„Halt mich fest!“, bat ich und schloss die Augen. Vielleicht hörte das Hämmern auf?
Kolam zog mich mit sich, als er sich wieder lang ausstreckte. Ich kuschelte mich an ihn und genoss die Finger, die nachdenklich anfingen, meinen Nacken zu kraulen.
„Sie sind dir so ähnlich“, stellte mein Gefährte leise fest. „Sie haben helle Haut und der Elf mit den sonnenfarbenen Haaren könnte dein Bruder sein oder dein Vater.“
Er sprach das aus, was ich mir nur zu denken getraute. Wir besaßen die selbe Haar- und Augenfarbe, trotzdem schob ich diesen Gedanken ganz weit von mir weg. Was nützte es mir, einem Trugbild nachzulaufen? Niemand konnte mir bestätigen, das dieser Traum kein Traum war, sondern die Erinnerungen von fremden Elfen und somit der Realität entsprachen.
„Es war nur ein Traum“, versuchte ich mich zu beruhigen. „Nichts weiter. Mein Wunsch, meine Familie zu finden, lässt mich Bilder von meinem Stamm heraufbeschwören. Nichts, rein gar nichts, deutet darauf hin, das sie wirklich existieren.“
„Und die Menschen?“ Noch immer strichen seine Finger gleichmäßig durch mein Haar, was mir unglaublich gut tat, denn sein Streicheln schien das heftige Klopfen in meinem Kopf zu beruhigen. „Es gibt hier keine Menschen. Woher solltest du sonst wissen, wie sie aussehen und wie sie sich nennen?“
„Vielleicht sind es Erinnerungen von meiner Mutter oder meinem Vater...“, überlegte ich weiter. „... die sie mir als Warnung mitgegeben haben. Vielleicht sind diese verborgenen Erinnerungen, mit meiner Magie, erwacht.“ Es war mühsam darüber nachzudenken. Solange wir die Wahrheit nicht kannten, konnten wir nur mutmaßen.
„Wenn die Elfen aus meinem Traum tatsächlich irgendwo leben, dann werden wir sie auf unserer Suche finden.“ Ich wollte nur noch eins, die Augen schließen, den Traum oder die fremden Erinnerungen vergessen und schlafen.
Wenn erst mal die Sonne aufging, dann würde mir das Massaker nicht mehr so brutal und grausam erscheinen und die Bilder verblasst sein oder verschwunden, wie bei jedem anderen normalen Traum. Ich sollte mich täuschen.

***

Am nächsten Morgen saß ich mit Kolam, Taira und Kalerm zusammen und berichtete ihnen von meinem Traum. Die Nacht war zur Qual für mich geworden. Die Bilder ließen mich nicht in Ruhe, verfolgten mich und an Schlaf war nicht zu denken gewesen. Dazu kamen die hämmernden Kopfschmerzen, die einfach nicht verschwinden wollten. Man sah uns sicherlich an, dass wir keine wirkliche Ruhe fanden. Kolam wirkte übernächtigt. Er war blass und seine Augen umgaben dunkle Schatten. Ich sah sicher nicht viel besser aus.
„Althai kommt gleich“, sagte Taira. „Sie weiß bestimmt, was dir helfen kann.“
„Wir vermuten schon seit Generationen, dass andere Elfenstämme existieren, da unsere Geschichte jedoch verloren ging, gibt es keinerlei Erinnerungen daran.“ Kalerms Stimme klang ruhig. „Vielleicht ist es an der Zeit, mit den alten Lebensweisen und den Traditionen zu brechen.“
„Welche Traditionen?“ Fest schlossen sich Kolams Finger, unter dem Tisch, um meine, als Althai eintrat. Sie gehörte zu den ältesten des Stammes. Mit ihren über zweitausend Regenzeiten hatte sie viel gesehen und erlebt und trotzdem wirkte sie nicht viel älter, als all die anderen Elfen des Stammes. Vielleicht zeichneten sich ein paar mehr Lachfältchen um ihre Augen ab, aber ansonsten bewegte sie sich genauso anmutig und elegant. Heute trug sie ein Kleid, das aus lauter bunten Stoffflecken zusammengenäht war. Sie liebte es aufzufallen. Für Nari war es sicherlich eine Herausforderung für sie zu nähen. In der Hand hielt unsere Heilkundige ein kleines Ledersäckchen.
„Guten Morgen“, grüße sie strahlend, wie der neue Morgen, ehe sie den Beutel vor mir ablegte. „Mit heißem Wasser aufgießen, eine Weile ziehen lassen und einen Becher von dem Sud trinken. Dann dürften deine Kopfschmerzen ganz schnell weggehen. Trink ruhig mehr davon, wenn du das Gefühl hast, das es zwar besser geworden ist, aber die Schmerzen noch nicht vollständig verschwunden sind.“
„Ich danke dir.“ Ich griff nach dem Säckchen und öffnete es. Die getrockneten Ingredienzien rochen irgendwie bitter, mit einer fruchtigen Note. Gerade, als ich mich erheben wollte, um vor der Hütte einen Topf mit Wasser auf einem Feuer zu erhitzen, hielt Althai mich zurück.
„Das Wasser wird gleich heiß sein.“ Mit diesen Worten nickte sie uns zu und verließ mit einem leise raschelnden Kleid die Hütte.
„Ich hol es dir“, bot Kolam an und verschwand. Ihm lag auch daran, dass ich die Kopfschmerzen los wurde, da auch er sie fühlte.
„Kalia, wie sicher bist du dir, das es ein Traum war?“
„Gar nicht sicher, Taira.“ Noch immer sah ich die Qual in den grünen Augen des fremden Elf.
„Vielleicht sind es seherische Fähigkeiten? Was bedeuten könnte, dass dies schon geschehen ist oder erst noch geschieht.“
„Es war grausam“, schluckte ich, bemüht nicht gleich wieder in Tränen auszubrechen. Die Bilder, die Angst, die Qual, dies alles war tief in mich eingebrannt, dazu kam das stechende Hämmern hinter meiner Stirn.
„Wir wissen nicht, was es war“, brachte Kalerm sich in das Gespräch ein. „Und unter diesen Umständen, kann ich es nicht gutheißen, dass ihr das Dorf verlasst.“
„Darüber können wir später reden, Vater!“, unterbrach Kolam den Gefährten seiner Mutter. In den Händen hielt er einen Krug. Er nahm das Säckchen an sich und kippte den gesamten Inhalt, ohne vorher darüber nachzudenken, in das heiße Wasser. Mit einem Holzlöffel rührte er kräftig um. „Du hast noch nicht auf meine Frage von vorhin geantwortet.“
„Ach ja, die Traditionen. Seit Generationen teilt der Anführer mit seinen Nachkommen alle Erinnerungen und Erfahrungen. In unserem Fall, werde ich einmal alles was ich weiß, mit dir teilen.“ Wie bei Kolam, wenn dieser angeregt nachdachte, bildete sich eine steile Falte zwischen Kalerms Augen, als er meinen fragenden Blick bemerkte.
„Lass es mich dir so erklären, Kalia. Als Kolams Magie, sich mit deiner verband, konntest du einen Blick auf die Erinnerungen meines Sohnes erhaschen. Nur flüchtige Momente, Ausschnitte aus seinem Leben.“
„Ja“, bestätigte ich leise, bemüht meinen Gedanken zu folgen. „Aber es ging alles viel zu schnell. Ich habe nicht wirklich etwas erkennen können.“ Wieder griffen Kolams Finger beruhigend nach meinen, nachdem er sich auf den freien Hocker neben mir setzte.
„So weit, so gut. Mehr wirst du nicht erfahren, außer Kolam möchte bestimmte Erinnerungen mit dir teilen, aber selbst dann, werden es nur Bruchstücke sein, denn wie es mit Erfahrungen so ist, verblassen sie im Laufe des Lebens. Oder erinnerst du dich noch ganz genau an alles aus deinen Kindertagen?“
„Nicht wirklich“, antwortete ich ehrlich und begann mit den Fingern der rechten Hand meine Schläfen zu massieren.
„Lass mich überlegen. Du bist als kleines Kind, wie alt warst du damals, sieben, vielleicht acht Regenzeiten alt, von einer Palme gefallen. An was genau erinnerst du dich?“
Was auch immer Kalerm mit der Frage bezweckte. Es schien ihm wichtig zu sein, also dachte ich zurück. Mein Vater saß oben auf einer Palme, war über selbst angebrachte Tritte bis ganz hinauf geklettert, um den Saft, der austrat, wenn er eines der Blätter anschnitt, mit einem Krug aufzufangen. Ich wollte ihm damals dabei helfen, denn das süße, klebrige Zeug, das entstand, wenn Elmor den Saft durch mehre Laken Stoff filterte und danach lange einkochte, war einfach nur lecker. Für meinen Vater befanden sich die angebrachten Tritte genau im richtigen Abstand, aber nicht für mich. Beinah schon ganz oben bei den Wedeln angekommen, verlor ich den Halt und stürzte zu Boden.
So weit reichten meine Erinnerungen noch. Ich konnte jedoch weder sagen, was ich an dem Tag an hatte oder mein Vater. Ich wusste nur noch, dass ich böse Schmerzen im Knöchel verspürte, da ich mir einen der kleinen Fußknochen brach. Fühlen konnte ich die Schmerzen heute allerdings nicht mehr. Ich erinnerte mich auch nicht mehr, was nach meinem Sturz geschah, wer als erstes bei mir war, wer mich zu Althai brachte. Ich zuckte mit den Schultern und schilderte, was mir eben durch den Kopf ging.
„Was hast du getan, bevor du an der Palme hochklettertest? Was hast du die Sonnen danach getan?“ Während Kalerm mir all die Fragen stellte, goss Kolam mir etwas von dem Sud in den Becher, den ich beinah vollständig leerte.
Ich konnte nur mit dem Kopf schütteln, da ich tatsächlich keinerlei Erinnerungen mehr an die Sonnen davor oder danach besaß.
„Man behält schöne Erlebnisse. Man verdrängt das Schreckliche und Banales vergisst man einfach. Erinnerungen können täuschen, weil man sie verändert, sei es, um nicht zu leiden und einen Vorfall positiver zu verarbeiten.“
„Was willst du uns eigentlich sagen, Vater?“, erinnerte Kolam, der meinen Schmerz das ganze Gespräch über schon spürte und merkte, wie sehr ich mich quälte, wie schwer es mir fiel aufmerksam zu folgen.
„Wir sind die Hüter, Kolam!“
„Die Hüter von was?“
„Der Geschichte der Schattenwaldelfen...“
Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet und auch nicht Kolam. Ich sah es ihm nicht nur an, ich fühlte sein Überraschung, als er sich der Tragweite dieser Worte bewusst wurde.
„Bevor ein Anführer von uns geht, teilt er sein Leben mit seinem Sohn. Nur wir sind in der Lage, jedes Erlebnis und jede Erfahrung zu speichern. Wir vergessen nichts. Wir können die Erinnerungen jederzeit abrufen. Dies ist ein Teil unserer Magie. In mir leben die Erinnerungen und Erfahrungen von fünf Anführern und wenn ich mich irgendwann in ferner Zukunft mit dir vereine, mein Sohn, dann wirst du das Leben von sechs Anführern in dir tragen und hüten. Du wirst auf alles zugreifen können, wissen, was du tun musst, wenn es notwendig ist, Entscheidungen für den Stamm zu treffen.“
Unstet irrte mein Blick durch den Raum. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, flirrten durch die Luft und ließen mich zwinkern.
„Du wirst alles wissen. Einige Sonnen lang wirst du davon träumen, nicht mehr wirklich Herr deiner Sinne sein, bis du die Erinnerungen, die Gefühle und die fremden Gedanken, von deinen eigenen trennen kannst. Es wird wie ein Sturm über dich hereinbrechen, unsortiert, ein Wirrwarr an Erfahrungen, aber du wirst dies schaffen, so wie ich, mein Vater, mein Großvater und alle davor.“
Ich spürte die Unruhe in Kolam, nur ganz kurz, denn er verschloss sich vor mir, nicht weil er es wollte, sondern um mich nicht noch mehr zu quälen.
„Wieso nur fünf Anführer?“
„Weil mein Ururururgroßvater nicht mehr dazu gekommen ist sich mit seinem Sohn zu verbinden. Etwas schlimmes muss damals geschehen sein. Wir wissen nicht was. Diese Erinnerungen sind auf ewig verloren. Es lebt niemand mehr aus dieser Zeit. Althai war damals noch ein ganz kleines Mädchen. Alles, was sie noch weiß, ist, dass sich damals eine Krankheit ausbreitete. Die Erwachsenen starben, nur die Kinder und die jüngeren überlebten...“
Immer unerträglicher wurde das Hämmern in meinem Kopf, dazu kam nun auch noch ein eingeschränktes Sichtfeld. Es war, als würde ich durch ein Loch schauen, nahm nur noch Ausschnitte wahr. Ich fühlte mich kaum noch in der Lage, dem Gespräch zu folgen. Trotzdem blieb ich tapfer sitzen, um meine Neugierde zu befriedigen.
„Althais Erinnerungen sind getrübt. Sie ist aber fest davon überzeugt, dass sie damals vom Dorf aus, in die andere Richtung gehen musste, in Richtung Sonnenaufgang, um zum Fluss zu gelangen.“
„Wir gehen Richtung Sonnenuntergang“, murmelte Kolam bestätigend.
„Unser Volk muss damals auf der anderen Seite der „Mutter aller Wasser“ gelebt haben. Anscheinend haben sie sich über das Wasser gerettet. Deshalb gibt es die alte Regel, dass niemand den Fluss überqueren darf. Wir wissen nicht, was dort im Nachtschattenwald auf uns lauert.“
Sacht rieb ich mir noch immer die Schläfen und die Stirn, schloss ab und zu die Augen, da mir die Helligkeit, die in den Wohnraum fiel, weh tat. Das Licht schien meinen Kopfschmerz sogar zu verstärken und auch Kolams und Kalerms Stimmen, taten mir nicht wirklich gut, dazu kam ein unglaubliches flaues Gefühl im Magen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass der Boden unter mir schwankte und sich die Hütte um mich drehte.
„Kolam, mir ist...“

Als ich wieder zu mir kam, wusste ich nicht, was geschehen war. Ich lag auf den Holzbohlen, fühlte mich erschlagen und spürte warme Hände an meinen kühlen Oberarmen.
„Ich helf dir auf!“
Was war das? Ich fühlte Nässe in meinem Gesicht, in meinen Haaren, auf meiner Kleidung. Es fühlte sich klebrig an, krümelig, irgendwie eklig und dann roch ich es - Erbrochenes. Nur ganz langsam verstand ich, was geschehen war. Noch immer hämmerte es unaufhörlich in meinem Kopf. Noch immer drehten sich die Wände der Hütte um mich. Meine Knie waren weich. Ich zitterte am ganzen Leib und hatte unglaubliche Mühe, mich auf den Beinen zu halten, als Kolam mir aufhalf und mich auf den Hocker setzte.
„Wie geht es dir?“, erkundigte er sich leise und verband sich dabei mit mir. Ich spürte die Sorge in ihm, fühlte die Reste der Angst, die er durchlebte, während ich ohnmächtig auf dem Boden lag.
Nur am Rande nahm ich wahr, wie Taira mich, die Stirn runzelnd, betrachtete.
„Nicht gut“, antwortete ich mit einem bitteren Geschmack im Mund. „Es tut mir leid!“ Verwirrt, da ich nicht verstand, was eben geschehen war, sah ich mich um. Auf dem Boden verteilte sich mein Mageninhalt, auch auf der Tischplatte und auf Kolams Hose. Tränen stiegen in mir auf.
„Nein, Kleines, das muss es nicht.“ Fest schaute mir Taira in die Augen. „Kalerm holt schon Wasser. Dann wäschst du dich und ziehst dir was frisches an.“
„Ich helf dir dabei“, erkläre Kolam, der sehr genau fühlte, welche Gedanken gerade in mir tobten.
„Setz dich!“ Sacht drückte er mich auf einen Hocker, während Taira eine neue Hose für ihnen Sohn holte und für mich eines seiner Hemden.
„Ich lass euch alleine und gehe zu deinen Eltern. Sie sollten erfahren, was geschehen ist.“ An meinen Gefährten gewandt sagte sie: „Gib mir Bescheid, wenn wir wiederkommen dürfen.“
Aufmunternd lächelte sie mich an. „Das wird wieder.“
„Es tut mir so leid“, wiederholte ich, ehe ich meinen Tränen freien lauf ließ.
Sacht verband sich Kolam mit mir, machte mir Mut und zeigte mir, dass niemand auf mich böse war und das ich mir keine Gedanken darüber machen sollte. Er half mir aus den verdreckten Kleidern und wusch meinen zitternden Körper, indem er mit einer großen Kelle, dass frische Nass über meinem Körper verteilte. Die Kälte tat mir gut und nachdem das Wasser fast aufgebraucht war, meine Haare nass, aber sauber waren, schien nichts mehr daran zu erinnern, dass ich noch vor einigen Momenten auf dem Boden gelegen hatte. Mit einem Tuch trocknete er mich sanft ab, ehe er mir in sein Hemd half und mich zurück zum Schlaflager begleitete. Mit einem Kuss auf die Stirn deckte er mich zu. Es waren keine Worte nötig. Die ganze Zeit über waren wir in unserer Magie Eins.
**Ruh dich aus und versuch zu schlafen. Ich pass auf dich auf**, teilte er mir in Gedanken mit. **Ich bin vorn.**
Seine Magie gab mich frei, als er sein privates Reich verließ. Er zog den Vorhang nicht zu und so konnte ich beobachten, wie er den Boden wischte. Nicht gerade hilfreich für mein schlechtes Gewissen. Ich machte ihm nur Arbeit. Über meine aufgewühlten Gedanken und dem Grübeln, was mit mir geschehen war, schlief ich ein.

7. Aufbruchstimmung

Die nächsten Tage verbrachte ich ruhig, ohne Träume, ohne Kopfschmerzen und ohne Übelkeit. Jeden Abend saßen wir zusammen - Kolam mit seinen Eltern und ich mit den meinen. Ab und zu gesellten sich Otar und Althai zu uns. Es gab so viel zu besprechen, was Kolams und meine Reise betraf.
Meine Ohnmacht schien kein Thema mehr zu sein. Niemand sprach darüber, mit einigen Ausnahmen, Kolam, Althai und ich versuchten gemeinsam den Auslöser herauszufinden und kamen gemeinsam zu dem Ergebnis, dass mein Traum oder die Erinnerung von den fremden Elfen, eine Art Kettenreaktion bei mir ausgelöst hatte. Da ich aber nicht mehr an dem Leben mir fremder Elfen teilnahm und es mir körperlich gut ging, schien unsere Abreise nichts im Wege zu stehen.
Gemeinsam überlegten wir, was wir auf unserer Reise alles benötigten, nicht nur Kleidung und Nahrung, nein, zu unserem Reisegepäck würden auch diverse Kräuter von Althai gehören, verschiedenste Werkzeuge und Waffen und so bekam ich von Otar einen Schnellkurs in Pfeil- und Bogenschießen. Dafür fertigte Sojor extra einen kleineren, an meine Größe angepassten Bogen, da ich mit den großen Bögen der Jäger nicht zurechtkam, diese nicht mal spannen konnte und Sojor reichte mir einen Köcher mit neuen Pfeilen, die zu meinem Bogen passten. Kalerm unterrichtete mich im einfachen Messerkampf und brachte mit die Grundlagen im Stockkampf, mit einem Langstab, bei. Ich lernte, was ihrer Meinung nach von Nöten und in so kurzer Zeit möglich war. Ich begleitete Althai in den Nachtschattenwald, erfuhr, welche der unscheinbaren Pflanzen essbar, aber auch, welche giftig waren oder als Heilpflanze nützlich sein konnten. Wissbegierig begleitete ich die Jäger auf die Jagd, nicht auf die Jagd nach Gelbstreifen, aber auf die Jagd nach Kleinwild und Vögeln. Ab und zu befand sich Kolam an meiner Seite, für den all die neuen Erfahrungen, die ich machte, nichts neues waren, da er, als Sohn des Anführers, schon von klein auf, von allen Elfen im Dorf unterrichtet wurde. Er konnte Garn spinnen, genauso wie Fährten lesen oder einfach nur ein paar Pflanzen hegen. Dies war wichtig, damit er irgendwann in ferner Zukunft, wie sein Vater für alle Mitglieder seines Volkes als Ratgeber zur Verfügung stehen konnte.
Für mich jedoch war dies alles Neuland, welches ich nur zu gern betrat. Ich lernte wie man einfach Fallen stellte, wie man eine unkomplizierte, aber sichere Unterkunft errichtete und wie man Tiere häutete und schlachtete, damit genügend Nahrung zur Verfügung stand und nachdem ich mein erstes Gackerbein töten musste, wusste ich, dass dies nie eine Aufgabe für mich sein konnte. Tiere erlegen und schlachten, würde ich Kolam überlassen müssen, da es mir dabei fast das Herz zerriss. Ich lernte so viel innerhalb kürzester Zeit, dass es mir schwerfiel, wirklich alles zu behalten, aber ich verspürte eine unbekannte Freude dabei. Endlich hatte ich das Gefühl, für etwas gebraucht zu werden.
Die trockenen Tage mit viel Sonnenschein und Hitze rannen nur so dahin. Bald würde der lange, starke Regen einsetzen, den wir noch abwarten würden, um danach in unbekannte Gebiete aufzubrechen.
Mit Rat und Tat standen uns die Schattenwaldelfen zur Verfügung. Sie waren neugierig, aber auch erpicht darauf, uns ihre kleinen Tricks und Kniffe zu zeigen. Sie wünschten uns Glück und viel Erfolg und hofften darauf, dass wir irgendwann, in hoffentlich nicht allzu ferner Zeit mit neuen Freunden zurückkehrten. Einzig Degen hielt sich von uns fern. Er ging uns regelrecht aus dem Weg, nahm an keiner der Lehrstunden teil und verzog sich entweder an den Fluss, in den Wald oder in die Hütte seiner Mutter. Ich wusste nicht, ob er sich darüber freute, dass ich das Dorf verlassen oder ob er traurig darüber war, das er seinen Magiegefährten verlieren würde. Meine Versuche mit ihm ins Gespräch zu kommen, waren allesamt gescheitert und auch Kolam schien nur minderen Erfolg zu erzielen.
Wenn ich spät am Abend müde und voller neuer Erkenntnisse an die Seite meines Gefährten kroch, versuchte ich zu erfahren, wie er sich fühlte, was er dachte, aber der Teil in ihm, der alleine Degen gehörte, blieb wie immer für mich versperrt. Kolams Innerstes war nicht vollständig für mich einsehbar, was ich akzeptierte, da ich davon ausging, dass er den Teil, der mir gehörte, genauso vor Degen verbarg. Noch immer verschloss sich Kalerms Sohn regelmäßig vor mir, was mir in bestimmten Situationen nicht gefiel. Manchmal wäre ich froh gewesen, meinen Partner zu spüren, um mit ihm kleine Erfolge zu teilen und so übte ich tagein, tagaus, ihn aus meinem Inneren zu verdrängen. Es wollte mir einfach nicht gelingen, egal, wie sehr ich es versuchte. Da die letzten Tage für mich voller neuer Erfahrungen, aber auch mit viel Unmut, wenn ich etwas nicht sofort hinbekam, gefüllt waren und ich mir regelmäßig wehtat, war es eigentlich kein Wunder, dass Kolam mich immer häufiger verbannte. Für ihn kam es einer Folter gleich, meine Gedanken, meine Gefühle und meinen körperlichen Zustand, seien es meine Müdigkeit, Muskelschmerzen, von mir ungewohnten Bewegungen, meinen Durst oder Hunger, ständig und überall mitzuerleben. Er spürte meine Schmerzen, genauso körperlich wie ich, wenn ich mal wieder nicht vorsichtig genug war und mich am Messer schnitt oder irgendwo stieß.
Versuchsweise hatte er mich für einen Tag lang an seinem Leben teilhaben lassen und schon, als die Sonne ihren höchsten Stand erreichte, fühlte ich mich kaum noch in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Es gab nur noch ihn in mir. Beinah schien es, als hätte ich mich selbst verloren. So sehr ich Kolam auch liebte und wissen wollte, wie es ihm ging und was er tat, war ich doch erleichtert, als ich am Abend, wieder nur ich selbst sein durfte.
Sein Magie half mir aber auch dabei mehr zu lernen und zu erfassen, da er seine Erfahrungen einfach mit mir teilen konnte, wenn ich mal wieder vergaß, welche Heilpflanze im Nachtschattenwald vor mir wuchs. Jederzeit durfte ich auf sein Wissen zurückgreifen und mein Gefährte wusste wirklich viel.

***

Dunkelheit hüllte mich ein. Im ersten Augenblick wusste ich nicht, was mich erwachen ließ, bis ich die Lautstärke, die in dem kleinen, sonst um diese frühe Zeit des Tages, noch verschlafenen Dorf, selten herrschte, vernahm. Neugierig erhob ich mich, bewegte mich dabei so lautlos und vorsichtig wie möglich, da ich Kolam, der neben mir tief und fest schlief, nicht wecken wollte. Auf Zehenspitzen verließ ich unseren Schlafraum, näherte mich dem Fenster und schob den Stoff ein kleines Stück zur Seite, damit ich hinausschauen konnte.
Wie es aussah, hatten sich alle Schattenwaldelfen auf dem Festplatz versammelt. Vor ihnen stand Kalerm, der anscheinend in Gedanken zu ihnen sprach, denn einige nickten zustimmend. Nur zu gern hätte ich erfahren, was Kolams Vater seinem Stamm mitteilte.
**Kalia!**
Da war sie wieder die unwahrscheinliche Wärme und Liebe meines Gefährten in mir. Er hüllte mich ein und forderte stumm, nur durch seine Empfindungen auf, wieder zu ihm zurückzukommen. Ein Schauer rann mir durch den Leib, als ich sein Verlangen nach mir spürte. Nur zu gern wandte ich meine Aufmerksamkeit daher wieder auf ihn.
Auf der Seite liegend, sah er mich auffordernd an, dabei ließ er mich ganz deutlich spüren, wonach ihm gerade der Sinn stand. Ich konnte nicht anders, seine Lust wurde zu der meinen und so kroch ich an seine Seite und begab mich in sein fordernde Umarmung.
Noch immer hüllte uns die gemeinsamen Gefühle der Vereinigung ein. Kolams Verlangen, schien wie mein Verlangen erst mal gestillt zu sein. Zumindest für die nächste Weile sollte es uns nicht mehr quälen.
Heute war es also soweit - die letzte Sonne im Kreise unserer Familien und des Stammes. Der letzte Tag im Dorf brach an. Morgen früh würden wir aufbrechen, um nach meiner Herkunft, meinen Eltern und meinem Stamm zu suchen.
Ein wenig Wehmut breitete sich in mir aus. Unvorstellbar, dass ich diesen Ort meiner Kindheit, meine Eltern, Ouni, Kolams Eltern und die Schattenwaldelfen für eine lange und unbekannte Zeit nicht wiedersehen würde. War ich wirklich bereit für einen Abschied? Ja, darauf hatte ich mich eine Trockenperiode und eine Regenzeit intensiv vorbereitet.
„Lass uns an den Fluss gehen!“, bat Kolam, während er mich sanft küsste. „Hier stören wir nur.“
„Bereiten sie ein Fest vor?“, erkundigte ich mich genauso leise.
„Ja, unser Abschiedsfest.“ Mit diesen Worten, als wäre ein Abschied das natürlichste in diesem Stamm, löste Kolam sich von mir, erhob sich und griff nach seiner Kleidung, um sich anzuziehen.
Ich benötigte noch einen Moment. Mir fiel es nicht so leicht aufzustehen, nachdem wir uns körperlich vereinten. Ich blieb lieber wundervoll ermattet und befriedigt liegen, um seine Nähe auszukosten und meinen Gedanken nachzuhängen. Heute jedoch war alles anders. Es war kein Tag, an dem ich meinen normalen Aufgaben nachgehen würde und so schlüpfte ich in meine Kleidung.
Ein wunderschöner Morgen erwartete uns, als wir die Hütte von Kolams Eltern verließen und kaum, dass der Vorhang hinter uns zugefallen war, blickten einige anwesenden Elfen von ihrer Arbeit auf. Ich sah meine Eltern, die gemeinsam an unserem Tisch, auf dem eine unzählige Zahl an Blüten ausgebreitet lagen, saßen. In ihren Augen erkannte ich einen Ausdruck, wie ich ihn noch nie bei ihnen sah. Ich las Traurigkeit, aber auch Stolz. Bevor ich jedoch darauf reagieren konnte, fasste Kolam nach meiner Hand und zog mich mit sich, über den Festplatz, hin zu dem Pfad, der auf direktem Weg zur 'Mutter aller Wasser' führte.
Nicht eine kleine Wolke, trübte das strahlende Blau des Himmels. Ungehindert trafen die Strahlen der Sonne auf die Erde und im Laufe des Tages würde es sicherlich wieder drückend heiß werden.
Nach der langen Regenzeit roch der Nachtschattenwald anders, fremd, aber unglaublich angenehm und vor allen Dingen süß. Tief sog ich den Duft in meine Lungen, wollte ihn tief in mir einsperren, um ihn nicht zu vergessen, falls wir unsere Heimat für einige Zeit nicht mehr wiedersehen sollten. Ich atmete das unbeschreiblich würzige Aroma, erfreute mich an den bunten, noch jungen Blüten, die sich überall am Rande des Pfades, der Sonne entgegenstreckten.
Schweigend lief ich neben meinem Gefährten. Zwischen uns waren keine Worte nötig. Tief in uns vereint, nahmen wir still Abschied von der liebgewonnenen Umgebung und teilten gemeinsame Erinnerungen - Erinnerungen an Tschilp und Pünktchen und so manchen Abend, den wir im Kreise der Schattenwaldelfen bei lecker gebratenem Gelbstreifen verbrachten.
„Schau!“ Kolams Finger schlossen sich fest um meine, als er mich zurückhielt und mit dem Kinn vor uns auf den Pfad wies.
Ein Kriechtier lag auf dem schon getrockneten, erdigen Boden und wärmte sich. Zumindest dachte ich das, aber plötzlich schnellte der spitz zulaufenden Kopf nach vorn. Das Kriechtier schlug die Zähne in einen Kleinwühler, der sich eben mit der Nase wackelnd, zwischen dem Grün am Rande des Pfades schob. Ohne Erbarmen spritzte das Kriechtier sein Gift in den kleinen, sich windenden Körper. Der Kampf der beiden so unterschiedlichen Tiere dauerte nicht lange. Das Kriechtier verschlang seine Beute und verschwand danach im Unterholz.
Ich konnte nichts gegen die sich aufstellenden Härchen auf meinen Armen tun. Obwohl ich diesen Vorgang schon so oft beobachten konnte, tat der kleine, niedliche Kleinwühler mir leid.
„Der Lauf der Natur.“ Neben mir zuckte Kolam mit den Schultern. „Und gut für uns, dass das Kriechtier sein Morgenmahl beenden konnte, denn ihr Biss kann auch für uns tödlich sein.“ Mit den Händen rieb er mir sanft über die Oberarme und lächelte mich an, während ich nickte. Ja, es war besser, dass ein Kleinwühler gebissen wurde, als wir.
Langsam gingen wir weiter, dabei dachte ich über das eben Geschehene nach. Nur der Stärkere überlebte in der Natur. Hoffentlich gehörten Kolam und ich, auf unserer Suche, zu den Stärkeren, den Überlegenen.
So, wie ich mir den Geruch einprägen wollte, sollten auch die vertrauten Geräusche ein Teil von mir bleiben - das Rascheln der Blätter im Wind, das Zwitschern der Vögel, die ihr morgendliches Lied sangen und all die anderen Töne der Tiere. Unerwartet drang ein schrilles Pfeifen an mein Ohr. Ich kannte diesen Laut. So verständigten sich die kleinen, sehr scheuen Klettertiere. Für sie bedeutete es Gefahr. Normalerweise stieg die gesamte Horde mit ein, ehe die Traube an Klettertieren in Bewegung geriet und die beweglichen Tiere sich aufgeregt von Baum zu Baum schwangen und verschwanden. Die Unruhe, hoch in den Wipfeln über uns blieb aus, nur das schrille Fiepen blieb.
„Hörst du das?“, erkundigte ich mich leise.
„Ja.“ Stehenbleibend lauschte Kolam.
„Kann ein Gelbstreifen in der Nähe sein?“ An meinem letzten Tag im Nachtschattenwald konnte ich auf eine Begegnung mit den schlauen Jägern verzichten.
„Nein, ich glaube nicht“, murmelte mein Partner. „Sie trauen sich nicht so nah an unser Dorf und ihre Trinkstelle befindet sich ein ganzes Stück weiter Flussabwärts.“
Noch immer erklang das Pfeifen, schriller als zuvor und blieb ohne Antwort der Horde. Bald erklang das Schreien ohne Pause und malträtierte unsere Ohren.
„Lass und nachschauen.“ Anscheinend war das dauerhafte Fiepen Kolam nicht ganz geheuer.
Wir verließen den Pfad, schlugen uns ins Unterholz und folgten dem schrillen Ton. Tautropfen hingen an den Blättern und Blüten, fielen auf uns herab, wenn wir uns unter den Zweigen duckten und diese berührten.
Wieder stoppte Kolam mich, indem er mich an der Hand zurückzog. Seinen geschulten Augen entging nichts. „Schau, da!“
Nur ein paar Schritte hin, lag ein kleines, braunes Fellbündel und schrie aus Leibeskräften. Anscheinend war das noch sehr junge Klettertier von dem Baum gefallen, neben dem wir standen.
Aus ängstlichen, großen, runden, schwarzen Augen schaute der Kleine uns an und mit diesem Blick hatte er im Sturm mein Herz erobert. Mit vorsichtigen, nicht ruckartig ausgeführten Bewegungen, hockte ich mich neben das Klettertier. Vorsichtig, den kleinen, nach mir schnappenden spitzen Zähnen ausweichend, nahm ich es auf den Arm. Unter dem weichen, vom Tau feuchten Fell konnte ich da kleine Herz aufgeregt schlagen fühlen.
„Ich tu dir nichts“, sprach ich auf den Kleinen ein, während Kolams Fingerspitzen, den kleinen vor Angst heftig zitternden Körper, abtasteten.
„Ich suche einen kleinen Ast“, teilte mein Magiegefährte mir mit. „Sein Arm scheint gebrochen zu sein.“
Verängstigt schaute das verletzte Tier mich aus seinen dunklen Augen an. Sein langer Schwanz, mit dem dunkelbraunen Puschel am Ende, schlang sich halt suchend um mein Handgelenk, dann verstummte endlich das herzerweichende Pfeifen. Spürte der Kleine, dass wir ihm nur helfen wollten?
Ich hielt das Klettertier sanft, aber bestimmt fest in meinen Armen, während Kolam den Stock mit Lianenstücken an dem gebrochenen Ärmchen fixierte. „Wenn wir bei der Hütte angekommen sind, können wir Stoff zum Umwickeln benutzen.“
„Pling“, flüsterte ich, als mir der Name durch den Kopf schoss. „Ich werde den Kleinen Pling nennen und gesund pflegen.“
Sacht drückte ich das Klettertier wieder an mich. Es verhielt sich ruhig, schloss sogar die Augen und schmiegte sich so eng an mich, dass ich seine Körperwärme durch mein Hemd fühlen konnte.
„Wir brechen morgen früh ganz zeitig auf“, erinnerte mein Gefährte mich. „Am besten lässt du ihn bei Althai. Sie wird sich gut um ihn kümmern.“
„Der Kleine stört doch nicht“, widersprach ich. Um nichts auf dieser Welt, würde ich den Kleinen wieder hergeben. In mir schrie etwas, er gehört zu dir und du gehörst zu ihm. „Außerdem bekommen wir so unterwegs ein wenig Unterhaltung.“
„Wir sprechen heute Abend noch einmal darüber“, lachte der Elf, dessen Magie mit der meinen vereint war und strich mir zärtlich einige wirre Haarsträhnen aus der Stirn.
Mit der niedlichen Last auf den Armen, erreichten wir, bevor die Sonne ihren höchsten Stand erklomm, die Hütte am Fluss. Ich spürte, dass etwas anders war, konnte aber nicht deutlich genug spüren, was dies sein konnte und hielt Kolam zurück, bevor wir den Weg über die Felsen wagten.
**Was ist?** Er fühlte die Unsicherheit, die sich meiner bemächtigte.
**Ich weiß nicht...** Mein Blick irrte über den Fluss, aber von meinen Standpunkt aus, konnte ich das Pfahlhaus nicht einsehen.
**Ich geh nachschauen.**
Zögernd gab ich Kolams Hand frei. Aufmunternd nickte er mir zu, dann wagte er den ersten Schritt.
Nach den langen, anhaltenden Regenfällen der letzten Sonnen, floss das Wasser der 'Mutter aller Wasser' nicht nur schneller, nein, es stand auch höher als sonst und überspülte hier und dort die Felsen.
Ich erwartete das jeden Moment irgendetwas geschah, aber es blieb ruhig. Ohne Unterbrechung erlangte Kolam das andere Ufer, dann verschwand er aus meinen Blickfeld, als er in den dichten Grün des Waldes untertauchte.
Viel Zeit verging nicht, nur die Dauer, die er benötigte um zur Hütte zu kommen und wieder zurück. **Es ist niemand hier. Du kannst rüber kommen!**
„Ich sehe wohl schon Geister“, murmelte ich in Plings Fell und überquerte mit klopfendem Herzen vorsichtig das Wasser.
Bei der Hütte angekommen, nahm Kolam mir das kleine Fellbündel ab und setzte das erschöpfte Kerlchen auf den Tisch. „Magst du ihm etwas zu Essen suchen? Ich lege ihm so lange einen Verband an. Sieht nicht so aus, als würde er sich großartig wehren oder davonlaufen wollen.“
Ich schaute den Kleinen an, der mit geschlossenen Augen vor uns saß und sich nur mit Mühe aufrecht hielt. Erschöpft, verletzt und ganz alleine, kämpfte das Klettertier gegen die Müdigkeit an. Nickend trat ich zu einem noch jungen Longanbaum, der nur einen Steinwurf entfernt am Ufer wuchs.
Unruhe schien sich in mir breitzumachen. Morgen früh würden wir das Dorf verlassen. Dies war unsere letzte Sonne hier und unsere letzte Nacht. Was würde auf uns warten? Welche Gefahren würden unterwegs auf uns lauern? Würden wir überhaupt irgendwo unterwegs auf andere Elfen treffen? Und falls ja, konnten sie mir bei der Suche nach meinen Eltern behilflich sein? So viele unbeantwortet Fragen, die mich beschäftigten.
Der kleine Baum trug tatsächlich schon erste reife Früchte und während ich einen Fruchtstand erntete, dachte ich zurück, an meine erste Nacht mit Kolam, die wir hier verbrachten. Aber auch mit Degen hatte mein Gefährte hier Zeit verbrachte. Irgendwie tat es mir leid, dass die beiden ehemaligen besten Freunde sich aus dem Weg gingen und so gut wie kein Wort mehr miteinander wechselten. Leise seufzte ich. Heute Abend bot sich die letzte Möglichkeit für die beiden, vielleicht doch noch ins Reine zu kommen. Mein Gefühl sagte mir, dass Kolam nicht ohne ein letztes Gespräch mit Degen von dannen ziehen sollte. Wir wussten nicht, was uns unterwegs alles zustoßen konnte und ich wollte nicht, dass ihre letzten Gedanken aneinander einem Streit galten. Sie mussten sich aussprechen und wenigstens als Freunde auseinandergehen, wenn schon nicht als Gefährten.
Mit zwei Fruchtständen kehrte ich zu Kolam zurück, der eben einen straff gewickelten Stoffstreifen an Plings Arm fixierte. Ich legte die kleinen, runden, süßen Früchte auf die Tischplatte und entfernte an einer der gelblich-braunen Kugel die Schale. Sofort lief der Fruchtsaft an meinen Fingern hinab und tropfte auf den Tisch.
„Probier mal!“, sprach ich den Kleinen an, der mich die ganze Zeit über schon neugierig beobachtet und hielt ihm die süße Frucht hin. Das Klettertier griff nicht mit den langen, schlanken Fingern danach, sondern erhob sich, streckte sich und fraß mir direkt aus den Fingern. Gierig verschlang er das Obst, welches ich ihm reichte. Das letzte Stück jedoch fraß er nicht. Er nahm es mir ab und hielt es mir mit der gesunden Hand und geneigtem Kopf vor den Mund. Verdattert starrte ich Pling an.
„Fütterst du mich, füttere ich dich“, lachte Kolam, der schweigend an unserem Füttermarathon teilgenommen hatte.
„Sei vorsichtig, ich habe eine schnelle Eroberung gemacht“, fiel ich in sein Lachen ein.
„So gefällst du mir besser. Seit deinem Traum, warst du ständig in dir selbst versunken. Beinah hatte ich das Gefühl, dass du dich nur in dein Training gestürzt hast, um zu vergessen.“ Sacht legte sich sein Zeigefinger unter mein Kinn, zwang mich so, zu ihm aufzusehen.
Völlig unvorbereitet tauchten die Bilde wieder vor mir auf, die Qual in den grünen Augen. Mir schauderte. Noch immer wusste ich nicht, was dieser Traum bedeutete. Trotz tagelangem Grübeln war ich auf keine einleuchtende Erklärung gekommen. Hatte sich tatsächlich zugetragen, was ich im Traum sah? Gab es die Elfen tatsächlich und falls ja, lebten sie noch? Waren sie ihren Häschern entkommen? Lebte der Braunhaarige noch oder war er an den grausamen Verletzungen gestorben? Wenn ich doch nur wüsste, wer die beiden fremden Elfen waren? Gehörten sie vielleicht zu meinem Stamm? War der Elf mit den sonnenfarbenen Haaren gar mein Vater oder mein Bruder? Gehörte ich überhaupt zu ihnen? Niemand war in der Lage mir diese, in mir brennenden, Fragen zu beantworten, außer eben die beiden Elfen aus meinem Traum. Wenn wir sie denn fanden.
„Du darfst nicht ständig daran denken, Kalia!“ Kolams tiefe Stimme riss mich aus meinen Grübeleien.
„Ich kann nicht anders“, antwortete ich ausweichend, obwohl ich ganz genau wusste, das es mir nicht gut tat, wenn mich ständig nur mein Traum erfüllte. Irgendwie musste ich mich ablenken, mich auf andere Gedanken bringen und so fragte ich: „Wollen wir schwimmen gehen?“
„Entschuldige! Ich wollte dich nicht schon wieder daran erinnern.“ Sorgenfalten zierten die Stirn des schwarzhaarigen Elf.
Natürlich, er fühlte, was ich fühlte, er konnte mein Gedanken spüren und wusste ganz genau, wie sehr der Traum mich quälte. Mit der Hand winkte ich ab, um ihm zu deuten, dass mit mir alles in Ordnung sei. Mein Blick glitt zu Pling, der den Kopf zwischen Kolam und mir hin- und herdrehte. Verstand der Kleine etwa was wir sagten? Oder spürte er es? Zumindest sorgte das Klettertier dafür, das ich lächelte und die quälenden Erinnerungen für den Moment vergaß, denn es versuchte an mir hochzuklettern, was ihm mit nur einem gesunden Arm nicht leicht fiel. Ich fasste den Kleinen unter und hob ihn auf meine Schultern, wo er es sich gemütlich machte, dann brach ich auf Richtung Wasserfall. **Kommst du mit?**
Schnell befand sich Kolam an meiner Seite. Schweigend lief er neben mir, hüllte mich aber in seiner Magie ein und ließ mich fühlen, wie sehr er sich nach mir verzehrte.
Ein perfekter Tag. Wir zwei allein, strahlender Sonnenschein und ein neuer, kleiner Gefährte, der sich an meinem Haar festhielt. Plings Füße baumelten vor meinen Schultern. Leise pfiff er, offensichtlich glücklich, vor sich hin.
Schon bald vernahm ich das Rauschen des kleinen Wasserfalls, der in dem natürlichen Bassin endete und freute mich auf die bevorstehende Abkühlung. Es würde sicherlich für einige Regenzeiten das letzte Mal sein, dass ich ein Bad in der 'Mutter aller Wasser' nahm. Jeden Augenblick wollte ich auskosten, dass kühle Nass an meiner Haut und die Fischleiber, die mich während dem Schwimmen streifen würden, spüren.
Hinter den nächsten Bäumen befand sich das Becken. Ob ich es wie Kolam tat und einfach hinabsprang, konnte ich nicht sagen. Eigentlich war es auch egal. Ich würde die Stufen nehmen und langsam, Schritt für Schritt in die Kälte hianbgleiten.
Das Brausen vor uns nahm an Lautstärke zu. Die ersten Felsen, die den Rand des natürlichen Bassins bildeten, tauchten vor uns auf und ein einsame Gestalt, die genau an der Stelle saß, von der Kolam immer hinab ins Wasser sprang.
**Degen!** Pfeifend atmete Kolam neben mir ein. Erschrecken, Freude, Sehnsucht, aber auch Angst erfüllten mein Innerstes. Unzählige Gefühle kämpften gerade in Kolam um die Vorherrschaft und er ließ mich daran teilhaben.
Der Jäger schien wie wir auf die Idee eines Bades gekommen zu sein. Nackt saß er in den wärmenden Strahlen der Sonne und ließ seine Haut trocknen. Wirr stand das lockige, noch feuchte Haar in alle erdenklichen Richtungen ab, was ihm einen fröhlichen, beinah, wie bei einem Kind, unschuldig wirkenden Zug verlieh. Mit dem Rücken saß er zu uns, die Knie angezogen, den Kopf darauf abgelegt und die Hände im Nacken gefaltet.
**Willst du mit ihm reden? Alleine?** Auf meine Frage hin, hielt Kolam inne. Er schaute zu seinem besten Freund, zu der anderen Hälfte seiner Magie. Augen, die eben noch vor Glück strahlten, wurden dunkel und blickten sehnsüchtig und verletzt.
**Ich muss mich von ihm verabschieden. Ich kann nicht ohne ein letztes Wort gehen, dafür mag ich ihn zu sehr. Eigentlich wünschte ich mir, dass er uns begleitet.**
Ich fühlte seine innere Zerrissenheit und spürte für einen winzigen Moment sein Verlangen nach Degen. Wie ein Windhauch streifte seine Lust mich, sendete mir einen Schauer über den Rücken, aber dann war dieses Gefühl wieder verschwunden. Kolam schaffte es immer und immer wieder diesen Teil in sich vor mir zu verbergen, aber ich durfte der Angst vor Zurückweisung nachfühlen und dem Wunsch nach magischer Vereinigung und dem Verlangen nach dem Austausch der Gefühle, die sie beherrschten.
**Dann sag ihm das er mitkommen soll. Sag ihm alles, teil alles mit ihm, damit ihr euch nicht im Streit trennen müsst.** Aufmunternd strichen meine Finger über Kolams Brust. Energisch nickte ich meinem Gefährten zu, auch um mir meinen Wunsch noch einmal selbst zu bestätigen, dann schob ich ihn Richtung Degen. **Geh!**
Mit Pling auf der Schulter blieb ich zurück. Mit wirren Gedanken setzte ich mich auf den Boden, nahm Pling auf den Schoß und kraulte, um mich zu beruhigen, das weiche Felle meinen neuen Freundes. Nur zu gern hätte ich an dem Gespräch der Magiegefährten teilgenommen, um zu erfahren, ob sie eine Lösung für ihn Problem und somit Frieden fanden. Kolam jedoch sperrte mich vollständig aus. Nicht mal die kleines Gefühlsregung erreichte mich.

***

Mit klopfendem Herzen und vorsichtig gesetzten Schritten näherte Kolam sich der nackten Gestalt. So verhalten, wie es ihm möglich war, drang er in den Jäger vor und verband sich mit ihm. Degen sollte erfahren, welcher Zwiespalt in ihm herrschte, gefangen zwischen ihrer Freundschaft, dem Wissen um ihre magische Vereinigung und dem Funken Verlangen, der eben wieder ihm aufloderte und der unendlichen Liebe zu Kalia und der Liebe von Degen, die er nicht im Stande war zu erwidern.
**Degen**, sprach er ihn in Gedanken an, sein Innerstes vor Kalia vollständig abgeschirmt. Nur der Jäger sollte ihn fühlen und spüren können. Was auch immer jetzt geschah, es sollte nur für sie beide stattfinden. **Wir müssen reden!**
Neugierde flammte in Degen auf, die einzige Reaktion, die er von dem braunhaarigen Elfen erfuhr. Er fragte nicht erst nach, ob er ihm Gesellschaft leisten durfte, sondern setzte sich einfach neben ihn und schaute ihn von der Seite an. **Kalia und ich verlassen morgen das Dorf.**
Die Hand, die eben einen Stein aufgehoben hatte, um diesen ins Wasser zu werfen, senkte sich wieder, dann richtete Degen seinen Blick auf Kolam, ehe er mit einem Schulterzucken erwiderte: **Ich weiß. Der Stamm findet seit Tagen kein anderes Gesprächsthema. Was hat das mit mir zu tun?**
Endlich, da war die Vielfalt an Emotionen, die Kolam spüren wollte - Wut, Enttäuschung, eine unglaublich tiefe Verletztheit, sogar Hass. Was Kalerms Sohn nicht weiter verwunderte, er hatte es verdient, dass Degen so fühlte. Beinah zwei Jahreszeiten hatte er ihn bewusst ignoriert, ihn allein gelassen und seine Zeit mit Kalia verbracht, aber was hätte er sonst tun können? Unmissverständlich hatte Degen ihm damals erklärt, dass er ihn in Ruhe lassen solle. **Ich möchte, dass du uns begleitest!**
**Wozu?**
Hart und kalt hallte das Wort in Kolam nach, dabei spürte er den Widerstand, den Degen aufbaute. **Weil du ein Teil von mir bist und ich ein Teil von dir. Ich brauche dich, auch wenn Kalia...** Nein, Worte reichten nicht aus. Er ließ Degen an seinem Glück, mit Kalia magisch eins geworden zu sein, teilhaben. **Sie ist genauso ein Teil von mir und ich liebe sie.**
Wie in Zeitlupe hob Degen den Blick, als ihm die Tragweite, der eben geteilten Erinnerungen, bewusst wurde. **Sie auch?**
Kolam blieb nichts weiter übrig, als zu nicken.
**Wieso hast du nie etwas gesagt? Wieso hältst du diesen Teil vor mir geheim?** Wütend und zu tiefst enttäuscht sprang Naris Sohn auf. Bebend, mit zu Fäusten geballten Händen stand er neben seinem Gefährten und funkelte ihn an.
**Ich wollte Kalia für mich allein, sie nicht mit dir teilen, wenigstens sie sollte nur mir gehören, wenn du schon alles andere bekommen hast.** Hilflos zuckte Kolam mit den Schultern, als er Degen spüren ließ, dass er mit ihrer körperlichen Vereinigung noch immer auf Kriegsfuß stand. **Ich hab es nicht nur dir nicht mitgeteilt. Niemand weiß es, außer unseren Eltern.**
** Was ist nur mit uns geschehen? Früher hast du jede Kleinigkeit mit mir geteilt. Nichts blieb zwischen uns geheim und nun bist du ein Fremder für mich.** Mit einer unglaubliche Macht drang Degen in Kolam vor, durchbrach dabei mit Leichtigkeit die Schutzwand, die Kolam um sich errichtet hatte und nahm sich einfach, was er wissen wollte.
Unter der mentalen Wucht zuckte Kolam zusammen, versuchte sich zu schützen und Kalia, so gut es ihm möglich war. Es gab Erinnerungen in ihm, die ihm alleine gehören sollten, aber Degen nahm sie sich einfach. Wie konnte dies sein? Wieso tat er das? Er hatte ihn doch noch nie gezwungen jeden kleinen Winkel, seines Ichs zu öffnen. Es tat weh, als Degen Kolam all die schönen Momente mit Kalia raubte, sie zu seinen Erinnerungen machte. Gepeinigt schrie Kolam in Gedanken: **Hör sofort damit auf!** Es kostete ihn unglaublich viel emotionale Kraft, den Jäger auch nur ein Stück aus sich zu verdrängen. **Du tust mir weh...**
**So, wie du mir!**
Der Sturm verebbte, alles was zurückblieb, war Einsamkeit, Schmerz, unglaublicher Schmerz und ein verletztes Ich und ein gebrochenes Herz. Degen hatte ihn nicht nur beraubt, er hatte ihm auch etwas zurückgegeben, nämlich all das, was er in den letzten Tagen und Nächten fühlte und genau in diesem Augenblick begriff Kolam, was er seinem Gefährten angetan hatte, dadurch das er sich von ihm abwandte und ihn aus seinem Leben sperrte.
**Es tut mir leid**, war alles, was Kolam darauf erwidern konnte.
**Du hast ein Stück von dir wieder aus mir herausgerissen.** Verstört und von seinen Gefühlen übermannt, fuhr Degen sich mit den Fingern durch die braunen Locken. Tief atmete er durch, versuchte so die aufkeimende Wut und den Hass auf Kolam zurückzudrängen. **Noch nie habe ich mich so einsam gefühlt, so...** Er fand keine Worte für seine Empfindungen, daher teilte er sie mit Kolam, der gepeinigt die Augen schloss,
** Du hast einen Teil von mir an dich gerissen und nicht wieder zurückgegeben, als du dich für Kalia entschieden hast.**
**Meine Magie hat sich für Kalia entschieden**, versuchte Kolam sich zu verteidigen.
**Aber davor dein Herz**, brachte Degen es auf den Punkt.
**Welches immer zu einem Teil dir gehörte**, erwiderte Kolam und griff, wie er es früher so oft getan hatte, nah Degens Hand. Erst wirkte es, als würde der Jäger die bekundende Zuneigung zulassen, doch nach einer Weile entzog er Kolam die Finger.
**Du hast mir unmissverständlich klar gemacht, dass ich mich von dir fernhalten soll**, sendete Kolam, der nicht nur alleine in sich die Schuld sah. Natürlich hatte er Degen ein Stück weit von sich geschoben, als er in einen Art Freudentaumel verfiel, zum ersten Mal, weil Kalia seine Gefühle erwiderte und zum zweiten Mal, als ihr Magie sich vereinte. Aber eins hatte er nie gewollt, ohne Degen zu sein, da dieser zu seinem Leben und zu ihm gehörte.
**Wie oft kam ich zu dir, nur um wieder weggestoßen zu werden?**, erinnerte Kolam seinen Freund. **Was hast du erwartete, dass ich jeden Tag aufs neue angekrochen komme, um mich für meine Gefühle für Kalia zu entschuldigen? Ich habe dir von Beginn an klar gemacht, dass ich gerne dein Magiegefährte sein werde, dein Freund, dein Vertrauter, dein Bruder, aber nicht mehr, nicht dein Geliebter.**
Ein Schauer rann dem schwarzhaarigen Elf über den Rücken, denn gerade jetzt spürte er, wie sehr Degens Magie nach ihm schrie. Mit eisernem Willen schob Kolam Degens Verlangen von sich und kämpfte dagegen an, als er spürte, das diese Art der Lust wieder nach ihm zu greifen drohte. **Du wolltest nichts mehr mit mir zu tun haben. Sag mir, Degen, wieso hätte ich dich an meinem Leben teilhaben lassen sollen? Wenn du mir nicht ständig aus dem Weg gegangen wärst und unsere Freundschaft mit Füßen getreten hättest, dann wäre dir Kalias und meine magische Vereinigung nicht entgangen, dann hätte ich diese Glück nur zu gern mit dir geteilt, eben weil du ein Teil von mir bist.** Wieder griffen seine Finger nach Degens. Er wollte in die braunen Augen schauen, während er sendetet: **Bitte begleite uns. Ich mag nicht ohne dich gehen.**
Aufmerksam hatte der noch junge Jäger seinem Gefährten gelauscht. Sie beide begingen Fehler und genau diese Fehler schienen daran schuld zu sein, das die Fronten so verhärtet schienen. Für einen winzigen Augenblick schwankte Degen in seinen Entscheidungen, aber dann traf er seine: **Ich werde nicht mit euch kommen. Ich werde hier bleiben.**
Tief in Kolam zerbrach etwas. Der letzte Funken Hoffnung erlosch. Kalerms Sohn blieb nur eins. So tief wie noch nie zuvor, verband er sich mit Degens Magie. Der Braunhaarige sollte alles erfahren und so ließ er all seinen Wünschen und Gedanken frei, in der Hoffnung seinen Gefährten doch noch umzustimmen. **Degen, ich brauche dich!** Zu seiner eigenen Überraschung schwang über all dem sogar Verlangen mit. Wie lange war es her, das Degen die kräftigen Arme um ihn geschlungen hatte? Er ließ ihre gemeinsame Zeit Revue passieren. Wie wohl hatte er sich gefühlt, wenn sie sich in ihrer Hütte aneinander schmiegten, wenn sie alles teilten. Ja, sogar Degens Hände auf seiner Haut hatten sich wunderbar angefühlt. Kalerms Sohn konnte nicht leugnen, dass er Gefallen an ihren Zärtlichkeiten gefunden hatte. Aber diese Art von Nähe fühlte sich anders an, als die zu Kalia. Sie beruhte alleine auf ihrer verbunden Magie, nicht auf Liebe.
**Kolam, ich liebe dich und gerade, weil ich dich so sehr liebe, kann ich nicht mitkommen.** Sacht unterbrach Degen ihre Verbindung. Es schmerzte ihn viel zu sehr, an all die Nächte erinnert zu werden, die er mit Kolam hatte verbringen durfte. **Ich würde daran zerbrechen, wenn ich dich ständig mit Kalia zusammen sehen müsste.** Es fiel ihm nicht leicht, seinen Magiegefährten wieder einmal zu verletzten, aber er musste sich selbst schützen. **Zu wissen, dass du bei ihr liegst und nicht bei mir... Es vielleicht sehen zu müssen... Nur zweite Wahl zu sein. Nein, das ist es nicht, was ich möchte. Ich würde darunter leiden.**
Trotzig erwiderte Kolam, als ihn die Abneigung traf: **Wenn wir blieben, würdest du uns auch sehen.**
**Aber ihr bleibt nicht, außerdem kann ich euch hier aus dem Weg gehen, wie ich es seit zwei Jahreszeiten schon tue.**
**Aber...** Kolam sah nur noch eine Möglichkeit und hoffte, dass er Kalias Senden vorhin richtig gedeutet hatte. **Kalia hat nichts dagegen, wenn wir uns sehen, wenn wir Zeit miteinander verbringen.** Ein letzte Mal ließ er Degen an seinen Gefühlen teilhaben. Er ließ ihn spüren, wie sehr er sich nach dessen Magie sehnte und nicht nur danach, sondern auch nach seinem Körper. Er beschwor ihre erste Nacht nach der Vereinigung herauf und all die Regungen seines Körpers, als Degen ihn berührte.
**Nicht so, Kolam!** Mit einem kurzen, kraftvollen, energischen Senden, verschloss Naris Sohn sich. **Mein Entschluss steht fest. Ich bleibe.**
Ausgesperrt und alleine in den Bildern gefangen, die an seinem inneren Auge vorbeizogen, blieb Kolam zurück. Er konnte Degens Schutzwall nicht zerbrechen. Alles schien gesagt zu sein, denn sein Gefährte erhob sich, griff nach seinen Sachen und entfernte sich, ohne ein letztes Wort, ohne einen weiteren Blick.

Nichts, aber auch wirklich gar nichts an Gefühlen erreichte mich. Kolam hatte sich vollkommen vor mir verschlossen, was ich akzeptierte. Was auch immer zwischen den beiden Freunden, die am Rande des Bassins saßen, geschah, sollte unter ihnen bleiben. Dies war ihr Moment und entweder kam wieder alles in Ordnung oder sie blieben zerstritten. Es gab nicht dazwischen, ja oder nein, kein Vielleicht, denn ein Vielleicht würde mein Partner niemals akzeptieren.
Ich wusste nicht so recht, was ich mir wünschen sollte, dass alles so blieb, wie es war? Zumindest müsste ich Kolam dann nicht teilen. Er würde weiterhin nur für mich da sein, aber unter der Trennung von Degen leiden. Oder sollten die Freunde aus Kindertagen sich wieder zusammenraufen? Was für mich hieß, dass ich damit leben müsste, dass es einen anderen in Kolams Leben geben, mit dem er alles, also wirklich alles teilen würde.
Egal, was bei ihrer Aussprach, die sehr emotional auf mich wirkte, wenn ich mir die Reaktionen betrachtete, herauskam. Ich würde es akzeptieren und versuchen das Beste aus unser aller Leben zu machen. Immerhin wollte ich nur eins: Kolam glücklich sehen. Glücklich wirkten im Moment aber weder Kolam, noch Degen. Ein Blick in ihre Augen zeigte deutlich, wie sehr sich sich quälten. Ich las in ihnen Traurigkeit,Verletztheit und sogar Vorwurf. Ob sie sich tatsächlich alles mitteilten, was sie beschäftigte? Ich hoffte es, denn nur wenn sie sich selbst und dem anderen gegenüber offenbarten, gab es eine Chance auf einen Neuanfang. Dazu mussten aber beide bereit sein. An Kolam zweifelte ich da nicht, aber an Degen. Ich war mir nicht sicher, ob dieser nicht lieber an seiner Einzelkämpferphilosophie festhielt.
Gefühlt fanden die beiden gemeinsam in sich versunkenen Elfen kein Ende und obwohl ich mir die Zeit mit Pling vertrieb, spürte ich, wie die Ungeduld in mir wuchs. Ich wollte endlich das Ergebnis ihres Gesprächs erfahren.
Letztendlich war es Degen, der mir mit seinem Handeln eine Antwort lieferte, indem er sich erhob und den Platz verließ, ohne sich dabei noch einmal nach meinem Gefährten umzuschauen, der sich fassungslos die Kleider vom Leib riss und mit einem Satz in das Wasser sprang.
Aus, vorbei, schoss es mir durch den Kopf. Für ein gemeinsames Ich von Degen und Kolam gab es keine Zukunft. Ich blickte zu Degen, der mit fest aufeinander gebissenen Zähnen und ohne ein Wort an mir vorbeilief. Zeichneten sich Spuren von Tränen auf seinen Wangen ab oder waren es nur Wassertropfen, die aus seinem noch feuchten Haar rannen?
„Degen?“, sprach ich ihn an, doch er schüttelte nur den Kopf und lief weiter. Er wollte nicht reden.
**Kalia!?** Unglaubliche Verzweiflung hüllte mich ein. Fest packte ich Pling, der protestierend aufschrie und eilte zu dem Felsvorsprung am Rande des Wasserbeckens. Mit fliegenden Händen entkleidete ich mich, warf meine Sachen zu Kolams und wisperte meinem Klettertier zu: „Schön auf alles aufpassen!“, danach nahm ich all meinen Mut zusammen und sprang meinem Partner hinterher, nicht wie er mit dem Kopf voran, sondern mit den Füßen.
Tief sank ich hinab, spürte wie das Wasser über mir zusammenschlug und schwamm mit kräftigen Schwimmzügen an die Oberfläche. Prustend atmete ich ein, warf mein Haar zurück und wischte mir Wasser aus dem Gesicht. Suchend ließ ich den Blick über die Wasseroberfläche gleiten. Wo befand sich Kolam? Ich konnte ihn zwar in mir fühlen, aber nicht erblicken. Das gab es doch gar nicht. Er konnte doch nicht einfach verschwinden.
„Kolam!“, rief ich, ohne eine Antwort zu erhalten. Langsam schwamm ich Kreise, suchte die Felsen um mich herum ab. Vielleicht war er ja irgendwo an Land gegangen.
**Kolam!**, versuchte ich es nun in Gedanken, da mich sein aufgewühltes Inneres noch immer gefangen hielt.
**Hinter dem Wasserfall.**
Wie kam er denn dahin und was befand sich dort? Nur wenn ich mich auf den Weg machte, würde ich es erfahren. Ich kraulte los, hielt vor den herabstürzenden Wassermassen aber inne und trat auf der Stelle. Dort sollte ich hindurch? Ich fühlt die Unruhe des Wassers um mich herum, die Strudel die sich bildeten und den Sog, der an mir zerrte. Ich musste all meinen Mut zusammennehmen, um langsam wieder los zu schwimmen. Ich spürte das Prasseln auf meinem Kopf und meinen Schultern. Mit angehaltenem Atem kämpft ich mich weiter vorwärts, bis der Wasserfall hinter mir lag, dann erst öffnete ich die Augen wieder.
Diffuse Dunkelheit hüllte mich ein. Nur noch wenig Tageslicht brach sich in dem Schleier, des herabfallenden Wassers. Neugierig schaute ich mich um. Nur ein paar Schwimmzüge vor mir, ballte sich die Finsternis. Ich schwamm noch ein paar Züge, bis ich plötzlich mit den Knien auf festen, scharfkantigen Boden stieß. Ich verbiss mir den Fluch, der mir auf der Zunge lag, versuchte auf dem unebenen Boden mit den Füßen Halt zu finden und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Irgendwann fühlte der Fels sich glatter an und ich verließ das Wasser. Feuchte, kalte Luft hüllte mich ein. Ein Schauer rann mir über die Haut, sorgte dafür das sich die kleinen Härchen aufrichteten. Um mich zu wärmen, zog ich die Schultern nach vor und rieb mir die Oberarme.
Neugierig schaute ich mich um und blieb fasziniert stehen. Das, was ich sah, raubte mir den Atem.
Überall hingen Zapfen aus Stein von der Decke, unterschiedlich lang und dick. Einige dieser Gebilde reichten bis zum Boden, bildeten so zierliche Säulen und auch von dem nassen Untergrund schienen Zapfen nach oben zu wachsen, nicht so spitz und filigran wie die von der Decke hingen, eher rund und breit. Schade, dass ich in der Dunkelheit nicht mehr erkennen konnte.
„Kolam!“, rief ich verhalten, da ich meinen Gefährten in der näheren Umgebung nicht ausfindig machen konnte. Hell klang meine Stimme, fing sich an den Wänden und wurde mehrfach gebrochen an mich zurückgeschickt, was klang wie ein: „Lam, lam, lam...“
„Ich bin hier“, erhielt ich Antwort aus der Tiefe der Finsternis.
Vorsichtig tastete ich mich vorwärts, doch nach einigen zaghaft gesetzten Schritten, war es mir nicht mal mehr möglich, die Hand vor Augen zu erkennen. Mir wurde ganz eigentümlich. Aufgeregt schlug mein Herz, dumpf fühlte es sich an, als würde jemand meine Brust zusammendrücken. In meinen Ohren rauschte es leise. Ich schien meinen Sinnen nicht mehr vertrauen zu können und so stieg ganz allmählich Angst in mir auf.
„Wo bist du?“, rief ich wieder, diesmal eine Spur lauter, da ich diesen kalten, dunklen, nicht gerade einladenden Ort verlassen wollte.
Unerwartet fühlte ich etwas kaltes an meiner Taille. Erschrocken schrie ich leise auf, da ich nichts, rein gar nichts erkannte und nicht wusste, was mich berührte. Panik griff nach mir und gerade als ich um mich schlagen wollte, um das kalte Etwas an meiner Haut zu entfernen, vernahm ich Kolams tiefe Stimme: „Ich bin es.“
Fest zog er mich an sich. Sein Körper, ausgekühlt und feucht drängte sich an den meinen. Erleichtert atmete ich auf. Es waren nur seine Finger an meiner Taille gewesen.
„Können wir gehen? Mir ist kalt, außerdem kann ich nichts sehen“, bat ich. So schön, wie die Höhle sicherlich war, so unheimlich kam sie mir vor. Was wusste denn ich, was in dieser Grotte lebte oder gar lauerte.
Sacht streiften Kolams Lippen meine Schläfe, ehe seine Finger sich mit meinen verwebten und wir gemeinsam in das Wasser eintauchten.
Kaum, dass die Sonne wieder heiß auf uns hinabschien, zog er mich mit festen Griff an sich. Ich schlang die Arme um seinen Nacken, vergrub das Gesicht in seinem nassen Haar und genoss seine Nähe, während ich mich wieder beruhigte. Sacht verband ich mich mit ihm, spürte seiner Unruhe nach, seiner Enttäuschung, der tiefen Traurigkeit und seiner Verletztheit.
„Er kommt nicht mit?“, vergewisserte ich mich, obwohl ich die Antwort sehr genau kannte.
„Er will hier bleiben.“ Kolam gab mich frei, schob mich ein Stück von sich, schwamm weg und ich hatte Mühe an ihm dranzubleiben.
**Er ist sich sicher, dass er es nicht verträgt, uns zusammen zu sehen.** Tief atmete mein Partner durch, dann verschloss er sich vor und sprach lieber, da er so sein aufgewühltes Inneres vor mir verbergen konnte: „Ich brauche ihn nicht.“ Sprach er wirklich gerade aus, was er fühlte, oder überspielte er nur sein Leid und belog sich selbst? Diese Frage konnte ich nicht beantworten, da er mich gerade nicht an seinem Ich teilhaben ließ. „Ich habe dich, Kalia. Du wirst immer an meiner Seite stehen, egal was geschieht.“ Diese Worte schienen seiner Stimmung gut getan zu haben, denn er drehte sich zu mir um, grinste mich an und schickte, mit den flachen Händen, einen Schwall Wasser in meine Richtung.
Prustend entfernte ich die Wassertropfen vor meinen Augen und stürzte mich auf ihn. Ich kam ein Stück aus dem Wasser, legte die Finger auf seinem Kopf und drückte ihn unter die Oberfläche. Beinah sofort gab ich ihn wieder frei und schwamm, so schnell es mir möglich war, davon.
Kurz tauchte der Elf hinter mir auf, atmete tief durch, ehe er wieder wie ein Fisch untertauchte und unter Wasser auf mich zuglitt.
Noch besaß ich einen kleinen Vorsprung, aber dieser schrumpfte merklich zusammen. Gerade als ich nach der ersten Stufe im Fels greifen wollte, um mich herauszuziehen, bekam Kolam mich von hinten zu fassen und zog mich zurück. Mit einem leisen Quieken auf den Lippen kippte ich nach hinten weg und verschwand unter der Oberfläche. Strampelnd kämpfte ich mich wieder nach oben und schüttelte den Kopf. In alle Richtungen stoben die Wassertropfen davon und trafen Kolam, der lächelnd neben mir Wasser trat und mich mit tiefschwarzen Augen anblickte. Ich schmiegte mich an ihn, ließ die Finger über seinen Rücken tiefer gleiten und legte den Kopf in den Nacken, als seine Lippen meinen Hals liebkosten, dabei erhaschte ich einen Blick auf die Sonne, die merklich weitergewandert war und ihren höchsten Punkt schon vor einiger Zeit verlassen haben musste.
„Ich glaube, wir müssen zurück“, murmelte ich. Kolams Blick folgte dem meinen. Er nickte und folgte mir, als ich die Stufen erreichte. Hinter mir stieg er hinauf, dabei ließ er seine Finger immer wieder frech über meine Schenkel gleiten.
**Eigentlich schade.** In seinem Senden schwang eindeutig unterdrücktes Verlangen mit, was mich lächeln ließ.
**Ab morgen sind wir ganz alleine**, versuchte ich meinen Partner noch mehr zu reizen und teilte ihm bildhaft mit, was ich alles mit ihm anstellen wollte.
Leise seufzend zog er mich fest in die Arme, als wir die Stiege hinter uns gelassen hatten. Sacht hauchte er mir einen Kuss auf die Stirn und antwortete: **Niemand mehr in der Nähe, der uns stören könnte. Wir müssen auf niemanden Rücksicht nehmen und die Tageszeit spielt auch keine Rolle mehr.**
Leise lachte ich auf und löste mich nicht nur körperlich von ihm. Wieder einmal versuchte ich mit aller Kraft ihn aus mir auszusperren. Nicht, dass es mir nicht gefiel, was ich spürte und sah, aber es kostete mich unglaublich viel Selbstbeherrschung, nicht durch seine Tagträume in einen Strudel der Leidenschaft hinabgezogen zu werden.
**Kolam!**, stöhnte ich hilflos auf und ließ ihn so wissen, dass mir dies nicht als der rechte Moment erschien. Beinah sofort breitete sich in mir Ruhe aus. Kolam war meiner Bitte nachgekommen.
Nach diesen Bildern, die er mit größer Lust mit mir teilte, fiel es mir nicht leicht, zurück in die Wirklichkeit zu reisen. Viel lieber hätte ich seine Sehsüchte auf der Stelle erfüllt. Im Dorf jedoch erwartete man uns und so musste unser Verlangen nacheinander warten.
Nachdenklich, weil dies unser letzter Abend im Kreise der Familie und Freunde sein würde, griff ich nach dem weitschwingenden dunkelblauen, langen Rock und zog ihn über. Irgendetwas stimmte nicht, aber was? In meinem Kopf jagten sich die Gedanken, bis mir einfiel, was fehlte.
„Wo ist Pling?“, fragte ich leise. Mein Klettertier saß nicht bei unseren Sachen und wartete. Schmerzlich zog sich mein Magen zusammen. Schade, der Kleine war mir doch schon so sehr ans Herz gewachsen. Tief in mir drinnen, hatte ich gehofft, dass er bei mir blieb, aber anscheinend ging es dem kleinen Klettertier soweit wieder gut, dass es sich auf und davon in den Dschungel gemacht hatte.
Sacht schlangen sich Kolams Arme um mich. Finger legten sich streichelnd auf meinen Bauch. Es war ein schönes Gefühl, dass mein Gefährte für mich da war, mich trösten wollte. „Nein, dein Kleiner ist nicht weggelaufen. Schau genau hin!“
Mein Blick glitt über den wirren Kleiderstapel. Und tatsächlich erkannte ich den hellbraunen, langen Schwanz, der aus einem Hosenbein ragte. Pling schien vor der Sonne Schutz gesucht zu haben und war einfach in Kolams beige Hose gekrochen. Da lag der Kleine nun, zu einer Kugel zusammengerollt und schlief. Auf nackten Sohlen näherte ich mich Pling, ging in die Knie und schob den wichen Stoff ein wenig zur Seite.
„Pling!“, sprach ich den Kleinen an. „Komm raus da! Kolam benötigt doch seine Hose.“
Die winzigen, schwarzen Kulleraugen öffneten sich, schauten mich an und schon reckten sich mir die Ärmchen entgegen. Ich hob Pling auf meine Arme, kraulte ihn und beobachtete lächelnd meinen Gefährten der sich anzog und danach den Kleinen abnahm, damit ich in meine restlichen Sachen schlüpfen konnte.
Mit Pling auf der Schulter und Kolams Hand fest mit der meinen verbunden, verließen wir zu dritt den Wasserfall. Wehmut überfiel mich, als wir die Hütte passierten. Schwermütig schaute ich zurück und nahm still Abschied von dem Ort, der mich mit Kolam vereinte.
„Hier bleiben eine Menge Erinnerungen zurück“, sprach Kolam aus, was ich dachte. „Hier werden sie lebendig bleiben.“ Auch er warf einen Blick auf das kleine Pfahlhaus, welches verlassen dalag. „Degen und ich haben viel Zeit investiert, um die Hütte zu bauen, einen Ort der nur uns gehören sollte.“
Ich verhielt in meinem Schritt, strich mit dem Daumen beruhigend über seinen Handrücken.
„Hier verbrachte ich viele Nächte mit ihm. Er wird alleine sein, wenn er herkommt. Er wird mir fehlen...“

7. Der Abschied
 
 Heftig schlug mein Herz, als wir nach Anbruch der Dunkelheit das Dorf erreichten. Es lag nicht wie sonst in Finsternis und Stille. Verteilt über den gesamten Festplatz brannten Fackeln, kleine Feuer waren entzündet, deren warmes Licht den Ort in flackernde, orangene Schattenspiele tauchte.
 An den Tischen verteilt saßen die Schattenwaldelfen und schienen nur auf uns zu warten, um Abschied nehmen zu können.
 Ein wenig Abseits, im Dunkel des Nachtschattenwaldes hielten Kolam und ich inne, um den Anblick, der sich unseren Augen bot, wahrzunehmen, dabei hüllte uns das laute Zirpen der unterschiedlichsten Insekten ein. Beinah erschien es mir, als wollten auch diese winzigen Tiere ein Auf-Wiedersehen-Lied für uns singen.
 „Es wird Zeit!“ Mit festem Schritt, ohne das kleinste Anzeichen von Unsicherheit, trat Kolam aus dem Schatten, ganz und gar der Sohn seines Vaters.
 Mir selbst zitterten die Knie. Was sollte ich tun, was sagen? Unstet huschte mein Blick von da nach dort. Bunte Blumen zu Zöpfen, Kränzen oder Ranken geflochten schienen überall verteilt worden zu sein. Es sah so wunderschön aus. So viel Mühe hatten sich die Elfen unseres Stammes gegeben, nur um uns gebührend zu verabschieden.
 Fest krallten sich meine Finger um Kolams Hand. Plötzlich verspürte ich doch Angst vor dem, was ab morgen auf uns zukommen würde, Angst vor dem Ungewissen, dem Unbekannten.
 **Er ist nicht da.** Kolams unsagbare Enttäuschung, plötzliche Mutlosigkeit und seine Wut trafen mich wie ein Schlag, aber auch seine Sehnsucht nach Degen, der es anscheinend nicht für nötig hielt, sich von uns zu verabschieden. Irgendwie konnte ich den Jäger sogar verstehen. Er war verletzt und würde einen Teil seiner Magie in unbekannte Gefilde ziehen lassen. Ich war mir ziemlich sicher, dass er sich den Abschiedsschmerz ersparen wollte. Wenn es andersherum wäre und morgen Kolam in Begleitung von Degen das Dorf verlassen würde, ich wäre der Feierlichkeit ganz bestimmt auch fern geblieben.
 Unerwartet, als hätten wir ganz laut gerufen, hier sind wir, richteten sie die Blicke auf uns. Niemand sprach ein Wort. Sie warteten einfach ab, was wir zu tun gedachten. Innerlich gab ich mir einen Ruck und begab mich Richtung Hauptfeuer, von dem ein leckerer Duft zu uns zog. Mehrere irdene Schalen standen verteilt auf erhöhten Steinen, unter denen die Glut dunkelrot glühte. Jede Familie schien zur Feier des Tages etwas beigetragen zu haben. Ich erkannte Reissuppe, Fischeintöpfe und gegrillte Gackerbeine. Oh weh, wie viele meiner gefiederten Freunde hatten heute ihr Leben lassen müssen? Trotz der Traurigkeit, die mich ihr Verlust spüren ließ, lief mir beim Anblick all der Köstlichkeiten das Wasser im Mund zusammen. Heute Nacht würde ich all meine Lieblingsspeisen noch einmal essen dürfen.
 Gut sichtbar für die Schattenwaldelfen blieb ich im flackernden Schein des Feuers stehen. Nervös räusperte ich mich. Noch nie hatte sich meine Kehle so trocken angefühlt und das Wissen, das jeder anwesende Elf mich ansah, machte es nicht besser.
 Aufmunternd nickte Kolam mir zu, reichte mir seinen Trinkschlauch und drückte beruhigend meine Hand. Dankbar trank ich, befeuchtete meine Kehle und spürte, wie mein Gefährte sich Mut spendend mit mir verband. Tief atmete ich durch, reichte das Wasser zurück, räusperte mich und sagte leise: „Ich danke euch!“
 Ergriffen, dass sie alle so viel Arbeit auf sich genommen hatten, um uns ein schönes Fest zu bereiten, schloss ich für einen  Moment die Augen, damit ich das heiße Brennen dahinter kontrollieren konnte.
 „Ich bin keine Schattenwaldelfe“, erklärte ich mit kratziger Stimme, worauf aufgebrachte Laute erklangen. Hier und dort vernahm ich ein Brummen, andernorts geflüsterte Worte und wiederum andere schüttelten den Kopf.
 „Was man mir auch ansieht“, versuchte ich es mit einem Scherz. „Beinah jeder von euch überragt mich um beinah zwei Kopflängen. Ich besitze blaue Augen, eure sind dunkelbraun bis schwarz. Mein Haar ähnelt der Farbe der Sonne und dank der Locken kann ich es kaum bändigen, während euer Haar glatt und schwarz wie die Nacht ist. Ihr seid vom Wuchs schlank und zierlich, ich dagegen bin klein...“ Das Ende des Satzes schluckte ich herunter, als ich Kolams energischen Widerspruch in mir fühlte.
 „Und trotzdem habt ihr mich aufgenommen, mich wie eine Schattenwaldelfe behandelt und mir immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Nie habt ihr mich spüren lassen, dass ich eigentlich einem anderen Stamm angehöre, in dem sicherlich alle so klein und hell sind, wie ich. Ihr ward meine Familie, ihr seid meine Familie und ihr werdet mir alle sehr fehlen.“ Tränen fanden nun doch hinter meinen Lidern ihren Weg ins Freie und verschleierten meinen Blick. Ich wusste, dass ich mich nun nicht mehr in der Lage befand, normal, ohne Schluchzer, zu sprechen und so war ich Kolam unendlich dankbar, als er für mich das Wort ergriff: „Kalia teilt meine Magie. Wir sind Eins, auf ewig in unserer Magie verbunden. Einige von euch wussten dies schon, andere ahnten es sicherlich und für ein paar wenige unter euch ist es eine Neuigkeit und hoffentlich eine gute.“
 Wieder zog ein Raunen durch die Menge.
 „Kalia hegt den Wunsch nach ihren Eltern zu suchen. Sie möchte erfahren, von wo sie kommt, wo ihre Wurzeln liegen. Ihr wisst, dass wir morgen das Dorf verlassen werden und wir hoffen, dass ihr uns nicht vergesst, dass ihr ab und zu an uns denkt und uns mit offenen Armen empfangen werdet, wenn wir irgendwann in naher oder ferner Zukunft zurückkehren.“
 Betroffene Stille kehrte ein. Ich konnte die Blicke förmlich auf mir brennen spüren und die Fragen hören, die den Schattenwaldelfen auf den Herzen lagen und ich wusste, dass ich sie alle beantworten musste.
 Es war Saidar, der kleine Sohn von Sojor und Jony, der die angespannte Ruhe störte. So schnell ihn seine kleinen Beine trugen, kam er auf uns zugelaufen. Die Hände in die Hüften gestützt, blieb er vor mir stehen, ging auf die Zehenspitze und reckte sich, eher neugierig fragte. „Wer ist das auf deiner Schulter?“
 „Das ist Pling“, erklärte ich dem jüngsten und derzeit einzigen Elfenkind unseres Stammes. Ich ging ein wenig in die Knie, damit Saidar das Klettertier besser in Augenschein nehmen konnte. „Wir haben ihn im Dschungel gefunden. Der Kleine ist anscheinend beim Klettern von einem Baum  gefallen. Dabei hat er sich den Arm gebrochen.“
 Unmerklich weiteten sich die Augen des kleinen Elfenjungen. Ich ahnte, welche Gedanken Sojors Sohn durch den Kopf flatterten, denn der kleine Wirbelwind vor mir, kletterte nur zu gern auf Bäume jeglicher Art oder auf die Dächer unserer Hütten, sehr zum Leidwesen seiner Mutter Jony, die dabei mit Sicherheit innerlich tausende Tode starb. Oft hatte ich sie deswegen mit Sojor streiten gehört, der seinen Sohn nur zu gern in seinem Tatendrang unterstützte und die Meinung vertrat, dass es noch keinem Elfenkind geschadet hat, selbst zu erfahren, bei welchen Tätigkeiten man sich verletzen konnte. Nur aus diesen Fehlern und den daraus resultierenden Folgen konnten Kinder lernen, was gut für sie war und was nicht und so lange sich Saidar bei seinen Kletterversuchen nicht verletzte, würde der Kleine auch nicht damit aufhören. Vielleicht half aber das kleine verletzte Klettertier dabei, den fünf Regenzeiten alten Elfenjungen daran zu erinnern, was geschehen könnte, wenn er mal wieder einen der riesigen Bäume zum Klettern auserkor.
 „Du kannst ihn ruhig streicheln“, ermunterte ich Jonys Sohn, der zaghaft die Finger ausstreckte, diese aber erschrocken wegzog, als Pling seine kleinen scharfen Zähne zeigte. Es war keine Drohgebärde des Klettertiers, soviel hatte ich schon herausgefunden, nein es schien eher ein zufriedenes Lachen darzustellen und wenn man dem hellbraunen Fellbünde ganz genau in die Augen blickte, dann konnte man denken, das man den Schalk darin erkannte.
 Zaghaft erst, dann mutiger werdend, kraulte Saidar Pling, der sich den kleinen Kinderhänden entgegenstreckte. Ich war mir ziemlich sicher, das  s Sojors Sohn verstand, dass Kolam und ich am nächsten Tag das Dorf verlassen würden, aber er nahm es mit der Unbekümmertheit eines Kindes auf. Ihn interessierte im Augenblick nichts weiter als Pling, den ich ihm sanft in die Arme legte. „Lass ihn nicht fallen!“, mahnte ich den Jungen, der daraufhin über das gesamte Gesicht strahlend zurück zu seinen Eltern ging.
 Hinter mich trat jemand. Es war nicht mein Gefährte, denn Kolam befand sich noch immer an meiner Seite, schweigend in seine eigenen düsteren Gedanken um Degen versunken. Große, kräftige Hände legten sich sicher und warm auf meine Schultern. Ein ähnlicher Duft, wie der, den mein Gefährte umgab, hüllte mich ein. Kalerm war es, der nun hinter mir stand und anscheinend sein Wort als Anführer an die Schattenwaldelfen richten wollte.
 „Morgen beginnt für uns alle eine neue Zeit.“ Kraftvoll und ohne ein Zeichen von Unsicherheit hallte seine angenehme Stimme über den Platz. „Zum ersten Mal werden Elfen, in diesem Fall mein Sohn und dessen Gefährtin, das Dorf verlassen und sich auf die Suche nach anderen Stämmen begeben. Es fällt mir nicht leicht, und euch sicherlich auch nicht, die beiden ziehen zu lassen. Hoffen wir, dass ihre Suche von Erfolg gekrönt sein wird und dass Kalia ihre Eltern und ihren Stamm findet.
 Uns bleibt nur an sie zu denken, sie nicht zu vergessen und zu hoffen, dass sie alsbald zu uns zurückkehren, vielleicht sogar in Begleitung uns fremder Elfen.
 Ich für meinen Teil, wünsche ihnen ganz viel Glück und Erfolg...“
 Für einen Moment schwieg Kalerm, unser stets so gefasst wirkender Anführer, der nüchtern Entscheidungen treffen konnte und sich nur ganz selten von den eigenen Gefühlen, Ängsten oder Wünschen leiten ließ. Auch ihm ging es nah, dass er seinen einzigen Sohn gehen lassen musste, wusste er doch, dass er ihn heute Abend vielleicht das letzte mal sah und sprach, sich seine Magie eventuell ein letzte Mal mit Kolams verband und er ihn möglicherweise nie wieder in eine väterliche Umarmung ziehen konnte.
 „Jetzt aber wollen wir feiern“, lachte Kalerm heiser und jeder Anwesende konnte spüren, wie schwer ihm dieser Satz gefallen war, bevor er sich an meinen Vater gewandt erkundigte: „Und Elmor, ich hoffe du hast genügend von deinem Gebräu für alle bereit gestellt?“
 Einen Moment lang herrschte angespanntes Schweigen, als aber auch der letzte begriff, dass niemand mehr etwas sagen würde, erfüllten plötzlich, die mir seit Regenzeiten bekannten Stimmen, den Festplatz. Jegliche Anspannung schien von mir abzufallen. Die Hände auf meinen Schultern lösten sich von mir. Langsam drehte ich mich in Kalerms Richtung und schaute zu ihm auf, ehe er mich fest in seine Arme schloss. „Pass auf dich auf, Kleines!“
 Und zum erste Mal, stellte er nicht meinen Anführer dar, nein er war ein Freund, ein Vater, der meinen Kosenamen benutzte.
 „Mach ich“, murmelte ich ergriffen und war meiner Mutter, Taira und Nari unendlich dankbar, als sie zu mir an das Feuer traten, um mich in Beschlag zu nehmen.
 Wirklich ausgelassen wirkte unser Fest nicht. Eine bedrückte Stimmung schien über dem Dorf zu hängen und die Elfen einzuhüllen. Viele Fragen musste ich beantworten, gut gemeinte Ratschläge entgegennehmen und unendlich viele Umarmung über mich ergehen lassen. Ab und zu suchte ich Blickkontakt zu meinem Gefährten, den ich immer wieder in ähnlichen Situationen entdeckte, aber im Gegensatz zu mir, bekam er eher eine Hand auf die Schulter gelegt oder einen sanften Fausthieb vor den Oberarm.
 Innerlich aufgewühlt und schon etwas traurig darüber, dass ich meine Familie und meine Freunde verlassen würde, suchte ich mir ein ruhiges, abgelegtes Plätzchen. Hinter der Hütte von Kalerm und Taira wurde ich fündig. Nur einmal ganz tief durchatmen und die wirren Gedanken sortieren, um mich dann mit neuer Kraft den restlichen Elfen stellen zu können. Zumindest hatte ich dies so vor, aber dazu kam es nicht, denn nachdem ich mich hingesetzt und die Knie angezogen hatte, schaffte ich es nicht mehr die Flut an Tränen zu kontrollieren.
 Nass fühlte sich mein Gesicht an, die feuchten Spuren an meinem Hals brannten und doch fühlte ich mich befreiter, als die Tränen endlich versiegten. Sollte ich zurück in die Aufmerksamkeit kehren oder lieber in der Hütte meiner Eltern verschwinden, um dort alleine zu sein? Unschlüssig blieb ich wo ich mich befand, lauschte den nächtlichen Geräuschen des Dschungels, dem Knistern der Feuer, das bis zu mir drang und dem Stimmenwirrwarr auf dem Dorfplatz, bis ein Schatten auf mich fiel. Sofort spürte ich, dass auch Kolam mit seinen Empfindungen kämpfte. Zwischen uns waren keine Worte notwendig. Still setzte er sich neben mich und ließ mich teilhaben. Ganz tief in ihm verspürte ich vor allen Dingen Enttäuschung, Enttäuschung darüber, dass Degen nicht gekommen war, um ihm auf wiedersehen zu sagen. Zu tiefst von Degens Verhalten verletzt kämpften in ihm wie so oft Wut, Hass und Liebe, die er trotzt alledem für den Jäger empfand, um die Vorherrschaft.
 **Vielleicht ist es besser so**, teilte ich ihm meine Sicht der Dinge mit und bereute es beinah sofort, da ich spüren konnte, wie sehr Kolams Magie nach der von Degen schrie. Zum ersten Mal, seitdem unsere Magie eins war, ließ er mich daran teilhaben. All der Schmerz in ihm, die immense Sehnsucht und das unaufhörliche Rufen nach der Vereinigung ihrer Magie riss mich in einen Strudel, der mein Innerstes aufwühlte und mir ähnliche Schmerzen bereitete. Irgendwie musst ich meinem Gefährten doch helfen können und so drang ich so sanft es mir möglich war tiefer in ihn vor, überwand sogar das Hindernis, welches es mir bisher versagt hatte mehr zu erfahren und drang in den geschützten Teil, der eigentlich nur Degen gehörte, ein. Ich begriff, dass Kolam diesen Kampf nicht erst seit dem Vorfall vor zwei Jahreszeiten führte, sondern seit jener ersten Nacht, die ich mit ihm in der Hütte am Fluss verbrachte.
 **Es tut mir so leid...**, übertrug ich meine Gefühle, sichtlich geschockt von dem verheerenden Ausmaß, das seine doppelt geteilte Magie verursacht hatte. Kolam schien mich durch seine Verbindung zu Degen zu leiten, dennoch schaffte ich es ab und zu auszubrechen. Ich wollte alles erfahren, nicht nur Erlebnisse, die er bereit war mit mir zu teilen. Und gerade als ich dachte, auf den wirklichen Ursprung seines Unwohlseins gestoßen zu sein, schloss sich der winzige Durchgang zu Kolams Vereinigung mit dem Jäger.
 **Es ist nicht deine Schuld.**  Unendliche Liebe, Wärme und Vertrauen erfüllten mich. **Ich werde lernen damit zu leben und wenn wir erst mal weit genug Abstand zum Dorf haben, dann werde ich seine Nähe nicht mehr spüren können. Vielleicht wird es dann leichter und der Drang nach ihm lässt endlich nach.**
 
***
 
  oncontextmenu="return false;" onmousedown="return false;" onmousemove="return false;" oncopy="return false;" unselectable="on">Von ihren Reitern vorwärtsgetrieben preschten die erschöpften Pferde durch den Wald, wichen dabei am Boden liegenden Ästen und Baumstämmen aus. Selbst die treuen Reittiere der Elfen witterten die immer noch vorhandene Gefahr, die von ihren Häschern ausging.
 Die kleine Gruppe von Kriegern und Jägern musste schneller sein, viel mehr Abstand zwischen sich und die Verfolger bringen, was ihnen nicht leicht fiel, da beinah jeder zweite Reiter einen gefolterten Elf vor sich auf dem Pferd sitzen hatte.
 *Wir müssen uns trennen!*, schlug ihr Anführer, der Elf mit den blonden Haaren und den blauen Augen vor. Er ließ seine Gefährten spüren, dass er keinen Widerspruch duldete. *Wenn auch nur ein paar von uns entkommen und den Weg in die Sicherheit unserer Stadt finden, dann ist die Zukunft unserer Rasse gesichert. Teilt euch auf, reitet in Zweiergruppen, schützt die Verletzten!*
 Kein Widerstand regte sich. Still schweigend, aber in Gedanken miteinander verbunden, nahmen die Elfen die Anweisung hin und die ersten Pferde brachen seitlich aus.
 Fest zog Tahu den schwer verletzten Umarir an seine Brust, bot ihm somit mehr Halt und sich selbst die Chance seinem Pferd noch mehr abzuverlangen.
 **Wir schaffen das**, sprach Tahu in Gedanken mit dem besten Jäger seines Volkes , gab ihm auf diesem Wege etwas von seiner Kraft ab. **Nayaka erwartete uns. Sie wird dich heilen. Ich bitte dich, halt durch!**
 Die Fersen wieder in die Flanken des Pferdes schlagend, preschten sie vorwärts. Hinter sich vernahm Tahu das Kriegsgeschrei des wilden Volkes, deren Sprache sie gerade erst kennenlernten. Er verstand nicht jedes einzelne Wort, aber er begriff, um was es den Kriegern ging, um ihren Tod.
 **Umarir!?** Auf sein kraftvolles Senden erhielt er nur Schweigen. Tahu erreichte seinen Freund aus Kindertagen nicht, egal wie laut und energisch er in Gedanken nach ihm rief. Noch einmal trat Tahu seinem Pferd in die Seiten, damit dieses schneller durch den Wald galoppierte. Er gab die Zügel frei, ließ sein Pferd den Weg alleine suchen und bekam somit die Hände frei, schlang sie fest um Umarirs Oberkörper, hielt ihn eng an sich gepresst, versuchte nebenbei den Herzschlag des anderen zu ertasten. Der blonde Elf war nicht in der Lage zu sagen, ob sich dir Brust seines ältesten Freundes tatsächlich unter schwachen Atemzügen hob und senkte, oder ob es an ihrem stürmischen Ritt lag.
 Wenn Umarir noch am Leben seine sollte, dann konnte es gut möglich sein, dass ihre gemeinsame Flucht, dem Jäger die letzten noch vorhandenen Kräfte raubte. Tahu blieb nichts anderes übrig, er musste für sie ein Versteck finden, wenn er seinen engsten Vertrauten nicht verlieren wollte.
 Gehetzt irrte sein Blick durch das, zum Glück lichter werdende, Grün des Waldes. Schon bald würde die Natur sich zur Ruhe begeben, die Tage kürzer, die Nächte länger werden und Kälte würde sie einhüllen.
 Wie weit war es noch bis zu der kleinen Höhle, die sie als Kinder entdeckten? Würde er das Loch im Boden rechtzeitig erreichen? Wieder trieb er sein Pferd an und zwang es mit den Schenkeln in die entsprechende Richtung.
 **Bleib bei mir, bei uns! Ich brauch dich und Harkos seinen Onkel. Du wolltest ihn in der Jagd unterrichten, also tust du dies gefälligst auch und hältst dein Versprechen.**  Obwohl die eindringlich gesendeten Worte unbeantwortet blieben, sprach Tahu weiterhin mit Umarir, teilte ihm irrelevante Dinge mit, wie die Nachricht, dass die Ernte beinah vollständig eingeholt war. Vor allen Dinge versuchte Tahu sich somit von seiner Sorge um den Freund abzulenken und von der Angst, die die scharfen Krallen nach ihm ausstreckte. Umarir war seine rechte Hand im Elfenrat und er ihr Vorsitzender. Er musste zurückkehren, sie beide.
 **Gleich da**, sendete er, als endlich die große Nadelbaumgruppe in sein Blickfeld fiel. Farne wuchsen zwischen dem Stämmen, Ausleger von Beerenpflanzen schlängelten sich über den Boden der mit grünen und braunen Nadeln übersät war und verbargen den Zugang zu der winzigen Höhle, die für sie als Kinder riesig erschien.
 Vorsichtig gab Tahu Umarir frei und stieg ab. Mit seinem Pferd würde er nicht bis an die Höhle herankommen. Den Rest des Weges würde er zu Fuß zurücklegen müssen. Noch immer regte der Jäger sich nicht, hing bewusstlos auf dem Rücken des nachtschwarzen Hengstes, dessen Muskeln unter der Haut vor Anstrengung zitterten. Nass glänzte das Fell, wirkte dadurch wie von Silberfäden durchwirkt. Schaumflecken lösten sich von den bebenden Nüstern und fielen als schwere Tropfen zu Boden, aber darum konnte Tahu sich im Augenblick nicht kümmern. Sacht strich er seinem Tier über die Flanke.
 Es würde nicht einfach sein den bewusstlosen Elf zu der Höhle zu tragen, aber Tahu würde es gelingen, er musste es schaffen. Vorsichtig, um Umarir nicht noch mehr zu verletzen, zog der blonde Elf dessen Schultern zu sich. Zum Glück gehörte sein Pferd zu einer der größeren, ausdauernden Rassen und so konnte er sich ohne Probleme Umarir auf die Schulter ziehen. Für einen Moment sackte Tahu in die Knie, als er das volle Gewicht seines Freundes zu spüren bekam. Der Elfenratsvorsitzende straffte sich und fixierte den Jäger, indem er die Arme um dessen Oberschenkel schlang, nachdem er seinem treuen Pferd einen Klaps gegeben und gesagt hatte: „Lauf nach Hause!“
 Mit einem Ohr immer bei den Menschen die sie verfolgten, wurde Tahu klar, dass sie näher kamen und er nicht mehr viel Zeit besaß und Umarir und sich in Sicherheit zu bringen.
 Tahu achtete nicht mehr auf sein Ross, das den Kopf drehte, ihn aus dunklen Augen anschaute,  einmal lautstark schnaubte, als wollte es bekunden, sie nicht alleine zu lassen, sich dann aber wegen der fehlenden Zuwendung umdrehte und von dannen trabte.
 Mit Umarir auf den Schultern, duckte der blonde Elf sich, um den tiefer hängenden Zweigen auszuweichen. Sicher setzte er einen Fuß vor den anderen. Ab und zu blieb er an den, mit Stacheln besetzten, Austrieben der Beerenpflanzen hängen, worauf er lautlos fluchte, sich befreite und weiter eilte. Ihn interessierten die Dornen nicht, denn durch das dicke grüngefärbte Leder seiner Hose drangen sie nicht. Er spürte die Dornen nur an seinen nackten Oberaren, wenn sie brennend über seine Haut fuhren, ignorierte die Kratzer jedoch. Befreit atmete er auf, als er endlich das dunkel gähnende Loch, den Eingang zu Höhle erkannte.
 Äste schlugen ihm ins Gesicht, rissen ihm die Haut auf und ließen ihn beinah blind weiterlaufen, nachdem ihn, ein zum Glück nachgebender Ast, ins rechte Auge traf.
 **Gleich sind wir in Sicherheit...**  Er dankte dafür, dass sie die mentale Kommunikation beherrschten, anders als die Menschen, die sich lautstark unterhielten und somit immer und überall ihre Position verrieten. Ein Vorteil seines Volkes war es auch, dass sie sich lautlos wie Schatten bewegen konnten. Auch jetzt, auf der Flucht, trat Tahu auf keinen einzigen knackenden Zweig, der ihren Standort verraten könnte.
 Schwer ging sein Atem, als er endlich die natürliche Öffnung im Boden erreichte. War das Loch schon immer so klein und schmal? Mit Umarir auf den Schultern würde er nicht hindurchpassen. Vorsichtig ließ Tahu seinen Freund auf den weichen, mit Moos bedeckten, Waldboden gleiten, danach kroch er mit den Füßen voran in die Finsternis. Die Hände in Umarirs Achseln legend, zog er den Jäger mit sich.
 Nachdem er den Einstieg hinter sich gelassen hatte, eröffnete sich die Höhle, groß genug um sie beide vor den Häschern zu verbergen. Fast bis zum Ende der kleinen Höhle zog er Umarir, legte ihn dort ab, um danach die Höhle wieder zu verlassen. Eigentlich wollte er den Eingang mit Ästen verbergen, aber dazu war es zu spät. Auf dem Bauch liegend schaute Tahu in das diffuse Licht des nahenden Abend.
 Die Stimmen der Menschen klangen nah, so nah, als würden sie direkt vor ihm stehen und dann erblickte er sie. Vor den Tannen versammelten sie sich, schlugen sich mit breiten, kurzen Schwertern den Weg frei und näherten sich unaufhörlich der Höhle.<
 Durchgeschwitzt und mit rasendem Herzen erwachte ich. Panisch schrie ich auf: „Sie sind da!“ Was sollte ich tun? Wie konnte ich den rachsüchtigen Männern entkommen?
 „Kalia!“
 Jemand rief nach mir.
 „Kalia, mach die Augen auf!“
 Irgendjemand schüttelte mich. Ich spürte den festen Griff an meinen Oberarmen. Sie hatten mich. Wild schlug ich um mich und versuchte in die Finger zu beißen.
 **Kalia!**
 Eine warme Stimme, vertraut und voller Sorge, rief in meinem Kopf nach mir. Mühsam kämpfte ich mich an die Oberfläche und folgte den Worten: **Du befindest dich in Sicherheit. Du bist zu Hause. Ich bin es, Kolam. Mach die Augen auf!**
 Mühsam brachte ich, mit brennender Kehle, ein: „Wo bin ich?“, hervor, ehe ich endlich die Augen aufschlug. Orientierungslos schaute ich mich um. Keine Höhle, kein Wald, keine Menschen. Alles wirkte so fremd. Es war warm, nicht so kalt wie in der Höhle und ich lag auf etwas weichem, nicht auf dem harten steinigen Boden. Wieso? Und wer waren die Fremden, die mit dunklen, schmalen Augen auf mich herabsahen? Keine bösen Wilden, nein, dies waren Elfen, Elfen wie ich.
 „Wer seid ihr?“, erkundigte ich mich leise, dankbar dafür, den Menschen entkommen zu sein.
 „Kalia, ich bin es“, antwortete ein noch junger Elf, mit einem feingeschnittenen Gesicht und einer samten klingenden Stimme, die ich schon vorhin in meinem Kopf vernommen hatte. „Kolam und meine Eltern Taira und Kalerm.“
 Der Elf, der eindeutig der Vater des Jungen zu sein schien, reichte mir einen Becher mit frischem Wasser, den ich dankbar entgegennahm. Gierig trank ich und nickte den Dreien zu. Sie hatten mich gerettet. Ich befand mich wohl in Sicherheit. Die Panik, die mein Herz eben noch gefangen hielt, fiel von mir ab. Frieden und Erleichterung kehrten in mein aufgewühltes Inneres ein. Erschöpft fielen mir die Augen zu. Ich würde mich später bei ihnen bedanken.

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Kapitel: 15
Sätze: 2.884
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Kurzbeschreibung

Wie ist das mit der Liebe bei den Elfen? Und was tut man, wenn die Magie der Meinung ist, dass der eigene Gefährte besser zu einem anderen Elf passt? Kalia, ein Findelkind, wächst bei den Schattenwaldelfen auf. Sie hat keine Ahnung wo sie herkommt oder wer ihre Eltern sind. Es gibt doch keine anderen Elfen, oder doch? Eigentlich könnte ihr Leben so schön sein, verliebt in Kolam, den Sohn des Anführers, der die gleichen Gefühle für sie hegt, aber ein Geheimnis verbirgt und von den Elfen ihres Stammes geliebt, erwacht in Kalia die eigene Magie. Sie besitzt seherische Fähigkeiten, kann das Leben von fremden Elfen im Traum verfolgen und beschliesst sich auf die Suche nach ihrer Herkunft zu begeben.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Abenteuer auch in den Genres Fantasy, Liebe, Freundschaft und Familie gelistet.