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„Holt … “, ächzte der im Sterben liegende Mann. Seine beiden Söhne waren bei ihm und sahen sich verdutzt an. Seit dem er hier lag, gestand er zahlreihe Dinge. Unter anderem gerade erst, dass sie wild gecampte hatten.
„Schon gut, Papa“, meinte jener der bei der Müllabfuhr arbeitete, seine Dienstkleidung noch trug und den ganzen Raum akklimatisierte. „Mach langsam, Papa“, sprach der zweite Sohn, der weiß angezogen war und überall Farbkleckse hatte. „eu … re … Schwester.“
Wieder sahen sich die Brüder an. Asteria war sein leibliches Kind und für die adoptierten Brüder, beide siebenundzwanzig und von unterschiedlichen Eltern, immer schon eine erwachsene Frau gewesen. „Okay. Wir werden sie suchen.“ „Macht das“, sagte er und schob sich die Hände der Jungen zurecht.
Früher, als Fernkraftfahrer hatte er nicht viel vom Heranwachsen seiner Tochter mitgekommen. Eines Tages war sie ihm plötzlich über den Kopf gewachsen und stellte ihm ihren Verlobten vor, der ebenfalls Kraftfahrer war. Er wollte, dass sie wartete, erstmal älter wurde und sich dann einen Mann nahm, der zu Hause war. Zumindest öfters zu Hause war, als er es war. Das hatte er so weit gespielt, dass er ihr nicht einmal den Wunsch erfüllt hatte, sie zum Traualtar zur führen.
„Ich glaub sie hat Dienst“, meinte der Maler, als der Müllwerker sein Handy wieder herunternahm. „Hm“, grummelte dieser, der sich, auf Grund seiner Freizeit, in die Polizeidienstelle laufen sah. Seine Lust war in etwa so groß, wie der Zeitdruck seines Bruders, der in etwa zehn Minuten bei seinem Chef anzutanzen hatte, sonst würde er ihn rauswerfen. Vater hin oder her, hatte dieser Mensch gedroht, der immer noch keine Müllmarke draufgeklebt hatte und inzwischen war Juli.
„Ich krieg das noch hin“, versprach der Maler und sprang sichtlich gehetzt auf. „Lass mal“, stoppte dieser, noch einen Deut weniger dran interessiert, irgendwelchen Uniformierten zu begegnen. „Den Rebell habe ich ja ausnahmsweise in der Schublade gelassen.“ Er lachte gezwungen und schlug dem Maler auf einem frischen Farbklecks. „Mach dich vom Acker, ja? Gleich wieder hier, Papa.“ Gerade so noch dran gedacht, lenkte er seine Hand zu sich selbst ab und schmierte sich die Farbe auf Nierenhöhe.
Mit dem Rad fuhr er zu der Wache in der Asteria arbeitete. Der Polizist erklärte ihn bestimmt für blöd, als er eine Zeitlang eingeschüchtert nichts sagte aber er beurteilte ihn nicht und winkte sie her. „Tut mir Leid“, sagte sie, als würde sie es nicht mehr selbst betreffen, wenn der Vater sterben würde. „Vater will dich sprechen.“ Ihre beherrschte Mine hatte kurzzeitig einen Bruch. „In zehn Minuten wäre Schluss“, überlegte sie laut, während eines Blickes auf die Uhr. „BUHTFLINKER“, rief sie einen ihrer Kollegen. Irgendjemand im Innenraum hob den Daumen hoch.
„Gut. Schmeiß dein Fahrrad hinten rein.“ Sie grinste, als sie ihm dabei den Autoschlüssel vor die Nase hielt. Er, ganz Autojunkie, brauchte keine ganze Minute um hinter dem Steuer seiner Lieblingsmarke in der Lieblingsfarbe mit den Lieblingsbezügen zu landen.
„Wo bleibst du?“, drängelte er. Seine Schwester stieg ein. „Wart ihr beide bei ihm?“ „Ja“, wurde er wieder kleinlaut und konzentrierte sich auf das Anlassen. „Geht’s ihm schlechter?“ „Sprichst du nicht mit ihm?“ „Er hat geschlafen.“ „Und du meinst, es war gewollt?“ „Er schnarcht.“ „Ja er schnarcht für gewöhnlich.“ Schweigen kehrte ein. Vor dem Eingang des Hospizes seufzte Asteria. Es gab so viele Anläufe, sich wieder zusammenzuraufen aber irgendwie war es immer nur zwanghaft.
„Vater“, grüßte sie mit kräftiger Stimme den schnarchenden Mann. Er schnarchte weiter. Sein Sohn schleppte ihr recht ungeschickt einen Stuhl her. „Ich weiß das er schläft!“ Ihre Stimme ließ aber dennoch den Ärger vernehmen. Immer wenn sie ihn besucht hatte, hatte er geschlafen. Meist aber ohne zu Schnarchen.
„Ari.“ Er drängelte ihr den Stuhl auf. „Ist ja gut, ich warte.“ Sie zog wieder den Schlüssel aus der Tasche. „Entschuldige aber tank ihn mir ja wieder voll.“ Er schnappte sich sofort das Leckerli und zog mit einem zwischenzeitlichen Zögern von Dannen.
„Du weißt schon, dass diese Friedensvereinbarung nur von beiden Seiten aus funktionieren kann? Aber vielleicht beruhigt es dich ja, dass deine Tochter wirklich kein Händchen für Männer hat.“ Zornig zog sie einen schmalen Ring von ihrem Finger und warf ihn in einen Mülleimer.
„Lumina?“, erwachte er langsam. „Nein, Asteria.“ Ohne richtig wach geworden zu sein schlief er wieder ein, allerdings ohne zu schnarchen. Nach vier Minuten hatte seine Tochter eine dicke Zornesfalte auf der Stirn. Immer wieder diese Nummer. Jetzt konnte er es wenigstens auf seine Schwäche schieben.
„Asteria“, hauchte er schwerfällig. „Bin noch da“, erwiderte sie kühl. „Deine Mutter hat damals …“ Wieder raffte ihn die Schwäche in den Schlaf. Da er zu Schnarchen begann wohl auch etwas länger und tiefer.
Asteria strich ihm über den Arm und stand auf. Bis sie mit einem lauwarmen Tee und einer gefüllten Papiertüte zurückehrt, war das Schnarchen verklungen. Etwa sieben Minuten ließ sie verstreichen. Dann fuhr sie wieder leicht über seinem Arm und drückte ihn aufrecht, setzte sich hinter ihn, mit dem gleichzeitigen Herziehen des Nachtischs.
„Zuerst der Tee“, drohte sie. Vor allem damit, dass das Glas bereits vor seiner Nase war. „Gibt dir Kraft und Schmiere zum Reden. Du willst doch verstanden werden?“ Etwas Zeit verstrich noch, bevor er ihrer Bitte nachkam. Als der Tee erledigt war, packte sie ein Marmeladehörnchen aus.
„Du warst immer ein guter Vater. Erinnere dich auch mal an das Gute. Schlechtes haben andere Familien auch. Ma und ich sind dir mit dem Campingbus nachgefahren, wir haben Beachvolleyball und Schattentheater gespielt. Geschichten konntest du immer gut erzählen.“ Ihr Vater sackte beim erneuten Einnicken nach vorn.
„Maxino und Max lieben dich. Das hab ich als Kind auch. Du weißt doch, … dass ich dich kaum zur Tür hereingelassen habe, wenn du mir nicht irgendwelche Geschichten von deinen Reisen sofort erzählt hast.“ Ihr Lachen weckte ihn wieder auf, wobei richtig eingeschlafen schien er auch nicht zu sein.
„Deine Mutter hat … ein Kind entführt“, krächzte er beeilt und brauchte wieder Zeit, um Kraft für die Details zu sammeln. „Mutter hat ihr erstes Kind verloren“, erinnerte sie nüchtern. Sie war eigentlich die Zweitälteste und ihre Namen war ein bisschen ähnlich. Aterina hätte das Mädchen geheißen.
„Pa, wirklich! Jetzt ist genug mit Geständnissen! Die Welt ist nicht schwarz und weiß. Ich weiß zwar nicht, warum wir uns nicht wieder zusammenraufen können aber das alles hier ist jetzt völlig unwichtig.“ Ein wenig grob weckte sie ihn erneut und drängte ihm das Hörnchen auf.
„Wieder ausgesetzt“, blieb er allerdings seinem dreizehnten Geständnis treu. „Das Kind?“ Er nickte. „Und du willst wissen, ob es bei der Familie zurück ist?“ Er nickte wieder. „Und wie soll ich das nach über fünfzig Jahren herausfinden?“
Die Frage ging ins Leere. Viel Zeit hatte sie nicht. Ihre erste Anlaufstelle war die Mutter. Diese musste sie allerdings schonen, nachdem sie schon den dritten Nervenzusammenbruch hatte. Nach eigentlich kaum mehr als zwei Sätzen erfragte sie deshalb, ein paar Adressen ihrer bisherigen Pflegekinder. Entgegen ihrer Hoffnung konnte sie da aber auch nichts herausfinden.
„Max, bist du beim Vater?“ „Jo“, erwiderte irgendwie unwillig. „Kann ich ihn kurz sprechen oder du fragst ihn was für mich?“ „Fragen ist besser“, murmelte er und stellte auf laut. „Deine Tochter, Papa.“ Max verließ offenbar den Raum.
„Hast du schon …“ „Nein.“ „Es war März 1964. Ein Mädchen. Deine Mutter nannte sie Aterina aber …“ Er hustete. „Papa trink!“ Nach einer Weile fragte er, was sie brauchte. Er schien, wesentlich fitter zu sein, als vor wenige Stunden. „Einen Namen … haben wir nicht. Einen Ort? Wo kam sie her?“ „Weiß ich nicht. Sie hatte das winzige Geschöpf im Arm, als ich kam.“ „War es ein Frühchen?“ „Es war sehr klein. Kleiner als du.“ Asteria wusste, dass sie auch schon kleiner als der Durchschnitt zur Welt gekommen war. Daher lag es nahe, dass das Mädchen ein Frühchen war. Eventuell hatte es ihre Mutter aus dem Krankenhaus mitgenommen. Allerdings war ihr nicht ganz schlüssig wie. Ihre Mutter arbeitete in keinem Krankenhaus. Sie war Tischlerin und mied es eigentlich zum Arzt zu gehen. Vielleicht doch kein Frühchen aber zumindest ein auffällig kleines Baby, weibliches Geschlecht.
„Haarfarbe?“ „Schwarz, wie deine Mutter. Kraus, wie unsere“ „Auffälligkeiten?“ „Sie hatte ein trübes Auge.“ „Okay. Sie war ein Baby, richtig?“ Es blieb still in der Leitung. „Papa?“ „Entschuldige, ich habe genickt. Das trübe Auge war rechts.“ Einen Moment dachte sie nach, welchen Details ihr vielleicht noch helfen konnten. Ihre Wahl fiel auf einen Kinderwagen. Gab es keinen. Ihr Vater konnte sich auch an keine Tasche erinnern. Bei der Kleidung war er sich unsicher. Er vermutete, dass es eine weniger gesättigt Farbe war.
„Habt ihr eventuell ein Foto?“ Auch wenn es sehr unwahrscheinlich war, wollte sie das noch gefragt haben. Ihr Vater schenkte dieser Frage einem Moment des Bedachts. Danach antwortete er: „Nein. Da hatten wir noch keine Handys.“
Es folgte erneut Stille, ehe ihr Vater noch ein weiteres wichtiges Detail bekannt gab. Lumina hatte das Kind noch am selben Tag außer Haus gebracht. „Papa, jetzt ist aber erstmal gut. Ruh dich aus. Halte durch. Ich brauche Zeit.“ „Ich habe schon wieder genickt. Entschuldige.“ Sie lachte. „Du warst immer ein toller Vater.“ „Womit ich das nur verdient habe?“, schäkerte er und legte auf.
Da es bereits Abend war hatte sie nicht viele Möglichkeiten weiter zu ermitteln. In das Moninger-Zeitungsarchiv käme sie erst morgen und als Alternative fiel ihr nur die Dorftratschtante Frau Pfaurer-Traschke ein. Sie redete viel, erfand viel und war verdammt einsam. Besser als nichts vermutlich.
Um fünf Uhr morgens verließ Asteria das Haus der Dame. Mit einem Entschuldigungs-Kaffee in der Hand schlenderte sie in die Morgenruf-Straße hinauf. Zu ihrem Pech lebte die erste Familie auf ihrer Liste nicht mehr hier. Die zweite allerdings konnte sie ausfindig machen aber stellte bald schon fest, dass die in Frage kommende Person auf einem Jugendfotos naturblond war.
„Sie, blöde Frage. Gabs hier eine Kindesentführung?“ Asteria hatte zwar die Hose ihrer Uniform noch an, war aber nicht als Polizistin erkannt worden. „Eine Frau hat mir erzählt das hier vor fünfzig oder sechzig Jahren Kinder verschwunden sind.“ Ihr Gegenüber lachte schrill auf. „Das kann nur die Pfaurer gewesen sein. Lassen sie sich nicht verrückt machen. Will sie ihr Enkel besuchen?“ Asteria fühlte sich sofort alt aber obwohl sie selbst keine Kinder hatte bejahte sie die Frage auffallend verunsichert.
„Die Gegend hier ist verschlafen. Unser Hauptproblem sind Graffiti.“ Mit einem Mal wurde sie etwas reservierter. Sie vergrößerte den Abstand zwischen ihnen und ließ sich dann nach einem Gedankenmoment auf einen olivgrünen Sessel fallen.
„Ich will ehrlich zu ihnen sein“, erzählte sie allerdings mit unveränderter Stimme weiter. „Es gab hier vor sechzig Jahren mal EINE Kindesentführung.“ Zusätzlich unterstrich sie ihre Aussage in dem sie auch mit den Fingern eine Eins zeigte. „Das Mädchen kam aber wieder zurück.“ „Ach ja?“, spielte sie überrascht.“ „Ja. Ein Brief lag dabei.“ „Was wie?“ „Ja, nicht nur. Die Person hat sich entschuldigt und als Entschädigung acht Monate lang zweitausend Euro in den Briefkasten gelegt. Wohl immer wieder mit einer Entschuldigung.“ „Und das hat die Familie hingenommen?“ „Nun mir ist nicht bekannt, dass diese Steins weiter sauer gewesen wären.“
Zur Bestätigung dieser Aussage wühlte sich Asteria durch alte Anzeigen. Wie ein Wunder fand sie, das was sie suchte. Die Eltern hatten die Anzeige zurückgenommen und behauptet, dass die Großeltern vergessen hatten Bescheid zu geben. Scheinbar waren sie wohl nur zu Besuch gewesen und mit dem Mädchen spazieren gegangen.
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