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Kapitel: | 26 | |
Sätze: | 7.508 | |
Wörter: | 78.210 | |
Zeichen: | 438.752 |
„Hi, isst du heute mit uns?“, fragte meine Mum, als ich zur Tür herein kam.
Ich ging zu ihr in die Küche und drückte sie kurz an mich. „Nein, ich hab gleich noch ’n Date. Ich muss mich beeilen.“
„Oh, wer ist es denn? Der nette junge Mann von letztens? Wie hieß er noch? Benjamin?“
Na gut, dass sie die Frage noch präzisiert hatte. Für sie war nämlich jeder meiner Freunde ein netter junger Mann. „Mum, mit Benj geh ich schon seit einem Monat nicht mehr aus. Ich hab dir doch erzählt, dass es mit uns nicht geklappt hat.“
„Schatz, wer soll denn bei deinen ganzen Männergeschichten noch durchsehen?“ Sie lächelte und wuschelte mir dann durch die Haare. „Dann beeil dich mal, du willst ihn doch nicht warten lassen.“
„Ich mach ja schon. Ich bin wahrscheinlich auch morgen zum Frühstück nicht da“, informierte ich sie bei der Gelegenheit noch schnell. Sonst würde sie morgen vergeblich versuchen, mich zu wecken.
„Dann wünsch ich dir viel Spaß. Ich hoffe, du stellst ihn uns bald mal vor.“ Ich nickte wenig überzeugend, beugte mich zu ihr hinunter und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Meine Mum war einfach toll. Egal was ich anstellte, solange es nicht illegal war oder ich jemanden damit verletzte, war es für sie okay. Mit meinem Vater hatte ich ebenso Glück, denn er sah das genauso.
Ich machte mich zügig auf den Weg in mein Zimmer. Die Sporttasche schmiss ich auf das Bett und kramte dann ein paar Klamotten aus dem Schrank. Nach einigem Hin und Her entschied ich mich für eine einfache Jeans und ein dunkles, enges Shirt. Für den Fall, dass es am Abend kühler wurde, würde ich meine Jeansjacke mitnehmen.
Im Bad rasierte ich mich kurz, dann zog ich mich an und machte mich daran, meine Haare zu richten. Eigentlich sollte ich es mittlerweile gelernt haben, mich nicht nach der Spätschicht zu verabreden, aber anderseits hätte ich sonst kaum Zeit für Dates. So war es nun mal, wenn man sieben Tage die Woche arbeitete. Morgen hatte ich jedoch frei, daher bot es sich an. Zumal ich hoffte, die Nacht bei ihm zu verbringen.
Während ich gerade versuchte, mir mit Gel die blonden Haare möglichst zufällig aussehend ins Gesicht fallen zu lassen, krakeelte plötzlich eine Stimme: „Das sieht total scheiße aus!“
„Halt die Klappe“, blaffte ich Lena, meine kleine Schwester, an, die in der Badezimmertür stand.
„Zieh dir doch mal was Helles an!“ Ich verdrehte die Augen. Seit wann war sie eigentlich so nervig geworden? Früher war sie noch süß. Das musste die Pubertät sein, immerhin war sie bereits dreizehn.
„Verzieh dich und mach die Tür zu!“, verscheuchte ich sie. Ich brauchte ganz sicher keine Stylingtipps von ihr.
„Du bist doof! Kein Wunder, dass dich keiner will!“, meckerte sie und streckte mir die Zunge heraus, bevor sie die Tür zuknallte.
Genervt seufzte ich und fing von vorne an mit den Haaren. Unrecht hatte sie ja nicht. Länger als ein paar Dates hielt es keiner mit mir aus. Benj hatte es bisher noch am längsten ausgehalten und das waren auch nur fünf oder sechs Dates gewesen. Doch daran würden meine Klamotten auch nichts ändern, die waren eindeutig nicht mein Problem.
„Scheiße!“ Mein Blick war auf meine Armbanduhr gefallen. In nicht einmal einer halben Stunde war ich verabredet. Noch immer saßen meine Haare nicht wie sie sollten. Daher strich ich mir noch einmal mit der Hand darüber, dann verließ ich das Bad. Ich verabschiedete mich noch schnell von meiner Familie, die gerade beim Essen saß, dann radelte ich los.
Ich kam gleichzeitig mit Dylan am Diner an. Schon als ich ihn von Weitem sah, lächelte ich in mich hinein. Er sah schon wieder zum Anbeißen aus. Die enge Jeans und das dunkle Hemd betonten seine große, schlanke Figur hervorragend und die Haare hatte er, im Gegensatz zu mir, perfekt hinbekommen.
Ich beugte mich kurz das kleine Stück zu ihm herunter, um ihn zu umarmen und ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Verhalten lächelte er mich an, dann gingen wir gemeinsam hinein. Wir bekamen einen Tisch am Fenster zugewiesen. Während ich einen großen Burger mit allem was dazugehörte bestellte, wollte er wie so oft nur einen Salat.
„Wie war’s im College?“, fragte ich, während wir warteten. Dylan war heute ungewöhnlich ruhig, sonst startete er doch das Gespräch und war kaum mehr zu stoppen.
„Ganz gut so weit. Und bei dir auf Arbeit?“, gab er fast schon abwesend zur Antwort.
„Das Übliche. Also auch nichts Besonderes.“ Dann schwiegen wir bis das Essen kam und auch dabei fielen nur sehr wenige Worte. Die Atmosphäre war merkwürdig bedrückend.
Nach dem Essen zahlte ich für uns beide und wir machten uns auf den Weg zu ihm. Da er in einem großen Wohnheim lebte, hatte er lediglich ein kleines Schlafzimmer zur Verfügung. Ich setzte mich auf das Bett, während er es sich auf dem Schreibtischstuhl gemütlich machte. Automatisch zogen sich meine Augenbrauen zusammen, als ich ihn betrachtete. Warum hatte er sich nicht zu mir gesetzt? „Was ist los?“
„Nichts“, gab er trotzig zurück.
Meine Brauen wanderten noch weiter zusammen, begannen sich zu kräuseln. „Dann komm her.“
Er blickte zu Boden und schüttelte leicht den Kopf. Einen Moment wartete ich, dann stand ich auf. Ich legte ihm die Hand unters Kinn und hob es an, bis er mir ins Gesicht sah. Ruhig fragte ich: „Was hast du?“
Er riss sich los und sah dann wieder zu Boden. „Es ist nichts!“
„Dylan, erzähl mir nicht, dass nichts ist! Du benimmst dich schon den ganzen Abend so komisch! Also, raus mit der Sprache!“, forderte ich mit Nachdruck.
„Du nervst mich!“, motzte er mich an.
Sofort zog ich überrascht die Augenbrauen in die entgegengesetzte Richtung. „Wie bitte?“
„Du nervst mich! Ich hab heute einfach keine Lust auf großartige Gespräche! Aber du lässt mich trotzdem nicht in Ruhe!“
„Warum sagst du dann nichts?“ Ich strich ihm über die Wange. „Das wäre doch völlig okay.“
„Weil du mich dann nur fragst, warum ich nicht reden will! Und ob etwas ist, weil ich nicht reden will! Schau mich nicht so an! Du kannst dir deinen mitleidigen Blick sparen!“ Er sah mich böse an.
Etwas verwirrt stand ich da. Dann schüttelte ich den Kopf. „Ich denke, ich sollte gehen. Ich hab keine Ahnung, was mit dir los ist, aber ich lass mich sicher nicht von dir anmachen, weil ich mir Sorgen um dich mache. Scheinbar hast du irgendwas, wenn du dich nicht einmal zu mir setzen willst. Natürlich wüsste ich gerne, was los ist.“
Ich ging zur Tür, um mir die Schuhe wieder anzuziehen. Ich hörte, wie er hinter mir aufstand und sich neben mich stellte. „Und wenn ich mich dazu gesetzt hätte? Dann wäre es dir plötzlich ganz egal, wie es mir geht! Dann wäre es wieder nur nach dir gegangen!“
Ich atmete tief durch und stand dann auf. Noch einmal legte ich ihm die Hand auf die Wange, versuchte ruhig zu bleiben. „Das stimmt nicht. Ich tue nichts, was du nicht möchtest. Wenn du nur kuscheln willst, ist das doch auch in Ordnung.“
„Ich will nicht kuscheln! Ich will…“, wütend trat der Kleinere von mir zurück und schlug gegen den Stuhl, „Ich will auch mal das machen können, was ich will! Du willst essen gehen, dann gehen wir essen. Du willst Sex, dann haben wir Sex. Und sogar in der Position, die du willst. Du willst nach Hause, dann gehst du nach Hause. Du willst...“
„Jetzt mach mal halblang“, unterbrach ich ihn. Ich ließ mir ja vieles gefallen, aber das ging dann doch zu weit. Er tat ja schon fast so, als würde ich ihn zu irgendwas zwingen. „Ich hab dir mehr als einmal gesagt, dass du sagen sollst, wenn du etwas möchtest, und mich jedes Mal rückversichert, ob das für dich auch okay ist. Ich kann doch keine Gedanken lesen. Du musst schon den Mund aufmachen, wenn du etwas willst oder nicht willst.“
„Da schon wieder! Du willst, dass ich etwas sage! Schon wieder soll es nach deinem Willen gehen!“
„Okay, weißt du was? Das hier wird mir zu blöd. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend. Wenn du dich beruhigt hast: Du hast meine Nummer.“ Mit diesen Worten drehte ich mich zur Tür und verschwand nach draußen.
Mein Weg führte mich zu einem kleinen Club, der sich in eine abgeschiedene Straßenecke des Village drängte. Allzu häufig kam ich nicht hierher, aber ich war gerade frustriert und wollte mich ablenken. Ich war mir sehr sicher, dass sich Dylan nicht mehr melden würde. Immerhin war er nicht der erste, der mich mit dieser Begründung abschoss. Ich war den meisten Männern einfach zu dominant. Nur was sollte ich mehr tun, als ihnen schon von vornherein zu sagen, dass sie es sagen sollten, wenn sie etwas wollten? Ich konnte doch nicht ewig darauf warten, dass sie vielleicht mal den Mund aufbekamen, und hatte keine Lust auf Rätselraten, was sie vielleicht wollten.
Dabei hätten die süßen Bürschchen fast alles von mir bekommen können, wenn sie doch nur den Mund aufgemacht hätten. Sobald ich mich in sie verkuckt hatte, konnte ich ihnen doch sowieso keinen Wunsch mehr abschlagen. Der Einzige, der das bisher verstanden zu haben schien, war Peter, ein jahrelanger Freund mit dem ich ab und zu im Bett landete. Er nutzte diesen Umstand durchaus auch gern mal für sich aus. Für mich war es okay, ich mochte ihn und wusste, dass er seine Grenzen kannte. Außerdem stand ich einfach auf diese selbstbewusste Art. Nicht, dass meine Dates keine selbstbewussten Männer gewesen wären, nur aus irgendeinem Grund verloren sie diese Art mir gegenüber sehr schnell und trauten sich nicht, ihre Wünsche zu äußern.
Ich gab meine Jacke an der Garderobe ab, die Wohnungs- und Fahrradschlüssel verstaute ich in der Tasche. Bei dem, was ich vorhatte, war mir die Gefahr zu groß, sie zu verlieren. Dann setzte ich mich direkt an die Bar.
„Hey, Kil, wie steht’s?“, grüßte ich den Barkeeper, während ich mir eine Zigarette ansteckte.
„Oh, hi, du auch mal wieder hier? Es läuft. Lass mich raten, ’ne Cola für dich?“ Lächelnd nickte ich und nahm dann auch das Getränk entgegen. Ich hätte zwar lieber ein Bier gehabt, doch das würde ich von ihm nicht bekommen. Er und sein Mann Trevor, dem der Club gehörte, würden sich ganz sicher keinen Ärger einhandeln wollen, nur weil sie mir ein Bier verkauften.
Während ich trank und rauchte, hielt ich etwas Smalltalk mit Kilian und ließ meinen Blick über die tanzende Menge schweifen. Doch auf den ersten Blick sprach mich nichts an. Daher reichte ich dem Blonden hinter der Bar neben dem leeren Glas auch mein Portemonnaie. „Ich hol’s mir später wieder ab.“
„Viel Spaß.“ Verschwörerisch zwinkerte er mir zu. Er wusste genau, was ich vorhatte. Da wir uns bereits seit ein paar Jahren kannten, vertraute ich ihm lieber meine Wertsachen an, als sie im Notfall zu verlieren.
Ich zwinkerte zurück und schob mich dann durch die halbnackten Männerkörper auf der Tanzfläche hindurch auf die Treppe im hinteren Teil des Clubs zu. Diese nahm ich nach unten, lief durch den schummrigen Gang an den Toiletten vorbei, auf den Raum am Ende zu. Schon davor konnte ich die Geräusche hören, die den ganzen Raum erfüllten, lediglich geringfügig durch die elektronische Musik übertönt, die hier unten vor sich hin plänkelte.
Ich betrat den Raum und blieb erst einmal am Rand eine Weile stehen, ließ meinen Augen einen Moment Zeit, sich an die hier herrschende Dunkelheit zu gewöhnen. Erst danach konnte ich die zahlreichen kopulierenden Männerkörper schemenhaft erkennen. Vorsichtig darauf bedacht, niemanden anzurempeln, bewegte ich mich durch den Raum, suchte nach jemanden, der auch nur annähernd ansprechend aussah. Zumindest so weit man das hier unten erkennen konnte.
Jedoch fand ich auch hier nichts. Ich stellte mich etwas an den Rand und sah einem Dreiergrüppchen zu. Ein paar Mal öffnete sich der Vorhang, wodurch der vordere Bereich in seichtes Licht getaucht wurde. Hätte es nicht noch einen kleinen, mit einem weiteren Vorhang abgetrennten Vorraum gegeben, hätte man jeden erkennen können, der hier herein kam. Doch im Moment interessierte es mich wenig, wer da kam. Ich wollte eine Weile warten und dann noch einmal sehen, ob ein interessanter Typ Lust auf mehr hatte.
Ich erschrak etwas, als mich plötzlich eine Hand ganz vorsichtig am Arm berührte. Es war weniger die Berührung an sich, die mich erschrecken ließ, als die Tatsache, dass es sich überhaupt jemand traute. Eigentlich blieb ich meist unbehelligt. Schon allein meine Größe schreckte viele ab, die deutlichen Muskeln und breiten Schultern, die man selbst hier erahnen konnte, taten ihr Übriges dazu. Ich drehte mich um, wollte wissen, wer tatsächlich diesen Mut aufbrachte, und schaute erst einmal vor eine schmale Brust.
Automatisch hatte ich ein wenig nach unten gesehen, denn die meisten Männer waren einfach kleiner als ich. Doch der hier vor mir schien ebenfalls gute zwei Meter groß zu sein. Ich ließ den Blick über ihn gleiten. Was ich im Dunkeln erkennen konnte, war er eher schlaksig. Doch die Hand, die ich nun meinerseits auf seinen Arm legte, enthüllte gleich, dass er definitiv nicht knochig war. Sehnige Muskeln spannten sich unter der Haut.
Er verstand, dass meine Hand auf seinem Arm ein Einverständnis darstellte, und seine eigene Hand wanderte zu meiner Hüfte, zog mich leicht an sich. Seine Lippen legten sich direkt auf meine. Wow, ich hatte bisher noch keinen Mann erlebt, der so wenig von mir eingeschüchtert war, um gleich die Initiative zu ergreifen. Selbst hier in der Dunkelheit schienen die meisten zu spüren, dass ich eher selbst die Zügel in die Hand nahm. Doch dieser hier überraschte mich. Völlig überrumpelt überließ ich ihm die Führung. Viel mehr blieb mir auch nicht über, außer ich hätte es beenden wollen. Denn genau das machte seine Haltung deutlich. Aber ich war neugierig. Das war etwas völlig Neues für mich.
Lediglich als er mich herumdrehte, stockte ich einen Moment. Anderseits, was hatte ich von einem Mann erwartet, der sich an so einem Ort so offensiv an mich heranmachte und mir schon nach kurzer Zeit die Hose heruntergezogen hatte? Natürlich würde er selbst aktiv werden wollen. Da ich aber recht schnell hörte, dass eine Kondompackung geöffnet wurde, konnte ich mich etwas entspannen. Lediglich die Anspannung aufgrund der ungewohnten Situation blieb. Das hier war einfach nicht die Rolle, die ich sonst gerne innehatte.
Doch der Typ wusste ziemlich gut, was er da tat. Er war vorsichtig und dennoch bestimmt. Denn auch wenn es nicht mein erstes Mal war, dass ich den aufnehmenden Part innehatte, häufig war es nicht der Fall. Er machte das so verdammt gut, bald hatte ich vergessen, dass es etwas Neues war, von einem Mann erobert zu werden, und genoss es. Er vermittelte auf seine Art eine ungeheure Sicherheit.
Auch die anderen schienen das zu spüren. Sonst war es hier häufig ein unglaubliches Gedränge, man kam sich mit anderen Pärchen oder Grüppchen ins Gehege, doch wir hatten Platz für uns. Lediglich einer schien sich zu trauen. Kurz spürte ich eine dritte Hand auf meinem Rücken, doch sie entfernte sich ganz schnell wieder und blieb auch verschwunden, nachdem der Kerl hinter mir einen missmutigen Laut ausgestoßen und vermutlich danach gegriffen hatte. Denn kurz entfernte sich auch eine seiner Hände von meiner Hüfte. Scheinbar wollte er mich für sich und das war auch sein gutes Recht. In dieser Situation hätte ich auch ungern eine dritte Person dabei gehabt.
Nachdem wir fertig waren, blieb ich noch einen Moment mit dem Gesicht zur Wand stehen und verdaute das Geschehene. Ich hörte ihn rascheln, dann trat er noch einmal näher an mich heran. Sein Atem strich sanft über mein Ohr und ich drehte leicht den Kopf herum. Noch einmal eroberte seine Zunge meinen Mund und seine Hand strich dabei leicht über meinen noch immer entblößten Hintern. Dann entfernte er sich und ließ mich allein.
Ich zog mir ebenfalls die Hose wieder hoch, richtete meine Klamotten und wartete dann eine Weile. Erst nachdem ein, zwei weitere Männer den Raum verlassen und betreten hatten, trat ich ebenfalls in den schummrigen Flur zurück. Ich hatte keine Lust, dass der Typ auf mich wartete, wollte gar nicht wissen, wer es gewesen war. Im Nachhinein war es mir nämlich durchaus peinlich, so aus der Rolle gefallen zu sein. Doch es war niemand zu entdecken, der auch nur annähernd eine ähnliche Figur hatte.
Wieder im Club angekommen, drängte ich mich zurück zur Bar. Mittlerweile war hier deutlich mehr los. Ich erhielt neben meiner Geldbörse auch eine weitere Cola, die ich gemütlich trank, während ich noch eine rauchte. Kil verlor wie immer kein Wort und stellte auch keine Fragen. Etwas, was ich sehr an ihm schätzte. Er respektierte, dass viele Männer, die hierher kamen, lediglich schnellen, anonymen Sex suchten. Und auch wenn er durchaus meinen Namen kannte: Er würde mich aus diesem Grund hier nicht damit ansprechen.
Nach der Cola verabschiedete ich mich. Ich musste ihm noch versprechen, in nächster Zeit mal wieder länger vorbeizukommen, was ich gerne tat. Denn der Club war auch zum Feiern durchaus geeignet, aber für heute hatte ich, was ich wollte. Wenn auch auf völlig andere Art und Weise.
„Oh, guten Morgen, es lief wohl gestern Abend doch nicht so gut, wie erhofft?“, fragte meine Mum, als ich am Morgen an den Frühstückstisch trat.
„Morgen“, grüßte ich alle, „nein, leider nicht. Das wird wohl nichts.“
„Ich hab doch gesagt, das sah scheiße aus!“, mischte sich Lena ein.
„Halt die Klappe, Kröte, du hast doch keine Ahnung!“ Ich schnappte ihr den Toast unter der Hand weg, den Mum gerade auf den Tisch gelegt hatte.
„Benehmt euch!“, schritt mein Vater ein. „Mat hat übrigens gestern Abend angerufen.“
„Oh, was wollte er denn?“ Selten genug, dass ausgerechnet Mat anrief. Sonst war es meistens eher sein Bruder Peter.
„Weiß ich nicht. Er hat nur gefragt, ob du zurückrufen kannst. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann hat er heute auch frei.“
„Danke, Dad. Ich ruf ihn dann gleich zurück.“ Doch zuerst wollte ich mein Frühstück beenden. Wie immer war der Rest meiner Familie deutlich früher fertig als ich. Da aber alle zur Arbeit und in die Schule mussten, ließen sie mich allein am Tisch sitzen, während sie ihre Sachen vorbereiteten und sich fertig anzogen.
Als Lena noch einmal kam, um sich zu verabschieden, verzog sie angewidert das Gesicht. „Das ist voll eklig! Wie kann man so viel fressen? Du wirst bestimmt wieder fett!“
Sofort übertrug sich ihr Ekel auf mich und ich legte das angebissene Toast zur Seite. Mit tadelndem Blick wurde sie von unserer Mutter ermahnt: „Lena, hör auf! Toby muss essen, damit er trainieren kann. Schatz, iss auf. Räumst du dann gleich alles weg?“
„Klar, mach ich. Ich wünsch euch einen schönen Tag.“ Ich biss langsam noch ein paar Mal ab, legte aber das Essen zur Seite, sobald alle das Haus verlassen hatten. Lena hatte mir den Appetit verdorben.
Auch wenn es albern war und ich genau wusste, dass meine Mutter Recht hatte, hatte ich dennoch meine Hemmungen beim Essen. Es hatte so lange gebraucht, bis ich das Übergewicht losgeworden war, natürlich wollte ich mir das nicht noch einmal antun. Das war wohl auch der Grund, weshalb ich Fitnesstrainer geworden war. Ich betätigte mich fast den ganzen Tag körperlich und konnte anderen Leuten dabei helfen, ihrem Traumkörper näher zu kommen.
Mit der Erkenntnis, dass ich auf Männer stand, war mir auch gleichzeitig bewusst geworden, dass niemand einen großen, fetten Kerl mit schiefen Zähnen haben wollte. Zuerst hatte ich dann aufgehört zu essen und mit niemandem mehr geredet. Erst als mich meine Eltern gedrängt hatten, ihnen zu sagen, was Sache war, hatten sie zusammen mit mir eine Möglichkeit gesucht, wie ich abnehmen konnte. Es war nicht einfach gewesen, aber nachdem ich erst zu Hause einiges an Sport getrieben hatte, fanden wir dann auch ein Fitnessprogramm für Jugendliche. Mit sechzehn hatte ich dann angefangen im Fitnessstudio zu trainieren, in dem ich nun auch arbeitete. Im letzten Jahr in der High School hatte ich es dann auch ins Basketball-Team geschafft. Und seit zwei Jahren waren auch die Zähne endlich gerade.
Nachdem ich alles weggeräumt hatte, machte ich es mir mit dem Telefon auf dem Bett gemütlich, zündete mir eine Kippe an und wählte Mats Nummer. Nach einigem Klingeln nahm er auch ab. „Mat Watkins.“
„Hi Mat. Toby hier.“
„Oh, hi. Hab gar nicht damit gerechnet, dass du jetzt schon zurückrufst. Moment, ich geh mal kurz aus dem Zimmer, Peter schläft noch.“ Ich hörte es rascheln und knacken, dann meldete er sich wieder: „Ist gestern also nicht so gut gelaufen? Dein Dad meinte, du hättest ein Date gehabt?“
„Nee, war nicht so. Du weißt schon, das Übliche“, seufzte ich. Er kannte das Prozedere schon.
„Mhm. Also bleibt es doch bei meinem Brüderchen?“
Ich wischte mir durchs Gesicht. „Keine Ahnung. Scheint wohl so.“
„Feigling“, spottete er. Ich wollte schon verwundert fragen, was er meinte, als er weiter sprach, „Wann willst du ihm sagen, dass er sich umsonst Hoffnung macht?“
Genervt stöhnte ich. Mat war einfach viel zu aufmerksam. Peter schien auch nach drei Jahren noch immer zu hoffen, dass das zwischen ihm und mir irgendwann mehr werden würde, als das bisschen Spaß, den wir bisher hatten. Dabei war ich mir so gar nicht sicher, ob ich mehr wollte. Er war äußerst attraktiv und ich mochte ihn als Freund, aber er hatte so eine komplizierte Vergangenheit, dass sie mir Angst machte. Ich war zwar im Bett eher dominant, dennoch wollte ich in einer Beziehung eben doch einen gleichberechtigten Partner und kein seelisches Wrack. Außerdem wohnten sie in Boston und damit einfach zu weit weg. Dennoch konnte er meine dominante Seite als einziger langfristig akzeptieren. Vielleicht war er doch die einzige Chance für mich, je so etwas wie eine Beziehung zu führen.
Statt weiter auf die Frage einzugehen, auf die ich doch keine zufriedenstellende Antwort geben konnte, lenkte ich lieber ab. „Was wolltest du gestern denn?“
Das leise Lachen am anderen Ende der Leitung sagte mir, dass Mat mich durchaus durchschaut hatte. „Ich hab gestern endlich meinen Schichtplan für nächsten Monat bekommen. Ich muss leider Sonntag und Montag arbeiten. Tut mir leid.“
„Schon gut, kannst du ja nichts für.“ Etwas enttäuscht war ich dennoch. Ich hatte gehofft, dass wenigstens er zu meinem Geburtstag kommen würde, wenn ich schon am Labor Day hatte. Blöderweise erfuhr Mat immer erst in der letzten Woche seinen Schichtplan. „Und bei Peter bleibt es auch dabei, dass er nicht kommt?“
„Ja. College fängt bei ihm am Dienstag direkt um acht an. Chris lässt ihn da nicht weg.“
Zustimmend grummelte ich. Peter hatte einfach zu viel Respekt vor ihrem ehemaligen Pflegevater, bei dem er und Mat noch immer lebten, um ihm in der Sache zu widersprechen, auch wenn er, genau wie ich, nächsten Monat zwanzig wurde. „Schon gut, ich versteh es ja. Ist immerhin sein erster Tag am College. Dennoch schade. Ich hatte gehofft wenigstens einen von euch zu sehen.“
„Sorry, Großer, das lässt sich leider nicht ändern. Ich bin noch zu frisch, um wegen der Schichten zu mosern. Kommst du denn zu Peters Geburtstag?“
„Nein, ich muss arbeiten. Ich hab schon versucht zu tauschen, aber natürlich mag keiner die Schicht am Wochenende übernehmen. Ich könnte nur einen Tag frei bekommen und das ist mir einfach zu teuer. Da spar ich lieber für deinen Einundzwanzigsten.“ Denn seitdem ich selbst Geld verdiente, gaben meine Eltern nichts mehr zu den Flügen dazu. Sie waren der Meinung, ich müsste das selbst bezahlen können. Da ich noch bei ihnen wohnte und nur ein wenig zu den Lebensmitteln dazu gab, hatte ich auch tatsächlich nicht viele Ausgaben.
„Schon klar. Schade. Vielleicht schaffen wir es bis dahin ja nochmal zu dir.“ Ich wusste, dass Mat durchaus etwas enttäuscht war, auch wenn er es nicht zeigte. Viele Freunde hatte er nicht und freute sich daher auch immer mich zu sehen.
„Würde mich freuen. Gab es sonst noch was?“
„Von mir nicht. Soll ich dir noch den Morgenmuffel wecken?“
„Oh Gott, nein! Lass mal lieber“, wehrte ich schnell ab. Seitdem Peter die meisten Nächte ohne Schlafpillen verbrachte, hatte er sich zu einem Langschläfer entwickelt und war einfach nicht auszuhalten, wenn man es wagte, ihn zu wecken. „Dann wünsche ich dir noch ’n schönen Tag und grüß ihn von mir.“
„Mach ich. Ich geb ihm aber keinen Kuss von dir!“ Ich lachte noch einmal, dann legte ich auf. Ich mochte diesen Kerl. Obwohl er immer so hart tat, war er ein unglaublich einfühlsamer und liebevoller Mensch.
Den Rest meines freien Tages verbrachte ich mit Fernsehen und etwas joggen. Mein Schwesterchen hatte mir einfach ein zu schlechtes Gewissen gemacht. Ich wollte die Kalorien wieder loswerden.
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„Schrittfehler!“, schrie mein bester Freund Terrence, als wir einige Tage nach meinem Geburtstag mit unseren Freunden auf dem Platz standen.
„So’n Scheiß! Mach mal die Augen auf, das war gar nichts!“, krakeelte Darius zurück. Noch bevor jemand anderes etwas erwidern konnte, nahm ich meinem Teamkameraden den Ball aus der Hand und warf ihn zu Terrence. Direkt beschwerte Darius sich: „Toby, was soll der Mist?“
„Terrence hat recht, das war ’n Schrittfehler. Sie haben den Ball.“ Ich lief wieder etwas zurück und stellte mich neben Bobby um ihn zu decken. Genervt stöhnte Darius und schüttelte den Kopf, während er dasselbe bei Greg tat.
Terrence trippelte kurz und suchte dann nach jemandem, dem er den Ball zupassen konnte. Wie ich es schon erwartet hatte, versuchte er es bei Greg. Darius fing den Ball jedoch ab und übergab ihn mit einem Bodenpass direkt an mich. Nach einem Rückpass landete der Ball dann auch im Korb. Damit bauten wir unsere Führung weiter aus.
Dennoch verloren wir letztendlich die Runde mit zwei zu drei Spielen. Danach setzten wir uns ein wenig ins Gras und tranken etwas. Dabei wurden Geschichten ausgetauscht, was in der letzten Zeit so passiert war. Irgendwann fragte Terrence mich: „Was ist eigentlich aus dem Typen geworden, den du an deinem Geburtstag kennengelernt hast?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Dasselbe wie mit allen anderen auch.“
„Toby, unser ewiger Junggeselle“, feixte Bobby und schlug mir freundschaftlich auf die Schulter. „Vielleicht hättest du ja doch bei Frauen mehr Glück.“
„Zumindest müsste er sich da keine Gedanken machen, dass er ihr zu stürmisch ist“, witzelte mein bester Freund. Böse schlug ich ihm gegen den Oberarm. Er wusste genau, dass ich auf solche Witze allergisch reagierte. Dennoch grinste er. „Hey, nicht gleich aggressiv werden.“
„Vielleicht müssen wir Toby nur mal in ’nen größeren Club schleppen. In dem kleinen Ding scheint er ja schon jeden vernünftigen Kerl durch zu haben“, schlug Darius vor.
„Klar, weil ich mit euch in ’nen anderen Schwulenclub gehe", erwiderte ich lachend. „Ihr macht euch ja schon bei Trevor im Club ins Hemd, wenn euch mal einer ’n Moment zu lange anschaut.“
Sofort ging Bobby in Verteidigungshaltung. „Der Typ letztens hat mich definitiv abgecheckt!“
„Du bist eben ein attraktives Kerlchen“, neckte ich ihn lachend. Es war wirklich cool von ihnen, dass die ganze Clique ab und zu mit mir in den Club kam, obwohl sie alle stockhetero waren. Dennoch hatten wir diese Diskussionen danach jedes Mal. Wirklich ernst meinten sie es aber nicht. Ich stellte es mir vor, dass es für sie genauso gruselig war, von einem Mann angegraben zu werden, wie für mich von einer Frau. Daher konnte ich schon verstehen, dass es unangenehm war. Wenn sie wirklich mal jemand angrub, lehnten sie jedes Mal äußert höflich ab, was konnte ich mehr verlangen?
„Wollen wir eigentlich weiterspielen?“, schlug Greg vor, nachdem alle fertig gelacht hatten und Bobby nicht mehr allzu rot war.
Einvernehmlich nickten wir und pflückten jeder auf gut Glück einen beliebigen Grashalm vom Boden. Ein kurzer Vergleich zeigte, dass Greg und Darius die Kürzesten erwischt hatten und daher das Zweierteam bilden würden.
Es stand bereits zehn zu acht für uns, als Terrence einen Korbwurf von Darius wegschlug und den Ball damit ins Aus beförderte. Während Bobby und ich ihn zu der Aktion beglückwünschten, zog auf einmal eine amüsierte, unbekannte Stimme unsere Aufmerksamkeit auf sich: „Oh, ich darf also mitspielen?“
Unsere Blicke flogen alle zu dem großen Braunhaarigen, der grinsend mit unserem Ball in der Hand am Spielfeldrand stand. Scheinbar hatte er ihn aufgefangen. Greg übernahm kurzerhand das Antworten: „Klar, uns fehlt noch ein Spieler. Ich hoffe du bist gut. Die drei brauchen nur noch einen Korb für den Sieg.“
„Ich kann nichts versprechen, aber ich versuch’s“, meinte der Braunhaarige selbstsicher grinsend. „Wir haben den Ball, oder?“
Scheinbar hatte er schon eine Weile unbemerkt zugesehen, denn er schien zu wissen, wer in welchem Team spielte. Ich nickte ihm mit einem Lächeln zu und stellte mich vor ihn, während Terrence und Bobby die anderen beiden deckten. Der Braunhaarige sondierte kurz noch einmal die Situation und passte dann zu Greg, welcher an Darius weitergab. Danach landete der Ball auch schon mit einem Zwei-Punkte-Wurf im Netz. Damit hatten sie den Ausgleich geschafft.
Bobby nahm den Ball auf. Während er noch nach einer guten Wurfgelegenheit suchte, schlug ihm der Neue einfach den Ball weg. Recht flink drehte er ihm den Rücken zu und nutzte die Gelegenheit für einen Korbwurf. Er schien nur nicht einberechnet zu haben, dass ich ebenfalls größer war als die anderen, wodurch ich den Ball rechtzeitig abfangen konnte. Da wir ohne Pflichtpass bei Ballabnahme spielten, versenkte ich den Ball einfach selbst.
Der Kerl machte die restliche Runde ebenso spannend, daher war am Ende auch keiner frustriert, als Terrence, Bobby und ich dennoch gewannen. Erneut setzten wir uns für eine Pause ins Gras. Während wir alle etwas tranken, wandte sich Greg an den Braunhaarigen: „Du bist echt verdammt gut. Spielst du öfter?“
„Ich hab früher im High School-Team gespielt. Mittlerweile nicht mehr. Wüsste nicht mit wem.“ Er zuckte kurz lächelnd die Schultern. Es schien in nicht weiter zu stören.
„Ah cool, Toby und ich auch“, freute sich Greg.
„Wenn du willst, kannst du jederzeit bei uns mitspielen. Wir spielen häufiger hier Streetball. Bei gutem Wetter ist ab Sechs immer jemand von uns hier“, bot ich ihm an. Da wir alle unterschiedlich arbeiteten, hatten wir sowieso häufig unausgeglichene Teams oder zu wenig Spieler. Wenn noch jemand dazu kam, würde es nur lustiger werden. Zumal er eine wirkliche Frohnatur zu sein schien.
Freudig lächelte er mich an. Dabei leuchteten seine Augen regelrecht. „Wenn ich Zeit habe, dann gern. Ich muss neben dem College aber noch arbeiten.“
„Kein Problem. Terrence und ich arbeiten beide in Schichten, wir sind auch nicht immer da.“ Dabei deutete ich auf meinen besten Freund, um ihm zu zeigen, wer damit gemeint war.
„Wie heißt du eigentlich?“, fiel Bobby dadurch auf.
„Roger. Und ihr?“ Nacheinander stellten wir uns vor, wobei er jeden von uns kurz musterte. Dann blieb sein Blick an mir hängen, während ich gerade etwas trank. „Darf ich einen Schluck?“
„Klar.“ Ich zuckte mit den Schultern und reichte ihm die Flasche. Ausreichend Wasser hatte ich eh immer dabei. Das war einfach eine Gewohnheit.
Wieder lächelte er, als er die Flasche annahm und an seine Lippen setzte. „Danke.“
Als er die Flasche absetzte und sich dann kurz mit der Zunge über die Lippe leckte, schoss mir kurz ein alberner Gedanke durch den Kopf. Zählte das als indirekter Kuss? Schnell vertrieb ich ihn und schalt mich dafür.
Sicher, der Kerl sah nicht schlecht aus, genau wie die anderen Jungs. Ich stand nun mal auf trainierte Männer, die nicht gleich nach Bodybuilder schrien. Das Shirt, das beim Spielen ab und zu etwas hochgerutscht war, hatte gezeigt, dass er nicht nur seine Arme trainierte. Und die Jeans betonte seinen attraktiven Arsch ungemein, wie sie sich beim Laufen darüber spannte. Die Selbstsicherheit, die er ausstrahlte, tat ihr übriges, damit er mich nicht kalt ließ.
Solche Gedanken waren dennoch einfach unangebracht. Ich konnte es mir nicht leisten, mich neben meinen sonstigen Liebesproblemen auch noch in einen Heterokerl zu verknallen. Und wenn ich schon mit solchen Gedanken anfing und ihn so musterte, dann würde es sicher nicht lange dauern. Ich kannte mich, ich hatte ein Talent, mir die unmöglichsten Männer dafür auszusuchen.
Das leise Kichern von Terrence und das Grinsen von Darius zeigten mir, dass sie entweder ebenfalls gerade albern drauf waren und denselben Gedanken gehabt hatten, was das Trinken anging, oder dass sie mein Stutzen bemerkt hatten und mich einfach zu gut kannten. Zumindest Terrence traute ich letzteres zu. Um sie nicht dazu zu verleiten, ihre Gedanken auszusprechen, lehnte ich ab, als mir die Flasche wieder entgegengestreckt wurde. „Nein, behalt ruhig. Ich hab noch eine. Du wirst sicher noch was brauchen, immerhin wollen wir doch noch eine Runde spielen, oder?“
Erst sah er verwundert aus, dann nickte er freudig. „Die gleichen Teams?“
„Nein, du musst einfach irgendeinen Grashalm pflücken. Die Längsten kommen dann in ein Team“, erklärte Terrence und rupfte schon einen Grashalm aus. Alle anderen machten es genauso. Am Ende lief es aber dennoch auf dieselben Teams hinaus. Nur diesmal gewannen die anderen, in einem ebenso spannenden Match.
In den nächsten Wochen spielte Roger häufiger mit uns. So auch an diesem Nachmittag Ende September. Neben uns hatten an diesem Tag nur Terrence und Bobby Zeit für ein paar Spiele. Die anderen mussten arbeiten oder lernen. Daher spielten wir zwei gegen zwei.
Terrence passte mir gerade den Ball zu, damit ich ihn im Korb versenkte, da schob sich Roger zwischen mich und den Ball und fing ihn ab. Bevor er losrannte, grinste er mich kurz an. Er war noch immer genauso gut drauf wie schon beim ersten Mal und obwohl er mit viel Körpereinsatz spielte, verhielt er sich immer fair und diskutierte auch bei rechtmäßigen Calls des Gegners nie herum. Den anderen war das ebenfalls aufgefallen, weshalb wir ihn gern dabei hatten und uns freuten, wenn er kam.
Mit einem Doppelpass zu Bobby beendete er kurz darauf auch die Runde. Zufrieden mit dem wieder recht knappen Spiel, setzten wir uns auf die Bänke. Das Gras war mittlerweile zu kalt geworden. Demnächst würde es auch generell zu kalt werden, um draußen zu spielen. Dafür würden wir uns dann regelmäßig treffen, um die NBA im Fernsehen anzusehen.
Während wir saßen und wieder zu Atem kamen, brachen plötzlich die Wolken. Verwundert und fluchend sahen wir uns an, dann schnappten wir uns unsere Sachen und flüchteten zum nächsten Unterstand. „Scheiße!“
„Schade, das war’s wohl für heute“, stellte Roger fest.
„Sieht so aus. Scheint nicht, als würde es bald wieder aufhören“, pflichtete ihm mein bester Freund bei. „Toby, kann ich mit zu dir, bis es aufhört? Ich hab auch noch Klamotten bei dir und du wolltest mir noch ’n Film leihen.“
„Ja klar.“ Ich wohnte tatsächlich ein ganzes Stück näher an unserem Stammplatz als Terrence.
Bobby warf einen Blick auf seine Uhr. „Kann ich auch mitkommen? Meine Eltern holen mich dann später sicher ab. Aber jetzt fährt die nächste viertel Stunde nichts. Bis dahin hab ich mir den Tod geholt.“
„Klar. Wollen wir uns den Film dann einfach bei mir zusammen ansehen?“ Begeistert stimmten die beiden zu, während Roger sich leise verabschiedete. Schnell rief ich: „Roger, warte mal! Wo wohnst du denn? Magst du vielleicht auch mitkommen? Es sind nur fünf Minuten. Du kannst dir dann erst mal Klamotten von mir leihen.“
Kurz schien er zu überlegen, dann hellte sich seine Miene auf. „Gern, danke. Ich müsste ans andere Ende von Manhattan.“
„Na dann komm. Ich muss nur mein Fahrrad holen.“ Gemeinsam gingen wir zu meinem Fahrrad, dann machten wie uns auf den Weg. Ich schob den Drahtesel neben mir her. Gerade wollte ich einfach nur nach Hause ins Trockene, daher verzichtete ich vorerst aufs Rauchen.
Unterwegs wandte ich mich an Roger: „Wie kommt’s, dass du hier vorbei kommst, wenn du am anderen Ende wohnst?“
„Ich arbeite da hinten in ’nem Laden. Regale einräumen und so“, erklärte er bereitwillig und wies in die Richtung. Ich nickte, denn ich wusste, welchen er meinte.
„Ah, das mach ich auch. Allerdings bei mir in der Nachbarschaft. Du meintest, du machst das neben dem College? Was genau studierst du denn?“, fragte Bobby. Viel wussten wir tatsächlich noch nicht über den Braunhaarigen. Um so schöner, dass wir jetzt einmal Zeit für solche Dinge fanden.
„Ich mach meine Zulassung zum Zahnarzthelfer. Und du?“ Roger legte neugierig den Kopf schief. Irgendwie sah das echt süß aus.
„Ich studier Chemie. Ich will meinen Doktor machen und dann in Lehre und Forschung gehen“, erklärte Bobby nicht ohne Stolz. Roger riss überrascht die Augen auf, während Terrence und ich nur müde lächelten. Wir hatten uns schon daran gewöhnt. Bobbys Eltern waren renommierte Ärzte an einer Privatklinik. Ihm und seinem Bruder Anthony, der Jura studierte, waren die hohen Ziele in die Wiege gelegt worden.
„Klingt voll cool! Und ihr?“, fragte Roger nun Terrence und mich.
„Ich arbeite in der Produktion, bis ich genug Geld fürs College zusammen hab. Dann will ich Human Resources studieren“, antwortete mein bester Freund. Seine Eltern konnten es sich leider nicht leisten, ihn beim Studium zu unterstützen, daher hatte er erst einmal angefangen zu arbeiten. Und das Geld, das meine Eltern für mich gespart und ihm angeboten hatten, weil ich es nicht fürs College brauchte, wollte er nicht annehmen. Nicht einmal leihweise.
Als letztes schaute Roger mich neugierig an. „Ich bin zertifizierter Fitness- und Personaltrainer.“
„Das erklärt, warum du gefühlt nicht einmal ins Schwitzen kommst.“ Verschmitzt grinste er mich an.
Ich zuckte nur mit den Schultern. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich weniger schwitzte als die anderen. „Wie kommt man eigentlich darauf, Zahnarzthelfer zu werden?“
„Damit ich meine sadistische Ader ausleben kann.“ Er lachte über meinen verdutzten Geschichtsausdruck und zwinkerte mir dann zu. „Ich mag einfach mit Menschen arbeiten, aber so soziales Zeug ist nicht meins. Und ich find Medizin sehr spannend, nur das dauert mir zu lang, bis da mal was passiert.“
„Cool, dann wissen wir ja, in welche Praxis wir gehen müssen, wenn du fertig bist“, witzelte Terrence, als wir vor meinem Haus ankamen.
„Ich geh schnell das Fahrrad in die Garage stellen“, rief ich ihnen zu und war auch schon verschwunden. Danach kam ich wieder und öffnete ihnen die Tür. Dabei rief ich ins Haus: „Mum? Dad? Ich hab Freunde mit!“
Ich horchte, doch erhielt keine Reaktion. Scheinbar waren sie nicht da. Ich streifte die Schuhe im Flur ab und bat dann: „Kommt rein. Die nassen Schuhe bitte ausziehen. Ich geh eben Handtücher holen, wartet solange hier.“
Bevor ich mich umdrehte, um die Treppe nach oben zu sprinten, sah ich noch, wie Roger nur sehr zögerlich seinen Fuß über die Türschwelle setzte. Sein Blick hing an der regenbogenfarbenen Türmatte. Mir fiel sie schon gar nicht mehr auf und auch meine Freunde hatten lediglich beim ersten Mal verwundert geschaut. Sie passte nicht zum ansonsten recht spießbürgerlichen Äußeren des Hauses. Aber meine Eltern hatten darauf bestanden. Sie wollten ein Zeichen setzen, dass jeder in diesem Haus willkommen war. Ich fand es eine nette Geste, die aber wohl nur die wenigsten verstanden. Meistens rief sie eher Verwunderung hervor.
Ich trocknete mich im Bad erst selbst ab und zog etwas Trockenes an, bevor ich mit Jogginghosen, T-Shirts und Handtüchern bewaffnet nach unten ging. Ich reichte jeweils eines davon an jeden. Dankbar nahmen sie es an, trockneten sich ab und zogen sich dann um. Diesmal gingen wir gemeinsam nach oben. Die nassen Sachen steckte ich in den Trockner.
Roger stand noch immer vor meiner Zimmertür, als ich aus dem Waschkeller kam, die anderen waren scheinbar schon drin. „Was ist? Du kannst ruhig reingehen. Ich geh nur eben Getränke holen.“
„Ich helf dir“, bot er direkt an und kam mit nach unten, nachdem ich die anderen nach ihren Getränkewünschen gefragt hatte.
Gemeinsam kamen wir mit den Getränken wieder nach oben. Terrence und Bobby hatten bereits die Isomatte und Decken aus dem Schrank geholt und auf dem Boden ausgebreitet. Sie waren so häufig hier, sie hatten kein Problem damit, sich selbst zu bedienen. Ich stellte die Getränke auf den Schreibtisch und nahm dann Roger seine ab. Dabei fiel mir auf, dass sein Blick an einem Regal hängengeblieben war.
Scheinbar war es auch Terrence aufgefallen, denn er lachte. „Keine Sorge, das war nur ’n Witz von uns zu Tobys Achtzehnten. Der benutzt die Dinger nicht. Hoffe ich zumindest.“
Jetzt musste ich doch mal genauer schauen, was Roger da betrachtete, aber ich hatte schon eine Befürchtung. Und sie bestätigte sich auch. Sein Blick war genau an dem Regal hängen geblieben, in dem ein rosa und ein babyblauer Plastikpenis standen. Ich wusste bis heute nicht, was sich meine Freunde dabei gedacht hatten, aber irgendwo war es witzig. Daher hatten sie einen besonderen Platz im Regal bekommen.
„Stimmt. Die Dinger sind mir zu billig gemacht. Die Guten sind in der Nachttischschublade“, witzelte ich. Es machte mir nichts aus, meine Freunde wussten, dass ich durchaus solche Sachen besaß. „Soll ich eigentlich ein paar Snacks holen zum Film?“
Der Vorschlag stieß auf große Begeisterung. Also machte ich mich noch einmal auf den Weg. Direkt fragte Roger: „Soll ich noch mal helfen?“
„Wenn du magst. Du kannst es dir ansonsten auch schon mal gemütlich machen. Viel ist eh nicht da.“ Ich lächelte ihm aufmunternd zu, denn er hatte deutlich anders geklungen als sonst und wirkte etwas verstört. Irgendwie konnte ich es nachvollziehen, mir war es auch immer unangenehm, das erste Mal bei jemandem zu sein und die Gepflogenheiten nicht zu kennen.
Währenddessen hatte sich Terrence zu Bobby gelehnt, hielt ihm die Hand ans Ohr und raunte mit wackelnden Augenbrauen: „Uh, Roger soll es sich schon mal bequem machen.“
Bobby lachte und ich musste ebenfalls schmunzeln. Sie machten gern solche Scherze auf meine Kosten, aber es war okay, immerhin tat ich dasselbe auch bei ihnen, wenn sich eine Gelegenheit bot. Ich warf Terrence die Videokassette zu. „Er macht sich wenigstens nützlich. Könntest du auch mal tun.“
„Sorry. Sie sind manchmal etwas albern“, erklärte ich Roger, als wir in der Küche standen und ich alles zusammensuchte. Er war erschreckend still geworden, seitdem wir das Zimmer verlassen hatten. Ich hoffte, dass er nicht glaubte, die anderen würden sich auf seine Kosten lustig machen.
„Mhm“, murmelte er nur. Doch dann sah er mich direkt an, schien mich kurz zu mustern. Dabei zog er die Augenbrauen kraus. Vorsichtig fragte er: „Du bist schwul?“
„Ja“, antwortete ich überrascht über die plötzliche Frage. Dann fiel mir auf, dass es bisher in seiner Gegenwart nie Thema gewesen war. Warum auch? Für meine Freunde war es selbstverständlich, dass ich schwul war. Daher hatte ich auch einfach nicht daran gedacht, dass es Roger vielleicht stören könnte. Möglichst ruhig fuhr ich fort: „Ich hoffe, du hast kein Problem damit. Ansonsten kannst du jederzeit gehen.“
„Was? Äh, nein... Du siehst nur einfach nicht danach aus“, antwortete er sofort. Dennoch klang er verdächtig nervös. Wohl einer von der Sorte die behaupteten, sie hätten kein Problem, bis sie damit konfrontiert wurden.
„Keine Sorge, Toby macht sich nicht an uns Heteros ran.“ Terrence stand in der Tür zur Küche und lächelte Roger aufmunternd zu. Dann wandte er sich an mich: „Ich hab ’n Glas umgeworfen. Ist alles heile, aber ich brauch ’n Lappen.“
„Hier. Ich mach nur noch kurz den Käse warm.“ Ich drückte ihm einen Lappen in die Hand. Dann sah ich wieder zu Roger, der noch immer verunsichert wirkte. „Du kannst auch schon mit hoch gehen, dauert nicht lange.“
„Nein, schon gut. Du musst ja nicht allein warten.“ Er versuchte zu lächeln, doch so ganz gelang es ihm nicht. Die Neuigkeit schien ihn etwas aus der Bahn geworfen zu haben. Während ich den Käse in der Mikrowelle erhitzte, schwiegen wir. Auf dem Weg nach oben änderte sich auch nichts daran.
Wir verteilten die Sachen und setzten uns. Roger zu Bobby auf die Isomatte, ich mich zu Terrence auf das Bett. Während ich mir eine Zigarette anzündete, sah ich, dass Roger mich mit gerümpfter Nase beobachtete. Da ich hoffte, dass es nur an dem Qualm lag und nicht an mir, öffnete ich kurz das Fenster.
Nach dem Film redeten wir noch miteinander und vergaßen völlig die Zeit. Lediglich Roger war deutlich ruhiger als sonst. Schade, ich hatte ihn nett gefunden. Aber er schien wirklich nicht damit klar zu kommen, dass ich auf Männer stand.
Irgendwann steckte meine Mum ihren Kopf durch die angelehnte Tür. „Hi Jungs. Bleibt ihr zum Essen?“
„Sehr gern.“ Terrence strahlte über das ganze Gesicht bei der Einladung. Er liebte das Essen meiner Mum. „Danke, Mrs. Blanchett.“
„Kein Problem. Du weißt doch, dass du jederzeit vorbeikommen kannst. Wie sieht es mit dir aus, Bobby?“ Sie sah ihn an, bis auch er nickte. Dann schien sie Roger zu bemerken, der halb hinter den anderen saß. Sie ging freundlich lächelnd auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. „Oh. Dich kenn ich noch gar nicht. Ich bin Tobys Mum. Bleibst du auch?“
„Ich bin Roger. Wenn ich darf, gerne.“ Er schüttelte kurz ihre Hand. Etwas verwundert sah ich ihn an. Ich hatte damit gerechnet, dass er nur wartete, bis es nicht mehr unhöflich war zu gehen. Oder glaubte er, dass es das wäre, wenn er die Einladung ausschlug?
„Schön. Dann kommt doch gleich runter. Ich kann ein paar helfende Hände gebrauchen.“ Damit verschwand sie dann auch, bevor wir antworten konnten.
Bobby und Terrence sprangen direkt auf. Ich gab ihnen ein Zeichen schon vorzugehen und wandte mich an Roger, der ihnen hinterher wollte. Vorsichtig hielt ich ihn am Arm fest. Überrascht wandte er sich zu mir. Ruhig sprach ich ihn an. „Du musst nicht bleiben, wenn es dir unangenehm ist, hier zu sein.“
Seine Augenbrauen kräuselten sich, doch ich konnte den Geschichtsausdruck nicht deuten, genau wie seine Stimme. „Ist es doch gar nicht. Du kannst aber auch sagen, wenn ich gehen soll.“
„Was? Nein. Du bist nur sehr still geworden, seitdem wir hier sind. Ist alles okay?“ Besorgt wollte ich ihm die Hand auf die Schulter legen, doch er wich zurück.
„Ja“, antwortete er sofort, dann schien er es sich aber anders zu überlegen und schüttelte den Kopf. „Sorry, du hast recht, vielleicht sollte ich gehen. Ich brauch wohl einen Moment, um mich an den Gedanken zu gewöhnen. Sorry.“
Ich hatte so etwas schon befürchtet, daher nickte ich nur. „Ist okay.“
Gemeinsam gingen wir nach unten und verabschiedeten uns an der Tür. Nachdem er weg war, ging ich in die Küche, um den anderen zu helfen. Da mich meine Mum verwundert an sah, weil ich alleine kam, erklärte ich: „Roger hat gerade gemerkt, dass er doch schon los muss.“
„Oh. Ihr Jungs habt euch aber nicht gestritten, oder?“, bemerkte meine Mutter sofort, dass etwas nicht stimmte.
Ich zuckte mit den Schultern. Für mich war das Ganze nichts Neues. Und lieber ging er jetzt als später, wenn man sich zu gut angefreundet hatte. „Er hat wohl ein Problem damit, dass ich schwul bin.“
„Och schade, dabei schien er doch ganz nett. Naja, man kann den Leuten eben doch nur vor den Kopf kucken.“ Noch einmal sah sie mich prüfend an, wollte wohl sichergehen, dass es mich wirklich nicht weiter störte, dann lächelte sie und beschäftigte sich wieder mit dem Essen. Sie wusste, dass ich schon immer ein dickes Fell gehabt hatte und mich auch früher, als ich noch wegen meines Übergewichts geärgert worden war, nicht weiter darum geschert hatte.
„Dann sehen wir ihn wohl auch beim Streetball nicht mehr. Dabei ist er echt gut“, bemerkte Terrence noch, dann war auch von der Seite das Gespräch beendet.
Tatsächlich tauchte Roger erst eine Woche später wieder auf. Ich hatte mir bereits vorgenommen, ihm seine Sachen, die er bei mir vergessen hatte, bei Gelegenheit auf der Arbeit vorbei zu bringen, hatte es bisher jedoch noch nicht geschafft. Auch wenn er nichts mehr mit uns zu tun haben wollte, gehörte es sich für mich nicht, sie einfach zu behalten. Fröhlich wie immer stand er am Spielfeldrand. „Hey. Kann ich noch mitspielen?“
„Klar! Du kommst zu uns ins Team, dann ist’s fairer“, antwortete ihm Anthony. Bobbys kleiner Bruder war das Nesthäkchen unserer Clique und außerdem der kleinste. Doch dafür war er unglaublich flink.
„Ist gut. Wo soll ich deine Sachen hintun?“, wandte sich Roger dann an mich.
„Leg sie ruhig neben meine Tasche. Sorry, ich hab deine nicht hier. Ich bring sie dir beim nächsten Mal mit.“ Ich wusste noch nicht, ob ich mich freuen sollte, dass er da war, und wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Hatte er tatsächlich nur etwas Zeit gebraucht?
„Kein Problem. Ich kann da noch ein paar Tage drauf warten. Wie sehen die Teams aus?“ Er packte den Beutel neben meine Sachen und kam dann zu uns zurück. Ihm war überhaupt nicht anzumerken, dass er ein paar Mal gefehlt hatte. Es war, als wäre nichts passiert.
„Du, Anthony und ich gegen Toby und Darius“, erklärte ihm Greg.
Mit einem Nicken stieg Roger dann auch direkt ins Spiel ein. Nun merkte man doch, dass er nicht einfach vergessen hatte, was vorgefallen war. Er war deutlich weniger zurückhaltend als bei mir zu Hause, dennoch verpasste er die eine oder andere Gelegenheit, mir den Ball abzunehmen, die er vorher auf jeden Fall genutzt hätte. Und auch so hielt er deutlich Abstand zu mir.
Nicht nur mir schien das aufzufallen, denn nach der zweiten Runde nahm mich Anthony etwas zur Seite. „Was ist denn mit Roger los? Er verhält sich irgendwie komisch.“
Ich seufzte. Hatte sein Bruder ihm nichts erzählt? „Er war letztens mit Terrence und Bobby bei mir nach ’nem Wolkenbruch. Er hat die Dildos gesehen, die ihr mir geschenkt habt, und dabei natürlich auch seine Rückschlüsse gezogen. So wirklich scheint er damit nicht klarzukommen.“
„Dabei hast du dich doch noch nicht mal an ihn rangemacht, oder?“, fragte mein Gegenüber überrascht und mit einem leicht säuerlichen Unterton.
„Nö, warum sollte ich?“ Ich zuckte mit den Schultern. Die Jungs wussten eigentlich, dass ich das schon aus Prinzip nicht tat. „Er ist hetero, also völlig uninteressant für mich.“
„So ein Arschloch!“
„Na, so schlimm ist es auch nicht. Er hat mich weder beleidigt, noch ’n blöden Spruch gebracht“, beruhigte ich ihn und wuschelte ihm durch die Haare. Schön, dass er sich solche Sorgen um mich machte. Aber es war unnötig. „Er wird schon noch merken, dass schwul sein nicht heißt, dass man jedes männliche Wesen direkt anmacht.“
„Ich hoffe es.“ Ganz überzeugt war Anthony wohl noch nicht. Dennoch kam er direkt wieder mit zu den anderen zurück.
Als wir dort ankamen, schien ihm etwas einzufallen: „Hast du eigentlich dieses Wochenende irgendwann frei? Du wärst mal wieder dran ’n Club auszusuchen. Diesmal hab ich sogar Zeit.“
„Oh, stimmt. Ja, ich hab Samstag frei. Wir könnten also Freitag gehen. Wäre bei Trevor okay? Oder bleibt ihr dabei, dass ihr in ’nen größeren wollt?“, wandte ich mich an Darius und grinste ihn etwas gehässig an.
„Nee, lass mal lieber. Trevor ist okay“, antwortete er fast schon panisch und Greg pflichtete ihm bei. Nur mühsam unterdrückte ich mein Schmunzeln.
„Cool. Dann sag ich meinem Bruder Bescheid. Rufst du Terrence an?“, stellte Anthony sicher, dass alle informiert wurden.
„Kann ich auch mitkommen?“, fragte Roger, den ich kurzzeitig vergessen hatte, plötzlich schüchtern.
„Eher nicht. Nimm es mir nicht übel, aber das ist ’n Schwulenclub. Ich glaub nicht, dass du dich da wohl fühlst.“ Nee, ich wollte ihn sicher nicht dabei haben, wenn er schon auf mich so reagierte. Ich hatte keine Lust auf Stress, weil er jemanden blöd anmachte.
Etwas enttäuscht sah er mich an, nickte dann aber. Dennoch konnte ich bei seinem Blick nicht anders, als einzulenken. „Na gut, du kannst es dir ja nochmal überlegen.“
Er murmelte nur zustimmend, dann gingen wir zurück ans Spiel.
Nach drei weiteren Runden, die wir wie üblich durchwechselten, wurde es für uns alle Zeit, nach Hause zu fahren. Es wurde auch bereits dunkel.
„Wir sehen uns dann Freitag“, rief ich Darius nach, als er sich in eine andere Richtung aufmachte als der Rest von uns. Dann wandte ich mich an Roger: „Hast du dir überlegt, ob du mit in den Club kommen willst?“
„Ich bin noch nicht ganz sicher“, gab er zu. Dabei biss er sich unruhig auf die Unterlippe.
„Moment.“ Greg kramte in seiner Tasche und holte dann einen Stift und Zettel heraus. Er kritzelte etwas darauf, dann gab er ihn an den Neuen. „Hier. Das ist meine Nummer. Du kannst ja mal anrufen. Ich hab mich auch am Anfang etwas schwer getan, als Toby sich im Team geoutet hat. Danach kannst du es dir ja immer noch überlegen, ob du nicht doch mitkommen magst. Es ist wirklich nicht so schlimm, wie man glaubt.“
„Danke.“ Roger schaffte es zwar zu lächeln, doch es sah etwas gequält aus. Er steckte den Zettel weg, hob die Hand zum Gruß und ging dann nach Hause.
„Ich glaub nicht, dass er kommt“, warf Anthony ein.
Ich zuckte mit den Schultern. „Glaub ich auch nicht. Aber Greg hat recht, ich hätte auch nicht gedacht, dass ich nach seiner ersten Reaktion noch Kontakt zu ihm haben würde. Vielleicht hilft ja ein Gespräch wirklich. Und solange er noch mitspielt und keine dummen Sprüche macht, ist es doch auch okay, ich kann nicht verlangen, dass jeder das toll findet.“
„Hast recht. Wäre schade, wenn er deshalb wirklich ganz abgehauen wäre“, pflichtete Anthony mir bei.
Tatsächlich kamen wir am Freitag auch mal wieder wirklich alle zusammen. Durch die unterschiedlichen Arbeitszeiten, Berufe und Studiengänge war das nicht immer einfach. Daher spöttelte Darius irgendwann auch: „Wir sind schon alle verkappte Schwuchteln. Da schaffen wir es endlich mal wieder alle und dann auch noch hier.“
„Wir müssen Toby eben mit vereinten Kräften verkuppeln, sonst wird das doch nie was“, sagte Greg mit einem Schmunzeln. „Alleine schafft er das ja nicht.“
„Tse. Keine Sorge, ich brauch sicher keine Hilfe. Ich brauch nur ’n vernünftigen Kerl“, antwortete ich gespielt bockig und drückte meine Zigarette im Aschenbecher auf dem Tisch aus. Es war ja süß, dass sie helfen wollten, aber ich fand nicht, dass ich diese Hilfe brauchte.
„Och nö, das heißt, Toby verschwindet gleich wieder und lässt uns stehen“, stöhnte Anthony, meinte es aber nur scherzhaft. Sie hatten eigentlich kein Problem damit, wenn ich mal für eine Weile im Darkroom verschwand.
„Vielleicht. Wenn sich was Gutes finden lässt. Aber erst mal geh ich Kilian ‚Hallo‘ sagen und uns die erste Runde besorgen. Was soll’s denn sein?“ Alle nannten mir ihre Getränkewünsche und Darius kam mit, um mir beim Tragen zu helfen.
„Hey, Kil. Wie läuft’s?“, grüßte ich ihn mit einem Handschlag.
„Oh, hey ihr beiden. Seid ihr mal wieder alle hier?“, grüßte er freundlich zurück.
„Ja. Wir müssen ja auf Toby aufpassen“, scherzte mein Kumpel.
Der Barkeeper lachte. „Ich bezweifel, dass das notwendig ist. Bisher hat er das auch ganz gut allein hinbekommen. Aber schön, dass ihr dennoch mitkommt.“
„Gibt es irgendwas Interessantes?“, fragte ich. Kilian hatte einen ähnlichen Männergeschmack wie ich. Wenn ihm jemand aufgefallen war, dann war er auf jeden Fall einen genaueren Blick wert. Das würde mir etwas Zeit ersparen.
„Benj hat ’n Neuen“, verkündete er. Ich verdrehte die Augen. Manchmal vergaß ich, dass er gerne tratschte. Er grinste mich spitzbübisch an. „Okay, das war dann also nicht das, was du hören wolltest?“
Ich lachte. „Nein, ich such eher was anderes.“
„Okay, ich lass euch beide mal lieber allein. Bringst du Terrence’ Cola gleich vorbei?“, verabschiedete sich Darius eilig.
„Warte, ich helf dir eben.“ Ich stand auf und nahm mir zwei der Getränke, mein eigenes ließ ich an der Bar stehen. Wir verteilten die Getränke, dann ging ich zurück. „Also erzähl schon. Ich seh dir an, dass du was entdeckt hast.“
„Na du hast es aber eilig“, spottete Kilian und zwinkerte mir zu. „Du warst doch die Woche schon hier. Wird das nicht irgendwann krankhaft?“
„Ach quatsch. Also los. Was hast du entdeckt?“ Ich fand zwei Mal die Woche Sex nicht unbedingt häufig. Zumal das eher eine Ausnahme und Stressabbau war.
„Schon gut. Komm ein Stück ran.“ Ich lehnte mich etwas weiter über die Bar. „Rechts, direkt neben dem Blonden mit den langen Haaren. Siehst du ihn?“
Da die Bar etwas gebogen war, saß mir leider genau jener Blonde im Blickfeld, zumindest wenn ich mich nicht auffällig weit nach vorne beugen wollte. Doch zum Glück war dieser ein alter Bekannter und bemerkte, was ich vorhatte. Er winkte mir zu und lehnte sich dann lässig nach hinten, nachdem ich zurück gewunken hatte.
Damit gab er den Blick auf einen nicht allzu breiten Rücken frei. Schmächtig war der Kerl auf keinen Fall, aber auch keine Kante, die Arme sahen sehnig, aber nicht untrainiert aus. Das war schon mal vielversprechend. Was mir weniger gefiel, war das Shirt. Es war ein recht helles, locker sitzendes Muskelshirt. Ich mochte es nicht, wenn die Kleidung so nach Klischee schrie. Vermutlich hatte er auch noch so einen albernen Ohrring. Aber für einen kurzen Abstecher in den Darkroom sollte es mir egal sein. Der Rücken und die Oberarme machten mich neugierig. Ich wollte das Gesicht sehen.
Als hätte ich den Gedanken laut ausgesprochen, drehte sich der Kopf mit den kurzen braunen Haaren auch in dem Moment herum. Mir stockte der Atem. Das konnte doch nicht sein! Auch mein Gegenüber weitete erschrocken die Augen, als er bemerkte, dass ich ihn beobachtet hatte. Einen Moment erwiderte er den Blick, dann sprang er auf.
Ich brauchte etwas, um zu realisieren, dass er flüchtete. Dann kam auch in mich Bewegung und ich folgte ihm. Zielstrebig steuerte er auf die Treppe zu und verschwand nach unten. Als ich ebenfalls dort ankam, war er im Gang nicht mehr zu entdecken. Leise fluchte ich, nahm dann aber den Weg zu den Toiletten. In den Darkroom würde er hoffentlich nicht geflohen sein. Ansonsten wäre er vermutlich direkt rückwärts wieder herausgestolpert.
„Roger?“, fragte ich in den Vorraum hinein. Scheiße, was tat er hier? Und warum rannte er weg?
„Was willst du?“, hörte ich seine Stimme aus einer der Kabinen. Klang er gerade böse? Warum?
„Was ist los? Warum rennst du weg?“ Ich ging auf die Tür zu, die in dem Moment aufschwang. Er stand in hautengen Jeans und dem weiten Shirt vor mir. Woher hatte er bitte eine glitzernde Hose bekommen? Ich musste mir wirklich das Lachen verkneifen. Er hätte gerade wirklich als Klischeeschwuler durchgehen können.
„Hab mich erschrocken.“ Er sah genauso böse aus wie er klang und blickte mir wütend in die Augen.
Die Antwort verwirrte mich kurzzeitig. Anderseits dachte er vielleicht, dass ihn jemand abcheckte. Mit dem Outfit hätte es mich aber auch nicht verwundert. Vermutlich hatte er sich nur erschrocken, als er sah, dass ich es war, der ihn fast schon ansabberte. „Sorry. Greg hat nichts gesagt, dass du auch kommen wolltest. Sonst hätten wir draußen auf dich gewartet.“
„Greg wusste nicht, dass ich hier bin. Ich hab ihn nicht angerufen.“ Er ging an mir vorbei auf die Tür zu. Ich folgte ihm, wollte ihn nicht ohne eine Erklärung gehen lassen.
„Woher wusstest du dann, dass wir hier sind?“, fragte ich verwirrt, als wir im Flur waren.
„Wusste ich nicht. Sonst wäre ich woanders hingegangen. Ich wollte nur in Ruhe feiern gehen“, gab er noch immer grimmig zurück.
Einen Moment brauchte ich, um die Information zu verarbeiten, starrte ihn verständnislos an. Scheiße, war das ein schlechter Witz? Sein ganzes Verhalten ergab für mich überhaupt keinen Sinn. „Willst du mich verarschen?“
„Nein und jetzt lass mich in Ruhe. Du hältst mich davon ab, mir ’nen Fick zu suchen.“ Abrupt blieb er stehen, drehte sich zu mir um und starrte mich wütend an.
Unweigerlich musste ich lachen. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. „Roger, lass den Scheiß. Das ist nicht witzig. Was willst du hier?“
„Hab ich doch schon gesagt.“ Einen Moment wurde seine Miene noch wütender. Dann änderte sich sein Gesichtsausdruck plötzlich und etwas anderes trat an diese Stelle. „Und wenn du mich weiter aufhältst, dann musst du herhalten.“
Ich wollte gerade über diese Albernheit lachen und setzte schon zu einer Erwiderung an, da kam die Wut in sein Gesicht zurück. Er machte plötzlich ein paar Schritte auf mich zu und drückte mich mit einer Hand gegen die Wand. Sein Körper drängte sich gegen meinen, ließ mir keine Chance wegzukommen, wenn ich ihn nicht grob wegstoßen wollte. Doch im Moment war ich dafür zu perplex. Heiser raunte er: „Das hier ist kein Witz! Ich meine das ernst.“
Ich sah ihm in die Augen, suchte in seinem Gesicht nach einem verräterischen Lächeln, das zeigte, dass er mich nur verarschen wollte. Doch so sehr ich es auch scannte, ich fand nichts dergleichen. Dafür gab es dort aber sehr viel wilde Entschlossenheit in den sturmgrauen Augen. Wie sollte ich das denn einordnen?
Je länger ich ihn so betrachtete, desto bewusster wurde mir, dass er mein Gesicht ebenso scannte. Was suchte er? Und was suchte ich eigentlich noch? So lange hier zu stehen, würde meine Fragen auch nicht beantworten. Stattdessen wurde meine Kehle immer trockener. Verdammt, war sein Gesicht schon immer so attraktiv gewesen? Der feine Bartschatten zeigte, dass er sich locker einen Vollbart wachsen lassen konnte, die Nase war leicht schief, die sonst eher ruhigen Augen wurden von einem Sturm aufgepeitscht, die Augenbrauen zog er leicht zusammen und die schmalen Lippen befeuchtete er in diesem Moment einladend mit seiner Zungenspitze. Mir wurde gerade bewusst, wie anziehend das alles auf mich wirkte und wie wenig ich das die letzten Wochen beachtet hatte, weil ich mich nicht hatte in einen attraktiven Heterokerl verkucken wollen.
Verdammt! Die Erkenntnis, dass diese Situation einiges daran änderte, traf mich wie ein Hammerschlag. Wenn Roger hier nach einem Fick suchte, stand er auf Kerle. Und gerade war er mir verdammt nah. Ich konnte die Wärme seines Körpers durch das Shirt hindurch spüren. Ich musste schlucken, um die Trockenheit in meiner Kehle loszuwerden.
In dem Moment schien er in meinem Gesicht gefunden zu haben, was er gesuchte. Sein Gesicht kam mir näher und seine Lippen legten sich fordernd auf meine. Nach einem sehr kurzen Überraschungsmoment erwiderte ich den Kuss genauso gierig. Wie sollte ich auch anders reagieren, wenn mich ein so geiler Typ aus heiterem Himmel küsste? Eine Erklärung konnte ich auch später noch fordern.
„Wäh, du hast geraucht“, stellte er fest, nachdem er einen kleinen Schritt von mir fort gemacht hatte. Dennoch grinste er mich selbstsicher an, ließ seine Fingerspitzen federleicht über den Stoff in meinem Schritt wandern, der bereits spannte. Als er weitersprach, lag eine leichte Unsicherheit in seiner Stimme, zeigte, dass er nicht vollkommen über die Situation erhaben war: „Ich denke, das heißt ja?“
Eigentlich wollte ich einen Moment darüber nachdenken, doch dann nickte ich einfach. Ich hatte hierbei nichts zu verlieren. Die Erklärung konnte warten, im Moment würde ich ihn sowieso nur anstarren und weitermachen wollen. Ich nahm seine Hand und ging auf den Eingang zum Darkroom zu. „Komm mit!“
Sobald es dunkel war und wir einen freien Platz gefunden hatten, trafen unsere Körper wieder aufeinander. Vorsichtig schoben sich seine Hände unter mein Shirt auf die Beckenknochen und den Bauch, während ich meine über seinen Rücken wandern ließ. Verdammt, ich hätte mir seinen Körper viel besser einprägen sollen. So musste ich meine Fantasie bemühen und mir vorstellen, wie die Körperpartien aussehen würden, die ich im Dunkeln berührte. Ich wusste ja zumindest, dass das, was ich bisher gesehen hatte, ausgesprochen gut aussah.
Wie hatte mir entgehen können, dass er auf Männer stand? Eigentlich erkannte ich so etwas mittlerweile sehr zuverlässig. Mat und Peter hatten damals recht gehabt: Wenn man wusste, worauf man achten musste, war es meistens eindeutig. Die wenigstens hatten ihre Blicke so gut unter Kontrolle, dass man es nicht bemerkte. Oder war das hier nur ein Experiment für ihn?
Vorerst war es egal, ich wollte lieber genießen, was hier geschah. Das war der Vorteil eines Darkrooms: Was hier geschah würde nicht nach außen dringen. Ich konnte mich gerade einfach der Überraschung hingeben und musste nicht darüber nachdenken, warum das hier geschah. Vorerst konnte es einfach geschehen lassen. Wenn wir wollten, wäre es hinterher nie passiert.
Nach einem leisen, heiseren Stöhnen legte Roger die Stirn zwischen meinen Schulterblättern ab. Ich selbst hatte meinen Kopf auf dem Arm abgelegt, mit dem ich mich von der Wand abstützte. Wir atmeten beide schwer und ich konnte spüren, dass er genauso stark schwitzte wie ich.
Eine Weile standen wir so da, warteten, dass wir wieder zu Atem kamen, dann begann er mit etwas zu rascheln. Als er gefunden hatte, was er suchte, hielt er mir etwas Helles vor das Gesicht. Mit einem „Danke“ nahm ich das Taschentuch entgegen und machte mich sauber, während er einen halben Schritt zurück machte, wodurch er aus mir herausglitt. Ich raffte meine Hose hoch und schloss sie, bevor ich mich umdrehte und mich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte.
Ich konnte nichts von seinem Gesicht erkennen, dennoch war es mehr als deutlich, dass er genauso angestrengt versuchte, etwas in meinem zu erkennen wie ich in seinem. Vorsichtig streckte ich die Hand nach seinem Nacken aus, zog ihn daran wieder zu mir. Diesmal war es meine Zunge, die bei ihm Einlass forderte.
„Wow“, seufzte er, nachdem wir uns gelöst hatten.
„Du sagst es“, raunte ich. Er hatte mich nicht nur einfach gefickt. Es war auch noch echt geil gewesen. Ich wusste nicht, seit wann ich darauf stand, früher hatte das immer ein Desaster gegeben, wenn jemand versucht hatte, mir die Führung zu nehmen, aber darüber wollte ich jetzt auch gar nicht nachdenken. Von mir aus konnten wir nach einer kleinen Pause gerne weitermachen. Aber diesmal wäre er dran. Um ihm das zu zeigen, küsste ich ihn erneut.
„Das hier muss unter uns bleiben“, forderte er jedoch direkt im Anschluss und holte mich damit in die Realität zurück.
Das hier war Roger, der sich in meine Arme hatte fallen lassen, dem ich über den Rücken streichelte und der seinen Kopf auf meiner Schulter abgelegt hatte, damit ich mit ihm flüstern konnte, um niemanden zu stören. Roger, der mich in den letzten Wochen gemieden hatte, weil ich auf Kerle stand.
„Von mir erfährt es keiner“, versicherte ich dennoch. Das war für mich einfach selbstverständlich.
„Kann ich mich darauf verlassen?“, fragte er unsicher nach, klang noch immer leicht erschöpft.
„Ja.“ Egal, was hier passiert war, ich sprach darüber sicher nicht mit meinen Freunden. Dennoch war es unglaublich merkwürdig, gerade ihn jetzt in meinem Arm zu halten. „Aber ich will wissen, was hier los ist. Warum bist du hier? Was sollte das werden? Warum hast du...“
Er legte mir die Hand auf den Mund. „Ich erklär es dir beim nächsten Mal, okay?“
„Hmm... Es gibt also ein nächstes Mal? Ich freu mich drauf“, raunte ich halb scherzhaft an seinem Ohr, nachdem er seine Hand weggenommen hatte. Scheiße, schon der Gedanke an ein nächstes Mal machte mich wieder geil. Dabei konnte er das nicht ernst meinen.
„Nur wenn es niemand erfährt und du das nächste Mal rasiert bist.“ Um zu verdeutlichen, was er meinte, strich er mit der Hand über meine Hose. „Ich mag da keine Haare, das ist total widerlich. Genauso wie Tabakgeschmack.“
Ich schmunzelte. Diese Situation war so unglaublich surreal. Er versprach mir ein nächstes Mal? Was war das hier für ein Spiel? Egal, ich würde mir später darüber Gedanken machen. Sicher war es nur ein merkwürdiger Scherz. Seine Art, diese Situation zu überspielen. Da konnte ich auch einfach mitspielen. Irgendwann würde er schon einen Rückzieher machen. „Deal. Dafür hast du das nächste Mal deine normalen Klamotten an und nicht dieses Kostüm. Außer du kannst mich davon überzeugen, dass du dich darin tatsächlich wohlfühlst. Aber das bist nicht du.“
„Du kennst mich doch gar nicht“, gab er bitter zurück. Ich seufzte. Recht hatte er wohl. Sonst hätte er mich kaum so überrumpeln können.
„Schon gut. Ich meine nur... Ach, egal. Wir sollten raus, sonst bekommen wir noch Ärger, wenn wir hier weiter quatschen.“ Ich setzte mich in Bewegung, doch er blieb stehen. Ich streckte die Hand nach ihm aus. „Na komm, ich geb dir was aus.“
„Nein. Ich verschwinde, bevor mich die anderen sehen.“ Er ignorierte meine Hand und ging an mir vorbei.
Seufzend schüttelte ich den Kopf. So ernst war es ihm also? Sie sollten nicht einmal wissen, dass er hier war? Na gut, meinetwegen, es war seine Sache. „Warte, ich geh zuerst hoch, dann kann ich sie ablenken.“
„Ist gut. Nicht vergessen, kein Wort hierüber!“ Obwohl er wohl eigentlich hatte hart klingen wollen, hatte seine Stimme einen flehenden Ton angenommen.
Ich stellte mich direkt neben ihn. Das klang eindeutig nicht gut. Ich wollte ihn etwas aufmuntern, ihn nicht mit einem schlechten Gefühl zurücklassen. Außerdem wollte ich mich versichern, dass das Ganze hier keine Einbildung war. „Was war denn? Ich glaub, ich hab mein Gedächtnis verloren. Vielleicht kommt ja die Erinnerung bei einem Kuss von dir wieder?“
Er strich mir eine Strähne aus der Stirn, seine Finger wanderten dabei hauchzart über meine Haut. Ich konnte seinen Atem ganz nah an meinem Gesicht spüren, er war nur wenige Millimeter von mir entfernt. Dann trat er plötzlich wieder weg. „Dann sollten wir das auch bis zum nächsten Mal verschwunden lassen.“
Kopfschüttelnd lachte ich und schritt dann durch den Vorhang und, nach einem kurzen Abstecher in den Waschraum, weiter nach oben. Dieser Kerl war einfach nur verrückt und undurchschaubar. Hoffentlich erhielt ich irgendwann eine hinreichende Erklärung.
Ich holte mir mein Getränk bei Kil ab, der mir wissend zuzwinkerte, dann ging ich zu meinen Freunden. „Sorry, wollte euch nicht warten lassen.“
„Ja klar, natürlich nicht. Der Kerl hat dich bestimmt einfach überfallen und du bist nicht mehr weggekommen“, feixte Terrence.
„So in etwa.“ Ich zündete mir grinsend eine Kippe an. Wenn er wüsste, wie nah er damit an der Wahrheit lag. Roger lief gerade am anderen Ende des Clubs zum Ausgang und schien gar nicht zu bemerken, dass ich ihn beobachtete. „Ich hab auf Klo ’n Bekannten getroffen und er hat mir ’n unwiderstehliches Angebot gemacht.“
„Irgendwie beneid ich dich ja schon. Du hast auch an jeder Hand zehn Kerle, die für ’n Abenteuer zu haben sind, oder? Das könntest du mit Frauen nicht machen.“ Darius grinste und die anderen lachten leise.
Ich zuckte mit den Schultern. Sie stellten sich das immer so einfach vor. „Dafür ist keiner dabei, der mir mehr geben würde als Sex. Wenn ich könnte, würde ich tauschen.“
„Was ist denn mit deinem kleinen Freund aus Boston?“, fragte Anthony.
Ich rollte mit den Augen. Konnten sie das Thema nicht mal sein lassen? „Der ist in Boston.“
„Jetzt tu mal nicht so, das ist jetzt auch nicht die Welt“, redete mir Terrence mal wieder rein.
Er hatte von Anfang an gewusst, dass Peter für mich keine Option als fester Freund war, dennoch wollte er es immer wieder in diese Richtung rücken. „Dafür reicht es bei mir aber nicht.“
„Dann beschwer dich auch nicht. Wenn du die vermutlich einzige Chance sausen lässt, mal ’n festen Freund zu haben, bist du selbst schuld!“ Böse sah ich ihn an, doch er ignorierte es. Manchmal fragte ich mich, warum er überhaupt mein bester Freund war.
„Hey, nicht streiten. Kommt, wir gehen tanzen“, schlug Darius vor. Dankbar für die Ablenkung stimmte ich zu und stürmte mit ihm die Tanzfläche.
Als wir uns ein paar Tage später beim Basketball wiedersahen, ließ sich Roger tatsächlich nichts anmerken. Er wirkte wie immer. Lediglich das leichte Lächeln, als ich ihm die Tüte mit seinen Klamotten überreichte, verriet, dass ich es nicht geträumt hatte. Vorsichtig strichen seine Fingerspitzen über meine Haut, als er sie mir abnahm. Das war eindeutig keine unbeabsichtigte Berührung. Kurz lächelte ich zurück, bevor er sich mit einem grimmigen „Danke“ abwandte.
Wenn ich gehofft hatte, er würde nach unserem Intermezzo wieder spielen und agieren wie zuvor, dann hatte ich mich gewaltig getäuscht. Noch immer ließ er mir das ein oder andere Mal einen Ball, den er jedem anderen abgenommen hätte.
Nach der ersten Runde setzten wir uns wie immer ins Gras. Während wir alle zu unseren Flaschen griffen, blickte Roger entschuldigend in die Runde. „Kann ich mir bei euch was leihen? Ich hab meines mal wieder vergessen.“
Ohne ihn weiter anzuschauen, reichte ich ihm meine Flasche. Er vergaß es häufiger und ich hatte eigentlich immer mindestens zwei Flaschen mit, daher gab ich ihm meist etwas ab. Nachdem er einen großen Schluck genommen hatte, hielt er sie mir wieder hin. Kopfschüttelnd lehnte ich ab. „Schon gut, ich hab noch genug. Behalt sie.“
Er schüttelte ebenfalls den Kopf. „Ich kann dir nicht immer alles wegtrinken. Danke.“
Ich nickte und nahm sie wieder zurück. So wirklich wurde ich aus seinem Verhalten nicht schlau. Während ich einen weiteren Schluck nahm, um mir die Verwirrung nicht anmerken zu lassen, bemerkte ich den eindringlichen Blick, den Roger mir zuwarf. Er schien ganz genau zu beobachten, was ich mit der Flasche tat. Hatte ich etwas im Gesicht oder was war so interessant?
Fast verschluckte ich mich, als mir der Gedanke wieder einfiel, den ich gehabt hatte, als ich ihm zum ersten Mal meine Flasche gegeben hatte. Wäre mein Blut nicht sofort in andere Regionen geschossen, wäre ich wohl rot geworden. Roger streckte die Hand aus. „Bekomm ich noch einen Schluck, bevor du alles vollspuckst?“
Ich nickte nur, als ich ihm die Flasche noch einmal gab. Meiner Stimme traute ich gerade nicht über den Weg. Mit dem Finger wischte er einen Tropfen weg, der die Flasche hinablief, dann leckte er diesen ab. Während er sich die Flasche ganz sacht an die Lippen setzte, die er kurz vorher mit der Zunge befeuchtete, musste ich einfach wegschauen. Ich hatte das Gefühl zu platzen, wenn ich ihn weiter beobachtete. Zumal sein Blick die ganze Zeit mir galt. Das konnte er doch unmöglich absichtlich machen!
Bevor noch jemand mitbekam, wie Roger mich in den Wahnsinn trieb, widmete ich mich dem Gespräch von Bobby und Darius, die sich über Mädchen unterhielten, aber gerade ins Stocken gerieten. Ich wandte mich an Bobby: „Wie geht es eigentlich Belinda?“
„So weit ganz gut. Sie macht im Moment Praktikum im Krankenhaus, daher sehen wir uns nicht so oft. Aber ist ja nur ein halbes Jahr. Danach wird es hoffentlich wieder besser.“ So wie er bei der Aussage strahlte, glaubte ich ihm, dass alles gut war. Er war da recht einfach zu lesen. Man musste nur den Namen seiner Freundin sagen. Wenn er begann zu strahlen, war alles gut, wenn sich ein Schatten auf sein Gesicht legte, war etwas im Argen. Warum konnte es bei Roger nicht genauso einfach sein?
„Und wie steht es bei dir? Hattest du nicht letztens auch noch eine kennengelernt?“, war nun Darius an der Reihe.
„Nah, das war nichts. Die wurde mir zu schnell zu aufdringlich. Schade, süß war sie ja. Aber ich will mir keine Klette ans Bein binden.“ Amüsiert schüttelten Bobby und ich den Kopf. So war Darius eben.
„Danke. War sehr gut“, reichte mir Roger die Flasche wieder zurück. Na toll, ich hatte mich doch gerade wieder beruhigt. Da kam das Zwinkern, als ich sie ihm abnahm, gar nicht gut. „Wollen wir weiterspielen?“
„Ja. Neue Teams?“, pflichtete Bobby ihm bei.
„Ja, bitte. Du und Roger machen uns die ganze Zeit fertig“, warf Darius sofort ein. Ich zuckte nur mit den Schultern. Mir war es eigentlich egal, mit wem ich zusammenspielte. Also wurden wieder Grashalme gezogen. Diesmal spielte Darius mit Roger zusammen.
„Hast du eigentlich ’ne Freundin?“, griff Bobby nach der zweiten Runde das Gespräch von zuvor wieder auf. „Sorry, mir ist grad eingefallen, dass du noch gar nichts in die Richtung erwähnt hast.“
„Nein, hab ich nicht. Nur ab und zu mal ein paar Affären, das war’s. Mehr will ich aber auch gar nicht“, antwortete Roger aufrichtig lächelnd.
„Oh. Warum das nicht?“, fragte Bobby nach. Er war eher der Mensch, der Sex nur in der Beziehung hatte, verstand aber auch, wenn es jemand anders hielt.
Doch bevor der Gefragte antworten konnte, sprang Darius dazwischen. „Boah, wie macht ihr das alle? Mir hängen die Weiber immer direkt an der Ferse.“
Roger zuckte mit den Schultern, ging gar nicht auf Darius ein. „Mir wäre eine Beziehung einfach zu kompliziert.“
„Kann ich verstehen“, pflichtete ihm Darius bei. Nicht, dass dieser es jemals versucht hätte.
Während des Gesprächs hatte Roger immer wieder einen kurzen, versichernden Blick zu mir geworfen. Scheinbar wollte er sichergehen, dass ich sein Geheimnis nicht verriet. Da ich noch nicht einmal sicher war, was es genau war, hielt ich den Mund, um ihn nicht aus Versehen zu verraten. Ich wurde aus seinem Verhalten noch nicht schlau. War er nun schwul oder nicht? Und warum mied er mich einerseits und machte mich andererseits so auffällig unauffällig an? Oder bildete ich mir das alles nur ein?
„Vielleicht sollten wir über etwas reden, bei dem auch Toby mitreden kann?“, schlug Bobby vor, der mein Schweigen wohl bemerkt hatte.
„Gern. Wie wäre es mit der Planung des ersten Novemberwochenendes? Wie sieht es da bei euch aus?“, wechselte Darius das Thema.
„Ich hab Samstag frei. Und meine Eltern sind Halloween bis Sonntag im Urlaub“, antwortete ich sofort, damit sie nicht merkten, dass mich etwas anderes beschäftigte.
„Oh cool, ich glaube, damit hat sich Toby gerade angeboten, dass wir wieder zu ihm gehen“, witzelte Darius.
Ich zuckte nur mit den Schultern. Da meine Eltern jedes Jahr um diese Zeit in den Urlaub fuhren, sahen wir uns die ersten Spiele der Saison meistens bei mir an. „Klar, können wir machen. Ich weiß nur nicht, ob Lena da ist oder mitfährt.“
„Darf ich fragen, worum es geht? Wollt ihr wieder weggehen?“, fragte Roger vorsichtig. Überrascht sah ich ihn an. Wäre er diesmal etwa mitgekommen?
„Klar. Du gehörst doch mittlerweile dazu“, antwortete Bobby ihm freundlich. „Wir schauen uns die Wochenendspiele der NBA so weit möglich zusammen an. Und es ist quasi schon Tradition, dass wir uns die ersten bei Toby anschauen, weil er sturmfrei hat. Wir bleiben dann immer Freitag bis Samstag bei ihm.“
„Cool. Darf ich auch kommen?“, fragte Roger vorsichtig in meine Richtung.
„Hat Bobby doch gerade gesagt: Du gehörst dazu. Also ja.“ Möglichst neutral versuchte ich ihn anzulächeln. Dabei machte mich der Gedanke leicht nervös. Ich musste bis dahin herausfinden, was Sache war, sonst würde ich mich verrückt machen. „Ich muss nur vorher wissen, ob du da bleibst oder nur an einem Tag kommst oder wie auch immer. Aber das hat noch etwas Zeit. ’ne Woche vorher reicht, wenn du Bescheid sagst.“
„Ich schau mal. Danke.“ Offen lächelte er mich an. Hatten seine Lippen dabei sonst auch so verlockend gewirkt?
„Vielleicht räumt Toby ja auch extra für dich die Dildos weg“, feixte Darius. Ich boxte ihm dafür in die Seite. Er wusste zwar nicht, was passiert war, aber ihm sollte klar sein, dass so ein Kommentar fehl am Platz war.
Ohne das Gesicht zu verziehen, fragte Roger: „Spielen wir noch ’ne Runde?“
„Klar. Eine schaffen wir noch. Welche Teams diesmal?“, war Darius nach der gewonnenen Runde Feuer und Flamme.
„Ich würde sagen, Toby und ich gegen euch beide“, schlug Roger vor. Dafür erhielt er nicht nur von mir einen verwirrten Blick. Auch die anderen merkten natürlich, dass er sich noch immer von mir fernhielt. Schnell schob er hinterher: „Dann hat jeder mal mit jedem gespielt.“
„Aber das ist doch unfair. Ich seid viel größer und habt beide mal in ’nem Team gespielt“, motzte Darius. Er hasste es zu verlieren.
„Dafür seid ihr wendiger und spielt schon länger zusammen“, warf Roger ein.
„Ich find die Idee gut. Na komm, die beiden Großen spielen wir doch locker aus.“ Bobby schnappte sich den Ball und ging zum Spielfeld. „Wegen Nachteil haben wir den Ball als erstes!“
Nachdem Roger und ich die letzte Runde für uns entschieden hatten, packten wir unsere Sachen zusammen. Ich wollte mir gerade wie üblich nach dem Spielen eine Kippe anstecken, als mich Rogers Blick traf. Kurz hielt ich in der Bewegung inne, dann steckte ich sie wieder weg.
Er hatte weder etwas gesagt, noch die Miene verzogen, dennoch war mir sofort sein Kommentar von Freitag wieder in den Kopf gekommen. Er mochte es nicht, wenn jemand rauchte. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Warum interessierte mich das? Die ganze Sache mit der Wiederholung war doch nur ein Witz gewesen. Alles andere war einfach nur Wunschdenken. Dennoch konnte ich mich nicht überwinden zu rauchen, bis er sich von uns verabschiedet hatte.
Als ich am nächsten Tag von der Arbeit kam und meine Tasche in mein Zimmer brachte, lag ein dunkelgrüner Umschlag auf meinem Schreibtisch. Es stand lediglich mein Vorname darauf. Die Handschrift war schön, nicht verschnörkelt, aber dennoch schwungvoll. Jeder Buchstabe war fein säuberlich mit Tinte aufs Papier gebracht worden.
„Toby, kommst du essen?“, rief meine Mum von unten, bevor ich ihn öffnen konnte.
Ich schnappte ihn mir und ging zu ihnen. Sie saßen bereits alle am Tisch. Während ich mich dazusetzte, fragte ich: „Was ist das für ein Umschlag?“
„Ich weiß nicht. Er lag heute im Briefkasten“, antwortete mein Dad. „Hast du noch nicht reingeschaut?“
Ich war dabei den Kopf zu schütteln, da quatschte Lena dazwischen: „Den hat so ein Mann heute Mittag reingeworfen, als ich von der Schule gekommen bin.“
„Was für ein Mann?“, fragte unsere Mum leicht alarmiert.
Meine kleine Schwester zuckte mit den Schultern. „Kannte ich nicht. Bestimmt einer von Tobys Freunden. Er war etwa genauso alt. Und groß.“
„Sonst noch was?“ Ich war mit solchen Dingen sehr vorsichtig. Obwohl mir nie jemand ernsthaft etwas hatte tun wollen, hatte ich solche Dinge bei Mat und Peter hinreichend beobachten können und wusste auch von Trevor, dass man ihm in der Schule gerne Streiche gespielt hatte. Zum Beispiel anonyme Briefe in den Spind werfen, die dann Farbpatronen enthielten. Ich bezweifelte, dass jemand einen so ordentlichen Brief dafür nutzte, dennoch war es mir suspekt. „Weißt du, was er anhatte? Haarfarbe? Frisur?“
„Hmm... Ich glaub braun. Und ganz kurz, so’n Igel. Und genauso langweilige Klamotten wie du. Also bestimmt einer deiner Freunde“, gab sie frech von sich. Ich verdrehte die Augen.
Nachdenklich nickte ich und legte den Brief erst mal beiseite. Zuerst wollte ich etwas gegessen haben, bevor ich den Brief öffnete. Ich hatte so eine Ahnung, wer ihn eingeworfen hatte. Dennoch brachte es mich kein Stück weiter, was den Inhalt betraf. Bei seinem Verhalten könnte es alles sein.
Mum schaute mich zwar fragend an, ließ es aber vorerst unkommentiert. Dafür musste nun Lena von ihrem Schultag erzählen. Danach waren wir dran uns über unsere Arbeitstage auszutauschen.
Als ich nach dem Essen aufstehen wollte und mir den Umschlag schnappte, fragte mein Dad: „Willst du gar nicht reinschauen?“
Na gut, er würde wohl keine Ruhe geben. Seufzend öffnete ich den Brief und überflog die Nachricht. Überrascht weiteten sich meine Augen.
„Was ist? Was Schlimmes?“, fragte Mum besorgt.
Ich schüttelte noch immer völlig überrumpelt den Kopf. „Nein. Eher eine Entschuldigung. Ich bin mal oben. Braucht jemand von euch das Telefon?“
Da alle verneinten, schnappte ich es mir und ging nach oben. Dort schmiss ich die Tasche vom Bett und legte mich mit Brief und Telefon darauf. Noch immer konnte ich die Nachricht nicht fassen. Es waren nicht viele Worte, die auf dem ebenfalls grünen Briefpapier ordentlich neben- und untereinander standen, dennoch warfen sie mich völlig aus der Bahn. Meinte er das wirklich ernst? Ich steckte mir eine Zigarette an. Ich musste den Brief noch einmal lesen, um sicherzugehen, dass es keine versteckte Ironie gab, bevor ich telefonierte.
Hallo Toby,
Bin am Sonntagabend ab zehn im Club. Ich hoffe, dich dort zu treffen. Wenn es nicht klappt, ruf bitte an: 212-555-0114.
Ich freu mich drauf.
Roger
P.S.: Denk an die Abmachung: kein Wort zu den anderen, keine Zigaretten, rasiert und normale Klamotten.
Mit einem amüsierten Schnauben schüttelte ich den Kopf. Er schien es wirklich ernst zu meinen. Ich hatte die Wiederholung für einen Scherz gehalten. Aber dieser Brief klang eindeutig nach mehr. Mit zitternden Fingern gab ich die Nummer ein. Wenn sie stimmte, konnte ich ganz sicher sein.
Zumindest existierte sie, denn es klingelte. Ich hielt den Atem an, als abgenommen wurde. „Roger Brooks.“
Ich schluckte. Er war es wirklich. Sobald ich mich meldete, wüsste er, dass ich interessiert war. Warum sonst sollte ich anrufen? Ich atmete tief durch. „Hi. Toby hier.“
Eine ganze Weile erhielt ich keine Antwort. Als ich gerade noch einmal nachfragen wollte, um sicher zu gehen, dass die Verbindung nicht abgebrochen war, hörte ich seine Stimme. Er schien unsicher zu sein, zumindest war die Stimme nicht so aufgedreht wie sonst. „Hi Toby.“
Ich musste schmunzeln. Geschickt, so war es doch wieder an mir, etwas zu sagen und das Gespräch zu beginnen. „Ich hab deinen Brief bekommen.“
„Ja?“ Auch wenn er ruhig klang, konnte ich mir kaum vorstellen, dass er es wirklich war. Mir jedenfalls zitterten die Hände. Was sollte ich ihm überhaupt sagen? Bis er abgenommen hatte, hatte ich noch irgendwie gehofft, dass er sich einen Scherz erlaubte. Wollte ich mich überhaupt mit ihm treffen? Also so, wie es der Brief implizierte? Das mit ihm war wirklich gut gewesen, aber wollte ich das weiter vertiefen? Ich wusste doch noch nicht einmal, was los war. Und außerdem hatte er gesagt, ... „Toby? Bist du noch dran?“
„Ja“, antwortete ich sofort, aus Angst er würde sonst auflegen. Noch einmal hätte ich wohl nicht den Mut gehabt anzurufen. Seit wann war ich eigentlich so feige, wenn es darum ging, einen gut aussehenden Typen zu daten? Ich schallt mich selbst einen Idioten. Selbst wenn es nur dabei blieb, wäre ich dumm, es abzulehnen. „Ich kann Sonntag nicht. Ich hab Montag Frühschicht.“
„Oh. Okay. Dann danke, dass du Bescheid gesagt hast. Bye.“
„Roger?!“, versuchte ich ihn am Auflegen zu hindern. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er direkt auflegte. Dennoch hatte er enttäuscht geklungen. Das war ein gutes Zeichen, oder?
„Ja?“, fragte er unsicher.
Ich atmete kurz durch. Mein Körper signalisierte mehr als deutlich, dass er dieses Treffen wollte. Zügig sprach ich aus, was mir in den Sinn kam: „Ich hab am Donnerstag frei. Hast du Mittwochabend Zeit?“
Wieder herrschte einen Moment Stille, dann kam die enthusiastische Antwort: „Ja! Ja, hab ich.“
„Dann Mittwoch um zehn?“, fragte ich noch einmal hoffnungsvoll nach. Er murmelte zustimmend und steckte mich mit seiner Freude an. „Schön, ich freu mich.“
Ich wollte schon auflegen, da hörte ich etwas, das mir das Herz in die Hose rutschen ließ: „Ich mich auch.“
Dann war nur noch ein Tuten in der Leitung zu vernehmen. Eine Weile saß ich einfach nur mit dem Telefon in der Hand da. Ich hatte ein Date mit Roger. Mein Herz schlug wie wild. Ich fühlte mich gerade in der Zeit zurückversetzt, kam mir vor wie ein Teenymädchen vor ihrem ersten Date.
Dabei war das völlig albern. Es war bei Weitem nicht mein erstes Date. Und auch nicht das erste Sexdate. Was war es dann, was mich so nervös machte? Dass er ein Freund war, konnte es auch nicht sein. Immerhin war Peter ebenfalls ein Freund und wir waren mehr als einmal im Bett gelandet. Doch gerade schwitzten mir die Handflächen und mein Herz raste.
Auch am Mittwoch ging es mir noch genauso. Ich stand vor dem Club und wartete auf ihn. Je weiter es auf zehn zuging, desto nervöser wurde ich. Und je nervöser ich wurde, desto drängender wurde das Verlangen nach einer Zigarette. Schon mehrmals war ich kurz davor gewesen, mir eine anzuzünden, doch dann hatte ich sie wieder weggesteckt.
Mit jeder Minute, die ich wartete, wurden die beiden sich streitenden Stimmen in meinem Kopf lauter. Die eine verlangte, sich wie ein Mann zu verhalten, die elende Zigarette anzuzünden und Roger zu sagen, er solle sich nicht so haben, ihm damit zu zeigen, wer das Sagen hatte. Und die andere Stimme redete auf mich ein, dass es gut wäre, den Kompromiss einzugehen, dass er genau das getan hatte, was ich von meinen potentiellen Partnern erwartete: Den Mund aufzumachen, wenn er etwas wollte oder nicht wollte.
Ich steckte die Schachtel ganz tief in die Jackentasche. Wieder hatte die zweite Stimme gewonnen. Genau wie schon am Nachmittag, als ich mit mir gerungen hatte, ob ich mich wirklich rasieren sollte. Wieso hörte ich eigentlich noch auf sie? Mein ganzer Intimbereich brannte, weil ich mich mehrmals geschnitten hatte. Zum Teufel mit den Kompromissen!
Ich zog gerade die Schachtel wieder aus der Jacke, da sah ich Roger um die Ecke biegen. Fast ließ ich sie fallen. Er sah umwerfend aus. Dabei hatte er einfach nur normale Kleidung an, wie sonst auch. Aber irgendetwas an seinem Auftreten war anders. Und dieses Etwas riss mir fast den Boden unter den Füßen weg. Ich steckte die Glimmstängel zurück. Wenn ich dafür dieses Prachtstück bekam, dann waren die Zigaretten ein kleiner Preis. Rauchen konnte ich auch noch auf dem Heimweg.
Kurz stockte er, als er mich sah, dann kam er herüber und lief an mir vorbei auf die Tür zu. Er hatte lediglich kurz mit dem Kopf in die Richtung gedeutet. Verwundert folgte ich ihm. Als wir drinnen waren, drehte er sich zu mir um und sah mich mit vorwurfsvoller Miene an. „Hi. Ich dachte, wir treffen uns unten.“
„Hi. Davon war nicht die Rede.“ Ich beugte mich etwas zu ihm, raunte ihm ins Ohr: „Außerdem hätte ich dann ja gar nicht gesehen, wie umwerfend du aussiehst.“
Sofort drehte Roger den Kopf weg und stiefelte auf die Garderobe zu. „Komm, wir geben die Jacken ab.“
Oh, hatte ich ihn etwa verlegen gemacht? Ich schmunzelte vor mich hin. Das klang doch gut.
Nachdem wir die Jacken losgeworden waren, steuerte Roger sofort auf die Treppe nach unten zu, doch ich hielt ihn an der Hand fest. „Halt! Zuerst beantwortest du mir einige Fragen.“
Zähneknirschend antwortete er: „Eine! Ich beantworte dir eine Frage.“
„Nee, so nicht! Du kannst mich nicht überfallen und mich ein paar Tage später einfach herbestellen, ohne mir ein paar Fragen zu beantworten.“ Unerbittlich zog ich ihn auf die Bar zu. Kurz wehrte er sich, dann trottete er hinterher. „Hey Kil. Zwei Cola bitte.“
„Hi. Kommt sofort.“ Höflich nickte der Barkeeper uns zu. In seinen Augen sah ich, dass er ebenfalls ein paar Fragen hatte, aber die würden warten müssen. „Hier. Gib Bescheid, wenn ihr noch etwas braucht.“
„Danke.“ Mit einem Nicken entfernte er sich, nachdem ich ihm das Geld gegeben hatte. Ich zog Roger auf den freien Platz neben mir. „Jetzt setz dich endlich!“
„Du kennst den Barkeeper?“
„Eigentlich solltest du mir doch Fragen beantworten“, neckte ich ihn. „Aber ja. Ich hab Kilian und Trevor, seinen Freund und den Besitzer des Clubs, vor ein paar Jahren in ’nem Jugendzentrum kennengelernt. Bevor sie die Bar hatten. Also, was soll das hier?“
„Was wohl? Ich hab doch versprochen, es gibt ein nächstes Mal“, antwortete er lässig. Doch seine Gestik strafte seine Worte Lügen. Er hatte sich mit einem Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
„Aber warum? Was hattest du letzten Freitag hier zu suchen?“ Ich wollte endlich wissen, was hier gespielt wurde!
„Hab ich doch schon gesagt: Ich hab ’n Fick gesucht“, gab er trotzig zur Antwort und schlürfte an seinem Glas.
„Solltest du dafür nicht in einen anderen Club gehen? Es sollte dir wohl aufgefallen sein, dass es hier keine Frauen gibt.“ Mich nervte es, dass er meinen Fragen auswich. Ich wollte endlich wissen, ob es für ihn nur ein Experiment war oder was dieser Überfall zu bedeuten hatte.
„Und dir sollte aufgefallen sein, dass ich keine Frau wollte.“ Das Grau seiner Augen hatte sich wieder in einen Sturm verwandelt. Ich konnte nicht anders, als fasziniert hineinzustarren.
„Warum hast du dann so merkwürdig reagiert, als du bei mir warst? Und meidest mich?“ Auch wenn ich versuchte, mich auf das Gespräch zu konzentrieren, gefiel mir, was er implizierte.
„Toby! Nicht jeder bindet es anderen auf die Nase, dass er schwul ist! Es hat mich erschrocken. Ich meine, da ist nie ein Wort drüber gefallen, weder von dir noch von den anderen. Und ansehen tut man es dir auch nicht.“ Wieder fuhr er sich nervös durch die Haare.
„Dir auch nicht. Zumindest, wenn du nicht rumrennst wie das letzte Mal. Und warum meidest du mich?“ Vorsichtig strich ich über seinen Oberarm. Er sah echt fertig aus.
Er seufzte und legte das Gesicht in die Hände. „Ich bin nicht geoutet. Ich hab Angst, dass es jemand von den anderen bemerkt, wenn ich mich nicht von dir fernhalte.“
Verstehend nickte ich. Ja, so machte sein Verhalten tatsächlich Sinn. Wenn auch auf völlig verquere Weise. Ich legte ihm die Hand in den Nacken und kraulte ihn sanft.
„Du hast also Angst, dass die anderen bemerken, dass du auf mich stehst?“ Das leichte Wegdrehen seines Gesichts war Antwort genug. Sofort beschleunigte sich mein Herzschlag. Ich beugte mich weiter zu ihm, bis ich mit meinem Kopf direkt neben seinem war. „Dann solltest du solche Spielchen wie das letzte Mal lassen. Bobby und Darius haben es sicher nicht mitbekommen, aber Terrence und Anthony werden sicher ziemlich schnell dahinter steigen, wenn du so weitermachst.“
Er drehte den Kopf zu mir und musterte mich kurz, dann grinste er süffisant. „Ich soll also damit aufhören? Bringt dich das etwa zu sehr aus dem Konzept?“
Ich lächelte verschmitzt. „Jetzt, wo ich weiß, dass ich es mir nicht nur einbilde, sicher nicht mehr. Von mir aus kannst du gerne weitermachen. Ich wollte dir nur sagen, dass du vorsichtig sein solltest, wenn die anderen nicht dahinter kommen sollen.“
„So, dir reichen also die angedeuteten Küsse?“, raunte er. Seine Lippen schwebten dicht vor meinen, berührten sie aber nicht.
„Nein“, hauchte ich etwas enttäuscht, weil er seinen Kopf zurück zog, als ich versuchte, seine Lippen mit meinen zu berühren. Fast schon flehend sah ich ihn an. „Ich hab mein Gedächtnis noch immer nicht zurück. Ich hätte das gern wieder.“
„Oh, stimmt. Na da sollte ich mal ganz schnell Abhilfe schaffen.“ Er lächelte, legte seine Hand in meinen Nacken und zog mich an sich. Gierig küssten wir uns. Etwas an der Art, wie er mich hielt, sagte mir, dass er genauso auf diesen Abend hingefiebert hatte wie ich, dass er genauso nächtelang nach diesem Moment gegiert hatte. „Komm. Ich will noch mehr solcher Erinnerungen in dir versiegeln.“
Ich nickte und legte meine Geldbörse auf den Tresen. Kil kam direkt rüber, um sie zu verstauen. Kurz lächelte er mir zu, dann wandte ich mich ab. Roger zog mich hinter sich her auf die Treppe zu.
Als ich wieder zu Hause ankam, ließ ich mich geschafft auf das Bett fallen. Es war völlig verrückt gewesen. Er hatte es wieder geschafft mir die Zügel aus der Hand zu nehmen. Aber er hatte sie mir nicht entrissen, sondern sie mir ganz sanft abgenommen. Ich hatte zuerst nicht einmal bemerkt, dass er lenkte. Nicht, bis ich mich erneut keuchend unter ihm wiedergefunden hatte und flehentlich darauf wartete, dass er uns beide zum Höhepunkt führte.
Verzweifelt fuhr ich mir mit der Hand durch die Haare. Was war nur mit mir los? Wie schaffte er es, mich völlig gegen meine Gewohnheit handeln zu lassen. Nie hatte es ein Mann vollbracht, dass ich mich führen ließ. Nicht einmal Peter und dem vertraute ich vollkommen. Doch, einmal hatte es jemand geschafft. Der Unbekannte, kurz bevor ich Roger kennengelernt hatte. Bisher hatte ich es auf die Überraschung geschoben, doch das konnte ich nun nicht mehr. Mir blieb nichts anderes übrig, als mir einzugestehen, dass es mir gefiel.
Aber wieso? Und seit wann? Die paar Male, die ich es als Jugendlicher versucht hatte, waren eine Katastrophe gewesen. Ich hatte mich in jeder Hinsicht gegen die fremde Führung gesträubt. Doch nun? Ich hatte mir tatsächlich erst auf dem Heimweg eine Zigarette angesteckt, obwohl wir uns noch gut eine halbe Stunde unterhalten hatten und mein Körper deutlich nach Nikotin verlangt hatte.
Und ich wusste genau: Wenn er das nächste Mal ein Treffen vorschlug, wäre ich da. Rasiert. Denn so sehr es auch brannte und juckte, die Freude, die es ihm gemacht hatte, als er es erfühlte, hatte sich auf mich übertragen. Seine Hände an meinem Glied hatten sich so unglaublich gut angefühlt. So viel besser, als meine es bei unserem letzten Mal getan hatten. Ganz sicher wollte ich das nicht missen.
Ich warf mich im Bett herum. Was hatte dieser Mann nur mit mir angestellt? Selbst jetzt, nicht mal zwei Stunden später, verlangte es mir schon wieder nach ihm. Doch ich musste schlafen. Ich sollte am nächsten Morgen ein paar Einkäufe für meine Familie erledigen. Und das wollte ich nicht erst am Nachmittag machen. Also stand ich auf und ging ins Bad.
Als ich wieder kam und mich auszog, fiel mein Blick auf die Dildos im Regal. Einträchtig standen sie dort. Die wenigen Zentimeter, die sie voneinander trennten, ließen sie als Einheit erscheinen. Die wenigen Unterschiede änderten nichts daran, dass sie gleichwertig waren. Sie gehörten einfach zusammen, als Paar, gleichberechtigt nebeneinander.
„Scheiße!“ Die Erkenntnis ließ mich verzweifelt auflachen. „Toby, du bist hoffnungslos...“
Als ich am Nachmittag in meinem Zimmer saß und fernsah, kam Lena, ohne anzuklopfen, herein und drückte mir das Telefon in die Hand. „Hier, für dich. Aber beeil dich! Ich warte auf ’n Anruf von Karen.“
„Dann mach die Tür hinter dir zu! Und klopf gefälligst an!“, rief ich ihr nach, als sie aus dem Zimmer ging. Sie streckte mir die Zunge heraus, dann war sie weg. „Hallo?“
„Hey Tob. Sei doch nicht so gemein zu deinem Schwesterherz“, hörte ich Kilian am anderen Ende lachen.
„Hi, Kil. Naja, irgendwann muss sie ja mal lernen, nicht immer einfach reinzukommen. Was verschafft mir denn die Ehre?“, fragte ich scheinheilig. Denn mir war durchaus klar, was er wollte.
„Lästern will er!“, hörte ich seinen Freund im Hintergrund. Scheinbar hatten sie wie immer den Lautsprecher an.
„Hey, Trev. Hat er mit dir nicht schon genug gelästert?“
„Nee, mit ihm kann man nicht so gut lästern“, antwortete mir der Barkeeper. „Also, was läuft da mit dem Schnuckelchen?“
„Hey, wen nennst du hier Schnuckelchen?“, kam sofort die scherzhafte Beschwerde seines Partners.
„Nur dich mein Schatz“, säuselte er. Ich hörte, wie ein Schmatzer am anderen Ende ausgetauscht wurde, bevor er sich wieder an mich wandte: „Also erzähl schon, was lief denn da?“
„Nichts besonderes. Wir waren nur unten.“ Vielleicht schaffte ich es ja, überzeugend genug zu klingen, dass er nicht weiter nachfragte.
„Ach, erzähl doch nichts. Komm schon, da war eindeutig mehr. Letztens ist er noch vor dir geflüchtet.“ Verdammt, er hatte Roger also wiedererkannt.
Ich seufzte. Kil würde eh keine Ruhe geben. „Er ist ein Freund von mir. Ich hab ihn vor etwa ’nem Monat kennengelernt. Als er erfahren hat, dass ich schwul bin, ist er mir aus dem Weg gegangen. Ich war ziemlich verwirrt, als ich ihn dann bei euch gesehen hab. Und er hat sich wohl auch erschrocken. Ich hab ihn dann auf dem Klo eingeholt. Keine Ahnung, irgendwie sind wir dann im Darkroom gelandet.“
„Hu? Das klingt aber merkwürdig.“
„Ja, dachte ich mir auch. Er hat mich danach dann weiterhin gemieden und trotzdem mit mir geflirtet. Letzte Woche war dann ein Brief bei mir im Briefkasten. Er wollte das wiederholen. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht hab, aber ich hab mich darauf eingelassen.“
Kilian kicherte. „So wie du gestern aussahst, war das aber keine schlechte Idee. Und mal ehrlich: Der Kerl ist total heiß.“
„Hey! Ich kann dich immer noch hören“, kam es wieder aus dem Hintergrund.
„Schatz, du weißt doch, ich liebe nur dich! Aber schauen wird Mann doch wohl noch dürfen. Außerdem ist das Tobys, den mach ich ihm doch nicht streitig.“
„Ach danke, den lässt du mir also diesmal?“, fragte ich schmunzelnd. Und auch Kilian und Trevor lachten. Sie wussten, dass ich nicht wirklich böse war.
„Sorry, aber ich konnte dir Trev nicht überlassen. Dafür ist er einfach zu perfekt.“ Wieder hörte ich, wie die beiden sich küssten.
„Na danke, dass ich wenigstens die Reste bekomme“, witzelte ich.
„Ach, Schätzchen, jetzt sei mal mit so. Sicher gibt es für dich auch den perfekten Mann“, versuchte mich Trevor zu trösten.
„Sicher. Aber Roger ist es nicht.“ Ich unterdrückte das Seufzen, das sich aus meiner Kehle stehlen wollte.
„Ach, na sieh mal an, er hat ja doch ’n Namen“, feixte der Barkeeper, dann wurde er sofort wieder ernst. „Und warum ist dieser Roger sicher nicht der perfekte Mann für dich?“
Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare. „Weil er keine Beziehung will.“
„Du hast ihn gefragt?!“ Sowohl Kilian als auch sein Freund klangen erstaunt.
„Nein, natürlich nicht! Aber die Jungs haben ihn gefragt, ob er eine Freundin hat. Er hat gesagt, dass er keine Beziehung will, weil ihm das zu kompliziert ist.“ Nun seufzte ich doch.
„Aber du hast darüber nachgedacht!“, stellte Kilian freudig fest.
„Was? Nein!“ Scheiße, warum redete ich überhaupt mit ihnen darüber? Sie drehten mir doch sowieso jedes Wort im Munde um.
„Toby.“ Mehr musste Trevor gar nicht sagen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Ich stützte den Kopf in die Hand und seufzte. „Ja, okay, hab ich.“
Kilian kicherte leise. „Tob, wir kennen dich doch.“
„Aber das ist etwas ganz anderes“, meinte ich sofort. Und bevor sie mir erklären konnten, dass ich das immer sagte, schob ich hinterher: „Diesmal wirklich!“
„Aha. Und was macht diesen Roger so besonders?“ Trevor schaffte es, gleichzeitig skeptisch und verständnisvoll zu klingen.
„Er ist einfach anders als die anderen. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll... Einfach seine Art. Er bringt mich zu Sachen, die ich sonst nicht machen würde. Nein, nicht so was, Trev, keine Sorge“, beruhigte ich den Clubbesitzer, der schon tief Luft geholt hatte. Leise erklärte ich: „Er wollte, dass ich mich rasiere. Also nicht nur im Gesicht. Und vorher nicht rauche.“
„Was?“, fragten beide überrascht, dann fragte nur Kilian weiter. „Und du hast es gemacht?“
Zustimmend murmelte ich, was Trevor zu einem kehligen Lachen veranlasste. „Mensch, Tob, du bist echt ein hoffnungsloser Fall.“
„Danke, ich weiß“, antwortete ich sarkastisch. Im Flur hörte ich die Station klingeln. „Ich muss auflegen, mein Lästermonster kommt gleich reingestürmt. Bis bald.“
„Mach’s gut und viel Spaß noch mit Roger“, feixte Kilian, bevor er auflegte.
Nun begann auch das Telefon in meiner Hand zu klingeln und Lena stürmte herein. Sie riss es mir aus der Hand und nahm direkt ab. „Karen? Hi. Ja, mein doofer Bruder hat schon wieder telefoniert ... Keine Ahnung.“
„Verschwinde endlich! Du kannst in deinem Zimmer telefonieren!“ Ich packte sie an der Schulter und schob sie nach draußen. Nach diesem Gespräch wollte ich einfach meine Ruhe.
Am liebsten hätte ich abgesperrt, aber es gab keinen Schlüssel zu meinem Zimmer. Meine Eltern waren der Meinung, wenn ich eine Tür abschließen wollte, dann sollte ich mir eine eigene Wohnung suchen. Unrecht hatten sie nicht, aber ich hatte wenig Lust auszuziehen. Mit dem Rad war ich in zwanzig Minuten auf Arbeit und in zwei beim nächsten Supermarkt. Bei einer eigenen Wohnung hätte ich deutlich weiter wegziehen müssen. Außerdem musste ich mich so um deutlich weniger kümmern. Außer meine Mum war mal wieder der Meinung, ich sollte irgendwas für sie erledigen.
Bei der Gelegenheit fiel mir dann auch ein, dass ich meine Trainingsklamotten waschen sollte, weil sie laut ihr „die ganze Wäsche vollmüffelten“. Ich verdrehte die Augen und stand unmotiviert auf, um mich an die Arbeit zu machen. Noch weniger als Wäsche waschen wollte ich Streit mit meinen Eltern. Ich klopfte noch eben bei Lena, um zu fragen, ob sie noch etwas für die Wäsche hatte, erhielt jedoch nur ein „Verpiss dich!“ als Antwort.
Bis zum ersten Novemberwochenende traf ich Roger nicht mehr allein. Ich hatte zwar vor zehn Tagen einen hellblauen Brief von ihm bekommen, aber wir hatten einfach keinen Termin finden können, der bei uns beiden passte. Bei ihm standen im Moment einige Zwischenprüfungen an. Es war frustrierend gewesen – so weit ich das am Telefon hatte hören können, nicht nur für mich – aber es ließ sich nicht ändern.
Dafür teilte er mir mit, dass er genau wie Greg von Freitag auf Samstag bei mir schlafen würde, um nicht hin und her fahren zu müssen. Außerdem kamen noch Bobby und Anthony für das Spiel am Freitag vorbei. Bobby wollte jedoch danach noch zu seiner Freundin und da sie nur ein Auto hatten, musste sein Bruder ihn fahren.
Ich hatte direkt nach der Arbeit alles Notwendige fertig gemacht, damit wir es uns gemütlich machen konnten. Das Haus war gesaugt, Küche und Bad geputzt, die Schlafplätze hergerichtet. Die Karte des Pizzalieferanten lag fein säuberlich auf dem Tisch, Getränke und Süßigkeiten standen auch bereits darauf. Es fehlten nur noch die Gäste, die das Wohnzimmer bevölkerten.
Fünf vor Sechs klingelte dann das Telefon. „Toby Blanchett.“
„Hi Toby“, röchelte Greg mir entgegen.
„Oh Gott, bevor du weiterredest: Du kommst nicht, deswegen rufst du an, oder?“ Ich wartete das zustimmende Röcheln ab. „Gut, dann wünsch ich dir eine gute Besserung. Wir sehen uns, wenn du wieder gesund bist. Ruh dich aus.“
„Danke“, murmelte er noch, dann hatte er aufgelegt.
Gleichzeitig klingelte es auch an der Tür. Schon bevor ich sie öffnete, konnte ich hören, dass es die Brüder waren. Vollkommen aufgeregt redeten sie miteinander. „Hallo ihr beiden.“
„Hi Toby. Sind wir die ersten?“
„Ja, Greg hat gerade abgesagt. Er klang echt übel.“ Ich führte sie beide ins Wohnzimmer, obwohl sie den Weg sehr wohl kannten. Sie ließen sich auf der Couch nieder, nachdem sie die Schuhe abgestreift und die Jacken abgelegt hatten. Bobby schnappte sich direkt eine Packung Chips, während sein Bruder die erste Flache Cola öffnete.
„Stimmt es, dass Roger auch kommt?“, fragte mich der Jüngere.
„Ja. Ich hab es auch kaum glauben können. Er hat von sich aus gefragt, ob er auch kommen kann, obwohl er wusste, dass wir hier schauen“, antwortete ich ehrlich, während ich mich auf die Couch setzte. Ich hoffte, dass die Brüder nicht bemerkten, dass es mich durchaus etwas nervös machte. Klar, wir hatten uns gemeinsam mit den Jungs ja auch zwischendurch gesehen, trotzdem war er nicht mehr hier gewesen. Irgendwie war das jetzt ja doch etwas anderes. Aber vermutlich dachte er sich, dass es schon in Ordnung war, wenn auch andere dabei waren. „Wollt ihr schon mal schauen, was ihr auf die Pizza haben wollt? Ich bestell dann nachher zwei Große für uns alle.“
„Ich hab doch gesagt, dass er sich schon wieder fängt. Hätte mich gewundert, wenn er sich von selbst aus allem raushalten würde. Dafür ist er viel zu nett. Und zu Anthonys und Terrence’ Geburtstag ist er ja auch gekommen. Pizza ist mir egal, solange kein Grünzeug drauf ist“, antwortete mir der Ältere.
„Ich will wenigstens ein paar Zwiebeln und Paprika drauf. Und bitte kein Fisch!“, wetterte Anthony dagegen.
„Wir schauen mal, was Roger will. Ansonsten haben wir ja zwei“, beschwichtigte ich die beiden. Manchmal zweifelte ich daran, dass sie Geschwister waren. Zumindest hatten sie ein völlig anderes Verhältnis zueinander als Peter und Mat. Aber bei denen war es wohl auch den Umständen geschuldet.
„Achja, was Roger angeht: Er hält sich trotzdem noch total von Toby fern. Er hätte ihn letztens einfach nur decken müssen, aber stattdessen stand er ewig weit weg“, widersprach Anthony verspätet.
„Aber er hat auch schon selbst vorgeschlagen mit Toby in einem Team zu spielen. Ich glaub nicht, dass er das absichtlich macht. Oder was meinst du?“, wandte sich der Ältere an mich.
Ich zuckte nur mit den Schultern, da ich es nicht weiter mit ihnen erörtern wollte. Was sollte ich auch dazu sagen? Dass Roger mir in anderen Situationen dafür um so näher kam? „Ich weiß es nicht. Und es ist mir auch egal, solange er mich nicht beleidigt oder angreift. Ich kann nichts dagegen machen, wenn es ihm unangenehm ist. Greg hat ja auch gebraucht, bis er wieder normal zu mir war.“
„Hast recht. Wann kommt Roger eigentlich?“ Ich zuckte mit den Schultern. Zumindest hatte ich ihm genau wie den anderen gesagt, dass er ein Stunde vor dem Spiel kommen sollte, damit wir noch in Ruhe bestellen konnten und im Notfall nochmal einkaufen, wenn etwas fehlte.
Etwa zehn Minuten später klingelte es dann an der Tür. Zum Glück war es endlich Roger, der dort stand.
„Sorry, ich hab mich etwas verspätet. Dafür hab ich was mitgebracht.“ Er reichte mir eine große Tüte, in der scheinbar einige Schüsseln verstaut waren.
„Schon gut, passiert mal.“ So wie er mich gerade anlächelte, konnte ich ihm gar nicht böse sein. Schon ein Blick in seine Augen reichte, um mich nervös zu machen. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, meldeten sich leise die Erinnerungen aus dem Darkroom, die gern Zuwachs wollten.
Ich atmete tief durch, dann führte ich ihn ins Wohnzimmer. „Setz dich, wohin du magst. Hast du Wünsche für die Pizza? Wir sollten recht schnell bestellen.“
„Ehm, nein, ich ess eigentlich alles.“
„Gut. Dann eine Männerpizza, also BBQ, Salami, Schinken und Hackfleisch und einmal Salami mit Paprika und Zwiebeln?“ Alle nickten. Ich nahm das Telefon zu Hand und bestellte. Als ich wieder ins Wohnzimmer zurück kam, saß Roger mit den Brüdern auf der großen Couch. Etwas enttäuscht setzte ich mich allein auf die Kleinere. Was hatte ich denn auch anderes erwartet? Natürlich setzte er sich nicht zu mir. Ich lenkte mich schnell selbst ab. „Welches Spiel wollen wir zuerst ansehen?“
„Keine Ahnung, die Konkurrenz spielt komplett gleichzeitig“, bemerkte Anthony. „Ist also recht egal.“
„Können wir uns das Spiel Celtics gegen Hornets anschauen?“, fragte Roger vorsichtig. Überrascht sahen wir ihn alle an, woraufhin er leicht lachte. „Ich bin Celtics-Fan.“
„Iih, ein Söckchen!“, kreischte Bobby und sprang auf. Er ließ sich neben mir wieder nieder.
Ich konnte bei dieser Reaktion nicht anders als zu lachen. „Klar, können wir machen. Bis die Knicks spielen, sind sie auf jeden Fall fertig.“
„Na gut“, gab Bobby nach.
„Aber irgendwas müssen wir uns noch einfallen lassen, um das Söckchen zu bestrafen“, warf Anthony listig grinsend ein.
„Toby könnte ihn ja für jeden Punkt küssen, so als Strafe“, witzelte Bobby. Während ich Roger einen entschuldigenden Blick zuwarf, schlug ich Bobby auf den Hinterkopf. Noch immer hatte er nicht verstanden, dass so etwas nicht lustig war.
„Habt ihr eigentlich mal reingeschaut, was Roger mitgebracht hat?“, versuchte ich abzulenken und griff nach der Tüte. Dabei bemerkte ich, dass Roger noch immer halb auf der Kante der Couch saß. „Wenn du die Schuhe ausziehst, kannst du übrigens auch die Beine auf die Couch nehmen.“
Er tat es mit einem dankbaren Lächeln auch zugleich, während ich alles auf den Tisch räumte. Er hatte einiges an Fingerfood mitgebracht. Und so weit ich das sehen konnte, war alles selbstgemacht. Anthony machte große Augen und griff sich einen Corndog. „Boah, geil. Hast du das alles selbst gekocht?“
Roger nickte, worauf ich mir einen spitzen Kommentar nicht verkneifen konnte: „Wolltest du die Mannschaften auch mitversorgen?“
„Naja, bei dem ganzen Kram, was jetzt schon da ist und zwei Partypizzen scheinen die ja auch noch vorbeizukommen“, gab er frech zurück.
„Keine Sorge, Toby isst davon schon eine allein“, erwiderte Bobby lachend.
„Danke dir“, gab ich angesäuert zurück und auch sein Bruder warf ihm böse Blicke zu. Meine Freunde wussten eigentlich, dass Kommentare über mein Essverhalten nicht gerade meine Laune steigerten.
Schuldbewusst sah Bobby mich an. „Sorry, war nicht so gemeint.“
„Dann hoffe ich, dass ihr von dem Rest satt werdet, wenn ich die zweite esse“, sagte Roger in Richtung der beiden Brüder. Beide sahen verdutzt aus, bis sie lachten. Ich stimmte ein und lächelte den Frechdachs dankbar an. Er grinste zurück und schnappte sich mit einem listigen Funkeln in den Augen ebenfalls einen der Corndogs. Schon während er ihn sich zum Mund führte, sah ich sicherheitshalber weg und griff mir die Fernbedienung. Ich wollte gar nicht austesten, was er vielleicht damit vorhatte. Ich konnte mir gerade keinen Ständer leisten. Nicht vor den Jungs.
Noch eine Weile alberten wir herum, bis die Pizza kam und dann auch schon die ersten Spiele begannen. Zu Rogers Leidwesen hatten die Brüder doch noch etwas ausgeheckt um ihm ein wenig das Spiel zu vermiesen. Für jeden Punkt der Celtics bekam er von ihnen abwechselnd ein Sofakissen um die Ohren gehauen. Doch Roger wäre nicht Roger, wenn er sich nicht gewehrt hätte. Denn sie bekamen es einfach zurück, als die Knicks spielten.
Irgendwann traf auch mich ein Kissen ins Gesicht. Böse sah ich Roger an, während er nur grinste. „Du gehörst auch zu den Yankees.“
„Ich wäre vorsichtig, Toby schlägt härter zu als wir“, feixte Anthony.
„Glaub ich nicht.“ Herausfordernd sah Roger mich an.
„Die Celtics spielen morgen auch, oder?“ Ich sah ihn genauso herausfordernd an. Ich mochte es, mit ihm und den Jungs so herumzualbern.
„Japp“, kam es von Bobby.
„Gut.“ Ich grinste noch breiter. Doch Roger ließ sich nicht einschüchtern und nahm sich unberührt das letzte Stück Pizza.
„Wir sollten los“, verkündete Bobby, nachdem das letzte Spiel gegen zwölf zu Ende war. „Ich will Belinda nicht so lange warten lassen.“
„Geht klar. Sollen wir dir noch beim Aufräumen helfen?“, fragte mich sein Bruder.
„Nee, schon gut. Geht ja schnell, viel ist nicht übergeblieben.“ Ich begleitete die beiden zur Tür, um sie zu verabschieden. „Dann kommt gut heim.“
„Ihr fahrt beide?“, fragte Roger, der gerade von der Toilette kam.
„Ja, Bobby will noch zu seiner Freundin und ich muss ihn fahren.“
„Oh. Okay.“ Aus einem unerfindlichen Grund klang Roger komisch. Er wandte sich an mich: „Ich dachte, es wollte noch jemand hier schlafen?“
„Oh, verdammt“, entfuhr es mir. Und auch den anderen schien gerade mein Dilemma klarzuwerden. Von uns hatte niemand daran gedacht, dass es für Roger unangenehm werden würde, wenn er alleine hier blieb. „Ja, Greg wollte noch hierbleiben. Aber er ist krank geworden.“
„Können wir dich vielleicht ein Stück mitnehmen?“, bot Anthony an.
„Oder du leihst dir bis morgen mein Fahrrad“, schob ich hinterher.
Roger schien eine Weile zu überlegen, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, schon gut. Das wäre vermutlich ’n ziemlicher Umweg.“
„Na geht doch. Hab dich mal nicht so, Toby wird dich schon nicht im Schlaf begrabschen“, witzelte Bobby, obwohl es außer ihm niemand lustig fand. „Dann mal einen schönen Abend euch noch.“
„Bye“, rief ich ihnen nach und schloss dann die Tür. Danach drehte ich mich zu Roger um und sein Gesicht sagte mir, dass er dasselbe dachte wie ich: Wir waren beide nicht sicher, ob ich ihn nicht doch „begrabschen“ würde. Oder er mich. Immerhin waren wir völlig allein im Haus. Ich schluckte kurz. „Du kannst auch im Zimmer meiner Schwester schlafen. Sie kommt erst Sonntag wieder.“
Er schüttelte den Kopf und lachte dabei etwas. „Meinst du nicht, dass es etwas merkwürdig wäre, als erwachsener Mann im Zimmer eines kleinen Mädchens zu schlafen?“
Zustimmend zuckte ich mit den Schultern und ging ins Wohnzimmer. Die Situation machte mich nervös. Ich war noch nie mit ihm allein gewesen – außer im Darkroom. Ich wollte nicht, dass er sich gezwungen fühlte, meinetwegen zu bleiben. „Und du bist sicher? Du kannst wirklich auch mein Fahrrad haben.“
„Und was sagen wir den anderen? Ich will nicht ständig das homophobe Arschloch sein, das sich nicht mal traut, hier zu schlafen, weil du über mich herfallen könntest.“ Er half mir alle Dosen zu schließen und sie im Kühlschrank einzulagern.
„Also ist es für dich in Ordnung, bei mir im Zimmer zu schlafen? Wir können auch die Couch fertig machen.“ Ich war mir sicher, dass meine Stimme verriet, dass mir die Situation zu schaffen machte, aber ich konnte gerade nicht anders. Schon der Gedanke, dass Roger im gleichen Zimmer schlafen würde, ließ ein Teil meines Blutes mein Gehirn meiden. Dabei war es albern, immerhin wäre es doch nicht anders gewesen, wenn Greg ebenfalls dort geschlafen hätte.
Roger schlug die Kühlschranktür zu und drehte sich zu mir herum. Wieder tobte dieser Sturm in seinen Augen, während er mich intensiv musterte. Langsam machte er einen Schritt auf mich zu, ich tat den anderen. Einen Moment standen wir einfach nur dicht voreinander und sahen uns in die Augen, bevor Roger mich gegen die Wand drängte. Warm legten sich seine Lippen auf meinen Hals, den ich automatisch streckte. Leise murmelte er dagegen. „Und wie sollte mich das davon abhalten, im Schlaf über dich herzufallen?“
Überrascht keuchte ich auf, dann trafen sich unsere Lippen, während unsere Hände den Weg auf die Haut des jeweils anderen suchten. Nein, das war eindeutig nicht das Ende, das ich für diesen Abend erwartet hatte.
Als ich Roger gerade das Shirt über den Kopf ziehen wollte, wurde an der Tür Sturm geklingelt. Überrascht sprangen wir auseinander. Nachdem ich mich gefasst hatte, ging ich eilig zur Tür und richtete meine Klamotten auf dem Weg notdürftig.
Der Türspion verriet, dass es Anthony war, der vor der Tür stand. Leise fluchend fuhr ich mir durch die Haare, dann öffnete ich die Tür. Schon dabei fragte ich laut: „Hi, Anthony. Was gibt’s denn? Hast du was vergessen?“
Ich hörte in der Küche etwas scheppern. Gut, Roger schien mich gehört zu haben. Dann konnte er sich auch schnell richten, bevor Anthony, der sich gerade an mir vorbei ins Haus schob, ihn so zerzaust sah. „Ich hab meinen Wohnungsschlüssel verloren.“
Eilig ging ich mit ihm ins Wohnzimmer. Roger kam aus der Küche. „Hast du was vergessen?“
„Ich such meinen Wohnungsschlüssel. Im Auto ist er nicht.“ Der Kleine klang verständlicherweise leicht panisch. Es wäre immerhin schon der zweite Schlüssel, den er dieses Jahr verlor.
Nun half auch Roger beim Suchen, bis wir den Schlüssel irgendwann halb unter der Couch fanden. Scheinbar war er aus der Tasche gefallen, als Anthony sich die Schuhe ausgezogen hatte. Wir begleiteten ihn zur Tür. Schmunzelnd wuschelte ich ihm zum Abschied durchs Haar. „Aber sonst hast du alles, kleiner Schussel?“
„Ja, ich glaub schon. Danke, dass ihr beim Suchen geholfen habt. Ich wollte nicht schon wieder Ärger bekommen deshalb.“ Er winkte uns fröhlich zu und verschwand dann zum Auto.
Ich wartete noch, bis er dort angekommen war, dann schloss ich die Tür. Erleichtert atmete ich auf, Roger tat es mir gleich. Ich lächelte ihn leicht verlegen an. „Wir sollten schlafen gehen.“
Roger nickte. Zumindest schien auch bei ihm das Blut wieder bis ins Gehirn zu fließen. „Ich hab schon alle Schüsseln in den Kühlschrank geräumt. Es sind nur noch die angefangenen Tüten da, ich wusste nicht, wo die hingehören.“
„Schon gut, ich pack die noch weg. Du kannst ja schon mal ins Bad, dich umziehen und so. Wo mein Zimmer ist, weißt du noch? Wenn du statt links gleich rechts gehst, da ist das Bad.“ Ein paar Minuten alleine würden mir helfen, wieder völlig klar zu denken. Warum schlug die Stimmung nur so schnell um, wenn wir alleine waren?
„Danke.“ Er ging nach oben, während ich noch fertig aufräumte.
Als ich aus dem Bad kam, stand Roger im Schlafanzug vor meinem Schreibtisch und hielt ein Bild in der Hand. Er schien noch gar nicht bemerkt zu haben, dass ich im Zimmer war. Ich trat neben ihn und schaute, welches Bild so interessant war. Erst da bemerkte er mich. Frei raus, aber mit leichter Skepsis, fragte er: „Wer ist das?“
„Ein Freund von mir“, erklärte ich locker. Das Photo zeigte mich und den halb schlafenden Peter, der es sich in meinem Arm gemütlich gemacht hatte.
„Ein Freund?“ Roger klang wenig überzeugt. „Sieht mir nicht danach aus. Sieht eher aus, als hätte man euch bei etwas gestört.“
„Ja stimmt, sein Bruder hat ihn beim Schlafen gestört.“ Unweigerlich musste ich bei der Erinnerung lachen. „Wir waren zusammen im Ferienlager, beziehungsweise ich hab sie dort kennengelernt, und er ist auf der Rückfahrt eingeschlafen. Sein Bruder meinte dann, er müsste für ihren Vater ein Photo machen, das beweist, dass ich dem Kleinen nichts tue.“
„Warum musstest du das ihrem Vater beweisen?“ Roger zog verwundert die Augenbrauen hoch und musterte mich.
„Sie haben einige schlechte Erfahrungen gemacht. Ich will gar nicht weiter ins Detail gehen, aber er hatte Angst, dass ich den Jungen zu irgendwas zwinge“, fasste ich grob zusammen. Mir stand es nicht zu, mehr über die Vergangenheit der beiden Jungen zu erzählen.
„Er wusste also, dass du etwas von seinem Sohn wolltest?“ Roger stellte das Bild zurück und sah sich die anderen dort an. Es waren nicht viele, die meisten zeigten meine Freunde und Familie. Lediglich auf einem war das Basketballteam aus der High School zu sehen.
„Will. Er lebt woanders, aber wir sehen uns noch immer halbwegs regelmäßig.“ Kurz überlegte ich, dann entschied ich mich, ihm mehr zu erzählen, immerhin schien er daran interessiert. Außerdem wollte ich nicht, dass er glaubte, es gäbe einen anderen Mann in meinem Leben. „Ich hab mit ihm quasi eine Freundschaft mit Extras.“
„Und seine Familie weiß davon?“ Roger setzte sich auf die Matratze vor meinem Bett. Die zweite hatte ich weggeräumt, während er im Bad gewesen war. So hatten wir etwas mehr Platz. Ich nickte und beobachtete ihn. Er schien mit sich zu ringen. „Deine Familie weiß auch davon, oder? Also, dass du schwul bist? Wenn du die Sachen so offen hier stehen hast.“
„Ja.“ Ich setzte mich im Schneidersitz auf mein Bett.
„Gibt es jemanden bei dir, der es nicht weiß?“
„Ich weiß nicht. Die meisten Kunden wohl. Ich binde es niemandem direkt auf die Nase, aber ich mach da auch kein Geheimnis draus. Warum?“
Roger seufzte und lehnte sich mit dem Rücken an die Bettkante. „Ich frag mich nur, wie du das schaffst. Haben deine Eltern oder deine Freunde, dein Chef, keiner etwas dagegen?“
„Nein. Meine Eltern sind da sehr locker mit umgegangen und meine Freunde haben sich dann eben aussortiert. Mein Chef kennt mich auch schon seit fast fünf Jahren und die Kunden stört es nicht, wenn sie es denn überhaupt mal erfahren. Nur ganz wenige fragen nach einem anderen Trainer. Ich weiß, dass ich Glück habe, nie wirklich schlechte Erfahrungen gemacht zu haben. Aber deswegen versteh ich auch nicht, wie man sich verstecken kann. Ich hab eher das Gefühl, dass man weniger Probleme hat, wenn man direkt offen ist.“ Roger wollte mich unterbrechen, doch ich sprach direkt weiter. „Ich weiß, dass es nur persönliche Erfahrungen sind und ich hab auch Freunde, bei denen es schief ging. Ich verurteile niemanden, der sich lieber nicht outen will.“
Er legte den Kopf in den Nacken, sodass dieser auf dem Bett lag und er mir kopfüber ins Gesicht sehen konnte. „Dich stört es also nicht, deine Freunde anlügen zu müssen? Wegen mir.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Es ist nichts, was mich betrifft. Wenn du es ihnen nicht sagen willst, dann ist es deine Sache. Von mir erfahren sie jedenfalls nichts.“
„Und deine Eltern?“
„Was haben meine Eltern damit zu tun?“ Sie hatten ihn doch bisher nur einmal kurz gesehen.
„Was sagst du ihnen, von wem die Briefe sind?“ Ach, daher wehte der Wind. Er hatte also Angst, ich könnte ihn vor meinen Eltern geoutet haben.
„Von einem Freund. Beim Ersten hab ich gesagt, dass es eine Entschuldigung war, den Zweiten haben sie nicht mitbekommen. Du kannst übrigens auch anrufen, wenn du einen Termin ausmachen willst“, bot ich ihm an.
Doch er schüttelte direkt den Kopf. „Nein. Ich will nicht deine Eltern oder deine Schwester dann dran haben. Ich will nicht, dass jemand auch nur etwas davon mitbekommt.“
„Gehst du deswegen in den Club?“ Er wäre damit zumindest nicht der einzige.
Er nickte. „Da kennt mich keiner und ich hoffe einfach, dass die Kerle dort selbst nicht wollen, dass es jemand erfährt.“
„Ist das nicht anstrengend? Es die ganze Zeit geheimzuhalten?“ Ich legte mich hin, da ich langsam wirklich müde wurde. Reden konnten wir auch so.
Er stand kurz auf und schaltete das Licht aus, dann legte er sich ebenfalls hin. „Auf jeden Fall weniger anstrengend als der Stress, wenn ich es jemandem sage.“
Überlegend murmelte ich. Ich konnte es ihm schlecht absprechen, wenn er das so empfand. „Du hast es also noch nie jemandem erzählt?“
„Doch, dir. Und meinen Eltern.“ Wieder murmelte ich. Ich konnte mir schon denken, wie sie reagiert hatten. Leise flüsterte er: „Danke.“
Überrascht erhob ich mich etwas. „Wofür?“
„Dass du es für dich behältst. Ich glaube nicht, dass das so einfach ist. Und ich mach es dir vermutlich nicht leichter“, flüsterte er leise.
„Stimmt.“ Leise lachte ich. Dann streckte ich die Hand nach unten aus und streichelte kurz über seinen Kopf. „Aber das ist nicht mein Risiko. Und ich mag es irgendwie.“
„Dennoch, danke. Das ist nicht selbstverständlich.“ Er streichelte kurz über meinen Arm, dann drehte er sich so, dass ich ihn nicht mehr erreichen konnte.
„Bitte“, nahm ich den Dank nun doch an. Sonst würde er keine Ruhe geben. Meine Hand zog ich unter die Decke, damit sie nicht kalt wurde. „Komm, wir sollten schlafen.“
„Na gut. Weil du nett warst, lass ich dich auch schlafen und überfall dich nicht“, feixte er.
„Und wer sagt, dass ich nicht dich überfalle?“ Gott, wie konnte er nur immer so schnell direkt wieder scherzen?
„Weil ich es nicht zulasse“, behauptete er nur trocken und ich spürte, dass er es vollkommen ernst meinte. Alles andere hätte auch nicht zu dem gepasst, wie ich ihn bisher in der Hinsicht erlebt hatte.
Ich konnte noch nicht lange geschlafen haben, als ich wieder wach wurde. Roger wälzte sich unruhig auf der Matratze neben meinem Bett hin und her. Aus Gewohnheit, weil ich es bei Peter auch immer tat, streckte ich die Hand nach ihm aus und strich ihm über den Arm. Beruhigend flüsterte ich: „Hey, aufwachen. Es ist alles gut, du träumst nur.“
„Nee, ich bin hellwach“, grummelte er und richtete sich auf. „Ich kann nicht schlafen. Die Matratze ist zu kurz.“
„Sorry, dachte, du hast ’n Albtraum“, murmelte ich. Dann rutschte ich an die Wand hinter mir. „Dann komm hoch. Das Bett ist etwas länger.“
„Ja klar, als würde ich mit dir in einem Bett schlafen“, grummelte er.
Ich zuckte mit den Schultern und drehte mich der Wand zu. Er sollte sich mal nicht so haben. „Wie du willst. Das Angebot steht.“
Leise meckernd stand er auf und legte sich dazu. Er berührte mich nicht einmal, er musste also ganz am Rand liegen. Ein leichtes Lächeln konnte ich mir dennoch nicht verkneifen. Irgendwie war es ja doch schon witzig. Einerseits fiel er über mich her, kannte da keine Hemmungen, aber andererseits wurde er schüchtern, wenn es um solche Dinge ging.
Am Morgen weckte mich der süße Geruch von Waffeln. Da ich noch etwas müde war, verkroch ich mich weiter unter der Decke. Oder besser: Ich versuchte es. Denn ein Körper, der in meinen Armen lag, hinderte mich daran. Langsam öffnete ich die Augen und schaute auf Rogers Hinterkopf.
Er war unter meine Decke gekrochen und hatte sich ganz dicht an mich gekuschelt. Den Arm musste ich wohl im Schlaf um ihn gelegt haben. Als ich ihn bewegen wollte, spürte ich, dass er sich wohl den Weg unter Rogers Shirt gebahnt hatte, denn meine Hand berührte nackte Haut. Scharf zog ich die Luft ein, als er sich daraufhin noch näher an mich drängte und zufrieden seufzte. Ich konnte nicht sicher sagen, ob er schlief oder wach war. Aber das war wohl auch egal, denn er hätte es nicht zugegeben, wenn er nicht mehr schlief, da war ich mir sicher.
Hätte ich aber auch nicht. Ich hätte das Gefühl gehabt, mich angreifbar zu machen, wenn ich zugegeben hätte, dass es mir gefiel, im Arm eines Mannes zu liegen und mich streicheln zu lassen. Dabei wusste ich, dass es total lächerlich war. Wem hätte das nicht gefallen? Außer vielleicht einem Hetero.
Sanft streichelte ich über seinen flachen Bauch. Die Muskeln darunter waren nicht sonderlich ausgeprägt und kaum zu spüren, im Gegensatz zu denen an seinen Armen. Er zog den Bauch ein, weil ich ihn scheinbar gekitzelt hatte, was mich nur dazu brachte, noch etwas näher an ihn heran zu rücken. Gerade hatte ich mal die Zügel in der Hand, denn sonst hätte er verraten müssen, dass er wach war, und das wollte ich auch ausnutzen. Trotz meiner vollen Blase und dem grummelnden Magen.
Auch wenn ich es dank Rogers Einschreiten geschafft hatte, am Abend doch wenigstens etwas zu essen, satt war ich nicht geworden. Zu sehr war mir Bobbys Kommentar im Kopf geblieben. Es war bescheuert. Es war nur ein blöder Witz in einer Reihe anderer gewesen. Und dennoch schlug er mir direkt auf den Appetit. Doch gerade wollte ich nicht daran denken.
Stattdessen wollte ich lieber Rogers Haut unter meinen Fingern genießen. Langsam wagte ich mich mit der Hand weiter nach oben. Am liebsten hätte ich ihn hart an mich gepresst und seinen Nacken mit meinen Lippen liebkost, seinen Geruch genossen. Doch ich ließ es. Er hatte angedroht es nicht zuzulassen, dass ich ihn überfiel. Und das war einfach etwas ganz anderes, als ihn nur im Arm zu halten und etwas zu streicheln. Auch wenn es mir wirklich schwer fiel. Zu schön war es, wie er sich nicht entscheiden konnte, ob er sich mit dem Rücken an mich drängen oder sich doch lieber meiner Hand entgegenstrecken sollte. Und dabei auch noch zu wirken, als schliefe er.
Erschrocken fuhr ich hoch, als es leise an der Tür klopfte, wobei ich mit der Hand in Rogers Shirt hängen blieb. Wenigstens hatte er so eine Ausrede, warum er gerade jetzt aufwachte. Von draußen hörte ich die Stimme meiner Mutter: „Toby? Bist du schon wach?“
„Bleib ruhig liegen“, flüsterte ich ihm zu, unterdrückte dabei den Impuls, ihn zu küssen, und sprang dann aus dem Bett. Zum Glück hatte sich schon beim Klopfen jede Erregung verflüchtigt, sodass ich direkt in den Flur hinaus konnte. „Mum, was machst du hier?“
„Sorry, Schatz, ich weiß, dass deine Freunde das Wochenende hier sind. Aber Lena ist krank geworden und deswegen sind wir schon früher nach Hause gekommen“, entschuldigte sie sich direkt.
„Schon gut. Geht es ihr denn halbwegs gut?“, fragte ich nach. So nervig Lena auch war, irgendwo hatte ich sie ja doch lieb.
„Ja, nur Fieber. Wollt ihr gleich zum Frühstück runter kommen? Ich hab Waffeln gebacken“, bot meine Mutter an. Sie wusste genau, dass man mich damit immer locken konnte.
„Ich frag Roger mal. Greg ist auch krank geworden. Aber ich komm auf jeden Fall gleich runter.“ Damit ging ich wieder ins Zimmer zurück. Roger hatte sich auf die Bettkante gesetzt und sah mich fragend an. „Meine Familie ist früher zurück. Lena hat Fieber. Meine Mum fragt, ob wir zum Essen runterkommen, sie hat gebacken.“
Langsam schüttelte er den Kopf. „Nein, ich denke eher nicht. Ich sollte wohl gehen.“
Ich trat näher an ihn und strich ihm leicht über den Kopf. „Hey, schau mich mal an. Du wolltest doch nicht die ganze Zeit der homophobe Arsch sein. Dann solltest du auch nicht alles tun, damit es so aussieht, als könntest du mich gar nicht leiden. Das wird nämlich auch irgendwann merkwürdig. Benimm dich doch einfach wie ein ganz normaler Freund. Alle anderen würden jetzt auch mit nach unten kommen. Wir müssen ja nicht Händchen halten oder rumknutschen. Sondern uns einfach nur wie normale Kumpels verhalten. So wie bei den Jungs auch.“
„Aber werden deine Eltern nicht glauben, dass irgendwas war? Ich meine zwischen uns? Ich war immerhin allein hier.“ War da tatsächlich ein Anflug von Furcht in seinen Augen?
„Nein, warum sollten sie? Es übernachten öfter Freunde von mir hier. Sie würden nie auf die Idee kommen, dass ich etwas mit ihnen habe. Na komm.“ Ich nahm ihn an den Händen und zog ihn auf die Beine.
Eher widerwillig stand er auf und folgte mir bis zur Tür. Bevor ich sie öffnete, sah ich ihn noch einmal kurz an und tippte mir mit einem „Vergisst du nicht was?“ an den Kopf. Er lächelte kurz, dann zog er mich an sich und küsste mich gierig, bis uns beiden die Luft ausging. Ich lachte leise. So stürmisch hatte ich es nicht erwartet. „Okay, jetzt ist da definitiv alles ausgeschalten.“
Auch er lachte kurz. Dann gingen wir nacheinander ins Bad, um uns umzuziehen und frisch zu machen.
„Boah, die Waffeln sind echt gut. Kann ich das Rezept haben?“, fragte Roger nach dem Essen. Ich hatte tatsächlich jemanden gefunden, der etwa genauso lange und viel aß wie ich. Das machte ihn nicht gerade weniger attraktiv.
Geschmeichelt lächelte meine Mutter. „Du backst?“
„Ja, ich finde Kochen und Backen unglaublich entspannend. Besonders, wenn ich nervös bin, es beruhigt mich“, gab er leicht verlegen zu.
Der Blick, den Mum mir zuwarf, war eindeutig: Nimm dir mal ein Beispiel an ihm. „Dann hast du die Sachen mitgebracht, die im Kühlschrank sind?“
„Ehm, ja. Ich hab schon länger nichts mehr mit Freunden gemacht und war daher etwas nervös“, gab er etwas kleinlaut zu.
„Oh. Hast du nicht so viele Freunde?“ Er schüttelte den Kopf. „Na keine Sorge, jetzt hast du ja die Jungs. Ich bin mir sicher, die schleifen dich jetzt öfter mit.“
„Sicher. Für nächste Woche ist er auch schon eingeladen“, erklärte ich meinen Eltern. Sie mussten sich wirklich keine Sorgen machen, dass Roger bei uns keinen Anschluss fand. Zumindest solange er nicht wieder anfing, sich albern zu benehmen.
„Sehr schön. Wer kommt heute Abend eigentlich noch?“
„Nur Terrence.“
„Ah, schön, dann könnt ihr ja in deinem Zimmer kucken, oder?“, fragte mein Vater nach.
„Klar, kein Problem. Wir würden nur später dann bestellen.“
„Braucht ihr doch nicht. Wenn wir euch schon stören, dann koch ich auch für euch“, bot meine Mutter an. „Ist ja für euch drei nicht so viel.“
„Danke, Ma’am“, erwiderte Roger höflich. Verdammt, er klang wie der perfekte Schwiegersohn.
„Na komm mal, ich schreib dir das Rezept auf. Toby, kannst du den Tisch abdecken?“ Ich tat wie mir geheißen. Dabei fiel mein Blick immer wieder auf Roger, der sich freudig aufschrieb, was meine Mutter ihm diktierte. Sie schien davon hin und weg und achtete gar nicht mehr auf meinen Vater und mich, wenn wir sie nicht gerade wegscheuchen mussten, um an die Schränke zu kommen. Als sich dabei kurz unsere Blicke trafen, rollte Dad mit den Augen. Ja, Mum hatte eindeutig schon jetzt einen Narren an Roger gefressen.
Nach noch drei weiteren Rezepten, die Roger begeistert ebenfalls aufschrieb, riss mein Vater Mum los, indem er sie daran erinnerte, dass sie Lena noch etwas zu Essen hochbringen wollte. Ich nutzte die Gelegenheit und forderte Roger auf, mit nach oben zu kommen. Vermutlich hätte er sonst den ganzen Tag mit meiner Mum diskutiert. Auch wenn es ihm wirklich Spaß zu machen schien, ich wollte auch noch ein wenig Zeit mit ihm haben.
„Wann kommt Terrence eigentlich?“, fragte Roger, als er sich auf mein Bett setzte.
„Gegen sechs. Wir haben also noch etwas Zeit. Worauf hättest du Lust?“
Roger schwieg eine Weile und sah sich im Zimmer um. Kurz blieb sein Blick am Regal hängen, dann fragte er: „Was machst du sonst, wenn du frei hast?“
„Nicht viel. Meistens ein paar Sachen für meine Eltern erledigen und ansonsten trainieren oder faulenzen, fernsehen et cetera.“
„Hmm. Und was trainierst du so?“ Wirklich begeistert schien er von meinen Hobbys nicht oder er hatte sich mehr erwartet. Aber ich war nun mal nicht der Mensch, der sich stille Hobbys zu Hause suchte.
„Joggen oder ins Studio gehen. Jetzt im Winter gerne auch mal Hockey spielen. Aber eigentlich mach ich fast alles, wenn sich jemand findet, der mitmacht. Allein eben nur die ersten.“
Roger musterte mich lange, dann meinte er: „Das erklärt einiges.“
Fragend sah ich ihn an, was ihn zum Lachen brachte. „Naja, ich glaube nicht, dass so häufig jemand mitgeht. Daher bist du wohl meistens im Studio. Das erklärt die ganzen Muskeln.“
„Achso, ja. So komm ich wenigstens unter Leute. Meistens ergeben sich da auch ganz nette Gespräche. Was machst du eigentlich noch so an Sport, außer Streetball mit uns?“
„Seit dem College nichts mehr. Davor war ich immer in irgendwelchen Mannschaften. Allein hab ich einfach keine Lust, was zu machen.“
„Also brauchst du nur ’n Trainingspartner?“ Er zuckte die Schultern und nickte dabei kurz. Oh, das hätte er nicht sagen sollen. Zumindest nicht mir. „Dann komm!“
Ich ging zu meinem Schrank und kramte ein paar Trainingsklamotten hervor, die ich ihm reichte. „Eigentlich müssten dir meine Sachen ja passen.“
„Du bist verrückt!“ Lachend schnappte er sich die Sachen. Ich holte mir ebenfalls frische aus dem Schrank.
Ich zog mein Shirt aus und wollte mir gerade das fürs Training überziehen, da fiel mein Blick auf Roger. Er saß noch immer auf dem Bett und hatte sich nicht gerührt. War irgendwas passiert? Verwundert drehte ich mich komplett zu ihm um. „Was ist?“
Ertappt sah er mich an, dann stand er hastig auf und drehte mir den Rücken zu. Oh. So war das also. Ich schmunzelte leicht und ging dann auf ihn zu. Vorsichtig legte ich eine Hand auf seinen Oberarm und drehte ihn zu mir. „Du kannst auch gerne schauen.“
In seinen Augen flackerte es kurz, dann drehte er sich ganz zu mir herum. Sein Blick wanderte eingehend über meinen Körper, blieb an einigen Stellen etwas länger hängen. Ob ihm gefiel, was er da sah? Immerhin hatte er das alles zwar schon mal berührt, aber noch nie gesehen. Ich rührte mich nicht, sondern wartete auf eine Reaktion.
Und diese kam auch. Er legte seine Hand auf meine Hüfte, ließ sie an meiner Seite hoch wandern und dann wieder herunter bis zum Hosenbund. Ich legte ihm die Hand in den Nacken und fragte amüsiert: „Gefällt es dir?“
„Ich weiß es noch nicht sicher“, gab er mit einem listigen Grinsen zurück, öffnete mir einfach die Hose und streifte sie mir über den Hintern. Raschelnd fiel sie zu Boden.
„Warte mal kurz.“ Ich hielt seine Hände fest, die wieder über meine Seiten streichen wollten. Verdammt, das war eindeutig Verlangen in seinen Augen. Dieser Blick würde mich nun auch im Dunkeln verfolgen, hatte sich eingebrannt. Dann stieg ich aus der Hose, nahm mir meinen Schreibtischstuhl und stellte ihn unter die Türklinge. „So ist es besser.“
„Na dann komm mal her“, forderte er. Doch ich blieb stehen, sah ihn eindringlich an. War ihm eigentlich bewusst, was hier geschah? Das würde etwas völlig anderes sein als im Darkroom. Dort gab es eine klare Grenze zwischen Freundschaft und dem Treiben dort. Wenn wir hier weitergingen, gab es sie nicht mehr.
Doch er lächelte nur, schien meinen Blick nicht wirklich deuten zu können, und zog sich sein Shirt über den Kopf. „So besser?“
Mein Kopf setzte aus. Das war DIE Gelegenheit, zu sehen, was sonst im Dunkeln verborgen lag. Ich ging langsam zu ihm zurück, betrachtete jeden Zentimeter nackter Haut. Als ich vor ihm stand, ließ ich meine Hand vorsichtig darauf nieder. Sie war warm und weich, fühlte sich gut an. Rogers Hände wanderten in der Zeit über meinen Rücken. Dann zog er mich ran und küsste mich fordernd und hart. Ich konnte spüren, dass er genau das auch war.
Keuchend löste ich mich, während er mich zum Bett drängte. Er kam auf mir zu liegen. Immer wieder küssten wir uns, während ich versuchte, seine Hose aufzubekommen und ihm dann auch auszuziehen. Doch so wirklich wollte mir das nicht gelingen.
„Dreh dich mal auf den Rücken“, forderte ich ihn auf. „Sonst wirst du die nie los.“
Er grinste kurz, dann stand er auf. Er zog sie sich einfach selbst samt der Unterhose aus. Doch ich hatte keine Gelegenheit ihn weiter zu betrachten, denn er legte sich direkt wieder neben mich und deutete auf meine Shorts. „Du hast da auch noch was an.“
„Dann sorg doch dafür, dass es weg kommt“, erwiderte ich keck.
Er grinste, erhob sich wieder etwas über mich und begann sie mir langsam herunterzuziehen. Nach den ersten Zentimetern verzog er jedoch das Gesicht und schob sie wieder nach oben. „Nee, lass mal lieber an.“
Während ich mir frustriert die Haare raufte, stand er auf. Natürlich, er hatte ziemlich deutlich klar gemacht, worauf er stand. Aber ich hatte nun wirklich nicht damit gerechnet, dass das Wochenende so verlaufen würde. Als ich wieder zu ihm sah, griff er gerade nach seiner Unterhose.
„Warte mal.“ Abwartend sah er mich an. Sein Blick sagte mir deutlich, dass er sich nicht überreden lassen würde. Nicht, wenn sich nicht etwas an meinem Zustand änderte. Dennoch wollte ich es so nicht enden lassen. Es war schön gewesen. Ganz anders als im Club, aber dennoch schön. Ich wollte nicht, dass das durch ein paar Haare versaut wurde. Auffordernd deutete ich neben mich. „Komm her.“
„Toby, nee, ich will das nicht sehen.“ Der Ekel war deutlich zu hören. Doch ich schüttelte nur den Kopf, dann deutete ich damit in die Richtung, wo Roger hin sollte. Er ließ die Unterhose fallen und kam dann seufzend auf mich zu, setzte sich auf den Bettrand. „Wirklich nicht. Das ist einfach...“
Weiter kam er nicht, denn er wurde von einem erschrockenen Keuchen unterbrochen. Ich hatte einfach um ihn herum gefasst und über sein Glied gestrichen. „So abgeturnt wirkst du aber nicht. Komm, leg dich hin. Ich versprech dir, ich lass die Hose an.“
„Was hast du vor?“, fragte er zweifelnd, legte sich aber doch neben mich. Scheinbar vertraute er mir zumindest so weit.
„Mich entschuldigen, weil ich mich nicht an die Regeln gehalten hab.“ Ich küsste ihn, ließ meine Hände über seinen Oberkörper wandern. „Auch wenn ich nicht wissen konnte, dass sie dieses Wochenende überhaupt gelten würden.“
„Du hast nicht geraucht“, stellte er gerade überrascht fest.
Und auch mir wurde das erst jetzt bewusst. Die letzte Zigarette hatte ich gestern nach der Arbeit geraucht. Mittlerweile rauchte ich gar nicht mehr, wenn er in der Nähe war, kam mir die Erkenntnis. Doch wirklich bewusst hatte ich mich nicht dafür entschieden. „Stimmt. Ich dachte nur, dass du es auch nicht mögen wirst, wenn ich in deiner Nähe rauche.“
Langsam küsste ich mich seinen Bauch hinab. Er hielt still, vertraute mir. Ich genoss es, nutze die Gelegenheit, ihn mir ganz genau einzuprägen. Das nächste Mal, wenn wir uns im Club trafen, würde ich dann alles von ihm kennen und mir in Erinnerung rufen können.
Ich kroch zu ihm nach oben und küsste ihn sanft. Zufrieden lächelte er mich an, während meine Hände über seinen Bauch wanderten. „Alles gut?“
Er nickte und streckte sich etwas zu mir, um noch einen Kuss zu fordern. Dann stand ich auf, um ein Taschentuch zu holen, das ich ihm reichte. Dankbar nahm er es an, machte sich sauber und entsorgte das Kondom darin. Dann wollte er sich aufrichten. Doch ich wollte nicht, dass es schon vorbei war und hielt ihn mit der Hand zurück. „Bleib bitte noch ’n Moment liegen. Gib her, ich werf das weg.“
Verwundert sah er mich an, nickte dann aber und blieb tatsächlich liegen. Nachdem ich das Tuch etwas im Mülleimer vergraben hatte, legte ich mich wieder neben ihn und streichelte ihn. Während ich meinen Kopf auf seine Schulter legte, fragte ich: „Ist das okay?“
Er grummelte zustimmend und schlang den Arm um mich. Zufrieden seufzte ich. Kilian und Trevor hatten ja recht: Ich war ein hoffnungsloser Fall. Aber mir gefiel es, dass Roger das Kuscheln zuließ. Ich wusste, dass das nicht selbstverständlich war. Mat konnte es zum Beispiel nicht. Nicht, dass ich bei ihm daran Interesse gehabt hätte, aber wir hatten uns mal darüber unterhalten. Dabei war es so schön, Rogers Seite zu streicheln, seinem ruhigen Atem zu lauschen und dabei selbst am Rücken gekrault zu werden.
Ich sah diese ruhigen Minuten als kleinen Lohn. Immerhin schien Roger wirklich gefallen zu haben, was ich getan hatte. Noch nie zuvor hatte ich mehr als nur ein paar kurze Lustlaute aus seinem Mund vernommen. Auch wenn er sie mit der Hand gedämpft hatte, damit ihn Lena und meine Eltern nicht hörten, sie waren da gewesen. Genau wie seinen harten Griff in meinen Nacken und seine Wortkargheit kurz danach nahm ich es als Zeichen, dass ich die Situation gerade noch gerettet hatte.
Irgendwann fiel mir auf, dass Rogers Atem zu ruhig ging und er aufgehört hatte, mich zu streicheln. Ich richtete mich etwas auf und erkannte, dass er eingeschlafen war. Ich schmunzelte leicht, zog die Decke über ihn und küsste ihn dann leicht auf die Stirn. Zufrieden im Schlaf murmelnd drehte er sich auf die Seite und kuschelte sich in die Decke ein. Mein Kissen umklammerte er fest mit den Armen und vergrub sein Gesicht darin.
Kurz beobachtete ich ihn lächelnd, dann stand ich auf und zog mich wieder vollständig an. Ich räumte die ungetragenen Klamotten in den Schrank und den Stuhl zurück, dann nahm ich mir ein Buch aus dem Regal. Viele Bücher hatte ich nicht, aber zumindest ein paar hatte ich mir von Mat geliehen. Dann konnte ich ihm die wenigstens zu seinem Geburtstag wiedergeben. Ich setzte mich damit auf die Matratze vor meinem Bett und las. Ab und zu fiel mein Blick dabei auf Roger, doch er schlief seelenruhig weiter.
Gegen fünf legte ich das Buch zurück. Ich setzte mich neben Roger und streichelte ihm über die Haare. „Hey, du musst langsam wach werden.“
Unwillig murrte er und kuschelte sich weiter in die Decke. Amüsiert lächelte ich und streichelte etwas seinen Nacken. Langsam wurde er wacher, versuchte jedoch, sich nichts anmerken zu lassen. Ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
„Na komm, Terrence kommt gleich. Du willst ihm...“ Weiter kam ich nicht, denn Roger schreckte direkt hoch und wollte aus dem Bett flüchten. „Nicht so schnell, ein paar Minuten haben wir noch.“
Erleichtert lehnte er sich gegen die Wand in seinem Rücken und zog mich in seine Arme. Wir kuschelten noch kurz, dann richtete er sich endgültig auf. Leicht verlegen lächelte er mich an. „Danke.“
„Kein Problem. Da du hier ja scheinbar gut schlafen kannst: Du bist jederzeit willkommen. Du musst nicht einmal nackt sein.“ Frech zwinkerte ich ihm zu in der Hoffnung, es würde von meiner nervösen Stimme ablenken. Der Gedanke, ihn öfter in meinem Bett zu haben, gefiel mir.
Doch er lächelte nur, während er seinen Prachthintern aus meinem Bett erhob. Natürlich ließ ich mir diesen Anblick nicht entgehen. „Ich denke, ich komme darauf zurück.“
Mein Herz klopfte freudig und ich lächelte ihn an. Wenn er hier schlief, wäre es etwas völlig anderes, als wenn wir uns nur im Club trafen. Aber für mich war es okay. Und für ihn wohl auch. Zumindest kam er zu mir herüber, nachdem er sich angezogen hatte und stellte sich dicht vor mich. Eindringlich sah er mich an, während er mir mit der Hand eine Strähne aus dem Gesicht strich. „Bist du so weit?“
„Ungern, aber ja“, seufzte ich und streckte mich ihm entgegen.
Traurig lächelte er und küsste mich dann. Danach trat er einen Schritt von mir zurück. „Und was machen wir jetzt, bis Terrence kommt?“
„Magst du Karten spielen?“, war das erste, was mir einfiel. Er nickte. Schnell holte ich die Karten aus der Schreibtischschublade, dann setzte ich mich zu ihm auf den Boden. „Was wollen wir spielen?“
„Ich kenn nicht viele Spiele. Kennst du Krieg?“
„Klingt gut“, stimmte ich zu, mischte die Karten und teilte dann aus.
Noch während der ersten Runde klingelte es und zwei Minuten später klopfte es an der Zimmertür. Nach einem Blick zu Roger, der kurz nickte, rief ich: „Komm rein.“
„Hey, Toby. Hi, Roger“, grüßte Terrence, als er hereinkam. Er sah sich kurz um, dann auf unser Spiel und stockte. „Wo ist denn Greg?“
„Er ist kurzfristig krank geworden. Genauso wie Lena. Deswegen sind meine Eltern auch schon wieder da und wir müssen hier schauen.“
„Oh, okay. Hey, das heißt ja, du hast allein hier geschlafen, oder? Und, war’s so schlimm, wie du dachtest?“, wandte er sich an Roger.
„Die Matratze war etwas kurz. Aber zumindest war Toby so leise, dass ich nicht bemerkt habe, wie er über mich hergefallen ist“, gab dieser ihm grinsend zur Antwort.
Terrence lachte, während ich über unser Spiel hinweg langte und dem Frechdachs leicht gegen den Arm boxte. „Hey, erzähl hier keine Ammenmärchen. Sonst glaubt dir das hinterher noch jemand.“
„Ach quatsch, wir wissen doch alle, dass du im Grunde deines Herzens ’n totaler Romantiker bist“, witzelte Terrence.
„Stimmt doch gar nicht!“, protestierte ich. Dennoch warf ich einen leichten Seitenblick zu Roger, um zu sehen, wie er darauf reagierte. Doch er grinste nur Terrence an. Schnell lenkte ich das Thema um, bevor noch etwas wirklich Peinliches gesagt wurde oder Roger dahinter kam, dass Terrence’ Aussage der Wahrheit entsprach: „Hast du zufällig gesehen, was Mum gekocht hat? Sie wollte kochen, um sich zu entschuldigen, dass sie uns aus dem Wohnzimmer verscheuchen.“
„Wenn ich es richtig gerochen hab, dann gibt es Chili.“ Ich konnte sehen, dass ihm schon bei dem Gedanken das Wasser im Mund zusammenlief.
„Oh, lecker“, bemerkte Roger.
„Da kannst du drauf wetten. Tobys Mum macht das beste Chili der Welt!“
Diese steckte genau in dem Moment den Kopf zur Tür herein, die Terrence nur angelehnt hatte. „Oh, danke für das Kompliment, Terrence. Kommen ein oder zwei von euch drei starken, jungen Männern nach unten und helfen beim Hochtragen?“
„Aber klar“, war Roger wie immer direkt bereit zu helfen.
„Terrence kommst du auch mit? Es gibt sicher genug für alle zu tragen“, bat ich meinen besten Freund. Er nickte. Tatsächlich mussten wir zu dritt sogar zwei Mal laufen, weil noch so viel vom Vorabend übrig war, dass wir es nur so nach oben bekamen.
„Wow, wann hat denn deine Mum das ganze Zeug gemacht?“, fragte Terrence, als wir es uns gemütlich gemacht hatten. Leider hatte sich Roger nach unten auf die Matratze gesetzt und nicht zu uns aufs Bett. Aber es war in Ordnung, ich wollte ihn zu nichts zwingen.
Ich lachte leicht. „Das hat Roger gestern mitgebracht.“
„Deine Eltern wissen aber schon, dass du auch kommen kannst, wenn du nicht ’ne ganze Mannschaft versorgst?“
Nun lachte auch Roger. „Nein. Aber sie wissen auch nicht, was ich das Wochenende vor habe.“
„Roger hat selbst gekocht“, half ich meinem besten Freund auf die Sprünge. Scheiße, hoffentlich hörte er nicht, dass ich das unglaublich anziehend fand. Ein gut aussehender Kerl, der auch noch phantastisch kochen konnte.
Sofort griff Terrence in eine der Dosen und kaute nachdenklich. Dann hellte sich sein Gesicht auf. „Das ist echt Klasse!“
„Danke“, nahm Roger etwas schüchtern das Kompliment an. Doch auch er schien gern abzulenken, wie ich schmunzelnd feststellte. „Welche Spiele schauen wir heute eigentlich?“
„Ich denke mal zuerst Knicks gegen Miami. Und danach auf jeden Fall die Celtics. Weißt du grad, gegen wen die heute ranmüssen?“
„Gegen Washington“, wusste Roger natürlich aus dem Kopf. Ernüchtert schob er hinterher: „Ich glaub nicht, dass das sonderlich spannend wird.“
„Oh, ich glaub schon. Du kannst nur hoffen, dass ihr nicht allzu viele Punkte macht. Ich muss ja Terrence ganz genau zeigen, wie das neue Spiel funktioniert“, drohte ich scherzhaft. Als mein bester Freund uns verwirrt ansah, erklärte ich: „Roger ist Celtics-Fan. Für jeden Punkt, den sie machen, bekommt er ein Kissen um die Ohren.“
„Klingt gut“, stimmte Terrence mit ein und bewaffnete sich sofort.
„Toby vergisst da aber ein kleines Detail: Dasselbe gilt bei jedem Punkt der Knicks für euch ebenfalls“, ergänzte Roger und grinste uns beide gehässig an.
„Ach, kein Thema, wir teilen die Schläge ja unter uns auf. Also bekommen wir weniger ab und werden weniger schnell müde beim Austeilen. Und Toby schlägt sicher härter zu“, war sich mein bester Freund sicher. Ich suchte in der Zeit schon einmal den richtigen Sender und schob mir noch die Decke in den Rücken, da ich das Kissen ja anderweitig benötigte.
„Und du willst sicher nicht bleiben?“ Ich konnte nicht verhindern, dass ich Roger etwas bittend ansah.
„Nein.“ Er schüttelte entschlossen den Kopf, dann sah er sich kurz um, dass niemand in der Nähe war, bevor er flüsterte: „Da wo ich schlafen will, kann ich nicht schlafen, wenn Terrence auch hier ist, und da wo ich schlafen könnte, ist es einfach zu unbequem.“
„Wir finden sicher etwas, womit wir die Matratze verlängert können“, schlug ich hoffnungsvoll vor. Zu gern hätte ich ihn noch eine Nacht in meiner Nähe gehabt. Selbst wenn er nur vor meinem Bett lag und Terrence vielleicht noch zwischen uns. Und ich war mir sicher, dass Roger es auch wollte.
„Nee, lass mal lieber. Es wäre irgendwie... komisch hier zu sein, wenn du morgen auf Arbeit musst.“ Obwohl sein Gesicht immer noch mir zugewandt war, wanderten seine Augen zu Boden. Sanft legte ich ihm die Hand auf die Wange und streichelte darüber. Er war gerade so unglaublich süß, ich hätte ihn küssen können.
„Das war dein erstes Mal, oder?“, sprach ich den Gedanken aus, der mir schon am Nachmittag gekommen war. Anders konnte ich mir nicht erklären, weshalb er so unglaublich nervös wurde, wenn es um Zärtlichkeiten ging, während er beim Sex völlig abgebrüht schien.
„Welches meinst du?“, fragte er leicht verlegen. Doch noch bevor ich antworten konnte, sprach er weiter: „Es war das erste Mal, dass ich mit und bei einem anderen Mann im Bett geschlafen habe, das erste Mal, dass ich danach eingeschlafen bin, und auch das erste Mal, dass ich mich hab so gehen lassen.“
Kurz musste ich schlucken. Die ersten Dinge waren das gewesen, was ich eigentlich gemeint hatte. Immerhin hatte er ja gesagt, dass er sonst in Clubs suchte. Aber mit dem letzten hatte ich nicht gerechnet. Auch wenn es Sinn machte, so wie er sich sonst gab. Diese Offenbarung machte mich unglaublich glücklich. Sanft lächelte ich ihn an. Wenn er so ehrlich war, wollte ich es auch sein. „Immerhin sind wir dann in der letzten Sache quitt.“
„Was meinst du?“ Sein Blick sagte, dass er wirklich verwirrt war.
Kurz lachte ich. „Naja, ich geb sonst auch lieber den Ton an. Aber es war trotzdem alles in Ordnung?“
Ein wenig hatte ich Angst, dass das alles ihm zu viel wurde. Die Ehrlichkeit, die Nähe, die gerade zwischen uns herrschte und durch das Gespräch nur spürbarer wurde, und mein zärtliches Streicheln an seiner Wange. Doch er lächelte, sah sich kurz um und küsste mich dann sanft. „Es ist alles gut. Sonst hätte ich schon was gesagt. Ich sag doch, ich lass es nicht zu, dass du über mich herfällst. Und sonst hätte ich auch nicht zugestimmt, es zu wiederholen.“
„Schön, ich freu mich drauf. Jetzt sollte ich aber hoch, sonst wird Terrence noch misstrauisch. Wir sehen uns spätestens nächstes Wochenende bei Darius.“ Ich winkte ihm nach, während er sich auf den Weg nach Hause machte. Dann ging ich wieder in mein Zimmer.
„Na ihr versteht euch ja blendend“, stellte Terrence neutral fest, als ich ins Zimmer zurück kam. Wie er sprach, hatte ich nicht das Gefühl, dass er etwas bemerkt hatte. Dennoch musste ich vorsichtig sein, damit er nicht merkte, wie verschossen ich schon jetzt war.
„Ja. Er brauchte wohl wirklich nur eine Weile, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich schwul bin. Und ich denke, er hat jetzt auch erkannt, dass das nicht heißt, dass ich direkt über ihn herfalle.“ Ich konnte Terrence ja schlecht die Wahrheit sagen. Und irgendwo stimmte es auch. Roger war lockerer gewesen als zuvor, fast so wie zum Anfang, als wir ihn kennenlernten. Vermutlich hatte er mittlerweile einfach deutlich mehr Vertrauen in die Situation mit mir.
„Find ich voll klasse. Ich mochte ihn schon zu Anfang, aber dieses ständige Rumgetue war echt nervig. Hätte mich nicht gewundert, wenn er sich auf Dauer damit selbst ins Aus geschossen hätte“, mutmaßte Terrence.
„Ja, glaub ich auch. Komm, wir gehen schlafen. Ich muss morgen früh raus“, forderte ich ihn auf und ging dann auch gleich ins Bad.
„Hey. So allein hier?“, fragte mich Kilian und schob mir eine Cola über den Tresen. Es war Mittwochabend, ich hatte nichts zu tun und morgen frei. Es liefen zwar ein paar Spiele, aber keines der Knicks. Und mir allein die Celtics oder andere Rivalen ansehen, wollte ich auch nicht. Also war ich in den Club gegangen.
„Ja. Ich wollte mal schauen, was so geht.“
„Och, naja, das übliche, wenn es kälter wird. Weniger Leute im Club, aber dafür ist der Darkroom immer gut gefüllt. Diejenigen, die überhaupt rausgehen, suchen eben dann auch die warmen Orte.“
„Ich werd wohl nachher auch mal runter gehen, wenn sich was finden lässt.“ Wirklich großartig motiviert war ich nicht, aber wenn sich etwas ergab, würde ich auch nicht ablehnen.
„Mit dem Schnuckelchen hat es wohl auch wieder nicht geklappt?“
„Doch, ich kann mich nicht beklagen. Er war am Wochenende bei mir. Aber wir hatten nicht viel Zeit und ich war nicht drauf vorbereitet, dass mehr passieren könnte. Eigentlich sollten noch andere Freunde da sein. Naja, also bin ich leer ausgegangen“, erklärte ich kurz, machte aber deutlich, dass es für mich in Ordnung war.
„Oh... Na dann... Dann ist ja alles gut“, murmelte er. Prüfend sah ich ihn an. Wenn er jetzt den Blick abwendete, dann hatte er irgendwas.
Okay, irgendwas wollte er mir sagen, traute sich aber nicht. „Na komm schon, Kil, spuck es aus. Was hast du?“
„Weißt du... Naja, eigentlich sollte ich nichts sagen, aber... er war letzte Woche hier“, stotterte er und konnte mich noch immer nicht ansehen. Wohl auch, weil er eigentlich nicht gern darüber sprach, wer im Club ein und aus ging.
„Na und? Er kann doch her kommen. Das ist doch kein Verbrechen.“ Mensch, Kilian schien sich echt Sorgen zu machen. Was wohl passiert war?
„Ja, schon... Aber... Ach Mann, eigentlich sollte ich die Klappe halten...“ Ich wartete ab. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er jetzt sowieso keinen Rückzieher mehr machen würde. „Ach, na gut... Aber nur, weil du es bist... Du weißt, dass ich sonst nicht verrate, wen ich hier sehe und mit wem.“
„Ja, Kil, weiß ich. Aber dir liegt irgendwas auf der Seele. Also los, raus damit.“ Sanft lächelte ich ihn an. Ihm war wirklich anzusehen, dass er deshalb Gewissensbisse hatte.
„Ich mach mir nun mal Sorgen. Er war hier und hat sich mit ’nem anderen Typen nach unten verzogen“, grummelte der Barkeeper.
Eine Weile wartete ich, ob noch etwas kam, doch er schwieg. Mensch, was war denn nun? „Er hat sich mit dem Kerl nach unten verzogen und dann?“
„Ja nichts: und dann? Du weißt doch, was da unten abgeht.“ Kilian sah mich mit großen, verwirrten Augen an.
„Ja und?“ Wo war jetzt das Problem? Wir sahen uns beide verständnislos an.
„Stört dich das denn gar nicht?“, bohrte er nach einem Moment nach.
Ach, daher wehte der Wind. Kil hatte Angst, Roger würde mich betrügen. Süß war er ja manchmal. „Warum sollte es? Wir sind nicht zusammen.“
„Ja, aber du klangst so... überzeugt... so verliebt.“ Auch wenn der Barkeeper überhaupt nicht mein Typ war, wurde mir bei seinem unschuldigen Blick mal wieder klar, warum sich Trevor in ihn verliebt hatte.
Ich musste lachen. „Kil, wenn ich in jedem Kerl, in den ich mich verknalle, gleich die große Liebe sehen würde, dann würde ich nicht mehr glücklich werden. Ja, ich finde ihn heiß und hab sicher meine Fantasien darüber, dass mehr daraus werden könnte, aber ich mach mir da keine falschen Hoffnungen.“
Kilian sah mich mitleidig an und legte mir eine Hand auf den Arm. „Ach Mann, ich hab doch nicht gewusst, dass du schon aufgegeben hast. Hey, du findest scho...“
„Wieso aufgegeben?“, unterbrach ich ihn überrascht. Davon hatte ich doch gar nichts gesagt. „Ich seh es nur realistisch. Es spricht einfach zu viel dagegen, dass daraus wirklich was werden könnte. Er ist nicht geoutet und hat es auch nicht vor. Er will keine Beziehung. Ich vermute genau deswegen. Und er ist ebenfalls ziemlich dominant. Wie stellst du dir das vor?“
„Ihr könntet euch abwechseln?“, riet Kilian ins Blaue, wirkte dabei aber völlig überzeugt.
„Ach, Kil, ich liebe deinen Optimismus.“ Ich wuschelte ihm durch die hellen Haare. „Ich glaube nicht, dass es klappt. Das wäre, als würdest du Trevor vorschlagen, er solle sich mal schlagen lassen. Ich steh doch eigentlich überhaupt nicht drauf, wenn man versucht mich zu dominieren. Und er wohl auch nicht. Ich hab ihm am Samstag einen geblasen und er hat gemeint, dass es das erste Mal gewesen wäre, dass er überhaupt die Führung abgegeben hätte.“
„Na siehst du, es scheint doch miteinander zu klappen.“ Kilian lächelte mich an. Hatte er überhaupt zugehört?
„Ich glaub nicht, dass es so einfach ist“, seufzte ich. „Er wäre fast panisch aufgesprungen, als ich seinem Arsch auch nur minimal zu Nahe gekommen bin.“
„Vielleicht braucht er einfach noch Zeit? Wenn du es nie versuchst und jeden, der dich nicht gleich nach ein paar Dates abblitzen lässt, von dir fern hältst, dann wird das nie was werden!“, riet er mir und lächelte dabei ein sanftes Lächeln.
„Keine Sorge, so schnell werd ich ihn schon nicht los, immerhin ist er ja auch ein Freund.“ Ich lächelte zurück. Ich würde schon wissen, was ich tat. Immerhin hatte ich nicht vor, Roger deshalb gleich abzuschießen. Solange es mir noch gefiel, sah ich dafür keinen Grund. Dann holte ich den Geldbeutel hervor, nahm das Geld für die Cola heraus und übergab es an Kil. „Danke dir fürs Zuhören.“
„Wenn du denn nur darauf hören würdest“, seufzte er noch, während ich mich auf dem Weg zu dem süßen Kerlchen machte, das ich entdeckt hatte.
Den nächsten Brief erhielt ich am darauf folgenden Donnerstag. Diesmal war er dunkellila und mit einem dunkelgrünen Stift, statt mit Tinte, geschrieben. Roger wollte sich am Sonntag im Club treffen. Auch wenn ich am nächsten Morgen früh in der Arbeit sein musste, wollte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Denn wir hatten uns zwar am Wochenende bei Darius getroffen, jedoch nicht zusammen übernachtet.
Auch wenn wir uns am Wochenende bereits getroffen hatten, war es bei Darius gewesen und wir hatten nicht gemeinsam dort über nachtet. Zumal das vermutlich keinen Unterschied gemacht hätte, da mit mir noch Terrence und Anthony dort geschlafen hatten. Und auch diesen Freitag würden wir uns dort zwar treffen, aber Roger hatte am Samstag den ganzen Tag einen Kurs, sodass er weder dort schlief, noch am Samstag kommen würde. Dennoch hoffte ich eine Gelegenheit zu finden, ihm kurz zuzusagen und das Treffen am Sonntag möglichst früh anzusetzen.
Eigentlich hasste ich es nämlich, Dates vor der Frühschicht haben. Ich hing dann immer den ganzen Tag durch. Für ihn wollte ich es dennoch tun. Nicht, dass ich völlig ausgehungert war, ich war in der Zwischenzeit immerhin noch zweimal im Club gewesen, aber irgendwie vermisste ich seine stürmische Art.
So war es bei mir nun mal, wenn ich mich wieder in jemanden verkuckt hatte: Am Ende warf ich doch alle Vorsätze über den Haufen.
Der Abend mit Roger im Club war überaus befriedigend gewesen. Und das, obwohl er wieder recht dominant gewesen war und meinen Versuch, selbst die Führung zu übernehmen, sehr direkt abgewiesen hatte. Aber seine Art dabei gefiel mir einfach, sodass ich dem nichts entgegenzusetzen hatte.
Daher freute ich mich auch sehr, als am nächsten Sonntag ein giftgrüner Briefumschlag aus meiner Tasche fiel, während ich sie ausräumte. Wie hatte er es nur geschafft, den unauffällig dort hinein zu schmuggeln, während wir bei Darius gewesen waren? Und so langsam fragte ich mich auch, wie viele Farben er noch davon hatte. Und ob sie irgendetwas zu bedeuten hatten.
Um so enttäuschter war ich, als ich das Datum im Brief las. Frustriert ging ich nach unten und holte mir das Telefon. Schon auf dem Weg nach oben wählte ich die Nummer. Ich hatte sie bisher nur einmal benutzt, doch sie hatte sich in meinem Kopf festgesetzt. Roger nahm ab, als ich gerade die Tür schloss. „Roger Brooks.“
„Hi, na du Lausbub“, flötete ich ins Telefon.
„Hi. Hast du schon Sehnsucht nach mir?“ Ich konnte das breite Grinsen durch das Telefon hören.
Es steckte mich direkt an. „Das sollte ich dich wohl fragen. Immerhin hast du mir diese nette Nachricht in die Tasche geschmuggelt.“
„Bist du dir da sicher?“ Sein Versuch, unschuldig zu klingen, misslang.
„Natürlich. Du bist der einzige, der mir jedes Mal den Tag mit farbenfrohen Nachrichten versüßt.“ Er durfte ruhig wissen, dass ich mich darüber freute. Vielleicht bekam ich dann noch mehr Post von ihm, Und außerdem wäre er dann vielleicht versöhnter, wenn ich ihm gleich absagen musste.
„Oh, dann sollte ich dir öfter welche schicken“, witzelte er.
„Ich würde mich sehr freuen“, gab ich halbernst zurück. In die Ecke drängen wollte ich ihn ja auch nicht.
„Dann lass ich mir mal was einfallen.“
„Ich freu mich schon.“ Verdammt, es tat gut, so mit ihm zu flirten. Auch wenn ich nicht ganz einschätzen konnte, wie viel er ernst meinte und was nur flirten war. Ich hoffte, dass es ihm wenigstens genauso ging.
„Aber du rufst nicht an, um mir zu sagen, dass du gerne mehr Briefe hättest, oder?“, wurde er nun ernster. Ich hoffte, mir die Traurigkeit in seiner Stimme nur einzubilden.
Ich seufzte. „Nein, leider nicht. Ich kann am Dienstag nicht. Am Mittwoch feiert ein Freund Geburtstag. Der, der das Photo auf meinem Schreibtisch gemacht hat. Ich muss Dienstag nach der Schicht direkt los und komm dann Donnerstagabend wieder, weil ich Freitag Frühschicht hab. Tut mir leid.“
„Schon gut, kannst du ja nichts für.“ Etwas enttäuscht klang er trotzdem, auch wenn er versuchte, es zu verbergen. „Wir sehen uns dann ja am Wochenende. Und danach finden wir sicher einen anderen Termin.“
„Sicher. Ich freu mich schon darauf“, verabschiedete ich mich. Doch dann setzte ich, einem Einfall folgend, noch mit möglichst verführerischem Ton nach: „Wie wär’s, wenn ich dir diesmal zeige, wie schön es ist beim Blowjob geführt zu werden, wenn man ihn selbst gibt?“
Er schnaufte amüsiert. „Vergiss es!“
„Schade. Dabei warst du so schön, als du dich einfach hast fallen lassen“, seufzte ich enttäuscht, ließ meine Stimme aber dennoch möglichst fröhlich klingen. Ich hätte es gern gehabt, aber ihn zwingen oder unter Druck setzen wollte ich nicht.
„Sorry, aber ich kann das nicht.“ Scheinbar hatte er doch bemerkt, dass die Enttäuschung überwog.
„Schon gut. Wir sehen uns nächstes Wochenende“, versuchte ich möglichst freundlich zu klingen. Er sollte sich deswegen nur nicht schlecht fühlen, das war nicht meine Absicht gewesen. Ich hatte ihn nur etwas necken wollen. Nun hatte ich ein schlechtes Gewissen.
„Ja, wir sehen uns.“ Tatsächlich klang er etwas traurig. Das verstärkte sich auch noch, als er direkt vor dem Auflegen hinterher schob: „Tut mir leid.“
Mein erster Blick, nachdem ich aus Boston zurück war, galt dem Briefkasten. Doch natürlich war dieser leer. Enttäuscht ging ich hoch in mein Zimmer. Eigentlich hätte ich es mir denken sollen, immerhin war unser letztes Telefonat nicht sonderlich gut geendet. Vermutlich war es sogar gut, dass ich Peter nichts von Roger erzählt hatte. Anderseits würden Roger und ich uns ja auch am Wochenende wieder sehen. Warum sollte er mir da überhaupt etwas schicken? Trotzdem hatte ich darauf gehofft. So wie mittlerweile fast jeden Tag.
Seufzend stellte ich meine Tasche auf dem Schreibtisch ab und räumte sie direkt aus. Ich wollte mich nicht gleich amwieder mit meinen Eltern wegen der Wäsche streiten. Nachdem ich alles in die Waschmaschine gestopft hatte, ging ich nach unten.
„Hast du deine Tasche schon ausgeräumt?“, fragte Mum auch direkt.
„Ja, ist schon alles in der Wäsche. Wann gibt’s denn Essen?“
„Hast du dich wieder nicht getraut, richtig zu essen?“, fragte mein Vater. Ich seufzte nur, statt zu antworten.
„Schon gut, das Essen ist gleich fertig. Hilfst du mir? Dann kannst du auch gleich erzählen, wie es Peter und Mat geht“, schlug meine Mutter vor.
„Ja klar.“ Ich war dankbar, dass sie nicht weiter auf das Thema Essen einging.
„Achso, hast du eigentlich die Karte gesehen, die ich dir auf den Schreibtisch gelegt hab?“, fragte Mum mich, als wir gerade den Tisch wieder abräumten. Da das Abendessen auch gleichzeitig das offizielle Thanksgiving-Essen unserer Familie war, hatten wir natürlich auch entsprechend lange gesessen und geredet.
„Nein, was für ’ne Karte?“ Warum hatte sie nicht schon früher etwas gesagt?
„Die lag gestern im Briefkasten. Es stand nur dein Name drauf, deswegen hab ich sie dir auf den Schreibtisch gelegt.“
„Ah, danke. Ich geh gleich mal schauen.“ Schon der Gedanke, dass sie von Roger sein könnte, machte mich so hibbelig, dass ich am liebsten direkt nach oben gestürmt wäre, um sie zu suchen. Doch zuerst musste ich noch fertig helfen. Immerhin wollte ich ja auch nicht, dass es zu offensichtlich wurde.
„Toby hat ’n heimlichen Verehrer“, flötete Lena dennoch.
„Halt die Klappe, du kleine Kröte!“ Ich schlug ihr leicht gegen den Oberarm.
Doch das hielt sie nicht davon ab, weiterzumachen. „Hahaha, du streitest es ab! Also hast du wirklich einen!“
„Achja? Und was ist mit dem kleinen rosa Briefchen, das letztens aus deiner Jacke gefallen ist? Von wem war das denn?“, schlug ich zurück. Schockiert sah sie mich an. Natürlich, immerhin hatte sie versucht, es vor uns zu verheimlichen. Sie konnte ja nicht wissen, dass ich es ihr wieder in die Jacke gesteckt hatte, nachdem ich es darunter auf dem Boden hatte liegen sehen. Vermutlich war es einfach nur aus der Tasche gefallen.
„Du bist voll blöd! Das geht dich gar nichts an!“, schrie sie und rannte nach oben.
„Toby! Musste das sein?“, tadelte mein Vater, während ich ihr verwundert nach sah. Mit so einer heftigen Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Früher hätte sie einfach beschämt den Kopf eingezogen. Scheiß Pubertät, war ich auch so schlimm gewesen?
„Was denn? Sie hat doch angefangen“, verteidigte ich mich dennoch. „Ich geh mal nach oben.“
„Vergiss nicht, dich bei deiner Schwester zu entschuldigen“, rief Mum mir hinterher.
Fluchend suchte ich den ganzen Schreibtisch ab. Und das schon zum dritten Mal! Irgendwo musste diese verdammte Karte doch sein! Oder hatten meine Eltern mich zum Narren halten wollen? Wohl kaum. Wenn dann hätten sie es direkt aufgelöst. Wo konnte das Ding also noch sein? Unterm Schreibtisch hatte ich auch bereits alles abgesucht.
Überlegend streifte mein Blick über den Boden. Da sah ich etwas Helles unter dem Bett hervorschauen. Ich zog an dem kleinen Zipfel und beförderte tatsächlich eine Karte hervor. Scheinbar war sie vom Tisch gesegelt und dann dort gelandet.
Zuerst sah ich nur die Rückseite. Auf ihr stand in der üblichen, schwungvollen Handschrift mein Name, jedoch keine Nachricht. Als ich die Vorderseite sah, war eine solche aber auch gar nicht mehr notwendig. Dort war ein altes Wählscheibentelefon zu sehen, dessen Hörer von einem Hund mit treudoofem Blick im Maul gehalten wurde. Die Aufforderung war eindeutig, auch ohne Text, und brachte mich zum Schmunzeln. Dieser Kerl war so süß.
Ich stand auf dem Gang, um das Telefon zu holen, da hörte ich Lena in ihrem Zimmer schluchzen. Verwundert wandte ich mich in diese Richtung und horchte noch einmal genauer. Tatsächlich, es klang deutlich danach, als würde sie weinen. Roger musste also noch einen Moment warten.
Ich klopfte an ihre Tür. „Kröte, kann ich reinkommen?“
„Nein!“, kam ein bockiges Schluchzen zurück, das mich jedoch nicht aufhielt.
„Hey, was ist denn los?“ Ich setzte mich zu ihr aufs Bett und streichelte über ihren Rücken. Sie hatte sich bäuchlings aufs Bett geworfen und schluchzte ins Kissen.
„Nichts“, murmelte sie. „Lass mich in Ruhe!“
„Tut mir leid, ich wollte nicht böse sein. Aber du hast angefangen, da musst du auch das Echo vertragen.“ Ich strich ihr einige nasse Strähnen aus dem Gesicht. „So schlimm war es doch auch nicht. Selbst wenn es wirklich ’n Liebesbrief von ’nem Jungen war, ist das doch nichts Schlimmes.“
Doch statt sie zu beruhigen, ließ meine Aussage sie noch stärker weinen. Jetzt war ich doch alarmiert. Das hatte schon nichts mehr mit einem schiefgelaufenen, geschwisterlichen Witz zu tun. Und auch nicht mit pubertärer Sensibilität. „Hey, Kröte, komm schon. Was ist passiert?“
„Die haben mich geärgert!“, kam es dumpf durch das Kissen.
„Wer hat dich geärgert? Der Junge, von dem der Brief war?“ Ich sah es einfach nicht als Zufall, dass sie gerade jetzt so weinte.
Noch einmal schniefte sie, bevor sie antwortete. „Der war nicht von ’nem Jungen.“
„Was?“, fragte ich deutlich verwirrt nach. Man mochte meinen, gerade ich hätte anders reagieren können, aber es verwunderte mich eben doch sehr.
„Ich dachte, er ist vom Riley aus meinem Geschichtskurs. Aber ein paar andere haben den geschrieben. Und dann haben die meine Antwort an eine Riley an der High School gegeben.“ Die Kleine schniefte herzerweichend. Da sie schon sehr verrotzt klang, holte ich ihr ein Taschentuch. Beruhigend streichelte ich ihr über den Rücken.
„Und dann?“ Ich hatte nicht das Gefühl, dass das schon alles war.
Sie schnäuzte kräftig, bevor sie weiter sprach. „Sie wollte nett sein und mir zumindest selbst sagen, dass sie kein Interesse an jüngeren Mädchen hat. Deswegen ist sie gekommen. Die anderen haben dann Photos gemacht und in der Stufe rumgereicht. Selbst einige der Kleineren haben mich schon damit geärgert.“
Ich strich Lena weiter über den Rücken. Scheiße, das war übel. „Und was hat Riley dazu gesagt? Hat sie das mitbekommen?“
„Ich weiß nicht. Sie ist ja in der High School.“
„Komm mal her.“ Vorsichtig drehte ich sie an den Schultern herum und zog sie dann in meine Arme. „Das ist echt mies, was die da gemacht haben. Warum hast du Mum und Dad nichts davon gesagt?“
„Was sollen die denn machen?“, fragte sie und vergrub dann ihr Gesicht in meinem Shirt. „Außerdem sagen sie dann nur, dass es nicht so schlimm ist. Haben sie doch bei dir auch.“
„Mich haben die aber nicht zum Weinen gebracht. Das hier ist wirklich richtig gemein. Wie kamen diese Idioten überhaupt darauf?“ Wieder strich ich ein paar Haare aus ihrem Gesicht.
„Ein Mädchen aus dem Kurs hat eine Schwester, die mit dir in die High School gegangen ist. Sie haben gesagt, wenn du auf Jungs stehst, dann muss ich ja auf Mädchen stehen.“
„So ein Blödsinn. Komm, wir gehen das Mum und Dad erzählen“, forderte ich sie auf und zog sie dabei mit hoch. Doch statt mitzukommen, wehrte sie sich. „Jetzt komm schon, lass den Scheiß!“
„Ich will aber nicht!“ Sie versuchte ihre Hand wegzuziehen, doch ich hielt sie beharrlich fest.
„Entweder du sagst es Mum und Dad oder ich tu’s!“ Ich öffnete die Tür und zog sie hinter mir her in den Flur und die Treppe hinunter. Die ersten Schritte stemmte sie sich noch mit aller Kraft dagegen, doch schon an der Tür gab sie ihre Gegenwehr auf und stolperte mir hinterher.
Unsere Eltern saßen gerade vor dem Fernseher und sahen sich irgendeine Sendung an. Völlig verwirrt betrachteten sie mich, wie ich mit der verheulten Lena an der Hand ins Wohnzimmer kam. „Toby, lass deine Schwester los! Du sollst sie doch nicht ständig ärgern!“
Ich schob sie auf den Platz neben unserer Mutter, die sie direkt in den Arm nahm. „Ich hab sie nicht geärgert. Aber wohl einige aus ihrem Geschichtskurs.“
„Was?“ Mum strich ihr über den Kopf und sah ihr ins Gesicht. „Was ist denn passiert?“
Während Lena unter Tränen nun endlich auch unseren Eltern erzählte, was passiert war, setzte ich mich auf die andere Couch. Als Lena fertig war, fragte mein Vater: „Weißt du denn, wie Riley mit Nachnamen heißt? Oder in welchen Kurs sie geht? Immerhin war es auch ihr gegenüber nicht fair und sie ist ja auch auf den Bildern drauf. Und weiß der Riley aus deiner Klasse davon?“
„Ich weiß nicht, wie sie heißt“, murmelte Lena, die schon wieder mit den Tränen kämpfte.
„Ist doch nicht schlimm, Schätzchen“, tröstete Mum sie sofort. „Weißt du denn, wie sie ausgerechnet auf das Mädchen gekommen sind?“
„Sie hat kurze Haare und ganz viele behaupten, dass sie auf Mädchen steht“, erklärte Lena, ließ dabei aber offen, ob es stimmte. „Ich hab dann irgendwann mal gesagt, dass das nicht stimmen muss und doch auch egal ist. Ich wusste aber nicht, wie sie heißt.“
„Dann wissen die Lehrer bestimmt, wer sie ist“, überlegte mein Vater laut. „Weißt du denn, wer den Brief geschrieben und die Photos gemacht hat?“
Lena schüttelte sofort den Kopf. Das war nun wirklich nicht der richtige Zeitpunkt zum Lügen. Daher fragte ich: „Wie heißt denn das Mädchen mit der großen Schwester?“
„Vanessa“, flüsterte sie. „Vanessa Farrell.“
Bei dem Nachnamen stöhnte ich genervt. „Heißt ihre Schwester zufällig Marla?“
„Kennst du sie etwa?“, fragte Mum überrascht.
„Ja. Lena hat oben gesagt, dass eines der Mädchen in ihrem Kurs eine ältere Schwester hat, die mit mir zur Schule gegangen ist“, klärte ich meine Eltern auf, worum es ging. „Marla Farrell gehörte zum Cheerleadertrupp, war aber nicht sonderlich beliebt. Deswegen hat sie immer mitgemacht, wenn es darum ging, andere zu ärgern. Nachdem ich abgenommen habe, fing sie dann plötzlich an, von wegen sie fand mich schon immer süß et cetera. Sie hat dann eine Weile Stress gemacht, als ich ihr gesagt hab, dass ich nichts von ihr will. Ich denk mal, dass ihre Schwester das angezettelt hat.“
„Gut, ich ruf morgen in der Schule an und klär das“, bestimmte Dad. Vorsichtig nickte Lena. So ganz schien ihr das noch nicht zu gefallen. Irgendwann würde sie froh sein, im Moment war sie nur einfach noch zu traurig.
„Ich bin dann mal wieder oben. Ihr braucht das Telefon heute nicht mehr, oder?“, fragte ich und stand auf.
„Du willst jetzt noch telefonieren?“ Entschlossen nickte ich. Wir schauten morgen zwar wieder gemeinsam bei Darius Basketball, aber die Karte sagte deutlich, dass Roger vorher noch mit mir reden wollte. „Dann mach aber nicht mehr so lange.“
„Mach ich nicht.“ Ich wuschelte Lena noch einmal liebevoll durch die Haare. „Gute Nacht, Kröte. Schlaft gut.“
Bereits nach dem ersten Freizeichen wurde abgenommen. „Hi, Toby.“
„Hi. Du hast doch nicht etwa sehnsüchtig neben dem Telefon gewartet?“ Schon der Gedanke ließ mein Herz höher schlagen, auch wenn er natürlich Blödsinn war. Ich ließ mich auf mein Bett fallen.
„Vielleicht“, gab er mit einem Grinsen in der Stimme zur Antwort.
Meinte er das wirklich ernst? „Was hättest du getan, wenn nicht ich es gewesen wäre?“
Roger lachte. „Dann hätte ich mich normal gemeldet. Ich seh ja mittlerweile, wenn du es bist.“
„Oh, muss ich mich jetzt geschmeichelt fühlen, weil du meine Nummer gespeichert hast?“ Er steckte mich mit seiner Fröhlichkeit an. Doch ich redete weiter, bevor er antworten konnte. „Tut mir leid, dass es so spät geworden ist. Meine Schwester hatte ein paar Probleme in der Schule.“
„Oh, was ist denn passiert?“ Obwohl er sie nicht wirklich kannte, klang er ehrlich besorgt. Kurz fasste ich ihm zusammen, was ich gerade erfahren hatte.
„Das ist echt mies!“, regte er sich auf. „Sowohl für deine Schwester als auch für das andere Mädchen.“
„Stimmt“, stellte ich überrascht fest. Ich hatte nicht mit so einer heftigen Reaktion von ihm gerechnet. Und auch noch gar nicht daran gedacht, wie es für die andere sein musste. „Da hab ich gar nicht dran gedacht. Die High School ist ja gleich nebenan. Wenn deren Mitschüler das mitgekommen... Die Arme.“
„Ja, das ist echt scheiße. Das wird sie bestimmt nicht so einfach los. Sie hat sich ja immerhin wissentlich mit deiner Schwester getroffen. Das wird richtig schlimm für sie.“
„Mhm. Du hast recht. Ich hab da gar nicht dran gedacht“, murmelte ich. Was sollte ich auch dazu sagen? Roger meckerte noch etwas, dann unterbrach ich ihn. „Du klingst, als hättest du selbst Erfahrung damit.“
„Ja. Mir haben sie einen ähnlichen ‚Streich‘ in der High School gespielt. War aber zum Glück das letzte Jahr“, erzählte er, wirkte jedoch, als wollte er das nicht weiter ausführen.
Doch eine Frage erlaubte ich mir noch dazu. Immerhin hatte er doch gesagt, dass er nur vor seinen Eltern geoutet war. „Das klingt echt mies. Woher wussten sie das?“
„Wussten sie nicht. Sie haben einfach mal ins Blaue geraten, weil ich nie ’ne Freundin hatte.“
„Ach scheiße, das tut mir leid für dich, dass du mit solchen Idioten zur Schule gehen musstest. Du wolltest doch aber sicher nicht, dass ich dich anrufe, um über meine Schwester zu sprechen. Was wolltest du denn?“, lenkte ich auf ein anderes Thema. Zwar hätte ich gern mehr über ihn erfahren, aber nicht, wenn ihm das schlechte Laune bereitete und ich ihn nicht wirklich trösten konnte.
„Du hast doch erzählt, dass du gerne mal Hockey spielst. Fährst du auch so gern Schlittschuh?“, ging er darauf ein.
Ich richtete mich etwas im Bett auf. Klang er gerade leicht nervös? Nein, das musste ich mir einbilden. Meine Phantasie ging mal wieder mit mir durch. „Ja klar.“
„Cool. Ich hab gesehen, dass eine Bahn hier in der Nähe auch unter der Woche recht lange auf hat. Wollen wir da nächste Woche mal zusammen hin?“
„Klar gern“, stimmte ich ohne weiteres Überlegen ein. „Wollen wir dann morgen die Jungs fragen, ob sie mitkommen?“
Kurz herrschte Stille am anderen Ende. Dann antwortete Roger leicht zögernd: „Ja klar. Lass sie uns morgen fragen. Wann hast du denn nächste Woche frei?“
„Montag und Dienstag. Ausnahmsweise mal zwei Tage hintereinander und nur drei Tage arbeiten.“ Das hatte ich nach den letzten Tagen aber auch echt nötig. Die nicht einmal achtundvierzig Stunden in Boston waren verdammt anstrengend gewesen. Am liebsten hätte ich ja zusammenhängend frei gehabt, aber das war wegen des anstehenden Thanksgivingwochenendes nicht möglich gewesen. Ich konnte froh sein, dass ich Mittwoch freibekommen hatte. Heute hatte das Studio wegen des Feiertages zum Glück geschlossen.
„Wollen wir uns dann Montag treffen?“ Ich stimmte zu, doch Roger ging recht schnell darüber hinweg und fragte direkt: „Magst du danach zu mir? Dann musst du abends nicht mehr schauen, wie du nach Hause kommst.“
Alarmiert richtete ich mich vollständig auf. Das gerade konnte nicht mehr eingebildet gewesen sein. Er klang wirklich verlegen! Verdammt, hatte er eigentlich als Date mit mir auf die Bahn gehen wollen? „Ja. Ja gern! Tut mir leid... Ich hab nicht damit gerechnet... Wir müssen die anderen auch nicht fragen.“
„Doch, du hast schon recht. Es wäre besser. Wenn wir allein gehen, sieht es komisch aus“, murmelte er.
„Auch zu zweit sind wir nur Freunde, die zusammen Schlittschuh laufen“, erinnerte ich ihn daran, wie wir auf Außenstehende wirkten. Doch ich konnte nicht anders, ich musste ihn fragen: „Oder wolltest du mich eigentlich nach einem Date fragen?“
„Ja“, hauchte er leise. Schnell schob er lauter hinterher: „Aber es ist besser, wenn die anderen auch dabei sind. Dann kommt sicher niemand auf falsche Ideen.“
Ich hörte ihm jedoch kaum zu. Das erste Wort hatte mir eine Gänsehaut auf dem ganzen Körper bereitet. Roger hatte mich nach einem Date fragen wollen! Roger wollte ein Date mit mir! Ich atmete tief durch. Irgendwie musste ich aus dieser Nummer wieder rauskommen. Angestrengt dachte ich nach, bis mir etwas einfiel. „Wir kommen aber nicht drumrum, den anderen zu sagen, dass ich bei dir schlafe. Ich müsste zumindest mit Anthony und Bobby in dieselbe Richtung.“
„Und wenn du sagst, dass du noch in ’nen Club willst?“, fragte Roger vorsichtig, fast schon ängstlich.
„Was ist wenn jemand mit will?“ Nein, das klang nicht gut. Er sollte jetzt nur nicht aus Angst, sie könnten dahinter kommen, einen Rückzieher machen. Scheiße, das hatte ich total verbockt.
„Magst du lieber mit mir allein gehen?“ Die Frage kam langsam, ganz vorsichtig über seine Lippen, ließ meinen Atem kurz stocken.
Diesmal war es an mir, nur ganz leise zu antworten. „Ja... Und ich fühle mich nicht wohl dabei, die anderen anzulügen. Es verheimlichen, okay, aber ich will sie nicht anlügen, wo ich hingehe.“
„Ist okay“, murmelte er. „Dann nur wir beide?“
„Sehr gern“, raunte ich. Schon der Gedanke ließ mich nervös werden.
„Gut.“ Roger klang ebenso nervös. „Aber Toby: Bis zu mir wirklich nur als Freunde, okay?“
„Klar, nur als Freunde.“ Ich musste lächeln, als er die Einschränkung machte. Er war eben doch noch nicht so weit. Dennoch gefiel mir die Vorstellung, einen Nachmittag als Freund und einen Abend als Lover mit ihm zusammen zu sein. Es weckte Hoffnungen, dass es vielleicht doch irgendwann mehr werden könnte. Ich schob den Gedanken wieder zurück in die hinterste Ecke. Den konnte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen.
„Dann sehen wir uns morgen?“
„Ja, bis morgen. Ich freu mich schon auf Montag“, raunte ich.
Bevor er auflegte, hörte ich noch ein geflüstertes „Ich mich auch.“, dann war die Leitung tot.
Nervös trat ich von einem Bein auf das andere. Ich war mal wieder viel zu früh dran, aber ich hatte nicht zu spät kommen wollen und nicht gewusst, wie lange ich genau brauchte. Da ich sonst eher mit dem Rad fuhr, kannte ich die Öffentlichen einfach nicht gut genug. Doch bei dem Schneefall hatte ich das Risiko nicht eingehen wollen. Normalerweise hätte ich die Zeit genutzt, noch ein wenig zu rauchen, aber da ich nun mal auf Roger wartete, kam das nicht in Frage. So wie ich ihn kannte, wäre das definitiv ein Grund gewesen, mich am Abend nicht mehr zu küssen. Das Risiko war es mir einfach nicht wert. Zumindest hatte er aber am Freitag daran gedacht, dass wir weder einen Treffpunkt noch eine Zeit ausgemacht hatten. Daher hatte er mir heimlich noch einen Zettel mit diesen Daten zugesteckt.
Nach weiteren fünf Minuten tauchte Roger dann auch endlich auf. Er sah süß aus mit der von der Kälte geröteten Nase und komplett in Winterklamotten eingepackt. In seinen Augen war das Lächeln, das der Schal verdeckte, dennoch deutlich zu sehen. „Hi. Tut mir leid, die Bahn hatte etwas Verspätung.“
„Schon gut. Ich war nur zu früh hier“, tröstete ich ihn. Dann betrachtete ich ihn genauer. „Hast du deine Schuhe vergessen?“
„Ja, bei meinen Eltern. Ich muss mir welche leihen und sie dann Weihnachten von ihnen holen.“ Gemeinsam gingen wir zur Kasse und zahlten. Da es in der Halle nicht ganz so eisig war wie draußen, ließen wir zumindest unsere Jacken in den Schließfächern. Der etwas zu große, blaue Pullover stand Roger wirklich gut und verdeckte seinen Hintern zum Glück nicht.
Auf dem Eis alberten wir die gesamte Zeit herum, machten Wettrennen, ein paar Kunststückchen und drehten einfach ein paar Runden. Roger hatte daran gedacht, ein paar Snacks und warme Getränke einzupacken, die wir in den Pausen verputzten.
Als wir am Abend aus der Halle kamen, war es draußen weiß. Wir fuhren ein paar Stationen mit der U-Bahn, dann mussten wir noch ein Stück laufen. Da mir trotz der Snacks der Magen wieder knurrte, fragte ich auf dem Weg durch eine kleine Grünanlage: „Wollen wir was essen gehen? Oder uns was holen?“
„Ich wollte eigentlich für uns kochen“, gab Roger zu. „Aber wenn du willst, können wir uns auch was von unterwegs holen.“
„Nein, ich mag dein Essen.“ Ich lächelte ihn an. „Außerdem sind wir dann früher bei dir.“
Roger lachte und sammelte etwas Schnee von einer Mauer, den er kurz formte und mir dann ins Gesicht warf. Wie ein Kind kicherte er, während ich ihn böse ansah. Dann warf ich zurück, traf aber nicht. Das sorgte nur dafür, dass er noch lauter lachte und der nächste Schneeball nach mir geworfen wurde.
„Hey, was soll das?“, fragte ich lachend. Er zuckte nur mit den Schultern und warf den nächsten. Nun wurde es mir doch zu bunt. Ich packte ihn mir und rang ihn zu Boden. Lachend ließ er sich mitreißen. „Na warte.“
Mit einer Hand hielt ich seine fest und seifte ihn dann ein. Prustend flehte er: „Hör auf! Bitte! Das ist kalt!“
Ich wischte ihm den Schnee aus dem Gesicht. Er war knallrot von der Kälte. Ich zwinkerte ihm zu. „Was bekomm ich dafür?“
„Ich koch doch schon für dich.“ Trotz der Kälte lächelte er zu mir hoch.
„Hmm... Nein, das reicht mir nicht.“ Ich streichelte mit dem Handschuh über seine Wange und sah ihm in die Augen. Ich lächelte ihn an, leckte mir demonstrativ über die Lippen. Das musste genug Hinweis sein, was ich wollte.
Und scheinbar verstand er es. Er wehrte sich unter mir und warf mir dann eine Ladung Schnee ins Gesicht, was mich zurückweichen und ihn loslassen ließ. Sofort rappelte er sich wieder auf die Beine. Böse sah er mich an. „Vergiss es!“
„Sorry.“ Seufzend stand ich auf. „Ich hab nicht gesagt, dass ich es gleich will.“
„Lass es das nächste Mal einfach, okay?“ Er hob meine Tasche vom Boden und reichte sie mir, dann nahm er seine eigene und ging weiter. Schweigend folgte ich ihm. Er hatte recht, das war blöd von mir gewesen. Ich wusste, dass er noch nicht so weit war und hatte zugestimmt, dass wir bis zu ihm nur Freunde waren.
Dennoch war es nicht immer einfach. Viel zu oft verschwammen die Grenzen und machten es mir damit schwerer. Er hatte da ja keine Probleme mit. Er machte die Regeln, die ihm wichtig waren. Und wenn er sie übertrat, störte es mich nicht.
„Es tut mir leid, okay? Ich hab bei so was einfach Angst, dass uns jemand sieht“, erklärte Roger, als wir in seiner Wohnung ankamen.
„Vergiss es einfach. Es war blöd von mir. Kommt nicht mehr vor“, murmelte ich schuldbewusst. Ich wollte, dass wir das Thema endlich abschließen konnten. Daher lenkte ich ab: „Was willst du eigentlich zu essen machen?“
„Hmm... Ich dachte an Nudeln und Soße. Also was ganz einfaches. Oder magst du was anderes?“
„Nein, klingt wirklich super“, pflichtete ich ihm bei. „Solange es gut gemacht ist, ess ich eigentlich alles.“
„Und was macht dich so sicher, dass es gut wird?“, fragte er lachend.
„Bisher war alles lecker, was du gemacht hast. Kann ich meine nassen Klamotten irgendwohin tun?“
„Ja klar. Wir sollten uns auch etwas aufwärmen. Du kannst die nassen Sachen ins Bad tun und dich in der Wanne etwas aufwärmen. Ich mach uns ’n warmen Tee.“
Er wollte in den Kochbereich des kleinen Einzimmerappartments gehen, doch ich hielt ihn kurz am Arm fest. „Kommst du mit in die Wanne?“
Kurz überlegte er, dann kam ein zögerliches Nicken. „Aber ich will wirklich ’n Tee. Du auch? Dann geh schon mal vor, ich komm gleich.“
Freudig ging ich ins Bad, ließ Wasser ein und zog mich aus. Dann stieg ich hinein und machte es mir gemütlich, bis Roger etwas schüchtern ins Bad kam. Ich lächelte ihm zu und bedeutete ihm, sich zu mir zu setzen. Er lächelte zurück, ließ den Blick über meinen hauptsächlich von Schaum bedeckten Körper gleiten. Noch einmal forderte ich ihn auf: „Na komm schon rein.“
„Ist da überhaupt noch Platz für mich?“, fragte er unsicher.
„Klar. Zieh dich aus und komm rein. Ich beweis es dir.“ Frech zwinkerte ich ihm zu.
Zu meiner Freude zog er sich tatsächlich aus. Doch leider viel zu schnell. Ich hätte es gerne genossen. Aber ich konnte nun mal nicht alles haben. Ich konnte froh sein, dass er überhaupt mit mir badete. Unsicher stand er noch in Unterhose vor der Wanne. „Und wo soll ich nun hin?“
Ich hakte meine Zeigefinger in den Bund und zog leicht daran. „So nirgendwohin. Erstmal musst du die loswerden. Danach setzt du dich entweder mir gegenüber oder kommst in meine Arme.“
Lächelnd wurde er das letzte Stück Stoff los und kam dann schnell dazu. Leider entschied er sich, sich mir gegenüber zu setzen. Wir sortierten unsere Beine, dann fiel ihm auf, dass die Thermoskanne mit dem Tee zu weit weg stand.
Er stand auf und versuchte danach zu angeln, ohne aus der Wanne zu steigen. Fasziniert betrachtete ich seinen Hintern, den er mir dabei entgegenstreckte. Ohne darüber nachzudenken, griff ich danach und ließ meine Finger darüber wandern. Erschrocken zuckte er zusammen und wäre fast vornüber gefallen. Ich konnte ihn gerade noch umfassen, zog ihn wieder zu mir in die Wanne. Etwas Wasser schwappte über.
„Was soll der Mist?“, beschwerte er sich und wollte sich aus meinem Griff befreien.
„Tut mir leid“, murmelte ich, küsste dabei aber sehnsüchtig über seine Schulter. So wirklich tat es mir nicht leid, immerhin hatte ich ihn so genau vor mir sitzen. „Du hast ihn mir so entgegengestreckt. Ich bin doch auch nur ’n Mann.“
Langsam ließ ich die Küsse über den Hals wandern und leckte ihm leicht über die Spitze des Ohrs. Etwas irritiert fragte er: „Was wird das?“
„Das letzte Mal ist zu lange her. Ich bin ausgehungert“, raunte ich, während ich meine Finger über seinen Bauch wandern ließ.
Gut, das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Immerhin hatte ich in Boston ausreichend Gelegenheit gehabt, mich auszutoben, und sie auch genutzt. Aber dennoch hatte ich gerade wahnsinnig Lust auf ihn. Ich wollte ihn stöhnend und sich windend unter mir wissen, wollte ihm zeigen, dass es schön sein konnte, sich führen zu lassen.
Als sich mein Penis gegen sein Steißbein drückte, rutschte er sofort weg. „Toby, lass den Scheiß!“
Ich seufzte, dann richtete ich mich auf und verließ die Wanne. Das war einfach nur frustrierend. Ich griff nach einem der Handtücher, die auf einem Regal bereit lagen, und trocknete mich ab. Ich konnte nicht verhindern, dass ich etwas angefressen klang. „Mir ist warm genug. Hier, dein Tee.“
Ich brauchte ganz dringend etwas Abstand zu ihm, selbst wenn es nur ein paar Minuten waren. Seine Nähe machte mich einfach an und es war das passiert, was ich schon in Boston befürchtet hatte: Ich konnte ihm nicht dauerhaft allein die Führung überlassen. Das war einfach nicht ich. Zu sehr genoss ich es, meinen Partner zu verführen und ihm zu zeigen, welche Lust ich in ihm entfachen konnte. Nur in Unterhose verließ ich das Bad.
Ich ging zu meiner Tasche und holte meinen Schlafanzug heraus. Allerdings nicht, weil ich direkt schlafen wollte, sondern weil ich keine andere Hose dabei hatte. Die von vorher war durchgeweicht. Und nur in Unterhose wollte ich nach eben nicht herumlaufen. Ich war frustriert, da wollte ich Roger sicher keine Einladung da lassen.
Doch leider war er schneller als ich. Ich hatte gerade die Hose übergezogen, da spürte ich Hände auf meinen Schultern und Haut an meinem Rücken. Sein Kopf legte sich vorsichtig dagegen. „Sorry, ich bin furchtbar nervös. Ich wollte dich nicht so anfahren.“
Ich verstand nicht ganz, was ihn so nervös machte. Es war doch nun nicht das erste Mal, dass wir allein waren. Aber dennoch brachte es mir nichts, ihn noch nervöser zu machen, indem ich ihn drängte. „Schon gut. Lass uns langsam machen. Komm, wir essen erst mal was. Kann ich dir irgendwie helfen?“
„Wenn du magst, kannst du Tomaten schneiden.“ Ich nickte, trat einen Schritt von ihm weg und zog dann mein Shirt über. Roger wirkte etwas enttäuscht, aber darauf wollte ich jetzt keine Rücksicht nehmen, ich war es immerhin auch.
Lange zicken wollte ich jedoch auch nicht, daher fragte ich, nachdem die Tomaten fertig waren: „Du fährst also Weihnachten zu deinen Eltern?“
„Ja, sie bestehen drauf. Ich soll wenigstens an den Feiertagen dort sein. Weil meine Schwestern ja auch da sind und so. Wirklich Lust hab ich darauf nicht. Zumal wir die zwei Wochen vorher Laborpraktikum haben und nach den Ferien Prüfungen“, meckerte er und rührte dabei in der Soße.
„Dann kommst du vermutlich an den beiden Wochenenden auch nicht zu den Spielen?“ Schade, das würde hart werden, ihn so lange nicht zu sehen.
„Ich denke nicht. Ich werd die Zeit dann zum Lernen brauchen. Vielleicht komm ich noch spontan zum ein oder anderen Spiel, wenn ich ’ne Pause brauch, aber ich kann nichts versprechen. Hol mal eben Teller raus, ich glaub, es ist fertig.“ Ich gab sie ihm, woraufhin er sie füllte. Wir setzten uns zusammen auf sein Bett, da es neben dem Schreibtischstuhl die einzige Sitzgelegenheit war. Roger hob fragend die Fernbedienung. „Willst du nebenbei was schauen?“
Ich nickte. „Klar, mach mal an. Vielleicht kommt was Interessantes.“
Roger zappte durch die Kanäle, bis er plötzlich bei der Vorberichtserstattung eines Basketballspiels stoppte. Etwas verwirrt schaute ich auf, dann erkannte ich die Mannschaften. „Oh!“
„Sag nicht, du hast es vergessen?“ Roger lachte fast. Etwas betrübt nickte ich. Ich war mit meinen Gedanken so bei ihm und dem Date gewesen, dass ich nicht einmal darüber nachgedacht hatte, welche Spiele am Abend liefen. Jetzt lachte er wirklich, bevor er anbot: „Von mir aus können wir das Spiel schauen.“
Während er schon nach dem Kissen griff, hob ich meinen Teller etwas an. „Ich hab noch was in der Hand.“
„Dann iss schneller!“, forderte er mich spielerisch auf. „Du kommst da nicht drumrum.“
„Aber das ist unfair! Ihr spielt heute nicht“, versuchte ich mich herauszureden, auch wenn sein Blick mir schon sagte, dass es nicht helfen würde.
„Na und? Ihr habt Freitag auch nicht gespielt und ich musste es trotzdem ertragen. Also, iss auf und sei ein Mann!“
Ich nahm die letzten Bissen, schob den Teller auf den Couchtisch und grinste ihn dann an. „Ich würde ja viel lieber anders meinen Mann stehen.“
„Aha, du ziehst ficken also dem Spiel vor?“, feixte Roger.
Ich beugte mich zu ihm herüber und drückte ihn ins Bett. Dann hockte ich mich über ihn. Ich ließ meine Lippen vorsichtig über seinen Mund und seine Wangen streichen, berührte beides jedoch nicht. Erstaunlicherweise blieb er ruhig liegen, sah mir direkt in die Augen. An seinem Ohr raunte ich: „Ich kann auch beides. Du musst dich nur umdrehen.“
Tatsächlich drehte er sich um. Jedoch nicht so, wie ich es gehofft hatte, und mich dazu noch mit. Von oben herab grinste er mich an, bevor er mir ebenso ins Ohr raunte. „Ich hab da ’ne Idee. Wie wäre es mit ’nem neuen Spiel? Für jeden Punkt der Knicks stoß ich einmal schön tief und fest in dich. Du musst nur ordentlich die Daumen drücken.“
Mir lief ein wohliger Schauer durch den Körper, der jedoch mehr durch seine Stimme als durch seine Worte ausgelöst wurde. Mittlerweile verstand ich, warum so viele Männer darauf standen, wenn ich das tat. Doch ich ließ mir davon nichts anmerken, sah ihm weiter ins Gesicht. So einfach wollte ich es ihm nicht machen. Dafür hatte er mich heute zu viel geärgert.
Ich zog ihn am Nacken zu mir herunter und küsste ihn gierig. Nicht einmal er schaffte es, das leise Keuchen zu unterdrücken. Leicht schmunzelte ich und ließ ihn dann los. „Nein, das ist mir zu wenig. Davon hat niemand was.“
Etwas enttäuscht seufzte Roger und rollte sich dann von mir herunter. Als er aufstehen wollte, hielt ich ihn jedoch fest. Wenn bei mir das gleiche funktionierte, wie bei meinen Liebschaften bisher, dann musste doch bei ihm auch dasselbe funktionieren, wie bei mir sonst. Leicht neckisch biss ich mir auf die Unterlippe und fragte: „Können wir das nicht auch später wegbringen und bleiben jetzt liegen?“
Er lächelte mich an und legte sich quer ins Bett. Ich rutschte an ihn heran. So hatten wir beide eine gute Sicht und ich konnte ihn sogar in den Arm nehmen, was er ohne Murren geschehen ließ. Auch gegen die Hand, die ich unter sein Shirt gleiten ließ, um ihn vorsichtig am Bauch zu streicheln, sagte er nichts. Er schien es sogar zu genießen. Diesmal ohne sich schlafend zu stellen.
Ich erwachte mit dem Kopf auf Rogers Schulter. Nachdem wir fertig gewesen waren, hatten wir nur kurz das Kondom entsorgt, danach war ich auf ihm eingeschlafen. Er hatte es scheinbar zumindest noch geschafft, eine Decke über uns auszubreiten. Er bewegte sich unter mir, dann spürte ich einen dumpfen Schlag gegen die Schulter. „Zwei.“
Ich öffnete die Augen, da kam auch schon etwas Weißes auf mich zu und drückte sich in mein Gesicht. „Drei.“
Direkt entfernte es sich wieder, dann landete das Kissen erneut auf meiner Schulter. „Vier.“
„Hey, was soll das?“ Es traf mich erneut, während ich den Schlaf aus den Augen blinzelte.
„Fünf... Sechs.“ Roger kicherte, hielt dabei kurz inne. „Keine Sorge, es fehlen nur noch dreiundneunzig. Sieben.“
Nun musste ich auch lachen. „Du bist so gemein. Kannst du nicht wenigstens warten, bis ich richtig wach bin?“
„Acht. Na gut, lass mich eben noch bis zehn kommen. Neun... Zehn.“ Er legte das Kissen hinter mich, dann richtete er sich etwas auf und küsste mich leicht. „Guten Morgen.“
„Dir auch einen guten Morgen.“ Ich konnte ihm nicht wirklich böse sein und lächelte ihn an. „Hast du gut geschlafen?“
Er lächelte zurück. „Geschlafen ja, nur das Aufwachen war nicht so schön. Ich fühl mich etwas eingesaut. Und du?“
„Sehr gut. Du bist ein super Kopfkissen. Vor allem, wenn du meines lieber dazu benutzt, mich zu schlagen.“ Ich richtete mich schnell etwas auf und raubte ihm einen Kuss. „Aber das mit dem eingesaut sein könnte stimmen. Wollen wir duschen gehen?“
Er grummelte etwas unzufrieden. „Nein, eher nicht.“
„Wieso nicht?“ Das konnte doch unmöglich angenehm für ihn sein. Dafür war er einfach nicht der Typ.
„Weil wir dafür aufstehen müssen. Und ich würde lieber mit dir liegenbleiben.“ Er griff nach mir und zog mich an sich.
Ich lachte amüsiert. Daher wehte also der Wind. „Und was hast du dann vor, wenn wir hier liegenbleiben?“
„Na zuerst einmal dich noch neunundachtzig Mal mit dem Kissen hauen, danach mal sehen. Vielleicht muss ich dich danach ja trösten.“
Er wollte nach dem Kissen greifen, doch ich hielt ihn auf, indem ich seinen Arm festhielt. „Wer sagt, dass ich dir das erlaube?“
„So ist nun mal das Spiel. Du kommst nicht drumrum! Das hab ich dir gestern doch schon gesagt.“
„Aber ich bin doch schon drumrum gekommen, indem ich dich gut abgelenkt hab“, versuchte ich ihn zu überzeugen. Zwar tat es nun wirklich nicht weh, aber unangenehm war es doch.
„Nur weil ich dich gelassen hab! Na komm, sei ein Mann und ertrag es.“ Er machte seine Hand von mir los und griff nach dem Kissen.
Ich schnappte es mir und hielt es von ihm weg. „Du fandest es aber schön.“
„Natürlich fand ich es schön, mit einem geilen Typen im Bett zu liegen und berührt zu werden. Aber das hat nichts damit zu tun, dass du noch Spielschulden hast.“ Sofort schlug bei diesen ehrlichen Worten mein Herz höher.
„Vielleicht kann ich die ja anders abarbeiten?“ Frech grinste ich ihn an und ließ das Kissen los. Die nun freie Hand ließ ich über seine Seite streichen, küsste seine Schulter und rieb meinen Körper an ihm.
Doch statt es zu genießen, landete das Kissen wieder auf meiner Schulter. „Elf. Vergiss es, ich lass mich nicht bestechen. Zwölf.“
Bevor er mich das nächste Mal traf, hielt ich das Kissen auf. „Gut, dann muss ich dir eben dein Spielzeug wegnehmen.“
Ich versuchte es ihm zu entwinden, schaffte es jedoch nicht. Er richtete sich vollständig auf und sah mit gerunzelter Stirn auf mich herunter. Dann drohte er mit ernstem Ton: „Wenn du nicht artig bist, muss ich dich festbinden.“
Mir lief ein Schauer über den Rücken. Nicht, dass die Worte an sich sonderlich drohend wirkten, aber mein Körper reagierte auf die Stimme. Es war dieselbe, die er auch nutzte, wenn er im Bett die Führung an sich nahm. Doch so schnell wollte ich nicht aufgeben. Ich entwand ihm das Kissen und legte mich darauf. „Das musst du erst mal schaffen und dir das Kissen wiederholen.“
„Nichts leichter als das.“ Er begab sich über mich und fing an meinen Körper zu küssen.
Es dauerte auch gar nicht lange, da ließ ich ihn einfach machen, vergaß völlig, dass wir zuvor noch über etwas anderes gesprochen hatten. Immerhin war das ziemlich nebensächlich. Erst als sich etwas um meine Handgelenke legte, merkte ich, dass etwas gewaltig schief lief. Ich schlug die Augen auf und sah Roger grinsend über mir sitzen. „Siehst du, ganz einfach.“
Ich versuchte meine Arme zu bewegen und stellte fest, dass ich nicht viel Spielraum hatte. „Was zur Hölle?!“
„Ich hab dir doch gesagt, dass ich es schaffe, dich zu fesseln. Auch wenn ich nicht gedacht hab, dass es so einfach wird.“ Er grinste weiter zu mir herunter und zog dann langsam das Kissen hinter meinem Kopf hervor. Vorsichtig fiel mein Kopf auf das Bett. „Aber du hast dich so auf meine Berührungen konzentriert, dass es richtig leicht war, dich abzulenken.“
Ich blickte nach oben zu meinen Händen, die automatisch Rogers gefolgt waren, als sie über die Arme gestrichen hatten. Sie waren mit einem Paar Handschellen am Gestell befestigt. Mein Blick ging wieder zu ihm. „Roger, lass den Scheiß!“
„Sicher? Ich könnte so noch viel mehr tun, als dich nur in Ruhe mit dem Kissen zu hauen.“ Wie um es zu beweisen, legte sich seine Hand in meinen Schritt.
Flackernd schloss ich die Augen, während er mich leicht massierte. Kurz ließ ich ihn gewähren, dann, als ich versuchte, ihn mit der Hand an einen anderen Ort zu dirigieren, wurden mir die Fesseln wieder bewusst. „Ja, hör auf! Mach mich los!“
„Schon gut, Moment.“ Er seufzte enttäuscht und griff in die offene Schublade unterm Tisch. Scheinbar hatte er dort nicht nur Kondome gelagert. Er holte einen Schlüssel hervor und machte mich los. „Tut mir leid.“
Ich setzte mich sofort auf und rutschte ein klein wenig von ihm weg. „Was sollte das?“
„Hab ich doch gesagt, du solltest einfach nur stillhalten“, murmelte er.
„Ja, aber warum hast du Handschellen hier?“ Ich sah dabei zu, wie er sie in die Schublade legte und diese schloss.
„Keine Ahnung. Es war einfach nur ’n blöder Einfall.“ Er kam langsam auf mich zu und legte seinen Kopf gegen meine Schulter. „Du hast nie etwas dagegen gesagt, wenn ich dich etwas festgehalten hab. Und ich hab schon länger die Phantasie, mal ’n Mann in aller Ruhe erkunden zu können, ohne dass er sich wehren kann. Als du gesagt hast, du kommst her, dachte ich, dass es eine gute Gelegenheit wäre. Sorry, ich hätte dich fragen sollen.“
Ich streichelte ihm über den Kopf und küsste ihn kurz aufs Haar. „Nicht so schlimm. Aber ich steh da nicht so drauf.“
„Okay. Sorry. Tut mir leid. Ich mach das nicht mehr.“ Er kuschelte sich etwas näher an mich, sodass ich mich gegen die Wand lehnte, damit ich nicht sein ganzes Gewicht halten musste. Eine Weile kuschelten wir, dann schlug er vor: „Lass uns duschen und frühstücken. So langsam wird es unangenehm.“
Wir verbrachten den Rest des Tages damit, Karten- und Brettspiele zu spielen, fernzusehen und hin und wieder miteinander zu kuscheln. Scheinbar genossen wir es beide, denn auch Roger kam immer wieder und forderte ein paar Streicheleinheiten. Doch gegen Abend musste ich dann gehen, da ich am nächsten Tag Frühschicht hatte.
„Danke für den schönen Tag.“ Ich zog Roger an mich und küsste ihn leicht.
Er erwiderte es. „Magst du wirklich nicht noch zum Essen bleiben?“
„Nein, das wird mir zu spät. Aber von mir aus können wir das gern öfter machen.“ Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass ich am liebsten gar nicht gegangen wäre. Das war dann doch zu viel.
„Sehr gern. Soll ich dich noch zur Bahn bringen?“ Noch bevor ich antworten konnte, schnappte er sich schon seinen Mantel und schlüpfte in die Schuhe.
„Ich kann dich ja wohl nicht aufhalten“, antwortete ich amüsiert und zog mich ebenfalls an.
Gemeinsam verließen wir seine Wohnung und traten in den leichten Schneefall. Den kurzen Weg bis zur U-Bahn bewältigten wir schweigend. Ich hätte auch nicht gewusst, was ich ihm sagen sollte. Und alles, was mir in den Kopf kam, würde ich ihm sicher nicht in der Öffentlichkeit sagen.
Auf dem Weg die Treppen zur Bahn hinunter, griff Roger plötzlich nach meiner Hand. Etwas verwundert sah ich zu ihm herüber, aber er schaute weiter geradeaus, als hätte er Angst, jemanden umzurennen. Ich lächelte leicht in mich hinein und wünschte mir, wir würden nicht beide Handschuhe tragen. Da die Bahn gerade abfuhr, als wir ankamen, musste ich noch fast fünf Minuten warten, in denen er meine Hand nicht losließ, mich jedoch auch nicht ansah. Ich konnte nicht anders, als freudig zu lächeln und mich näher an ihn zu stellen. Das würde ihm aber wohl auch zugute kommen, da man die Hände nicht so offensichtlich sah.
Als die Bahn dann einfuhr, blickte er doch zu mir. Breit grinste ich ihn an und drückte kurz seine Hand. Er erwiderte es und ließ dann los. „Wir sehen uns.“
„Ich freu mich drauf. Bis bald.“ Einem Reflex folgend strich ihm noch einmal über den Oberarm, dann drehte ich mich um und stieg zügig ein.
An diesem Wochenende fiel es mir noch viel schwerer, unseren Freunden nicht zu zeigen, wie wir wirklich zueinander standen. Roger hielt sich immer wieder in meiner Nähe auf, berührte mich manchmal wie zufällig, wenn wir allein oder mit nur einer Person im Raum waren. Außerdem hätte ich schwören können, dass er häufig zu mir herüber sah, doch ich erwischte ihn nie dabei. Seine sonstigen Flirtereien ließ er jedoch bleiben. Sie hatten schon nach meiner Warnung abgenommen, daher vermutete ich, dass er einfach Angst hatte, sich zu verraten.
Um so mehr freute ich mich über den orangenen Brief, den ich Sonntag in meiner Tasche fand. Um möglichst viel Zeit mit Roger zu haben, hatte ich bei Darius geschlafen, obwohl ich hatte arbeiten müssen. Ich war direkt von dort gefahren, sodass der Umschlag mir erst nach der Arbeit in die Hände fiel. Er hatte sich in dem feuchten Handtuch verheddert. Die Schrift auf dem Umschlag war völlig verwaschen, die auf dem Brief selbst war ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden. Zumindest konnte ich noch erkennen, dass Roger fragte, ob ich wieder zu ihm wollte. Doch wann genau, konnte ich nicht entziffern.
Da half nur eins: Ich musste ihn ganz dringend anrufen. Dass meine Eltern witzelten, ich würde meinen heimlichen Verehrer aber schnell vermissen, als ich das Telefon holte, ignorierte ich einfach.
Recht schnell nahm Roger ab. „Hey, na, schon Sehnsucht?“
„Wer hat denn hier wen vermisst, wenn du mir schon wieder Briefe in die Tasche schmuggelst?“, neckte ich ihn, um davon abzulenken, dass er gar nicht so Unrecht hatte. Ich freute mich wirklich, seine Stimme zu hören. „Leider kann ich ihn nicht lesen. Ich hab nicht gesehen, dass da einer drin liegt und die nassen Sachen draufgetan. Wann wolltest du dich treffen?“
„Ich kann leider nur am Donnerstag. Wegen dem Praktikum, kann ich sonst nicht. Ich muss zu früh raus und hab nur freitags frei. Magst du zu mir kommen?“ Ich konnte ihm anhören, dass er auf meine Zustimmung hoffte.
Um so mehr ärgerte es mich, dass ich ihm mal wieder absagen musste. „Tut mir leid. Ich würde unglaublich gern. Aber ich hab Donnerstagabend einen Kurs und muss Freitag wieder früh raus. Ich muss da leider hin.“
„Oh. Na gut.“ Die Eintäuschung war sehr deutlich. Zu gern hätte ich etwas Tröstlicheres gesagt. Doch er fasste sich schnell wieder. „Was für ein Kurs denn?“
„’n Kurs für die Trainerzertifizierung. Ich muss alle paar Jahre ’n theoretischen Test machen und ein paar Kurse besuchen. Nur kann ich mir die Termine leider nicht aussuchen. Ich sprech morgen mal mit meinem Chef, dass ich nächste Woche am Freitag frei bekomme, okay? Dann sehen wir uns vor Weihnachten noch. Oder bist du da schon weg?“ Ich drückte so die Daumen, dass er nein sagte. Sonst würde das eine ziemlich lange Zeit werden, die wir uns nicht sahen.
„Nein, ich fahr erst am Montag. Ich will nicht länger bleiben als nötig. Dann versuch ich mir nächsten Donnerstag den Abend freizuhalten. Ich kann es aber nicht versprechen, weil ich noch ein paar Lerngruppen hab die nächsten zwei Wochen, da stehen noch nicht alle Termine und ich muss mich auch nach den anderen richten..“
„Ist gut, dann sehen wir uns am Wochenende. Und diesmal versohlen wir euch den Hintern!“, drohte ich lachend. Konnte ja wohl nicht sein, dass uns die Celtics einfach so im ersten Spiel geschlagen hatten! Das schrie nach einer Revanche!
„Tse, als ob. Das schafft ihr doch eh nicht. Egal wie häufig ihr mich vermöbelt, die Celtics sind einfach besser“, höhnte er. „Aber das werdet ihr auch noch kapieren, wenn ihr am Wochenende die nächste Klatsche bekommt.“
„Du wirst schon noch sehen, was du von den großen Tönen hast, mein lieber Freund“, drohte ich scherzhaft.
„Vergiss mal lieber nicht, dass ich dir noch ein paar Schläge schulde, mein Lieber. Keine Sorge, ich vergess das schon nicht.“ Wir lachten beide, dann wurde Roger wieder ernster. „Ich muss morgen früh raus. Sorry, aber sonst wird es so spät.“
„Kein Problem. Ich wünsche dir einen schönen Abend. Wenn du mich vermisst, kannst du mich auch anrufen oder ein Briefchen schicken, ansonsten sehen wir uns dann Freitag bei Darius. Träum schön.“ Er erwiderte die Wünsche, dann legten wir auf.
Es klopfte an der Tür und meine Mum rief: „Toby, können wir jetzt endlich das Telefon wieder haben?“
„Ja, Moment.“ Seufzend legte ich auf. Ich versuchte schon zum vierten Mal, Roger zu erreichen, jedoch vergeblich. Er nahm nicht ab und einen Anrufbeantworter schien er auch nicht zu besitzen. Ich öffnete die Tür und reichte meiner Mum das Telefon. „Sorry.“
„Schon gut, ich muss nur eben jemanden anrufen. Danach kannst du es wieder haben.“
„Nein, schon gut. Brauchst du Hilfe beim Essen?“, bot ich an, da ich nun wohl doch am Abend nichts zu tun hatte. Der Kurs fiel aus und Roger erreichte ich nicht, um mich spontan mit ihm zu treffen. Dann konnte ich auch meiner Mum helfen.
„Brauchst du nicht. Dad und ich sind doch heute auf ’ner Weihnachtsfeier. Und Lena schläft bei Karen.“
Bestätigend nickte ich. Klar, sie hatten ja schon Bescheid gesagt, dass es so sein würde. Für mich war das aber bisher egal gewesen, daher hatte ich nicht wirklich zugehört. „Ich wünsche euch viel Spaß.“
„Danke, dir auch einen schönen Abend.“ Ich schloss die Tür zu meinem Zimmer wieder und schaltete den Fernseher an. Hoffentlich lief etwas, dass man sich ansehen konnte.
Bis acht konnte ich mich noch ganz gut ablenken, danach wurde es immer schwerer. Ich hatte mich schon auf der Arbeit gefreut, dass ich Roger am Abend unverhofft sehen würde, doch das hatte ja leider nicht geklappt. Auch ein erneuter Versuch, ihn zu erreichen, schlug fehl.
Sicher hätte ich mich auch ins Bett legen können, hatte es sogar schon versucht, doch das hatte die Gedanken an ihn nur verstärkt. Immerhin hätte ich heute wieder bei ihm schlafen sollen. Und auch der Versuch, die Erregung, die in den Gedanken mitschwang, selbst in den Griff zu bekommen, hatte nicht gefruchtet. Es war nun mal nicht das Selbe. Kurz dachte ich daran, Peter anzurufen, damit er mir über Telefon dabei Gesellschaft leistete, doch ich ließ es. Es wäre bei Weitem nicht das erste Mal gewesen, aber er musste auch am nächsten Morgen raus und hätte dafür in den Probenraum im Keller des Hauses gemusst, um nicht von seinem Bruder oder Vater erwischt zu werden.
Stattdessen zog ich mich nach einigem Hin und Her wieder an. Wenn meine Gedanken und Hand nicht reichten, dann musste eben jemand anderes dafür sorgen, dass ich mich beruhigte. Bei Trevor würde sich sicher jemand finden, der dazu bereit war.
Wie jedes Mal grüßte ich zuerst Kilian als ich ankam. Wir redeten kurz über dies und jenes, während ich mich umsah, dann übergab ich ihm meine Wertsachen und verschwand nach unten. Als die Geräusche der anderen Männer an mein Ohr drangen, überkamen mich dann doch leichte Zweifel, ob es richtig war, weiterhin hierher zu kommen. Bisher hatte ich mir keine Gedanken darum gemacht, da es für mich klar gewesen war, dass Roger und ich nicht zusammen waren. Aber irgendwie hatte sich am letzten Montag etwas geändert. Wir hatten ein Date gehabt und er hatte meine Hand gehalten. In der Öffentlichkeit! Es war nicht der Club gewesen, nicht seine Wohnung und auch nicht mein Zuhause, sondern eine Bahnstation mitten in Manhattan. War es dennoch in Ordnung hierher zu kommen und meine Lust auf ihn mit einem anderen Mann zu befriedigen?
Andererseits hatte Roger klar gesagt, dass er keine Beziehung wollte, dass er sich nicht outen würde. Daher hätte er wohl kaum das Recht, Treue zu erwarten. Ich zumindest tat es nicht. Zu sehr war mir bewusst, dass er allein mich auf Dauer nicht glücklich machen würde. Denn auch das hatte der Montag mir gezeigt. Es würde immer wieder Konflikte geben, weil wir uns beide schwer taten, die Dominanz des anderen anzunehmen.
So wäre es wohl auch heute eher ein Problem gewesen, hätten wir uns getroffen. Denn ich merkte, dass mir nicht der Sinn danach stand, meinen Hintern hinzuhalten. Ich wusste noch nicht einmal, ob Roger zu einem gegenseitigen Blowjob bereit wäre. Zumindest wäre es die einzige für mich denkbare Alternative gewesen, mit der wir uns hoffentlich beide hätten anfreunden können und auf unsere Kosten gekommen wären.
Leise betrat ich den Raum und ließ mir einen Moment Zeit, mich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Viel los war auf jeden Fall nicht. Aber etwas anderes erwartete ich an einem Donnerstagabend im Dezember auch nicht. Hier waren vielleicht ein gutes Dutzend Herren zugange. Da jedoch im Moment alle beschäftigt schienen, wartete ich in einer Ecke, ob noch jemand allein herunterkommen würde oder eine zweite Runde suchte.
Doch heute war wohl wirklich nicht mein Tag. Lange Zeit passierte nichts. Die Pärchen und Grüppchen, die fertig wurden, verschwanden wieder, und die wenigen, die neu dazu kamen, brachten ihre Partner mit herunter. Nach einer guten halben Stunde beschloss ich zu versuchen, ob man sich irgendwo anschließen konnte. Meistens ging das recht gut.
Ich sondierte gerade noch einmal die Anwesenden, da zog ein Pärchen, das gerade herein kam, meine Aufmerksamkeit auf sich. Der eine war klein, schon fast zierlich und der andere hatte etwa meine Größe, war jedoch kaum breiter. Sie verzogen sich direkt in eine der Ecken, wo der Größere den Kleineren an die Wand drängte. Oh, selbst wenn ich nicht dazustoßen konnte, sah das interessant aus. Ich näherte mich ihnen und sah aus einiger Entfernung zu, wie sie miteinander knutschten. Noch schienen sie mich nicht bemerkt zu haben oder zu ignorieren. Sie würden sich schon bemerkbar machen, wenn ich gehen oder zu ihnen kommen sollte.
Das Geknutsche ging noch eine ganze Weile. Mittlerweile war ich mir sicher, dass sie mich bemerkt hatten. Der Kleine hatte angedeutet, dass ich näher kommen konnte, was der Große mit einer ruppigen Geste unterband. Doch er schien mich als Zuschauer zu akzeptieren, weshalb ich keine Anstalten machte zu gehen. Vielleicht hätte sein Partner ja später noch Lust auf eine zweite Runde. Wenn man das denn so nennen konnte. Denn er schien unruhig zu werden. Immer wieder unterbrach er die Küsse, drängte sich gegen den Großen, der jedoch ruhig weiter fummelte. Ich bekam immer mehr den Eindruck, dass das mit ihnen nichts werden würde. Zu schade.
„Wird das bald mal was?“, hörte ich da auch schon den Schmächtigen murren. Ich schmunzelte in mich hinein. Da hatte sich jemand eindeutig den falschen Partner gesucht. Der Kleine war eine Nummer für sich, ich hatte schon ein paar Mal mit ihm zu tun gehabt. Wenn man ihn unter Kontrolle halten wollte, musste man ihn schon etwas härter anpacken.
Zumindest das schien sein Partner nun auch zu bemerken und griff ihm – den Geräuschen nach zu urteilen – recht kräftig in den Schritt. Er beugte sich vor und raunte ihm zu: „Nicht so schnell. Ich sag, wann es weiter geht.“
Die Stimme des Großen jagte mir einen Schauer über den Rücken und ein Lächeln ins Gesicht. Na das konnte ja nichts werden. Ich stieß mich von der Wand ab und ging auf sie zu. Als er das bemerkte, wandte der Schmächtige sich etwas in meine Richtung. „Pft. Wenn du nicht aus dem Knick kommst, gibt es sicher noch andere Interessenten.“
Vorsichtig legte ich dem Größeren meine Hand auf die Schulter. Damit er sich nicht erschrak, da sicher keiner der beiden mich bisher erkannt hatte, raunte ich gleichzeitig: „Fred! Muss man dir mal wieder zeigen, wie du dich zu verhalten hast?“
Sofort senkte der Kleine den Kopf, er hatte mich erkannt, während sein Partner sich unter meiner Hand hervorzuwinden versuchte. Ich legte die zweite Hand an seinen Arm und flüsterte möglichst leise, damit es der andere nicht hörte: „Mein Kurs ist ausgefallen. Ich hab versucht dich anzurufen. Aber du bist nicht rangegangen. Schön dich trotzdem zu sehen.“
Roger wandte den Kopf in meine Richtung. Vermutlich versuchte er, mich zu erkennen. Er würde genauso daran scheitern wie ich. Meine Lippen strichen kurz seine Wange, dann wandte ich mich wieder Fred zu, bevor dieser auf dumme Gedanken kam. Ich packte am Hinterkopf in seine langen Haare und zog seinen Kopf in den Nacken.
„Wenn man dir sagt, du hast zu warten, dann solltest du das auch tun!“, knurrte ich. Er keuchte kurz auf, dann nickte er. „Wie heißt das?“
„Ja, natürlich warte ich noch. Tut mir leid“, brachte er sofort mit zitternder Stimme hervor. „Bitte mach weiter.“
Zufrieden lächelte ich. Das klang doch schon viel besser, man musste eben nur wissen, wie man mit ihm umzugehen hatte. Er war einer der wenigen hier, mit denen ich mich bewusst mehrmals eingelassen hatte. Die ersten Male hatte es auch etwas gedauert, bis ich mit ihm klar kam, aber mittlerweile wusste ich, was er wollte. Und auch so war es mit ihm angenehm. Man redete kurz, dann ging man zusammen hier runter, danach trennten sich die Wege wieder. Ich wusste nicht einmal, ob er wirklich Fred hieß, aber er hatte sich zumindest so vorgestellt.
Doch wenn Roger so vorging wie gerade, würde er mit Fred nicht klarkommen. Ohne klare Führung würde dieser versuchen zu provozieren und dann verschwinden, wenn die erhoffte Reaktion ausblieb. Ich bezweifelte, dass Roger das hinbekam, da er eher sanft führte und sich unterschwellig durchsetzte, statt einfach mal durchzugreifen.
Während ich Fred zufrieden betrachtete, blickte Roger noch immer mich an. Scheinbar überforderte ihn die Situation. Auch wenn er es nicht sah, lächelte ich ihm aufmunternd zu. Ich hoffte, dass es sich in meiner Stimme niederschlagen würde. „Was ist? Willst du nicht mehr? Keine Sorge, Fred mag gern etwas härter angefasst werden. Stimmt’s?“
„Ja“, raunte Fred mit unverhohlener Lust in der Stimme, als ich seinen Kopf noch ein Stück zurück bog. Schön, das war genau das, was ich heute gebraucht hatte. Schade, dass er wohl erst aufgekreuzt war, nachdem ich schon unten war.
Dennoch würde ich gehen, wenn es Roger nicht passte. Er hatte ihn zuerst entdeckt und war mit ihm hier. Vorsichtig legte ich ihm meine Hand in den Nacken, da er noch immer recklos da stand, und strich darüber. Sanft fragte ich: „Soll ich gehen?“
Jetzt kam doch noch Leben in Roger und er schüttelte schnell den Kopf. „Nein.“
„Schön. Hätte ich auch nicht gern gemacht.“ Ich strich noch einmal liebevoll über seinen Nacken, dann ließ ich ihn los. Fred musste nicht mehr Zärtlichkeiten mitbekommen als nötig. Hier verbreiteten sich Gerüchte viel zu schnell. „Mach ruhig weiter. Ich pass auf, dass er schön brav bleibt.“
Denn eines musste man Roger ja lassen: Wenn er die Zeit bekam, fand er sicher jeden Punkt, der einem den Verstand raubte. Das musste nun auch Fred lernen. Ich hatte mich zwischen ihn und die Wand gedrängt und hielt ihn fest, gab ihm die Grobheit, die er brauchte, um richtig in Stimmung zu kommen.
„Pause. Bitte“, keuchte Fred irgendwann. Da er stark zitterte und keuchte und sich angespannt gegen mich drückte, ließ ich etwas lockerer. Mittlerweile konnte ich die Zeichen ganz gut deuten und wir hatten alle nichts davon, wenn er viel zu früh kam. Roger ließ ebenfalls von ihm ab. „Danke.“
„Bedank dich nicht zu früh. Wir sind noch nicht fertig. Komm mit!“ Ich packte wieder fester in seine Haare und schob mich hinter ihm hervor. Dann bedeutete ich Roger mit einem Kopfnicken, uns zu folgen. An den Haaren zog ich Fred mit zu einem der kleinen Holzpodeste hier. Ich deutete auf den Stapel Einmalunterlagen daneben. Roger verstand und breitete eine aus. Ich mochte es, dass niemand, der es nicht unbedingt wollte, sich hier in Sperma legen oder hocken musste. Ich drückte Fred in die Richtung. „Rauf da und auf alle Viere.“
Er schien ziemlich fertig, denn er wehrte sich nicht einmal dagegen, wie er es sonst oft tat, um zu provozieren. Ich ließ ihn nicht los und stellte mich vor sein Gesicht. Zitternd wartete Fred darauf, was als nächstes passieren würde. Doch wir ließen uns Zeit. Zumindest ich wollte ihm die gewünschte Pause gönnen und Roger schien es genauso zu sehen, denn er kam zu mir. Nach einem leichten Kuss flüsterte er mir ins Ohr: „Und jetzt? Ist das okay?“
Ich konnte nicht anders, als zu lächeln. Sanft streichelte ich über Rogers Arm, während ich zurückflüsterte: „Ja, es ist in Ordnung. Lass uns danach reden, okay?“
Er nickte und küsste mich noch einmal, dann begab er sich hinter Fred, zog sich selbst und dann dem anderen die Hose aus. Ich tat es den beiden gleich und widmete meine Aufmerksam dann wieder hauptsächlich dem Mann zwischen uns.
Nachdem wir sowohl Kondome als auch Unterlage entsorgt hatten, verschwand Fred direkt nach oben. Ich hielt Roger an der Hand fest, der ihm direkt folgen wollte. „Wollen wir kurz reden?“
„Ich mag hier nicht reden“, gestand Roger leise.
„Dann lieber oben? Oder magst du mit zu mir? Bei mir ist niemand da und ich hab morgen erst ab zehn Schicht“, bot ich direkt an. Ich hoffte, dass er zustimmte. Wenn wir nicht wenigstens kurz miteinander redeten, würde es sich komisch anfühlen.
„Lass uns kurz oben reden. Ich hab morgen früh ’ne Lerngruppe“, willigte er sofort ein.
Gemeinsam gingen wir nach oben an die Bar. Etwas verwundert gab mir Kilian meine Sachen wieder und nahm die Bestellung auf. So wie er mich ansah, würde er morgen wieder anrufen, wenn ich nicht später noch mit ihm sprach. Unvermittelte fragte Roger: „Also, was machst du hier?“
„Hab ich doch grad schon gesagt: Mein Kurs ist ausgefallen, weil der Leiter krank geworden ist. Ich konnte ja nicht wissen, dass ich dich hier treffen würde.“ Ich lächelte ihn vorsichtig an. So im Nachhinein war ich mir nicht mehr sicher, ob es gut gewesen war, mich einzumischen, oder ob ich einfach hätte abhauen sollen.
„Du kennst diesen Fred?“, fragte Roger argwöhnisch.
„Ja, wir waren schon öfter zusammen unten. Tut mir leid, dass ich mich eingemischt habe.“ Verdammt, ich wollte endlich wissen, wie Roger das Ganze sah.
„Schon gut. Wäre wohl sonst wirklich nichts geworden. Das ist nicht so meins...“ Beim letzten Satz wich Roger verdächtig meinem Blick aus.
Ich schluckte und legte ihm eine Hand sanft auf den Arm. „Hey, nimmst du mir das übel?“
Er schüttelte den Kopf und lächelte mich dann an. „Nein. Ich hab nur weder mit dir, noch damit gerechnet. Also mit dem, was du mit ihm gemacht hast, und deiner Reaktion.“
„Was hast du denn geglaubt? Dass ich ausraste, wenn ich dich hier sehe?“ Er zuckte mit den Schultern, nickte dann aber. Ich strich ihm über den Arm, beruhigte damit sowohl ihn, als auch mich. Immerhin hatte ich irgendwo auch Angst vor seiner Reaktion gehabt. „Warum sollte ich? Wir sind nicht zusammen. Du kannst machen, was du willst. Wenn ich nicht so denken würde, wäre ich wohl selbst kaum hier, oder?“
„Ja, du hast recht.“ Er lächelte mich an, trank den letzten Schluck aus seinem Glas und gab mir dann einen Kuss auf die Wange. „Ich muss los. Danke für den schönen Abend, wir sehen uns morgen.“
„Bis morgen“, verabschiedete ich mich von ihm. Während er ging, sah ich ihm verwundert nach. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Doch wohl kaum, oder?
Kilian riss mich aus meinen Gedanken. „Na, wie läuft’s mit deinem Schnuckelchen.“
„Bis gerade hätte ich dir gesagt: sehr gut. Aber der Abgang war etwas sehr schnell“, überlegte ich laut.
„Was ist denn passiert?“ Kurz fasste ich dem Barkeeper zusammen, was seit meiner Rückkehr aus Boston passiert war. Immer wieder nickte er. Als ich fertig erzählt hatte, schien er zu überlegen. „Und er hat wirklich mit dir Händchen gehalten?“
„Du klingst, als wäre das völlig undenkbar, dass jemand ausgerechnet mit mir Händchen hält.“ Natürlich meinte ich es nicht so und wusste, dass er nicht so dachte. Daher konnte ich auch nicht anders, als zu lachen. Er stimmte ein. Dann wurde ich wieder ernst. „Ja, hat er.“
„Hmm, ich weiß ja nicht, wie es sonst so läuft, aber vielleicht hat er gehofft, dass das zwischen euch doch mehr ist? Ich meine, wenn er nicht geoutet ist und trotzdem mit dir Händchen hält?“
„Ja, ich weiß auch nicht. Ich hab da nicht so wirklich drüber nachgedacht. Aber anderseits, warum sollte er hier sein, wenn er es so sehen würde? Ich meine, ich könnte es ja irgendwie verstehen, wenn nur ich hier gewesen wäre und er es irgendwoher erfahren hätte. Aber so find ich das komisch.“
„Vielleicht ist ihm das auch gerade erst klar geworden? Vielleicht hat er auch einfach nicht darüber nachgedacht, welches Zeichen es setzt, wenn er hier mit anderen rummacht?“
„Dann hätte er doch gerade etwas sagen können, oder nicht? Ich meine, wenn es ihm nicht passt, dass ich hier bin. Oder wenn er meint, dass wir doch zusammen sind.“
Der Barkeeper lächelte. „Ach Tob, wenn es doch nur immer so einfach wäre. Ich kann dir nicht sagen, was los ist, aber ich kann dir im Vertrauen sagen, dass du der einzige bist, mit dem er sich davor oder danach hinsetzt. Du bist für ihn eindeutig nicht nur einer von vielen. Und er für dich auch nicht, das weiß ich. Ob es nur daran liegt, dass ihr ansonsten Freunde seid oder da mehr hinter steckt, kann ich dir nicht sagen. Aber ihr solltet dringend miteinander reden. Es muss ja nicht das Gespräch sein, aber ihr solltet zumindest in Ruhe klären, was gerade vorgefallen ist.“
Langsam nickte ich. „Ja, du hast recht. Sobald ich ihn mal wieder allein seh, red ich mit ihm. Danke dir.“
„Ich will doch nur, dass du auch mal jemanden für dich findest. Kann ich dir noch was bringen?“ Freundlich wie immer lächelte er mich an.
„Ja, noch ’ne Cola, danach muss ich aber auch schon wieder. Wie läuft’s denn bei dir und Trev?“ Da nicht viel los war, konnten wir noch etwas reden, dann verschwand ich nach Hause.
„Hey, Toby, wann hast du eigentlich mal wieder frei?“ Terrence schmiss sich neben mich auf die Couch und sofort sahen auch Roger und Bobby zu uns.
„Nächsten Freitag, warum? Willst du rumkommen?“
Auf Rogers Gesicht schlich sich ein süßes Lächeln. Stimmt, ich hatte ihm gestern gar nicht mehr gesagt, dass wir uns nächsten Donnerstag tatsächlich treffen konnten. Aber wenigstens konnte ich so seine Reaktion darauf auch sehen. Automatisch lächelte ich zurück. Schön, dass er sich so sicher war, dass ich dann Zeit für ihn hatte.
„Hey, Darius, am Donnerstag gehen wir mal wieder ’n Kerl für Toby suchen. Du kommst doch mit, oder?“, rief Terrence in die Küche, statt mir zu antworten. Sofort verflog das Lächeln auf Rogers Gesicht und auch meines erstarb.
Darius steckte den Kopf durch die Tür und grinste in die Runde. „Klar bin ich dabei.“
„Ehm, sorry, aber ich kann Donnerstag nicht“, versuchte ich sie von der Idee abzubringen.
„Ach nee, was hast du denn vor?“, fragte Bobby skeptisch.
Kurz sah ich zu Roger, der seinen Blick jedoch abgewandt hatte. Wie kam ich denn jetzt aus der Sache raus, ohne etwas zu verraten? Da die anderen mich alle eindringlich ansahen und warteten, nutzte ich das Erste, was mir einfiel. „Ich hab am Donnerstag ’n Date.“
„Wie ’n Date? Sag mal, verheimlichst du uns was?“, neckte Terrence und boxte gegen meine Schulter. „Du hast gar nicht erzählt, dass es da einen Kanditaten gibt.“
Verdammt, es war schwierig etwas zu sagen, ohne Roger dabei zu verletzen. Und noch immer wich dieser meinem Blick aus. Ich wollte doch nur sichergehen, dass ich wenigstens so viel verraten durfte. Zumindest, damit ich meine Zeit mit ihm verbringen konnte. Doch er weigerte sich, mich anzusehen, also war ich auf mich allein gestellt. „Ja, ein Date. Ich weiß nur noch nicht, was daraus wird, deswegen hab ich Nichts gesagt.“
„Warum bringst du ihn dann nicht am Donnerstag einfach mit, damit wir ihn alle mal kennenlernen können?“, schlug Bobby vor.
Roger sah mich immer noch nicht an. Hätte ich vielleicht nicht sagen sollen, dass ich ein Date hatte? Nahm er mir das übel? Nun, jetzt konnte ich es nicht mehr zurücknehmen und musste mich da durchmogeln. „Nein, das ist keine gute Idee. Er ist nicht geoutet.“
„Pft, dann vergiss ihn mal ganz schnell wieder. Was soll das denn werden, wenn er zu feige ist, dazuzustehen, dass er auf Männer steht?“, meckerte Terrence. Bobby und Darius stimmten zu. „Da kennst du doch deutlich bessere Männer. Schieß ihn ab und such dir ’n vernünftigen Kerl.“
„Richtig. Auf so’n Feigling kannst du doch verzichten“, pflichtete Darius ihm bei. „Das wird nichts. Wie stellst du dir das vor? Willst du dich ewig mit ihm verstecken? Nee, komm, wir gehen Donnerstag zu Trevor und dann suchen wir dir ’n richtigen Kerl. Außerdem müssen wir doch Roger auch mal endlich mitnehmen. Du kommst doch mit, oder?“
Jetzt sah Roger doch zu uns. Es war nicht auszumachen, was er von den Aussagen der anderen hielt, seine Miene war wie versteinert. Eiskalt lief es mir bei seiner Antwort den Rücken herunter. „Was soll ich in ’nem Schwuppenclub? Zusehen, wie Toby irgendwelche kleinen Jungs fickt? Nee danke. Geht ihr mal lieber allein, wenn ihr das toll findet. Das ist so widerlich!“
Ich riss die Augen auf und starrte ihn an. War das sein Ernst? Nicht nur ich schien mit der Reaktion überfordert zu sein, auch die anderen wirkten perplex.
Roger sah mir kurz direkt in die Augen, dann stand er auf. „Ich wünsch euch viel Spaß, aber lasst mich damit in Ruhe. Ich muss mir so was weder anhören, noch ansehen. Lasst mich mit dem Scheiß in Ruhe!“
Ohne ein weiteres Wort zog er sich an und verschwand. Ich konnte nicht anders, als ihm stumm nachzusehen. Wie sollte ich denn darauf reagieren? Was war das? Ich verstand ja, dass die Situation blöd für ihn war. Aber mich deswegen beleidigen? Ich hatte doch auch versucht, auf ihn Rücksicht zu nehmen.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter. „Alter, was war das denn? Toby, alles okay?“
„Ja. Ja, es hat mich nur erschrocken“, versuchte ich meinen besten Freund zu beruhigen, mir nicht anmerken zu lassen, wie stark es mich traf, dass der Mann, in den ich mich verliebt hatte, mich widerlich nannte, mir unterstellte kleine Jungs zu ficken. „Keine Ahnung, was mit ihm los ist.“
„Das war echt übel. Gut, dass er weg ist. Ist ja okay, wenn er nicht mit will, aber das war völlig übertrieben“, meckerte Darius.
„Ja. Ich wusste nicht, dass er so ein Idiot ist. Das geht gar nicht!“, machte auch Bobby mit.
Sie regten sich noch eine Weile auf, während ich nur schweigend daneben saß und versuchte, mich zu beruhigen und herauszufinden, was schon wieder schief gelaufen war.
Roger tauchte am nächsten Abend nicht wieder auf, obwohl er sich ursprünglich angemeldet hatte. Natürlich fragten die anderen nach, warum er nicht kam und erfuhren nun auch, was am Vorabend vorgefallen war. Gemeinsam regten sie sich darüber auf, obwohl ich versuchte, sie zu beruhigen. Ich wusste nicht, was in Roger gefahren war, aber ich wollte auch nicht, dass sie deswegen schlecht über ihn redeten. Es wurde dennoch schnell klar, dass er sich mit dieser Aktion sehr unbeliebt gemacht hatte.
Als ich Sonntag nach Hause kam, fand ich keinen Brief vor. Weder in meiner Tasche, noch im Briefkasten und auch meine Eltern hatten keinen dort gefunden. Enttäuscht setzte ich mich aufs Bett und zündete mir eine Zigarette an. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Hätte ich die anderen daran hindern sollen, unbekannterweise so auf ihm herumzuhacken? Vermutlich. Aber rechtfertigte das wirklich seinen Ausraster?
Eine Weile dachte ich darüber nach, ihn anzurufen. Aber ich war selbst noch zu wütend auf ihn. Sonst traf mich so etwas nicht wirklich, aber das war einfach zu persönlich gewesen. Natürlich reagierte er häufig so, wenn er Angst hatte, jemand könnte ihn enttarnen, aber mich deshalb als widerlich zu bezeichnen, ging zu weit! Vor allem in dem Kontext. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass es sich unter anderem auch auf Fred bezog.
Vermutlich hatte ich mich mehr in Roger verknallt, als ich zugeben wollte. Dass diese Zigarette die erste an diesem Wochenende war, sprach wohl für sich. Und das nur, weil er eigentlich hatte zum Spiel vorbei kommen wollen. Es war wohl besser, wenn ich ihn mir aus dem Kopf schlug. Das mit uns hatte einfach keine Zukunft. Nicht, wenn er so darauf reagierte, wenn ich versuchte das mit uns irgendwie unauffällig geheimzuhalten. Und solche Situationen würde es häufiger geben, solange er nicht einlenkte, daran konnte ich nichts ändern.
Am Donnerstag fand ich dann einen von Rogers Briefen im Briefkasten. Ich ging nach oben in mein Zimmer und entfaltete das türkise Blatt Papier. Wie immer waren die Worte in sauberster Schrift aufs Papier gebracht worden. „Es tut mir leid. Können wir reden? Ich warte heute Abend unten auf dich. Bitte sag den anderen nichts.“
Zuerst freute ich mich über die Nachricht, doch dann fiel mein Blick erneut auf den letzten Satz. Ich faltete den Brief zusammen und steckte ihn zurück in den Umschlag. Dann ging ich in den Flur, um das Telefon zu holen.
Nach einigem Klingeln wurde abgenommen. Ich hielt es so kurz wie möglich: „Hey, Terrence. Tut mir leid, mir geht es heute nicht gut. Kannst du den anderen Bescheid sagen? Ihr könnt dann ja in einen anderen Club gehen.“
„Okay, schade. Dann erhol dich gut. Ich hoffe wir sehen uns morgen Abend?“, wünschte er sofort. Natürlich glaubte er die Lüge. Ich log sonst immerhin nie!
„Ich muss sehen, wie es mir dann geht. Ich sag auf jeden Fall noch Bescheid. Bis dann“, verabschiedete ich mich. Sobald ich aufgelegt hatte, zündete ich mir eine Zigarette an.
Mein Blick fiel auf den Brief, der noch immer auf meinem Bett lag. Nein, ich wollte Roger nicht sehen. Nicht nur weil er mich dazu brachte, meine Freunde anzulügen, oder weil er mich beleidigt hatte, sondern weil er scheinbar glaubte, dass es genau so weiter ging. Doch nicht mit mir! Ich hatte es nicht verdient, beleidigt zu werden, und meine Freunde hatten es nicht verdient, angelogen zu werden. Terrence hatte recht: Mit jemandem, der sich nicht outen wollte, konnte es nichts werden. Es würde immer wieder zu solchen Situationen kommen.
Ich schmiss den Brief zu den anderen in die Schreibtischschublade und verschloss sie wieder. Erschöpft ließ ich mich ins Bett fallen. Am besten suchte ich mir für die nächste Zeit einen anderen Club, bis ich mir sicher war, Roger nicht sofort wieder nachzugeben, wenn wir uns zufällig im Darkroom trafen.
Ich nahm erneut das Telefon zur Hand und wählte Peters Nummer. Ich brauchte dringend Ablenkung und hatte ihn seit meiner Rückkehr aus Boston nicht mehr gesprochen. Er würde sich sicher freuen und keine falschen Fragen stellen. Manchmal war es eben doch ganz praktisch, wenn man Freunde hatte, die woanders lebten und nicht immer alles mitbekamen.
Roger schien meine unausgesprochene Entscheidung zu akzeptieren, denn obwohl er wusste, dass wir uns am Wochenende bei Bobby und Anthony trafen und auch eingeladen war, kam er nicht. Ebenso war auch am Wochenende nach Weihnachten nichts von ihm zu sehen. Allerdings war ich mir nicht sicher war, ob er nicht noch bei seinen Eltern war.
Dafür fragten mich die anderen, ob Roger sich auch bei mir entschuldigt hätte. So wie ich mitbekam, hatte er wohl bei Bobby, Darius und Terrence angerufen, um sich für seinen Aussetzer zu entschuldigen. Eindeutiger ging es wohl kaum. Hätte er die Sache wirklich mit mir klären wollen, hätte er mich ebenfalls anrufen können.
Da ich jedoch nicht weiter darauf herumreiten wollte, erwiderte ich nur, dass er sich entschuldigt hätte. Gelogen war das ja nicht, immerhin hatte er geschrieben, dass es ihm leid tat und er hatte ja auch ursprünglich mit mir sprechen wollen. Ich wollte nicht, dass sie wegen meiner Entscheidung mit ihm böse waren, das wäre auch nicht fair gewesen. Immerhin waren es mittlerweile auch seine Freunde. Daher sagte ich ihnen auch, dass es für mich vollkommen in Ordnung wäre, wenn er weiterhin zu unseren Basketballabenden kam.
Doch auch am ersten Januarwochende ließ er sich nicht blicken. Auch wenn ich nicht explizit nachfragte, so schien es doch, dass er sich nach den Anrufen nicht mehr bei den anderen gemeldet hatte. Ich frage mich wirklich, ob er vorhatte, sich auch von den anderen zu distanzieren oder ob er einfach nur zu viel mit Lernen zu tun hatte.
Zwar spielte ich kurzzeitig mit dem Gedanken, ihn doch einmal als Freund anzurufen, um mich zu erkundigen, ob alles in Ordnung war, entschied mich dann jedoch dagegen. Ich traute mir selbst nicht, nicht doch wieder mit ihm zu flirten und ihm dadurch Hoffnungen zu machen.
Am zweiten Samstag im Januar fuhren meine Eltern zu Freunden und nahmen Lena mit, sodass wir das Haus für unser Basketballtreffen nutzen konnten. Wirklich nötig wäre es nicht gewesen, da am Samstag lediglich Terrence und Bobby Zeit hatten, aber immerhin war es gemütlich. Dennoch war die Atmosphäre irgendwie merkwürdig. So wirklich entspannt wirkten sie nicht und ich hatte das Gefühl, dass sie immer mal wieder einen Blick auf die Uhr warfen.
Irgendwann kramte dann Bobby in seinem Rucksack. „Ich hab noch Popcorn mitgebracht. Kannst du das eben fertig machen, bevor das Spiel anfängt?“
Er drückte mir das Beutelchen in die Hand. Hätte ihm das nicht früher als fünf Minuten vor dem Spiel einfallen können? Seufzend nahm ich es entgegen und begab mich in die Küche. Terrence kam mit und redete mit mir, während wir warteten, dass die Mikrowelle fertig wurde.
Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer hörte ich Bobby dort reden. Führte er seit neuestem Selbstgespräche? Als ich ins Zimmer trat, wurde mir klar, warum die beiden so nervös gewesen waren. Das hatten sie also geplant. Diese Idioten!
„Hey, Toby.“ Mir drohte fast das Herz aus der Brust zu springen. Roger stand mit einem großen Blumenstrauß im Wohnzimmer, den er mir entgegen hielt. Nachdem ich ihm den abgenommen hatte, knetete er etwas nervös seine Hände. „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht beleidigen. Ich... Du weißt, was ich sagen will.“
Er deutete auf die Blumen in meiner Hand. Als ich noch einmal genauer hinsah, erkannte ich, warum der Strauß so bunt war und welche Farben er beinhaltete. Ich nickte einmal. Möglichst neutral bot ich an: „Schon gut, setz dich doch.“
„Danke.“ Er lächelte mich an und folgte der Aufforderung.
Während ich mich in die Küche begab, um die Blumen in eine Vase zu stellen, folgte Terrence mir erneut. Etwas verlegen erklärte er: „Ich hoffe, du bist uns nicht böse. Roger hat uns gefragt, wann wir das nächste Mal hier sind. Er meinte, du wolltest nicht mit ihm sprechen, als er sich entschuldigen wollte. Deswegen haben wir ihn reingelassen, damit ihr nochmal miteinander reden könnt. Ich wusste nicht, dass er gleich so übertreibt.“
„Schon gut. Ich hab doch gesagt, dass es okay ist, wenn er zu den Spielen kommt“, beruhigte ich ihn. Dennoch wurde es mir etwas unwohl. Die Blumen sagten so viel mehr, als es Rogers Worte getan hatten und als die anderen verstehen konnten. Immerhin hatte er dafür in einen Laden gehen müssen und dem Verkäufer erklären, welche Farben und in welcher Anordnung er sie haben wollte. Und dann damit durch die halbe Stadt fahren. Daher konnte ich sie auch nicht einfach wegwerfen, so gern ich es getan hätte. Warum hatte er es nicht einfach auf sich beruhen lassen können? Dann würde mein Herz jetzt nicht schon wieder so rasen bei seinem Anblick. Ich stellte die Blumen in eine Vase und füllte diese mit Wasser.
„Warum willst du dann nicht mit ihm reden?“, bohrte mein bester Freund nach. Ihm schien der Blumenregenbogen nicht wirklich aufgefallen zu sein. Vermutlich war es für ihn nur unästhetisches Gestrüpp.
Ich seufzte. Die Wahrheit konnte ich ihm wohl schlecht sagen. „Ich bin nicht davon ausgegangen, dass es mehr zu reden gibt. Er hat sich entschuldigt, mehr brauchte es nicht.“
Terrence nickte nachdenklich und sah mich argwöhnisch an. Dann zuckte er mit den Schultern. Ich war froh, dass er nicht weiter nachbohrte. Was hätte ich ihm denn auch anderes sagen sollen?
Gemeinsam gingen wir ins Wohnzimmer, wo er sich bei Bobby auf die kleine Couch setzte. Mir blieb also nichts anderes, als mich zu Roger auf die große zu hocken. Ich setzte mich ganz an den Rand, um ihm nicht zu nahe zu kommen. Vorsichtig blickte Roger zu mir. Diesmal war es jedoch ich, der seinem Blick auswich. Er sollte merken, dass sich etwas geändert hatte und ich nicht wegen einer einfachen Entschuldigung da weitermachen würde, wo wir vor ein paar Wochen aufgehört hatten.
Während des zweiten Spiels ging Roger auf Toilette und setzte sich danach dicht neben mich. Ich spürte seine Finger vorsichtig über die meinen streichen. Überrascht ließ ich es kurz geschehen, dann zog ich meine Hand jedoch weg. Nein, ich würde mich nicht einfach einlullen lassen!
Schon diese kurze Berührung hatte mir klar gemacht, wie sehr ich ihn die letzten Wochen vermisst hatte. Mein Zigarettenkonsum war wieder rasant angestiegen und bisher hatte ich auch keinen Club gefunden, in dem ich mich wirklich wohl fühlte. Sie waren entweder zu laut, zu dreckig oder hatten keinen Darkroom. Mein Entschluss stand dennoch fest! Wir konnten gerne Freunde sein, aber mehr nicht.
„Ich geh kurz in die Küche rauchen.“ Sobald das Spiel zu Ende war, stand ich auf.
In der Küche stützte ich mich auf die Arbeitsplatte. Das war einfach zu viel für mich. Wie sollte ich an meinem Vorsatz festhalten, wenn er mir so nahe kam? Ich fummelte eine Zigarette aus der Schachtel und versuchte sie mir mit zitternden Finger anzustecken. Da hörte ich es neben mir klappern. Überrascht sah ich auf.
Roger stand da und stellte einige leere Schüsseln ab. Für die anderen war es wohl nicht verwunderlich gewesen, dass er helfen wollte, sie kannten es ja nicht anders. Besorgt sah er mich an. „Du rauchst wieder?“
„Ich hab nie aufgehört“, gab ich patzig zurück. Innerlich fluchte ich, da er es mir mit seiner Anwesenheit unmöglich machte, die Zigarette anzuzünden. Er kam einige Schritte auf mich zu und nahm sie mir aus der Hand. Dann machte er noch einen Schritt auf mich zu. Fahrig fuhr ich ihn an: „Lass mich in Ruhe.“
Er blieb stehen und sah mir in die Augen. Er war offensichtlich enttäuscht. „Du bist mir also doch noch böse. Ich wusste es.“
„Ja. Natürlich. Glaubst du wirklich, du kannst das mit einem Strauß Blumen und ein paar Entschuldigungen wieder gut machen?“, fragte ich bemüht ruhig. Scheiße, die Stimme in meinem Kopf, die ihm einfach verzeihen wollte, sollte ruhig sein! „Das war nicht einfach nur irgendeine homophobe Bemerkung. Das ging gegen mich persönlich!“
„Ich weiß.“ Roger sah mich verzweifelt an. „Ich hatte Angst. Du hast ihnen gesagt, dass dein Date nicht mit geht, weil er nicht geoutet ist. Plötzlich dachte ich, dass sie darauf kommen würden, dass ich das bin, wenn ich einfach nur sage, dass ich keine Zeit hab oder nicht will.“
Ich nickte. Das war mir schon klar, aber es änderte nichts daran, dass so etwas immer wieder vorkommen würde. „Ich versteh das. Ich hatte aber keine andere Wahl, ohne sie anzulügen. Und ich hab dir gesagt, dass ich das nicht mache. Wie stellst du dir das vor, wenn es noch einmal dazu kommt? Willst du mich dann wieder beleidigen? Oder glaubst du, ich würde sie anlügen? Nein, das geht so nicht!“
„Ich weiß. Es kommt nicht mehr vor.“
Er machte den letzten Schritt auf mich zu und wollte sich an mich drücken, doch ich wich zurück. „Nein, Roger! Das ist vorbei! Ich hab da keine Lust mehr drauf. Ich will nicht für dich lügen müssen.“
Roger seufzte leise und trat einen Schritt weg. „Das sollst du doch auch gar nicht. Ich hab dir gesagt, du sollst deine Freunde nicht für mich anlügen.“
„Wie stellst du dir das dann vor? Soll ich ihnen das nächste Mal sagen: Tut mir leid, aber ich kann nicht. Ich hab ’n Date mit Roger?“
Er sah mir ernst in die Augen. „Ja!“
„Mach dich nicht lächerlich!“ Bitter lachte ich auf. „Ich hab gesagt, dass ich dich nicht oute!“
„Ich will es aber!“
„Was?“ Ich musste ihn gerade völlig falsch verstanden haben. Warum schafften wir es nicht, wenigstens ein Mal ohne Missverständnisse miteinander zu reden?
Roger seufzte erneut, diesmal tiefer. „Sie haben recht, ich bin feige. Du hast es nicht verdient, dich mit jemandem abgegeben zu müssen, der zu viel Angst hat, zu sich selbst zu stehen.“
„Das ist aber der falsche Weg. Du solltest dich nicht outen, nur damit ich dir verzeihe.“
Er schüttelte vehement den Kopf. „Es geht nicht um dich! Als ich bei meinen Eltern war, ist mir wieder klar geworden, warum ich ausgezogen bin. Ich wollte ich selbst sein können. Und stattdessen versteck ich mich weiterhin. Ich hab dich sogar wegen diesem Blödsinn verletzt! Vor Leuten, die scheinbar überhaupt kein Problem damit haben!“
„Du solltest dich dennoch nicht outen, wenn du noch nicht bereit bist.“ Beruhigend legte ich ihm eine Hand auf die Schulter. „Das ist nicht mal eben getan.“
„Ich weiß. Ich will auch nicht hier rausrennen und es in die Welt schreien. Aber deine Freunde akzeptieren dich vollkommen, oder? Das ist mir letztens klar geworden. Sie würden auch mich akzeptieren, oder?“ So sicher er auch vorher geklungen hatte, diese letzte Frage zeigte deutlich, dass er es nicht war.
Ich nahm ihn nun doch in den Arm. Er ließ sich erleichtert gegen meine Brust sinken. Offenbar hatte er diese zumindest freundschaftliche Geste wirklich gebraucht. „Sie werden etwas brauchen, nach dem, wie du dich verhalten hast. Aber ja, sie werden es akzeptieren. Ich versprech dir, sie werden dich nicht beleidigen oder sonst wie verletzend werden. Vielleicht machen sie ein paar Witze, wegen dem, was vorher war, aber du hast ein dickes Fell, du hältst das schon aus.“
„Sicher. Ich weiß, dass es nicht einfach wird, weil ich Scheiße gebaut hab. Kannst du mir verzeihen? Ich meine, richtig verzeihen?“ Hoffnungsvoll sah er mich an.
Ich seufzte. Scheiße, was sollte ich denn anderes sagen? Ich hatte mich nun einmal in ihn verliebt und im Grunde war ich ihm schon jetzt nicht mehr böse. Er hatte sich blöd verhalten, weil er Angst hatte, aber er wollte etwas daran ändern. Das war gut, oder? Er wollte dafür sorgen, dass es so eine Situation nicht noch einmal geben würde. Und so wie er sich verhielt, tat es ihm auch wirklich leid. Dennoch gab es da noch etwas anderes. „Ich weiß es nicht. Es ist nicht nur die Beleidigung. Du bist auch nach der Sache mit Fred direkt abgehauen ohne mir zu sagen, warum.“
„Ja. Ich war beleidigt, weil du lieber in den Club gegangen bist, statt dich mit mir zu treffen.“ Ich wollte ihm gerade widersprechen, doch er redete direkt weiter: „Erst zu Hause hab ich gesehen, dass du mehrmals versucht hast anzurufen. Du wolltest dich eigentlich mit mir treffen, oder? Außerdem hab ich kein Recht, deswegen beleidigt zu sein.“
„Ich hab doch schon unten gesagt, dass ich dich versucht hab anzurufen“, machte ich ihn verwundert aufmerksam.
„Da hab ich dich aber nicht richtig verstanden. Jedenfalls ist das blöd gelaufen. Ich hätte nicht böse sein dürfen. Außerdem hast du mir ja geholfen. Nur die Art hat mich eben überrumpelt.“ Er ließ sich etwas in meinen Armen sinken.
„Keine Sorge, das mach ich sicher nicht mit dir, wenn du das nicht willst.“ Ich lächelte ihn an. Verdammt, das war ein Einverständnis gewesen, dass wir uns wieder trafen, oder? Er machte mich einfach schwach. Im Grunde wollte ich es doch auch. „Aber er steht da nun mal drauf und ich find’s auch gut.“
„Ich werd mich daran gewöhnen, dass du zu anderen so bist.“ Ehrlich lächelte er mich an. Dann schob er hinterher: „Also, wenn wir uns noch immer treffen wollen, auch wenn deine Freunde davon wissen.“
„Du willst es ihnen sagen?“ Erstaunt riss ich die Augen auf. Dass er sich outen wollte, okay, aber damit hatte ich nun wirklich nicht auch noch gerechnet.
„Ja. Ich dachte, du kannst mir vielleicht helfen, mich zu outen. Wenn das okay ist? Ich würde ihnen gerne sagen, warum ich wirklich so ausgetickt bin.“ Unsicher sah er mich.
„Ist okay“, gab ich mit einem Seufzen nach. Ich konnte ihm das kaum abschlagen, wenn es so wichtig für ihn war und er mich dabei an seiner Seite haben wollte. Ein wenig fühlte ich mich sogar davon geschmeichelt. „Wie hast du dir das vorgestellt?“
„Erstmal: Magst du dich wieder mit mir treffen? Also so wie vorher?“
Ich zog ihn noch etwas fester an mich und lächelte ihn an, bevor ich ihn vorsichtig und zärtlich küsste. Zu behaupten, dass ich mich nicht mehr mit ihm treffen wollte, wäre reiner Selbstbetrug gewesen.
Als ich den Kuss wieder löste, lächelte Roger mich einen Moment an. Er wirkte unglaublich glücklich. Leicht lehnte er seinen Kopf gegen meine Schulter und ich strich automatisch durch seine kurzen Haare. Leise erklärte er: „Ich will einfach nur, dass wir genau das auch vor ihnen machen. Ich will es nicht mehr geheim halten, sondern genauso mit dir rumalbern oder kuscheln können, wie wir es bei mir gemacht haben.“
„Dir ist aber klar, dass sie Fragen stellen werden?“
Roger nickte und grinste verschmitzt. „Das ist doch der Sinn dahinter.“
„Naja, sie werden mehr wissen wollen. Zum Beispiel, was das zwischen uns ist.“ Ich sah ihn eindringlich an.
„Ich weiß. Was würdest du ihnen sagen?“
Ich musste lächeln, weil er lieber mich die Frage beantworten ließ. Sicher, ich hätte die Frage wieder zurückgeben können, doch ich wollte ihm antworten und nicht ewig herumspielen. Vermutlich hätte das sowieso wieder nur Missverständnisse gegeben. „Ich würde es Freundschaft mit Extras nennen. Oder wäre dir Affäre lieber?“
Ich beobachtete ganz genau seine Reaktion, falls ich etwas gesagt hatte, was seiner Meinung widersprach. Doch zumindest ließ er sich nichts anmerken, ganz im Gegenteil, er lächelte mich offen an. „Nein, Freundschaft mit Extras klingt gut. Immerhin sagt es, dass wir noch Freunde sind.“
Ich lachte leicht und küsste ihn dann drängend. Mindestens genauso gierig erwiderte er den Kuss.
Nur langsam konnten wir uns wieder voneinander lösen und zogen unsere Hände unter den Pullovern hervor, unter die wir sie jeweils gegraben hatten. Als wir es endlich geschafft hatten, lächelte Roger mich wieder an. „Ich glaub, wir sollten endlich zurück. Das Spiel läuft bestimmt schon.“
Ich nickte leicht und sah ihn dann forschend an. „Und du bist dir sicher?“
„Ja.“ Er nahm meine Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. Nachdem er mir noch einmal versichernd ins Gesicht gesehen hatte, nickte er und ging mit mir zusammen zur Küchentür. Ich nickte ihm noch einmal aufmunternd zu und ließ ihn dann vor mir durch die Tür treten.
„Da seid ihr ja endlich“, begrüßte uns Terrence ohne aufzusehen, nachdem wir uns dicht nebeneinander auf die Couch gesetzt hatten. „Was habt ihr denn so lange gemacht? Das Spiel hat schon angefangen.“
Roger warf einen kurzen Blick auf den Fernseher, wo die Knicks gerade drei Punkte erzielten, und schlug mir dann grinsend ein Kissen dreimal gegen die Brust. „Wir hatten noch etwas zu klären.“
„Offensichtlich erfolgreich. Das heißt, die Sache ist endgültig vom Tisch?“ Nun sah Terrence doch zu uns.
„Ja, ist es.“ Ich schnappte mir ebenfalls ein Kissen und schlug es gegen Rogers Oberarm.
„Gut. Wir haben schon überlegt, ob wir einen Krankenwagen rufen müssen, weil ihr euch gegenseitig bewusstlos geschlagen habt“, witzelte Bobby.
„Wenn dann nur bewusstlos geküsst“, antwortete Roger, als wäre es selbstverständlich, dass wir in der Küche rumgeknutscht hatten. Dennoch lehnte er sich leicht gegen mich, aber das konnten die anderen wohl nicht sehen. Offensichtlich brauchte er den Körperkontakt und ich legte ihm die Hand locker auf den Oberarm.
„Was?“ Unseren Freunden entglitten vor Überraschung die Gesichtszüge.
Roger tat, als merkte er die Verwunderung nicht. „Bei ’nem guten Kuss kann man schon mal vergessen zu atmen.“
„Ihr wollt uns also weismachen, ihr hättet einfach mal so rumgeknutscht?“ Skeptisch zog Terrence eine Augenbraue hoch und beobachtete uns genau.
„Ja“, antwortete ich ihm, da Roger gerade damit beschäftigt war, mir mal wieder das Kissen vor die Brust zu schlagen.
„Einfach mal so, weil euch gerade danach war? Ja nee, ist klar.“ Terrence klang nun schon fast angepisst. Ob nun, weil wir nur unzureichend antworteten oder weil er sich verarscht fühlte, konnte ich nicht sagen.
„Nein. Eigentlich, weil Toby mir verziehen hat, obwohl ich ein Idiot bin.“ Roger drehte sich leicht zu mir herum und lächelte mich an.
Vermutlich konnten die anderen das nicht sehen, aber in seinem Gesicht zeigte sich dennoch leichte Unsicherheit. Daher legte ich meinen Arm um seine Schulter und zog ihn an meine Brust. Sanft küsste ich ihm auf den Kopf. „Sogar ein verdammt großer Idiot. Aber wie soll ich denn ‚Nein‘ sagen, wenn du dich so entschuldigst?“
Schelmisch grinste er mich an. „Vielleicht solltest du dich weniger von deinem Schwanz leiten lassen.“
Gespielt empört knuffte ich ihn in den Oberarm. „Das sagt der Richtige!“
„Ich bin nicht derjenige, der einfach so nach nur einem Kuss direkt mit in den Darkroom geht.“
„Du hast doch angefangen!“ Lachend schlug ich ihm das Kissen auf die Brust, um die Punkte aufzuholen, die wir verpasst hatten, während wir in der Küche gewesen waren. Scheinbar würde es noch eine Weile dauern, bis die anderen sich fassten und begriffen, was los war.
Roger schlug mir in der Zeit ebenfalls auf den Oberarm, da ich ihn nicht losgelassen hatte und er daher nirgendwo anders rankam. Wie immer, wenn die Knicks gegen die Celtics spielten, war es ein wildes Durcheinander. Irgendwann fiel Roger wieder ein: „Ich schulde dir immer noch über achtzig Schläge.“
„Nö, die sind bereits gegen Dummheit eingetauscht.“ Böse grinste ich ihn an. Darauf ließ ich mich sicher nicht festnageln.
„Na gut.“ Er lachte und streckte sich mir dann entgegen. „Eine Kleinigkeit will ich dennoch dafür.“
Kurz legte ich meine Lippen auf seine, dann verpasste ich ihm die nächsten beiden Schläge. Danach sah ich die beiden Statuen auf der anderen Couch an. „Ab dem nächsten Viertel übernehmt ihr. Mir werden die Arme langsam lahm.“
Das schien die beiden dann endlich aus der Verwirrung zu reißen. Terrence fing sich als Erster wieder. „Äh, klar. Was genau haben wir verpasst?“
„Während ihr so vor euch hingestarrt habt? Nicht viel. Lediglich einen Zwei-Punkte-Wurf der Celtics“, veralberte ich sie.
Terrence warf ein Kissen nach mir. „Das meine ich nicht. Ich meine zwischen euch.“
„Nichts. Ihr habt uns doch die ganze Zeit angestarrt. Aber ich fass es euch gern noch mal zusammen. Also...“, machte Roger mit.
Diesmal unterbrach ihn Bobby. „Seid ihr zusammen?“
Wir schüttelten gleichzeitig die Köpfe. Da gerade das erste Viertel zu Ende ging, warf ich Bobby und Terrence je ein Kissen zu. „Hier, ihr seid dran, ihn zu verkloppen.“
„Wie wäre es, wenn wir euch nicht alles aus der Nase ziehen müssten? Was verheimlicht ihr?“, drängte mein bester Freund.
„Wir verheimlichen gar nichts. Nicht mehr“, murmelte Roger. „Toby hat es auch nur verheimlicht, weil ich ihn gebeten habe, euch nicht zu sagen, dass ich auf Männer stehe.“
„Roger ist nicht geoutet und hatte Angst, wie ihr reagiert.“
Während Bobby nur nickte, sah man Terrence an, dass er überlegte. Dann stockte er. „Du hattest dein Date mit Roger?!“
Beide nickten wir. Da Roger sich weiter an mich drängte, schlang ich meine Arme fester um ihn. Es war schön, für ihn da sein zu können und dass er diese Nähe gerade überhaupt suchte. Etwas entglitten Terrence’ Gesichtszüge, dann stotterte er: „Oh, Scheiße! Sorry! Ich... Verdammt, tut mir leid, ich wollte dich nicht beleidigen.“
„Schon gut. Ihr hattet ja recht“, lenkte Roger ein. „Es ist feige, dass ich nicht dazu stehen kann. Das ist mir jetzt noch mal klar geworden.“
„Deswegen wollte Roger auch, dass ihr von unserer Affäre erfahrt. Um es erst einmal nur Leuten zu erzählen, die ihn akzeptieren.“ Damit sollte für sie auch klar sein, es nicht herumzuerzählen.
„Oh, dann willst du es sonst keinem sagen?“, fragte Bobby dennoch nach.
„Nein, erst mal nur der Clique. Vielleicht später noch anderen, mal sehen. Aber im Moment geht es sonst niemanden was an“, murmelte Roger.
Ich gab ihm einen leichten Kuss auf den Kopf. „Ist okay. Mach in deinem Tempo. Du musst dich damit wohlfühlen.“
Kurz schien er sich in meine Arme fallen zu lassen und sich anzukuscheln, dann richtete er sich auf. Ich sah es als Zeichen ihn loszulassen. „Bobby, lass mal Platz tauschen. Dieses Viertel ist Terrence dran, verhauen zu werden, danach kommst du dran. Das letzte verteil ich dann gleichmäßig.“
„Schläfst du auch hier?“, fragte Terrence gähnend an Roger gewandt, als das letzte Spiel zu Ende war. Dieser sah wiederum fragend zu mir.
„Klar, wenn du magst. Ich hab nur immer noch keine Ahnung, wie wir die Matratze verlängern könnten. Wenn dich das nicht stört, kannst du gern hierbleiben.“ Ich nahm mir einige der Schüsseln und trug sie in die Küche.
Roger folgte mir mit weiteren, die er in der Küche neben meine stellte. „Kann ich wieder bei dir schlafen?“
„Was, ja klar, hab ich doch... Achso...“ Ich musste selbst darüber lachen, dass ich es nicht sofort verstanden hatte. „Natürlich! Ich hab dich gern bei mir.“
Ich zog ihn in meine Arme und küsste ihn. Genau in dem Moment kam Terrence mit weiterem Geschirr herein. „Boah, ernsthaft! Ihr seid ja schlimmer als jedes frisch verliebte Pärchen!“
Lachend ließ ich Roger los und widmete mich dem Abwasch. „Kann gar nicht sein. Wenn du verknallt bist, hat man kaum noch ’ne Chance, mit dir zu reden, weil deine Zunge mit anderem beschäftigt ist.“
„Idiot!“ Terrence boxte mir spielerisch in die Seite, dann ging er den Rest holen. Roger half mit beim Aufräumen in der Küche.
Nachdem wir fertig waren und uns umgezogen hatten, schlüpfte Roger zu mir ins Bett und unter meine Decke. Ich zog ihn direkt fest an mich, während Bobby das Ganze nur stirnrunzelnd beobachtete. „Sicher, dass wir nicht lieber im Wohnzimmer schlafen sollen?“
„Nö, wieso?“, fragte ich gespielt ahnungslos.
„Wir haben sicher keine Lust, euch beim Ficken zuzuhören“, meckerte mein bester Freund.
Ich zog etwas den Kopf ein. Wäre immerhin nicht das erste Mal, Peter und ich hatten uns anfangs nicht immer ganz unter Kontrolle gehabt. Aber Mat hatte uns das ziemlich schnell verdorben. Daher war ich auch nicht scharf darauf, dass uns nochmal jemand hörte. Sie damit ärgern, wollte ich dennoch etwas.
„Keine Sorge, wir können uns auch zusammenreißen“, versuchte Roger sie zu besänftigen.
„Stimmt, ihr werdet sicher nichts von uns hören. Wir sind ganz leise“, feixte ich und küsste Roger zärtlich in den Nacken. Dieser drehte sich um und schlug mir lachend gegen die Brust, während die anderen beiden Jungs nur die Augen verdrehten. Schnell beruhigte ich alle wieder: „Nein, sicher, wir stehen auch nicht darauf, wenn uns unsere Freunde dabei zuhören.“
Terrence und Bobby legten sich auf die Matratzen. Dann erkannte Bobby plötzlich: „Das klingt, als wäre Freunde die einzige Einschränkung.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Wir sind beide öfter im Darkroom. Das lässt sich da kaum vermeiden. Einer von euch beiden muss übrigens noch das Licht ausmachen, wenn ich nicht über euch trampeln soll.“
„Wieso? Ich denke, ihr seid öfter im Darkroom? Lernt man das da nicht, sich nicht im Dunkeln anzurempeln?“, witzelte Terrence, stand aber auf. Er wusste, dass ich sonst wirklich im Dunkeln über sie geklettert wäre.
„Na etwas Licht gibt es schon“, belehrte Roger sie. Er konnte ja nicht wissen, dass zumindest Terrence wirklich mal mit war, um sich das anzuschauen. Natürlich bevor Gäste gekommen waren. „Zumindest Umrisse erkennt man noch.“
„Ganz ehrlich, woher weiß man da überhaupt, mit wem man rummacht?“, fragte Bobby neugierig geworden.
„Naja, man kann ja die Stimmen erkennen. Oder eben die Silhouetten. Und die meisten sieht man ja schon, wenn man mit ihnen runter geht“, erklärte ich gelassen. Ich hatte noch nie ein Problem damit, über so etwas zu reden. Ich hoffte nur, dass es bei Roger genauso war. Zumindest mir gegenüber hatte er ja nie Skrupel gehabt.
„Und wenn nicht, dann will man meistens auch nicht erkannt werden. Ich warte meistens unten, bis jemand alleine kommt. Oder schau, ob jemand allein ist. Ich geh nur dann mit jemandem runter, wenn man mich anspricht“, ergänzte Roger. Gut, es schien ihn wirklich nicht zu stören, nun da die anderen Bescheid wussten.
„Und was ist, wenn sich der andere dann als fetter, haariger, alter Kerl rausstellt?“ Bobby erschauderte bei der Vorstellung.
Roger und ich lachten kurz, bis er antwortete: „Naja, fett kann man ja vorher aussortieren. Und wenn er haarig ist, kann man ihm sagen, dass man da kein Bock drauf hat. Alt ist mir eigentlich egal. Sieht man ja eh nicht und wird es wohl auch nie rausfinden.“
„Dich stört die Vorstellung, eventuell von ’nem alten Sack gefickt zu werden, also gar nicht?“, fragte Terrence überrascht.
„Da ich mich eh nicht ficken lasse...“ Auch wenn die anderen es nicht sahen, zuckte Roger mit den Schultern. Ich verschluckte mich spontan und hustete. Roger konnte ja nicht wissen, dass er gerade viel zu viel verraten hatte.
„Soo?“, fragte Terrence gedehnt. „Wer ist denn dann von euch die Frau?“
„Keiner?“, antworteten Roger und ich gleichzeitig und mussten lachen. „So weit ich das ausmachen konnte, sind wir beide Männer.“
„Ach, ihr wisst schon, wie ich das meine!“, zickte Terrence. „Ich meine, wer den Arsch hinhalten muss. Toby macht das ja auch nicht.“
„Wirklich nicht?“, fragte Roger mit einem Schmunzeln in der Stimme und drehte sich zu mir um.
„Selten“, antwortete ich wahrheitsgemäß und küsste ihn auf die Stirn. Zumindest war es bisher ja auch so gewesen. Dann wandte ich mich an Terrence. „Es gibt noch genug andere Dinge, die man machen kann.“
„Oh Gott, bitte nicht! Ich will es gar nicht wissen!“, beschwerte sich Bobby.
Ich lachte. Da hatten wir wohl seine Grenze erreicht. Dennoch musste etwas Rache sein. „Mann, es muss echt öde bei Belinda und dir im Schlafzimmer sein, wenn es bei euch nur ‚richtigen‘ Sex gibt. Ich hoffe, sie weiß nicht, was ihr sonst noch entgeht.“
„Du bist echt fies!“ Roger konnte nicht anders, als zu lachen und verbarg sein Gesicht an meiner Brust.
Dafür echauffierte sich Bobby: „Das stimmt doch gar nicht! Ich will nur nicht wissen, was ihr so macht!“
„Dann solltet ihr auch nicht so fragen. Du weißt doch, dass ich da kein großes Geheimnis draus mache“, erinnerte ich sie. Sie konnten sowieso froh sein, dass auch Roger sich daran nicht zu stören schien. Für viele andere wären ihre Fragen weit über das hinausgegangen, was noch höflich war.
„Könnten wir bitte das Thema wechseln? Sonst bekomm ich noch Albträume von irgendwelchen Kerlen“, bat Terrence.
„Gern. Aber ihr wollt gar nicht wissen, wie viele ihr mir schon mit euren Weibergeschichten verpasst habt“, grummelte Roger.
„Selbst schuld!“, beschloss Terrence. „Du hättest ja von vornherein was sagen können.“
„Sorry“, murmelte Roger, schien sich jetzt doch wieder unwohl zu fühlen.
Ich zog ihn fester in meine Arme und küsste ihn auf die Stirn. „Ist okay. Niemand kann dich zwingen, dich zu outen. Kommt, lasst uns schlafen. Ich will wach sein, wenn meine Eltern wiederkommen.“
Wir wünschten uns alle gegenseitig eine gute Nacht, dann herrschte Ruhe. Gern hätte ich Roger noch ein wenig geküsst und geneckt, aber ich wollte die anderen auch nicht stören. Er seufzte ebenfalls kurz, gab mir einen leichten Kuss und drehte mir dann den Rücken zu. Dicht kuschelte er sich an mich und war noch vor mir eingeschlafen.
Ich freute mich viel zu sehr, ihn wieder in meinen Armen zu haben, um direkt einzuschlafen. Hatte ich am Abend wirklich noch geglaubt, diesen süßen Idioten nicht mehr haben zu wollen? Nein, ich wäre der Idiot gewesen, ihn gehen zu lassen.
Bobby verschwand am nächsten Morgen direkt nach dem Aufstehen, Roger machte sich nach dem Frühstück auf den Weg, um meinen Eltern nicht zu begegnen. Da es selten war, dass wir gemeinsam frei hatten, blieb Terrence noch. Kaum war Roger verschwunden und wir in meinem Zimmer, sah er mich forschend an. „Du bist echt mega verknallt, oder?“
Ich setzte mich aufs Bett und fuhr mir lachend durch die Haare. Da ich keinen Grund hatte, es zu leugnen, fragte ich: „So offensichtlich?“
„Oh ja. Wie lange geht das schon?“ Er setzte sich mir gegenüber auf den Schreibtischstuhl. So ganz schien er es noch nicht wahr haben zu wollen. Zumindest verriet das seine Miene.
Ich überlegte kurz. „Etwa seit Anfang Oktober.“
„Scheiße, wie hast du es geschafft, das so lange geheimzuhalten? Du hast seit gestern Abend kaum den Blick von ihm abwenden können!“
So unrecht hatte Terrence da nicht. Vielleicht war es auch gut, dass Roger gegangen war, bevor meine Eltern kamen. So weit war er dann eben doch noch nicht, es vor ihnen zuzugeben. „Naja, er war eben bisher immer nur mein Kumpel, wenn noch jemand dabei war. Und ich war einfach nur froh, dass wir das geklärt haben. Keine Sorge, es wird jetzt nicht jedes Mal so sein.“
„Das ist auch gut so. Du solltest ihn dir wirklich aus dem Kopf schlagen“, meinte Terrence in vollem Ernst. Schockiert sah ich ihn an. Was war denn jetzt in ihn gefahren? „Schau mich nicht so an! Ich sag dir nur die Wahrheit. Das kann nichts werden! Du schaffst es ja nicht mal, Typen länger als ein paar Wochen zu halten, die darauf stehen, wenn du sie fickst. Wie soll das dann mit Roger funktionieren?“
„Das ist doch wohl unser Problem!“, gab ich trotzig zurück. Er tat ja gerade so, als hätte ich noch nie darüber nachgedacht, dass es ein großes Problem wäre. Zumindest, wenn wir wirklich ein Paar wären. „Außerdem weiß ich selbst, dass da nichts Ernstes draus wird.“
„Und wenn er aber hofft, dass da mehr wird?“
Ich hasste es, wenn Terrence das tat. Als hätte ich selbst keine Ahnung, wie ich mit Männern umzugehen hatte. „Dann sag ich ihm, dass es mir leid tut, ich aber nicht mehr von ihm will. Außerdem will er doch selbst keine Beziehung!“
Schallend lachte Terrence. „Klar, als ob! Das hast du bei Peter auch gesagt. ‚Das wird nichts Ernstes, ich sag ihm schon, dass ich nicht mehr will.‘ Und? Du hast ihn immer noch an der Backe!“
Frustriert schnaubte ich und zündete mir eine Zigarette an. „Das ist ’ne völlig andere Sache!“
„Ja klar, Toby. Bei dir ist es bei jedem ’ne andere Sache.“
„Roger wird sich sicher nicht umbringen, wenn ich ihm sage, dass ich nicht mehr von ihm will. Peter schon!“, fuhr ich Terrence an. Ich hatte eigentlich gedacht, er hätte mittlerweile kapiert, dass ich Peter so etwas nicht einfach mal eben sagen konnte.
„Stattdessen lügst du ihn lieber an bis... Ja, bis wann? Bis du endlich mal ’n Dummen findest, der sich von dir behandeln lässt wie ’ne Frau? Oder willst du dann deine Affäre mit ihm immer noch weiterführen?“
„Ich will Peter einfach nur nicht verrückt machen. Es läuft doch gut so, wie es ist. Wir sind beide damit zufrieden“, erklärte ich ihm erneut. Wie oft musste ich das mit ihm denn noch durchkauen?
„Ja klar. Nur das er völlig in dich verschossen ist und vermutlich glaubt, dass ihr ein Paar seid“, redete Terrence mir weiter ins Gewissen. „Toby, du bist nicht für ihn verantwortlich! Wenn er irgendwelchen Mist deswegen anstellt, ist das nicht dein Problem. Und wer sagt, dass Roger nicht auch irgendein Druckmittel findet, um dich an sich zu binden?“
„Wird er nicht“, verteidigte ich Roger gegen meinen besten Freund. Warum musste er immer so pessimistisch sein, wenn es um meine Kerle ging? Ich konnte das schon gut selbst klären. Dafür brauchte ich seine Hilfe nicht.
„Trotzdem kann das nichts werden, wenn er sich nicht outen will.“
„Wie schon gesagt: Ich geh auch nicht davon aus, dass da mehr wird und mach mir auch gar keine Hoffnungen“, erinnerte ich ihn.
„Nein, natürlich nicht. Das kannst du gern erzählen, wem du willst. Du hast dir definitiv schon Gedanken gemacht, wie es wäre, mit ihm zusammen zu sein.“
Verdammt, er kannte mich einfach zu gut. „Ja, natürlich! Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es nicht funktionieren kann.“
„Dann solltest du das auch beenden, bevor er sich Hoffnungen macht“, belehrte mein bester Freund mich schon wieder.
Ich starrte ihn böse an und wollte ihm wütend etwas entgegen schmeißen, da platzte zum Glück Lena ins Zimmer herein. Freudestrahlend kam sie mit einigen Polaroids in der Hand herein und schmiss sich direkt neben mich aufs Bett. Einige Haare wirbelten dabei auf. „Schau mal! Dala hat ganz viele kleine Welpen bekommen!“
Dankbar, dass sie uns vor einem wirklichen Streit bewahrte, vergaß ich völlig, sie anzumotzen, weil sie nicht angeklopft hatte, und sah ich mir die kleinen Hunde an. Niedlich waren diese kleinen Fellbüschel ja. Nur leider Gift für mich. Wir hatten noch nicht einmal die Hälfte der Photos angesehen, da merkte ich, dass mir die Nase kribbelte. „Lena, hast du dich umgezogen?“
„Oh. Sorry, nein. Hier, ich lass dir die Bilder da.“ Eilig verließ sie das Zimmer wieder. Erneut stoben einige Haare in die Luft und an der Stelle neben mir blieb ein kleiner Ballen zurück. Von Terrence hatte sie scheinbar nicht einmal Notiz genommen, so begeistert war sie noch immer von den Welpen gewewen. Das erklärte auch, warum sie diesmal scheinbar noch mehr Haare mitgebracht hatte als sonst.
„Oh Mann, manchmal ist du echt ’ne Pussy. Man muss dir nur ’n Hund vor die Nase setzen, um dich zu killen.“ Feixend half Terrence mir dabei, mein Bett neu zu beziehen, da ich darin nicht mehr hätte schlafen können. Schade, denn das frische Bettzeug würde nicht mehr nach Roger riechen. Dennoch war die Ablenkung gut gewesen, Terrence schien unsere Diskussion völlig vergessen zu haben. Vermutlich war er damit beschäftigt gewesen, hämisch grinsend darauf zu warten, wann mir wohl auffiel, dass Lenas Klamotten noch vollkommen haarig waren.
Zärtlich streichelte ich dem noch immer halb schlafenden Roger über den Rücken. Ich genoss die letzten Minuten, bevor ich mich für die Arbeit fertig machen musste. Die letzten Wochen waren wirklich gut verlaufen. Mindestens einmal die Woche trafen Roger und ich uns entweder bei ihm oder mir, gingen gemeinsam weg, sahen uns ein Spiel an, machten gemeinsam Sport oder spielten etwas. Einmal hatten wir uns auch noch zufällig im Club getroffen. Mittlerweile blieb Roger sogar, wenn ich am nächsten Tag arbeiten musste oder ich ging von ihm aus dorthin.
Wohlig rekelte er sich unter meinen Fingern und drehte sich halb um. Ich gab ihm einen kleinen Kuss auf den Mund. „Guten Morgen, kleines Murmeltier.“
„Du hast mich gestern doch so lange wach gehalten“, beschwerte er sich, reckte sich aber weiterhin meiner Hand entgegen.
„Na hör mal. Du kannst immerhin noch liegen bleiben“, neckte ich ihn. Da er mittlerweile, zumindest in freundschaftlicher Hinsicht, auch die Scheu vor meinen Eltern verloren hatte, musste er nicht mit mir das Haus verlassen, sondern machte sich in Ruhe fertig. Ein Mal war er sogar den ganzen Tag geblieben, während ich auf Arbeit gewesen war, weil er sich von Mum etwas in der Küche hatte zeigen lassen wollen.
Im Flur klingelte das Telefon, wurde jedoch sofort abgenommen, weshalb ich mich wieder Roger widmete. Sanft küsste ich seinen Nacken. „Oder willst du schon los?“
„Nein. Aber ich steh trotzdem lieber mit dir auf, bevor mich noch jemand in deinem Bett erwischt.“ Genüsslich seufzte er und machte sich lang, während ich über seine Seite streichelte. Es war einfach nur schön, wie zutraulich er geworden war.
Eine Weile kuschelten wir noch, dann klingelte mein zweiter Wecker. Etwas murrend machte ich ihn aus und drückte Roger einen letzten Kuss auf die Schulter. „Jetzt muss ich mich leider beeilen. Wir sehen uns dann am Freitag bei Terrence, oder?“
„Ich bin noch nicht sicher. Eigentlich müsste ich lernen.“ Roger erhob sich mit mir und beobachtete, wie ich in meinen Schlafanzug schlüpfte, um nicht nackt ins Bad zu gehen. „Ich schau mal, wie weit ich bis dahin komme.“
„Na gut, dann sehen wir uns spätestens nächste Woche. Wenn wir uns das Wochenende nicht sehen, ruf ich Sonntag wieder an? Oder hast du vor nächsten Freitag keine Zeit?“ Insgeheim hoffte ich, dass er sich ebenfalls noch vorher treffen wollte. Ihn fast zwei Wochen nicht zu sehen, wäre schon sehr hart.
„Wir können uns gern vorher noch mal treffen. Und nächsten Freitag. Wenn du denn noch magst.“ Auch wenn er es nicht zeigte, wusste ich, dass er unsicher war wegen des Treffens.
Doch ich war es nicht weniger. Sanft legte ich meine Hand an seine Wange. „Ich wüsste nicht, warum ich es nicht wollen sollte. Ich freu mich wirklich darauf.“
Er lächelte mich an und erhob sich, um mir einen Kuss zu geben und mir dann in den Hintern zu kneifen. „Dann beeil dich mal, sonst kommst du zu spät.“
„Jaja, schon gut, du Sklaventreiber.“ Zügig ging ich ins Bad und machte mich fertig. Rogers Bemerkung, was „Jaja“ hieße, überhörte ich einfach.
„Ach ja, ich hab’s fast vergessen, Peter hat heute morgen angerufen. Du warst nur so in Eile, da wollte ich dir nicht in die Quere kommen“, erklärte mir Mum nach dem Abendessen.
„Oh, danke fürs Bescheid sagen. Ich ruf ihn gleich zurück.“ Sofort wollte ich nach oben. Ich hatte die letzten Wochen gar nicht mehr an ihn gedacht, geschweige denn mit ihm telefoniert, da wollte ich ihn nicht auch noch ewig warten lassen.
Doch Dad hielt mich auf. „Hilfst du bitte vorher noch beim Wegräumen? Und euer Bad solltest du auch schon lange Mal wieder putzen.“
„Ich putz dann später, okay?“, versuchte ich mich herauszureden. Ich hatte einfach keine Lust darauf.
„Nichts da. Du versprichst schon seit dem Wochenende das zu machen. Erst wird geputzt, dann kannst du telefonieren“, erinnerte mich Mum an die Regeln.
„Ja, schon gut“, gab ich nach. Ich hatte ja eh keine Chance. Nachdem ich mich umgedreht hatte, verdrehte ich dennoch die Augen.
„Toby Blanchett! Glaub ja nicht, dass wir das nicht mitbekommen haben“, meckerte mein Vater. „Wenn es dir nicht passt zu helfen, kannst du dir gerne eine eigene Wohnung suchen.“
„Tut mir leid“, entschuldigte ich mich direkt und trug das Geschirr in die Küche. Eine erneute Diskussion darüber, ob ich auszog oder nicht, wollte ich gar nicht erst heraufbeschwören.
Als ich endlich meine Pflichten erledigt hatte, holte ich mir das Telefon. Ich machte mir eine Zigarette an und öffnete das Fenster. Dann kuschelte ich mich ins Bett, das noch immer nach Roger roch, und wählte die Nummer in Boston.
„Chris Allen“, meldete sich der Hausherr.
„Hallo Chris. Ich bin’s, Toby. Ist Peter zu Hause?“, fragte ich direkt. Ich hatte kein Lust, mich groß mit ihm zu unterhalten. Wirklich gut verstanden wir uns nämlich nicht.
„Ja klar. Er steht schon neben mir und wartet ungeduldig, dass ich ihm das Telefon gebe. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend.“ Dennoch blieb er immer höflich. Ein Zug an ihm, den ich wirklich schätzte. Dennoch machte es die schlechten einfach nicht wett.
Ich wollte ihm noch dasselbe wünschen, da wurde ich schon von Peter begrüßt: „Hi Toby. Danke, dass du zurückrufst.“
„Sorry, Mum hat mir erst beim Essen Bescheid gesagt. Und ich musste noch ein wenig was erledigen. Was wolltest du denn?“ Während ich den Rauch ausatmete, achtete ich genau darauf, ihn nicht auf die Decke zu pusten. Sie sollte noch möglichst lange nach meinem Wirbelwind riechen.
„Kann ich nicht einfach nur mal deine Stimme hören wollen? Muss ich denn immer was Bestimmtes wollen, wenn ich anrufe?“, fragte Peter lachend.
„Na du rufst zumindest selten einfach nur so an. Und dann willst du meistens auch was ganz Bestimmtes“, feixte ich. Ich wollte ihm erst gar keine Gelegenheit zu irgendwelchen romantischen Avancen geben.
„Hast ja recht.“ Kurz lachte er. „Ich wollte fragen, ob ich am Vierzehnten vorbeikommen kann. Ich würde dann bis Montag bleiben, ist ja Feiertag. Mat würde Samstag nachkommen, damit wir den Freitag für uns haben. Immerhin ist Valentinstag.“
Ich unterdrückte jede Lautäußerung und fasste mir an die Stirn. Da war ja was, Valentinstag lag an einem verlängerten Wochenende, natürlich wollte Peter es mit mir verbringen. Daran hätte ich denken sollen. Irgendwie musste ich ihn schonend abwimmeln. „Sorry, aber das ist eher schlecht. Ich muss das ganze Wochenende arbeiten.“
„Na und? Wir können uns schon beschäftigen. War doch sonst auch kein Problem“, versuchte er mich zu überreden. „Ich würd dich halt gern mal wieder sehen. November ist eben auch schon eine Weile her.“
„Sorry, aber das geht diesmal wirklich nicht.“ Verdammt, ich hatte keine Zeit für ihn und wollte ihn im Moment auch nicht sehen. „Ihr könnt gern ein anderes langes Wochenende kommen. Wenn ich es rechtzeitig weiß, dann kann ich auch Schichten tauschen, damit es besser passt.“
„Du bist schon verabredet, oder?“, fragte er enttäuscht.
„Tut mir leid. Ich hab einfach nicht daran gedacht, dass es ein langes Wochenende ist. Sonst hätte ich zuerst dich gefragt. Es tut mir wirklich leid. Ich komm spätestens Ostern zu euch, okay?“ Verdammt. Hoffentlich bekam ich das wieder hin. Ich konnte ja verstehen, dass er enttäuscht war. Für ihn war es selbstverständlich, dass ich zuerst ihn fragen würde. Dabei half es auch nicht, dass wir uns darauf geeinigt hatten, keine Verpflichtungen dem anderen gegenüber zu haben, solange ich mir nicht sicher war, ob ich mehr von ihm wollte. Dass ich mich bereits dagegen entschieden hatte, spielte dabei keine Rolle, solange ich keinen sanften Weg fand, es ihm zu sagen.
„Ist gut. Ich wünsch dir viel Spaß. Wenn er doch noch absagt, kann ich ja noch spontan kommen. Willst du noch mit Mat sprechen? Er ist grad heimgekommen.“ Die Enttäuschung war nur allzu deutlich herauszuhören.
„Ja, bitte. Tut mir wirklich leid“, versuchte ich es noch einmal. Doch ich hörte schon, wie ich weitergereicht wurde. „Hi Mat.“
„Na, was hast du wieder angestellt, Trampeltier?“, fragte dieser direkt. Das leichte Grinsen in seiner Stimme zeigte, dass Peter schon außer Hörweite war. Vermutlich war er wütend ins Zimmer verschwunden.
„Ich hab vergessen, dass Valentinstag an ’nem verlängerten Wochenende liegt.“ Hoffentlich konnte Mat seinen Bruder etwas beruhigen. Wie immer hatte ich Angst, dass er Dummheiten beging.
„Oh Mann. Du bist also schon verabredet?“ Zustimmend grummelte ich. „Moment, ich such mir mal ’n ruhigeren Ort.“
Ich hörte, wie er durch die Wohnung ging. Vermutlich hatte Chris sich mal wieder irgendwo in die Nähe gesetzt. So wirklich hatte der es nämlich nicht mit der Privatsphäre der Jungen. „Und, wie ernst ist es?“
„Ich weiß nicht. Ich glaub nicht, dass das klappen kann.“ Ich wusste, dass Mat alles, was wir redeten, für sich behielt.
„Aber du hättest gern, dass es klappt?“, entzifferte er wie immer zielsicher meine Worte.
Ich fuhr mir durch die Haare. Eine Lüge hätte er sowieso erkannt. „Ja. Ich glaub schon.“
„Soll ich schon mal mit Peter reden?“, bot er an. Ich wusste, dass er sich genauso Sorgen machte, was passierte, wenn ich mal einen Freund hatte, wie ich.
„Nein. Wie gesagt, es wird nichts werden. Weder wird es auf Dauer funktionieren, noch möchte er eine Beziehung. Das würde Peter nur unnötig Stress machen.“
„Ich weiß, dass du Angst hast, ihm zu sagen, dass du nicht mehr als ’ne Freundschaft mit ihm willst. Aber glaubst du nicht, dass ihm solche Sachen noch viel mehr Stress machen?“ Mat klang wie immer nicht, als würde er mir Vorwürfe machen, sondern einfach nur ruhig mit mir diskutieren. Er hatte von vornherein klar gemacht, dass wir selbst dafür verantwortlich waren, was daraus wurde. Partei würde er für keinen von uns ergreifen.
„Warum soll ich ihn aufschrecken, wenn sich zwischen uns nichts ändert? Er wusste doch von Anfang an, dass es mir mit ihm zu weit ist.“
„Er hofft trotzdem immer noch, dass du dich irgendwann noch richtig in ihn verliebst. Oder merkst, dass nur er dir guttut oder was weiß ich. Und je länger das so mit euch geht, umso schlimmer wird es.“
„Tut mir leid, ich will dir nicht noch mehr Ärger machen. Ich weiß, du hast auch ohne unsere Problemchen genug um die Ohren.“
„Du weißt doch, dass ich auf ihn aufpasse, solange ich kann. Und das mach ich gern. Glaub mir, du nimmst mir eigentlich sogar einiges ab.“ Ich grummelte und nickte, denn ich wusste, dass er recht hatte. Peter wollte mir gefallen. Sonst würde er sicher zum Teil noch viel mehr Blödsinn anstellen. „Ich muss langsam Schluss machen. Sagst du mir Bescheid, wenn sich was ergibt?“
„Klar. Kümmer dich bitte etwas um ihn. Ich versuch, es spätestens Ostern wieder gutzumachen. Schönen Abend dir noch.“ Er wünschte mir dasselbe und legte schnell auf. Vermutlich war Peter irgendwo in der Nähe und hatte ihn gesucht.
Ich stand noch einmal kurz auf, um die Zigarette im Aschenbecher auszudrücken und das Fenster zu schließen, dann schaltete ich den Fernseher ein. Nein, ich bereute nicht, Peter abgesagt zu haben. Es tat mir zwar wirklich leid, nicht daran gedacht zu haben, dass er vermutlich kommen wollte, aber den Tag wollte ich wirklich mit Roger verbringen. Zumal tatsächlich er gestern gefragt hatte, ob ich zu ihm kommen wollte. Wir würden zwar kein richtiges Date haben, aber er würde für uns kochen und ich dann die Nacht bei ihm verbringen. Ich hätte Peter auch abgesagt, wenn er sich früher angekündigt hätte. Dieses Treffen mit Roger konnte ich mir doch nicht entgehen lassen.
Diese Erkenntnis erschreckte mich dann doch. Trotz der kurzen Zeit, die ich Roger im Vergleich erst kannte, war er mir doch bereits so viel wichtiger. So wichtig, dass ich, ohne zu überlegen, Peter angelogen hatte. Denn tatsächlich hatte ich mir Samstag freigenommen, weil ich ebenfalls vorgehabt hatte, Roger einzuladen, wäre er mir nicht zuvorgekommen.
Am nächsten Freitag wurde mir dann doch mulmig. Roger hatte nicht mit der Sprache rausrücken wollen, was er kochte und sonst noch für den Abend plante. Nur das, was er mir bereits bei der Einladung verraten hatte. War ich überhaupt richtig angezogen? Immerhin trafen wir uns nur bei ihm. War da ein Hemd nicht vielleicht etwas übertrieben? Würde er glauben, dass ich auf mehr hoffte?
Die Ungewissheit machte mich wahnsinnig und führte dazu, dass ich schon das Telefon in der Hand hielt, als meine Mum in die Küche kam. „Oh, na du hast dich aber fein rausgeputzt. Du gehst so doch sicher nicht zum Basketball, oder? Wer ist der Glückliche?“
Ich wollte mir durch die Haare fahren, doch sie hielt meine Hand leicht fest. Diese Fürsorge brachte mich zum Lächeln. „Darf ich nicht sagen.“
„Oh, dein geheimnisvoller Brieffreund? Ich bin wirklich gespannt, wie er so ist, wenn wir ihn mal kennenlernen.“ So wie sie mich anlächelte, freute sie sich wirklich für mich. Dann fiel ihr Blick auf das Telefon. „Was willst du denn mit dem Telefon?“
„Gar nichts... Ich hätte nur fast Blödsinn gemacht. Danke, Mum.“ Ich lehnte mich zu ihr vor und gab ihr einen Kuss auf die Wange, bevor ich das Telefon zurückstellte.
„Bitte. Wofür auch immer. Ich wünsche dir viel Spaß, mein Schatz. Wann kommst du wieder?“
„Morgen oder Sonntag. Bis dann.“ Ich winkte ihr noch, dann holte ich meine Tasche und verließ das Haus.
„Komm hoch, die Tür ist offen“, hörte ich Rogers Stimme aus der Gegensprechanlage, dann wurde der Türsummer betätigt.
Ich eilte nach oben und schob vorsichtig die Wohnungstür auf. Der Flur war beleuchtet, im Wohnzimmer war jedoch, bis auf einen leichten Schimmer, kein Licht zu sehen. Ich lächelte und schloss die Tür wieder. Nein, ich war offensichtlich genau richtig angezogen.
Roger kam aus der Zimmertür auf mich zu und lächelte mich an. Seine Haare, die die letzten Monate etwas länger geworden waren, hatte er ordentlich gegelt und trug ebenfalls ein Hemd. Ich ging auf ihn zu und küsste ihn. „Hey, du siehst verdammt gut aus.“
„Ach quatsch.“ Er wollte sich durch die Haare fahren, doch ich hielt ihn, genauso wie Mum vorher bei mir, davon ab.
„Die will ich später unordentlich machen. Nach dem Essen.“ Ich küsste ihn noch einmal und kramte dann in meiner Tasche, bevor ich sie in die Ecke stellte. „Ich hab ’n kleines Geschenk für dich.“
Er nahm es entgegen und betrachtete es einen Moment. Dann sah er verlegen wieder auf. „Tut mir leid, ich hab nichts für dich. Ich wusste nicht...“
Schnell küsste ich ihn erneut. „Brauchst du nicht. Es ist auch eher ein Danke für das Essen. Wobei... Wo ich näher darüber nachdenke, ist es vielleicht kein so gutes Geschenk, wenn man zum Essen eingeladen wird.“
Ich konnte nicht anders und lachte, um meine Nervosität zu überdecken. Verständnislos sah Roger mich an, bis ich ihm bedeutete, das Geschenk einfach zu öffnen. Als er erkannte, was es war, lachte er ebenfalls. „Soll das etwa heißen, ich kann nicht kochen?“
„Nein, ich dachte nur eher, weil du meintest, du magst immer neue Rezepte ausprobieren und naja... Ich bin nicht so gut im Geschenke machen.“ Verdammt, ich war so ein Idiot. Diesmal war es Roger, der mich küsste, als wollte er mir sagen, dass es nicht schlimm war. Bevor er zu sehr merkte, dass mich die Sache nervös machte, lenkte ich ab. „Komm, sonst wird das Essen kalt. Dabei hast du dir doch so viel Mühe gegeben.“
„Was? Nein, das war nicht so viel Arbeit. Ich...“ Diesmal konnte ich nicht verhindern, dass er sich die Frisur ruinierte. Eilig hastete er ins Wohnzimmer, schaltete das Licht an und war schon auf dem Weg zum Tisch, wo er sofort die erste Kerze auspustete. „Sorry, ich hatte nur was ausprobieren wollen.“
Schmunzelnd schaltete ich sowohl das Licht im Flur, als auch im Wohnzimmer wieder aus. Ruckartig drehte Roger sich um. „Toby, mach das Licht wieder an!“
„Nein. Ich finde es so schöner“, erklärte ich ihm ruhig. Hoffentlich hörte er nicht, dass mir die Vorstellung sehr gefiel, so mit ihm zu essen.
„Nein, das ist albern. Tut mir leid. Ich wollte nicht kitschig sein. Keine Ahnung, was da in mich gefahren ist.“ Er kam auf mich zu und wollte den Lichtschalter betätigen. Doch ich hielt eine Hand darüber und zog ihn mit der anderen an mich, um ihn drängend zu küssen. Es war vielleicht kitschig, aber es passte zu ihm. Und daher war es gut.
„Ich find es nicht kitschig. Komm, lass uns so essen.“ Da er noch immer versuchte, das Licht anzumachen, nahm ich die Hand weg, umschloss damit seine und drängte ihn dann zum Bett, um mich dort mit ihm fallen zu lassen. Ich drückte Körper und Lippen gegen seine, bis ihm ein leises Keuchen entfuhr. Ich hielt ihn weiter fest, löste jedoch meine Lippen von ihm. „Ich lass dich los, wenn du das Licht aus lässt.“
„Ist gut“, gab er seufzend nach. Dennoch setzte er schnell hinterher. „Ich will nur nicht, dass du das hier falsch verstehst.“
„Keine Sorge, tu ich nicht.“ Beruhigend küsste ich ihn. Zumindest hoffte ich, dass ich das nicht falsch verstand. „Wir sind trotzdem nur Freunde.“
„Ja“, hauchte er und küsste mich innig. Die Erleichterung war ihm deutlich anzumerken.
Als in der Küche ein Wecker klingelte, löste er sich direkt und versuchte unter mir hervorzukriechen. „Ich muss das Fleisch aus dem Ofen holen.“
Da ich ebenfalls essen wollte, ließ ich ihn los. „Kann ich dir irgendwas helfen?“
„Du kannst schon mal einschenken und mit den Tellern die Suppe holen kommen“, forderte er mich auf, während er sich eine Schürze umband.
Nach dem Essen sahen wir uns die Celtics gegen die Houston Rockets an. Das Kissen lag ruhig auf Rogers Beinen, während er mir den Kopf kraulte und ins Spiel versunken war. Ich hatte gerade keine Lust auf dumme Spielchen, dafür war der Abend einfach zu schön. Roger hatte sich wirklich selbst übertroffen. Nach der Zwiebelsuppe hatte es Rinderfilet mit Kartoffelgratin gegeben und im Anschluss Schokoladenmousse, von der noch einiges auf dem Tisch stand.
Gab es etwas Perfekteres als erst ein leckeres Dreigängemenü bei Kerzenschein mit einem so unglaublichen Mann und danach einfach kuschelnd ein Spiel im Fernsehen zu sehen? Ich erwischte mich, wie ich darüber nachdachte, dass es öfter so sein sollte, verdrängte den Gedanken aber wieder. Nein, das was wir hatten war gut wie es war. Ich verstand, was er mir mit den Kerzen und allem sagen wollte, und dennoch musste und sollte er sich meinetwegen keinen Druck wegen seines Coming Outs machen.
Nach dem Spiel stellten wir den Fernseher ab und machten sauber. Danach holten wir ein Kartenspiel hervor und verdrückten währenddessen die restliche Mousse. Als ich mir noch etwas davon nachnehmen wollte, stellte ich fest, dass sie leer war. Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm ich die leere Schüssel an mich und begann sie mit dem Finger auszuwischen. Mir wurde es erst bewusst, als Roger zu lachen begann. „Ich kann auch noch welche machen.“
„Nee, lieber nicht. Sonst werd ich noch fett.“ Etwas verlegen leckte ich noch kurz den Finger ab und wollte dann die Schüssel zurück auf den Tisch stellen.
„Du kannst sie ruhig auslecken, wenn es dir schmeckt“, bot er noch immer grinsend an. „Oder du gibst mir auch noch was ab.“
Sofort lief mir ein wohliger Schauer über den Rücken. Als könnte ich ein solches Angebot ablehnen. Ich fuhr noch einmal den Rand entlang und hielt den Finger dann in Rogers Richtung. „Na dann komm her.“
Ganz langsam, fast schon grazil, kam er auf allen Vieren auf mich zu. Direkt vor mir blieb er stehen und leckte genüsslich über meinen Finger. Fasziniert sah ich ihm dabei zu. Sobald der Finger sauber war, tauchte ich ihn erneut in die Moussereste. Diesmal leckte Roger ihn nicht mehr nur ab, sondern nahm ihn direkt in den Mund, saugte und lutschte daran. Zitternd entwich die Luft aus meinen Lungen. Da Roger nicht schien, als würde er mir meine Hand demnächst wiedergeben und das erregte Zittern sich langsam in meinem ganzen Körper ausbreitete, stellte ich die Schüssel vorsichtshalber auf den Tisch zurück.
Ich war nicht ganz sicher, ob Roger es wirklich genoss, immerhin war das eine Geste, die seinem sonst betont dominanten Verhalten widersprach. Aber zumindest hatte er die Augen geschlossen und schien sich ganz darauf zu konzentrieren. Er wirkte dabei wunderschön. Ich streckte die andere Hand nach ihm aus und strich ihm vorsichtig über den Kopf.
Nun sah er doch auf und lächelte mich an. Ganz langsam glitt mein Finger aus seinem Mund. Er schien sich kurz zu sammeln und griff in die Schublade unter dem Tisch, dann flüsterte er: „Ich hab doch noch ein Geschenk für dich. ... Wenn du nicht so grob wie bei Fred bist.“
Kurz stockte ich überrascht und musste schlucken. Wollte er das wirklich tun? Mit belegter Stimme antwortete ich: „Bin ich nicht. Ich hab’s dir versprochen.“
Vorsichtig zog ich sein Gesicht an mich heran und küsste ihn, während sich seine Hände mit meiner Hose beschäftigten. Sobald er damit fertig war, dirigierte ich sanft seinen Kopf tiefer. Zuerst glaubte ich noch, Roger täte das zum ersten Mal und war daher besonders vorsichtig, merkte aber schnell, dass ich mich damit getäuscht hatte. Langsam, darauf bedacht, ihn nicht zu erschrecken, packte ich ihn fester und stieß leicht zu. „Ist das okay?“
Er nickte und machte dann hingebungsvoll weiter. Gern hätte ich mich vollständig fallen lassen, aber dann wäre ich gröber geworden. Und ich wollte Roger nicht verprellen. Für mich war das ein geringer Preis, wenn ich im Gegenzug so einen tollen Mann bekam.
„Alles gut?“, fragte ich, als ich mich, nachdem ich Kondom und Schüssel in die Küche verfrachtet und eine neue Flasche Wasser aus der Küche geholt hatte, an Roger kuschelte und ihm die Flasche gab.
Er nahm einen großen Schluck daraus, dann zog er mich näher an sich. „Ja, ich mag den Geschmack nur nicht.“
„Versteh ich“, antwortete ich lachend. „Ich auch nicht. Aber immer noch besser als ungewaschener Schwanz.“
„Ihh, du bist widerlich! Wie kommst du denn darauf?“ Angewidert drückte er mich etwas von sich.
„Ist mir tatsächlich ganz zu Anfang mal im Darkroom passiert. Seither geht’s da nicht mehr ohne.“ Schon bei der Erinnerung, schüttelte es mich.
Mitfühlend zog er mich wieder an sich. „Warum hast du es überhaupt ohne gemacht? Wäre mir zu gefährlich.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Es geht. Ist einfach schöner. Und dann schluck ich auch nicht. Das soll wohl ganz gut helfen. Aber definitiv nicht mehr, wenn ich ihn nicht sehen kann! Das war mir ’ne Lehre.“
Roger lachte kurz, dann wurde er wieder ernst. „Also würdest du’s immer noch ohne machen?“
Ich nickte. Für mich sprach da nichts gegen. Ich kannte die Restrisiken und die waren recht gering. „Schon. Aber sicher nicht mehr bei jedem.“
„Bei wem würdest du’s machen?“, fragte er neugierig und brachte mich damit zum Lachen.
„Soll das eine vorsichtige Frage sein, ob ich das für dich mache?“ Leicht grinsend nickte er. „Dumme Frage. Natürlich! Eigentlich bei allen, wo ich sicher bin, dass sie auf sich achten.“
„Und du hast dir noch nie was weggeholt?“
„Doch. Einmal ’n Tripper. Vermutlich vom selben Typ.“ Roger begann zu lachen und ich schlug ihm gegen die Schulter. „Hey, lach nicht! Ich sag doch, bei unbekannten Typen nicht mehr ohne!“
Roger beruhigte sich langsam wieder. Vorsichtig fragte er weiter: „Aber sonst machst du es nur mit, oder?“
Schockiert sah ich ihn an. Was glaubte er denn von mir? „Klar! Hältst du mich für lebensmüde? Nee, aber damit ist für mich nicht zu spaßen.“
„Gut.“ Zärtlich küsste er mich, dann grinste er leicht. „Sonst hätte ich ’n ernstes Wörtchen mit dir reden müssen. Und was würde ich ungern tun.“
„Oh, freundlich, dass du mir keine Moralpredigt halten willst“, feixte ich. Schön, dass wir über so etwas so locker reden konnten. Das war nicht selbstverständlich. „Keine Sorge, ich achte schon auf mich.“
„Gefällt mir. Vielleicht versuch ich es dann nächstes Mal auch ohne.“
„Es gibt ein nächstes Mal? Es war für dich also in Ordnung?“, fragte ich freudig überrascht. Die Vorstellung gefiel mir wirklich. Und diesmal wusste ich, dass es kein Scherz war.
Er lächelte und nickte. „Ja. Wenn du nicht noch viel stärker zufasst, ist es in Ordnung.“
„Ich versuch’s. Ich kann nichts versprechen, wenn ich mich gehen lasse. Du musst dann unbedingt sagen, wenn es zu doll ist“, ermahnte ich ihn. Ich fand es gut, dass er das für mich tat, Stück für Stück mehr Vertrauen fasste und mir ein wenig die Führung ließ. Dennoch sollte er nichts tun, was er nicht wollte.
„Keine Sorge, ansonsten beiß ich einfach zu“, witzelte er, was mich nur empört die Wangen aufplustern ließ, bevor wir beide loslachten.
„Hey, schläfst du schon?“, fragte Kilian und fuchtelte mit der Hand vor meiner Nase herum.
„Nee. Sorry, ich war etwas in Gedanken.“ Ich hob den Kopf, den ich auf meinen Armen abgelegt hatte, und lächelte ihn an. „Kann ich trotzdem noch ’ne Cola haben?“
„Klar.“ Er machte mir eine fertig und reichte sie rüber. „Wo hast du denn dein Schnuckelchen gelassen?“
„Im Bett. Er ist furchtbar erkältet. Verträgt wohl das frühlingshafte Wetter nicht.“ Daher hing ich auch so durch. Ich vermisste Roger einfach. Schon seit einer Woche hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Darum war ich auch in den Club gekommen, um mich etwas abzulenken.
„Oh, dabei ist doch gerade jetzt die Zeit der Pärchen“, feixte der Barkeeper. „Warum bist du nicht bei ihm und pflegst ihn gesund?“
„Ich steh nicht so auf verrotzte Nasen.“ Angewidert verzog ich das Gesicht. Als ich jedoch Kilians mahnenden Blick sah, schob ich schnell hinterher: „Außerdem lässt er mich nicht. Er will nicht, dass ich mich anstecke.“
„Ah, na das klingt doch schon besser.“ Freudig grinste er mich an. „Es läuft also immer noch gut bei euch?“
„Ja, ich kann mich nicht beschweren.“ Ich konnte mir ein dümmliches Grinsen nicht verkneifen. Roger war einfach zu perfekt. Den Monat seit Valentinstag war es noch viel schöner geworden zwischen uns. Mittlerweile musste ich mir eingestehen, dass es nicht so einfach werden würde, ihm den Laufpass zu geben. Anderseits hätte ich auch nicht gewusst, weshalb ich das tun sollte. Ja, wir konnten kein Paar werden, aber es war trotzdem alles gut zwischen uns. Wenn, dann hätte er wohl eher mir einen gegeben, wenn ich ihm zu aufdringlich wurde. Aber daran wollte ich gar nicht denken.
Doch Kil runzelte die Stirn. „Was machst du dann hier?“
„Warum sollte ich nicht herkommen?“, fragte ich verwundert, verstand bei seinem mahnendem Blick aber, was er meinte. „Kil, wir sind nicht zusammen! Er kommt doch auch noch her. Das ist völlig okay.“
„Bist du dir da sicher?“
„Ja?“ Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Wir haben uns doch schon öfter zufällig hier getroffen. Bisher hat er nichts Negatives gesagt. Und mich stört es bei ihm auch nicht.“
Kilian legte seine Hand auf meinen Arm. „Ich meinte auch, ob du sicher bist, dass ihr nicht zusammen seid.“
„Äh, klar. Sonst wüsste ich das doch!“ Ich musste lachen. Was war das denn für eine Frage?
„Natürlich.“ Er lachte ebenfalls und tätschelte meinen Arm. Dann sah er mich wieder fragend an. „Du wirkst trotzdem etwas abwesend. Sicher, dass du nicht doch lieber zu ihm willst?“
„Ja, er soll sich in Ruhe auskurieren.“ Dennoch konnte ich nicht verheimlichen, dass ich gern bei ihm gewesen wäre und ihn vermisste. Eine Woche ohne ihn war einfach zu lang. „Ich überleg nur, was ich ihm zum Geburtstag schenken soll.“
Kil lachte kurz und schüttelte den Kopf. „Wann hat er denn?“
„Nächsten Freitag. Wir haben zwar alle zusammen ein Geschenk für ihn, aber ich würd ihm gern noch allein was schenken, weil... Naja, du verstehst schon.“ Auch wenn wir nicht zusammen waren, war Roger für mich doch irgendwie mehr als nur ein Freund.
„Oh ja, ich versteh sehr gut“, feixte Kilian. „Schon Ideen?“
„Nein, keine Ahnung. Es soll ja was Besonderes sein. Und nicht wieder so doof wie Valentinstag. Er hat für uns gekocht und ich Idiot hab ihm ein Kochbuch geschenkt“, gab ich verlegen zu. Mir war das immer noch etwas peinlich, auch wenn Roger es mit Humor genommen hatte. „Da hätte ich ihn auch gleich beleidigen können.“
„Lass mich raten, er hat sich trotzdem gefreut?“ Kilian lachte mich an.
In solchen Momenten wurde mir immer bewusst, warum Trevor sich in ihn verliebt hatte. Er war einfach ein toller Mann, wenn auch für mich sexuell und romantisch vollkommen uninteressant. Dieser Spargeltarzan war überhaupt nicht mein Typ. Ich nickte.
„Warum schenkst du ihm dann nicht das, was er vermutlich am meisten will?“ Was Roger am meisten wollte? Woher sollte ich das denn wissen? Scheinbar stand mir die Frage ins Gesicht geschrieben, denn Kil lehnte sich etwas über den Tresen und tippte mir gegen die Brust. Dabei zwinkerte er mir kurz zu, bevor er sich wieder zurückzog.
Ich verdrehte die Augen. Na toll, er hatte gut reden. Wie sollte ich das denn anstellen? Außerdem wusste ich nicht einmal, ob Roger das wirklich wollte. Nein, ich war sogar sicher, dass er das nicht wollte.
Aber mir fiel etwas anderes ein, dass ihm gefallen würde. Ich griff nach Kilian, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und lächelte ihn dann an. „Danke!“
Er lachte und schüttelte den Kopf. „Bitte. Aber da hättest du auch selbst drauf kommen können.“
„Vielleicht. Manchmal braucht es eben doch etwas Hilfe.“ Ich zwinkerte ihm zu. Was ich wirklich vorhatte, musste ich ihm nicht auf die Nase binden.
„Hey, das solltest du vielleicht nicht Trevor sehen lassen, dass du mit seinem geliebten Kilian flirtest“, hörte ich eine bekannte Stimme feixend neben mir.
Ich sah mich nach dem kleinen Blonden um. Er stand halb hinter mir und grinste mich an. Wie jeder Stammgast hier wusste auch er, dass Trevor und Kilian tabu waren. „Hi, Fred. Setz dich. Vor Trev hab ich weniger Angst als vor Kilian. Wenn ich seinen Freund anmache, wird er zur Furie.“
Kilian lachte und wir zwinkerten uns zu. Die Sache war so lange her, dass wir mittlerweile alle darüber lachen konnten. Kilian wusste, dass ich wenn dann nur noch zum Spaß mit Trev flirtete. Und dieser wusste das ebenfalls. Ich wäre zu keiner Zeit auf die Idee gekommen, mich zwischen sie zu drängen. So offen ich auch für vieles war, mich zwischen ein Paar zu drängen, war für mich ein absolutes No-Go.
„Kann ich ja kaum glauben, dass unser lieber Kil schlimmer sein soll als der alte, mürrische Trevor.“ Fred schüttelte lachend den Kopf.
„Du kannst es ja mal ausprobieren“, forderte Kil ihn scherzhaft heraus.
Ich lehnte mich zu Fred und tat, als flüsterte ich ihm etwas zu, sprach aber laut genug, damit der Barkeeper es ebenfalls hörte: „Vorsicht, der kratzt dir die Augen aus und zieht an den Haaren. Der nutzt ganz gemeine Tricks. Schau, siehst du die Narbe? Das war Kilian, als er Trev und mich beim Fummeln erwischt hat.“
„Hey, das ist nicht fair! Lass nicht die halbe Story weg! Die beiden meinten nämlich, es sei ’ne clevere Idee, das in ’nem Lagerraum neben ’nem wackligen Regal zu tun! Ich hab mich nur erschrocken, als ich sie gesehen hab, und dabei das Regal umgeworfen. Dass die Kiste Toby am Kopf getroffen hat, ist nicht meine Schuld!“ Kilian zwickte mir empört in den Unterarm.
Lachend zog ich ihn weg. „Siehst du, wie gemeingefährlich er werden kann? Magst du eigentlich was trinken?“
Fred, der uns die ganze Zeit lachend beobachtet hatte, nickte und holte sein Geld hervor. „Gern, danke. Ich nehm dasselbe.“
„Eine Cola, kommt sofort.“ Recht zügig erhielt Fred sein Getränk, dann verabschiedete sich Kilian. „Ich lass euch beiden Hübschen mal allein und arbeite weiter.“
„Viel Spaß“, wünschte der Blonde ihm. An mich gewandt fragte er: „Also du und Trevor? Kann ich mir nicht vorstellen.“
„Das ist ewig her und da ist auch nie wirklich was gelaufen.“ Ich wusste, dass die beiden kein Problem damit hatten, wenn ich die Geschichte erzählte, sie taten es selbst manchmal, allerdings ohne Details oder meinen Namen zu nennen. „Es kam nur zu dem Gefummel und das war schon ein Desaster, bevor Kil uns erwischt hat. Er dachte, wir streiten, und wollte sehen, ob er es schlichten kann. Es hat ihn etwas überrascht, dass wir offensichtlich auf denselben Typen standen.“
„Und ihr seid trotzdem noch befreundet?“, fragte Fred skeptisch nach, schien das nicht glauben zu können.
„Klar, warum nicht? Als klar war, dass zwischen Trev und mir sowieso nichts laufen würde und die beiden sich noch an dem Abend näher gekommen sind, nachdem sie mich in der Notaufnahme abgeliefert hatten, gab es keinen Grund, sich zu streiten.“ Ich zuckte mit den Schultern. Trevor war mir einfach zu dominant, wir waren nicht einmal beim Fummeln damit klar gekommen und hatten beide das Sagen haben wollen. Da war an mehr gar nicht zu denken gewesen. Ich drückte die aufgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus.
„Und du warst nie eifersüchtig?“ Fred rutschte etwas näher zu mir, legte eine Hand auf meinen Oberschenkel. Natürlich, sobald die Zigarette aus war, konnte ich auch nach unten, da wollte er nicht mehr so viel Zeit vertun. Ich lächelte ihn an.
„Doch. Darauf, dass sie jemanden gefunden haben, mit dem sie glücklich sind.“ Ich legte meine Hand auf seine und strich den Arm hinauf. „Aber sicher nicht darauf, dass Kilian so ’nen tollen Kerl gefunden hat, mit dem es bei mir eh nicht funktioniert hätte. Sie sind ein tolles Paar.“
„Oh ja. Wobei ich nichts mit diesem Pärchengetue anfangen kann.“ Er lächelte mich an, als meine Hand seinen Nacken erreichte. „Apropos. Wo hast du denn deinen Kerl gelassen?“
„Meinen Kerl?“ Abrupt stoppte ich in der Bewegung.
„Du weißt schon, wen ich meine. Den großen Braunhaarigen. Der mit dem echt geilen Schwanz.“ Keck zwinkerte er mir zu. „Ich hätte Bock auf ’ne Wiederholung.“
„Nein, weiß ich nicht“, gab ich böse von mir und packte fester zu. Solche Gerüchte wollte ich gar nicht erst aufkommen lassen. Das würde weder Roger, noch mir guttun, wenn sich so etwas verbreitete. „Es gibt keinen ‚meinen Kerl‘. Und du solltest nicht solche Märchen verbreiten.“
„Oh, umso besser, dann gibt es auch für niemanden einen Grund, eifersüchtig zu werden. Dennoch hätte ich nichts gegen ein Wiederholung“, schnurrte er in mein Ohr.
Gut, dann hatten wir das geklärt. Bei ihm war ich mir eigentlich sicher, dass er es auf sich beruhen lassen würde. Dann konnten wir ja zum angenehmen Teil des Abends kommen.
„Ich wüsste nicht, dass du hier Wünsche anbringen dürftest“, knurrte ich und packte ihn am Haaransatz. Das leise Keuchen aus seinem Mund verriet mir, dass es ihm gefiel und er das Spiel verstand. Ich zog ihn auf die Beine, legte mein Portemonnaie auf den Tresen und zerrte ihn in Richtung Treppe. „Das sollte ich dir ganz schnell wieder austreiben!“
„Natürlich. Es tut mir leid. Ich mach es wieder gut“, hauchte er, während wir nach unten gingen.
Bis zu Rogers Geburtstag überlegte ich immer wieder, wie ich ihm sein Geschenk überreichen wollte und wann. Zuerst war ich auch noch unsicher gewesen, ob ich das wirklich wollte, doch schon nach zwei Tagen hatte ich mich selbst davon überzeugt, dass es eine gute Idee war. Er würde sich sicher darüber freuen. Damit es aber wirklich klappte, hatte ich die anderen darum gebeten, Rogers Einladung, bei ihm zu schlafen, auszuschlagen. Ich wollte ihn in der Nacht für mich allein haben.
Außerdem war ich direkt nach der Arbeit zu ihm gefahren und hatte geholfen, alles für die Feier vorzubereiten. Während er kochte, hatte ich mich darum gekümmert, ein paar Sitzgelegenheiten zu schaffen. Denn zu sechst würden wir nicht auf Rogers Bett passen und das war in der kleinen Wohnung sonst die einzige Sitzmöglichkeit. Daher hatte ich zwei große Sitzsäcke von Lena geliehen, die meine Eltern netterweise mit dem Auto hergebracht hatten. Morgen würden sie mich dann wieder abholen. Außerdem würden Bobby und Anthony später noch ein paar Klappstühle mitbringen.
Doch im Moment wollte ich noch ausnutzen, dass wir allein waren und ging zu Roger in die Kochnische. Ich lehnte mich an seinen Rücken und küsste ihn in den Nacken, während ich mir einen Löffel schnappte. Er ließ sich jedoch nicht ablenken und schlug mir auf die Finger. „Du musst auch warten.“
„Warum bekomm ich nicht mal ’ne Extraportion? Ich hab doch sogar geholfen“, fragte ich gespielt beleidigt und beschäftigte mich weiter mit seinem Nacken. „Dabei wollte ich nur kosten. Aber dann knabber ich eben ein wenig an dir.“
Er genoss es offensichtlich, lehnte sich nach hinten an mich. Nach einem Seufzen fragte er: „Du bleibst heute hier, oder?“
„Mhm. Ich freu mich schon auf später.“ Ich hoffte, dass er mir meine Nervosität nicht anhörte. Um ihn weiter abzulenken, schob ich meine Hände an seinem Bauch unters T-Shirt. „Aber erst mal solltest du dich umziehen. Die Jungs müssten gleich hier sein.“
„Hmm. Kann ich die nicht einfach wieder ausladen?“, murrte er, während er sich mir entgegen schob.
Ich lachte und biss ihm ins Ohr. Dann verpasste ich ihm einen Klaps auf den Hintern und ließ ihn los. „Kannst du schon. Aber sie würden es dir sicher übel nehmen, wenn du jetzt einfach nicht aufmachst. Na los, wir haben nachher noch genug Zeit für uns.“
„Na gut.“ Er drehte sich kurz zu mir um und erhaschte sich einen Kuss, bevor er sich Klamotten aus dem Schrank suchte und ins Bad verschwand.
Während Roger noch im Bad war, klingelte das Telefon. Da ich nicht sicher war, ob er es dort hörte, klopfte ich an die Tür. Von drinnen rief er bereits: „Kannst du kurz rangehen? Will grad unter die Dusche.“
Ich sollte für Roger ein Telefonat annehmen? An seinem Geburtstag? Kurz schluckte ich, dann nahm ich ab. „Bei Brooks. Toby Blanchett am Apparat.“
„Äh. Kann ich Roger sprechen?“, fragte mich eine junge Frauenstimme.
„Roger ist gerade im Bad. Ich kann ihm gerne ausrichten, dass er zurückrufen soll“, bot ich an. War mir auch deutlich lieber, als mit jemandem zu telefonieren, von dem ich keine Ahnung hatte, wer es war.
„Sagen Sie ihm, dass Tatiana angerufen hat“, kam die zackige und unfreundliche Antwort, dann wurde sofort aufgelegt.
Ich starrte noch kurz das Telefon an, dann stellte ich es zurück und sah noch einmal nach dem Essen, das auf dem Herd warmgehalten wurde. Schnell naschte ich doch noch einen Löffel von der Suppe, dann setzte ich mich aufs Bett und wartete.
Nach etwa zehn Minuten kam Roger aus dem Bad und hockte sich zu mir. Ich zog ihn an mich und küsste ihn in die Halsbeuge. „Du riechst gut. Und siehst noch besser aus.“
„Danke“, schnurrte er. Ich neckte ihn etwas weiter und ließ meine Hände unter sein Hemd wandern. Lachend schob er sich von mir weg. „Ich glaub nicht, dass wir noch Zeit haben, alles wieder unordentlich zu machen.“
„Ich will nur dich dreckig machen“, raunte ich ihm ins Ohr und küsste ihn dann drängend. „Lass die anderen doch etwas warten.“
„Ach, du darfst sie warten lassen? Mit mir hast du gerade noch gemeckert.“ Roger legte den Kopf an meine Schulter und ließ sich von mir den Rücken streicheln.
„Da wusste ich noch nicht, dass du gleich so gut riechst.“ Ich küsste ihn leicht. „Übrigens wartet eine Tatiana auf deinen Rückruf. Mit mir wollte sie wohl nicht reden. Hat direkt wieder aufgelegt.“
„Tut mir leid. Meine Schwester ist manchmal ziemlich zickig. Dafür muss ich mir jetzt keine Sorgen mehr machen, wie ich die Beule in meiner Hose verberge.“ Ich konnte mich nicht erinnern, mal so ein klägliches Lächeln in Rogers Gesicht gesehen zu haben. Offenbar war er wenig begeistert. „Ich ruf sie mal zurück, bevor die Jungs kommen.“
Mit einem Seufzen stand er auf und holte das Telefon. Scheinbar wählte er schon im Flur, denn als er herein kam, sprach er bereits in den Hörer. „Hallo Tatiana. Du hast gerade angerufen?“
Nach einem Moment verdrehte er die Augen. Fragend hob ich den Arm, lud ihn ein, zu mir zu kommen, doch er schüttelte nur den Kopf.
„Weil ich gerade unter der Dusche war und ihn darum gebeten hab. ... Er hat mir geholfen, meine Wohnung herzurichten, weil ich gleich Besuch bekomme.“
Während Roger sprach, klingelte es an der Tür. Mit einer Geste bot ich ihm an, die Tür zu öffnen und er nickte dankbar. Ich betätigte den Summer und hörte beim Warten weiter dem Telefonat zu. „Ja, Besuch. Wie du sicher gerade gehört hast. ... Freunde, die mir zum Geburtstag gratulieren wollen. ... Danke. Ich dachte ...“
„Hey, kommt rein, seid aber etwas leise, Roger telefoniert gerade“, begrüßte ich die anderen, als sie oben waren. Hinter dem letzten schloss ich die Tür und ging mit ihnen gemeinsam ins Wohnzimmer. Wir stellten die Stühle auf und verteilten uns im Raum.
„Was ist denn da los“, flüsterte mir Anthony zu, sobald er saß. Während ich die anderen begrüßt hatte, hatte ich Roger nicht zugehört und erst jetzt fiel mir auf, dass er laut geworden war.
„Tatiana, das sind einfach nur Freunde! ... Tatiana! Lass das sein!“, schrie er fast schon verzweifelt. Dann starrte er das Telefon in seiner Hand an. Wütend warf er es auf das Bett neben mich. „Scheiße!“
Ich stand auf, ging zu ihm und zog ihn in meine Arme. „Hey, was ist los?“
„Ich hab doch gesagt, dass meine Schwester doof ist...“ Er legte seinen Kopf auf meine Schulter und ließ sich kurz streicheln. Dann drückte er mich von sich und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Danke. Hey, sorry, aber ich musste sie noch zurückrufen.“
„Nicht schlimm. Komm mal her, dass wir dir gratulieren können“, forderte Terrence ihn auf. Nacheinander drückten sie ihn und gratulierten. Mit jedem weiteren Glückwunsch hellte sich Rogers Miene weiter auf.
Als letztes war Greg an der Reihe und überreichte ihm auch unser Geschenk. „Ich wünsche dir alles Gute. Toby hat erzählt, dass du gerne schwimmen gehst. Da dachten wir uns, das wäre eine gute Idee.“
Roger nahm strahlend die Geschenktüte entgegen und setzte sich damit aufs Bett. Sofort begann er sie auszuräumen. Zuerst kam eine pinke Badehaube zum Vorschein. Die hatten wir uns einfach nicht verkneifen können. Denn mittlerweile war ich durchaus der Meinung, dass auch die Glitzerhose und das tuntige Shirt, die er den einen Abend in Trevors Club getragen hatte, zu Roger passten. Sie unterstrichen nur seine fröhliche, ungezwungene Ader. Ohne zu zögern zog er sich die Haube auf den Kopf. „Oh toll, so eine wollte ich schon immer haben.“
Wir alle lachten, während er sich voll Enthusiasmus über den Rest hermachte. Als nächstes zog er das große, flauschige Handtuch hervor. Darüber schien er sich auch ehrlich zu freuen und kuschelte direkt sein Gesicht hinein. Da dies kein Spaßgeschenk war, hatten wir uns für dunkelblau entschieden, welches das Pink auf seinem Kopf noch viel mehr leuchten ließ.
Während er das Tuch an sich drückte, fiel ein Umschlag heraus. Neugierig langte er danach und öffnete ihn. Sofort strahlte er noch mehr. Er sah allen kurz ins Gesicht. „Danke euch!“
„Bitte schön. Sag einfach Bescheid, wann du gehst. Wir kommen natürlich alle mit“, bot Darius an. Dann fügte er hinzu: „Aber in die Sauna gehst du am besten trotzdem allein mit Toby.“
„Hast du Angst, wir kucken dir was weg?“, feixte Roger.
„Glaub mir, da gibt es nicht viel zu kucken“, stieg ich ein und fing mir einen Schlag auf den Hinterkopf von Darius. Dennoch lachte er.
„Ich will kein Spielverderber sein, aber was gibt es eigentlich zu essen? Ich hab wirklich Kohldampf, hab heute noch nichts gegessen“, jammerte Bobby.
„Ich hab Gulaschsuppe gemacht. Ich stell mal Schüsseln raus, dann kann sich jeder nehmen, wann er mag.“ Damit stand Roger auf und ging hinüber an die Küchenschränke. Dabei fiel sein Blick auf den Löffel, der fein säuberlich abgeleckt neben dem Herd lag. „Toby!“
„Was ist denn?“, fragte ich unschuldig.
Er warf mir einen mahnenden Blick zu und hielt den Löffel in meine Richtung. „Ich hab doch gesagt, du sollst nicht naschen!“
„Aber das roch so gut! Und du hast so lange im Bad gebraucht. Da hab ich Hunger bekommen“, redete ich mich heraus.
„Nehmt euch, wenn ihr wollt“, bot er an und kam mit dem Löffel in der Hand wieder zurück. Er ließ ihn gegen meinen Oberarm schnipsen. „Ernsthaft, man kann dich keine fünf Minuten allein lassen!“
„Sollst du ja auch gar nicht,“ hauchte ich ihm ins Ohr und gab ihm dann einen Kuss auf die Wange.
„Ihr seid heute wieder echt schlimm“, kommentierte Terrence.
Ich zuckte nur mit den Schultern. Er hatte ja Recht. Dafür, dass unsere Freunde da waren, kamen wir uns heute ziemlich häufig nahe. Bis auf den ersten Abend, wo wir auch eher froh gewesen waren, den anderen wiederzuhaben, kam es selten vor, dass wir in ihrem Beisein kuschelten oder knutschten. Aber im Moment hatte ich das Gefühl, dass Roger das einfach brauchte und suchte. Auch wenn er lächelte und scherzte, hatte ich das Gefühl, dass er noch nicht ganz wieder der Alte war.
„Ach, lass die beiden doch. Sein wir doch froh, dass Toby jemanden gefunden hat, der es länger als ein paar Wochen mit ihm aushält“, nahm Anthony uns in Schutz. Dann schien er kurz zu überlegen. „Immerhin sollten wir Roger mittlerweile auch schon fast ein halbes Jahr kennen, oder?“
„Oh, stimmt“, kam es von diesem. Dabei glitt sein Blick zu mir und er lächelte mich kurz an.
Ein wohliger Schauer lief über meinen Rücken. Ich wollte mehr davon! Ich lächelte zurück und gab ihm dann einen sanften Kuss.
„Toby, du solltest ihm unbedingt einen Heiratsantrag machen! Einen Kerl, der so gut kochen kann, findest du sicher nicht so schnell wieder“, mischte sich Bobby ein, der sich natürlich direkt an der Suppe bedient hatte.
Etwas schüchtern sah ich zu Roger, der ebenfalls den Blick gesenkt hatte. Sofort schlug mein Herz höher.
„Ach, als würde Toby jemals heiraten. Selbst wenn er irgendwann mal dürfte. Oder kann sich jemand von euch Toby als verheirateten Mann vorstellen?“, fragte Terrence in die Runde. Alle zuckten mit den Schultern, als wollten sie sagen: Warum nicht?
Zu meinem Erstaunen war Roger der einzige, der sich direkt äußerte. „Natürlich. Toby ist ein unglaublich toller Kerl. Warum sollte jemand ihn nicht wollen?“
Ich sah Roger aus großen Augen an, während Anthony mit den Augenbrauen wackelte. Meinte Roger das wirklich ernst?
Doch Terrence ließ sich natürlich von seinem Standpunkt nicht abbringen. „Keine Ahnung, frag mal die vielen Kerle, die ihm schon den Laufpass gegeben haben.“
„Dann waren die dumm, tut mir leid“, behauptete Roger felsenfest.
War ihm eigentlich klar, was er da sagte? Noch immer lächelte mir Anthony vielsagend zu. Zumindest verstand auch er, was Roger ausdrückte. Oder zumindest fasste er es genauso auf wie ich.
„Ehm, Jungs, ich stör ja nur ungern, aber das Spiel fängt gleich an“, erinnerte uns Greg.
Sichtlich dankbar für die Ablenkung griff Roger zur Fernbedienung und suchte den richtigen Sender. Wir holten uns noch alle eine Schüssel Suppe, dann herrschte gefräßige Stille.
Erst als wir zum Spiel der Celtics umschalteten, kam wieder mehr Leben in uns. Denn Rogers Geburtstag bewahrte ihn nicht vor unserem kleinen Spiel. Geduldig nahm er es hin und freute sich am Ende umso mehr über den Sieg.
„Alles gut?“, fragte Roger und löste die Handschellen. Erschöpft nickte ich und ließ mich von ihm in seine Arme ziehen. Woher hätte ich auch wissen sollen, dass mich das so fertig machen würde? Scheiße, ich hätte bis morgen warten sollen. Roger küsste meinen verschwitzten Nacken. „Ich hab dir aber nicht wehgetan, oder?“
„Nein, alles gut“, hauchte ich. Noch immer konnte ich Rogers Hände überall an meinem Körper spüren. Ich hatte ja mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Häufig würde ich das sicher nicht mitmachen.
Roger strich mir den Pony aus der Stirn und kuschelte sich von hinten an mich. Seine Hand streichelte über meinen Bauch. Kurz ließ er mich zur Ruhe kommen, dann fragte er: „Wie war’s?“
„Anders... Ich weiß nicht, womit ich gerechnet hab, aber sicher nicht damit. Das eine Mal hast du was von Schlagen erzählt.“
Roger lachte leise. „Ja, mit dem Kissen, weil du nicht stillhalten wolltest. Aber eigentlich wollte ich dich nur in Ruhe verwöhnen können. Ohne, dass du mir dazwischen funkst.“
„Das hast du geschafft“, raunte ich und drückte mich noch näher an ihn. Gerade brauchte ich das. Einfach von ihm gehalten werden.
„Schön.“ Das Schmunzeln war deutlich in seiner Stimme zu hören. Er verwöhnte meinen Hals mit seinen Lippen. Offensichtlich genoss er, dass ich noch immer nicht in der Lage war, mich großartig zu rühren. In mein Ohr flüsterte er: „Und wie süß du betteln kannst.“
Verlegen zog ich den Kopf etwas ein. Er sollte das nicht erwähnen. Das war mir einfach nur peinlich. Er hatte mich dazu gebracht ihn anzuflehen! Mich! Wenn das jemand erfuhr, würde mich niemand mehr ernst nehmen. Wenn ich mir vorstellte, Fred würde davon erfahren... Er würde mich doch auslachen!
„Wie kommt’s, dass du’s jetzt doch versuchen wolltest?“, fragte Roger nach einer Weile. Offenbar hatte er bemerkt, dass ich in meinen Gedanken feststeckte. Ich rollte mich auf den Rücken, um ihn ansehen zu können. Sofort legte er den Kopf auf meine Brust und schlang den Arm wieder um mich.
„Ich wollte dir noch allein etwas schenken. Und dann fiel mir ein, dass du gesagt hast, du würdest das gern mal ausprobieren. Und weil ich dir vertraue, war es in Ordnung.“ Ich war sicher, bei jedem anderen Mann hätte ich es sehr schnell abgebrochen. Die ganze Situation war so... demütigend. Bewegungsunfähig vor einem anderen Mann liegen, der mit einem tun und lassen konnte, was er wollte, lediglich die Möglichkeit, sich verbal dagegen zu wehren. Aber ich hatte es mit ihm getan. Weil ich ihm vertraute und gespürt hatte, wie sehr es ihm gefiel, mich hinzuhalten, immer wieder Pausen zu machen, damit ich herunterkam, nur um mich dann erneut anzuheizen.
„Und, wie war es für dich?“ Offensichtlich war er nun im Nachhinein doch unsicher.
Ich strich ihm durch die Haare. „Es war gut. Sicher, ich kann mir nicht vorstellen, das jedes Mal zu machen. So ganz ist es nicht meins. Aber es war trotzdem gut.“
Sollte es nicht Indiz genug sein, dass ich ihn, ohne auch nur darüber nachzudenken, angefleht hatte? Und das nicht nur einmal?
Er lächelte mich an, küsste sanft meine Lippen. „Kann ich verstehen. Wäre mir auch zu viel. Aber eine Wiederholung klingt gut.“
„Dann aber nicht nach so ’nem langen Tag. Ich bin ziemlich fertig.“ Ich zog ihn näher an mich und hatte trotzdem das Gefühl, nicht ganz runterzukommen. Einerseits war ich müde und ausgelaugt, anderseits noch sehr aufgekratzt. Ich wusste, wie ich mich beruhigen konnte, immerhin war es nicht das erste Mal, dass ich so unruhig wurde. Aber das würde Roger nicht gefallen.
„Nein, das sollte etwas Besonderes bleiben.“ Seine Finger zogen verträumte Kreise auf meinem Bauch.
Ich brauchte nicht einmal fragen, um sicher zu sein, dass ihm mein Geschenk gefallen hatte. Und wenn ich ihn so sah, bereute ich es auch nicht.
„Wollen wir schlafen? Aufräumen können wir morgen“, fragte er und schloss dabei schon halb die Augen.
„Gern, nur... Ich kann so nicht schlafen.“ Roger rückte direkt von mir herunter, was mich schmunzeln ließ. „Nein, das mein ich nicht. Ich kuschel gern mit dir zum Einschlafen. Ich bin nur sehr aufgekratzt. Wäre es okay, wenn ich kurz runter gehe eine rauchen?“
Roger seufzte genervt, nickte aber. „Ja, okay.“
„Sorry, du weißt, dass ich das sonst nicht mache. Komm her.“ Ich zog ihn noch einmal fest an mich und küsste ihn drängend. „Tut mir leid.“
„Schon gut.“ Es war ihm anzusehen, dass es nicht so gut war, wie er tat, aber er sich damit abfinden würde. „Kommst du dann gleich wieder?“
Ich lächelte ihn an. „Wenn du mich dann trotzdem noch in deinem Bett haben willst, gern. Ich will auch nur rauchen und keine Zigaretten holen gehen.“
„Idiot.“ Lachend schlug er mir gegen die Brust. „Dann bis gleich. Nimm dir den Schlüssel mit.“
„Bis gleich.“ Ich stand auf und zog mich an, dann ging ich vor das Haus rauchen.
Natürlich hatte Roger in der Zeit doch aufgeräumt. Schnell ging ich ins Bad, um mir die Zähne zu putzen. Als ich ins Zimmer kam, lag er auf dem Bett und lächelte mich an. Ich zog mich aus und legte mich dazu. „Na, kannst du jetzt schlafen?“
„Hoffentlich. Magst du herkommen und kuscheln oder riech ich so schlimm?“ Ich streckte die Hand nach ihm aus. Sofort rückte er näher und schlang die Arme um mich. Zufrieden seufzte ich. „Sorry, ich versuche, dass es nicht mehr vorkommt.“
„Schon gut. Es ist ja nur eine Ausnahme.“ Er küsste mich kurz auf die Wange. „Außerdem will ich nicht, dass du mir irgendwann vorhältst, ich hätte versucht, dich zu ändern.“
„Wenn dann nur zum Guten. Bisher hat sich noch jeder über deine Bedingungen gefreut“, erwiderte ich scherzhaft.
Er lächelte ebenfalls und legte den Kopf auf meiner Brust ab. Ich streichelte ihm den Rücken und genoss seine Nähe.
Nach einer ganzen Weile war ich immer noch nicht eingeschlafen. Doch auch Roger schien noch wach zu sein.
„Kannst du nicht schlafen?“
„Ich will nicht schlafen“, gab er zu.
„Wollen wir noch ein wenig reden?“ Eifrig nickte er und kuschelte sich näher. Fast hatte ich das Gefühl, er versuchte sich in mich zu legen. Das war schon ziemlich ungewöhnlich, dass er so an mir hing. „Was ist denn los?“
„Ich hab mich nur gefragt... Terrence hat doch vorhin gesagt, dass so viele dich nicht wollten... Hast du eigentlich im Moment noch andere Dates?“ Er klang eindeutig vorsichtig, während er die Frage stellte.
Verwundert sah ich ihn an. Warum fragte er mich das? Nein, die Antwort, die ich darauf hoffte, war einfach zu abwegig. „Das weißt du doch.“
„Nein, ich meine nicht deine kleinen Abenteuer in der Bar. Ich meine wirkliche Dates“, präzisierte er und brachte damit meinen Herzschlag aus dem Rhythmus.
Kurz überlegte ich zu lügen, dann ließ ich es jedoch. Es brachte eh nichts. Wenn er damit das implizierte, was ich insgeheim hoffte, wollte ich ihn einfach nicht anlügen. „Im Moment nicht. Aber ich hatte auch schon ein paar dieses Jahr. Aber da war nicht wirklich was dabei. Warum fragst du?“
Roger seufzte. „Weil ich wissen wollte, ob du im Moment jemanden suchst.“
„Nein“, antwortete ich ohne darüber nachzudenken. Mit den Fingern strich ich über seinen Rücken. „Sie haben mich gefragt und ich war so nett mal mit ihnen auszugehen, hab ihnen aber direkt gesagt, dass ich im Moment niemanden suche.“
Roger schob sich leicht von mir weg. „Warum nicht? So wie deine Freunde reden, hättest du gern jemanden.“
„Weil es so, wie es im Moment ist, gut ist.“ Ich lächelte ihn an und strich ihm durch die Haare. Ich konnte mich nicht erinnern, mal mit einem anderen Mann glücklicher gewesen zu sein.
„Toby, ich will dich nicht davon abhalten, jemanden zu finden, der dich glücklich macht“, erklärte er mit eindringlicher Stimme, zerstörte damit die aufkeimende Hoffnung. Dennoch wehrte er sich nicht dagegen, wieder in meine Arme gezogen zu werden.
„Tust du nicht. Ich bin es nur leid, ständig abgewiesen zu werden. Ich weiß, dass du keine Beziehung willst. Das ist okay. Ich kann es verstehen. Dennoch hab ich lieber dich, solange du es zulässt, als niemanden.“ Ich hoffte einfach, dass er den letzten Satz nicht falsch verstand. Und auch nicht die leise Enttäuschung hörte. Es war bescheuert gewesen, aber irgendwie hatte ich gehofft, dass er mir sagen wollte, dass ich nicht mehr suchen musste.
„Ist gut. Ich will dir nur nicht im Weg stehen.“ Ich versicherte ihm noch einmal, dass er das nicht tat und zog ihn dann eng an mich. Dennoch meinte er, sich weiterhin entschuldigen zu müssen: „Tut mir leid, dass ich es dir so schwer mache.“
Ich schüttelte nur den Kopf. Ihm noch mal widersprechen, hätte nichts gebracht. Er kuschelte sich näher an mich und bald schliefen wir ein.
Am nächsten Morgen wurden wir durch das Telefon geweckt. Murrend erhob Roger sich und schlurfte in den Flur. Ich stand ebenfalls auf und ging ins Bad, wo ich mich frisch machte.
Roger telefonierte noch immer, als ich mich danach zurück ins Zimmer schlich und Kaffee aufsetzte. „Tatiana übertreibt mal wieder. ... Ja, ein paar der Jungs haben hier übernachtet, weil sie in ’nem anderen Viertel wohnen. ... Nein, braucht ihr nicht. Es ist alles gut. ... Ja gut, bis später.“
Roger war deutlich angepisst. Wütend legte er auf und stampfte in den Flur. Besorgt sah ich ihm nach, wollte ihn fragen, was los war, doch er kam erst mal nicht wieder. Stattdessen hörte ich einen Moment später die Dusche. Also entschied ich mich, erst einmal Frühstück zu machen. Bei einem zufälligen Blick auf die Uhr, stellte ich fest, dass es noch nicht einmal acht war.
„Hey, alles okay?“ Ich nahm Roger in den Arm und küsste ihn sanft auf die Wange, als er aus dem Bad kam, kaum dass ich mit den Vorbereitungen fertig war. Ihm war noch immer deutlich anzusehen, dass etwas nicht stimmte.
„Nein.“ Wenigstens war er ehrlich. Seufzend lehnte er sich an mich. „Meine Eltern kommen nachher vorbei und wollen nach dem Rechten sehen. Tatiana hat gepetzt. Sie glauben, dass ich einen Mann hier hab.“
„Soll ich verschwinden?“, fragte ich und streichelte über seinen Kopf. Wenn seine Schwester ihm solchen Ärger bereiten konnte, erklärte das auch, warum er gestern nach dem Telefonat so schlecht drauf gewesen war.
„Nein, bitte nicht. Sie kommen erst in fünf Stunden. Kannst du so lange bleiben? Ich will ihnen zeigen, dass nichts ist. Wenn das für dich okay ist?“ Hoffnungsvoll sah er mich an.
„Ich schätze ich soll deinen Kumpel spielen?“ Leicht verlegen nickte er. Ich seufzte. Als könnte ich ihm irgendwas abschlagen. „Ist gut. Auch wenn ich das nicht gern mache, das weißt du. Aber wenn es dir Ärger erspart... Ich muss dann nur meine Eltern anrufen. Wann sollen sie mich abholen?“
„So gegen zwei? Ich will nicht, dass du meine Eltern zu lange ertragen musst.“ Roger begann leicht zu zittern.
„Gut, dann gib mir mal das Telefon.“
Er holte es aus dem Flur und wir setzten uns zusammen auf sein Bett. Während ich telefonierte, ließ er sich von mir streicheln. Offensichtlich warf ihn das Ganze ziemlich aus der Bahn. Da Lena noch Training hatte, musste Mum mich etwas früher abholen, aber es sollte ausreichen, dass ich noch auf seine Eltern traf.
Wir frühstückten gemeinsam, dann richteten wir die Wohnung so her, dass nichts mehr darauf hindeutete, dass ich in seinem Bett geschlafen hatte oder sonst etwas zwischen uns lief. Außerdem backte Roger mal eben nebenbei einen Kuchen.
Als wir fertig waren, kramte er in der Schublade unterm Tisch und packte einiges in eine Tüte. Diese drückte er mir in die Hand. „Kannst du die in deine Tasche packen? Ich will nicht, dass sie die Sachen finden.“
Neugierig schaute ich hinein. Überrascht keuchte ich auf und sah ihn fragend an.
„Ich war halt neugierig, ob es mir nicht vielleicht doch gefallen könnte.“ Roger klang etwas verlegen.
„Darüber reden wir noch mal, wenn wir uns das nächste Mal allein sehen, Süßer“, drohte ich scherzhaft. Es war für mich vollkommen in Ordnung, ich hatte ja auch mein Spielzeug. Um zu verdeutlichen, dass ich es ihm wirklich nicht krumm nahm, zwinkerte ich ihm zu. „Immerhin bist du mir was schuldig.“
„Na gut“, gab er sofort nach.
Ich seufzte und zog ihn in meine Arme. Offensichtlich hatte er es nicht verstanden. Die Sache mit seinen Eltern schien ihm wirklich zu schaffen zu machen. „Hör mal, du schuldest mir gar nichts. Und wenn du das nicht willst, ist es okay. Ich frage mich nur, warum dir das Spielzeug so wichtig ist.“
„Naja, ich dachte, ich kann mich vielleicht daran gewöhnen oder so. Keine Ahnung. Ich hatte nur Angst, dass es dir vielleicht irgendwann zu langweilig wird, wenn ich dir nur einen blase. Daher...“ Er wurde vom Klingeln an der Tür unterbrochen. Mit einem ängstlichen Blick löste er sich von mir.
„Es wird alles gut. Noch ein Kuss, dann ist alles gut, hörst du?“ Er nickte und ließ sich von mir küssen. „So, jetzt mach die Tür auf. Ich deck schon mal den Tisch.“
„Danke dir.“ Er straffte seine Schultern und ging zur Tür, während ich erst die Tüte mit seinem Spielzeug und ein paar Heftchen in meiner Tasche verstaute und dann zügig den Tisch deckte.
Roger begrüßte seine Eltern im Flur, dann informierte er sie, dass ich noch da war. Gemeinsam kamen sie ins Wohnzimmer. Seine Eltern wirkten eigentlich ganz nett, waren ganz normale Leute. Ich ging auf sie zu und reichte ihnen lächelnd die Hand. „Hallo, ich bin Toby.“
„Hallo Toby. Ist das der Kerl, der dir gestern geholfen hat?“, fragte Rogers Dad. Sein Sohn nickte. „Ah, da bin ich ja beruhigt.“
„Setzt euch. Ich hab gebacken“, lud Roger sie ein. Gemeinsam setzten sie sich aufs Bett, während Roger und ich uns auf die Sitzsäcke setzten. Misstrauisch betrachteten sie die ganze Wohnung, schienen sie nach Hinweisen abzusuchen. Doch scheinbar fanden sie vorerst nichts.
Gemeinsam tranken wir fast schweigend den Kaffee und aßen den Kuchen. Irgendwann wurde mir das Schweigen zu viel. „Was führt Sie denn hier her?“
„Wir wollten mal nach dem Rechten sehen. So eine große Stadt birgt ja so einige Gefahren für einen jungen Mann“, antwortete Rogers Mutter diplomatisch.
„Oh, schön. Und wie lange wollten Sie bleiben?“, führte ich das Gespräch verkrampft weiter. Vielleicht hätte ich es doch gar nicht erst anfangen sollen.
„Vermutlich bis Montag. Wir suchen uns später noch ein Hotelzimmer. Hier können wir ja schlecht schlafen.“
„Wo haben Sie eigentlich geschlafen?“, fragte Rogers Vater plötzlich misstrauisch geworden.
„Im Schlafsack auf dem Boden“, antwortete ich schnell. Hoffentlich würden sie denken, er wäre in meiner Tasche. Groß genug war sie. Aber eine andere Ausrede fiel mir auch nicht ein.
„Ist das nicht sehr unbequem?“
„Nein, es geht schon. Ist ja nur eine Nacht.“ Möglichst selbstsicher lächelte ich die beiden an. Ich war einfach nicht gut im Lügen. Wenn sie so weiter fragten, würde mir schnell nichts mehr einfallen.
Doch Roger sprang schnell ein und lenkte ab. „Wie war eigentlich die Fahrt?“
„Sehr gut. Und sogar pünktlich“, sprang seine Mutter darauf an.
Doch leider nicht sein Vater: „Schlafen Sie öfter hier?“
„Ab und zu.“ Ich hoffte einfach, dass das unverfänglich genug war.
Ein Klingeln an der Tür rettete mich jedoch davor, mir weiter darüber Gedanken machen zu müssen. Schnell verabschiedete ich mich. „Entschuldigen Sie mich, das müsste meine Mum sein, sie hat es eilig. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Aufenthalt.“
„Moment, ich helf dir beim Tragen“, bot Roger an und schnappte sich einen der Säcke.
Gemeinsam gingen wir nach unten, wo Mum auf uns wartete.
„Hallo Mrs. Blachett“, grüßte Roger.
„Hallo Roger. Alles Gute nachträglich. Habt ihr gut gefeiert?“ Er bestätigte mit einem Lächeln. „Schön, dass deine Eltern spontan noch vorbeigekommen sind. Tut mir leid, wir müssen uns etwas beeilen, aber wir sehen uns sicher wieder.“
„Ja, natürlich. Danke Toby.“ Ihm stand deutlich ins Gesicht geschrieben, dass er nicht wieder nach oben wollte. Doch ich unterdrückte das Bedürfnis ihn in den Arm zu nehmen und zu küssen. Das würde für ihn alles noch schlimmer machen.
„Schönen Tag noch. Und lass dich von deinen Eltern nicht stressen.“ Ich winkte ihm lächelnd zu und stieg ein.
„Seit wann bist du so kühl zu Roger?“, fragte Mum, als sie den Motor gestartet hatte.
„Wieso kühl?“, stellte ich überrascht die Gegenfrage. „Oh, und hallo Kröte.“
Lena grüßte von der Rückbank zurück, während meine Mum mir erklärte: „Sonst drückst du deine Freunde doch immer. Habt ihr euch wieder gestritten?“
„Ach so, nein. Es ist nur... Seine Eltern halten wohl nicht viel von Schwulen und man kann vom Küchenfester genau hier runter sehen. Ich will ihn nicht in Schwierigkeiten bringen“, versuchte ich es mit der Halbwahrheit. Den zweiten Grund, dass ich Roger sonst gerne hätte küssen wollen, verschwieg ich.
„Ah, das erklärt einiges. Tut mir leid für ihn. Du hattest aber keinen Ärger mit ihnen?“ Schnell schüttelte ich den Kopf. „Gut. Aber schön, dass du früher nach Hause kommst. Dein Vater hat es wieder mit dem Fuß und die Hecke muss dringend geschnitten werden.“
Genervt stöhnte ich. „Ja, ist okay, mach ich.“
Die nächsten Wochen verliefen ruhig. In der ersten Aprilwoche gingen wir mit der ganzen Clique in das Spaßbad, für welches wir Roger den Gutschein geschenkt hatten.
Außerdem schaffte es Fred tatsächlich noch, Roger von einem weiteren Dreier zu überzeugen. Oder besser gesagt: Ich konnte ihm versichern, dass es von meiner Seite aus völlig in Ordnung war. Denn an sich schien er schon vorher nichts dagegen gehabt zu haben.
Zu Ostern fuhr ich wie versprochen für zwei Tage zu Peter und Mat. Peter und ich nahmen uns etwas Zeit für uns, verbrachten aber auch so viel Zeit wie möglich mit Mat. Als mich Mat einmal allein erwischte, versicherte ich ihm, dass sich bei mir nichts geändert hätte und noch immer kein Grund bestand, Peter verrückt zu machen.
Gewohnheitsgemäß begannen wir auch nach Ostern wieder mit dem Streetballspielen. Zu unser aller Freude kam auch Roger wieder regelmäßig dazu. Mittlerweile spielte er auch wieder richtig und ich hatte es nicht leicht, ihm den Ball abzunehmen, denn er war nun uns allen gegenüber deutlich gelassener und zeigte, was er wirklich drauf hatte.
Zudem begannen auch die Play-Offs, während denen wir uns noch häufiger zum Fernsehen trafen. Wenn nicht mit den Jungs, dann gern auch nur zu zweit. Da es sowohl die New York Knicks als auch die Boston Celtics ins Halbfinale der Eastern Conference geschafft hatten, drückten wir natürlich beiden Mannschaften die Daumen, um ein spannendes Finale zwischen den beiden sehen zu können.
Das jeweilige vierte Halbfinalspiel fand am selben Tag statt, deshalb hatte ich mir für den nächsten Tag Urlaub genommen und auch die Jungs kamen vorbei. Zu siebt verschanzten wir uns in meinem Zimmer und feierten die Spiele. Natürlich achteten wir darauf, nicht zu laut zu sein, da Lena im Nebenzimmer schlief, dennoch war es schön, mal wieder mit allen gemeinsam etwas zu unternehmen.
An diesem Tag zeigte sich jedoch noch kein Favorit, alle vier Mannschaften hielten es spannend. Sowohl die Knicks als auch die Cleveland Cavaliers schafften einen Ausgleich auf Zwei zu Zwei. Besonders für die Knicks war das wichtig, da sie die letzten drei Play-Off-Begegnungen gegen die Chicago Bulls jeweils verloren hatten. Da sah es für die Celtics schon besser aus, die gegen Cleveland beide bisherigen Begegnungen gewonnen hatten. Dennoch würden wir so noch mindestens zwei Spiele abwarten müssen, bis ein Gewinner feststand.
Bis auf Roger verabschiedeten sich alle nach dem letzten Spiel, da sie am nächsten Tag arbeiten oder ins College mussten. Zum Glück hatte er zur Zeit montags erst am Nachmittag eine Vorlesung.
Dennoch spürte ich, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Den ganzen Abend war er sehr ruhig gewesen und sein Lachen wirkte irgendwie unecht. Doch als ich ihn dann später im Bett darauf ansprach, behauptete er felsenfest, dass nichts sei. Da ich ihn nicht nerven wollte, beließ ich es dann auch dabei. Wenn es mich etwas anging, hätte er es mir schon gesagt.
Umso mehr erschrak ich, als ich am nächsten Morgen von einem Schluchzen geweckt wurde. Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, dass es von Roger stammte und nicht aus meinem Traum. Ich öffnete die Augen und sah, wie er sich mit dem Handrücken gerade Tränen aus den Augen wischte.
„Hey, was ist los?“ Vorsichtig drehte ich ihn auf den Rücken, damit ich ihm ins Gesicht sehen konnte.
Er wischte sich weitere Tränen aus dem Gesicht, sah mir kurz in die Augen, schluchzte erneut auf und klammerte sich dann an mich. Während er weinend sein Gesicht an meine Brust drückte, strich ich ihm hilflos über den Kopf.
Was war denn nur los? So hatte ich ihn noch nie erlebt. „Nicht weinen. Es wird alles wieder gut.“
Er schüttelte den Kopf, schniefte erneut und brachte dann hervor: „Ich will nicht gehen.“
„Was?“, fragte ich verwirrt und strich weiter liebevoll durch seine Haare. „Es ist doch noch Zeit. Es sind noch nicht einmal meine Eltern wach.“
Wieder schüttelte er den Kopf und klagte: „Ich will nicht weg von dir.“
Ein zärtliches Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Irgendwie schmeichelte es mir ja. Auch wenn es mich andererseits sehr verwirrte. Hatte er schlecht geschlafen? „Du kannst ja nach den Vorlesungen wiederkommen. Ich hab den ganzen Tag frei.“
„Das meine ich nicht“, schniefte er. Dabei klang er leicht böse, wohl weil ich ihn nicht verstand. Dann erklärte er: „Ich... Ich muss zurück nach Boston.“
Automatisch drückte ich Roger fester an mich. Nein, ich wollte ihn auch nicht gehen lassen! Verdammt, hätte er das nicht gleich sagen können? Dann hätte ich doch nicht so einen Blödsinn erzählt!
Eine Weile schwieg ich, kämpfte mit den Tränen, die in meine Augen stiegen. Dann fragte ich brüchig: „Wann?“
„Zum Ende des Semesters. Also Anfang Juli.“
Das war gerade mal etwas mehr als einen Monat hin! „Warum so plötzlich?“
„Meine Eltern haben meine Wohnung gekündigt. Sie haben es mir gestern gesagt.“
„Warst du deswegen gestern so schlecht drauf?“ Roger nickte. Sofern das ging, schlang ich meine Arme noch fester um ihn. So ganz wollte ich das noch nicht glauben. „Warum haben sie sie gekündigt? Und warum können sie das überhaupt?“
„Ich hätte mir die Wohnung nicht leisten können, deshalb haben sie die bezahlt. Sie meinen, New York würde mir nicht guttun. Vermutlich haben sie doch die Klamotten im Schrank gesehen. Und die Badehaube. Sie meinen, ich würde hier nur mit Schwuchteln rumhängen. Deswegen wollen sie die Wohnung nicht mehr bezahlen.“
„Und wenn wir zusammen ziehen?“ Nein, ich wollte Roger nicht gehen lassen! Wenn es eine Möglichkeit gab, ihn bei mir zu behalten, dann wollte ich sie auch nutzen.
„Was?“, fragte er ungläubig nach, schob sich etwas von mir weg und sah mich schockiert an.
Doch ich hielt an dem spontanen Vorschlag fest. Ich musste daran festhalten, um ihn nicht gehen zu lassen. „Ich verdien genug, ich kann mir ’ne eigene Wohnung leisten. Und wenn du ein wenig dazu tust, dann können wir auch ein zweites Schlafzimmer haben. Dann können wir behaupten, dass wir nur ’ne WG sind. Und du kannst dich zurückziehen, wenn es dir zu viel wird.“
Er lächelte mich an und schüttelte nach einem Moment aber traurig den Kopf. „Nein, das geht nicht. Ich mag die Idee, aber das geht nicht.“
„Warum nicht?“, fragte ich verzweifelt. Scheiße, warum lehnte er ab? „Es wird niemand wissen, dass wir mehr sind als Freunde.“
„Darum geht es mir nicht.“ Er streckte die Hand aus, strich mir zärtlich über die Wange. „Ich mag die Idee. Wirklich! Und wenn ich mit dir zusammenziehen würde, dann richtig. Komplett mit allem.“
„Also ist es nur, weil du dich nicht outen willst? Ist okay.“ Verzweifelt sah ich ihn an und seufzte leise. Ich hätte es wissen müssen, dass es so enden würde. Es war auch eine scheiß Idee gewesen. Er hatte recht. Wir waren nicht zusammen und das...
Doch er richtete sich auf, nahm mein Gesicht in beide Hände und küsste mich heftig und drängend. Dann lächelte er mich an. „Nein, das meine ich nicht. Ich würde sofort mit dir zusammenziehen.“
Kurz sah ich ihn schockiert an, während mein Herz sich nach dem Stolpern wieder fing, dann griff ich nach ihm und küsste ihn meinerseits.
Leider erwiderte er ihn nicht, sondern drückte mich sanft zurück. Er strich sich verzweifelt durch die Haare. „Aber das bringt nichts. Ich müsste spätestens nächstes Jahr sowieso zurück. Und das wäre dann viel schlimmer, wenn wir uns erst richtig an einander gewöhnt haben.“
„Warum?“ Nein, er konnte nicht gehen! Nicht nach dieser Aussage. Scheiße, ich konnte es einfach nicht mehr ignorieren. Das war zu eindeutig gewesen.
Er seufzte. „Ich muss das letzte Collegesemester in Boston machen. In Massachusetts gibt es andere Vorschriften für den Abschluss. Aber ich wollte für alles andere einfach mal weg von zu Hause. Endlich ich selbst sein. Aber ich wusste, dass ich zurück muss. Deswegen wollte ich auch keine Beziehung. Eigentlich.“
„Warum bleibst du nicht hier? Du kannst doch auch hier arbeiten.“ Ich zog ihn wieder zurück in meine Arme. Dort gehörte er einfach hin.
„Ich hab schon einen Job in Boston sicher.“ Ich konnte ihm ansehen, dass es ihm genauso schwer fiel wie mir, auch wenn er mittlerweile nicht mehr weinte.
„Du hättest noch ein Jahr Zeit, dir hier etwas zu suchen“, versuchte ich ihn zu überreden.
Doch er schüttelte den Kopf. „Das ist nicht so einfach. Ich hab nicht vor, mich ewig zu verstecken. Und es ist schon nicht einfach als Mann in dem Feld etwas zu bekommen. Dann noch als schwuler Mann... Der Arzt, bei dem ich arbeiten könnte, ist ein Freund von meinem Vater. Meine Eltern wissen es nicht, aber er weiß Bescheid und hat keine Probleme damit. Ich kann das nicht einfach ausschlagen. Verstehst du?“
Ich nickte, sah ein, dass ich ihm im Weg stehen würde, wenn ich ihn hier festhielt. Seine Augen füllten sich erneut mit Tränen. Außerdem zitterte er am ganzen Leib. Ich deckte uns beide wieder zu.
Eine ganze Weile lagen wir still da und streichelten uns gedankenverloren. Gerade brauchten wir beide das. Auch wenn ich ihn nicht bei mir behalten konnte, wollte ich ihn nicht ganz gehen lassen. Das wollte ich nicht einsehen.
Dann fiel mir etwas ein, um ihn zumindest noch eine Weile bei mir zu haben. „Und du fängst dann erst im nächsten Semester in Boston wieder an, oder?“
„Ja. Im September.“
Langsam hob ich sein Gesicht an. „Musst du vorher schon dort sein? Du könntest sonst so lange hier bleiben. Wenn du magst.“
„Wo soll ich denn bleiben? Ich hab doch gesagt, ich kann mir die Wohnung nicht leisten.“ Verwirrt sah er mich an.
„Na hier. Du hast gesagt, du würdest mit mir zusammenziehen. Du könntest bis September hier bleiben. Und wenn du wieder in Boston bist, dann besuchen wir uns einfach gegenseitig“, schlug ich vor. Das war zumindest eine kleine Hoffnung.
Doch sofort zerschlug er sie und lachte bitter auf. „So wie mit deinem Freund auf dem Photo? Vielleicht zweimal im Jahr? Und einmal im Monat telefonieren wir? Alles unter der Voraussetzung, du hast nicht gerade jemand anderen?“
Sofort schüttelte ich vehement den Kopf. Er sollte nicht so einen Blödsinn erzählen! „Nein! Er ist mir nicht mal halb so wichtig wie du! Er ist nur ein Freund. In dich hab ich mich verliebt.“
Etwas ungläubig sah er mich an, schien herausfinden zu wollen, ob ich das ernst meinte. Daher sprach ich weiter. Zu verlieren hatte ich sowieso nichts mehr, gehen würde er so oder so. „Am Anfang dachte ich noch, dass du wirklich keine Beziehung willst, dass wir nur Freunde mit Extras sind, hab mir eingeredet, dass es für mich so in Ordnung ist. Und dann Valentinstag... Aber ich will dich nicht gehen lassen, ich will dich bei mir haben. Ich hab einfach gehofft, dass es immer so bleibt, egal wie wir es nennen, dass ich vielleicht trotzdem mehr für dich bin als nur irgendein Freund.“
Kurz sah er mir in die Augen, dann schlich sich langsam ein zärtliches Lächeln auf sein Gesicht. Sanft streichelte er über meine Wange, bevor er seine Lippen gierig auf meine drängte. Zufrieden seufzte ich in den Kuss. Eine bessere Antwort hätte es gar nicht geben können.
So gefühlvoll wie an diesem Morgen hatten wir uns noch nie geliebt. Vermutlich war es auch das erste Mal, dass man es überhaupt so bezeichnen konnte. Da war keine Gier, kein Bedürfnis, das gestillt werden wollte. Es war einfach nur Zuneigung, die wir dem anderen zeigen wollten. So nah hatte ich mich ihm noch nie gefühlt.
„Bist du sicher, dass es wirklich so klappt? Ich meine hierzubleiben. Ist das wirklich okay?“, fragte Roger unsicher. Wir lagen noch immer im Bett, küssten und streichelten uns träge. Den Wecker meiner Eltern hatte ich schon vor einer ganzen Weile gehört.
„Willst du dich outen? Zumindest vor meinen Eltern? Dann ist es gar kein Problem. Aber du weißt, dass du das nicht nur wegen mir tun musst. Solange du mir versprichst, dass wir es wirklich versuchen, auch wenn du wieder nach Boston gehst, ist es okay. Dann komm ich dich so bald wie möglich besuchen.“
Er strich mir über die Wange und lächelte mich an. „Ich will es versuchen. Weil du es bist. Weil schon der Gedanke wehtut, nicht mehr jedes Mal neben dir schlafen zu können, wenn ich das will. Aber du musst mir versprechen, dass wir uns häufiger sehen als nur alle paar Monate.“
„Das würde ich doch selbst nicht aushalten.“ Ich musste lachen. „Willst du dann noch hierbleiben?“
„Ja, gern. Wenn das für deine Eltern wirklich okay ist.“ Vorsichtig lächelte er mich an und ich zurück.
„Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Zieh dich an, sie werden sowieso gleich wegen Frühstück klopfen.“
Während wir uns anzogen, klopfte meine Mutter tatsächlich, um zu fragen, ob wir mit frühstückten. Ich sagte ihr Bescheid, dass wir gleich kämen.
„Bist du so weit? Es ist wirklich okay, ihnen das mit uns zu sagen?“ Ich zog Roger noch einmal in meine Arme und streichelte beruhigend über seinen Rücken.
„Ja. Ich hab doch gesagt: Wenn dann richtig. Außerdem sind deine Eltern wirklich tolle Leute.“
„Dann komm.“ Ich nahm ihn an der Hand und lief voraus die Treppe hinunter.
Meine Familie saß bereits am Tisch und aß. Immerhin mussten sie bald los. Ich atmete tief durch und sah noch einmal fragend zu Roger, der kurz nickte. Dann trat ich in die Küche, noch immer seine Hand haltend. „Guten Morgen. Ehm, habt ihr kurz ein paar Minuten? Ich mag euch jemanden vorstellen.“
Neugierig hoben sie die Köpfe. Ich atmete noch einmal durch, dann deutete ich auf Roger. Genauso schnell wie mein Herz klopfte wollten die Worte über meine Lippen. „Das ist Roger. Mein heimlicher Verehrer. Und Freund.“
„Fester Freund“, murmelte Roger dem Boden entgegen.
Doch meine Mum war bereits aufgesprungen und drückte ihn freudig. „Das haben wir schon verstanden, Schätzchen. Willkommen.“
„Oh, muss ich jetzt nicht mehr so tun, als wüsste ich nichts?“, fragte Lena unverfroren.
Verwirrt sah ich sie an. Auch Roger stand etwas der Mund offen. Doch nicht nur sie schien es gewusst zu haben, denn ausgerechnet mein Vater antwortete ihr: „Nein, ich denke nicht. Auch wenn es höflicher gewesen wäre, nicht zu sagen, dass du es schon wusstest.“
„Kommt, setzt euch. Und klappt den Mund zu. Immerhin wissen wir das schon seit ein paar Monaten. Aber schön, dass ihr euch dazu entschieden habt, es offiziell zu machen.“ Meine Mutter strahlte uns beide an, während wir uns setzten. „Und natürlich Glückwunsch an dich, Roger. Das ist sicher nicht einfach gewesen.“
„Danke“, flüsterte Roger verlegen.
Mit einem aufmunterndem Lächeln legte ich ihm die Hand auf den Oberschenkel. Endlich konnte ich das tun! Endlich durfte ich ihn berühren, wann ich es wollte. Sicher, es würde dauern, bis er sich daran gewöhnt hatte, aber dann würde es schön werden. Außerdem erwiderte er das Lächeln zaghaft.
„Woher weißt du Kröte das eigentlich?“, fragte ich Lena und stupste gegen ihren Arm.
„Aua! Ich wollte dir das Telefon bringen, weil Peter angerufen hat. Ihr habt ihm Bett gelegen und rumgeknutscht“, erzählte sie, während sie sich über den Arm strich. So doll hatte ich sie doch gar nicht angefasst.
„Was hast du Peter gesagt?“, fragte ich sofort alarmiert. Wenn er davon erfuhr, dann nicht so! Ich musste ihm das ruhig und schonend beibringen.
„Dass du noch schläfst. Und Mum hat gesagt, ich soll dir nicht sagen, dass ich das gesehen hab.“
„Ich wollte nicht, dass sich Roger nicht mehr traut herzukommen.“ Mum lächelte Roger entschuldigend an. „Ihr seid uns doch nicht böse?“
Unsicher sah ich Roger an. Wenn dann war er es, der einen Grund hatte. Doch er lächelte. „Nein, ist schon gut. Danke.“
Ich mochte das. Selbst wenn ihn mal etwas aus der Bahn warf, fing er sich schnell wieder und konnte sein schönes Lächeln zeigen. Dass er vor nicht ganz einer Stunde tatsächlich in meiner Gegenwart geweint hatte, zeigte mir, wie sehr er an mir hing. Es war die richtige Entscheidung gewesen, ihn einzuladen. „Wir würden euch gern was fragen. Kann Roger ab Juli eine Weile hierbleiben?“
„Was heißt eine Weile? Und warum?“, fragte mein Vater misstrauisch.
„Bis Ende August, wenn das okay ist“, präzisierte ich. Dann überließ ich es Roger, ihnen die genauen Umstände zu erklären.
„Wir überlegen es uns“, antwortete Mum, nachdem er geendet hatte. „Wir reden heute Abend noch mal in Ruhe darüber, jetzt müssen wir los. Aber ihr seid euch da wirklich sicher und im Klaren, was es heißt, wenn Roger nach Boston geht? Toby, du weißt immerhin gut genug, dass das nicht um die Ecke ist und ins Geld geht.“
„Ja“, sagte ich schnell. Natürlich war ich mir sicher, dass ich Roger wollte. Selbst wenn er an die Westküste gezogen wäre, hätte es nichts geändert.
„Nutzt trotzdem noch mal die Zeit, euch das zu überlegen“, riet mein Vater. „Könnt ihr beide abräumen?“
„Natürlich.“ Roger sprang sofort auf und schnappte sich unsere Teller. Ich lächelte in mich hinein. Er hatte sich nicht wirklich verändert.
„Bist du dir sicher, dass das wirklich funktioniert?“, fragte Roger, als wir später wieder gemeinsam in meinem Bett lagen. Ich hatte einfach meine Finger nicht von ihm lassen können. Und er seine auch nicht von mir.
„Was meinst du? Ich bin mir sicher, dass ich dich so richtig gut ficken könnte, aber ich glaub, das meinst du nicht“, scherzte ich und drückte meine Hüfte leicht gegen seinen Hintern.
Ruhig schüttelte er den Kopf, konnte sich aber auch ein leichtes Lachen nicht verkneifen. „Ich meine, dass ich hier wohnen darf.“
„Klar. Wenn meine Eltern sagen, wir reden später noch mal darüber, dann heißt das eigentlich schon ja. Sie wollen nur sicher gehen, dass wir darüber nachgedacht haben. Eventuell wollen sie auch noch das Finanzielle klären. Aber darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich kann deinen Anteil übernehmen.“
„Nein, Toby! Ich will kein Geld von dir.“ Er drehte sich in meinen Armen um und sah mir entschlossen ins Gesicht. „Ich kann dann ja auch weiter im Laden arbeiten und dann bezahl ich das selbst.“
„Okay, dann machen wir das so.“ Ich küsste ihn auf die Stirn. Es war sein gutes Recht, das selbst zahlen zu wollen, es gefiel mir sogar. Es war nicht, als weigerte er sich komplett sich einladen zu lassen, das hatte ich schon ein paar Mal getan und auch andersherum, aber wenn er etwas allein zahlen wollte, war es okay. Ich hatte lediglich nicht daran gedacht, dass er dann auch seinen Job nicht aufgeben musste.
„Und wir sind uns sicher?“, fragte er nach kurzem Schweigen.
„Ich bin mir sicher“, antwortete ich ohne Zögern. Dann sah ich ihn ernst an. „Ich hab dabei aber auch nichts zu verlieren. Entweder ich lass dich direkt im Juli gehen und seh dich nie wieder oder ich versuch es mit dir und hab im Zweifelsfall, wenn es nicht klappt, eine schöne Zeit mit dir gehabt.“
Nachdenklich nickte er. Offenbar verstand er meinen Gedanken. Es war weder böse noch pessimistisch gemeint, sondern einfach nur die Wahrheit. Und die wollte ich ihm nicht verwehren. „Aber du könntest dadurch die Chance verpassen, den Mann für dich zu finden.“
Ich lachte leise. „Wenn ich anfangen würde, darüber nachzudenken, wie viele Chancen ich eventuell verpasst haben könnte, weil ich dachte, den Richtigen schon gefunden zu haben, würde ich nicht mehr aus dem Denken herauskommen. Aber ich kann dir ehrlich sagen, dass ich mir noch nie so sicher war.“
„Du wirst mich vermissen.“
„Würde ich auch, wenn wir es nicht versuchen. Und so kann ich dich anrufen oder dich besuchen.“ Zärtlich schmiegte ich mich an ihn, genoss die warme Haut unter meinen Fingern. „Was ist mit dir?“
Frech grinste er mich an. „Natürlich werd ich dich auch vermissen.“
„Du weißt, dass ich das nicht meine!“ Zur Strafe biss ich ihm in die Schulter. „Du hast dabei am meisten zu verlieren.“
„Was hab ich denn zu verlieren? Ich geb damit einfach nur die Lügen auf.“ Zärtlich strich er mir eine Strähne aus der Stirn, die direkt zurück fiel. „Ich hab nicht vor, es weiter geheimzuhalten. Ich bin nach New York gekommen, weil ich neu anfangen wollte und sehen wollte, wie es ist, offen schwul zu leben. Immerhin kannte mich hier keiner. Aber dann hab ich kalte Füße bekommen. Trotzdem weiß ich jetzt, dass ich mich nicht mehr verstecken will, egal wie es mit uns ausgeht.“
„Sicher? Deine Eltern werden nicht begeistert sein. Und ich weiß nicht, wie deine Freunde zu Hause darauf reagieren.“ Er zuckte nur locker mit den Schultern. „Es ist dir also egal?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich weiß jetzt, dass ich auf Dauer nicht glücklich werden würde, es immer geheimhalten zu müssen. Es hat mich schon bei deinen Eltern gestört. Ich hatte bei ihnen auch mehr Angst, dass sie dagegen sind, wenn wir nicht zusammen sind.“
Ich lachte auf. „Nein, sie mischen sich bei so was nicht ein. Selbst wenn Lena mit jemandem etwas anfangen würde, würden sie sie lassen. Sie würden nur sichergehen, dass sie weiß, worauf sie sich einlässt.“
„Ich find deine Eltern toll. Haben Sie euch überhaupt schon mal was verboten?“
„Ja, sicher. Aber sie haben uns eben so erzogen, dass wir die Konsequenzen selbst tragen müssen.“ Ich kuschelte mich etwas näher an ihn. „Du musst gleich los, oder?“
Seufzend fuhr er mit der Hand durch mein Haare und nickte. Es war offensichtlich, dass er nicht los wollte. „Ja. Und ich muss noch duschen.“
„Soll ich mitkommen? Dann kann ich noch ein wenig an dir rumspielen.“ Meine Hand wanderte langsam seinen weichen Bauch hinab. Er schloss die Augen, nickte und streckte sich mir dann entgegen. Ich krabbelte unter die Decke und küsste ihn unterm Bauchnabel. „Du willst doch sicher nachher auch dabei sein, oder? Soll ich dich abholen? Ich würde, wenn du gleich gehst, laufen gehen, danach könnte ich dich vom College abholen.“
Es dauerte eine Weile, bis er antwortete. Währenddessen machte ich einfach in Ruhe weiter. „Ja, gern.“
„Schön. Dann komm.“ Ich stand auf und zog ihn an den Händen mit mir ins Bad.
„Boah, woher hast du nur die ganzen Sachen?“ Terrence stopfte den Stapel Klamotten, den ich ihm reichte, zu den anderen aussortierten in den Sack. Ich hatte ihn gebeten mir beim Aussortieren meiner Sachen zu helfen und wollte die Gelegenheit nutzen, mit ihm zu reden.
„Ich hab halt schon ewig nicht mehr ausgemistet. Ich glaub, das Ding hatte ich das letzte Mal in der High School an.“ Ich hielt ein ausgewaschenes, schwarzes Shirt mit kitschigem Totenkopfaufdruck hoch.
„Oh Gott, das hässliche Teil!“ Er riss es mir aus der Hand und ließ es schnell im Sack verschwinden. „Das war schon damals echt aus der Mode!“
Lachend zuckte ich mit den Schultern. „Aber es war bequem.“
Terrence schüttelte den Kopf. „Da behaupte noch mal jemand, Schwule hätten Ahnung von Stil. Wie kommt’s, dass du jetzt auf einmal doch aussortierst? Und warum brauchst du dafür meine Hilfe?“
„Weil wir gleich noch das Regal zu Lena rüber bringen müssen.“ Ich deutete auf das fragliche Regal, das noch voll war. Terrence warf mir einen bösen Blick zu. Vielleicht hatte ich ihm vorher nicht alles gesagt, was anstand. „Das schaff ich nicht alleine. Und die Sachen noch zur Heilsarmee bringen. Mum fährt uns zwar, wenn sie von der Arbeit kommt, aber sie wird davon nichts schleppen.“
„Ach und da dachtest du, ich könnte dir ja als Packesel zur Verfügung stehen?“ Beleidigt verschränkte er die Arme vor der Brust, während ich nur grinsend mit den Schultern zuckte. Nach einem Moment seufzte er und schüttelte mit dem Kopf. „Dann will ich wenigstens wissen, wofür der ganze Stress. Willst du ausziehen?“
„Nein. Ich brauch Platz“, versuchte ich, ob er einfach nicht weiter nachfragte. Ich wusste, dass Terrence sicher nicht positiv reagieren würde, wenn ich ihm das mit Roger erzählte.
Noch wussten unsere Freunde nichts davon, dass wir offiziell zusammen waren und Roger bei mir einzog. Es hatte sich bisher weder die Gelegenheit, noch nicht die Notwendigkeit dazu ergeben. Für sie änderte sich ja im Grunde auch nichts.
„Aha. Und wofür? Willst du dir hier zu Hause ein paar Geräte hinstellen?“
„Nee.“ Nervös strich ich mir durch die Haare, nachdem ich ihm den nächsten Stapel Kleidung gereicht hatte. Das erregte natürlich umso mehr seine Aufmerksamkeit. Gespannt sah er mich an. Ich seufzte kurz. „Ich brauch Platz für Rogers Bett. Und seine Klamotten.“
„Was?“ Schockiert ließ er die Sachen fallen. „Wiederhol das bitte.“
Ich seufzte und setzte dann zur Erklärung an, während ich die Sachen aufhob. „Rogers Eltern haben doch seine Wohnung gekündigt, allerdings schon zum ersten Juli. Bis Anfang September bleibt er noch bei mir.“
„Und deine Eltern erlauben das einfach so?“ Terrence sah mich skeptisch an. Die Sachen verschwanden jetzt endlich auch im Sack.
„Ja, für sie ist das okay. Roger zahlt ihnen dann genauso viel Miete wie ich“, erklärte ich.
Ich musste Terrence ja nicht erzählen, dass es zumindest etwas Überzeugungsarbeit gebraucht hatte. Letztendlich hatten sie sich aber darauf eingelassen, unter der Voraussetzung, dass Roger schon vorher mal für eine Woche bei uns wohnte, damit uns klar wurde, wie eng das werden würde.
Dafür brachte er zwar noch nicht sein Bett mit, das das einzige Möbelstück in der Wohnung war, das nicht zum vermieteten Mobiliar gehörte, aber ich wollte schon vorher alles vorbereiten.
Außerdem hatte Roger auch die Möglichkeit jederzeit nach Boston zu gehen, wenn es ihm zu viel wurde, ohne dass es etwas an unserem Versuch änderte.
„Und seine Eltern? Er hatte doch gesagt, dass sie wollen, dass er zurück kommt, weil sie Angst haben, dass er hier ‚verdorben‘ wird. Oder hab ich das falsch verstanden?“ Ich schüttelte den Kopf. „Und da stört es sie nicht, wenn er einfach zu ’nem anderen Kerl zieht?"
„Naja, begeistert waren sie nicht, als er ihnen gesagt hat, dass er zu seinem Freund zieht. Aber was sollen sie machen? Er ist volljährig.“ Mehr wusste ich auch nicht darüber.
Gerne wäre ich bei dem Gespräch mit seinen Eltern dabei gewesen, doch Roger hatte darauf bestanden, alleine mit ihnen zu telefonieren. Wenigstens konnte ich ihn dazu überreden, sie von hier aus anzurufen, sodass ich ihm beistehen konnte, sobald er das Gespräch beendet hatte.
Ich hatte gehofft, Terrence würde einfach überhören, dass ich mich als Rogers Freund bezeichnet hatte, doch den Gefallen tat er mir nicht. Er riss die Augen auf. „Sein Freund?“
„Ja“, antwortete ich möglichst gelassen und versuchte meinen besten Freund ruhig anzulächeln. Vermutlich gelang es mir dennoch nicht, nicht zu strahlen wie ein Kraftwerk. Abgesehen davon, dass ich meine Hände nervös knetete bei dem Gedanken, dass Roger und ich wirklich zusammen waren.
„Und wann wolltet ihr uns das erzählen?“, fragte er skeptisch nach. „Und wie kam es dazu?“
Schnell erklärte ich: „Es hat sich nur bisher nicht ergeben, euch das zu erzählen. Genauso wie das mit dem Einzug. Roger wollte noch nicht zurück nach Boston, deswegen hab ich ihm angeboten noch bei mir zu bleiben. Er hat dann gesagt, wenn er mit mir zusammen zieht, dann auch richtig, als mein Freund.“
„Aha“, machte Terrence nur unbeeindruckt. „Und danach? Reiht er sich in die Reihe deiner Bostoner Liebschaften ein? Na wenigstens musst du dann nur einmal fahren. Eigentlich gar nicht so dumm.“
Wütend funkelte ich ihn an. „Ich meine das wirklich ernst! Wir wollen es zumindest versuchen.“
„Ich auch.“ Mein Blick interessierte ihn nicht im Geringsten. „Mit Peter wolltest du es auch versuchen. Und jetzt mit Roger. Wann kommt der nächste?“
„Das ist nicht fair! Das mit Peter ist eine völlig andere Situation gewesen. Wir wollten sehen, ob sich daraus eine Beziehung entwickeln kann. Hat es nicht. Mit Roger ist es anders. Wir wollen beide die Beziehung“, rechtfertigte ich mich und schaffte es nicht, dabei nicht bockig zu klingen.
„Nein, was du mit den beiden machst, ist nicht fair! Weiß Roger überhaupt von Peter?“ Ich nickte ernst. Natürlich wusste er von ihm! „Na immerhin. Und Peter? Weiß er von Roger?“
„Nein“, gab ich kleinlaut zu. „Ich will ihm nicht unnötig wehtun.“
„Aha. Du willst es ihm also nicht sagen, dass du einen Freund hast? Mit dem du zusammenziehst.“
„Doch. Aber noch nicht jetzt. Ich will erst wissen, wie es mit Roger läuft. Ich trau dem Ganzen einfach noch nicht.“
Verächtlich schnaubte mein bester Freund. „Ach, dann ist Peter also dein Notnagel?“
„Nein! Ich weiß nur nicht, wie ich ihm das beibringen soll, das ist alles.“ Überfordert setzte ich mich auf das Bett. „Aber ich will es ihm nach seinem Geburtstag sagen. Nur den will ich ihm damit nicht verderben.“
„Wolltest du nicht dafür hinfahren?“, fragte Terrence skeptisch. Ich nickte. „Du willst da also hinfahren, mit ihm feiern, als wäre Nichts und dann, wenn du wieder zu Hause bist, mit ihm über Telefon Schluss machen? Und am besten noch in der Zeit, in der du dort bist, mit Roger vögeln? Du bist ein scheiß Arschloch.“
Wie kam es eigentlich, dass er immer Partei für Peter ergriff? Nicht einmal dessen Bruder tat das! Aber Mat hatte sich auch von Anfang an nicht eingemischt. Er hielt nicht viel von Beziehungen. „Nein, ich bin ja dann auch häufiger in Boston. Ich werd es ihm persönlich sagen. Aber nicht zu seinem Geburtstag. Außerdem muss ich schauen wie. Ich hab Angst, dass er sich was antut.“
„Darüber hättest du dir vielleicht eher Gedanken machen sollen, bevor du ihn flachgelegt hast. Machen wir jetzt endlich mal weiter? Ich will auch irgendwann wieder nach Hause.“ Auffordernd sah er mich an und zog ein paar Klamotten aus meinem Schrank.
Ich nickte und begab mich wieder an die Arbeit. So wirklich Lust hatte ich nicht mehr, aber es musste ja sein. Und Unrecht hatte er eben auch nicht. Nur ändern konnte ich es nicht mehr und nun musste ich irgendwie den Schaden begrenzen.
Wir schafften es noch, das Zimmer fertig zu bekommen, redeten aber nicht mehr wirklich miteinander. Nachdem wir die Sachen zur Heilsarmee gebracht hatten, fuhr meine Mum ihn nach Hause. Die Pizza, die ich ihm eigentlich fürs Helfen versprochen hatte, verschob er auf ein anderes Mal.
Er würde sich schon wieder einkriegen. Auch wenn er häufig meckerte, zickte er zum Glück nicht lange herum.
Tatsächlich freuten sich unsere anderen Freunde sehr für uns, als sie erfuhren, dass wir „nun endlich Nägel mit Köpfen machten“, wie Anthony es bezeichnete. Ohne dass wir fragen mussten, boten er und sein Bruder ihr Auto an, um Rogers Sachen zu mir zu bringen, während Darius und Greg sich sofort bereit erklärten, beim Schleppen und Packen zu helfen. Da er sich mittlerweile wieder beruhigt hatte, war natürlich auch Terrence mit von der Partie.
Roger hatte niemals mit dieser Hilfsbereitschaft gerechnet, sodass er mich am Abend verzweifelt fragte, wie er sich bei ihnen bedanken könnte. Nach einigen Überlegungen kamen wir dann auf die Idee, eine kleine Einweihungsfeier zu veranstalten. Meine Eltern waren einverstanden, baten uns jedoch, es auf ein Wochenende zu legen, damit Lena bei Freunden übernachten konnte und von uns nicht gestört wurde.
Bei der Feier selbst, die wir direkt mit dem Umzug verbanden, stellte sich dann heraus, dass das noch einen weiteren Vorteil hatte: Die Jungs konnten in ihrem Zimmer schlafen. Was Roger und ich nämlich nicht bedacht hatten, war, dass es mit einem zweiten Bett in meinem Zimmer doch sehr eng wurde. Unsere Freunde hätten sich stapeln müssen, damit sie und die Matratzen auf dem Fußboden Platz gefunden hätten.
Roger und mir war das jedoch egal. Wenn wir etwas spielen oder fernsehen wollten, dann konnten wir das auch vom Bett aus tun. Das war sowieso bequemer als uns auf den Fußboden zu setzen. Viel wichtiger war, dass wir vernünftig schlafen konnten. Auf Dauer wären nämlich sowohl sein als auch mein Bett dafür zu schmal geworden. Für ein paar Nächte ging das ja, aber die Woche, die Roger bei mir verbracht hatte, hatte deutlich gezeigt, dass spätestens nach drei Tagen keiner von uns mehr ein Auge zubekam.
Roger und ich genossen die gemeinsame Zeit sehr, doch schon nach wenigen Wochen wurde klar, dass die Enge meines Zimmers nicht unser größtes Problem war. Dass wir jederzeit kuscheln konnten, wann wir wollten, war ja schön und gut und eigentlich lief es auch im Bett sehr gut, dennoch merkte ich immer mehr, dass mir etwas fehlte.
Während Roger nach dem Laufen unter der Dusche stand, wartete ich in meinem Zimmer darauf, dass er fertig wurde, damit ich in Ruhe duschen konnte. Rogers süßer Hintern, der nicht nur in der Laufhose so verführersich aussah, hatte wie so oft in den letzten Wochen das Verlangen nach ihm geweckt. Ich wusste, dass er mir dieses nicht erfüllen würde, er hatte immerhin schon mehrmals klargestellt, dass er nicht darauf stand. Also musste ich mal wieder selbst Hand anlegen.
Doch er machte mir einen Strich durch die Rechnung. Nur mit einem Handtuch um die Hüften kam er zurück ins Zimmer. Der Anblick raubte mir sofort den Atem. Bis auf diesen kleinen Teil präsentierte er mir seinen makellosen Körper, die zarte Haut, an der noch die letzten Wasserperlen herabtropften. Als er sich dann auch noch bückte, um sich eine Unterhose aus dem Schrank zu holen, setzte mein Verstand vollständig aus.
Ich hatte ja kein Problem damit, mich für ihn etwas zurückzunehmen und einfach ab und zu allein duschen zu gehen, aber bei so einem Anblick konnte ich einfach nicht anders. Langsam näherte ich mich ihm, strich ihm über den Rücken nach unten. Als ich an seinem Steiß angekommen war, ließ ich die Hände unter das Handtuch gleiten, welches dadurch herunter fiel.
Erschrocken verlor er das Gleichgewicht, fiel vornüber und konnte sich gerade noch mit den Händen am Boden abstützen. „Was wird das?“
Da er seinen Prachtarsch so nur noch deutlicher zur Schau stellte, ließ ich meine Finger darüber gleiten und griff genüsslich zu. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie geil er sich anfühlen würde. Mit belegter Stimme hauchte ich: „Komm hoch.“
Er schüttelte den Kopf, rappelte sich auf und drehte sich zu mir um. Grinsend sah er mich an. „Hast du’s schon wieder so nötig?“
„Ja“, raunte ich und drängte ihn mit dem Rücken gegen den Schrank. Gierig drängte ich ihm meine Lippen auf, eroberte mit meiner Zunge seinen Mund. Ich wollte ihn, wollte spüren, wie sich dieser Prachthintern um meinen Penis spannte.
Ich konnte spüren, dass er noch immer leicht grinste. Genüssvoll lehnte er etwas den Kopf nach hinten, als ich ihn an mich zog und meine Hände über seinen Körper wandern ließ. Eine nahm den Weg seinen Rücken hinab, die andere griff kraftvoll in seinen Nacken. Er sollte spüren, was ich wollte, dass er mir gehörte.
Doch stattdessen legte er seine Handflächen gegen meine Brust und drückte sanft dagegen. Sofort trat ich einen halben Schritt zurück und sah ihm fragend ins Gesicht.
Zärtlich, aber doch mit einem leicht traurigen Gesichtsausdruck sah er mir in die Augen, legte seine Hand an meine Wange. „Sorry.“
Mehr brauchte er nicht sagen. Ich schloss die Augen, atmete tief durch und nickte dann. „Ich bin mal duschen.“
„Okay.“ Er beugte sich kurz zu mir und küsste mich sanft. Dabei strich er mir noch einmal leicht über die Wange.
Als ich wieder aus der Dusche kam, saß Roger in Jeans und T-Shirt gekleidet auf dem Schreibtischstuhl und lächelte mich an. Als ich nach meiner Jogginghose für zu Hause greifen wollte, schüttelte er den Kopf. „Zieh dich richtig an.“
„Warum?“, fragte ich reichlich dämlich nach, ging aber an den Schrank, um mir eine Jeans herauszuholen und sie anzuziehen. Eigentlich hatte ich gedacht, dass wir uns einen gemütlichen Abend machten.
Roger lächelte mich zärtlich an. „Wir gehen aus. Wir waren nicht mehr weg, seitdem du mir Trevor und Kilian vorgestellt hast.“
„Oh, gern. Soll ich mal nachfragen, ob einer der Jungs mitkommt?“, fragte ich, während ich mir ein passendes Shirt suchte. So doof klang der Vorschlag gar nicht. Doch Roger schüttelte sofort den Kopf. „Wo willst du denn hin?“
Er stand auf und legte seine Hand auf meinen Rücken. „Zu Trevor.“
Ich zog das Shirt über. „Gute Idee. Ich würd Kil gern mal wieder sehen. Die beiden sind ja so schlecht zu erwischen, wenn man nicht gerade im Club ist. Wie kommst du ausgerechnet auf die Idee?“
Ernst sah er mich an und atmete tief durch, bevor er antwortete: „Du musst dich mal wieder austoben.“
„Was?“, fragte ich ungläubig und schüttelte lachend den Kopf. Ich hielt es für einen blöden Witz.
Doch Roger legte seine Hände an mein Gesicht und sah mich noch immer ernst an. „Ich meine das ernst! Das gerade war sehr eindeutig. Du weißt, dass ich damit nichts anfangen kann.“
„Tut mir leid, wenn ich dich bedrängt hab.“ Ich küsste ihn sanft. Scheiße, ich wollte doch nicht, dass er sich unwohl fühlte. „Es ist okay, wenn du das nicht willst.“
Noch immer sah er mich direkt an, schien jede Reaktion von mir genau zu beobachten. „Sicher? Du weißt, dass ich weder so hart angefasst werden mag, noch mag, wenn du so fordernd wirst. Und ich weiß, dass du genau das gerne tust. Ich hab es dir angesehen, du hättest mich gern unter dir gehabt. Du willst mir ernsthaft sagen, dass es okay ist, auf etwas zu verzichten, dass du so gern tust?“
„Naja, ich würde mich schon freuen, wenn du es mal versuchen würdest, aber ja, es ist okay. Ich mag, was wir haben. Bisher war das doch auch kein Problem.“ Ängstlich sah ich ihn an. Was sollte das? Ich wollte ihn nicht verlieren! Verstand er das denn nicht, dass ich mich gerne für ihn etwas zurücknahm?
Ein zärtliches Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht. „Sicher will ich irgendwann mal versuchen, wie es ist, von dir genommen zu werden. Aber nicht, wenn du so danach gierst wie gerade. Ich weiß, dass du dich für mich beherrscht. Aber ich mag dich auch, wenn du einfach du selbst bist. Ich mag diese wilde, ungezügelte Art. Nur nicht an mir, dafür fühl ich mich nicht bereit. Dennoch will ich sie sehen. Ich hab gesehen, wie ausgeglichen du nach der Sache mit Fred warst, wie sehr es dich mitgerissen hat, wenn sich die Jungs im Club unter dir gewunden haben. Du hast es vermutlich nicht mitbekommen, aber ich hab dich mehr als einmal beobachtet. Das gehört genauso zu dir, wie deine zärtliche Art mir gegenüber. Und ich will nicht, dass du sie unterdrücken musst.“
Meinte er das ernst? Er wollte mit mir in den Club, damit ich mit einem anderen schlief? „Warum? Und was ist mit dir?“
„Weil ich dich wirklich gern hab“, antwortete er sanft, „mit all deinen Seiten. Ich will nicht, dass du eine verstecken musst. Außerdem hab ich Spaß daran, dir zuzusehen. Und ganz vielleicht gibst du mir ja ein Stück ab.“
Ungläubig lachte ich und schüttelte den Kopf. „Du meinst das ernst, oder?“
„Ja.“ Eine Weile sah er mir in die Augen, schien deutlich machen zu wollen, dass es stimmte. „Das ist auch keine Schnapsidee oder etwas, dass ich mir gerade erst ausgedacht hab! Beim ersten Mal hab ich mich echt erschrocken, als du plötzlich neben mir standest und Fred so grob angefasst hast, aber dann hab ich deine Stimme gehört, während er dir einen geblasen hat. Mir ist bewusst geworden, warum du überhaupt da bist. Dir fehlt mit mir etwas. Ich war total eifersüchtig auf ihn, dass er dir das geben konnte, ich aber nicht. Ich wollte es mir nicht anmerken lassen, hab mir immer eingeredet, dass wir ja nicht zusammen sind. Doch jedes Mal, wenn ich dich mit einem anderen gesehen hab, war da diese Frage, ob du nicht doch mit einem von ihnen besser dran wärst. Ich hab so häufig mit dem Gedanken gespielt, dich zu fragen, ob wir es offiziell machen, besonders nach deinem Geburtstagsgeschenk. Aber ich wusste, dass ich dir das nicht geben kann. Als du mich dann gefragt hast, hab ich da nicht mehr dran gedacht, ich war zu froh, dass du mich bei dir haben wolltest. Nur die letzten Tage... Ob du es glaubst oder nicht, ich habe gemerkt, dass du mir öfter an den Arsch gegangen bist, dass du länger als nötig allein unter der Dusche verschwunden bist, dass du fordernder wurdest. Da hab ich nachgedacht. Und das ist für mich die beste Lösung.“
Die ganze Zeit hatte ich ihm ruhig zugehört, dabei seine Hand gehalten. Nachdem er geendet hatte, sah er mir erneut in die Augen, schien auf eine Reaktion zu warten. Einen Moment überlegte ich, versuchte zu erfassen, was genau er vorschlug. „Und was wäre das dann? Willst du es rückgängig machen, dass wir zusammen sind? Oder ist das eine einmalige Sache?“
„Weder noch?“, fragte er unsicher. „Ich meine, es wäre erst mal ein Versuch, aber was spricht denn dagegen, wenn wir zusammen sind, du dich aber ausleben kannst?“
„Und was ist mir dir?“ Zärtlich nahm ich ihn in den Arm. Ich hatte nie darüber nachgedacht, aber wenn er doch so verliebt in mich war, warum war er dann noch immer in den Club gegangen? „Was fehlt dir?“
Er seufzte, ließ sich etwas sinken. „Ich hab dich wirklich gern. Ich will bei dir bleiben, in deine Arme genommen werden, dich küssen...“
„Roger“, ermahnte ich ihn. „Das weiß ich doch alles. Aber was ist es, dass du vermisst? Was möchtest du? Sieh mich an. Wenn wir das tun, sollten wir ehrlich zueinander sein.“
Er schmiegte seinen Kopf an meine Schulter. „Ich weiß, dass du das mit uns genießt, aber ich merk auch, dass du es auch nicht so ganz magst, wenn ich zu fordernd werde. Ich versteh das auch viel zu gut, warum du das nicht magst. Dennoch würde mich freuen, wenn ich mich auch mal wieder richtig ausleben könnte.“
„Ich soll dich also teilen, weil wir beide zu gern das Sagen haben?“, fragte ich unsicher. So ganz war mir dieser Gedanke noch nicht geheuer. „Ich meine, wie stellst du dir das vor?“
Leicht zuckte er mit den Schultern, nahm mich an der Hand und zog mich zum Bett, wo wir uns beide setzten. „Ich weiß nicht so genau. Aber ich glaub, dass es für uns auf Dauer einiges leichter macht. Ich meine, auch wenn ich weg bin. Wir können uns nun mal nicht jedes Wochenende sehen. Natürlich ist es dann umso schöner, wenn wir uns dann besuchen, aber wenn wir uns dann mal wirklich lange nicht sehen? Ich weiß nicht, ob ich so lange warten könnte.“
Langsam nickte ich. Er hatte recht. So weit hatte ich bisher nicht gedacht. Irgendwie war es für mich klar gewesen, dass es nicht anders sein würde als mit Peter. Nur eben, dass ich Roger liebte. Aber das war es nicht. Es würde so viel schwieriger werden. Ich würde wochen-, vielleicht auch monatelang warten müssen, bis ich diesen wahnsinnig tollen Mann wiedersah. Ohne eine Möglichkeit auf Sex. Und selbst wenn ich ihn dann sah, würde ich ihn nicht einfach ins Bett drängen und ihn nehmen können. Zum einen weil er dasselbe mit mir vorhaben würde, zum anderen weil er wieder zu seinen Eltern ziehen musste. Dennoch: „Ich will nicht, dass du mit einem anderen kuschelst.“
Er lachte auf und sah mich ungläubig an. „Das ist deine größte Sorge dabei?“
Verlegen nickte ich. „Ja. Es hat mich bisher ja auch nicht gestört, dass du Sex mit anderen hattest. Aber mich stört der Gedanke, dass du mit einem anderen so kuscheln könntest wie mit mir.“
„Was macht dich so sicher, dass ich nicht mit anderen gekuschelt hab in der Zeit?“ Sein Lächeln verriet mir, dass es wirklich so war.
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. War und bin ich einfach. Vielleicht weil ich mich immer wie etwas Besonderes für dich gefühlt hab.“
Er reckte sich zu mir, küsste mich liebevoll. Dann flüsterte er: „Das bist du auch. Keine Ahnung, wie du es geschafft hast, dich in mein Herz zu schleichen. Eigentlich wollte ich dich doch nur abschrecken.“
Ich zog ihn an mich. „Dann hättest du mich weniger reizen und mir nicht ständig dieses schöne Lächeln schenken sollen.“
„Wie hätte ich das tun sollen? Immerhin wolltest du mir doch nicht mehr aus dem Kopf.“ Er kuschelte sich an meine Brust. Sanft küsste ich seinen Kopf. Einen Moment genoss er es, dann kam er wieder auf das eigentliche Thema zurück: „Es ist für dich also okay, solange ich nicht mit einem anderen kuschele?“
Ich ging kurz in mich, stellte mir vor, Roger mit einem anderen zu sehen, und nickte dann. Da war überhaupt kein schlechtes Gefühl bei dem Gedanken. „Ja, warum nicht, bei Fred war es ja auch in Ordnung.“
Er lächelte zu mir hoch. „Darf ich dann der Einzige sein, der an deinen Hintern darf?“
Schmunzelnd hob ich seinen Kopf an und küsste ihn. „Sehr gern.“
„Also wollen wir das wirklich machen?“, fragte er noch einmal unsicher.
„Lass es uns zumindest versuchen“, stimmte ich zu. Auch wenn es vielleicht komplett irrsinnig war, er hatte gute Argumente und es würde wirklich für uns beide vieles einfacher machen. Nur eine Sache gab es da noch: „Aber wir müssen reden, wenn etwas daran nicht mehr passt, okay? Das darf niemals der Grund, warum wir uns trennen. Wenn uns etwas stört, dann müssen wir reden!“
„Klingt gut.“ Das Lächeln auf seinem Gesicht ließ mein Herz dahinschmelzen. „Also wollen wir los?“
„Hm... Wollen wir schauen, ob Fred da ist?“, schlug ich vor.
„Warum ausgerechnet er?“ Roger sah mich ernst an. In seinen Augen stand deutlich das Missfallen.
Ich küsste ihn. „Eigentlich, weil er mehrmals nach ’ner Wiederholung gefragt hat und ich dich auch spüren wollte. Aber wenn du das nicht magst, wenn ich ihn kenne, ist das okay.“
„Nein, es ist nur...“ Roger strich sich durch die Haare. Jetzt wirkte er wieder offener. „Ich hab eben doch etwas Angst, dass du dich in einen anderen Mann verlieben könntest.“
Zärtlich strich ich ebenfalls durch seine Haare und seufzte schwer. „Das kann ich dir leider nicht versprechen, dafür verlieb ich mich einfach zu schnell. Aber ich kann dir versprechen, dass, solange du das möchtest, du für mich immer der wichtigste Mann bleiben wirst. Ich hab mich schon so oft verliebt, aber nie so wie in dich.“
Einen Moment lang lag Enttäuschung in Rogers Blick. Ich verstand es, er hatte auf eine andere Antwort gehofft. Aber ich wollte ihn nicht anlügen. Das hätte ihn im Nachhinein mehr getroffen als die Wahrheit.
Doch der Ausdruck blieb nicht lange. Ganz langsam breitete sich ein sanftes Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Danke.“
„Nein, du solltest dich dafür nicht bedanken. Es ist gemein, dir sowas zu sagen.“
„Nein, ist es nicht!“ Er drückte mich ins Bett und küsste mich gierig. „Jetzt weiß ich erst recht, dass ich es so mit dir versuchen will. Weil du ehrlich bist.“
Er stand auf, reichte mir seine Hände und zog mich dann vom Bett. „Dann komm, wir müssen uns noch fertig machen. Immerhin wollen wir doch ein hübsches Kerlchen aufreißen.“
„Oh, ich hab doch aber schon den hübschesten Kerl“, säuselte ich in sein Ohr, bevor ich sanft hineinbiss und mit ihm gemeinsam ins Bad ging. Etwas verwirrte mich das Ganze noch, vor allem seine Reaktion auf mein Geständnis, aber ich glaubte daran, dass es zumindest einen Versuch wert war.
„So, wir sind zu Hause. Bist du jetzt langsam fertig mit Zicken?“, zischte ich, während ich mir die Schuhe von den Füßen streifte.
„Ich zicke nicht“, gab Roger beleidigt zurück und zog seine Schuhe ebenfalls aus. Statt sie an den Rand zu räumen, wie er es sonst tat, ließ er sie einfach liegen und ging nach oben.
Mit wütender Miene stellte ich seine Sachen weg und ging ihm dann hinterher. „Ach nein? Warum lässt du mich dann einfach stehen?“
„Ich hab dich nicht einfach stehenlassen. Ich hab dir gesagt, dass ich nach Hause gehe.“ Als wir in unserem Zimmer ankamen, wühlte Roger sofort im Schrank und holte ein paar Klamotten hervor. „Und jetzt geh ich duschen!“
„Ich würde aber lieber mit dir darüber reden!“ Demonstrativ verstellte ich ihm den Weg zur Tür.
„Da gibt es nichts zu reden. Und jetzt hör auf, mir beweisen zu wollen, dass du der dominantere von uns beiden bist. Geh mir aus dem Weg!“ Er drängte mich zur Seite.
Hätte ich nicht nachgegeben, wäre ihm das niemals möglich gewesen, doch wenn ich es nicht getan hätte, hätte er sich noch mehr im Recht gefühlt. „Dann reden wir eben nach dem Duschen.“
Roger schnaubte nur verächtlich und verließ das Zimmer. Während ich auf ihn wartete, ließ ich mich aufs Bett fallen.
Es war wohl doch ein Fehler gewesen, gemeinsam in den Club zu gehen. Am Anfang war noch alles gut gewesen, wir hatten tatsächlich Fred getroffen und alle drei unseren Spaß gehabt. Zumindest hatte ich das geglaubt, bis wir aus dem Darkroom kamen und ich Roger fragte, ob wir noch etwas trinken wollten. Er hatte mich nur verächtlich angesehen und war dann direkt nach Hause gelaufen. Da ich noch meine Sachen von Kilian holen musste, hatte ich Roger erst kurz vor der Bahn eingeholt. Doch beachtet hatte er mich nicht. Und auch auf die Frage, was denn los sei, reagierte er nicht. Ich hatte gehofft, hier mit ihm reden zu können, doch scheinbar war er nicht gewillt. Ich wollte jedoch auch nicht einsehen, dass das Versprechen, über solche Dinge zu reden, nicht einmal einen Tag halten sollte.
Als Roger aus der Dusche kam, hatte er bereits seinen Schlafanzug an. Es war zu offensichtlich, dass ihn etwas gewaltig störte, immerhin hatten wir immer mehr oder weniger nackt geschlafen, wenn nicht unsere Freunde da waren. Eisig verkündete er: „Das Bad ist frei.“
Sein Blick machte deutlich, dass er noch immer nicht reden wollte, daher ging ich dann doch ins Bad. Vielleicht ließ es sich auch leichter reden, wenn wir nicht mehr beide nach Party und Sex rochen.
Ich ließ mir extra etwas mehr Zeit, damit er sich beruhigen konnte und ich selbst ein wenig runter kam. Doch stattdessen machte mich die Situation mit jeder Minute, die ich weiter darüber nachdachte, nur wütender. Ich verstand einfach nicht, wo sein Problem war. Er hatte es doch selbst vorgeschlagen und genauso seinen Spaß dabei gehabt.
Nach dem Duschen rubbelte ich mir die Haare trocken und putzte mir die Zähne. Nur mit Unterhose bekleidet ging ich ins Zimmer zurück. Roger hatte das Licht gelöscht und lag im Bett. Wütend machte ich es wieder an. Doch statt wirklich darauf zu reagieren, zog er sich einfach die Decke über den Kopf.
Ich riss sie herunter. „Hey, wir wollten reden!“
„Du wolltest reden! Aber es gibt nichts zu reden.“ Er versuchte die Decke zurückzuziehen, doch ich hielt sie fest.
„Und warum zickst du dann rum?“
„Ich zicke nicht rum! Ich will einfach nur schlafen!“
„Ach nein? Dann gute Nacht.“ Ich beugte mich zu ihm herunter und wollte ihm einen Kuss geben, doch er zuckte weg. Ich warf die Decke über seinen Kopf. „Dann mach doch was du willst!“
Er murmelte etwas, das nach „Mach ich auch“ klang, und drehte mir den Rücken zu. Wütend wühlte ich in der Schreibtischschublade und zog eine Packung Zigaretten hervor. Eine davon zündete ich mir an, während ich das Fenster öffnete. Die wenigen Male, die ich geraucht hatte, seitdem Roger hier wohnte, war ich immer nach draußen vor die Tür gegangen. Doch gerade war es mir egal, dass es ihn störte.
Nein, das stimmte nicht. Ich wollte, dass es ihn störte! Doch er gab keinen Mucks von sich.
Ich saß auf dem Schreibtischstuhl und beobachtete ihn die ganze Zeit. Ich konnte genau sehen, dass er nicht schlief, aber dennoch alles versuchte, um so zu wirken.
Nachdem ich die Zigarette und das Licht gelöscht hatte, legte ich mich in mein Bett. Sofort drehte er mir wieder den Rücken zu.
Eine ganze Weile versuchte ich zu schlafen, doch es gelang mir einfach nicht. Doch auch Roger war offensichtlich wach. Irgendwann murrte ich: „Wenn du das rückgängig machen willst, wegen den anderen Männern, dann sag es.“
„Nein!“, kam sofort die Antwort. Langsam drehte er sich um und zog dabei die Decke von seinem Gesicht. „Wie kommst du darauf?“
„Weil du mich seitdem die ganze Zeit anzickst! Jetzt sag nicht wieder, dass es nicht stimmt! Du willst mich weder küssen, noch mit mir reden oder kuscheln. Wo ist dein Problem?“, fragte ich ihn drängend. Scheiße, das konnte doch nicht sein, dass wir uns jetzt deswegen stritten. Es war immerhin Rogers Vorschlag gewesen.
„Ich hasse es einfach, wenn du dich so aufspielst!“
„Was?“, fragte ich völlig ahnungslos. Was meinte er denn jetzt schon wieder?
„Ich weiß, dass du mir überlegen bist, du musst es mir nicht auch noch ständig unter die Nase reiben!“
„Was hab ich denn gemacht? Ich hab doch gar nicht... Wann hab ich das getan?“ Ich versuchte möglichst ruhig zu bleiben. Es brachte ja nichts, ihn jetzt auch noch anzuschreien. Scheinbar hatte er wirklich ein Problem und das nicht mit einem anderen Mann.
„Als wir aus dem Darkroom hoch kamen? Und schon währenddessen“, murrte er.
„Ja, aber ich dachte, ich sollte? Deswegen waren wir doch dort, oder nicht? Ich meine, du hättest doch etwas sagen können, wenn das zu viel war.“ Ich verstand nicht, was ich falsch gemacht hatte. War es nicht das gewesen, was er gewollt hatte? Er wusste doch mittlerweile, worauf Fred stand. „Du hast doch gesagt, ich sollte mich mal wieder austoben. Tut mir leid, ich versteh einfach nicht, wie du es dir anders vorgestellt hast.“
Ich hörte es rascheln. Vermutlich zuckte er mit den Schultern. Leise antwortete er: „Ich weiß es nicht. Es war auch dabei nicht schlimm. Ich fand es gut. Nur im Nachhinein wurde es mir zu viel. Als wir fertig waren, hätte ich ihn am liebsten aus deinen Armen gezerrt und dich nach Hause geschleppt. Aber deine ganze Art hat gesagt, dass du bestimmst, wann Schluss ist. Und dann hast du mir auch noch wieder unter die Nase gerieben, dass du mehr Geld hast.“
Ich seufzte. Seitdem er hier wohnte, war Geld für ihn ein empfindliches Thema, da nicht mehr viel übrig blieb, nachdem er seine Miete bezahlt hatte. „Hab ich gar nicht. Ich hab dich nur gefragt, ob du noch etwas trinken willst. Es war nie die Rede davon, dass ich bezahle. Ich wollte mich nur hinsetzen und etwas mit dir – und vielleicht auch Kilian – reden, das war alles.“
Lange kam nichts mehr. Dann flüsterte Roger: „Ich hab überreagiert, oder?“
Ich streckte die Hand nach ihm aus und wuschelte durch seine Haare. „Ist okay. Tut mir auch leid, wenn ich dir das Gefühl gegeben hab, über dir stehen zu wollen. Das will ich nicht. Ich mag es, dass ich es nicht tue, sondern mit dir auf Augenhöhe bin. Kommst du her?“
Kurz überlegte er, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, ich... Ich will noch ein bisschen über heute Abend nachdenken, okay?“
„Ist gut.“ Ich strich sanft über seine Wange, dann nahm ich meine Hand zurück. „Bekomm ich trotzdem noch einen Kuss zum Einschlafen?“
„Na gut.“ Das sanfte Lächeln war deutlich aus seiner Stimme zu hören. Er beugte sich zu mir und gab mir einen zärtlichen Kuss. Danach strich er mir kurz über die Wange, bevor er sich zurücklegte. „Keine Sorge, ich komm damit schon klar.“
„Sagst du mir dann, was ich für dich tun kann, damit es besser wird?“, fragte ich ihn. Ich wollte ihn damit nicht allein lassen. Außerdem waren wir beide dafür verantwortlich.
„Natürlich.“ Er wühlte sich mit seiner Hand unter meine Decke und griff nach meiner. Leicht drückte er zu. „Und jetzt sollten wir erst mal schlafen. Lass uns morgen vernünftig reden.“
„Ist gut. Dann schlaf gut und zerbrich dir nicht mehr so viel den Kopf darüber. Ich mag dich, wie du bist. Ich will nicht, dass du dich von mir unterdrückt fühlst.“ Ich schloss die Augen und drückte ebenfalls seine Hand.
Es war merkwürdig, lediglich seine Hand bei mir zu haben. In den letzten Wochen hatte es keine Nacht gegeben, in der wir nicht Haut an Haut geschlafen hatten. Und nun musste ich mich mit diesem kleinen Teil von ihm zufriedengeben. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie schlimm es werden würde, wenn Roger nicht mehr da war. Vermutlich würde ich die ersten Nächte gar nicht schlafen können.
Eigentlich hatte ich schon befürchtet, dass mir dieses Schicksal auch an diesem Abend blühen würde, doch irgendwann musste ich dennoch eingeschlafen sein.
Am nächsten Morgen schlug ich erst kurz vor Mittag die Augen auf. Wir waren erst recht spät nach Hause gekommen und dann war ich die Nacht noch zweimal aufgewacht. Das erste Mal hatte Roger seine Hand aus meiner befreit. Ich hatte gerade dagegen protestieren wollen, da war er schon zügig unter meine Decke geschlüpft. Sofort hatte ich meine Arme um ihn geschlossen und ihn auch bis zum endgültigen Aufwachen nicht mehr losgelassen. Das zweite Mal war ich aufgewacht, als meine Mum wegen des Frühstücks geklopft hatte. Ich hatte einfach nicht geantwortet, was ihr schon sagte, dass wir nicht runterkommen würden. Mittlerweile sollte meine Familie das Haus verlassen haben.
Auch Roger schlug langsam die Augen auf. Vorsichtig ließ ich meine Hand unter sein Oberteil wandern und drückte ihn fester an mich. „Guten Morgen.“
„Hey.“ Zärtlich lächelte er mich an, dann vergrub er den Kopf an meiner Schulter. Liebevoll strich ich über seinen Nacken. Ganz leise flüsterte er gegen meine Haut: „Das wegen gestern... Tut mir leid, dass ich dich so angeblafft hab. Ich hab überreagiert.“
Ich küsste sein Haupt. „Schon gut. Aber du wolltest mir noch sagen, was ich anders machen kann, damit das nicht noch mal passiert.“
Ganz leicht zuckte er mit den Schultern. Erst nach einer Weile hob er den Kopf und sah mich an. „Ich hatte nur auf einmal das Gefühl, dass er etwas von dir bekommt, dass ich nicht haben kann.“
„Ich geb dir alles von mir, was du willst.“ Mit einem ehrlichen Lächeln erwiderte ich den Blick in seine sturmgrauen Augen.
Eine gefühlte Ewigkeit blickte er einfach nur zurück und streichelte über meinen Arm. Obwohl wir schwiegen, war es unglaublich angenehm. Ich hätte auch für immer so liegen bleiben können.
Umso mehr verwirrte es mich, als er plötzlich zu sprechen begann. „Ich will es versuchen. Ich will wissen, was ich verpasse.“
Zuerst lachte ich, doch dann wurde mir bewusst, dass er es vollkommen ernst meinte. Sofort sah ich ihn wieder an, streichelte über seine Wange. „Bist du sicher? Du musst das nicht tun.“
„Ich will aber. Mit wem sonst, wenn nicht mit dir? Ich will wissen, ob ich das wirklich mit anderen teilen möchte. Vielleicht gefällt es mir ja doch? Außerdem hast du das mit dem Fesseln auch versucht“, fügte er noch leiser hinzu.
Langsam drehte ich ihn herum, bis ich auf ihm lag. „Ja, aber das war ein Geburtstagsgeschenk. Ich will nur, dass du dir sicher bist, dass du das wirklich willst.“
„Dann sieh es als vorzeitiges Geschenk.“ Ich konnte in seinen Augen sehen, dass er unsicher war, aber gleichzeitig sprach seine ganze Haltung von dem Vertrauen, es versuchen zu wollen. „Ich kann immerhin zu deinem Geburtstag nicht hier sein. Bitte, Toby.“
Langsam nickte ich und senkte meinen Kopf, um ihn küssen zu können. Nach einem langen, innigen Kuss flüsterte ich gegen seinen Hals: „Versuch dich zu entspannen. Wenn dich etwas stört, dann musst du es sagen. Ich hör dann sofort auf.“
Roger nickte, während ich ihm das Oberteil auszog und mich langsam seinen Körper hinab arbeitete. Mittlerweile vertraute er mir dabei, ließ mir die Freiheit, ihn zu verwöhnen, die er anderen nicht gewährte. Er wusste, dass ein Wort, eine Geste genügte, damit ich ihm die Kontrolle übergab, dass er sie dadurch nie ganz verlor.
Erst als ich mir sicher war, dass Roger sich so weit es ging fallen gelassen hatte, griff ich nach dem Gleitgel. Fragend hielt ich es vor sein Gesicht, während ich mit der anderen Hand seinen mittlerweile nackten Körper streichelte. „Willst du das selbst machen?“
Vehement schüttelte er den Kopf. „Nein, mach du. Dann kann ich mich daran gewöhnen, jemanden anderen da dran zu haben.“
„Ist gut. Keine Angst, das tut nicht weh. Bleib einfach ruhig und verkrampf dich nicht. Wenn es unangenehm ist, dann...“
Weiter kam ich nicht, denn Roger zog mein Gesicht lachend zu sich und küsste mich drängend. Dann strich er mit den Daumen über meine Stirn, glättete damit die Sorgenfalten. Dabei lächelte er mich offen an. „Keine Sorge, ich weiß, worauf ich mich einlasse und dass du aufpasst. Darum lass ich dich das machen.“
Von ihm angesteckt lächelte ich zurück und schüttelte leicht den Kopf. Er war schon unmöglich. Dann holte ich noch ein Kondom hervor und begab mich nach einem Kuss wieder nach unten. Zwischen seinen Beinen angekommen, drückte ich sie sanft auseinander. „Na dann mach mal ein wenig Platz, damit ich rankomme.“
„Na, wie war ich?“, fragte ich feixend. Wir lagen schon seit ein paar Minuten still nebeneinander und ich hatte das Gefühl, einer von uns musste das Gespräch anfangen. Immerhin konnte ich überhaupt nicht einschätzen, wie es für ihn gewesen war.
Roger lachte und drehte uns dann herum, sodass er auf mir zu liegen kam. Er lächelte mich an und küsste mich drängend. „So gut wie du hat es mir noch keiner besorgt!“
„Idiot!“ Kurz kitzelte ich ihn an den Flanken, dann ließ ich meine Hände sanft seinen Rücken massieren. „Nein, ernsthaft, ist alles gut?“
Er legte seinen Kopf auf meine Schulter und nickte. „Ja, alles gut. Ich war wohl nur etwas zu nervös. Danke, dass du so geduldig warst.“
„Ist doch in Ordnung.“ Beruhigend massierte ich seinen Nacken. „Ich hab dir doch schon mal gesagt, dass wir es nur dann versuchen, wenn wir auch die Zeit dafür haben.“
Noch immer war ich überglücklich. Wir hatten es wirklich getan! Es hatte zwar zwei Anläufe gebraucht, aber das war egal. Wir hatten dann einfach eine kurze Pause eingelegt, ein wenig gekuschelt und gewartet, bis Roger sich wieder entspannt hatte. Ich wäre auch nicht böse gewesen, hätte er den zweiten Versuch auf ein anderes Mal verlegen wollen. Aber Roger hatte es unbedingt durchziehen wollen und mich sehr schnell wieder in Stimmung gebracht. Beim zweiten Mal hatte ich dann noch länger gewartet und war noch vorsichtiger gewesen. Ihm war es irgendwann zu langsam gewesen, sodass er sich mir einfach entgegen gedrängt hatte.
Doch nun wollte ich endlich wissen, was er wirklich darüber dachte. „Wie war es nun für dich? Ich hab dir nicht wehgetan, oder?“
Er lächelte mich an und schüttelte den Kopf. „Nein, hast du nicht. Mach dir doch nicht so viele Gedanken. Du bist der rücksichtsvollste Mann, den ich kenne. Jetzt weiß ich wenigstens, warum so viele sich dir freiwillig ausliefern.“
Geschmeichelt sah ich kurz zur Seite, dann packte ich ihn und drehte ihn auf den Rücken. Er lachte auf. „Dafür bist du der fröhlichste Mann, den ich kenne. Auch wenn ich mir manchmal wünschte, du würdest mir mehr zeigen, was du denkst. Also was ist nun, wie war es für dich?“
„Naja, besser als so ein Spielzeug bist du auf jeden Fall“, feixte er, wofür ich ihn sanft in den Hals biss. Dann wurde er ernst. „Aber so wirklich... Ich glaub nicht, dass es an dir liegt. Ich fand es schön, dich so nah zu spüren. Es ist etwas anderes, als wenn ich das mache, weil ich dir vertrauen muss. Ich glaub, ich kann jetzt verstehen, wie es für dich beim Fesseln war.“
„Also wird es zumindest irgendwann eine Wiederholung geben?“, fragte ich grinsend. Ich hatte gar nicht erwartet, dass es ihm so gut gefiel, dass er es immer wieder wollte. Das wäre einfach nicht er gewesen.
Roger lachte und küsste mich dann fordernd. „Ich dachte, ich bin der hoffnungslose Optimist von uns beiden und du der Rationale.“
„Das ist nur der Romantiker in mir. Aber du hast eben nicht gesagt, dass du das nicht willst. Du hast es schön gefunden, auch wenn es nicht so ganz deins ist.“ Zärtlich küsste ich seinen Hals.
„Ja, hab ich“, hauchte er sanft in mein Ohr. „Außer dir will ich da trotzdem niemanden ranlassen. So nah will ich nur dir sein. Und ich glaub, dass reicht mir auch erst mal für die nächste Zeit.“
Verständnisvoll lächelte ich ihn an. Meine Hände wanderten derweil über seinen Oberkörper. „Sag einfach Bescheid. Willst du eigentlich duschen oder lieber noch etwas weiter machen und den freien Tag nutzen?“
„Hmm... Beides. Lass uns zusammen duschen und danach frühstücken wir. Vielleicht übermannt mich ja der Hunger schon in der Dusche und ich brauch dringend ein Stück Fleisch“, scherzte er und zwinkerte mir zu.
Lachend erhob ich mich. „Du bist ein Spinner!“
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„Hey, aufwachen“, sanft rüttelte ich an Rogers Schulter, doch er schüttelte nur den Kopf und verkroch sich unter der Decke. Lachend zog ich sie weg. „Komm schon. So wird es auch nicht besser.“
„Doch. Die Bahn fährt dann ohne mich“, gab er bockig von sich, drehte sich jedoch zumindest auf den Rücken.
Ich kuschelte mich an ihn. „Ja, aber das bringt doch auch nichts. Dann gibt’s nur Ärger mit deinen Eltern und du musst eine teurere Verbindung nehmen. Oder du musst fliegen!“
Bei der Drohung verzog er das Gesicht. Ich wusste mittlerweile, dass er höllische Flugangst hatte. Daher nahm er lieber die Bahn, die auch deutlich günstiger war. Ich selbst hatte bisher nie darüber nachgedacht, dass das auch eine Alternative war und war immer geflogen.
Er vergrub seinen Kopf an meiner Schulter und nuschelte dagegen: „Dennoch würd ich gern bis Donnerstag hier bleiben.“
„Ich würde mich auch darüber freuen. Immerhin wüsste ich gern, wie du bist, wenn du getrunken hast.“ Es war wirklich schade, dass Roger nicht bis zu meinem Geburtstag bleiben konnte, aber er musste noch einiges in Boston erledigen, bevor am Montag das Semester anfing. Wir hatten es schon so lange es ging hinausgezögert, aber leider reichte das nicht. Ich musste meinen Einundzwanzigsten daher ohne ihn feiern. „Na komm schon. Ich muss doch auch zur Arbeit.“
Seufzend stand Roger nun doch auf und ging ins Bad. Ich bereitete in der Zeit schon einmal den Frühstückstisch für uns vor. Roger löste mich ab, während ich mich fertig machte.
Meine Familie war bereits aus dem Haus, wir hatten sie gebeten, uns heute schlafen zu lassen, damit wir den letzten gemeinsamen Morgen genießen konnten. Sie hatten sich gern dazu bereiterklärt und sich bereits am Abend von Roger verabschiedet.
Bereits zwei Stunden später standen wir eng umschlungen am Bahnsteig. Noch immer mochte Roger es nicht unbedingt, wenn wir uns so in der Öffentlichkeit zeigten, was ich auch akzeptierte und nicht schlimm fand, doch im Moment war uns beiden einfach danach und wir brauchten es auch. Dass die Leute uns zum Teil anstarrten, konnte ich ganz gut ausblenden, Roger vergrub einfach seinen Kopf an meinem Hals, damit er es nicht mitbekam.
Als sein Zug angekündigt wurde, spürte ich, wie seine Finger an meinem Rücken sich fester in meinem Shirt verkrallten. Ich drückte ihn noch einmal fest an mich, dann schob ich ihn an den Schultern sanft von mir weg. Etwas unwillig ließ er mich los.
„Nicht weinen, okay?“ Ich strich ihm die einzelne Träne von der Wange, die sich langsam ihren Weg nach unten bahnte. „Wir sehen uns in zwei Wochen doch schon wieder.“
Leise seufzte er. „Ich weiß. Aber das kommt mir so lang vor. Außerdem seh ich dich dann noch nicht mal richtig.“
„Ich weiß.“ Wieder zog ich ihn in meine Arme.
Ich verstand ihn nur zu gut. Da seine Eltern ihm in Boston keine Wohnung bezahlten, musste er wieder bei ihnen einziehen. Daher hatten wir auch keine Möglichkeit, dass ich bei ihm schlafen konnte. Ich nutzte es deshalb, dass Peter in zwei Wochen ebenfalls seinen einundzwanzigsten Geburtstag feierte, und würde mich dann für ein paar Stunden mit Roger treffen, bevor ich wieder fuhr.
Ich gab ihm einen sanften Kuss auf den Kopf. „Tut mir leid. Für das nächste Mal lass ich mir etwas einfallen.“
„Ich versuch auch nochmal mit meinen Eltern zu reden. Vielleicht verstehen sie ja doch noch, dass sie nichts daran ändern können.“
„Ich wünsch dir viel Erfolg. Und jetzt schenk mir noch mal ein Lächeln. Ich will dich nicht die nächsten zwei Wochen mit so einem traurigen Gesicht vor Augen haben.“ Er nickte kurz und lächelte mich dann an.
Ich lächelte zurück und während der Zug einfuhr, gab ich ihm einen zärtlichen Kuss. Die anderen Fahrgäste achteten schon gar nicht mehr auf uns, da sie sich bereits zu den Türen drängten oder sich selbst noch von ihren Liebsten verabschiedeten.
„Ruf an, wenn du zu Hause bist, damit ich weiß, dass du gut angekommen bist.“
„Mach ich. Denkst du an das Bett? Ich mag nicht ewig im Wohnzimmer schlafen“, erinnerte er mich schon zum zehnten Mal heute.
Ich lächelte milde. Er war einfach nur genauso nervös wie ich. „Ja, ich bring es direkt nach der Arbeit zur Spedition, spätestens übermorgen ist es bei dir. Und jetzt beeil dich, sonst fährt der Zug wirklich ohne dich.“
„Danke.“ Schnell küsste er mich noch einmal, bevor er sich seinen Koffer schnappte und zum Zug sprintete. Den Rest seiner Sachen würde ich zusammen mit dem Bett verschicken.
Als er einen Platz gefunden hatte, winkte er mir lächelnd zu, bis der Zug abfuhr. Sobald er sich in Bewegung gesetzt hatte, wandte ich mich ab, damit Roger nicht vielleicht doch sah, wie meine ruhige und gelassene Fassade bröckelte. Wie konnte ich ihn nach nur ein paar Sekunden schon vermissen? Das war doch nicht normal!
Langsam schlenderte ich zur Arbeit. Eigentlich hatte ich mir den heutigen Tag freinehmen wollen, doch jetzt bemerkte ich, dass meine Mutter recht gehabt hatte, sie würde mich davon ablenken, dass mein Freund auf dem Weg in sein altes Leben war. Ein Leben, in dem ich vorerst keinen Platz hatte.
Der Fernseher flimmerte vor sich hin, war die einzige Lichtquelle in dem kleinen Wohnzimmer. Keine Ahnung, was da überhaupt lief, der Film interessierte mich nicht. Doch Roger starrte die ganze Zeit konzentriert darauf. Ich sah kurz zu ihm hinüber, wie er auf der Couch saß, so nah und doch außerhalb meiner Reichweite.
Hatten wir zuerst noch alles getan, um einander zu sehen, und fast jeden Tag miteinander telefoniert, hatte sich das nach einem Jahr schon geändert, nach zwei waren die Besuche deutlich seltener geworden. Anfänglich hatte das an Rogers Abschlussprüfungen und Berufseinstieg gelegen, dann war es zur Routine geworden, dass wir uns nur alle paar Monate sahen. Dass die Treffen durch die neue Wohnung viel einfacher waren, hatte nichts daran geändert.
Anfänglich war es mir gar nicht so aufgefallen, da ich selbst genug zu tun gehabt hatte. Bei Lena hatte die Pubertät voll zugeschlagen, sodass es zu Hause noch viel mehr Stress gab. Doch Ausziehen war für mich nach wie vor keine Option gewesen, immerhin musste ich so viel Geld wie möglich sparen.
Zu dem Ärger zu Hause hatte sich außerdem Stress in der Clique gesellt. Mittlerweile gab es sie nicht mehr. Greg und Darius hatten sich wegen einer Frau zerstritten und Anthony hatte sich aufgrund des anstrengenden Jurastudiums immer weiter zurückgezogen, während sein Bruder gemeinsam mit Belinda ins Silicon Valley gezogen war. Lediglich mit Terrence hatte ich noch halbwegs regelmäßig Kontakt, doch da er im letzten Jahr endlich mit dem College begonnen hatte, hatte er nicht mehr viel Zeit. Ich gönnte es ihm, er hatte lange darauf hingearbeitet, es sich leisten zu können, aber es war schade, ihn nicht mehr so häufig zu sehen, denn auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren, war er mein engster und längster Freund. Und gerade in letzter Zeit hätte ich ihn gut gebrauchen können.
Ich seufzte leise. „Magst du noch ein Bier?“
„Ja, gern“, antwortete Roger ohne seinen Blick auch nur in meine Richtung zu wenden.
Ich stand auf, ohne etwas zu erwidern, und ging in die Küche. Wenn wir uns dann doch mal sahen, dann waren wir trotzdem fast wie Fremde. Nicht einmal mehr wie früher, als wir noch Freunde waren, denn damals hatten wir wenigstens das Interesse aneinander ausdrücken können. Nun saßen wir häufig nebeneinander und wussten nicht, was wir miteinander reden sollten, was den anderen bewegte, in ihm vorging. Wir hatten uns auseinandergelebt, führten zwei völlig unabhängige Leben. Seit über einem Jahr ging das schon so. Zumindest hatte ich es da das erste Mal bemerkt. Ich wusste, dass ich nicht unschuldig war, ich hätte ebenfalls öfter anrufen, mir mehr Zeit für ihn nehmen, meine Prioritäten anders setzen können. Aber ich konnte es nicht mehr ändern.
Ich brauchte jetzt ein paar aufmunternde Worte, jemanden, der mir zeigte, dass das, was ich vorhatte, das Richtige war. Denn so konnte es nicht weitergehen, einer von uns musste etwas an der Situation ändern. Ich zückte mein Handy, als ich in der Küche ankam, und drückte die Kurzwahltaste. In dem Versuch, wieder mehr miteinander zu reden, hatten Roger und ich uns jeweils eines besorgt, doch es führte lediglich dazu, dass wir noch weniger telefonierten und uns mit einer morgendlichen und abendlichen SMS zufriedengaben.
Nach ein paar Mal klingeln wurde abgenommen. „Hi, Toby.“
„Hallo, mein Hübscher.“ Schon seine Stimme brachte mich zum Lächeln, tat mir gut. Etwas entspannter lehnte ich mich an die Küchenzeile. „Ich hoffe, ich stör nicht?“
„Nein, du doch nicht. Ich dachte, du bist schon in Boston?“, fragte er verwundert nach.
„Bin ich auch. Ich wollte nur mal deine Stimme hören“, flötete ich ins Telefon. Ein wenig zwanglos flirten würde mir jetzt sicher guttun.
„Und dein Freund wird nicht eifersüchtig, wenn du einfach zwischendurch deinen Lover anrufst?“, fragte er in neckischem Ton.
„Warum? Ich darf tun, was ich will“, gab ich genauso zurück. Hauptsächlich, um ihm nicht recht zu geben. Dennoch hatte ich es gebraucht, seine Stimme zu hören, die es so mit Leichtigkeit schaffte, mich zu erden.
„Solltest du nicht trotzdem eher mit ihm im Bett liegen und andere Dinge tun, als mich anzurufen?“ Ein leichtes Augenzwinkern war deutlich in seiner Stimme zu hören.
Ich lachte auf. „Er ist nicht du.“
Auch mein Gesprächspartner lachte, verstand, was ich meinte. „Na dann freu ich mich ja schon auf unser nächstes Treffen. Dann kannst du dich wieder richtig austoben.“
„Ich freu mich auch schon“, raunte ich ins Telefon. Der Gedanke gefiel mir und gleichzeitig machte mich seine Aussage glücklich, zeigte, dass er hinter meiner Entscheidung stand, auch wenn sie zu seinem Nachteil war. „Ich hoffe, es ist nicht zu lange hin. Aber ich muss jetzt Schluss machen. Einen schönen Abend noch. Ich hab dich lieb.“
Leicht lachte er, bevor er sanft erwiderte: „Das hängt ganz von dir ab. Ich hoffe es läuft, wie du es dir erhoffst. Ich drück dir die Daumen.“
Lächelnd schaltete ich das Telefon aus. Ja, das war es, was ich gebraucht hatte. Das war es, was mir den Mut geben würde, endlich Nägel mit Köpfen zu machen und etwas an dieser Situation zu verändern. Ein Geräusch ließ mich aufblicken.
Im Türrahmen stand Roger, starrte mir mit wütender und gleichzeitig fassungsloser Miene entgegen. Als er bemerkte, dass ich aufsah, wandte er sich schnaubend um. Seit wann hatte er schon dort gestanden? Und warum war er mir gefolgt?
Ich sah, dass Roger ins Schlafzimmer ging und einen Moment später mit meiner Reisetasche daraus zurückkam. Sobald er wieder in der Küche war, drückte er sie mir wortlos in die Hand.
„Was wird das?“, fragte ich völlig perplex.
„Wonach sieht es denn aus?“
Ich stellte die Tasche vor mir ab. „Und wo soll ich deiner Meinung nach hin?“
„Du kannst ja zu deinem Hübschen“, spuckte er mir förmlich entgegen. Er schien also schon eine ganze Weile in der Tür gestanden zu haben. „Was ist nun, schaffst du es selbst, die Tasche zu tragen, oder muss ich sie dir vor die Tür bringen?“
„Willst du dir nicht wenigstens anhören, was ich zu sagen habe?“ Ich dachte gar nicht daran, jetzt zu gehen.
„Bist du in ihn verliebt?“, fragte Roger gerade heraus.
„Ja“, gab ich unumwunden zu. Ehrlichkeit, das war der Grundstein unserer Beziehung. Wir hatten uns geschworen, uns nie anzulügen. Und damit würde ich jetzt auch nicht anfangen.
Doch bevor ich weitersprechen, mich erklären konnte, schnappte Roger sich meine Tasche und verließ die Küche in Richtung Wohnungstür. Dort blieb er stehen. „Dann wünsch ich dir mit ihm alles Gute. Wirklich. Tut mir leid, dass es nicht geklappt hat. Ich ruf dich an, wenn ich bereit bin, wieder mit dir befreundet zu sein. Im Moment brauch ich etwas Zeit für mich.“
Unwillkürlich schüttelte ich den Kopf. Nicht einmal wenn er mit mir Schluss machte, konnte er mich anschreien. Das entlockte mir ein leichtes Lächeln. Da im Moment offensichtlich nicht mit ihm zu reden war, würde ich mich vorerst fügen. Aber nur vorerst!
Ich ging zu ihm, schlüpfte in meine Schuhe und nahm ihm an der mittlerweile offenen Tür die Tasche ab. „Ist gut. Denk einfach noch mal darüber nach. Du hast meine Nummer.“
„Schick mir einfach die Hotelrechnung.“ Auch wenn er versuchte, emotionslos zu klingen, zeigten seine Augen deutlich Wut und Enttäuschung.
Ich streckte die Hand nach ihm aus und strich ihm sanft über die Wange. Auch wenn er es vermutlich nicht einmal merkte, streckte er sich ihr leicht entgegen. Gut, das hatte ich gebraucht. Dieses Zeichen, damit ich guten Gewissens gehen konnte. „Wir sehen uns, Nummer Eins.“
Verwirrung mischte sich in seinen Blick, während er die Tür langsam hinter mir schloss. Als ich sie leise klacken hörte, atmete ich tief durch, versuchte, meine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Wir hatten uns schon oft gestritten, häufig, wenn einer von uns sich nicht an die Regeln gehalten und das gebeichtet hatte, aber noch nie hatte er mich rausgeschmissen oder versucht mit mir Schluss zu machen.
Zuerst zündete ich mir eine Zigarette an, dann zückte ich erneut mein Handy. Ich brauchte zuerst einen Schlafplatz für die Nacht. Schnell suchte ich die Nummer heraus. Es war nicht schwer, auszumachen, wen ich jetzt anrufen musste. Immerhin gab es nur noch eine Person hier in Boston, die mir helfen würde. Hoffentlich war er noch wach und konnte gerade rangehen.
Es dauerte, bis abgenommen wurde. „Toby? Was gibt’s denn?“
„Hi Mat. Ich brauch heute Nacht dringend einen Schlafplatz. Vielleicht auch ein paar Tage länger“, erklärte ich ihm kurz, während ich das Haus verließ. Verdammt, ich hatte meine Jacke vergessen und jetzt im Herbst war es schon recht kühl ohne. Hoffentlich ließ sich Roger nicht zu lange Zeit, bis er wieder mit mir sprach.
„Oh, was ist passiert?“ Leichte Besorgnis war aus Mats Stimme herauszuhören.
„Kann ich dir das später erklären? Gerade ist mir etwas kalt.“
„Pussy“, höhnte er. „Wo bist du denn?“
„North End.“ Da mir klar war, was die nächste Frage sein würde, beantwortete ich sie gleich mit. „Die nächste Station ist Haymarket. Ja, ich find selbst hin.“
„Gut. Fahr mit der Orange nach Süden und steig Downtown aus. Warte einfach dort am Bahnsteig, dann fahren wir zusammen weiter. Bin nur grad noch unterwegs, kann einen Moment dauern“, wies er mich an.
„Danke. Bis gleich.“ Ich machte mich auf den Weg.
Zum Glück kannte ich mich hier mittlerweile ein wenig aus und war es ja auch aus Manhattan gewöhnt, dass es in der U-Bahn immer etwas hektisch zuging. Daher kam ich recht stressfrei an.
Es dauerte gar nicht so lange wie befürchtet, bis Mat zu mir stieß. Kurz umarmte er mich, dann beäugte er mich misstrauisch. „Hi, Großer. Was machst du hier?“
„Erklär ich dir später. Kann ich ein paar Nächte bei dir pennen?“ Ich wusste, dass er nicht begeistert sein würde, aber andererseits war er ein guter Mensch. Auch wenn er grundsätzlich versuchte, es zu verstecken.
„Kannst du nicht woanders hin?“, fragte er schlecht gelaunt, während wir in die Bahn einstiegen. Im Grunde hatte er damit schon zugestimmt.
„Nein. Mein Freund hat mich gerade rausgeschmissen.“
„Hui, na auf die Story bin ich ja mal gespannt. Na gut, du kannst auf der Couch pennen. Aber wehe, du gehst in mein Schlafzimmer!“, warnte er mich.
„Keine Sorge, da will ich gar nicht hin.“ Seine Sorge, jemand könnte ihm zu nahe kommen, war schon manchmal süß. „Ich werd dir hoffentlich auch nicht lange auf die Nerven gehen.“
„Das hoff ich doch. Vertrag dich mal ganz schnell wieder mit deinem Schätzchen.“
Ich nickte leicht, sagte aber nichts darauf. Immerhin lag es im Moment nicht an mir.
Es dauerte nicht lange, da waren wir bei der Endstation angekommen. Wir stiegen aus und gingen gemeinsam zu Mats Wohnung. Ich war noch nie dort gewesen und gespannt, wie sie aussah.
Doch es war ernüchternd. Eine typische Junggesellenwohnung mit einem Wohnzimmer, in dem nur eine Couch, Fernseher und Couchtisch standen, und einem Schlafzimmer, dessen Tür geschlossen war. Ich hoffte, nicht zu lange bleiben zu müssen, die Couch würde schon wegen meiner Größe sehr unbequem werden.
Der leichte Geruch nach kaltem Rauch sagte mir, dass Mat hier rauchte. Gut, ich musste mich dringend beruhigen. „Hast du was zum Rauchen für mich?“
„Was? Erst hier schlafen wollen, dann auch noch Zigaretten schnorren?“, fragte er gespielt unfreundlich, zwinkerte mir aber zu.
„Nee, Zigaretten hab ich selbst.“ Ich zog die Schachtel aus meiner Tasche. „Ich dachte da eher an was anderes.“
„Ich hab nichts, sorry.“ Verwundert sah ich ihn an. Mat hatte kein Gras da? Das war ja was ganz neues. „Hab aufgehört mit dem Mist. Tut mir einfach nicht gut.“
„Oh. Klingt gut. Und Peter?“
„Was soll mit ihm sein?“
„Hat er auch wieder aufgehört? Ich meine, hattest du nicht gesagt, er hat wieder richtig angefangen, nachdem ...“
„Du meinst das H? Ja. Es hat etwas gedauert, bis er wieder runter war, aber er ist es los. Vorerst.“ Aufmunternd lächelte Mat mich an.
Dennoch änderte es nichts daran, dass ich mich dafür verantwortlich fühlte. „Tut mir leid.“
„Es war seine Entscheidung wieder anzufangen.“ Mat zuckte einfach nur mit den Schultern.
„Ja, aber ich hätte ihm eher etwas sagen müssen, dann wäre das nicht passiert.“ Frustriert seufzte ich.
Eigentlich hatte ich genau das verhindern wollen und es deshalb immer weiter hinausgezögert, ihm von Roger zu erzählen. Bis Peter eines Tages plötzlich vor meiner Tür gestanden hatte, ganz spontan, ohne sich anzumelden, während ich auf Arbeit gewesen war. Blöderweise war Roger zu Besuch und zu diesem Zeitpunkt der einzige im Haus gewesen.
„Da wäre ich mir nicht so sicher. Peter hing sehr an dir. Vielleicht hätte er auch wieder angefangen, wenn du es ihm gesagt hättest.“ Mat drückte mir kurz aufmunternd die Schulter. „Aber es ist müßig, darüber zu diskutieren, was wäre wenn.“
„Ja, aber es war scheiße von mir.“ Ich hätte ihm sagen müssen, dass ich einen Freund hatte und nicht der völlig ahnungslose Roger, der davon ausgegangen war, dass Peter von ihm wusste. Mittlerweile wusste ich, dass ich ziemlich Mist gebaut hatte.
„Das will ich gar nicht bestreiten. Also wenn du Pott willst, kann ich dir auch eben welches besorgen“, bot er an.
„Nein, lass mal. Ich glaub, du hast schon recht, dass das keine gute Idee ist. Ich sollte wohl auch lieber schlafen gehen, ich hab morgen früh einen wichtigen Termin.“ Ich hatte zwar schon ein paar Mal mit ihm und seinem Bruder gekifft, aber allein hatte ich da auch keine Lust drauf. Dafür gab es mir nicht genug.
„Hey, du schuldest mir noch ’ne Story“, beschwerte er sich, während ich schon begann, mich auszuziehen.
„Morgen, okay?“, vertröstete ich ihn erneut. Ich wollte den Teufel nicht an die Wand malen, wenn ich noch gar nicht mit Roger geredet hatte. Ich wollte erst mal bis morgen abwarten, ob er sich nicht von selbst wieder beruhigte. „Ich muss um fünf raus.“
„Na gut, aber dann lass ich dich nicht einfach ziehen“, drohte er nicht ganz ernst. Er wusste, dass er mich nicht zwingen konnte, es ihm zu erzählen.
Wir wünschen uns eine gute Nacht, dann verschwand Mat erst ins Bad und dann ins Schlafzimmer.
Doch Roger meldete sich nicht am nächsten Tag. Und auch die Tage darauf hörte ich nichts von ihm. Ich ließ mich davon dennoch nicht entmutigen. Für mich war die Beziehung noch nicht beendet.
Ich blieb während der gesamten Zeit bei Mat, der froh war, dass ich eigentlich den ganzen Tag unterwegs war. Da er den Rest der Woche Nachtschicht hatte, sahen wir uns auch nicht wirklich.
Nach vier Tagen hielt ich die Funkstille nicht mehr aus und schrieb Roger eine Nachricht, dass ich meine Jacke und noch ein paar Sachen bei ihm vergessen hatte. Es dauerte lange, doch dann kam die Nachricht, dass er sie mir zuschicken würde. Danach bat ich ihn noch einmal explizit, ob wir uns nicht treffen könnten. Wenigstens, damit ich mir die Sachen holen konnte. Doch er gab keine Antwort mehr.
Nachdem ich bereits seit einer Woche bei Mat war, fragte er mich, während wir auf der Couch saßen: „Wie lange bleibst du noch?“
„Keine Ahnung. Bis sich das mit Roger geklärt hat?“, antwortete ich vorsichtig. Ich konnte verstehen, dass Mat die Wohnung endlich wieder für sich allein wollte. Doch solange ich nicht meine Sachen von Roger hatte, konnte ich nirgendwo anders hin. Denn in meiner Jacke befanden sich ein paar Dinge, die ich dringend brauchte.
„Und wann ist das? Sorry, ich will dich nicht rauswerfen, aber so langsam brauch ich meine Ruhe.“ Entschuldigend sah er mich an.
„Schon gut.“ Ich wusste ja, dass Mat andere Menschen nur eine gewisse Zeit in seiner Nähe aushielt. Eigentlich war es sogar erstaunlich, dass er mich so lange ertrug. „Ich geh morgen einfach mal zu ihm. Dann muss er mit mir reden.“
„Ich komm mit“, bestimmte er direkt. „Ich hab morgen frei.“
Ich lachte. „Und was willst du da?“
„Ich bin einfach neugierig, wie er so ist. Ich hab ihn ja auch noch nicht kennengelernt. Und ansonsten als moralischer Beistand. Wenn er dich direkt wieder rauswerfen will, dann kann ich ihn davon abhalten.“ Mat zwinkerte mir zu.
„Na gut, aber halt dich etwas im Hintergrund. Ich will das mit ihm allein klären.“
„Keine Sorge, ich warte nur, bis er mit dir redet. Aber ich kann mir nicht mehr ansehen, wie du hier sitzt wie ein Häufchen Elend.“
„Danke, du bist so gütig. Gib doch zu, du willst mich nur schnellstmöglich wieder loswerden!“
„Das auch.“
Wir lachten beide und widmeten uns dann dem Film, sowie den Chips und der Eiscreme, mit denen wir es uns gemütlich gemacht hatten.
Am nächsten Abend standen wir gemeinsam vor Rogers Tür. Ich hatte mehrmals geklingelt, doch er schien nicht zu Hause zu sein. Daher warteten wir, bis er wiederkam. Nun war ich wirklich froh, dass Mat dabei war, so musste ich mir nicht alleine die Beine in den Bauch stehen.
„Ach, verdammt“, fluchte er plötzlich.
„Was denn los?“ Ich wandte mich zu ihm, der gerade in eine leere Schachtel Zigaretten starrte. Wortlos hielt er sie in meine Richtung. Da ich wusste, wie ungemütlich er ohne seine Ersatzdrogen werden konnte, zückte ich schnell meine eigene Packung. „Hier, die werd ich heute nicht mehr brauchen.“
„Danke.“ Er nahm die Schachtel entgegen und zündete sich eine an. „Sicher, dass du den Rest des Tages ohne auskommst?“
„Klar, ich hab die letzten Tage eh viel zu viel geraucht. Außerdem küsst mich Roger nicht mehr, wenn ich geraucht hab.“
„Na deinen Optimismus möchte ich mal haben.“ Mat klopfte mir kräftig auf die Schulter, während er grinste.
Ich seufzte schwer. „Ich würde es eher hoffnungslose Romantik nennen.“
„Ach komm, nach allem, was du erzählt hast, ist er der ideale Mann für dich.“
„Warum hat er mich dann vor einer Woche aus seiner Wohnung geworfen? Und redet immer noch nicht mit mir?“, fragte ich schon deutlich pessimistischer.
„Keine Ahnung, du hast es mir ja immer noch nicht erzählt.“ Als er sah, dass ich die Augen verdrehte, lachte er. Doch es erstarb sofort wieder. „Oh, Fuck!“
Hätte ich Mat nicht bereits seit etlichen Jahren gekannt, hätte ich vermutet, dass er versuchte, sich hinter mir zu verstecken. Doch das war eigentlich völlig absurd. Verwundert sah ich in die Richtung, in die er geblickt hatte.
Doch dann zog eine Gestalt meinen Blick auf sich, die auf das Haus zu kam. Ich ging ein paar Schritte auf ihn zu, lächelte ihn sanft an. „Hi Roger.“
„Was willst du hier?“, wurde ich unfreundlich, aber nicht aggressiv begrüßt. Er hatte einige Einkaufstüten in der Hand. „Ich hab doch gesagt, ich meld mich.“
„Ich wollte dich sehen. Und meine Sachen abholen.“ Ich machte noch ein paar Schritte auf ihn zu und wollte ihn sanft über die Wange streicheln. Doch sein Blick fiel an mir vorbei direkt auf Mat, der bis auf ein paar Schritte an uns herangekommen war.
„Na so arg kannst du mich ja nicht vermisst haben“, stellte er eisig fest und schritt an mir vorbei zur Tür, um sie aufzuschließen. Dafür nahm ich ihm eine der Tüten ab. Es war eher ein Reflex als geplant. „Kommt mit, deine Sachen sind oben.“
Mat und ich folgten Roger die Stufen hinauf bis in seine Wohnung. Er ging erst in die Küche, um den Einkauf loszuwerden, dann direkt ins Schlafzimmer und kam einen Moment später mit einer großen Kiste zurück. Mat und ich warteten im Flur auf ihn. „Hier, das sollte alles sein. Du hättest dafür wirklich nicht extra nochmal nach Boston kommen müssen. Ich hätte es dir auch geschickt.“
„Ich war die ganze Zeit in Boston. Ich hab gehofft, dass du dich noch mal meldest.“ Ich nahm ihm die Kiste ab, stellte sie aber auf den Boden. Ein klares Zeichen, dass ich jetzt noch nicht gehen würde.
Roger sah erneut an mir vorbei zu Mat und schnaubte dann verächtlich. „War ja klar.“
„Ich meine das ernst. Roger, ich möchte mit dir reden. Was ist los mit dir?“ Ich streckte meine Hand nach ihm aus, doch er wich ihr aus.
Wütend funkelte er mich an. „Ich lass mich nicht gerne anlügen.“
Traurig sah ich ihn an. „Ich hab dich nie angelogen.“
„Ach nein?“ Nun klang Roger deutlich verletzt. „Wie sehr kannst du mich denn vermisst haben, wenn du die letzte Woche bei deinem Hübschen verbracht hast?“
„Was?“, fragten Mat und ich gleichzeitig im selben ungläubigen Tonfall.
„Ich war die ganze Woche bei Mat“, erklärte ich.
„Dachte ich mir schon.“ Leise seufzte Roger. „Aber ich versteh schon, warum du dich in ihn verliebt hast. Er kann dir immerhin alles geben, was ich dir nicht geben kann.“
Als ich verstand, was Roger dachte, musste ich unweigerlich loslachen. Der Gedanke war einfach so unglaublich absurd!
Bevor ich mich wieder unter Kontrolle hatte, ergriff Mat das Wort: „Ohja, er hat jedes Mal, wenn wir gefickt haben, nur von dir erzählt. Das hat mich gleich noch viel mehr angemacht.“
Oh Gott, hoffentlich erkannte Roger den triefenden Sarkasmus in Mats Stimme, sonst würde es schwierig werden. „Mat ist Peters Bruder. Wir sind nur Freunde, da läuft überhaupt nichts.“
„Und das soll ich dir glauben? Nachdem du nach ’ner Woche einfach mit ihm vor meiner Tür stehst und dem Telefonat in der Küche?“ Roger wirkte gerade völlig erschöpft, als würde ihm das alles unglaublich zusetzen.
„Keine Sorge, ich würde das Muskelpaket nicht mal mit ’ner Kneifzange anfassen“, versicherte Mat auf seine ganz eigene Art.
Doch Roger schien nicht überzeugt. Vorsichtig griff ich nach seiner Hand. Sanft hielt ich sie in meiner, strich mit dem Daumen darüber. Schon dass er es zuließ, beruhigte mich. Ich sah ihm tief in die Augen, sprach so ruhig wie möglich. „Ich weiß nicht, was du glaubst, was passiert ist, aber ich hab dir etwas versprochen – und du mir auch. Also bitte, lass uns reden.“
„Ist gut“, antwortete er, nachdem er geschluckt hatte, gab sich geschlagen. Er umfasste meine Hand und zog mich Richtung Wohnzimmer.
„Ruf mich an, wenn du deine Sachen holen kommst, Casanova. Oder wenn du nochmal Hilfe brauchst. Wir sehen uns“, verabschiedete sich Mat von uns und verließ zügig die Wohnung.
Im Wohnzimmer setzten Roger und ich uns auf die Couch. Ungläubig sah er mich an. „Und das ist wirklich Peters Bruder? Ich hab ihn mir völlig anders vorgestellt. Immer, wenn du von ihm erzählt hast, wirkte er so herzlich und fürsorglich. Ich hätte nie mit dem da gerechnet. Er ist immer so unglaublich aggressiv.“
„Du kennst ihn?“, stellte ich überrascht fest. Anderseits machte so sowohl Rogers, als auch Mats Reaktion deutlich mehr Sinn.
„Nur vom Cruisen. Und ich hätte nie gedacht, dass er das sein könnte. Er gibt sich immer so unnahbar.“
Na gut, wenn Roger Mat vom Cruising kannte, dann war es nicht verwunderlich, wenn er falsche Schlüsse zog. Immerhin hatten wir einen recht ähnlichen Männergeschmack. „Er mag nur einfach niemanden zu nah an sich heranlassen.“
„Und da läuft wirklich nichts?“, fragte Roger unsicher. Ich schüttelte mit einem leichten Lächeln den Kopf. Noch immer fand ich den Gedanken einfach nur absurd. „Ich meine, das würde einfach gut passen.“
„Nein, wirklich nicht. Er ist einfach nur ein sehr guter Freund von mir. Das würde auch gar nicht funktionieren, dafür kennen wir uns viel zu gut.“
„Und das Telefonat?“ Unsicher sah Roger mich an. Offenbar machte ihm der Gedanke, ich könnte jemand anderen haben, wirklich Angst.
Ich seufzte leise. „Ich hab mit jemandem aus New York telefoniert. Ich hab mich einfach nach ein paar freundlichen Worten gesehnt.“
„Du hast dich in ihn verliebt? Seit wann? Und warum hast du nichts gesagt?“
„Schon eine Weile. Ich wusste nicht wie. Keine Ahnung, ich hatte Angst, dass du mir nicht glaubst, dass ich dich trotzdem noch liebe.“ Ich drückte Rogers Hand ein wenig fester.
„Tust du?“, fragte er leise.
Ich zog ihn vorsichtig in meine Arme. „Ja. Ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht versprechen kann, dass ich mich nicht in jemand anderen verliebe. Aber trotzdem kommst du für mich immer an erster Stelle. Ich hör doch deswegen noch lange nicht auf, dich zu lieben.“
Leise murmelte Roger etwas gegen meine Schulter. Ich strich ihm durch das Haar und bat ihn, es nochmal zu wiederholen. „Du hast noch nie gesagt, dass du mich liebst.“
„Was? Tut mir leid ... Ich ... Das war keine Absicht. Ich dachte nur ... Ich hab das gar nicht bemerkt. Tut mir leid. Ich dachte wohl einfach, du weißt das auch so.“ Zärtlich küsste ich ihn auf die Schläfe.
„Aber ihm hast du es so einfach gesagt. Das hat mich wütend gemacht. Und traurig“, gab er leise zu.
Ich drückte ihn noch fester an mich. „Tut mir leid. Für mich ist ‚ich hab dich lieb‘ keine Liebeserklärung. Das sag ich zu vielen Leuten, die ich gern hab.“
„Und du hast ihn ‚deinen Hübschen‘ genannt. Mich hast du noch nie so genannt.“
„Du mich doch auch nicht. Ich würde dich auch nie so nennen, dafür ist es viel zu abgenutzt. Ich wüsste auch keinen Kosenamen für dich, der nicht albern klingt. Wobei, ich könnte dich Schnuckelchen nennen“, scherzte ich. Ich konnte nicht anders. Diese Stimmung würde mich sonst fertig machen, wenn ich sie nicht wenigstens etwas auflockerte.
Schockiert riss sich Roger von mir los und starrte mich mit großen Augen an. Unweigerlich musste ich lachen. „So haben Kil und ich dich genannt, bevor er wusste, wie du heißt. Aber ich dachte mir schon, dass du den nicht magst. Du bist eben was besonderes, weil du keinen blöden Spitznamen hast und trotzdem weißt, dass ich dich gern hab. Du bist einfach nur mein Roger.“
Er senkte etwas den Blick. „Jetzt bin ich wohl nicht mehr dein Roger.“
„Doch bist du!“ Ich zog ihn wieder in meine Arme. „Wir haben uns versprochen, uns nicht wegen anderer zu trennen, ohne vorher darüber zu reden. Hast du das etwa vergessen?“
Leicht nickte er und ließ sich gegen mich fallen. „Ja ... Tut mir leid.“
„Schon gut. Jetzt reden wir ja darüber.“ Ich kraulte ihm den Kopf. „Also, willst du noch immer mein Roger sein?“
„Ja!. Wenn du denn noch willst.“
„Natürlich will ich. Aber bist du denn noch glücklich?“, fragte ich vorsichtig. Wenn wir schon so vertraut miteinander redeten, dann auch richtig.
„Ja, ich denke schon. Warum?“ Er richtete sich auf und setzte sich mir gegenüber.
„Weil wir kaum noch miteinander reden. Also nicht mehr so wie früher. Nur noch praktische Sachen, wann kommst du, wer macht den Abwasch, was schauen wir im Fernsehen. Und wir kuscheln kaum noch.“
Roger seufzte. „Ich hab in den letzten Jahren viel zu wenig Zeit für dich gehabt, oder? Ich freu mich wirklich, wenn wir uns sehen. Aber es ist auch jedes Mal, als hättest du dich verändert, als würdest du immer mehr zu jemand anderem werden.“
Ich nickte, ich verstand nur zu gut. „Ich weiß, was du meinst. Tut mir leid, ich hatte auch zu wenig Zeit für dich. Aber ich ... nein, anders ... wann bist du morgen zu Hause?“
Verwirrt über den Themenwechsel blinzelte er. „Äh, ab drei. Warum?“
„Dann hol ich dich morgen gegen sechs hier ab. Ich will dir etwas zeigen.“ Ich hoffte, dass ich damit keinen Fehler machte. Nachdem, was in der letzten Woche passiert war, war ich unsicher, ob mein Plan eine gute Idee war, aber dafür war ich mittlerweile umso entschlossener. Wenn es nicht funktionierte, dann würde es mir auch nicht schaden. Hoffte ich. Es war, egal wie, eine gute Idee. „Denk so lange darüber nach, ob du noch immer mit mir zusammen sein willst.“
„Na gut ...“, murmelte er gedehnt. Offensichtlich traute er der Sache nicht.
Hätte ich bei dem Grinsen in meinem Gesicht aber auch nicht. Verkneifen konnte ich es mir dennoch nicht. Ich war mir auf wundersame Weise sicher, dass ihm meine Überraschung gefallen würde. Aber vielleicht musste ich das bei dem Wahnsinn, den ich bereits seit längerer Zeit plante, auch.
„Dafür muss ich aber morgen um fünf raus“, eröffnete ich. „Ehm. Kann ich hier schlafen? Ich geb mich auch mit der Couch zufrieden. Die ist zumindest größer als Mats.“
Zuerst sah Roger mich überlegend an, dann bildete sich immer mehr ein Lächeln auf seinen Lippen. Langsam beugte er sich zu mir herüber. Als er nur noch ein kleines Stück von mir entfernt war, raunte er: „Was bekomm ich dafür?“
Lachend drückte ich meine Lippen auf seine. Augenblicklich erwiderte er den trägen Kuss. Es tat so unglaublich gut, ihm so nah zu sein. Es war so vertraut und zärtlich. Das konnte ich mit keinem anderen. Bereitwillig ließ ich mich von ihm in die Polster drücken.
Nervös lief ich auf und ab. Verdammt, hoffentlich hatte Roger meine Nachricht bekommen. Vielleicht war es doch eine schlechte Idee gewesen, ihn herzubestellen. Ich hätte ihn abholen sollen. Andererseits hätte ich das nicht rechtzeitig geschafft. Wenn er also meine Nachricht mit der Adresse nicht bekommen hatte, dann hätte er sicher auch nicht die bekommen, dass ich später dran war. Aber vermutlich machte ich mich eh nur selbst verrückt. Es war noch nicht einmal sieben, er würde sicher gleich auftauchen.
Etwa fünf Minuten später bog er am Ende der Straße um die Ecke. Er schien mich sofort in den Blick zu nehmen. Nach einem kurzen verwirrten Stocken brach er in lautes Gelächter aus, dass ich bis zu mir hörte. Und ich konnte nicht einmal beleidigt sein. Ich fand ja selbst, dass ich im Anzug bescheuert aussah.
Roger kam auf mich zu und blieb dicht vor mir stehen. „Entschuldigen Sie, ich suche einen Mann. Etwa so groß wie Sie, dieselbe Haarfarbe, Statur, aber mit normalen Klamotten. Haben sie den zufällig gesehen?“
„Idiot“, lachend schlug ich ihm gegen die Schulter.
Er beruhigte sich wieder, bevor er vorwurfsvoll meinte: „Du hättest mir schon sagen müssen, dass ich ’n Anzug brauche.“
„Keine Sorge, du brauchst keinen.“ Ich strich ihm über den Arm und lächelte.
„Und warum trägst du dann einen?“
„Hat mit der Überraschung zu tun. Wirst du gleich sehen. Darf ich dir die Augen verbinden?“, fragte ich vorsichtig.
„Wie soll ich denn dann was sehen?“, übermütig streckte er mir die Zunge heraus, dann nickte er. „Ja, darfst du.“
Das Vertrauen gefiel mir. Zärtlich lächelte ich, als ich das Stück Stoff aus meiner Tasche holte und vor seine Augen legte. Ich band es hinter seinem Kopf zusammen, dann schob ich ihn an den Schultern vorsichtig vor mir her. „Ein Stück gerade aus ... Gut, bleib hier kurz stehen.“
Ich ließ ihn mit einer Hand los, kramte nach dem Schlüssel und schloss auf, dann führte ich ihn weiter. „Vorsicht, Stufen. Noch zwei Stück. So und jetzt noch mal. Nicht stolpern. Noch mal kurz stehen bleiben.“
Oh Gott, meine Beine zitterten. Ich war wohl noch nie so nervös gewesen. Der Schlüssel fiel mir aus der Hand, jedoch konnte ich ihn auffangen, bevor er scheppernd zu Boden fiel. Nachdem ich auch die zweite Tür geöffnet hatte, schob ich Roger hindurch und schloss sie leise hinter uns.
Ich atmete tief durch und löste dann den Knoten. Langsam nahm ich ihm das Tuch ab und begann sofort, es in den Händen zu wringen. Roger öffnete langsam die Augen und sah sich verwirrt im Flur um. Dann fiel sein Blick in die Küche, die von der untergehenden Sonne in ein rotes Licht getaucht wurde. Er drehte sich langsam zu mir herum und in seinem Blick stand Unverständnis.
Mit belegter Stimme fragte ich: „Gefällt’s dir?“
Sein Blick suchte verzweifelt meinen. In seinem Kopf arbeitete es, doch noch schien er sich nicht sicher zu sein, ob er glauben sollte, was er dachte. „Was tun wir hier? Und was ist das für eine Wohnung?“
„Meine. Und vielleicht irgendwann unsere. Wenn du willst. Groß genug ist sie. Ich hoffe, sie gefällt dir. Sonst suchen wir uns eine andere“, haspelte ich schnell herunter.
„Was?“ Roger schlug die Hand vor den Mund und sah mich an, als sei ich völlig wahnsinnig geworden. War ich auch. Nach ihm. Auch nach vier Jahren noch. Langsam stiegen Tränen in seine Augen und er warf sich mir in die Arme. „Du bist verrückt! Seit wann? Wann hast du ...?“
Ich schlang meine Arme um ihn, drückte ihn fest an mich. „Vor nicht ganz ’ner Stunde. Ich hatte meine ID-Card noch in der Jacke, sonst hätte ich das schon vor ein paar Tagen gemacht. Zum Glück hat der Vermieter die Wohnung so lange für mich zurückgehalten.“
„Warum? Ich meine, das ist doch verrückt! Du kannst doch nicht einfach ... Was ist mit deinem Job? Und deinen Eltern?“ Roger löste sich von mir, schien noch immer nicht glauben zu können, dass ich es ernst meinte.
„Meine Eltern sind froh, mich endlich los zu sein.“ Ich lachte ihn offen an. Verdammt, er freute sich! Auch wenn er noch etwas überrumpelt war, er freute sich! Langsam fiel die Nervosität von mir ab. „Und das mit dem Job ist schon länger geklärt.“
Seine Augen wurden größer. „Wie lange hast du das denn schon geplant?“
„Seit etwas über einem Jahr“, gab ich gelassen zu. Ich hoffte, Roger würden nicht gleich die Augen ausfallen.
„Aber ... Warum hast du nie was gesagt? Ich hätte dir doch helfen können!“, meinte er vorwurfsvoll.
„Es sollte eine Überraschung sein. Außerdem hattest du schon so viel zu tun, da wollte ich dich damit nicht auch noch belasten.“ Ich zog Roger zurück in meine Arme, dorthin, wo er hingehörte.
Er lehnte seinen Kopf gegen meine Schulter und ließ sich ins Wohnzimmer führen. Ich hatte die Möbel günstig vom Vormieter übernommen, da ich es mir nicht auch noch hatte leisten können, diese komplett neu zu kaufen. Nur das Bett würde ich schnellstmöglich ersetzen, den Rest nach und nach. Wie ich hoffte gemeinsam mit Roger, da ich mir wirklich wünschte, dass er irgendwann zu mir zog und dann sollte ihm auch die Einrichtung gefallen. Ich wollte ihn irgendwann wieder jede Nacht bei mir haben. Aber erst mal war dieselbe Stadt schon ein Schritt in die richtige Richtung.
Wir kuschelten uns aneinander auf die Couch und seufzten beide wohlig. Roger streichelte über meinen Oberschenkel. „Warum das alles?“
„Ich wollte wieder bei dir sein. Ich hatte das Gefühl, dass wir uns immer weiter voneinander entfernen. Ich will nicht irgendwann einem völlig Fremden gegenüberstehen, wenn ich herkomme. Darum will ich wieder in deiner Nähe sein. Wenn du mich lässt.“
„Nur zu gern.“ Roger küsste mich sanft. Dann nuschelte er: „Woher nimmst du nur den Mut? Ich hab auch schon darüber nachgedacht, wieder nach New York zu kommen, aber ich hatte einfach zu viel Angst. Was, wenn sich dort so viel verändert hätte, dass es mir nicht mehr gefällt? Oder du mich nicht hättest dort haben wollen? Was hättest du getan, wenn ich gesagt hätte, ich will dich nicht mehr?“
Ich strich ihm durch die Haare. „Dann wäre ich trotzdem hiergeblieben. Wenn ich nicht ein wirklich gutes Jobangebot bekommen hätte, hätte ich mich das wohl auch nicht getraut.“
„Wo arbeitest du jetzt eigentlich?“, fragte Roger neugierig.
Genau dafür liebte ich ihn: Er war nicht böse, dass er nicht der Hauptgrund für diese Entscheidung war. Solange keiner log, waren wir glücklich miteinander, auch wenn es hieß, dass wir uns manchmal stritten.
„In einem Studio drei Straßen weiter. Es ist ein ganz kleines, der Besitzer ist schon älter und ein guter Bekannter von meinem alten Boss. Der hat mir den Job auch vermittelt. Es ist wirklich toll dort.“
„Du warst schon da?“, fragte Roger überrascht.
„Ja, ich war im März schon für ’ne Woche Probearbeiten und seit zwei Wochen arbeite ich regulär dort“, berichtete ich ihm strahlend. Der Job war wirklich super. Und Roger kannte noch nicht einmal das Beste daran.
„Wie? Ich meine, warum hab ich davon nichts mitbekommen? Du warst doch vorletzte Woche bei mir?“ Roger schlug die Hand vor seinen Mund und begann zu zittern. Schnell drückte ich ihn tröstend an mich. „Ich bin so ein schlechter Freund. Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass du arbeiten warst.“
„Bist du nicht.“ Sanft küsste ich ihn auf den Kopf. „Du warst einfach nur zu beschäftigt. Genau wie ich. Ich hab doch auch nicht mitbekommen, dass du gekündigt wurdest und ’n neuen Job hast. Lass uns das vergessen und von vorne anfangen. Und ich muss definitiv nicht zurück.“
„Das will ich doch wohl hoffen!“ Stürmisch küsste er mich. „Ich würde dich auch gar nicht gehen lassen. Ich will nie mehr von dir getrennt sein.“
„Gut, du hast nämlich keine andere Wahl mehr. Es gibt da nämlich noch eine Sache.“ Von seinen Küssen angestachelt, schob ich meine Finger unter sein Shirt.
„Oh mein Gott, du bist schwanger! Wer ist der Vater?“
„Quatschkopf!“ Ich schubste ihn um, krabbelte über ihn, biss ihm leicht in die Nase und legte mich dann auf seinen Bauch. „Wenn alles gut läuft, kann ich das Studio in spätestens zwei Jahren übernehmen.“
„Das ist ... Wow ... Das ist klasse!“, rief er aus und zog mich zu einem Kuss an sich. Er strahlte, als hätte man ihm ein solches Angebot gemacht. Dann wurde sein Gesicht ernster. „Kannst du dir das denn leisten? Ich meine, du hast ja nie so mega viel verdient und unsere Beziehung war für uns beide bisher nicht günstig. Jetzt wirst du wohl nicht viel mehr verdienen und die Wohnung ... Wie willst du das bezahlen?“
„Meine Eltern haben einiges zurückgelegt fürs College. Ich hab das Geld ja nie gebraucht. Und die Abendschule hat kein Vermögen gekostet.“
Sofort unterbrach Roger mich. „Abendschule?“
„Ich hab im letzten Jahr einen BWL-Kurs gemacht. Rob, der jetzige Besitzer, hat darauf bestanden, wenn ich das Studio übernehmen will.“ Roger und ich hatten in den letzten Jahren eindeutig zu wenig voneinander mitbekommen. Mich wurmte es noch immer, dass ich erst erfahren hatte, dass er in der alten Praxis gekündigt worden war, als ich ihn spontan abholen wollte und man mir dort sagte, dass er seit einem halben Jahr woanders arbeitete. „Jedenfalls hab ich dadurch noch ein paar Rücklagen. Sie sind nicht groß, aber ich hab auch so viele Extraschichten wie möglich gemacht und mach sie auch jetzt noch. Ich hab letzte Woche immer Doppelschichten geschoben. Daher wird es schon gehen, wenn ich das beibehalte. Zumindest vorerst. Ich hoffe, du bist mir nicht böse? Weil ich trotzdem nicht viel Zeit für dich habe?“
Roger lächelte mich an und schüttelte den Kopf. Dann wurde das Lächeln plötzlich noch breiter. Er strich über meine Wange. „Ich weiß, wie du noch etwas mehr sparen kannst und trotzdem mehr Zeit für mich hast.“
Verwundert sah ich ihn an. Was plante er denn jetzt schon wieder Verrücktes? Nein, nicht wirklich! Lachend schlang ich meine Arme um seinen Hals und küsste ihn drängend. „Das ist nicht dein Ernst!“
„Doch.“ Roger küsste mich ebenfalls. „Die Wohnung ist groß genug und du hast gesagt, du möchtest, dass ich irgendwann einziehe. Warum also nicht gleich? Ich fand die Zeit mit dir in deinem Zimmer wunderschön. Jeden Morgen mit dir aufzuwachen, hat jeden einzelnen Tag viel schöner gemacht. Und hier haben wir auch mehr Platz.“
„Du bist verrückt!“ Ich lachte und ließ dann meine Lippen fordernd über seine wandern.
„Nein, wir sind verrückt. Deswegen passt es auch so gut. Zeigst du mir den Rest unserer Wohnung?“ Rogers Finger wanderten am Kragen unter mein Jackett und streiften es langsam über meine Schultern.
„Ich würde dir ja zuerst das Bett zeigen, aber das ist noch von den Vormietern. Ich wollte morgen gleich ein Neues holen. Soll ich dir stattdessen die Dusche zeigen? Die ist groß genug für zwei“, schnurrte ich ihm ins Ohr und küsste es.
„Wenn du das Bett eh loswerden willst, dann ist es ja nicht schlimm, wenn wir es kaputt machen und einsauen, oder?“, gurrte er und zog mir die Jacke aus. „Und danach schau ich mir gern die Dusche mit dir an.“
„Klingt gut.“ Ich stand auf, schmiss das Kleidungsstück über die Lehne. Dann beugte ich mich über Roger, schob ihm die Arme unter Knie und Rücken und hob ihn hoch. „Festhalten.“
„Oh ja, mein großer, starker Mann. Bring mich in unsere Höhle.“ Lachend schlang er die Arme um meinen Hals. Nachdem er mich kurz geküsst hatte, hauchte er in mein Ohr: „Und dann tu mit mir das, was nur du darfst.“
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