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| Sätze: | 36 | |
| Wörter: | 412 | |
| Zeichen: | 2.650 |
Eine schwebende Terrasse, nahtloses Glas, zu Obsidian polierter Lavastein, Wasserspiele - die Caribbean Cliff Lodge ragte über einen Klippenrand. Die Aussicht erfüllte alle Sundowner-Klischees. Die Sonne versank prahlerisch im Korallenmeer. Der Himmel leuchtete in den Farben von flüssigem Gold und verwaschenem Rosé mit einem Touch Indigo. In der Luft schwebten Aromen von Salz und Hibiskus. Die Brandung war eine Sinfonie. Das Publikum parlierte auf einem rustikal im Blockhausstil gehaltenen Freisitz über einem Abgrund. Die Lounge-Sessel rochen nach Lederpolitur und Zedernholz. Du brachtest mir etwas Passendes, auch das gehörte zu dir. Du hattest den Bogen raus. Das passende Hemd, das treffende Wort, meine Höhepunkte lagen dir am Herzen. Du warst diskret und in jedem Fall formbewusst. Dir entglitt nichts. Du hast dich nie in der Klaviatur vergriffen. Ich fand mich manchmal tollpatschig neben dir, aber ich wusste schon auch, wie gut ich dir gefiel. In deinem Fall habe ich alle Register gezogen. Wir tranken etwas mit Passionsfrucht und Gin. Unsere Schultern berührten sich. Du sahst mich an, als wäre ich die Sonne selbst, und ich konnte kaum atmen, so sehr erregte mich dein liebevolles Verlangen. Ich spürte deinen Atem an meinem Hals. Es gab keinen Ort auf der Welt, an dem ich in diesem Moment lieber gewesen wäre.
Du sagtest:
„Wenn man hier ist, vergisst man beinah, dass die Welt sich weiterdreht.“
An einem anderen Tag
Das Meer war glatt an diesem Spätnachmittag, auf dem Spiegel lag ein silbriger Schleier. Am Horizont traf das erschöpfte Blau des Himmels auf das herrschaftliche Blau des Ozeans.
Der Strand war fast menschenleer. Auf der baufälligen Terrasse des “Salt Shed” teilten wir uns einen Teller gegrillten Fisch und überraschend knusprige Pommes. Wir tranken kaltes Wasser mit Minze. Es schmeckte nach Dingen, die man nicht kaufen kann.
Du und ich verkörperten die Highend-Version eines transkontinentalen Nomadenpaars. Digital Nomads im globalisierten Homeoffice-Modus. Wir loggten uns in Lodges, Airbnbs und Cafés in Zoom-Calls ein, pitchten Projekte und optimierten Abläufe stets im Diskurszenit. Ich glänzte bei Ranger-Touren mit präzisen Kenntnissen über Landrechte, glaziale Erosion, koloniale Kartografie und indigene Topografie. Du warst charmant, geistreich, zuvorkommend. Jede Nationalpark-Rangerin verliebte sich in dich und ließ dich leicht bekümmert ziehen.
Was unser Publikum sah, war ein Paar auf seiner Ideallinie. Eine performative Synthese aus Bildung, Freiheit, Stil. Was es nicht sah. Unsere Innenwelt war strukturiert. Dafür hatte ich mich entschieden. Du warst mein Gegenentwurf zur Unklarheit der Welt.
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