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Sätze: | 111 | |
Wörter: | 2.175 | |
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I
… wenn du mich so direkt fragst: Ja, einerseits bewundere ich ihre Logik und ihre, geradezu mathematische Struktur, ihre Ästhetik, die sich vor allem auch in den Schriftzeichen zeigt. Sie können nur von mathematisch und künstlerisch hochgebildeten Menschen stammen – und doch bilden sie nur die Umwelt der Menschen ab. Andererseits sind da diese vielen Unregelmäßigkeiten – für mich Untiefen, die ich nicht zu durchdringen vermag. Ich weiß nicht, wie ich das nun gegeneinander abwägen soll. Da ist die Ordnung, die Schönheit und Eleganz – und dort ist das Chaos, das sich keiner Regel beugt. Ich frage mich, ob ich sie je lernen werde – zumindest so gut, dass ich auch eigene Schritte tun kann, denn das sollte doch das Ziel sein, dass man es schafft, das Gelernte anzuwenden. Zwischenzeitlich habe ich sogar geglaubt, dass ich es schaffen könne, da fühlte ich mich wie ein Schwamm, der alles in sich aufsaugt. Aber zum Ende hin wurde mir klar, dass mein Kopf nicht groß genug ist, um alles aufzunehmen – oder anders: In meinem Kopf herrscht ein Durcheinander, das es mir sogar verunmöglichte, die einfachsten Texte zu übersetzen. Ich habe gerade wirklich das Gefühl, dass das ganze Lernen – verzeih mir den Ausdruck – für den Arsch war. Und das macht mich wütend, weil es mir zeigt, dass ich eben doch bloß …, ja, dass ich über mich selbst nicht hinauskomme. Da ist eine Grenze, die ich nicht überschreiten kann.
II
Aber weißt du, trotz dieser für mich so niederschmetternden Erfahrung hat es Spaß gemacht. Diese 5 Wochen waren für mich eine wunderbare Zeit. Das erleben zu dürfen – mit deinen Studenten und dir: ich fühlte mich tatsächlich wie in einem Seminar an der Universität, obwohl wir draußen auf dem Sommerdeich inmitten dieser kleinen gelben Blumen saßen und zwischendurch ins Wasser sprangen, wenn es uns zu heiß wurde. Eine Universität im Freien. Der Unterricht, 4 Stunden täglich, dann das Lernen – ob nun in der Gruppe oder allein. Ich bin ja eher der Alleinlerner – das wurde mir aber erst hier bewusst. Früher dachte ich immer, dass es mir leichter fällt, wenn ich mit anderen arbeite. Aber am effizientesten war ich, wenn ich allein in meinem Strandkorb saß oder wenn ich den Weg hinab zum Deich ging. Da konnte ich so gut Vokabeln lernen. Ein Kärtchen nach dem anderen – ohne auf den Weg achten zu müssen, weil mir, bis auf dies eine Mal du, nie jemand entgegenkam. Ich habe mir die Worte laut vorgesagt. Manchmal wurde ich auch richtig laut – wenn eine Vokabel oder ein Schriftzeichen partout nicht in meinen Kopf wollten. Meine eigene Stimme zu hören, tat gut, ebenso wie der Blick ins Weite Entspannung brachte. Und ich glaube, ich brauchte Zuhörer, denn nur allzu oft fand ich mich bei den Rindern, Schafen und Ziegen am Zaun wieder.
III
Ludwig, ich danke dir von ganzem Herzen dafür, dass ich an deinem Kurs teilnehmen durfte, obwohl du geschrieben hattest, dass sich der an Studienanfänger der Assyriologie richtet. Mit deiner Zusage ging für mich ein Traum in Erfüllung. Aber das weißt du ja. Auch, dass ich mich schon als Kind wie magisch von der Sumerischen Sprache angezogen fühlte, seit ich im Geschichtsunterricht in der 5. Klasse erfahren hatte, dass sie als Mutter der Schrift gilt. Dort, in Uruk, im Süden des heutigen Irak, haben Menschen vor über 5.000 Jahren damit begonnen, Zeichen in den feuchten Ton zu ritzen. Du hast gelacht und gesagt: Getüpft, nicht geritzt. Ich hab’s in dem Moment nicht verstanden, vielleicht auch, weil ich so aufgeregt war wegen deiner Zusage. Aber dann hast du uns gezeigt, wie der Schreiber sein Rohr über den Tonklumpen hüpfen, ja geradezu schweben ließ, um die Zeichen zu verewigen. Welch Anmut, welch Eleganz … Und wir alle sind Kinder dieses Ereignisses. Nicht wahr?
IV
Auch wenn ich mit der sumerischen Grammatik gescheitert bin, so habe ich doch mehr gelernt, als ich mir je hätte träumen lassen. Wenn ich jetzt ins Museum gehe – und ich plane, noch in der Zeit meines Sabbaticals, den Louvre und das British Museum zu besuchen –, dann kann ich die Namen und Titel der Könige auf den Statuen lesen. Sieh, ich kann sie alle noch:
/ Gudea ensi.k lagaš / (Gudea, Stadtfürst von Lagasch) Und ich habe mir auch gemerkt, dass der Name Gudea ein Partizip ist, das, auf „- a“ auslautend, Derjenige, der die Stimme ausgießt, bedeutet.
/ Šulgi ninta kalaga, lugal urim-ma lugal kienge kiurike4 / (Schulgi, der starke Mann, der König von Ur, der König von Sumer und Akkad) – mit dem Ergativ „-e“! Wenn ich mich recht erinnere, war er es, der den ersten Gesetzeskorpus der Menschheitsgeschichte erstellte. Er oder sein Vater Urnammu?
/ Utuḫeĝal ninta kalaga lugal unug-ga lugal an-ub-da limmu-ba / (Utuḫeĝal, der starke Mann, der König von Uruk, der König der 4 Weltgegenden) Utuḫengal, mein Liebling – seine Titulatur war die erste, die ich allein lesen konnte. Mir lief ein Schauer den Rücken hinab, als ich das an-ub-da limmu-ba (die vier Weltgegenden) aus den Keilschriftzeichen heraus entziffert hatte.
Das hast du mir beigebracht und obwohl du anderes behauptest, weiß ich doch, dass du diese Inschriften nur mir zuliebe in den Vordergrund gerückt hast. Du wolltest mir Erfolgserlebnisse verschaffen. Dafür danke ich dir, denn ohne sie hätte ich wohl aufgegeben. Ich war manchmal unleidlich, weil ich mich so über mich selbst ärgerte. Gelernt habe ich wie ein Teufel und dann brachte ich in den Sitzungen keinen anständigen Satz zusammen – ganz im Gegensatz zu deinen Studenten, denen die Grammatik so schnell einging und die mit dir über die einzelnen Formen und Unregelmäßigkeiten diskutieren konnten. Ich kam mir gegen sie oftmals wie ein dummes Schaf vor. Bitte verzeih mir mein aufbrausendes Verhalten. Es galt weder dir noch den Studenten. Ich weiß, dass ich dich oftmals … Ich mag’s nicht schreiben, ich schäme mich zu sehr.
V
Umso mehr erschüttert mich deine Einladung – und dabei sind es so liebe Worte, die du findest: Liebe Katharina, schreibst du, ich würde mich freuen, dich im kommenden Semester als Studentin begrüßen zu dürfen. Du meinst das wirklich ernst. Du würdest mich nehmen. Mir kommen die Tränen. Wenn du nur wüsstest, wie sehr mich das berührt. Durch das Studium ginge ein weiterer Traum von mir in Erfüllung. Allein die Vorstellung, mich zwischen all den jungen Menschen zu wissen, ebenso lerneifrig, ebenso fasziniert von dieser uralten Kultur wie ich. Aber Ludwig, ich muss dir etwas gestehen: Ich habe kein Abitur. Bitte verzeih mir, dass ich’s dir nicht eher gesagt habe. Ich schämte mich, weil ich immer das Gefühl hatte, mich in eure Gruppe eingeschlichen zu haben. Das Abitur – vielleicht hätte ich es sogar geschafft, aber es war für mich nicht vorgesehen, ganz zu schweigen von einem Studium. Meine Eltern wollten, dass ich nach der 10. Klasse etwas Handfestes lernen solle und so wurde ich Verwaltungsfachangestellte im öffentlichen Dienst. Die Kultur des Alten Orients ist meine Leidenschaft, der ich das Glück hatte, in diesem Sommer nachgehen zu können und es auch weiterhin tun werde. Dank dir, dank euch allen, die ihr mich so geduldig in meinen Launen ertragen habt.
VI
Ich vermisse unsere Universität auf den Wiesen, inmitten der kleinen gelben Blumen, mir fehlt der Blick ins Weite – und Ludwig, mir fehlen auch unsere gemeinsamen Spaziergänge entlang der Mauer von Uruk, wie du den Sommerdeich nanntest. Du hast gesagt, er habe mit seinen 11km in etwa die gleiche Länge wie die Stadtmauer von Uruk und sei auch von ähnlicher Höhe wie seine heutigen Ruinen – nur nicht so grün, sondern von Sanden und Staub bedeckt. Wie das gesamte Land. Ein Erbe von Saddam Huseins Politik, der die Marschen trockenlegen ließ und dadurch die Kultur der Mad’an vernichtete. Und dann hast du tief Luft geholt, mich am Arm berührt und gesagt, ich solle ins Land schauen – die Warften am Horizont, 11 an der Zahl, nähmen sich doch wie Hügel innerhalb des einst riesigen Gebietes von Uruk aus – die Hanswarft als das Kultzentrum mit dem Eanna, dem Heiligtum der Inana und ihrem Vater, dem Himmelsgott An, und dort die Backenswarft als Verwaltungszentrum und dann die Wohnbezirke der Arbeiter. Insgesamt lebten in Uruk über 50.000 Menschen – auf der Hallig sind es nicht einmal 100. Schließlich die Priele, die das Land, wie einst die Kanäle die Stadt, durchzogen. Man habe sich auf ihnen mit Booten fortbewegt, so, wie überall in der Schwemmlandebene. Und dann hast du mich angelächelt und mir aus Gilgamesch, nein, aus Gilgāmesch, die Betonung liegt auf dem a, vorgelesen:
Der, der die Tiefe sah, die Grundfesten des Landes,
der die Wege kannte, der, dem alles bewußt –
Gilgamesch, der die Tiefe sah, die Grundfeste des Landes,
der die Wege kannte, der, dem alles bewußt –
er nahm sich an der Göttersitze allesamt.
Allumfassende Weisheit besaß er in jeglichen Dingen.
Er sah das Geheime und deckte auf das Verhüllte,
er brachte Kunde von der Zeit vor der Flut.
Einen weiten Weg kam er her, um (zwar) müde
doch (endlich) zur Ruhe gekommen zu sein.
Festgehalten auf einem Steinmonument ist all die Mühsal.
Er baute die Mauer von Uruk, der Hürden(umhegten),
die des hochheil’gen Eanna, des reinen Schatzhauses.
Sieh an dessen Mauer, die wie Kupfer glänzt!
Besieh ihre Brustwehr, die niemand nachzubilden weiß!
Nimm doch die Treppe, die (dort) seit ewigen Zeiten!
Komm heran an Eanna, den Wohnsitz der Ischtar,
den kein künftiger König wird nachbilden können,
noch sonst ein anderer Mensch!
Steig doch hinauf, auf der Mauer von Uruk wandle umher!
Die Fundamente beschaue, und das Ziegelwerk prüfe:
ob ihr Ziegelwerk nicht aus Backstein (besteht)
und ob die Sieben Weisen nicht (selbst) ihre Grundmauern legten!
Eine (ganze) Quadratmeile ist die Stadt,
eine (ganze) Quadratmeile Gartenland,
eine (ganze) Quadratmeile ist Aue,
eine halbe Quadratmeile der Tempel der Ischtar.
Drei Quadratmeilen und eine halbe, das ist Uruk, das sind die Maße!
VII
Wie du siehst habe ich mir das Buch gekauft. Ich bin überwältigt von der Schönheit der Sprache. Es sei nicht deine eigene Übersetzung, sagest du mir damals auf der Stadtmauer von Uruk, sondern die deines Kollegen Stefan Maul aus Heidelberg. Diese Aussage hat mich sehr beschäftigt und ich kann dir nur sagen, dass ich weiß, dass du Gleiches erschaffen könntest.
VIII
Gerade gestern habe ich mir auf dem Globus das Zweistromland angesehen. Wie winzig klein. Nur ein Fleckchen auf der Erdkugel. Unvorstellbar, dass dort die Wiege unserer Kultur gestanden haben soll. Aber, es ist so. Es ist so! Zwischen den beiden Flüssen, in dieser Schwemmlandebene. Ich erinnere mich daran, wie du uns von Enmerkara, dem sagenumwobenen König aus Uruk erzählt hast. Er gilt laut der Geschichte Enmerkara und der Herr von Arata als Erfinder der Schrift. Sein Gegner, der Herrscher von Arata, stellt Rätselaufgaben, um ihn zu provozieren und ihm seine Unterlegenheit zu demonstrieren.
IX
Ludwig, natürlich möchte ich Neusumerisch lernen. Nein, ich will es. Ich träume davon, mich in dieser Sprache verständigen zu können. (Warum sind die Ansagen in den Bussen und Bahnen nicht auf Neusumerisch? Warum unterhalten sich die Menschen um mich her auf Ukrainisch und Arabisch statt auf Neusumerisch?)
Ich will diese Sprache verinnerlichen, sodass ich selbst dann nicht um ihr Vergessen bangen muss, wenn ich einmal mit dem Lernen aussetze. Ich will, dass es in dieser Zeit in mir arbeitet und ich sie hernach noch viel besser kann. Par cœur, durch das Herz.
X
Ludwig, ich vermisse dich.
XI
Enmerkara, als er im Gespräch mit dem Herrn von Arata, seinem Herausforderer, wütend wird:
mir maḫ GIR2-g.GIR2-g-ta zi-ga-gen7
Wie eine zornige Riesenschlange, die von den Feldern auffährt ...
Am Ende steht mit -gen7 der Equativ, das Wie. Unmittelbar davor das Partizip zig (auffahrend) und davor der Ablativ GIR2-g.GIR2-g-ta (von den Feldern). Den Kopf der Nominalphrase bildet mir maḫ (die zornige Riesenschlange). Die Sprache mag blockhaft erscheinen, da die Kasus, die Richtungsweiser oder Vektoren, ans Ende einer Phrase angehängt werden (-ta nach GIR2-g.GIR2-g) und man es im Grunde auch so schreiben könnte:
(mir maḫ ((GIR2-g.GIR2-g.)-ta) zi-ga)-gen7,
Dadurch erhält die Phrase ein einer mathematischen Gleichung nicht unähnliches Aussehen erhielte, in der jedes Morphem seinen festen Platz einnimmt. Doch besitzt sie zugleich eine konzentrische Struktur mit einer Wellenbewegung von außen nach innen. Und so übersetzen wir:
Wie eine zornige Riesenschlange, die von den Feldern aufffährt.
Und Ludwig, wenn ich ehrlich sein darf, habe ich bei Phrasen solchen Typs stets das Gefühl, als stünde ich auf dem -gen7 und werfe einen Bumerang zum Kopf der Phrase hin
Wie eine zornige Riesenschlange,
… dort macht er kehrt, berührt kurz den Ablativ
die von den Feldern
alsdann das Partizip
auffährt
und fliegt zurück in meine Hand.
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