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Wer ist das Volk? Die schwierige Koalitionsbildung in Thüringen

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05.11.19 21:12
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Thüringen hat gewählt! Zwar fanden die Landtagswahlen bereits am 27. Oktober 2019 statt, doch erst jetzt geht es in die richtig "heiße Phase", denn das Wahlergebnis lässt wohl mehr Fragen offen, als es beantwortet. Wenngleich die Zahlen in dieser Form bereits im Vorfeld mehr oder weniger so erwartet waren, so wirkt sich das amtliche Ergebnis dennoch äußerst erschwerend auf die notwendige Koalitionsbildung aus.
Als Erfolg ist die Wahl sicherlich für die Linkspartei zu werten, die mit Bodo Ramelow bereits zuvor den einzigen Ministerpräsidenten gestellt hat, der dieser Partei angehörig ist. Die Thüringer haben ihm auch bei dieser Wahl erneut das Vertrauen ausgesprochen, konnte DIE LINKE doch ein starkes Ergebnis von 31 Prozent verzeichnen. Als zweiter großer Gewinner geht aus der Wahl jedoch die AfD hervor, eine Partei, die den Werten der Linken wohl kaum stärker entgegenwirken könnte. Die Partei rund um Spitzenkandidat Björn Höcke konnte ihr Wahlergebnis im Vergleich zur Vorwahl auf 23,4 Prozent verdoppeln. Aufgrund des erwarteten schwachen Abschneidens der SPD und der Grünen 8,2 und 5,2 Prozent) hat die bisherige "Rot-Rot-Grüne-Koalition" ihre Mehrheit verloren. Die Wahl in Thüringen wurde insgesamt stark von den unterschiedlichsten Störfaktoren und "Schönheitsfehlern" überschattet. So musste beispielsweise die FDP, die angeblich gerade so die Fünf-Prozent-Hürde meistern konnte, lange um den tatsächlichen Einzug in den Landtag bangen, da der Verdacht entstand, man habe sich bei der Anzahl der Stimmen verzählt (aller Voraussicht nach wird die Partei die Hürde wohl dennoch überstanden haben). Interessant wird es jedoch erst richtig, wenn man sich mit der CDU auseinandersetzt, die zum viel zitierten "Zünglein an der Waage" werden könnte, da eine Koalition von Linke und AfD absolut unvorstellbar ist.
In den letzten Tagen mehrten sich sowohl Gerüchte als auch Forderungen, wonach die CDU eine Koalition entweder mit der AfD oder der Linkspartei bilden solle. Die CDU hatte dies im Vorfeld jedoch in Bezugnahme auf einen Parteibeschluss vom Dezember 2018 unmissverständlich ausgeschlossen. In diesem Schreiben heißt es wörtlich: "Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab."
Seitdem ist beinahe ein Jahr vergangen. Vorzeichen haben sich geändert und besondere Umstände erfordern womöglich besondere Maßnahmen. Die CDU könnte intern kaum zerrissener sein, als sie es in dieser derzeit schwierigen Situation ist. Innerhalb der Partei ist schließlich auch wohl bekannt, welche Konsequenzen eine Entscheidung, ganz gleich wie sie letztendlich auch ausfallen wird, auf das eigene Ansehen hat. Bekannt ist auch, dass die Christdemokraten sich angesichts der immer schlechter werdenden Wahlergebnisse (in Thüringen 21,8 Prozent, was mit einem Verlust von 11,7 Prozent einhergeht) allzu viele Fehltritte sicherlich nicht mehr erlauben können. Während beispielsweise CDU-Generalsekretär Ziemiak allein den Gedanken an Koalitionsgespräche als "irre" abstempelt und selbst Kanzlerin Merkel kundtut, dass Linke und CDU hinsichtlich ihrer Ausrichtung "Welten" auseinanderliegen und sie insbesondere die kaum stattgefundene Aufarbeitung der DDR Zeit vonseiten der Linkspartei kritisiert, ist von siebzehn CDU-Landtagsabgeordneten bekannt, die eine Koalition mit der AfD nicht kategorisch ausschließen. In die selbe Kerbe schlägt der CDU Landesvorsitzende und Spitzenkandidat Mike Mohring, der Gespräche mit den Linken ankündigte und auch eine Zusammenarbeit mit der AfD als "demokratisch gewählte Partei" für vorstellbar erachtet.
Nach dieser langen, jedoch notwendigen Einleitung ist an dieser Stelle die Überleitung zu der eigentlichen Problematik vorzunehmen: Die Begriffsbezeichnung selbst lässt es schon verlauten; in einer Demokratie entscheidet das Volk. Ist es daher aus Sicht der CDU überhaupt tragbar, sich dem Volkswillen zu widersetzen und Koalitionen, zumindest in weiten Teilen, gänzlich auszuschließen? Sollten Parteien im Allgemeinen in dieser Hinsicht über Mitspracherecht verfügen oder sollte eine Koalitionsbildung, die die vom Volk ermittelten Präferenzen und Mehrheiten zum Ausdruck bringt, nicht gar verpflichtend werden?
Zunächst einmal ist festzustellen, dass das Verhalten seitens der CDU oder aber auch der Linkspartei als vollkommen menschlich und demgemäß nachvollziehbar einzustufen ist. Wer bei schulischen oder beruflichen Zusammenarbeiten beispielsweise bei einem Vortrag die Wahl zwischen verschiedenen Optionen hat, der wird sich selbstverständlich für die Person entscheiden, mit der man sich am besten versteht und die gewisse Gemeinsamkeiten mit einem selbst aufweist. Dass Linke und CDU nunmal in Bezug auf ihre Weltanschauung sehr weit auseinanderliegen, ist kein Geheimnis und auch wenn oftmals, auch zurecht, auf inhaltliche Überschneidungen mit der AfD hingewiesen ist, so erscheint es dem reflektierten Staatsbürger doch als überaus ungerecht der CDU gegenüber, mit Populisten gleichgesetzt zu werden. Allen Übereinstimmungen zum Trotz weist die CDU schließlich ein klares Menschenbild sowie einen eindeutigen Wertekodex auf, etwas, was der AfD als populistische Partei vollkommen fehlt, weshalb Erstgenannte auch über eine demokratische Berechtigung verfügt. Eine gewisse Neigung zum Populismus wird auch den Linken nachgesagt, die in Teilen gar vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Der alles entscheidende Unterschied zu dem zuvor genannten Beispiel ist jedoch, dass man beispielsweise als Schüler nur Verantwortung für sich selbst übernehmen muss. Auf der politischen Ebene sieht dies jedoch ganz anders aus. Die Regierung muss die Verantwortung für die 2,2 Millionen Einwohner Thüringens übernehmen. Sind egoistische Interessen und seien sie noch so nachvollziehbar folglich überhaupt angebracht oder soll die CDU doch einfach eine Koalition entweder mit Linke oder AfD eingehen?
Vonseiten der Befürworter einer solchen Koalition, ist häufig das Argument zu vernehmen, dass man dem Wähler gegenüber Verantwortung an den Tag legen solle. Der CDU-Landtagsabgeordnete Michael Heym ließ aus diesem Grund kürzlich verlauten: "Man tut der Demokratie keinen Gefallen, wenn man ein Viertel der Wählerschaft verprellt."
Die Volkswillen muss entsprochen werden, so der allgemeine Tenor. Wer die meisten Stimmen bekommt, der sollte auch regieren dürfen! Lässt sich diese Vorstellung auch auf die konkrete Situation in Thüringen übertragen? Gilt das Prinzip der Unantastbarkeit des Wählerwillens auch für Populisten, die selbst demokratische Werte nicht achten? Liegt an dieser Stelle nicht ein Paradoxon vor, dass man die Demokratie im Falle einer derartigen Koalition den Feinden überlassen würde?
Sehr wahrscheinlich ist zumindest, dass eine andauernde Verweigerung vonseiten der CDU der Politikverdrossenheit keineswegs entgegenwirken, sondern selbige, im Gegenteil, noch weiter fördern könnte. Die Menschen fühlen sich schließlich nicht beachtet, ja, was noch viel schlimmer ist, mit ihren Sorgen und Problemen nicht ernstgenommen, wenn die Partei, die sie mehrheitlich gewählt haben, nicht in die Regierungsverantwortung gelangt. Andererseits muss aber auch deutlich gemacht werden, dass die Wähler das vorliegende Szenario selbst herbeigeführt haben, durch die Wahl von Parteien, die sich an den äußersten Rändern befinden. Mit der Wahl von Extremisten schaufelt sich der Wähler letztendlich sein eigenes Grab. In diesem Zusammenhang ist nämlich ebenfalls die kritische Frage zu stellen, wie es einem überhaupt auch nur in den Sinn kommen kann, eine AfD mit Björn Höcke, einem Extremisten, der sogar mittlerweile offiziell "Faschist" genannt werden darf, zu wählen. Vor allem im Hinblick auf die deutsche Vergangenheit ist ein solches Wahlverhalten als äußerst beschämend wahrzunehmen.
Selbstverständlich haben die Ost-Deutschen ihre Gründe. Nach wie vor niedrigere Löhne und eine schlechter ausgearbeitete Infrastruktur im Vergleich zum Westen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, ist eine grobe Ungerechtigkeit, so viel steht fest! So viel Verständnis wie für diese Unzufriedenheit aufzubringen ist, so unverständlich ist dennoch das Thüringer Wahlergebnis, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die AfD insbesondere Wähler unter dreißig Jahren mobilisieren konnte, die sich vom Programm der Partei gar überzeugen ließen und nicht als reine Protest-Wähler einzustufen sind. An dieser Stelle ist Bildung und die nötige Aufklärung unbedingt vonnöten, doch das ist nicht das Thema.
Dass die CDU, zumindest dem aktuellen Stand gemäß, nach wie vor überwiegend eine Koalition mit der AfD ablehnt, ist folglich keinen Betrug am Wähler, sondern eine Schutzmaßnahme. Schutz für die geliebte Demokratie. In dieser Hinsicht ist das Verhalten der Partei also durchaus sinnvoll. Mit einem Faschisten sollte defintiv keine Form der Zusammenarbeit angestrebt werden, denn auch die allgemeine Signalwirkung über die Ländergrenzen hinaus, wäre absolut fatal und einer ohnehin schon zutiefst gepeinigten und zerrissenen Gesellschaft unter keinen Umständen zu wünschen. Früher oder später ist irgendwo in Deutschland eine CDU-AfD-Koalition mit Sicherheit möglich und nicht auszuschließen, doch mit gemäßigteren Vertretern. Inwiefern eine solche Koalition allgemein wünschenswert wäre oder auch nicht, soll in diesem Text jedoch nicht weiter erörtert werden, da der Bezug auf den konkreten Fall Thüringen vollständig gewährleistet werden soll.
Wie sieht es jedoch bezüglich einer Koalition mit der Linkspartei aus, der Partei, mit denen Mohring bereits Gespräche ankündigte?
In dieser Hinsicht gilt es, differenziert vorzugehen. Der noch amtierende Ministerpräsident Ramelow gilt als gemäßigter Linker und nicht als Extremist. Die Linkspartei in Thüringen ist nicht mit der teilweise populistischen und zu Extremismus neigenden Linkspartei auf Bundesebene gleichzusetzen. Mit der stärksten Partei (glücklicherweise nicht die AfD, die in einem solchen Fall eine Ausnahme dargestellt hätte), Gespräche kategorisch auszuschließen, halte ich vonseiten einiger CDU-Vertreter für überaus anmaßend und überheblich. Einer Partei, die vom Volk kaum deutlicher hätte abserviert werden können, stehen solche Vorgehensweisen nicht zu, so lange man es nicht mit Extremisten zu tun hat, was im Fall der Thüringer Linkspartei nicht der Fall ist. Vermutlich liegt diese grundsätzliche Ablehnung im Selbstverständnis der CDU begründet, die sich selbst nach wie vor als die in Deutschland alles dominierende Volkspartei betrachtet, was mit der tatsächlichen politischen Wirklichkeit stark kontrastiert. Auch die Beliebtheit Ramelows unter den Thüringern sollte in Betracht gezogen werden, will man nicht auch noch den letzten Wähler verschrecken.
Die inhaltlichen Unterschiede mit den Linken sind groß, wahrscheinlich noch größer als die mit der AfD. Dies als Ausrede zu nehmen, ist jedoch äußerst fragwürdig, stellen Meinungsverschiedenheiten doch einen elementaren Bestandteil der pluralistischen Streitkultur dar. Die Rechtfertigung vieler CDU-Mitglieder, eine Koalition mit der Linkspartei sei mit ihren Werten nicht zu vereinbaren, halte ich für ebenso ungerechtfertigt. Bei aller Prinzipientreue ist nicht zu vergessen, dass der allergrößte Wert, der, der uns alle vereint, die Demokratie selbst, sowie deren Erhalt ist. Aus diesem Grund sollte die CDU, meines Erachtens, den immer lauter werdenden Stimmen innerhalb der Bevölkerung Folge leisten und sich dem demokratischen Willen unterwerfen. Da man es mit der Thüringer Linken nicht mit Extremisten zu tun hat, ist eine Schutzmaßnahme, wie bei der AfD, nicht vonnöten und eine Koalition sollte angestrebt werden. Für die Linkspartei gilt dies im Übrigen genauso, da auch von ihrer Seite enorm hohe Kompromissbereitschaft gefordert werden muss. Doch lasst uns dies als positiv bewerten, denn so stelle ich mir gelebte Demokratie vor! Die Pflicht dem allgemeinen Wohl gegenüber muss folglich wahrgenommen werden. Das ist wirklich ein starkes Zeichen für Demokratie!
 

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