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Das Gespenst des Rechtsradikalismus - Eine unterschätzte Gefahr?

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21.02.20 19:59
Fertiggestellt

Am Mittwoch, den 19. Februar, ereignete sich in der hessischen Stadt Hanau etwas, was eine
internationale Schockwelle auslöste. Gegen 22 Uhr stürmte ein bewaffneter,
dreiundvierzigjähriger Mann eine Shisha-Bar und eröffnete das Feuer. Im
Anschluss schoss er auf Menschen in einer weiteren Bar, sowie in einem Kiosk.
Insgesamt starben bei dem Anschlag neun Menschen, sechs weitere wurden zum Teil
schwer verletzt. Der Täter brachte im Anschluss seine Mutter um, bevor er sich
selbst das Leben nahm.

Die Behörden stellten schnell fest, dass dem Angriff Rassismus als zentrales Handlungsmotiv
zugrunde lag. Alle Opfer wiesen ausländische Wurzeln und teilweise ausländische
Staatsbürgerschaften auf. Neben fünf türkischen Staatsbürgern befand sich
offenbar auch eine schwangere Frau unter den Erschossenen. Je länger die
Ermittlungen andauerten, desto ersichtlicher wurde die rechtsextreme, zutiefst
fremdenfeindliche Gesinnung des Mannes, namens Tobias R.

Bedauerlicherweise ist rechter Terror spätestens seit dem letzten Jahr keine Besonderheit mehr in
der Bundesrepublik Deutschland. Die traurige Serie begann im Juli 2019 mit der
politisch motivierten Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter
Lübcke, setzte sich im Oktober mit dem versuchten Anschlag auf eine Synagoge in
Halle fort und fand in Hanau einen ersten großen Höhepunkt.

So tragisch die Ereignisse auch sind, so vorhersehbar waren sie doch im Grunde genommen,
vielleicht nicht in einem solchen Ausmaße, doch wer die gesellschaftliche
Entwicklung in den letzten Jahren unvoreingenommen verfolgt hat, der muss sich
ernsthaft fragen, warum unsere Behörden und die Regierung scheinbar derartig
auf dem falschen Fuß erwischt wurden.

Immerhin hatman beispielsweise mit der von Innenminister Seehofer durchgesetzten Aufstockung
des Bundeskriminalamtes um weitere 300 Stellen, die sich auf den Kampf gegen
Rechtsextremismus spezialisieren, politische Maßnahmen ergriffen. Dass dies
jedoch bei weitem nicht ausreicht, um der Bedrohung effizient entgegenzuwirken,
zeigt die Tat von Hanau.

Will es die Regierung schlichtweg nicht wahrhaben, dass die Entnazifizierung in Deutschland
auch viele Jahre nach Ende der NS-Diktatur anscheinend noch nicht gänzlich
abgeschlossen ist? Weigert man sich hierzulande, einzusehen, dass wohl doch
nicht alle aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt haben und die
Deutschen mit ihrer Aufarbeitung der Vergangenheit abgeschlossen haben?
Tatsächlich scheint mir, als hätten wir Angst, die Wahrheit zu akzeptieren,
anders kann ich mir nicht erklären, warum der Rechtsextremismus eine solch
unterschätzte Bedrohung ist.

In den letzten Jahren wurden wir häufig mit islamistischem Terror konfrontiert,
weshalb in die Bekämpfung desselben viel investiert wurde. In der Geschichte
der BRD lag der Schwerpunkt zumeist auf dem Widerstand gegen Linksextremismus
und dazugehörige Organisationen wie der RAF oder der ANTIFA.

Die Berufung auf das Vorhandensein vom linken Terror, auch heute noch eine beliebte
Strategie, um von rechtem Terror abzulenken, darf jedoch nicht darüber
hinwegtäuschen, dass Rechtsextremismus in der BRD ebenfalls über Tradition
verfügt. Es darf nicht verschwiegen werden, dass sich die Rechten im Land Ende
der 1960er Jahre mobilisierten und beinahe die NPD in den Bundestag wählten. Unvergessen
bleibt das Jahr 1980, welches als Jahr des rechten Terrors in die Geschichte
einging. Anschläge auf Vietnamesen in Hamburg und vor allem der Anschlag auf
das Münchener Oktoberfest am 26. September mit 12 Toten und 200 Verletzten. Von
den Missetaten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ganz zu schweigen!

All diese Zahlen und Ereignisse stellen unter Beweis: Was in Hanau geschah ist leider
nichts Neues. Und immer noch behandeln wir derartige Vorfälle so, als lägen
Ausnahmen vor. Um konkret bei der aktuellen Tat zu bleiben, soll dieser Essay
in erster Linie der Fragestellung dienen, wie nun eine angemessene Reaktion
aussähe.

 

Während sich die Regierung und auch überwiegend die Opposition mit den Opfern solidarisierte
und das Vergehen entschieden verurteilte, ist vonseiten der AfD keine
eindeutige Distanzierung von den Vorfällen ersichtlich. Zwar wurde die Tat
ebenfalls aus menschlicher Sicht betrachtet abgelehnt, Fraktionsvorsitzender
Gauland, verneint jedoch jedwede politischen Hintergründe und ordnet die Tat als
„Verbrechen“ ein und nicht als rassistischer Terrorakt. Bei einem derart
geistig verwirrten Manne, könne man nicht von klaren politischen Zielen
sprechen.

Selbstverständlich handelt es sich bei dieser Erklärung Gaulands um einen Euphemismus, der das Geschehen bewusst herunterspielt. Natürlich war Tobias R. geistig verwirrt, doch in
Wahrheit ist jeder überzeugter Rassist geistig verwirrt. Es bedarf des völligen
Wahnsinns um einen terroristischen Anschlag zu begehen, durch diesen Umstand
ist die Tat aber nicht minder rassistisch motiviert. Es stellt sich die Frage,
ob Gauland bei einem islamistischen Terrorakt auch die Unzurechnungsfähigkeit
des Täters oder aber die politische Gesinnung, nämlich die fundamentalistische
Auslebung des Islams hervorgehoben hätte. Vermutlich in diesem Fall eher
Letzteres!

An der rassistischen Gesinnung des Täters sind keine Zweifel zu dulden. In seinem
Manifest äußerte er beispielsweise die Notwendigkeit, bestimmte Völker gänzlich
auszurotten, wobei er überwiegend muslimische Staaten, wie Jordanien, Syrien
und Ägypten nannte. Des Weiteren sprach er von der Dezimierung der deutschen
Bevölkerung auf die Hälfte der aktuellen Einwohnerzahl, indem man sich
gewaltsam derer entledige, die sonst nicht mehr dieses Land verlassen würde.

Auffällig ist überdies die Wahl des Schauplatzes. Shisha-Bars werden in den meisten
Fällen von Ausländern oder Menschen mit Migrationshintergrund betrieben und
ziehen daher auch oftmals solche Menschen an. Dass Tobias R. ausgerechnet an
einem derartigen Ort das Feuer eröffnete, war kein Zufall, sondern bewusst
geplant und schauriges Kalkül.

Zumindest in einer Sache muss man Gauland zustimmen. Der Täter befand sich definitiv nicht
in einem geistig stabilen Zustand. Bereits lange vor seinem Verbrechen, veröffentlichte
der Mann auf seinem YouTube-Kanal und seiner Website allerhand
Verschwörungstheorien, die den Verdacht auf eine Schizophrenie nahelegen, was
bereits von Ärzten bestätigt werden konnte. Die Bedeutung einer geistigen
Krankheit ist natürlich ebenfalls nicht außer Acht zu lassen, von Rassismus als
ausschlaggebendem Handlungsmotiv, soll dies jedoch nicht ablenken. Interessant
ist in diesem Zusammenhang, dass das Bekennerschreiben zwar inhaltlich wirr
ist, jedoch nicht von der Struktur her. Es liegen weder Rechtschreib-noch
Syntaxfehler vor. Zu erklären ist dies wohl mit der guten Bildung, die Tobias
R. genossen hat. Schließlich konnte er ein abgeschlossenes BWL-Studium
vorweisen. Diese Tatsache beweist eine weitere These: Rechtsextremes
Gedankengut hat sich bereits in der gesamten Bevölkerung ausgebreitet und macht
keine Ausnahme mehr von bestimmten Gesellschaftsschichten. Der Nazi ist nicht
mehr nur der arbeitslose Alkoholiker, der die größte Zeit seines Lebens hinter
Gittern verbracht hat, nein, der Nazi ist auch der studierte Akademiker, der
Besserverdiener, der Beamte, einer, von dem man meint, er sollte es doch
eigentlich besser wissen. Rechtsextremismus breitet sich wie ein Virus in der
gesamten Gesellschaft aus und versetzt uns, wie ein Gespenst, in Angst und
Schrecken. Eine enorm beängstigende Entwicklung!

Die große Philosophin Hannah Arendt (1906-1975) prägte den Begriff von der „Banalität des
Bösen“, der von den Ereignissen in Hanau bestätigt wird. Ihrer Theorie zufolge
handelt es sich bei dem Bösen in der Welt nicht um etwas Radikales und
Außergewöhnliches, wie es Denker vor ihr annahmen. Das Böse ist banal,
durchschnittlich, unscheinbar. Der böse Mensch ist kein Mephistopheles, kein
Imperator Palpatine, kein Joker. Der böse Mensch ist ein Durchschnittsbürger,
wie es jeder von uns sein könnte. In diesem Fall heißt das konkret, ein Mann
mittleren Alters, aus der Mitte der Gesellschaft mit einem Hochschulabschluss
und Mitglied in einem Schützenverein.

Jener letzte von mir genannte Aspekt, verdient eine intensivere Auseinandersetzung. Tobias
R. konnte auf legalem Wege in den Besitz einer Schusswaffe gelangen. Dies
erlaubte ihm seine Mitgliedschaft in dem Frankfurter Schützenverein „Diana
Bergen Enkheim“.

An dieser Stelle muss man sich zweifelsohne fragen, wie es möglich war, dass ein derartig
verwirrter und rassistischer Mensch jahrelang in einem Verein tätig sein
konnte, ohne dass dessen Verhalten oder Äußerungen Aufsehen erregt hätten. Dies
erscheint mir in der Tat überaus fragwürdig! Auch Hessens Innenminister spricht
davon, Tobias R. sei zuvor nicht im Visier der Ermittler gewesen und nicht
fremdenfeindlich aufgefallen. Wenn dem wirklich so sein sollte, stellt sich mir
allerdings im Gegenzug die Frage, wie auf die Internet-Beiträge des Täters reagiert
wurde. Wie bereits angedeutet, fiel der Mann dort bereits seit langer Zeit
rassistisch und potentiell gewaltbereit auf. Ist die Justiz etwa wieder auf dem
rechten Auge blind?

Es ist schade, dass man Tobias R. nicht mehr in Gewahrsam nehmen konnte, um ihn zu
verhören. Womöglich war sein Verbrechen von Anfang an als erweiterter Suizid
geplant, um sich sofort der Verantwortung für sein Handeln zu entziehen. Geht
man davon aus, so gelangt man zu der Schlussfolgerung, dass er sich der Schwere
seines Vergehens bewusst war. Die Zurechnungsfähigkeit ist ihm vor diesem
Hintergrund vielleicht nicht ganz zu entziehen. Den Opfern und Angehörigen
hilft dies alles natürlich nicht weiter, weshalb es müßig ist, weiter zu
spekulieren. Neben der vollkommen berechtigten Trauer, der Angst und der Wut
ist aber auch ein gewisses Maß an Verbitterung durchaus angebracht.

In Zukunft sollte es weiter erschwert werden, an Waffen zu gelangen und Mitgliedschaften
in Schützenvereinen sollten nur unter der Voraussetzung eines strengen
individuellen Eignungstests möglich sein.

Die momentan von der Regierung forcierten Maßnahmen, wie beispielsweise die Erhöhung von
Polizeipräsenz, sind an dieser Stelle, meines Erachtens, vollkommen
unangebracht. Es wird an den falschen Stellen geschraubt! Neben einer höheren
Sensibilisierung durch Aufklärung über Rechtsextremismus innerhalb der
Gesellschaft, halte ich es für unbedingt notwendig, Medienkompetenz zu fördern,
was bereits früh in der Schule beginnen muss. Die rassistischen Ansichten des Tobias
R. waren nicht unbekannt, wenn man seine Website betrachtet. Bei einem
reflektierten Besucher der Seite müssten an dieser Stelle augenblicklich die
Alarmglocken schellen! Behörden müssten über den Gesundheitszustand dieses
Mannes informiert werden. Eine solch fortgeschrittene geistige Erkrankung darf
niemals unerkannt bleiben und eine therapeutische Behandlung ist unverzichtbar,
wenn nötig auch unter Zwang, schließlich stellte der Mann eine Bedrohung für
sich selbst und andere dar. Hinweise gab es zuhauf, sich herauszureden mit der
Ausrede, er sei nie aufgefallen, ist, meiner Meinung nach, völlig heuchlerisch!
Die Bundesregierung bedarf weitaus mehr qualifizierter Medienbeauftragter, die
sich genau mit solchen Fällen auseinandersetzen und in Zukunft hoffentlich
früher auf auffällige YouTube-Kanäle, Chat-Beiträge und so weiter mit
entsprechenden Maßnahmen reagieren. Die verschärften Gesetze gegen Hass und
Hetze im Internet sind sicherlich ein Anfang. In einer digitalisierten Welt,
müssen die Maßnahmen aber weitaus weiter reichen!

 

Zurecht in der Kritik steht auch die AfD, die mit ihrer Polemik ebenfalls einen Beitrag
zum Erstarken des Rechtsextremismus leisten. Natürlich sind nicht alle
AfD-Mitglieder rechtsextrem, die Partei bietet jedoch in jedem Falle einen
scheinbar „demokratischen“ Deckmantel für Extremisten. Prominentestes Beispiel
hierfür ist sicherlich Björn Höcke. Dessen 2018 veröffentlichtes Buch „Nie
zweimal in denselben Fluss“, weist derart eindeutig nationalsozialistische
Parolen auf, dass es kaum verwundert, dass rechtsextremes Gedankengut in der
Gesellschaft Anklang findet. Über die Regierung heißt es beispielsweise im
Originaltext: „[…] die starken Zentrifugalkräfte einer multikulturellen
Mißtrauens-und Konfliktgesellschaft durch ein repressives Regime
zusammenzuhalten, aber das wird auf Dauer nicht funktionieren.“

Im weiteren Verlauf des Buches erfolgt an einer Stelle gar eine implizierte und geschickt
formulierte Gewaltaufforderung, die da lautet: „Sie [eine neue Regierung] ist
den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und muss aller
Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen
Empfinden zuwider laufen.“

An dieser Stelle ist der Einwand angebracht, warum es überhaupt einen deutschen Verlag
gibt, der ein Buch veröffentlicht, welches derartige Aussagen und Hassparolen
enthält. Die Antwort ist natürlich die gleiche, wie immer: Geld! Immerhin
verspricht ein prominenter Autor hohe Verkaufszahlen und somit auch maximalen
Profit für den Verlag. Neben Faktoren wie Ignoranz, Angst vor der Wahrheit,
schlechter Absprache und mangelnder Medienkompetenz, kann man somit auch, wie
so oft, den Kapitalismus und extreme Profitgier für das Erstarken des
Rechtsextremismus verantwortlich machen. Der Kapitalist spricht nur die Sprache
des Geldes. Umstände, Werte und dergleichen kümmern ihn nicht.

Diese Verpestung der Sprache durch Rechtsextremisten führt letztendlich dazu, dass
Begriffe wie „Jude“ und „Kanacke“ auf den Schulhöfen zu Beleidigungen werden…

Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich ernsthaft das Gefühl, dass unsere freiheitliche
und von Vielfalt geprägte Demokratie in Gefahr ist. Die Bedrohung durch linken
und islamistischen Terror ist nicht kleinzureden, diese Probleme sind aber
schlichtweg zum gegenseitigen Zeitpunkt nicht akut. Unser aller Aufmerksamkeit
sollte sich auf den Kampf gegen Rechts richten. Das größte Problem in
Deutschland ist nämlich, dass wir Deutschen uns zu schnell zufrieden geben. Ein
halbwegs funktionierender Rechtsstaat reicht uns, um uns bequem auf dem Sofa
zurückzulehnen. Doch diese Einstellung ist gefährlich und eben das ist es, was
wir alle viel zu lange unterschätzt oder ignoriert haben. Die Feinde sind da
draußen, die Feinde sind unter uns. Während die Demokraten träge und
lethargisch sind, sind es die Extremisten, die Gefährder unserer Ordnung und
unserer Werte, die aktiv an der Abschaffung der Freiheit und Vielfalt arbeiten.
Dies dürfen wir nicht länger zulassen! Eine Demokratie lebt von ihren
Demokraten, sie ist auf unsere Aktivität angewiesen. Ansonsten verlieren wir
sie an die Feinde von heute, die die gleichen sind, wie die Feinde von damals.
Ohne eine entschiedenere Haltung gegen den Rechtsextremismus und konkrete
Gegenmaßnahmen, die über die üblichen Beileidsbekundungen hinaus gehen, sehe
ich schwarz für Deutschland. Also, engagiert euch in demokratischen
Institutionen, demonstriert gegen Nazis, was auch immer, Hauptsache, ihr tut
etwas! Demokraten aller Länder, vereinigt euch!

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BerndMoosecker Am 21.02.2020 um 20:27 Uhr
Hochachtung für diese Einstellung!

Gruß Bernd

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