Extreme Kontroversen bringt man gewöhnlicherweise nicht unbedingt mit dem Westdeutschen Rundfunk in Verbindung. Nichtsdestotrotz ist selbiger kürzlich mitten in das Kreuzfeuer der Kritik geraten und löste gewaltige Diskussionen aus, die gar Grundsätze unserer demokratischen Ordnung in Frage stellten. Dem zugrunde lag die Veröffentlichung eines Liedes, welches von dem Dortmunder Kinderchor gesungen wurde. Angelehnt war das Lied an das bekannte Kinderlied "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad". Das dazugehörige Video, welches im Internet für großes Aufsehen sorgte, zeigt eben jene Kinder.
Der Text des umstrittenen Liedes thematisiert den vermeintlichen Unwillen der älteren Generationen, dem Problem des Klimawandels entgegenzuwirken, da sie selbst mit ihrem Verhalten maßgeblich zur Erderwärmung beitrügen. Hierbei ist die besungene Oma als Repräsentant einer ganzen Generation zu deuten. Der Text wurde als beleidigend aufgefasst, da er Passagen wie "Meine Oma fährt im SUV beim Arzt vor" oder "Meine Oma brät sich jeden Tag ein Kotelett [...]. Weil Discounterfleisch so gut wie gar nichts kostet." Besonders brisant aufgefasst wurde allerdings die explizite Formulierung: "Meine Oma ist ne´ alte Umweltsau".
Infolge der Veröffentlichung erreichten den WDR unzählige Beschwerden über den beleidigenden Inhalt des Textes. Auch Demonstranten versammelten sich vor den Gebäuden des WDR in Köln, um ihren Unmut zu äußern.
Aufgrund der massiven Beschwerden, erfolgte im Anschluss gar eine Entschuldigung des Intendanten Tom Buhrow, der das Video entfernen ließ. Auch WDR2-Chef Jochen Rausch entschuldigte sich für die "missglückte Aktion" und vor allem für die Formulierung "Umweltsau", die er als unpassend empfinde.
In diesem Zusammenhang stellen sich viele Fragen, die auch vor dem Hintergrund unseres demokratischen Rechtsstaates einer dringenden Beantwortung bedarfen. Was ist noch als Satire aufzufassen und wann werden Grenzen überschritten, so wie es dem WDR vorgeworfen wird? Wie weit darf Presse-und Meinungsfreiheit gehen? Um die abstrakten Fragen zufriedenstellend zu thematisieren, ist es zunächst einmal vonnöten, sich konkret mit dem hier vorliegenden Fall auseinanderzusetzen, um sich eines fassbaren und aktuellen Beispiels zu bedienen.
In Bezug auf das WDR-Lied ist eine Zweiteilung erforderlich. Zum einen sollten wir uns mit den Inhalten an sich auseinandersetzen und im Anschluss mit der Methode, wie jener vermittelt wurde.
Faktisch betrachtet und ohne Zusammenhänge und Hintergründe zu berücksichtigen, muss man feststellen, dass die Inhalte zumindest nicht völlig willkürlich herbeigezogen wurden. Bei der Analyse der Aussage "Meine Oma fährt im SUV beim Arzt vor", gelangt man zu folgender Feststellung:
Die Auto-Zeitung veröffentlichte 2018 Zahlen, die den Anteil an SUV-Fahrern in Bezug auf die jeweilige Berufsgruppe darstellen. Mit einem Anteil von 19,3% landeten Pensionäre (ehemalige Beamte) auf dem zweiten Platz, knapp hinter Landwirten, die eines solchen Fahrzeuges sicherlich auch aus beruflichen Gründen bedarfen. Auf Platz fünf lagen Rentner im Allgemeinen (14,2%). Eine grundsätzliche Tendenz, dass ältere Menschen vermehrt auf einen umweltschädlichen SUV zurückgreifen, ist also durchaus vorhanden.
Natürlich geht das WDR-Lied jedoch nicht in die Tiefe. Die Frage nach dem Warum wird sich nämlich überhaupt nicht gestellt. Alte Menschen sind beispielsweise allein aufgrund ihres Alters und der damit einhergehenden Gebrechlichkeit und Anfälligkeit für Verletzungen in der Regel weitaus sicherheitsbedachter als junge und gesunde Menschen. Ein SUV bietet deutlich mehr Schutz als ein kleineres Auto und erhöht somit sowohl Comfort als auch Sicherheit, etwas, worauf alte Menschen notwendigerweise mehr Wert legen müssen. Dies ist einer von vielen Gründen, warum die Oma mit dem SUV zum Arzt fährt. Anstatt den Menschen Verständnis entgegenzubringen und ihnen womöglich Alternativen vorzustellen, werden sie grundsätzlich negativ und vollkommen inkompetent dargestellt, ohne auf ihre möglichen Intentionen einzugehen. Das Lied muss sich also definitiv den Vorwurf gefallen lassen, das Thema nicht reflektiert und mit der nötigen Sensibilität behandelt zu haben.
Dem kann man selbstverständlich auch andere Statistiken entgegenstellen, die die Oma-Generation entlasten. Wer kauft Smartphones, die aufgrund ihrer Herstellung und der Verwendung von kostbaren Rohstoffen ebenfalls enorm umweltschädlich sind? Die junge Generation! Statista veröffentlichte 2017 eine Studie, die besagt, dass rund 95% der 14-29-jährigen über ein Smartphone verfügen. Der Anteil unter den über 65-jährigen lag dagegen nur noch bei 41%.
Weitaus interessanter ist jedoch eine aktuelle Untersuchung des Tagesspiegels, die das Flugverhalten der Menschen analysierte und wir alle wissen, dass es wohl keinen größeren "Klima-Killer" gibt als das Reisen per Flugzeug. Von den Befragten wollte man wissen, ob sie in den letzten zwölf Monaten mindestens einmal geflogen seien. 46% der Grünen-Wähler bejahten dies und stellten somit ironischerweise den besten Wert dar, knapp vor den FDP-Wählern. Ausgerechnet die Grünen, die sich wie keine andere deutsche Partei für den Umweltschutz einsetzen! Zynisch formuliert könnte man also den vermeintlichen, scheinheiligen Klimaaktivisten, die derart gegen die ältere Generation hetzten den Rat mit auf den Weg geben, demnächst lieber vor der eigenen Tür zu kehren!
Außerdem ist festzuhalten, dass ich mir kaum eine Generation vorstellen kann, die nachhaltiger lebte, als die unserer Großeltern. Liebe Klimaaktivisten, während ihr euch über die Sinnhaftigkeit von Silvester-Böllern streitet, musste meine Oma sich noch mit Raketen auseinandersetzen, die ganz sicher nicht der Belustigung dienten. Liebe Klimaaktivisten, während ihr spaßeshalber um die halbe Welt reist, können sich viele Omas und Opas da draußen nicht einen einzigen Urlaub leisten, da die Miete kaum zum Leben reicht. Liebe Klimaaktivisten, während ihr euch jeden Morgen schön zur Schule fahren lässt, mussten eure Großeltern kilometerlange Fußwege auf sich nehmen, um den kleinen Markt im Nachbarort aufzusuchen oder um stundenlang auf dem Feld zu arbeiten. Liebe Klimaaktivisten, während ihr euch Kleidung aus Vietnam kauft und ein Handy nach dem anderen verschleißt, hat sich eure Oma ihre Kleidung selbst genäht.
Selbstverständlich bin ich mir vollkommen bewusst, dass sich der hochkomplexe Politikprozess nicht auf simple Ja-Nein-Fragen oder spezifische Studien reduzieren lässt. Dadurch, dass ich es soeben dennoch vollzogen habe, agiere ich ganz genau so wie der WDR mit seinem Oma-Lied. Ist das fair?
Nachdem wir uns zumindest beispielhaft an dem Inhalt orientiert haben, gehen wir nun zu der Methode der Umsetzung über. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls die Frage zu thematisieren, was sich noch im satirischen Rahmen abspielt und was schlichtweg verletzend ist.
Die Satire stellt für die Demokratie ein unverzichtbares Mittel dar, ist sie doch die wohl höchste Ausdrucksform von Meinungs-und Pressefreiheit. Fairerweise muss man auch einsehen, dass die Fridays for Future Generation rund um Greta Thunberg insbesondere von dem Satiriker Dieter Nuhr ihr Fett weg bekommen hat. Man kann eine bestimmte Verhaltensweise nicht auf der einen Seite billigen, nicht jedoch auf der anderen. Aus diesem Grund kann es niemand dem WDR oder sonst irgendjemandem verbieten, ein solches satirisches Werk zu produzieren und zu veröffentlichen. Eine Zensur käme diktatorischen Umständen gleich, die wir nach unseren Erfahrungen definitiv nicht mehr anstreben sollten.
Ebenso legitim ist es jedoch, seinen Unmut und Kritik an dem Werk zu äußern. Meinungsfreiheit geht schließlich in zwei Richtungen. Einmal in die des Verfassers und anschließend in die des Konsumenten. Die empörten Reaktionen vieler Menschen, die sich von dem Lied persönlich angegriffen fühlten, muss folglich genauso toleriert werden. Da mir die Demokratie viel bedeutet, akzeptiere ich auch die Existenz des Liedes, wenngleich es meinen eigenen Ansichten zuwiderläuft. Meines Erachtens schürt der Text völlig unnötig Hass, da die ältere Generation als eindeutiges Feindbild etabliert ist. Bedenklich ist es zudem, dass hierbei die ideologische links-grüne und pseudo-feministische Färbung ersichtlich wird. Ebenso fragwürdig erscheint mir die Instrumentalisierung von Kindern, die überhaupt nicht in der Lage sind, den Text im erforderlichen Maße zu hinterfragen und wohl nur aufgrund der höheren Publikumswirksamkeit angeheuert wurden. Schade, dass es der WDR offensichtlich nötig hat, Kinder für seine Zwecke zu instrumentalisieren! In die gleiche Kerbe schlägt der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Armin Laschet, der in diesem Zusammenhang vor der Eskalation eines "Generationenkonfliktes" warnt, dessen Bedenken von Herrn Buhrow jedoch als "lächerlich" abgewertet wurden.
Warum wählt man ausgerechnet alte Menschen als Zielscheibe? Man hätte genauso die zuvor thematisierten scheinheiligen Umweltaktivisten wählen können oder aber Afrikaner und Inder, die aufgrund der enorm hohen Geburtenrate in den betroffenen Ländern das für die Umwelt sehr belastende Problem der Überbevölkerung verschlimmern. Vielleicht schießt man sich neben den ideologischen Gründen vielleicht auch einfach nur deshalb auf die alten Menschen ein, da diese gewöhnlicherweise weniger kompetent im Umgang mit den modernen Medien sind und sich daher womöglich nicht gut wehren können? Man bedenke, dass das Video erst im Internet richtig viral ging. Fakt ist, die Oma ist in Wahrheit austauschbar, wir alle tragen durch unser bloßes Dasein mehr oder weniger zum Klimawandel bei. In diesem Zusammenhang die berüchtigte "Schuld-Frage" zu stellen, wie es der WDR vornahm, ist demgemäß wenig zielführend.
Natürlich übertreibt Satire! Das muss sie sogar, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Natürlich fühlt sich durch Satire immer jemand angegriffen! Natürlich ist sie nicht zu verteufeln und wird auch in Zukunft glücklicherweise weiter verwendet, denn kaum ein Privileg ist höher einzuschätzen als die Freiheit von Kunst. Und dennoch, gute Satire ist niemals explizit beleidigend, da sie ihre Anliegen, trotz der vermeintlichen Auffälligkeiten, subtil äußert und es somit gar nicht nötig hat, auf Schimpfwörter zurückzugreifen. Die Bezeichnung "Umweltsau" dagegen ist offensichtlich beleidigend und abwertend konnotiert! Anstandslosigkeiten und mangelnder Respekt, auch den "Stammesälteren" gegenüber scheinen in der heutigen Gesellschaft wohl zum "guten Ton" zu gehören und sind daher an der Tagesordnung. Wie sollte es auch anders sein bei Vorbildern wie einem US-Präsident, der politische Gegner öffentlich bei Twitter denunziert?
Wenngleich ich mich mit dem WDR-Lied nicht zu identifizieren in der Lage bin, so erachte ich das Löschen des Videos vonseiten der Zuständigen trotzdem für das falsche Zeichen! Es spielt Rechtspopulisten in die Karte, die nun als gefühlte Sieger vom Platz gehen können, da es ihnen ja gelungen ist, ihre "traditionellen Werte", was auch immer das sein mag, gegen die "Seuche" von Links zu verteidigen. Diesen Triumph sollte ihne ein verantwortungsbewusster Offizieller nicht gewähren! Das Entfernen des Videos übt überdies eine äußerst negative Signalwirkung aus. Es erscheint dem neutralen Beobachter, als würde der WDR die Aufarbeitung dieses "Missgeschicks" durch das simple Löschen komplett verweigern. Dem Dialog mit den Kritikern wird durch diese Reaktion von Anfang an aus dem Weg gegangen, um jede Form von Konfrontation zu verhindern. Ist der WDR etwa nicht in der Lage, sich mit den Konsequenzen seines Handelns auseinanderzusetzen und dafür die Verantwortung zu tragen? Beim nächsten Mal sollte die kritische Selbstreflektion lieber vor der Produktion eines solches Liedes stattfinden!
Bei all den Diskussionen in Bezug auf den Umweltschutz, ein Thema, welches unsere angeschlagene Gesellschaft vollkommen zu spalten droht, vergessen wir den Betroffenen selbst! Mutter Erde wird für die unseligen Debatten darum, wer an ihrer Zerstörung Schuld sei, wohl nur ein müdes Lachen übrig haben, sofern sie angesichts ihrer Leiden überhaupt noch ein solches zustande bringen vermag und nicht in schmerzverzerrtes Schreien ausbricht. Was sollten wir also aus dem WDR-Lied lernen? Gute Satire sieht definitiv anders aus, dies ist jedoch eher zweitrangig. Das Werk selbst ist unnötig, genauso jedoch auch die übertriebenen Reaktionen und das Löschen des Videos. Umweltschutz, sofern wir ihn überhaupt anstreben kann nur im Kollektiv stattfinden, da vereinzelte Maßnahmen nicht den erwünschten Erfolg herbeiführen können. Um das ambitionierte Ziel zu erreichen, ist ein weitaus größerer Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft unverzichtbar. Dafür sollten wir die alten Menschen ebenfalls mit ins Boot nehmen und sie, wie uns selbst, von dem sinkenden Schiff befreien, anstatt sie nicht nur auszuschließen, sondern gar konkrete Anfeindungen vorzunehmen. Ansonsten sehe ich schwarz für Mutter Natur. How Dare You?
In dem Sinne ein frohes neues Jahr 2020, das hoffentlich noch viele von uns mit der alten Umweltsau bestreiten können!
Feedback
Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!