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Die Geschichte begann wie diese Geschichten immer anfangen. Genau genommen begann sie an einem Morgen, der begann wie jeder andere:
Ich hatte keine Zeit gefunden, mich zu rasieren, da ich mich nach dem Fahrplan des öffentlichen Nahverkehrs richten musste und so saß ich stoppelig und mit dem Abdruck meines Kissens im Gesicht an meinem Schreibtisch und stocherte in den verstopften Schneideblättern meines alten Elektrorasierers mit einer Nadel herum. Das Ding wollte den Geist aufgeben, aber wenn das Geld für die Büromiete reichen sollte, musste der Apparat wohl oder übel noch zwei Wochen überstehen.
Es war noch recht früh und der kommende Herbst schickte die Vorboten einer frühwinterlichen Kälte. In den letzten Tagen war das Tageslicht nicht über ein Dämmern hinausgekommen und auch heute blieb der Himmel zugezogen und grau. In diesem Teil des Landes war das nichts Ungewöhnliches, aber es schlug sich in den Gemütern der Menschen nieder. Zumindest in diesem Viertel.
Seit ich aus New York nach Chicago gezogen bin, nehme ich die Menschen nur noch eingehüllt in einen Schleier grauer Lethargie wahr.
Es ist nicht das schlechteste Kleid, das ein Mensch tragen kann, vor allem, wenn als Alternative lediglich die glänzenden, uniformhaften Anzüge und die Hektik an Börsen, in Banken und Versicherungsgesellschaften zu Verfügung stehen.
Ich hatte New York damals nicht wegen der Anzüge verlassen, aber es wäre ein Grund, den ich durchaus hätte durchgehen lassen bei einem Verhör.
New York abzuschwören war vielleicht die beste und die falscheste Entscheidung, die ich je getroffen hatte. Ich tauschte ein sicheres Einkommen in einem unsicheren Job gegen ein unsicheres Einkommen in einem unsicheren Job. Doch ich war unabhängig und konnte mir meine Kunden und Fälle aussuchen.
Als Polizist ist man gezwungen, allen Hinweisen, Bitten und Verdächtigungen nachzugehen. Als Privatdetektiv ist man nur gezwungen, die Miete zu bezahlen. Meistens läuft es auf das selbe hinaus, aber es fühlt sich besser an.
Ich mag es, mir selbst und anderen Leuten etwas vorzumachen. Ich will nicht bestreiten, dass ein ehemaliger New Yorker Polizist besonders qualifiziert für die Arbeit als Privatermittler ist. Er ist hart im nehmen, hat viel gesehen, viel erlebt und er hat überlebt, was bedeutet, dass er schnell, effektiv und zu gegebenen Zeiten diplomatisch agieren kann. Jedoch stellt man ihm viel zu häufig die Frage, warum er seinen Posten aufgegeben hat.
Um dieser Frage aus dem Weg zu gehen, beantworte ich sie bereits bevor sie gestellt wird. Ich habe den Zeitungsartikel aufgehoben und an meine Pinnwand geheftet. Es ist Werbung, Nostalgie und ein seltsamer Hang für das Morbide in mir.
„Kommissar der Bestechung überführt und gefeuert"
Diese Dinge haben nichts mit jenem Morgen zu tun, aber ich habe das Gefühl, dass eine Geschichte mit solchen Dingen anfangen sollte.
Der gläserne Lampenschirm meiner Bürobeleuchtung war eine Woche zuvor zerbrochen, als ich eine dieser kleinen, flachen Whiskyflaschen nach ihm geworfen hatte. Ich weiß nicht mehr, warum ich es getan habe, aber es erschien mit zu jenem Zeitpunkt sinnvoll. Es führte dazu, dass nun eine flackernde Glühbirne zwischen einigen Scherben baumelte.
Mein Schreibtisch war aufgeräumt. Der Aktenschrank wies keine offenen Fälle auf und ein kräftiger Wind zog durch die schlecht isolierten Fenster, an denen als einem weiteren Akt der Werbung mein Namensschriftzug zu lesen war, wenn man sich besonders anstrengte und sich die Buchstaben „s" und „n" dazu dachte.
Mein Bürostuhl bestand aus Holz und war keines dieser neumodischen Exemplare mit Polsterung und einer Rückenlehne bis zum Schädel.
Ich zündete mir eine Zigarette an, bevor ich ernsthafter versuchte, den verstopften Rasierapparat zum Laufen zu bekommen.
Ich jonglierte gerade mit der Zigarette im Mund, als ich mein Kinn bearbeitete und ein Pochen an der Tür verriet, dass sich jemand freiwillig oder unfreiwillig in den Flur vor meinem Büro verirrt hatte.
Sam Mason saß umständlich verrenkt aus seinem Bürostuhl und starrte angestrengt in die größte Scherbe eines ehemaligen Rasierspiegels, die er gerade aus einer der sechs Schreibtischschubladen gekramt hatte. Der antike Elektrorasierer wies nur ein kurzes Kabel auf, sodass Sam sich unbequem vorbeugen musste, um ihn benutzen zu können. Er gab röchelnde Geräusche von sich und entschied sich etwa die Hälfte von Sams Bartstoppeln einfach stehen zu lassen.
Seit einigen Tagen war dies die einzige Rasur, die er sich leisten konnte und so hatte sich sein Gesicht langsam aber sicher in etwas verwandelt, was in Chicago noch weniger Ansehen ernten würde, als das Gesicht eines Privatermittlers, der sich für Geld durch Mülltonnen wühlt.
Wer verdiente weniger Ansehen, als ein Privatermittler? Eigentlich gab es nur eine Bevölkerungsgruppe, die unter dem Detektiv stand: Es handelte sich um die Menschen, die sich im Mittelpunkt der Ermittlungen eines Privatermittlern befanden und vielleicht ihren Auftraggebern.
Mason nahm einen Schluck aus der Whiskyflasche von gestern. Ein letzter Schluck ließ sich ihr erringen, ehe er sie in den Papierkorb pfefferte, wo sie sich in Gemeinschaft der Flaschen vom Mittwoch, Dienstag und Montag wiederfand.
Die dritte Zigarette des Tages entscheidet für gewöhnlich über den weiteren Verlauf des Tages. Es war neun Uhr. Die Sonne versteckte sich hinter grauen Wolken. Vor Masons Büro bewegte sich der Verkehr wie in pulsierenden Venen. Er entzündete ein Streichholz, während zwischen seinen Lippen die dritte Zigarette des Tages klemmte.
Sam hielt inne und verbrannte sich beinahe die Finger, was er für ein schlechtes Omen hielt.
Er legte die Zigarette zur Seite und stand von seinem Schreibtisch auf, um die Tür zu öffnen.
Durch das Milchglas, sah er die Silhouette einer Person, die auf die Türklingel drückte.
Seit Tagen funktionierte der Summer nicht mehr. Das erstickte Würgen der Türklingelanlage, das ohnehin viel zu selten ertönte, fehlte Sam. Er hatte seinen Schreibtisch auf die Tür ausrichten müssen, damit er sehen konnte, wenn jemand davor stand und vorgeben konnte, ein Klingeln gehört zu haben.
Vor der Tür stand ein Wesen, das soviel Schicksalshaftigkeit in sich vereinte wie vier dritte Zigaretten auf einmal.
Die junge Frau reichte Sam die Hand. Ihr Händedruck war fest und verriet Selbstbewusstsein und die völlige Gewissheit mit der Frauen Dummheiten begehen.
„Guten Morgen Mr. Mason", sagte Sie und trat an Sam vorbei in das kleine Büro ein.
„Entschuldigen Sie, jungen Damen öffne ich die Tür gerne persönlich", erwiderte der Detektiv, als er die Tür hinter der Dame schloss und ihr dann zu seinem Schreibtisch folgte.
„Wie viel verlangen Sie für einen leichten Fall?"
„Ich hatte noch nie einen leichten Fall, aber für einen Normalen nehme ich dreißig pro Tag plus Spesen."
„Möchten Sie rauchen?", fragte die Dame, als sie mit einem fahrigen Blick die Zigarette auf dem Tisch gestreift hatte.
„Möchten Sie?", fragte Sam und zog eine weiter Zigarette aus seiner Tasche.
Sie schüttelte den Kopf. Sam ließ seinen Glimmstängel unberührt auf dem Tisch liegen.
„Ich möchte, dass Sie einen Mann für mich finden", sprach die Dame.
„Das dürfte Ihnen nicht schwer fallen. Ich versichere Ihnen, da können Sie sich mein Honorar sparen und diesen Rat gibt es sogar kostenlos."
Die Dame lächelte matt: „Ja, ich denke, Sie sind der richtige Mann für den Job. Mein Name ist Judith Leery und ich biete Ihnen hundert pro Tag. Ich suche einen Mann namens Weston Firth."
Sam lehnte sich zurück und konnte nicht verhindert das unbekannte Wesen, das sich entschieden hatte, sich zu erkennen zu geben, mit einem abschätzenden Blick zu betrauen.
Diese Frau war gewiss nicht das, was man gemeinhin als schön, sittsam, brav oder gefestigt bezeichnete. Sie trug ein einen halblangen Rock, mittlere Absätze und eine weiße Bluse, die mehr wie ein Hemd aussah, was ihrem ganzen Auftreten eine interessante, ungewöhnliche Note gab. Sie hatte eine schwarze Handtasche bei sich, die sie mit ihren Fingern so fest umklammerte, dass sie weiße Flecken an den Gelenken bekamen. Ihre Fingernägel waren gepflegt und dezent rosa lackiert. Sie trug keine Ringe oder anderen Schmuck. Haare und Make-up entsprachen dem gängigen Muster der Mode und gingen gar ein wenig darüber hinaus. Solche Frauen sieht man nicht morgens in Büros. Man trifft sie nachts in Bars oder vor Gericht oder in Galerien für aufgeklärte Kunst.
Es dauerte einige Augenblicke, ehe Sam passende Worte gefunden hatte, um die peinliche Pause zu beenden, die ihm keinesfalls peinlich war und Judith ebenso wenig: „Wieso wollen Sie, dass ich Weston Firth finde?"
Judith seufzte: „Er ist ein Heiratsschwindler. Es ist mir unangenehm, dass sowas mir passiert ist, aber ich schätze, keine wohlhabende Witwe ist vor solchen Leuten geschützt. Nehmen Sie den Fall an?"
Sam kniff die Augen zusammen, sparte sich aber einen Kommentar: „Haben Sie ein Foto von ihm? Wissen Sie, ob Weston Firth sein richtiger Name ist? Wo hält oder hielt er sich für gewöhnlich auf?"
Judith beantwortetet die Fragen so lustlos und stereotyp wie sie gestellt worden waren: „Nein. Ich bin ziemlich sicher. Ich habe ihn häufig in der Bibliothek getroffen."
„Was wollen Sie von ihm? Ihn zur Rede stellen?", Sam schmunzelte.
„Er schuldet mir fünftausend Dollar", erklärte Judith kalt und ohne das Gesicht zu verziehen, „Ich habe ihn wie gesagt oft in der öffentlichen Bücherei getroffen. Dort kennt man ihn ebenfalls unter dem Namen Weston Firth. Er ist etwa ein Meter achtzig, schlank, immer tadellos rasiert. Er hat dunkelbraune Haare und braune Augen. Er trägt selbst in seiner Freizeit einen Anzug und Krawatte. Außerdem besitzt er ausschließlich Schuhe mit Gummisohle. Seine Stimme klingt rau und er spricht leise."
Sam hatte mitgeschrieben, doch es handelte sich mehr um einen Akt der Höflichkeit, als dass die Hinweise etwas getaugt hätten.
„Sagen Sie, wie sind Sie an den Typen geraten?", fragte er schließlich.
Judith blickte zu Boden, wie im Rahmen einer perfekten Choreographie: „Wie man eben an solche Typen gerät. Er gibt dir einen Drink aus und noch einen und dann erzählst du zu viel und dann verbringst du die Nacht mit ihm und wenn er am nächsten Morgen immer noch in deine übernächtigten Augen blicken kann, glaubst du, dass er derjenige ist, der es schaffen könnte, die ganzen verwirrten Gefühle in deinem Kopf zu sortieren."
„Wieso wenden Sie sich an einen Privatermittler. Es handelt sich um ein Betrugsdelikt. Die Polizei wäre verpflichtet, einer Anzeige nachzugehen und es würde Sie nichts kosten", sagte Sam und versuchte, weder auf seine Zigarette auf dem Tisch, noch auf Judith davor zu starren.
„Sie zu bezahlen wäre kein Problem. Ich möchte sicherstellen, dass die Polizei aus dieser Sache herausgehalten wird. Ich will nur mein Geld. Weston interessiert mich nicht. Vom mir aus kann er gehen wohin und mit wem er will, wenn ich mit ihm fertig bin."
Sam runzelte die Stirn: „Ein wenig seltsam mutet das schon an, Lady, das müssen Sie zu geben."
„Deshalb bezahle ich Ihnen einhundert, statt dreißig und die ersten drei Tage im voraus, wenn das Ihnen die Entscheidung erleichtert", erwiderte Judith und zog eine Augenbraue hinauf, „Nehmen Sie den Fall nun an?"
„Sagen Sie, wie alt sind Sie?", fragte Sam plötzlich.
„Wieso wollen Sie das wissen?"
„Ich habe zuerst gefragt."
„26. Jetzt sind Sie dran."
„Ich frage mich, wieso eine so junge Frau bereits verwitwet ist. Wissen Sie, es ist ungewöhnlich, dass jemand, der betrogen wurde, die Polizei scheut."
Judith lachte laut auf: „Sie sind ein wahrhaft ausgefuchster Detektiv. Nein, ich habe meinen Mann nicht ermordet. Sie lesen zu viele Kriminalromane. Oder bevorzugen sie Kinofilme? Mein Mann kam bei einem Unfall in der Fabrik ums Leben. Es ist jetzt ein halbes Jahr her und ich war auf der Suche nach ein wenig Trost. Ich fand ihn zuerst im Likör und dann in Weston."
„Wenigstens hat Ihr Mann Sie nicht mittellos zurückgelassen", kommentierte Sam.
„Glauben Sie nicht, dass ich Arbeit scheue, Mr. Mason. Sie haben recht, ich bin wohlhabend genug, um keinem Beruf nachzugehen, aber Geld kann Howard nicht ersetzen", sagte Judith und kniff die Augen zusammen, als sie in ihrer Handtasche kramte. Sie zog ein kleines schwarzes Buch hervor, in dem sie kurz blätterte und dann eine Geldscheine fand, die sie Sam über den Schreibtisch hin schob: „Ihr Vorschuss. Nehmen sie den Fall an?"
Ich wusste instinktiv, dass ich den Fall nicht hätte annehmen sollen. Solche Frauen bringen Unglück. Solche Frauen verursachen Unannehmlichkeiten.
Ich hatte sie nach ihrem Ehemann gefragt, weil ich ahnte, dass ich es hier mit einer Frau der abgebrühteren Sorte zu tun hatte. Der Tod ihres Mannes war gerade einmal ein paar Monate her und sie fiel auf einen Heiratsschwindler herein.
Ihre Ausführungen und die Bitte, die Polizei aus der Sache herauszuhalten kamen mir seltsam vor, auch, dass sie mir einen so extrem überzogenen Tagessatz zahlen wollte, machte mich stutzig.
Sie trug ihr Geld nicht in einer Geldbörse, sondern in einem Buch mit sich herum. Das verwirrte vielleicht Diebe, die es auf Geldbörsen abgesehen hatten, schien aber auf mehr als einen seltsamen Spleen zurückzuführen zu sein. Das Buch hatte sie schnell und tief in ihrer Tasche vergraben, als sie das Geld auf den Tisch gelegt hatte.
Und dann kam der Blick, der sagte: „Ich weiß, dass du deine verdammte Miete bezahlen musst und du hast gar keine andere Wahl, als das Geld und den Fall anzunehmen."
Ich hätte zu meinem Vermieter gehen und ihn um einen Aufschub bitten sollen, doch dazu war ich zu stolz.
Ich hätte das Geld nehmen und mich den größten Vollrausch der Geschichte hingeben sollen.
Doch ich nahm das Geld und bezahlte pünktlich meine Miete, bevor ich mich auf den Weg zur öffentlichen Bibliothek machte.
Mit Mrs. Leerys Beschreibung konnte ich nicht viel anfangen. Auf drei Viertel der Männer in Chicago passte die Beschreibung. Außerdem hatte er sich inzwischen vielleicht einen Bart und einen falschen Namen zugelegt. Vielleicht trug er keine Anzüge, wenn er nicht auf Brautschau war.
Ich hatte so meine Zweifel, ob es diesen mysteriösem Weston Firth überhaupt gab. Der Name hörte sich nicht nach jemandem an, der wirklich existierte. Mehr nach jemandem, den sich eine Frau ausdachte, um vielleicht etwas zu vertuschen.
Ihre Beschreibung eines Allerwelts-Mannes passte zu dieser Vermutung. Vielleicht brauchte sie mich als Alibi? Vielleicht brauchte sie mich als Werkzeug?
Ich beschloss, dass die Bibliothek warten konnte. Sollte sich dort irgendwann jemand mit dem Namen Weston Firth einfinden, so konnte ich ihm später immer noch nachspionieren. Judith Leerys Spur war um einiges heißer und roch nach besserem Parfum.
Ich sah, wie sie in ein Taxi einstieg und ich sah, wie sie davon brauste. Ich versuchte, ihr mit meinem Wagen auf den Fersen zu bleiben, was im Stadtverkehr nicht so einfach ist, wie man es sich vorstellt.
Zu meiner Verwunderung blieb sie nicht in der Stadt, sondern ließ sich hinaus in ein Industriegebiet fahren. Hatte sie etwa bemerkt, dass ich ihr folgte? Wollte sie mich verwirren?
Vor den verriegelten Toren einer verlassenen Fabrik stieg sie aus und ließ das Taxi zurück fahren. Wie wollte sie wieder nach Hause kommen?
Ich hatte so eine dunkle Ahnung, dass ich in eine Falle getappt war und dass Judith Leery vielleicht Gefallen an meinem Wagen gefunden hatte. Jedenfalls starrte sie ihn an und mich, als ich langsam ausstieg.
Auf meine Frage, was sie hier wollte, sagte sie nur, dass sie prüfen wollte, ob sie mir trauen könne.
Sie konnte offensichtlich nicht, denn ich starrte mit einem Mal in den Lauf einer erstaunlich handlichen Pistole, die sie auf ihrer Tasche gekramt hatte.
Frauen und Handtaschen, dachte ich betrübt, das ist das Verderben jedes aufrechten Mannes.
Ich hatte gewartet, bis Judith Leery mein Büro verlassen hatte. Dann schüttelte ich lächelnd den Kopf, als ich mein Büro betrachtete. Ein Lampenschirm aus Scherben und diese Frau hat ihn noch nicht einmal schief angesehen. Ein unrasierter Typ, dessen Hände zu schwitzen beginnen, wenn er keine Zigarette im Mund hat und sie hat all diese kleinen Anzeichen von Nachlässigkeit übersehen, auch den stoppligen Bart und die ungeordnete Frisur.
Ich lachte, solche Frauen traf man normalerweise nicht bei Tage. Jetzt wusste ich jedenfalls, dass sie bei Licht nicht zu Staub zerfielen.
Ich zog meinen Mantel über und den Hut tief ins Gesicht. Er hielt den kalten Wind etwas ab und sorgte dafür, dass es den Passanten schwer fallen würde, in meine Augen zu blicken. Ich mochte das einfach nicht. Jeder Passant ist ein potentieller Zeuge.
War ich am Morgen noch mit der Tram in mein Büro gekommen, konnte ich mir nun ein Taxi leisten, denn es gab jemanden, dem ich eine Spesenrechnung aufmachen konnte.
Die Fahrt dauerte nicht lange und brachte mich zu der Bibliothek, die Judith mir zuvor genannt hatte.
Ich erhoffte mir nicht viel von diesem Besuch, doch es war der einzige Anhaltspunkt, der im Firth-Fall wenigstens halbwegs etwas zu taugen schien.
Ich trat ein und schlenderte entlang der übermannshohen Regale, ohne wirklich etwas zu suchen, zu sehen oder zu erwarten.
In der Bibliothek wirkte Sam eher wie ein verdächtiger, als ein unauffälliger Kunde. Er schlenderte viel zu schnell an den Regalreihen entlang, als dass er auch nur einen Buchrücken hätte lesen können.
Was er suchte, wusste er selbst nicht genau. Er wandte sich bald hier hin und bald dort hin und je länger er sich in dieser Gebäude aufhielt, um so unsicherer wirkten seine Blicke.
Er streifte durch verschiedene Abteilungen, und den großen Lesesaal, vorbei an Studenten, die nach Antworten und älteren Damen, die verlorene Liebschaften in Büchern suchten. Es war nicht viel Betrieb an diesem Vormittag und kein einziger Mann, auf den Judiths Beschreibung gepasst hätte, war anwesend.
Langsam wurde es auffällig, dass Sam kein einziges Buch in die Hand nahm, nur herum lief und unauffällig, unter der Hutkrempe heraus die Menschen beobachtete.
Er hatte weder Mantel und Hut ausgezogen, was andeutete, dass er gar nicht vorhatte, es sich in der Bücherei gemütlich zu machen. Er gab ein seltsames Bild ab, neben all den älteren Menschen und Studenten, die sich in Sesseln oder an Tischen niedergelassen hatten und studierten oder träumten. Man sah ihm an, dass Sam nicht wirklich vorhatte, seinen Verstand auf ein Buch zu konzentrieren. Sein Verstand war auf etwas anderes ausgerichtet.
Sam bemerkte, dass eine junge Dame forschen Schrittes auf ihn zu kam. Der enge, schwarze Rock wirkte adrett, wie auch die weiße, bis oben zugeknöpfte Bluse. Sie trug flache Schuhe, was zu einem watschelnden Gang führte, den Sam bei Frauen nicht mochte und einen Mann leicht als Polizisten erkennbar machte. Es war der Gang, den Menschen erlernen, die in ihrem Job viel laufen müssen. Er ist energiesparend, langsam und wirkt ungemein lächerlich.
Die Brille, die auf der Nase der Dame ruhte, über die die hell geschminkten Augen hinweg sahen, Sam anstarrten und nicht besonders höflich dreinschauten, wiesen die Frau eindeutig als eine Mitarbeiterin der Bibliothek aus.
Ich hatte keine Lust mich einer kritischen Befragung zu stellen. Ich war noch nie hier gewesen, hatte keinen Bibliotheksausweis. Sie musste mich für einen Dieb halten. Vielleicht würde sie die Polizei rufen und mich abführen lassen und die Polizei sollte ich ja auf jeden Fall aus dem Spiel lassen.
Ich eilte also zurück in Richtung Ausgang, wo ich in meiner Eile in eine ungünstig platzierte Putzfrau hineinstolperte, der der seifennassen Griff ihres Eimeres entglitt, sodass selbiger in hohem Bogen auf eine Auslage zuflog und bei seiner Landung etwa sieben antike und offensichtlich sehr wertvolle Bücher unwiederbringlich zerstörte.
Sofort brach die Hölle über mich herein. Die Putzfrau schnatterte etwas auf Spanisch, die Bibliothekarin benutzte alle Schimpfwörter und noch ein paar mehr, die es sich für eine erwachsene Frau nicht zu kennen geziemt und ich flüchtete eilendenden Schrittes nach draußen. Das Letzte, was ich hörte war: "Hausverbot auf Lebenszeit!"
Eine weiter Untersuchung im Rahmen dieses Falles konnte ich somit vergessen.
Die Frau, die auf mich zu kam, sah nicht aus wie eine gewöhnliche Bibliothekarin, die in meiner Vorstellung immer faltig und mit wirrem Haar hinter Tischen saßen und wie eine hängengebliebene Langspielplatte „Ruhe!" oder „Keine Getränke!" krächzen. Ich glaube einen guten Blick für Frauen zu haben und ich glaube, einen guten Draht zu Frauen zu haben.
Aber das hier war keine Frau. Dieses Wesen war ein Vampir, der sich nicht in, sondern hinter einem Buch versteckte. Die Brille war nur Tarnung. Vermutlich gehörte sie zur Berufskleidung. Ich musste verhindern, dass sie mich überfiel, also überfiel ich sie.
Sam stolperte auf die Dame zu und fragte: „Sind Sie hier angestellt?"
Er bekam ein nervöses Nicken zur Antwort.
Sam lächelte: „Ich suche nach einem Mann namens Weston Firth. Ich bin mit ihm verabredet, da ich ihn aber noch nie gesehen habe, weiß ich nicht wonach ich Ausschau halten soll."
„Weston Firth? Den habe ich hier schon seit Tagen nicht mehr gesehen und eigentlich ist er immer regelmäßig hier aufgetaucht", sagte die Angestellte.
„Können sie mir sagen, wie er aussieht?"
„Er ist nicht hier", lautete die Antwort, „Was würde es ihnen nutzen, wenn ich ihn ihnen beschreiben würde. Er ist ein unauffälliger Kerl, der sich gerne in der Bücherei aufhält."
„Liest er denn viel?", fragte Sam.
„Er trifft sich meistens mit Leuten hier. Fragen sie mich nicht mit wem und warum. Das müssten sie selbst am besten wissen, wenn man ihrer Geschichte glauben kann."
Der schnippische Tonfall verunsicherte Sam und er versuchte es mit einer anderen Taktik: „Sie glauben mir nicht?"
„Kein Stück."
Sam spielte ein verlegenes Lachen und fragte schließlich: „Ist denn Weston Firth Mitglied?"
„Er war es.", sagte die Dame und schon die Brille weiter auf ihrer Nase hinunter, um darüber hinweg Sam durchdringend anzusehen.
„War?", fragte Sam erstaunt.
Die Bibliothekarin seufzte: „Er ist tot. Stand heute morgen ganz groß in der Zeitung. Sie haben seine Leiche aus dem Fluss gezogen. Wussten Sie das nicht? Wer sind Sie?"
Sam Mason wurde heiß und kalt. Sein Mann war tot? So langsam dämmerte ihm, was hier gespielt wurde: Judith Leery brauchte einen Sündenbock und was war verdächtiger als ein Kerl, der sich in einer Bibliothek mit einem Typen treffen wollte, der ermordet worden war?
Er bemerkte, dass er zu spät geschaltet hatte. Die Bibliotheksmitarbeiter hatten längst die Polizei verständigt. Die Bibliothek war umstellt. Er konnte sich nur noch festnehmen lassen und hoffen, dass sie ihm seine Geschichte von der mysteriösen Frau glauben würden.
Sam stolperte auf die Dame zu und fragte: „Sind Sie hier angestellt?"
„Ja, kann ich Ihnen helfen? Suchen sie etwas bestimmtes?", kam es in deutlich abschätzigem Tonfall zurück.
„Nun, ich suche eine Ausgabe von „Ben Hur", finde mich hier allerdings nicht zurecht wie es scheint", log Sam.
Die Bibliothekarin kniff die Augen zusammen: „Hier sind Sie ganz falsch, Mister. Folgen Sie mir."
„Wohin Sie wollen, Miss."
„Was suchen Sie hier?", fragte die Dame, als sie außer Hörweite der Leute im Lesesaal hinter einem Regal in der Historienabteilung standen.
Sam lächelte: „Wir verstehen uns. Ich suche nach einem Mann namens Weston Firth. Ich bin mit ihm verabredet, da ich ihn aber noch nie gesehen habe, weiß ich nicht wonach ich Ausschau halten soll."
„Weston Firth? Den habe ich hier schon seit Tagen nicht mehr gesehen und eigentlich ist er immer regelmäßig hier aufgetaucht", sagte die Angestellte.
„Können Sie mir sagen, wie er aussieht?"
„Er ist nicht hier", lautete die Antwort, „Was würde es Ihnen nutzen, wenn ich ihn Ihnen beschreiben würde. Er ist ein unauffälliger Kerl, der sich gerne in der Bücherei aufhält."
„Liest er denn viel?", fragte Sam.
„Er trifft sich meistens mit Leuten hier. Fragen Sie mich nicht mit wem und warum. Das müssten Sie selbst am besten wissen, wenn man Ihrer Geschichte glauben kann."
Der schnippische Tonfall verunsicherte Sam und er versuchte es mit einer anderen Taktik: „Sie glauben mir nicht?"
„Oh doch, natürlich. Sehen Sie, dort drüben stehen sämtliche Ausgaben von Ben Hur für Ihre Studien. Leider kann ich Ihnen nicht gestatten eine davon auszuleihen, da Sie dazu Mitglied in dieser Bibliothek sein müssten, da ich Sie aber nicht kenne, muss ich davon ausgehen, dass Sie dies nicht sind."
Sam spielte ein verlegenes Lachen und fragte schließlich: „Ist denn Weston Firth Mitglied?"
„Natürlich. Es wäre mehr als auffällig, sich ständig in einer Bücherei herumzutreiben, wenn er sich nie etwas ausleihen würde", sagte die Dame und schob die Brille weiter auf ihrer Nase hinunter, um darüber hinweg Sam durchdringend anzusehen.
„Und was liest er so?", fragte Sam beiläufig.
Die Bibliothekarin seufzte: „Interessiert es Sie wirklich?"
„Prinzipiell interessiert mich alles", antwortete Sam, streckte ihr die Hand hin, machte einen Diener und stellte sich vor: „Mein Name ist Sam Mason, Privatermittler."
„Tatsächlich?", kam es von der jungen Dame, „Und in welchem Fall ermitteln Sie im Augenblick?"
„Ich bedaure, dass ich Ihnen das nicht ausführen kann. Gehört zur Berufsehre."
„Wenn das so ist, gehört es zu meiner Berufsehre die literarischen Vorlieben unserer Kunden für mich zu behalten."
„Und ich hab keine Chance auf ein paar kleine Informationen? Es muss ja nicht gleich so etwas intimes wie die ausgeliehenen Bücher sein", sagte Sam und zwinkerte.
Zum ersten Mal ließ sich die Bibliothekarin dazu hinreißen zu lachen. Sie nahm Sams immer noch ausgestreckte Hand und sagte: „Dorothy Miller, kommen folgen Sie mir."
„Immer noch gerne, Schätzchen", sagte Sam und trottete Dorothy nach, durch eine Tür, die ihn in ein Hinterzimmer brachte.
Es war ein Büro oder ein Pausenraum für die Angestellten. Jedenfalls wirkte er unaufgeräumt, fast schon chaotisch. Überall lagen zerfledderte, aussortierte Bücher herum, Karteikarten und Notizen.
Hinter mir sperrte Dorothy die Tür ab und schaltete das Licht ein, das in einem derart staubigen Raum, der ohnehin nur aus Schatten zu bestehen schien und kein einziges Fenster nach draußen aufwies, lediglich schummrig wirkte.
Dorothy setzte sich auf den Schreibtisch und ließ die Beine baumeln. Sie setzte die Brille ab und sagte: „Ich schlage einen fairen Handel vor: Du bekommst die Informationen, die du dir wünschst und dafür..."
Irgendwie hatte sie es geschafft eine Sektflasche aus einer Ecke des Büros zu greifen, mit der sie jetzt vor meiner Nase herum winkte.
„Wir haben leider nur Pappbecher, aber ich glaube, das macht einem wie dir nichts aus."
„Nein, ich nehme, was ich bekommen kann, Miss", sagte ich und nahm den Becher, den sie mir nun hinhielt.
Ich hinterfragte solche Situationen nicht. Ich konnte mir vorstellen, dass viele intelligente Frauen, die glaubten, das Schicksal habe sie für Abenteuer und ein interessantes Leben vorgesehen, in langweiligen Jobs festsaßen und nur darauf warteten, dass ein abgehalfterter Typ durch die Tür trat und unangebrachte Fragen stellte. Für diesen Fall versteckten Frauen immer eine Flasche Sekt in ihrem Büro.
„Geheimnisse erhalten die Freundschaft", sagte Dorothy und hielt es für einen Trinkspruch.
„Solange nicht entdeckt wird, dass es ein Geheimnis gibt", toastete ich.
Wir stießen an.
Dorothy schenkte nach.
„Also?", fragte ich und wartete auf meine Informationen.
Plötzlich erschrak ich, als ich bemerkt, wie sehr ich darauf achtete professionell zu handeln. Was erwartete ich überhaupt zu erfahren?
Dorothy rettet die Situation, indem sie müde zu lachen begann: „Netter Versuch, Mister Mason."
„Ich musste es versuchen. Es gebietet der Anstand, der Dame zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit zu geben, das Spiel zu beenden."
„Du verstehst etwas von Spielen?", fragte sie überrascht.
„Ich verstehe etwas vom Verlieren."
„Niederlagen können recht anregend sein", meinte Dorothy, „Es heißt, wer Pech im Spiel hat, habe Glück in der Liebe."
„Da könnte etwas Wahres dran sein", meinte ich.
Dorothy und Sam stießen mit den Pappbechern an und die Bibliothekarin bestand darauf dass sie dabei die Ellenbogen kreuzten und sich einhakten. So musste Sam recht nah an Dorothy heranrücken, die immer noch auf den Schreibtisch saß.
Er beugte sich leicht zu ihr hinunter und musste feststellen, dass die ausgefuchste Angestellte nicht vorhatte, ihn aus der Verhakung ihrer Ellenbogen zu entlassen, ehe er sie geküsst haben würde.
Sam zögerte ein wenig. Als Dorothys Mund auf ihn zu kam, konnte er es nicht länger ignorieren. Sie stank entsetzlich nach Knoblauch und er versuchte, sich ihr zu entwinden.
Die junge Angestellte ahnte, was geschehen war und ihrer Kehle entwich erst ein Seufzer, dann ein Glucksen und schließlich schluchzte sie untröstlich. Sam wusste, dass er das Mädchen tief verletzt hatte und dass er alle Chancen auf weitere Auskünfte verwirkt hatte.
Judith Leery würde ihn auslachen, ob der Absurdität seines Scheiterns. Das wusste er, aber im Augenblick konnte er nicht mehr tun, als Dorothy Miller ein Taschentuch reichen.
Dorothy und Sam stießen mit den Pappbechern an und die Bibliothekarin bestand darauf dass sie dabei die Ellenbogen kreuzten und sich einhakten. So musste Sam recht nah an Dorothy heranrücken, die immer noch auf den Schreibtisch saß.
Er beugte sich leicht zu ihr hinunter und musste feststellen, dass die ausgefuchste Angestellte nicht vorhatte, ihn aus der Verhakung ihrer Ellenbogen zu entlassen, ehe er sie geküsst haben würde.
„Erwartungen erfüllt, Mister Mason", stellte Dorothy kühl fest, stellte den Becher ab, tastete nach ihrer Brille und ließ sich vom Schreibtisch rutschen.
Sie glitt um den Schreibtisch herum, drehte sich zu einem Regal um und zog eine Holzkiste hervor, die unzählige Karteikarten beinhaltete, die geordnet zu sein schienen.
Dorothy musste nicht lange suchen, da zog sie eine Karte hervor und reichte sie Sam über den Tisch.
Er warf einen Blick darauf und las den Namen Weston Firth und eine Adresse im Westen Chicagos.
Aber Weston Firth konnte warten. Ich hatte hier ein Mädchen, das völlig verrückt nach mir war und so etwas sollte kein Mann widerstehen. Wer wusste schon, wann sich eine solche Möglichkeit wieder ergeben würde?
Gerade war ich dabei, mich durch die vielfältigen Lagen der diversen Unterröcke der Dorothy Miller zu graben, da klopfte es an der Tür.
"Dorothy? Bist du da drin?", es war die Stimme eines Mannes und mir brach der kalte Schweiß aus. Wenn ihr Chef sie mit mir hier drin erwischte, konnte sie ihren Job verlieren, was ich natürlich nicht verantworten wollte.
Dorothy schien etwas ähnliches durch den Kopf zu gehen, denn sie wurde mit einem Mal aschfahl: "Einen Augenblick!" rief sie und rückte sich Rock und Bluse zurecht, dann glitt sie hinüber zur Tür und sperrte sie geräuschvoll auf.
Das Aufsperren dieser Tür schien das Volumen des Urknalls zu haben. Das ganze Universum musste es mitbekommen haben. Und dann standen wir da in dem kleinen Räumchen, das keinen Platz für Verstecke besaß und im Türrahmen ein Schrank von einem Kerl, der mir und Dorothy erst fragend, dann wissend, dann wütend ins Gesicht starrte.
"Du sperrst also die Tür ab, Dorothy?", fragte der Mann und erhielt keine Antwort, "Wieso sperrst du die Tür ab?"
Mich würdigte er mit keinem Wort.
"Ich...", begann Dorothy.
"Es riecht nach Alkohol und du sperrt die Tür ab! Und was ist das für ein räudiger Wicht?", damit meinte er mich.
"Mein Name ist Sam Mason und das hier ist alles meine Schuld", begann ich, in der Hoffnung, die Situation und Dorothys Arbeitsstelle retten zu können, indem ich mich selbst denunzierte.
"Es ist mir völlig egal, wie du heißt, Freundchen!", brüllte er mir ins Gesicht, "Niemand sperrt sich mit meiner Maus in einer Besenkammer ein!"
Er nennt sie "Maus"?, war das Letzte, was ich denken konnte, bevor der Kerl - ganz offensichtlich nicht Chef der Bibliothek, dafür gehörnter Ehemann - über mich herfiel.
Der Taxifahrer hielt im Westen der Stadt. Es war nicht der Außenbezirk, in dem man die Herrenhäuser und Villen bewundern und verachten konnte. Das Haus, in dem Firth zu wohnen schien, war ein durchschnittliches Mietshaus, dessen einziger Luxus eine Topfpflanze am Fenster des Treppenhauses darstellte.
Ich betätigte die Türklingel, an der vor kurzem ein Namensschild abgerissen worden war, denn den Namen Firth konnte ich nirgends lesen.
Es wunderte mich kaum, dass mir niemand öffnete. Judith meinte, es sei ein leichter Fall, aber so leicht konnte er nun auch wieder nicht sein.
Das Wetter verschlechterte sich. Der Wind frischte auf und die düsteren, bedrohlichen Wolken bewegten sich erstaunlich schnell am Himmel. Und schließlich fiel der Regen, gleich einem Wolkenbruch im Amazonasbecken.
Ich klingelte noch mal beim Namen „Barkley" und nur wenige Augenblicke später wurde die Tür aufgerissen. Ich erschrak kaum.
Sam zuckte zusammen. Er hatte nicht erwartet, dass man ihm wirklich die Tür öffnen würde, schon gar nicht eine, in die ein kleiner Spion eingebaut war.
Vor ihm stand eine kleine, verhutzelte Frau in einer blauen Kittelschürte, die sich ein Geschirrtuch um den grauen Kopf gewickelt hatte.
„Was wollen Sie?", krähte sie und Sams Gehirn produzierte unfreiwillige Assoziationen zu den Horrormärchen seiner Kindheit, in denen es immer eine Hexe gab, die ungezogene Jungen in ihr Haus lockte, um sie zu mästen und verspeisen.
„Ich bin gekommen, wegen der zu vermietenden Wohnung", sagte Sam indem er sich zur Geistesgegenwart zwang.
„Haben Sie sich vorher angemeldet? Der Hausbesitzer ist nicht hier und normalerweise macht Mister Meloy Hausbesichtigungen höchstpersönlich."
„Mister Meloy wird etwa in einer halben Stunde hier sein, schätze ich. Ich bin etwas zu früh wegen des Sturms", sagte Sam und blickte besorgt gen Himmel, „Ich hatte gehofft, ich könnte die Führung etwas früher bekommen, damit ich zu Hause sein kann, bevor es richtig losgeht. Wie's aussieht, habe ich mich verkalkuliert."
Die Alte brummte etwas Unverständliches und sprach schließlich zu Sam gewandt: „Na, dann kommen Sie mal herein, bevor Sie nachher noch den ganzen Parkett volltropfen."
„Danke sehr", Sam machte einen Diener.
„Wollen Sie hier warten?", fragte die Frau ohne ein Alternative anzubieten.
„Ich hatte gehofft, dass ich mit Ihnen bei einem Tee ein wenig plaudern könnte. Es interessiert mich natürlich sehr, mit welchen Leuten ich in Zukunft unter einem Dach leben werde."
„Ich fürchte, so schnell werden Sie nicht einziehen können. Die Sachen ihres Vormieters müssen erst noch aus der Wohnung gebracht werden."
„Hat er sie denn nicht mitgenommen?", fragte Sam überrascht.
„Wenn einer spurlos verschwindet, nimmt er sich für gewöhnlich nicht die Zeit, vorher seine Möbel zu entsorgen", brummte die alte Dame.
Inzwischen saß Sam an ihrem Küchentisch und schlürfte an einer heißen Tasse Tee.
„Was haben Sie da hinein getan?", fragte Sam und blickte hinüber zu Mrs. Barkley, die an der Spüle eine zweite Tasse abtrocknete.
„Hundsgewöhnlichen Brandy, Mister. Sie sehen nicht so aus, als würden Sie den Geschmack nicht kennen", sagte sie.
Sam musste lachen und prostete ihr zu: „Sagen Sie, was war denn das für ein Typ, der da vorher in der Wohnung gewohnt hat?"
„Wieso interessiert Sie das? Er ist nicht mehr da, hat die Miete geprellt und mehr brauch Sie nicht zu interessieren."
„Ich frage mich, ob er vielleicht Raucher war. So etwas riecht man auch noch wenn man das Zimmer renoviert hat."
„Ja, er war Raucher. Aber mir ist nie ein unangenehmer Geruch in seiner Wohnung aufgefallen. Ich bin die Hausmeisterin und ich sorge außerdem dafür, dass unsere Junggesellen täglich etwas Warmes zu essen bekommen und ihre Zimmer sauber sind."
„Die gute Seele des Hauses also?", schmeichelte Sam.
„Lassen Sie die Sprüche. Glauben Sie ja nicht, dass Sie eine besondere Behandlung erwarten können, nur weil Sie mich heute von der Arbeit abgehalten haben!", zischte sie, nicht ohne sich doch ein wenig geschmeichelt zu fühlen. Sie setzte sich zu Sam an den Küchentisch und strich die Wachsdecke glatt, „Hat immer seinen Müll selbst runter gebracht, der junge Mister Firth. War ein anständiger Kerl, hatte nie Damenbesuch oder sonst was. Ich glaube, er ist da in etwas hineingeraten. Diese Stadt ist gefährlich für naive Jungen."
„Keine Damenbesuche?", wunderte sich Sam.
„Keinen einzigen in der ganzen Zeit, in der er hier gewohnt hat", bestätigte Mrs. Barkley.
„Sie hielten ihn für naiv?", bohrte Sam weiter.
„Was soll das werden? Ein Verhör?"
„Nein, nein. Ich bin nur neugierig. Sehen Sie, ich bin Schriftsteller und suche immer nach interessanten Geschichten, die man in Romane einbauen kann und...".
„Ein Romanautor? Können sie denn die Miete bezahlen?", fragte Mrs Barkley plötzlich.
„Ich denke schon. Ich bin zwar kein Bestsellerautor, aber es reicht doch fürs Überleben. Es hat noch immer gereicht und...".
„Was schreiben Sie so, Mister?"
„Äh... Kriminalromane und...".
„Tatsächlich? Interessant. Wie ist Ihr Name? Vielleicht kenne ich ja eines ihrer Werke."
„Mein Name ist James Beneton."
„Nie gehört."
„Wie schade. Vielleicht kann ich Ihnen ja eines meine Bücher zukommen lassen. Ich werde es selbstverständlich persönlich signieren."
„Lassen Sie mal, Mister. Ich frage mich langsam, wo Mister Meloy bleibt. Sie sagten, Sie hätten einen Termin mit ihm hier?"
„Ja, jetzt irgendwann. Vielleicht hat der Sturm...", begann Sam.
Doch Mrs Barkley kniff die Augen zusammen: „Dort, wo Mister Meloy sich aufhält, gibt es keinen Sturm. Er weilt derzeit in St. Louis."
„Oh, ich... scheine mich im Datum geirrt zu haben", druckste Sam herum.
„Mister Beneton, ich muss Sie auffordern, das Haus zu verlassen, ehe ich die Polizei informiere."
„Eine Frage noch: Was glauben Sie, wohin Firth verschwunden ist?"
„Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Kalifornien! Und jetzt raus hier!"
Ich fragte mich, warum sie mich überhaupt eingelassen hatte. Sie hatte mich auflaufen lassen, hatte es genossen und sie glaubte, gewonnen zu haben.
Bevor ich mich jedoch erhob, um zu gehen, warf ich nochmal einen Blick aus dem Fenster. Er regnete Bindfäden, dazu blies ein entsetzlicher Wind.
Ich bat Mrs. Barkey mir ein Taxi zu rufen und sie verschwand in ein anderes Zimmer.
Die alte Schachtel hatte mich ein wenig aus dem Konzept gebracht. Sie erinnerte mich an eine Hexe, die Kinder in ihr Knusperhäuschen lockte.
Trotzdem war mir ein Knusperhäuschen lieber als dieses Wetter da draußen. Sie kam zurück und setzte sich wieder zu mir an den Küchentisch. Wir hatten noch eine Tasse Tee mit Brandy. Wir lachten gemeinsam und dann klingelte es an der Tür.
Es war kein Taxifahrer. Die alte Hexe hatte die Polizei alarmiert, ich hatte eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch am Hals und ein paar feucht-kalte Nächte in Untersuchungshaft vor mir.
Ich fragte mich, warum sie mich überhaupt eingelassen hatte. Sie hatte mich auflaufen lassen, hatte es genossen und sie glaubte, gewonnen zu haben.
Ich verließ das Haus und stemmte mich gegen den Sturm. Es war drei Uhr und ich hatte noch nichts gegessen und viel zu wenig geraucht. Einzig mein Alkoholspiegel hielt sich auf konstantem Niveau.
Die alte Schachtel hatte mich ein wenig aus dem Konzept gebracht. Sie erinnerte mich an eine Hexe, die Kinder in ihr Knusperhäuschen lockte.
Ich war mir nicht sicher, ob sie nicht wirklich die Polizei gerufen hatte, nachdem ich das Haus verlassen hatte und so verzichtete ich trotz Sturm auf ein Taxi. Die Taxifahrer sind die ersten, denen der Polizeifunk die Beschreibungen verdächtiger Personen durchgibt.
In einer wind- und regengeschützten Straßenecke schrieb ich das Wort „Kalifornien" in mein Notizbuch, steckte es wieder Tief in meine Manteltasche und stapfte davon.
Ich hatte eine Verabredung und ich war spät dran.
Der Name „Zum Papagei" war ein Witz. In einer grauen, nassen, kalten Stadt brachte er jedoch etwas karibischen Flair in die Mittagspausen der Angestellten. Es handelte sich um eine Bar, die Mittag ein warmes Essen zu annehmbarem Preis anbot und nachts Cocktails, Tanzmusik und Glücksspiel.
Es war Sams Stammlokal, denn er fand die kitschigen Farben der Dekoration hübsch und der recht weibische Barkeeper bediente wiederum seine Vorliebe für das Morbide. Außerdem lag es auf halbem Weg zwischen seinem Büro und Johannas Arbeitsplatz in einem kleinen Geschäft für Schallplatten und Partituren.
Es war eine lockere Absprache der beiden, dass sie sich in der Mittagspause dort trafen, wenn sie Zeit dafür fanden. Johanna war immer dort. Sam nur selten.
Nicht, dass Sam Freundschaften nicht schätzte, er pflegte sie nur nicht und die Menschen, denen er etwas bedeutete mussten das akzeptieren.
Er hatte keine Lust, sich den Nachmittag mit dem Geschwätz seiner Freundin noch mehr verleiden zu lassen und entschied sich spontan, die Verabredung, die es ja eigentlich gar nicht gab, sausen zu lassen.
Er schleppte sich stattdessen in sein Büro und fand dort das Telefon klingelnd vor. Er hob ab und vernahm zunächst die Hintergrundgeräusche einer Bar, aus der sich langsam vernehmbar die Stimme seiner Freundin Jo schälte: "Ich habe dich gesehen, Sam! Du bist am Fenster vorbei gegangen! Willst du nicht mehr mit mir zusammen sein, oder hast du eine andere, mit der du zu Mittag isst?"
Sam hielt perplex inne und schwieg.
"Du bist gesehen worden", sagte Jo kryptisch, "Nicht nur am Fenster, sondern auch in der Bibliothek. Sagt dir der Name Dorothy Miller etwas, ja?"
"Ich..."
"Und sag jetzt ja nicht, du könntest alles erklären!"
"Aber...", aber Sam kam nicht zu Wort.
"Judith Leery? Sagt dir auch was? Mit den Augen hast du sie ausgezogen, als sie in deinem Büro war? Stimmt's?"
"Nein!", insistierte Sam.
"Du brauchst mir nichts vorzumachen, Sam Mason! Du bist ein ganz mieser, feiger Scheißkerl! Auf jedes Weibstück, dass man auch dich ansetzt, fällst du herein! Jedes einzelne! Sogar bei der alten Schachtel raspelst du Süßholz! Du bist aufgeflogen, mein Liebster!"
"Aber ich habe an einem Fall gearbeitet!", verteidigte sich Sam.
"Hast du es immer noch nicht begriffen? Es gibt keinen Fall, Sam! Es gibt nur dich und deine notgeilen Anwandlungen!"
Der Name „Zum Papagei" war ein Witz. In einer grauen, nassen, kalten Stadt brachte er jedoch etwas karibischen Flair in die Mittagspausen der Angestellten. Es handelte sich um eine Bar, die Mittag ein warmes Essen zu annehmbarem Preis anbot und nachts Cocktails, Tanzmusik und Glücksspiel.
Es war Sams Stammlokal, denn er fand die kitschigen Farben der Dekoration hübsch und der recht weibische Barkeeper bediente wiederum seine Vorliebe für das Morbide. Außerdem lag es auf halbem Weg zwischen seinem Büro und Johannas Arbeitsplatz in einem kleinen Geschäft für Schallplatten und Partituren.
Es war eine lockere Absprache der beiden, dass sie sich in der Mittagspause dort trafen, wenn sie Zeit dafür fanden. Johanna war immer dort. Sam nur selten.
Heute erinnerte er sich jedoch an diese Absprache und hielt auf das kleine Lokal zu.
Nicht, dass Sam Freundschaften nicht schätzte, er pflegte sie nur nicht und die Menschen, denen er etwas bedeutete mussten das akzeptieren.
Wie zu erwarten war, traf er auf Johanna, als er triefend nass und verfroren den Papagei betrat.
Freitags hatte Johanna schon um zwei Uhr Feierabend und sie pflegte, ihre Freizeit in Gesellschaft des einen oder anderen Glases zu verbringen. Sie mochten den Papageien, weil es hier preiswerte Cocktails gab und sie bei ihrem ersten Rendezvous mit Sam hierher gegangen waren.
Johanna war leidlich sentimental, doch Sam mochte das, vor allem abends, wenn es dunkel war und er vom ständigen Zynismus erschöpft die Bürotür hinter sich abschloss.
„Gesegneten Nachmittag, geliebtes Wesen!", rief Sam ihr zu, als er seinen Mantel an einen Haken hängte, wo er langsam aber sicher eine Pfütze auf dem Boden entstehen ließ.
„Oh, Sam. Schön dich zu sehen", flötete Johanna, „Ich habe gerade etwas zu essen bestellt. Wirst du mir Gesellschaft leisten?"
„Deswegen bin ich hier, Jo", sagte Sam, setzte sich zu seiner Freundin und winkte dem Barkeeper zu: „Rum, bitte. Ich fühl mich ein wenig karibisch und dazu eines von deinen gegrillten Würstchen, Pete."
Pete nickte hinüber und machte sich an die Arbeit.
Johanna Cohen war so etwas wie meine Freundin und so etwas wie ein Sargnagel. Ich hing an ihr aus irgendwelchen Gründen und sie ließ sich nicht abschütteln.
Ich hielt es für angebracht, mit ihr zu Mittag zu essen, denn ich glaubte, die schnelle Auflösung des Falles mit jemandem feiern zu müssen.
Johanna war eine Jüdin und man sah es ihr an. Im Vergleich zur gängigen Mode hatte sie buschige Augenbrauen und eine große Nase. Außerdem prangte ein großes Muttermal über auf der rechten Seite ihrer Oberlippe.
Ich mochte es, dass sie ihre leicht gewellten Haare in einem einfachen Pferdeschwanz trug, doch sie jammerte häufig darüber, dass sie keine ordentliche Frisur in ihre Mähne bekam. Sie ging ins Kino, um sich die Frisuren der Schauspielerinnen anzusehen und hatte zu Hause im Bad ein ganzes Regal nur mit Tiegeln und Tuben, Cremes und Lotionen.
Für meine Begriffe machte es keinen Unterschied, ob sie das Zeug benutzte oder nicht, sie war hübsch und daran ändere auch kein Make-Up etwas.
Unser Essen kam und wir saßen uns gegenüber, um uns anzuschweigen.
Zuerst glaubte ich, in der Pflicht zu sein, ein Gespräch zu beginnen, doch Johanna war keine Frau, die sich an solche Regeln hielt. Johanna konnte laut, wütend und forsch sein. Das machte es mir leicht, mich mit ihr zu streiten und zu vertragen.
„Seit ein paar Tagen treffe ich Brian hier recht häufig", meinte sie beiläufig, was ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass es nicht beiläufig gemeint war, sondern dass sie jetzt ganz genau auf meine Reaktion achtete.
Brian Shaw war ein großer, grobschlächtiger Mann, mit der Zunge eines Waschweibes und der Uniform eines Polizisten in Zivil. Ihn als Polizisten zu bezeichnen, trifft es nicht ganz. Er war Kommissar und einer der Typen, die man zum Freund brauchte, wenn man ihn nicht zum Feind haben wollte. Dass er ein Auge auf Jo geworfen hatte, machte es mir leicht, seine Freundschaft auszunutzen.
Er war irischer Abstammung, was seine roten Haare nicht verstecken konnten. Er hatte Nachteile dadurch in einer Stadt wir Chicago und in einer Institution wie der Kriminalpolizei.
„So?", sagte ich nur und wollte mir nicht anmerken lassen, dass es mich störte.
„Ja, er ist immer sehr zuvorkommend", sagte Johanna kauend.
„Du wartest auf ihn, nicht wahr?", fragte ich, ebenfalls kauend.
„Vielleicht. Ich konnte ja nicht wissen, dass du auftauchst."
Ich schwieg, weil sie es liebte, zu gewinnen.
Ich wollte nur ungern mit Brian zusammentreffen. Seine äußere Erscheinung ließ allzu leicht den Schluss zu, es handele sich um einen grenzdebilen Muskelprotz ohne die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erfassen. Dem war nicht so. Er hatte einen scharfen Verstand und nutzte die Muskelprotzfassade gerne aus, um seinem Gegenüber Aussagen zu entlocken, die er eigentlich für sich behalten wollte. Er trug abgetragene Kleidung und zerzaustes Haar. Seine Haut war unrein und im Sommer roch er nach Schweiß. All das war Taktik.
Die Tür des Papageien öffnete sich, doch ich war vorbereitet. Ich drehte mich in Richtung der Tür um, noch bevor die Schelle läutete.
Brian trat ein, in der Hand einen zerzausten und von Wind und Regen zerschlagenen Blumenstrauß.
Was blieb mir anderes, als ihm zuzulächeln?
Ein großer, mächtiger Mann betrat die Bar. Er hielt etwas ungeschickt einen völlig zerstörten Strauß mit Herbstblumen in der Hand. Dass Sam in anlächelte, ließ ihn ein begrüßendes Nicken in dessen Richtung ausführen: „Ich habe mir erlaubt, Miss Cohen einen Strauß zu besorgen, aber der Sturm hat mich überrascht."
„Geht es uns nicht allen so?", fragte Sam und stand auf, „Ich wollte gerade gehen. Lasst euch nicht stören. Ich habe da noch eine Verabredung mit einer Klientin. Abgeschlossener Fall, möchte ihr heute noch die Ergebnisse und die Rechnung präsentieren."
„Endlich mal ein Erfolgserlebnis, was Sammy?", lachte Brian, ließ sich nieder und überreichte der errötenden Jo die kläglichen Überreste seines Straußes.
Sam Mason indes begab sich zurück in sein Büro, wo sein Telefon darauf wartete, benutzt zu werden.
„Er ist ist Kalifornien", teilte er Judith Leery und schloss die Akte zurfrieden.
Ein großer, mächtiger Mann betrat die Bar. Er hielt etwas ungeschickt einen völlig zerstörten Strauß mit Herbstblumen in der Hand. Dass Sam in anlächelte, ließ ihn ein begrüßendes Nicken in dessen Richtung ausführen: „Ich habe mir erlaubt, Miss Cohen einen Strauß zu besorgen, aber der Sturm hat mich überrascht."
„Geht es uns nicht allen so?", fragte Sam, „Komm, setz dich zu uns, Brian, es gibt etwas zu feiern."
Für einen kurzen Augenblick klappte Brians mentale Kinnlade nach unten, denn er hörte in seinem mentalen Gehörgang das Wort „Verlobung".
„Der wievielte Blumenstrauß ist das für diese Woche?", fragte Sam.
„Die viel interessantere Frage ist: Wie viele Blumen habe ich von dir im Laufe der letzten Monate bekommen, Sam Mason?", quiekte Johanna dazwischen.
„Es kommt doch nicht auf das Gestrüpp an. Das verwelkt ohnehin, so wie ich einen Finger daran setze", meinte Sam lässig, was jedoch nicht gut ankam.
„Jemand, der so denkt, braucht sich nicht zu wundern, warum seine Freundin weiterhin auf einer eigenen Wohnung besteht", sagte Johanna.
„Wollen wir uns jetzt wegen der Blumen streiten?", lenkte Sam ein, „Es ist mir völlig egal, wer dir Blumen, Pralinen oder Schmuck schenkt."
„Es sollte dir nicht egal sein", meinte Johanna und setzte ein schmollendes Gesicht auf. Sie hätte es gerne gesehen, wenn Sam eifersüchtig geworden wäre, aber dazu war er nicht der Typ. Er war für so viele Dinge nicht der Typ. Eigentlich wusste sie nicht, was sie bei ihm wollte. Zumindest ließ er sie tun und lassen, was sie wollte, gängelte sie nicht und betrachtete sie in allen Hinsichten als selbstständig und unabhängig, was allerdings dazu führte, dass sie allerlei Verantwortung und Verpflichtungen allein auf sich nehmen musste.
Als ihr das durch den Kopf ging, zuckte Johanna mit den Schultern und folgte wieder dem Gespräch bei Tisch.
„Was wird denn gefeiert, wenn ich fragen darf?", erkundigte sich Brian, der sich zuvor ein Bier und eine Waffel bestellt hatte.
„Ich habe heute einen Fall zur allgemeinen Zufriedenheit abgeschlossen", verkündete Sam.
„Du sagst das, als sei das etwas besonderes", bemerkte Brian spitz.
„Wenn du mein Honorar sehen würdest, wüsstest du, dass es etwas besonderes ist", erklärte Sam, „Stell dir vor: Ein Heiratsschwindler. Eine junge Dame ist auf ihn herein gefallen. Dass es sowas noch gibt...".
„Eine junge Dame?", Brian lachte laut auf, „Es war doch nicht etwa eine von diesen Szenen, die sie im Kino zeigen? Ein finsteres Detektivbüro und dann tritt diese heiße Gerät durch die Tür."
Sam grinste und nippte an seinem Drink, dann nickte er: „Doch, genau so ein Gerät. Ein Heiratsschwindler, stell dir vor. Vielleicht ist bei uns ja doch noch nicht alles verloren!"
„Ich unterbreche euer Männergespräch nur ungern, aber...", meldete sich Johanna.
„Okay, okay... Nicht „Gerät"... Sagen wir... ein heißer Feger? Klingt das bescheuert?", prustete Sam.
Johanna versetzte ihm einen Fußtritt unter dem Tisch und Sam kriegte sich wieder ein.
„Und was hast du herausgefunden?", wollte Brian wissen, der bei Sams Ausführungen keine Miene verzogen hatte.
„Ich muss dazu sagen, dass ich weder ein Foto noch eine genaue Beschreibung hatte und ich hab den Fall in einem halben Tag...", Brians Augen schweiften ab, ein sicheres Zeichen für plötzliches Desinteresse in Folge unnötiger Ausschweifungen, „... Also gut, ich hab ihn in der Bücherei nicht angetroffen, aber seine Adresse bekommen und dort erzählte mir so eine alte Schachtel... au... Dame, der Typ hätte sich nach Kalifornien abgesetzt. Akte zu, Deckel drauf, Geld kassiert! So macht man Geschäfte."
„Wie viel hat sie dir gezahlt?", fragte Brian und Johanna horchte ebenfalls auf.
„Das werde ich wohl kaum euch auf die Nase binden", sagte Sam und lehnte sich zurück.
„Nur so aus Interesse: Hast du den Namen des Betrügers? Immerhin ist das eine Straftat."
Sam grinste: „Weston Firth."
„Ach?", machte Brian erstaunt.
„Kennst du ihn?"
„Nicht persönlich."
„Ah, ihr seid also auch an ihm dran", kombinierte Sam.
„Allerdings nicht wegen Betrug", sagte Brian plötzlich sehr ernst.
Sam hob eine Augenbraue: „So?"
„Wer ist deine Auftraggeberin?"
„Sie bat mich, Stillschweigen zu bewahren. Es ginge ihr nicht um das Verbrechen, sondern nur um ihr Geld."
Brian brummte etwas, das niemand außer ihm selbst verstehen konnte.
„Ich bin nicht verpflichtet, dir Auskünfte zu geben. Ich habe eine Schweigepflicht wahrzunehmen", sagte Sam.
„Sonst kümmert dich das auch nicht, Sam."
„Sagst du mir, worum es bei dir geht?"
„Mord", lautete die Antwort, „Aber mehr wirst du nicht von mir erfahren. Ich bin hier, um zu Mittag zu essen."
Nach einer kurzen, peinlichen Pause sagte Johanna plötzlich in die Stille: „Sam, ich will nicht, dass du dich mit dieser Frau triffst!"
Johanna wünschte sich, dass ihr Freund hin und wieder etwas Ehrgeiz und Eifersucht an den Tag legte. Stattdessen ließ Sam sie jedes Mal gewähren. Sie hoffte, wenn sie den Spieß umdrehte, könne sie Sam dazu bewegen, ihr ebenfalls mehr Interesse entgegen zu bringen. Außerdem war ein „heißes Gerät" nicht der richtige Umgang für den Mann, mit dem sie fast verlobt war.
„Ich glaube, hier liegt eine Verwechslung vor", sagte Sam zu Brian gewandt, doch die Stimmung war im Eimer.
Ich traf mich mit Judith in der Bücherei. Sie hatte mich angerufen und als ich ihr mitteilte, dass ich den Fall gelöst hätte, wollte sie sich persönlich mit mir treffen.
Ich wollte nicht, dass sie in mein Büro kommt. Johanna hatte einen ziemlichen Aufstand gemacht. Sie wollte nicht, dass sich Frauen, die sie als hübscher als sie selbst einschätzte, in meiner Nähe aufhielten. Sie hatte Judith zwar nie gesehen, doch ich wollte es nicht darauf ankommen lassen. Johanna hatte diesen Instinkt, immer zur falschen Zeit am falschen Ort aufzutauchen. Ich musste mich etwas zurückhalten, denn mit meinen Äußerungen über Judith im Papagei hatte ich mich offenbar zu weit aus dem Fenster gelehnt.
Judith kam. Sie trug einen weißen Mantel und hatte einen mit Rüschen verzierten Regenschirm bei sich. Ich wusste gar nicht, dass sowas wieder in Mode war, aber wenn Judith es bei sich trug, würde es bald ganz große Mode werden, überlegte ich und dann beschloss ich, Johanna einen solchen Schirm zum Geburtstag zu schenken.
Ich sah Judith als erstes und trat auf sie zu. Ich hatte das Bedürfnis Gentleman zu spielen.
Sam stolperte auf die adrett gekleidete Dame zu, die wirkte, als hätte sie in ihrem Leben durchweg besseres zu tun gehabt, als in Bibliotheken zu verstauben. Es war offensichtlich, dass Judith sich vor den dreckigen, abgegriffenen Büchern ekelte. Sie gehörte nicht hier her, das sagte ihr Auftritt, ihre Kleidung, ihr Make-up und ihr Blick. Und die war stolz darauf.
„Guten Tag, Sam", sagte sie und die beiden schüttelten geschäftsmäßig die Hände.
„Guten Tag", Sam deutete einen nachlässigen Diener an.
„Sie haben den Fall gelöst?", fragte Judith, die schnell zur Sache und aus diesem Gebäude kommen wollte.
„Ich denke schon", antwortete Sam lässig, „Aber setzen wir uns doch zuerst."
Judith folgte Sam widerwillig zu einem Tisch in einer Ecke des Lesesaals. Der Raum war leer und niemand konnte die beiden belauschen.
„Nun?", drängte Judith, „Ich muss zugeben, dass ich so schnell kein Ergebnis erwartet habe."
„Sie sagten selbst, dass es ein leichter Fall sei", erwiderte Sam.
Judith lachte matt, was deutlich machte, dass sie nun endlich das Ergebnis der Ermittlungen hören wollte.
„Na schön", begann Sam, „Weston Firth hat sich abgesetzt. Ich vermute, er befindet sich derzeit in Kalifornien."
Judith rümpfte die Nase und schwieg einen Augenblick. Sie dachte nach und entschied sich schließlich für folgenden Satz: „Ich glaube, Sie haben zu schnell aufgegeben, Sam. Ich bin überzeugt, dass er noch hier ist."
„Wieso?", entfuhr es Sam. Eigentlich war es eine unverschämte Frage, aber er war ein unverschämter Kerl und so fiel ihm gar nicht auf, dass die Dame ihm gegenüber ein überhebliches Lächeln aufsetzte, dass sein ganzes, angehäuftes Selbstvertrauen in die Tasche stecken konnte.
„Menschen wie Weston hängen an Chicago", meinte Judith knapp, „Ich weiß, dass er noch hier ist. Er ist untergetaucht. In keiner Stadt in diesem Land kann man besser untertauchen, als in Chicago. Er ist noch hier. Hier kennt er sich aus. Hier kennt er Leute, die ihm helfen."
„New York", sagte Sam.
„Bitte?"
„In New York kann man besser untertauchen als in Chicago."
Judith lachte: „New York ist eine Nummer zu groß für Weston."
„Wie Sie meinen", sagte Sam, „Sie glauben also, dass er noch in der Stadt ist. Hat er eventuell noch ein Eisen um Feuer? Oder einen Angelegenheit zu erledigen?"
„Woher soll ich das wissen? Ich will nur mein Geld zurück", sagte Judith mit etwas zu viel Nachdruck.
„Na schön. Ich werde weiter nach ihm suchen. Aber seien Sie sich sicher, dass ich das auch einzig wegen des Geldes tue. Ihnen und Ihrer Geschichte über den Heiratsschwindel glaube ich kein Wort."
„Wie Sie meinen, Sam. Ich verlange nicht, dass Sie mir glauben. Sie sollen mir Weston Firth liefern. Obwohl es zu schade ist, dass Sie derart wenig Vertrauen in mich haben wollen. Woran liegt es? Misstrauen Sie allen Frauen oder nur mir?"
„Ich misstraue den meisten. Meine Mutter bildet die Ausnahme. Wobei... Meine Mutter hat mir als Kind Geschichten über Hexen in Zuckerhäuschen erzählt. Ich schätze, sogar sie hat mich belogen."
„Mit dieser Einstellung werden Sie sich sehr schwer tun, eine Ehefrau zu finden. Sehr schade, Sam. Wirklich", sagte Judith und wollte aufstehen, doch Sam ergriff ihr Handgelenk.
„Warten Sie, Judith. Vielleicht brauche ich Ihre Hilfe", Sam und Judith standen auf und der Detektiv führte seine Kundin durch einige düstere und staubige Regalreihen, bis sie zu einer alten Holztür kamen.
Sam klopfte an und von der anderen Seite bat eine dumpfe Stimme ihn einzutreten.
Judith blickte mich unverwandt an, als wollte sie fragen, was ich mit ihr in diesem düsteren Raum anstellen wollte.
Ich wusste selbst nicht, was mir dabei gedacht hatte. Dorothy und Judith sollten einander besser nicht begegnen, fiel mir ein und ich musste meine Impulse besser unter Kontrolle bringen.
Aber da war es schon zu spät. Dorothy öffnete die Tür und ein giftiger Blick traf Judith.
"Sie haben mir ganz schön Ärger eingebracht, Sam Mason. Und Sie haben vielleicht Nerven hier aufzutauchen mit dieser... Dame! Das ist sie also, Ihre Klientin, was?"
"Kennen Sie sie etwa?", fragte ich erstaunt und handelte mir nun einen Giftblick von Judith ein.
Dorothy antwortet nicht, sondern insistierte: "Gehen Sie! Gehen Sie beide und kommen Sie nicht wieder! Ich will hier in nichts hineingeraten und ich kann Ihnen, Mr. Mason, nur raten, geben Sie sich nicht mit dieser Person ab!"
"Halten Sie ihr Maul!", blökte plötzlich Judith und ließ zum ersten Mal ihre Maske fallen. Ich erschrak darüber offenbar mehr als Dorothy, obwohl Judith ihr innerhalb eines Wimpernschlags an die Gurgel ging.
Ich versuchte, die beiden Damen voneinander zu trennen, aber es gelang mir erst Judith von der Bibliothekarin herunter zu zerren, als letztere schon halb bewusstlos auf dem Boden lag.
"Sie sind wahnsinnig!", stellte ich fest und starrte in ein paar irre Augen, "Ja, Sie sind völlig verrückt."
Judith antwortete nicht, aber ich glaube, sie wusste, dass sie mich als ihren Partner verloren hatte. Es stand der Begriff "Mord" im Raum und wer konnte mir, versichern, dass nicht Judith die Täterin war. Einer herbeieilenden Kollegin von Dorothy bedeutete ich, sie solle die Polizei rufen und dem ganzen Spuk ein Ende setzen.
Wie ich erwartet hatte, befand Dorothy sich allein im Zimmer. Ich hatte sie beobachtet, wie sich mich beobachtete, als ich in die Bücherei eintrat. Es war nicht schwer zu erraten, was sie sich erhoffte und wo ich sie antreffen würde.
Sie ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken. Vielleicht sind Frauen auch einfach nie enttäuscht. Ich weiß es nicht.
Hinter dem großen, klobigen Schreibtisch blickte uns eine Brille an, keine menschlichen Augen.
Na schön, sie machte ihren Job, also machte ich meinen. Ich war nicht enttäuscht.
Die Enttäuschung stand Sam ins Gesicht geschrieben. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber es gefiel ihm nicht, wenn Frauen nüchterne, geschäftsmäßige Konversation führten.
„Guten Tag, Mister Mason", sagte Dorothy, ohne besonders interessiert an ihm oder Judith zu sein, „Was kann ich heute für Sie tun?"
„Guten Tag. Darf ich Ihnen Judith Leery vorstellen?"
„Deine Klientin?", fragte Dorothy und wollte die Antwort überhaupt nicht hören, denn sie sprach gleich weiter, „Bitte machen Sie schnell. Ich habe noch andere Dinge zu erledigen."
„Wer ist diese Person?", fragte Judith.
„Dorothy Miller", kam die Bibliothekarin Sam zuvor. Sie reichte Judith die Hand, diese wurde aber nicht ergriffen.
„Mr. Mason, ich glaube nicht, dass uns das weiter bringt", sagte Judith.
„Haben Sie etwa...", Sam zögerte, „Angst?"
„Angst?", echauffierte sich Judith.
Sam wollte es nicht aussprechen, denn er wusste noch nicht sicher, ob Judith nun Angst vor Dorothy hatte oder vor dem, was diese vielleicht wusste. Er entschied sich, erst einmal still zu sein und zuzuschauen.
Dorothy ließ ein wissendes Lächeln über ihr Gesicht huschen und sagte dann: „Glauben Sie etwa, ich weiß nicht, wer Sie sind und was Sie vor haben? Sie suchen nach Weston Firth? Nach Ihrem Weston Firth? Glauben Sie das? Wieso suchen Sie nach ihm? Weil es Ihnen gefallen würde, ihn im Leichenschauhaus zu sehen? Sie suchen ihn doch nur, um ihn genau dahin zu bringen. Leugnen Sie es nicht! Er weiß es! Er hat es mir selbst gesagt! Sie verfolgen ihn, weil Sie es nicht ertragen, dass er Sie abserviert hat. Aber so einfach werde ich es Ihnen nicht machen. Es hat ein wenig gedauert, bis ich verstanden habe, was hier gespielt wird und ich glaube, Mr. Mason hat es immer noch nicht verstanden, denn sonst würde er Ihnen nicht so gefällig zur Seite stehen. Sie, Mrs. Leery, sind eine Schwarze Witwe! Und Ungeziefer dieser Art muss ausgemerzt werden!"
Dorothy zog unter ihrem Tisch eine Pistole hervor und zielte damit auf Judith Leery. Sam Mason stand da wie angewurzelt und konnte nicht anders, als zusehen, wie seine Klientin getroffen zu Boden ging. Den Knall der Schusses nahm er nur unterbewusst wahr, denn er war zu sehr damit beschäftigt, sich auf den Boden fallen zu lassen.
Die Enttäuschung stand Sam ins Gesicht geschrieben. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber es gefiel ihm nicht, wenn Frauen nüchterne, geschäftsmäßige Konversation führten.
„Guten Tag, Mister Mason", sagte Dorothy, ohne besonders interessiert an ihm oder Judith zu sein, „Was kann ich heute für Sie tun?"
„Guten Tag. Darf ich Ihnen Judith Leery vorstellen?"
„Deine Klientin?", fragte Dorothy und wollte die Antwort überhaupt nicht hören, denn sie sprach gleich weiter, „Bitte machen Sie schnell. Ich habe noch andere Dinge zu erledigen."
„Sie erinnern sich an den Mann, nach dem ich Sie gefragt habe?", begann Sam.
„Weston Firth?", fragte Dorothy.
„Sie kennen ihn?", rief Judith überrascht aus.
Dorothy lächelte unter ihrer Brille, stand auf und trag auf Judith zu. Sie reichte ihr die Hand und stellte sich vor: „Mein Name ist Dorothy Miller. Und ja, ich kenne Mister Firth. Er ist Mitglied unserer Bibliothek."
„Das weiß ich", sagte Judith ungeduldig, „Haben Sie ihn in letzter Zeit hier gesehen?"
„Ich frage mich, warum Sie einen Privatdetektiv angeheuert haben, Lady. Genau die selbe Frage hat mich Mister Mason vor nicht allzu langer Zeit auch gefragt", erwiderte Dorothy süffisant.
„Und?", sagten Sam und Judith gleichzeitig, was beiden ziemlich peinlich war, als sie bemerkten, dass Dorothy wiederum überheblich zu lächeln begann.
„Sie haben Glück. Ich kann Ihnen etwas anderes sagen, als das letzte Mal", erklärte die Bibliothekarin, „Er war hier. Gestern Nachmittag hat er sich kurz blicken lassen, hat ein Buch ausgeliehen und ist verschwunden."
„Von wegen Kalifornien", knurrte Sam zu sich und ohne dass die beiden Damen es hören konnten.
„Was hat er ausgeliehen?", fragte Sam.
Dorothy lachte: „Sie erwarten, dass ich Ihnen das ganz ohne Gegenleistung verraten?"
„Hören sie, Lady", begann Judith in ernstem und gefährlichen Tonfall, „Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit und für ihre schulmädchenhaften Versuche, Mister Mason zu erpressen schon gar nicht. Geben Sie uns die Informationen oder lassen Sie's, aber teilen Sie uns ihre Entscheidung recht bald mit, damit wir drei allesamt wieder unserer Arbeit nachgehen können."
„Ich weiß, woran Mister Mason arbeitet und ich weiß, woran ich arbeite, aber...", begann Dorothy, doch sie beugte sich Judiths Blick: „Er hat ein Buch über Wein ausgeliehen. „Von der Rebe bis zum Wein – Eine Einführung in den Genuss guten Rotweins"."
„Über Wein?", wiederholte Judith überrascht.
„Vielleicht will er sich doch nach Kalifornien absetzen", überlegte Sam, doch ehe er diesen Gedanken fortführen konnte, spürte er auch schon den Absatz eines Damenschuhs auf seinem Fuß, was ein eindeutiges Zeichen darstellte, jetzt vor Dorothy die Klappe zu halten.
„Ein Buch über Wein also", schloss Judith und wand sich um. Diesmal griff sie nach Sams Handgelenk, um ihn nach draußen zu zerren.
Sam konnte sich nur kurz bei Dorothy bedanken, die ebenso kurz die Brille nach vorne schob und ihm darüber hinweg zublinzelte.
Judith war der Meinung, dass ein Buch über Weine nur eines bedeuten konnte. Weston Firth hatte einen Job angenommen, in dem es von Bedeutung war, etwas von Wein zu verstehen.
Ich stimmte soweit mit ihr überein, jedoch war ich der Meinung, dass dieser Job im Zusammenhang mit einem kleinen Weingut in den Hügeln um Santa Barbara stand und es sich kaum lohnen würde, hier in Chicago weiter nach dem Typen zu suchen.
Judith war anderer Meinung und sie war die Person mit dem Geld in dieser Geschichte. Also machte ich mich auf den Weg durch die Innenstadt mit ihren unzähligen Restaurants, Lokalen, Kaschemmen und Spirituosenhändlern.
Seit dem Ende der Prohibition waren diese Läden wie Pilze aus dem Boden geschossen. Und ich meine das sehr bildlich, denn eine Eigenart von Pilzen ist es, dass sie, bevor sie einen Fruchtkörper über der Erde bilden, jahrelang unentdeckt um Untergrund wachsen und ihre Myzelien in alle Richtungen ausstrecken.
Ich kannte die meisten der Läden und das machte mir bewusst, dass ich zu viel trank. Aber darum ging es hier nicht und ich verdrängte den Gedanken, indem ich mir die siebte Zigarette des Tages genehmigte.
Es schickte sich nicht, auf der Straße zu rauchen, aber es schickte sich auch nicht, einen Schnapsladen nach dem anderen abzuklappern.
Ich zog meinen Hut tiefer ins Gesicht und fügte mich in mein Schicksal: Judith wollte, dass ich all diese Läden besuchte und nach Weston Firth Ausschau hielt.
Ich hielt es für Zeitverschwendung und diese Einschätzung bewahrheitete sich, bis der Nachmittag verstrichen war und einem nasskalten Abend wich.
Die Schnapsläden schlossen, blieben die Restaurants, Kaschemmen, Tavernen und die Einrichtungen, die man euphemistisch als Etablissements bezeichnete.
Die Unterhaltung mit den Wirten, Barkeepern, Servicekräften und Restaurantbetreibern war immer die gleiche:
„Guten Tag."
„Guten Tag, was darf es ein."
„Nichts, tut mir leid, ich bin im Dienst."
„Wer sind Sie? Was wollen Sie? Wir haben nichts zu verbergen."
„Keine Sorge. Ich bin auf der Suche nach einem Mann. Sein Name ist Weston Firth und es heißt, er hätte einen Job irgendwo in der Gegend angenommen."
„Nie von ihm gehört. Und wenn ich Sie jetzt bitten dürfte, zu gehen!"
Selbst wenn einer etwas gewusst hätte, man hätte mir keine Auskunft gegeben. Aber ich konnte es mir nicht leisten, in jedem der Lokale einen Drink zu konsumieren. Ich hätte es auf die Spesenrechnung setzten können, doch was den Wirt betraf, hätte ich in Vorlage treten müssen, und Judiths Vorschuss war vollständig für die Zahlung der Büromiete draufgegangen.
Diese Nächte im Dienst sind einsam und kalt und sie scheinen, Ewigkeiten zu dauern. Das ist als Privatermittler nicht anders, als bei einem Polizisten.
Sam entschied sich, für heute Schluss zu machen und schlurfte müde und mit schmerzenden, eiskalten Füßen nach Hause. Er fühlte die ersten Anflüge von Halsschmerzen und in spätestens zwei Tagen würde er mit Fieber das Bett hüten.
Er war zu müde, um auf die Bewegungen in den Schatten zu achten, weshalb er überrascht zurückschreckte, als plötzlich eine abgerissene Schattengestalt vor ihm stand und knurrte: "Hab gehört, Sie suchen nach mir! Mein Name ist Weston Firth und Sie sollten ihre Nase aus meinen Angelegenheiten heraushalten!"
Es war das letzte, was Sam Mason je hörte, denn unmittelbar nach dieser kleinen Ansprache, durchbohrte die rostige Klinge einer Machete seinen Torso und er entschied, dass es vielleicht doch nicht so wichtig war, die Miete pünktlich zu bezahlen. Leider kam diese Erkenntnis ein wenig zu spät.
Bei Regen und Sturm war Sam der einzige Fußgänger im nächtlichen Vergnügungsviertel von Chicago an diesem Wochentag. Pflichtbewusst klapperte er alle Lokale und Geschäfte ab, die Judith ihm genannt hatte. Er tat es, weil er so weniger Zeit auf der Straße und mehr Zeit in beheizten Räumen verbringen konnte und weil er den Geruch nach Essen und alkoholischen Getränken genoss.
Erfolg hatte er keinen, bis er schließlich zu einem kleinen Restaurant kam, das etwas versetzt zu den anderen Häusern der Straße weiter hinten im Hinterhof eines anderen Hauses stand. Es war ein niedriger Bau, der den Stil der filigranen Pavillons San Franciscos nachahmte. Er wirkte fehl am Platz und einladend zugleich. Er passte nicht in die hässliche Welt aus Mauern und öligen Regenpfützen und das mache ihn attraktiv.
Bei Tag war es ein Café, das Frühstück bis in die Mittagsstunden anbot, nachmittags verwandelte es sich in ein Restaurant für Pärchen und solche die es darauf anlegten eines zu werden.
Ein Blick auf die aushängende Speise- und Getränkekarte verriet Sam, dass er es sich alsbald wieder aus dem Kopf schlagen musste, Johanna hierher auszuführen.
Das Lokal gehörte einem Italiener und zu seinen Spezialitäten gehörte importierter, italienischer Rotwein. Italienische Flaggen schmückten die Eingangstür. Lampions hingen nass und von den Stürmen des Herbstes zerfleddert kreuz und quer über dem Gelände vor, neben und hinter dem Gebäude, das im Sommer mit Tischen und Stühlen ausgestattet war. Im nächsten Jahr musste sich der Besitzer eine neue Beleuchtungsanlage zulegen, wenn er einen romantischen Effekt und keinen heruntergekommenen erzielen wollte.
„Die Stürme haben uns dieses Jahr überrascht und die Lampen ruiniert. Ich lasse sie über den Winter hängen, aber im Frühjahr werde ich sie austauschen müssen", ohne dass Sam es gemerkt hatte, war ein kleiner Italiener aus der Eingangstür herausgekommen und hatte ihn auf dem Vorplatz stehen sehen. Er war auf ihn zugekommen und bat ihn nun hinein: „Es ist wirklich unwirtlich hier draußen. Kommen Sie herein. Es ist nicht viel los heute Abend, da freuen wir uns über jeden Gast."
Sam stand schon triefend nass vom Regen im Innenraum des ansonsten leeren Restaurants, als er realisierte, dass er etwas antworten musste, wenn er nicht als Geisteskranker abgestempelt werden wollte: „Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen. Ich habe kein Geld bei mir. Ich bin lediglich auf der Suche nach einem Freund von mir. Ich sollte ihn hier irgendwo treffen, aber ich habe mich wohl verlaufen."
„So? Sie wollten sich hier mit jemandem treffen? Tut mir leid. Hier ist seit Stunden keiner vorbei gekommen. Dies ist nicht die Saison für ein Restaurant wie dieses. Wir bewirten unsere Gäste lieber hinten im Garten im Lichte einer romantischen Abendsonne." Der Italiener bekam einen schwärmerischen Ausdruck in seinen Augen, „Den Leuten in dieser Stadt fehlt die Sonne. Das ist, was ich immer sage. Ihnen fehlt die Sonne."
„Aber Sie haben trotz der schlechten Saison geöffnet. Warum fahren Sie über den Winter nicht in ihr Heimatland oder in den Süden?"
„Die Miete muss auch in den Wintermonaten gezahlt werden", antwortete der Italiener und zuckte mit den Achseln, „Außerdem habe ich diese verrückte Idee, dass ich dafür verantwortlich bin, dass meine Angestellten auch im Winter ihren Lohn erhalten", er lachte, „Können Sie sich das vorstellen? Ich bezahle meinen Leuten den vollen Lohn, obwohl es rein gar nichts zu arbeiten gibt und ich sie nach dem Frühstücksbüffet nach Hause schicken kann."
„Wie viele Angestellte haben Sie?", fragte Sam.
Wieder lachte der gutmütige Mann auf: „Drei. Eine Kellnerin und einen Koch. Und können Sie sich vorstellen, dass ich letzte Woche noch einen zweiten Kellner eingestellt habe? Einfach so. Weil er mich darum gebeten hat."
„Erlauben Sie mir die Frage, aber wie können Sie sich das leisten?", fragte Sam.
„Im Sommer läuft das Geschäft sehr gut und ich kann einiges zurück legen und auch jetzt geht das Frühstück noch gut. Es sind nur die Abende, die pure Zeitverschwendung darstellen."
„Und Sie haben ihn eingestellt, nur weil er Sie darum gebeten hat?", fragte Sam nach, nahm sich einen Stuhl und setzte sich an den Tresen, wo er begann, die Getränkekarte intensiver zu studieren, „Ich nehme einen Rotwein, einen italienischen, einen guten."
Das Mann lachte: „Sie haben keine Ahnung von Weinen oder?"
„Nein. Überraschen Sie mich", bat Sam.
„Augenblick, ich schicke den Burschen in den Keller", der Italiener verschwand für einen Augenblick in der Küche, sprach ein paar Worte mit dem „Burschen", der daraufhin eine Treppe hinunter stieg. Der Italiener selbst erschien wieder hinter dem Tresen: „Ja, ich habe ihn eingestellt, weil er meinte, er bräuchte unbedingt eine Anstellung, bis er seine Schulden bezahlt habe. Ich weiß ja nicht, wem er etwas schuldet, aber in dieser Stadt ist es besser, man bezahlt, nicht wahr?"
„Das mit Sicherheit", entgegnete Sam.
„Hören Sie, ich will keine Schwierigkeiten. Wenn Sie einer seiner Gläubiger sind, sagen Sie es. Ich kann Ihnen aushelfen. Er ist ein guter Junge. Er arbeitet hart und sorgfältig. Wo auch immer er hineingeraten ist, interessiert mich nicht, aber – meine Güte – lassen Sie ihn am Leben!"
Sam ließ ein müdes Lachen hören: „Nein, er schuldet mir kein Geld. Aber ich muss Sie doch warnen, dass Sie mit Ihrer Großzügigkeit schnell selbst zum Opfer werden könnten. Das ist Chicago...".
„Und ich stamme aus Neapel. Glauben Sie, ich wäre so leichtgläubig? Großzügigkeit hat mit Leichtgläubigkeit nichts zu tun, Mister. Ich will nur helfen und so wenig Aufsehen wie möglich erregen."
Ich vertraute den Typen nicht, er war zu naiv, zu einfältig und ich wollte mir nicht eingestehen, dass es naive und einfältige Menschen wirklich gab.
Dass er mich für einen Schlägertypen hielt, der seinem „Burschen" Geld herauspressen sollte, könnte für mich ein Vor- oder ein Nachteil sein. Es kam darauf an, wie der „Bursche" gebaut war.
Nach einer Weile kam er auch wirklich aus der Küche und brachte eine verstaubte Flasche Rotwein mit.
Die dürftige Beschreibung Westons passte.
„Wie heißt der Bursche?", fragte ich den Wirt, als sein Kellner wieder in der Küche verschwunden war.
„Kevin Blaine", lautete die Antwort, offensichtlich eine Lüge, denn nachdem er diesen Namen genannt hatte, entschuldigte sich der Wirt und verschwand in die Küche.
Ich probierte den Wein. Er war in Ordnung, aber ich war kein Weintrinker und bevorzugte Scotch.
Eine recht lange Zeit blieb ich allein in dem Lokal und das irritierte mich. Schließlich hätte ich leicht die Zeche prellen können.
Hatte ich Weston Firth gefunden? Ich überlegte, dass er, wenn er es war, einen guten Unterschlupf gefunden hatte. Niemand verirrte sich zu dieser Jahreszeit hierher. Er konnte sich in seiner Küche verschanzen, hatte einen Chef, dem die Gutmütigkeit im Gesicht stand, wenngleich ich dem wie gesagt noch nicht zu trauen vermochte und auch die Polizei würde in ihm, der er so offen in einem Restaurant arbeitete, keinen gesuchten Mordverdächtigen vermuten, wenn er das denn war.
Die Kommissare verließen sich in solchen Fällen meist darauf, dass die Verdächtigen aus der Stadt flüchtete und konzentrierten sich auf Kontrollen in Zügen, auf Highways oder Flughäfen.
In der Stadt zu bleiben, die man in und auswendig kannte, war so ungewöhnlich wie genial. Eine Stadt, die man kannte, in der man selbst aber nicht gekannt wird, verlässt man nicht Hals über Kopf. Und sollte Firth wirklich etwas mit einem Mord zu tun haben, der aus irgendeinem Grund schief gegangen war, so hatte er mit Sicherheit hier noch die ein oder andere Rechnung offen.
Was auch immer er für Gründe hatte, es war meine Aufgabe, ihn zu finden. Ich glitt von meinem Stuhl, zog meinen Hut auf und schlenderte hinter den Tresen und öffnete die Tür zur Küche.
Es wunderte mich nicht, dass sie leer war. Eine weitere Tür führte hinter das Haus in den Garten, von dem der Italiener vorhin gesprochen hatte. Von dort hörte ich Stimmen.
Da der Wirt mit einem starken Akzent sprach, den ich vorhin so nicht wahrgenommen hatte, schloss ich, dass er sehr aufgeregt sein musste.
Ich entschied mich dazu, alles auf eine Karte zu setzen.
Sam öffnete die Tür und fand sich wieder in einem nächtlichen, herbstlichen Garten. Es war zu dunkel um Gesichter erkennen zu können. Es regnete immer noch und der Wind rauschte durch die letzten, welken Blätter an den Bäumen.
Was eben noch eine angeregte Unterhaltung gewesen war, schien nun verstummt.
Sam grinste. Er mochte es, der Anlass einer schockierten Stille zu sein.
Der Italiener holte tief Luft, um etwas beschwichtigendes zu sagen, doch Sam ersparte ihm die Peinlichkeit und rief mit fester Stimme: „Weston Firth?"
Ich wartete nicht, bis ich angegriffen wurde, denn es stand ganz außer Frage, dass das geschehen würde. Meine Frage diente einzig der Verwirrung meines Gegners, denn ich war völlig sicher, dass es sich bei ihm um den gesuchten Firth handeln musste.
Leider war es dunkel und ich sah nicht, dass er ein Messer in der Hand hielt, das er mir ohne Zögern und ohne Zaudern in den Hals rammte.
Er rannte davon, ich fiel zu Boden. Neben mir gab der Geschäftsführer einen entsetzten Schrei von sich, der mir aber auch nicht mehr das Leben rettete.
Und dann wurde es schwarz um mich herum. Ich weiß nicht, wer mich niedergeschlagen hat. Firth kann es nicht gewesen sein, denn er stand zu diesem Zeitpunkt vor mir, der Italiener rechts von ihm.
Ich erinnere mich, dass ich aufwachte, mein Gesicht voller Gartenschlamm, Grasflecken auf dem Mantel und der Hut vom Wind in eine Pfütze geweht. Die Kopfschmerzen hinderten mich im ersten Augenblick, darüber nachzudenken, was geschehen war.
Ich war allein und die Nacht war noch nicht vorbei.
Ich hielt es für das beste, von hier zu verschwinden.
Sam verbrachte den Rest der Nacht in seinem Büro, wo er einen Kühlschrank hatte. Darin befand sich immer eine kühle Flasche Scotch, die sein Hausmittel für Schmerzen aller Art darstellte. Er nahm einen Schluck, dann hielt er sich die Flasche wieder an die Stelle, an der ihn der stumpfe Gegenstand getroffen hatte. Es hatte sich eine ganz schöne Beule ausgebildet und Sam beschloss, Judith Schmerzensgeld auf die Rechnung zu setzen.
Der Morgen kam unvermeidlich und die Regenwolken verzogen sich fürs Erste.
Sam stellte sich darauf ein, dass Judith ihm unangenehme Fragen stellte, wenn er ihr berichten musste, dass er sich hatte so stümperhaft überwältigen lassen. Zum Glück hatte er ihre Telefonnummer nicht, sodass er warten musste, bis sie sich bei ihm meldete.
Die lautlose Klingel gab kein Geräusch von sich, doch die Schatten vor der Milchglastür verrieten Sam, dass es mit seiner Ruhe soeben vorbei sein würde.
Er schob sich eine Zigarette in den Mund und schleppte sich zur Tür, um dieselbe zu öffnen.
Brian Shaw trat ein.
„Guten Morgen, Sam", sagte er und nahm auf dem Stuhl vor Sams Schreibtisch Platz.
„Morgen, Brian", murmelte Sam.
„Du siehst nicht aus, als hättest du gut geschlafen", bemerkte Brian.
„Scharfsinnig wie immer", meinte Sam und zündete die Zigarette an, als er sich wieder auf seinen Stuhl hinter dem Schreibtisch setzte. Er bot Brian eine Zigarette an, doch der lehnte ab.
„Was ist passiert?", fragte Brain plötzlich ernst und besorgt zugleich.
„Was soll passiert sein. Ich hatte eine Auseinandersetzung mit einem Unbekannten", erklärte Sam.
„Da bist du nicht der einzige", erwiderte Brian.
„Ist noch jemand niedergeschlagen worden?"
„Nein, nicht direkt niedergeschlagen. Eher niedergeschossen."
„Wer?", keuchte Sam und er ahnte die Antwort.
„Weston Firth. Hast du nicht nach ihm gesucht?"
„Habt ihr nicht nach ihm gesucht?"
„Ja, aber mir scheint, du hast ihn gefunden."
„Ja und dann wurde ich niedergeschlagen und...", versuchte Sam sich zu verteidigen.
„Wir haben seine Leiche in einem Goldfischteich hinter einem Restaurant gefunden. Der Wirt meinte, dass am Abend zuvor ein seltsamer Typ ihn nach seinem Kellner ausgefragt habe. Er habe jedoch einen falschen Namen genannt, weil er ihn schützen wollte. Er war der Meinung, sein Kellner hätte Schulden. Doch der Typ hätte sich verraten, indem er den richtigen Namen des Kellners nannte. Weston Firth. Natürlich dachte ich zuerst an dich, Sam."
„Ich habe ihn nicht umgebracht", stöhnte Sam, „Du weißt es. Als ich in diesem Garten niedergeschlagen wurde, war Firth noch lebendig. Er stand vor mir."
„Du hattest einen Auftrag Firth betreffend. Wer war der Auftraggeber?"
„Ich kann es dir nicht sagen", erwiderte Sam, vor dessen inneren Augen plötzlich Judith auftauchte, die ihm einschärfte, dass die Polizei mit ihren Angelegenheiten nichts zu tun hatte.
„Du hattest eine Auseinandersetzung mit Firth", stellte Brian fest.
„Nein. Bevor es zu einer kommen konnte, wurde ich niedergeschlagen. Ich habe nie mit ihm gesprochen. Ich habe keine Ahnung, wer dieser Typ eigentlich ist. Es war nur mein Job, ihn zu finden."
„Wegen eines Betrugsdelikts?"
„Ja."
„Hör zu, Sam, du bist mein Freund und ich vertraue dir, aber wenn sich auch nur der leiseste Verdacht gegen dich verhärtet, werde ich dich festnehmen müssen. Du kennst das Verfahren."
Sam nickte.
„Ich will nicht, dass es so weit kommt. Du bist stur, wie immer. Aber wenn du etwas sagen willst, könnte dich das entlasten. Überleg es dir und verlass bis auf weiteres die Stadt nicht. Vielleicht müssen wir wieder auf dich zukommen", sagte Brian und erhob sich, „Betrachte das als inoffizielles Verhör. Sollte sich der Verdacht gegen dich erhärten, könnte ich von dem Fall abgezogen werden und Phil Owen könnte ihn übernehmen. Es wäre also besser du kooperierst. Überleg es dir!"
„Wirst du einen Bericht schreiben?", fragte Sam matt.
„Natürlich, aber vielleicht kann ich deinen Namen vorerst weglassen."
„Du bist ein wahrer Freund, Brian. Erinner mich dran, dass ich dir einen ausgebe."
Brian verließ das Büro und ließ Sam mit seiner Beule allein. Jetzt stand er auch noch unter inoffiziellem Mordverdacht. Er fragte sich, wie er Judith diesen Zustand in Rechnung setzen könnte.
Ich bin kein Mensch der zum Grübeln neigt. Es nutzt nichts verschiedene Möglichkeiten durchzugehen, wenn es die äußeren Faktoren sind, die dein Schicksal bestimmen. Das Leben ist keine Schachpartie.
Der Morgen war gelaufen. Ich hatte die Zeitung gelesen, drei Zigaretten geraucht und den Scotch schweren Herzens zurück in den Kühlschrank gestellt. Es gehörte sich einfach nicht, vor dem Mittagessen schon betrunken zu sein.
Weston Firth war tot. Ich fragte mich, was ich davon halten sollte. Hatte er wirklich Schulden gehabt? In italienischer Gesellschaft konnte man schnell in derartige Schwierigkeiten geraten.
Er hatte unter Mordverdacht gestanden. Vielleicht war es Rache.
Ich fragte mich, was Judith damit zu tun hatte, immerhin hatte sie mich nach ihm suchen lassen.
Ich neigte nicht dazu, Spekulationen anzustellen, denn ich bevorzugte Fakten und Wahrheiten. Deshalb ließ ich derartige Überlegungen zunächst sein und wollte sie wieder aufnehmen, wenn ich mit Judith gesprochen hatte.
Andererseits wollte Sam am Leben bleiben, deshalb schleppte er sich hinüber zu Jos Büro, wo er ihr gestand, dass sie Recht gehabt hatte und er den Fall lieber aufgeben wollte, als in etwas hinein zu geraten, das ihm irgendwann den Schädel völlig demolieren würde.
Jo hielt das für vernünftig und erklärte sich bereit, Sam ein Taxi zum nächsten Krankenhaus zu bezahlen, wo sie ihn für ein paar Tage zur Beobachtung da behalten lassen wollten.
Gegen zehn Uhr zeigte sich ein Schatten hinter der Milchglastür. Jemand klopfte dagegen, offenbar jemand, der wusste, dass die Klingel nicht funktionierte.
Sam stand mühsam auf und hinkte zur Tür. Als er sie öffnete, stand ihm die groß gewachsene Gestalt Judith Leerys, ganz in elegantes Schwarz gekleidet, gegenüber. Er seufzte lautlos, er hatte gewusst, dass er diesem Augenblick nicht entgehen konnte und jetzt war er dennoch vollkommen unvorbereitet.
„Guten Morgen, Mrs. Leery", brummte Sam.
„Es nutzt wohl nicht mehr viel, Ihnen einen solchen zu wünschen, Mister Mason. Aber Sie haben mein volles Mitleid."
Sam brummte etwas, das er selbst nicht verstand. Sein Schädel schmerzte immer noch und die Knochen in einem Körper schienen noch nicht an ihren angestammten Platz zurückgekehrt zu sein.
„Firth ist tot", begann Sam, als sie sich beide an seinen Schreibtisch gesetzt hatten.
„Ich habe davon gehört", erwiderte Judith, „So hätte es nicht enden müssen."
„Wie meinen Sie das?", fragte Sam, denn er konnte Judiths Worte und Mimik nicht deuten.
Und jetzt geschah etwas, was Sam für einen Augenblick allen Zynismus vergessen ließ: Judith schluchzte. Sie begann wahrhaftig zu weinen: „So hätte es nicht enden sollen!"
„Aber Mrs. Leery...", begann Sam und war wohl in diesem Augenblick noch schockierter als Judith.
„Es war ja nicht so, dass ich... Ich meine, ich wollte ihn heiraten."
„Sie haben ihn geliebt", es war eine Feststellung, keine Frage.
„Ja", entgegnete Judith, „Und es wird mir erst jetzt klar, wo er tot ist."
„Aber er hat Sie betrogen", sagte Sam hilflos.
„Er hätte es behalten können. Das ganze Geld. Wenn er nur noch leben würde."
Sam runzelte die Stirn: „Vielleicht wird es Zeit für Sie bei der Polizei eine Aussagen zu machen."
„Nein", sagte Judith bestimmt und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, „Das bringt ihn nicht zurück und mich nur in noch größere Gefahr. Ich möchte nicht selbst in irgendeine Geschichte verwickelt werden. Keine Polizei, das habe ich ihnen zu Anfang erklärt."
„Das heißt, Sie haben einen Verdacht?", fragte Sam und bemerkte Judiths Blick, „Na schön, keine Polizei. Ich werde Ihren Namen nicht erwähnen, wenn Sie es unterlassen, mein Büro aufzusuchen", Sam dachte an Johanna, die ihm den Umgang mit Judith verboten hatte.
„Ihre Arbeit ist erledigt. Schicken Sie mir Ihre Rechnung an diese Adresse", Judith zog ein schwarzes Notizbuch aus ihrer Tasche, riss eine unbeschriebene Seite heraus und schrieb eine Adresse darauf. Sie reichte den Zettel Sam, stand auf und verließ wortlos das Büro des Privatermittlers.
Ich starrte auf den beschriebenen Zettel. Sie hatte eine saubere, aber schnörkellose Handschrift. Sie schrieb mit schwarzer Tinte auf kariertem Papier.
Sie hatte ein Blatt weit hinten aus dem Notizbuch herausgerissen, sodass es unmöglich war anhand von Abrücken zu erkennen, was auf den vorigen Seiten gestanden hatte.
Es interessierte mich aus irgendeinem Grund.
Eine Frau wie Judith Leery weinen zu sehen, lässt Glaubensgrundsätze zusammenbrechen und so ließ Judith mich einigermaßen verwirrt in meinem Büro zurück. Ich wollte anfangen zu grübeln, doch ich entschied mich dazu, einfach nur die Rechnung zu schreiben und den Fall ad acta zu legen.
Ich starrte auf den beschriebenen Zettel. Sie hatte eine saubere, aber schnörkellose Handschrift. Sie schrieb mit schwarzer Tinte auf kariertem Papier.
Sie hatte ein Blatt weit hinten aus dem Notizbuch herausgerissen, sodass es unmöglich war anhand von Abrücken zu erkennen, was auf den vorigen Seiten gestanden hatte.
Es interessierte mich aus irgendeinem Grund.
Eine Frau wie Judith Leery weinen zu sehen, lässt Glaubensgrundsätze zusammenbrechen und so ließ Judith mich einigermaßen verwirrt in meinem Büro zurück. Ich wollte anfangen zu grübeln, doch ich entschied mich für einen Scotch.
Weibliche Logik zu verstehen ist vermutlich unmöglich, wenn man an männliche Logik gewöhnt ist.
Hätte ich ihr sagen sollen, dass Firth unter Mordverdacht gestanden hatte?
Ich entschied, dass dies nicht mehr in meinen Aufgabenbereich fiel, da sie mich ja nun offiziell von dem Fall abgezogen hatte. Ich brauchte nur noch eine Rechnung zu schreiben und auf den Geldeingang zu warten. Dann konnte ich mich anderen Fällen zuwenden und Judith vergessen.
Sam hing diesem Gedanken nach und wurde erst durch ein energisches Klopfen gegen die Milchglastür geweckt. Diesmal erkannte er zwei Schatten.
Er stand auf und ließ die Gestalten herein.
Wieder seufzte Sam, als der die beiden Männer erkannte. Es waren Brian Shaw und Phil Owen.
Brian stand hinter Phil und sein Gesichtsausdruck wirkte flehend, als wünschte er, sich an irgendeinem anderen Ort des Universums zu befinden. Er bedeutete Sam mit seinen weit aufgerissenen Augen, dass er verdammt nochmal aufpassen sollte, was er gleich von sich geben würde.
Phil war ein großer Mann, dem sein Hut nicht stand. Er trug ihn nur, um seine Glatze zu verstecken, die ihn alt und brutal aussehen ließ. Seine winzig kleine Nase und die Schweinsaugen wirken fehl am Platze in einem Gesicht, dessen Fleischmasse einer kleinen Familie ein Festessen bereitet hätte. Immer wenn Sam Phil begegnete musste er sich unweigerlich vorstellen, wie jener Kommissar in seiner Kindheit von seinen Klassenkameraden in der Schule als „Schweinchen" verspottet wurde. Er wusste nicht, ob die Geschichte stimmte, er hatte sie sich selbst ausgedacht, aber in seinem mentalen Personenspeicher lief Phil Owen unter dem Begriff „Paarhufer".
Während Brian Sam immer ein Freund und Trinkkumpane gewesen war, zählte Phil zu jenen Polizisten, die ihren Job auf eine fatale Weise ernst nahmen. Brian konnte nach Dienstschluss abschalten und besuchte privat jene Etablissements, bei denen er im Dienst Razzien durchführte. Brian konnte lachen und auch mal Fünf gerade sein lassen.
Phil hingegen lebte den Polizeidienst. Er lebte ihn privat und im Dienst verdoppelten sich seine Ambitionen. Er sah in jedem Menschen einen potentiellen Verbrecher und auch wenn er damit Recht haben mochte, glaubte er, das Verbrechen wie einen bösen Geist austreiben zu können.
Phil Owen war der Alptraum für jeden Verdächtigen, egal ob schuldig oder nicht, denn Owen würde den Beweis finden, dass man schuldig war, auch wenn man selbst davon nichts wusste.
„Guten Tag, Mr. Mason", sagte das Schweinchen.
„Guten Tag", Sam reichte ihm die Hand.
„Mein Name ist Owen und das ist mein Kollege Shaw. Ich nehme an, Sie kennen sich."
„Flüchtig", antwortete Sam.
„Wunderbar. Lassen Sie uns also zur Sache kommen, damit wir es schnell hinter uns haben: Gestern Nacht wurde ein Mann, den wir unter dem Namen Weston Firth kennen, in einem Goldfischteich tot aufgefunden. Man hat ihn erschossen und man hat Sie am Tatort gesehen."
„Bitte?", Sams Stimme klang schrill. Er musste sich Zeit verschaffen, um zu improvisieren.
„Sind Sie Sam Mason, Privatermittler?"
„Ja, das schon, aber...".
„Kannten sie Firth oder hatten Sie einen Auftrag, der ihn betraf?"
„Ich... muss darauf kein Antwort geben", sagte Sam.
„Sie müssen nicht, wenn Sie sich dadurch selbst belasten würden", sagte Owen mechanisch.
„Wer glaubt, mich am Tatort gesehen zu haben?", fragte Sam.
„Der Eigentümer des Restaurants, zu dem der Goldfischteich gehört. Er hat sich bei uns gemeldet und zu Protokoll gegeben, dass ein Privatermittler nach seinem Kellner gefragt hatte und ihn dann beim Namen Weston Firth genannt habe, obwohl er unter einem ganz anderen Namen beschäftigt gewesen war."
„Es könnte also ein ganz anderen Privatdetektiv gewesen sein?", gab Sam zurück.
„Nun, die Beschreibung passt auf Sie, Mister Mason und unsere Ermittlungen ergeben, dass Sie sich in der letzten Nacht in der Gegend herumgetrieben haben. Einige dort ansässige Spirituosen-Händler stimmen in ihren Aussagen überein, dass Sie – ausdrücklich Sie, Samuel Mason – sich nach einem Fremden erkundigt hätten, der zufällig den gleichen Namen trug wie unsere Leiche."
„Verdammt", Sam versuchte ein gewinnendes Lächeln zu formen, „Haben Sie mich erwischt. Es stimmt, ich habe nach Firth gesucht."
„Wieso?", wollte Owen wissen. Brian hinter ihm wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Ich hatte einen Auftrag ihn betreffend. Aber seien Sie versichert, dass ich mit dem Mord nichts zu tun habe."
„Wer ist Ihr Auftraggeber in diesem Fall?"
Sam sah ein, dass die Sache zu ernst wurde, um weiter Spielchen zu spielen. Owen war kein Mann, dem man etwas vormachen konnte und zu lange zu schweigen, bedeutete, sich selbst verdächtig zu machen.
Er reichte den beiden Polizisten also den Zettel mit Judiths Adresse und überließ der Justiz den Rest dieses Falles.
Sam hing diesem Gedanken nach und wurde erst durch ein energisches Klopfen gegen die Milchglastür geweckt. Diesmal erkannte er zwei Schatten.
Er stand auf und ließ die Gestalten herein.
Wieder seufzte Sam, als der die beiden Männer erkannte. Es waren Brian Shaw und Phil Owen.
Brian stand hinter Phil und sein Gesichtsausdruck wirkte flehend, als wünschte er, sich an irgendeinem anderen Ort des Universums zu befinden. Er bedeutete Sam mit seinen weit aufgerissenen Augen, dass er verdammt nochmal aufpassen sollte, was er gleich von sich geben würde.
Phil war ein großer Mann, dem sein Hut nicht stand. Er trug ihn nur, um seine Glatze zu verstecken, die ihn alt und brutal aussehen ließ. Seine winzig kleine Nase und die Schweinsaugen wirken fehl am Platze in einem Gesicht, dessen Fleischmasse einer kleinen Familie ein Festessen bereitet hätte. Immer wenn Sam Phil begegnete musste er sich unweigerlich vorstellen, wie jener Kommissar in seiner Kindheit von seinen Klassenkameraden in der Schule als „Schweinchen" verspottet wurde. Er wusste nicht, ob die Geschichte stimmte, er hatte sie sich selbst ausgedacht, aber in seinem mentalen Personenspeicher lief Phil Owen unter dem Begriff „Paarhufer".
Während Brian Sam immer ein Freund und Trinkkumpane gewesen war, zählte Phil zu jenen Polizisten, die ihren Job auf eine fatale Weise ernst nahmen. Brian konnte nach Dienstschluss abschalten und besuchte privat jene Etablissements, bei denen er im Dienst Razzien durchführte. Brian konnte lachen und auch mal Fünf gerade sein lassen.
Phil hingegen lebte den Polizeidienst. Er lebte ihn privat und im Dienst verdoppelten sich seine Ambitionen. Er sah in jedem Menschen einen potentiellen Verbrecher und auch wenn er damit Recht haben mochte, glaubte er, das Verbrechen wie einen bösen Geist austreiben zu können.
Phil Owen war der Alptraum für jeden Verdächtigen, egal ob schuldig oder nicht, denn Owen würde den Beweis finden, dass man schuldig war, auch wenn man selbst davon nichts wusste.
„Guten Tag, Mr. Mason", sagte das Schweinchen.
„Guten Tag", Sam reichte ihm die Hand.
„Mein Name ist Owen und das ist mein Kollege Shaw. Ich nehme an, Sie kennen sich."
„Flüchtig", antwortete Sam.
„Wunderbar. Lassen Sie uns also zur Sache kommen, damit wir es schnell hinter uns haben: Gestern Nacht wurde ein Mann, den wir unter dem Namen Weston Firth kennen, in einem Goldfischteich tot aufgefunden. Man hat ihn erschossen und man hat Sie am Tatort gesehen."
„Bitte?", Sams Stimme klang schrill. Er musste sich Zeit verschaffen, um zu improvisieren.
„Sind Sie Sam Mason, Privatermittler?"
„Ja, das schon, aber...".
„Kannten sie Firth oder hatten Sie einen Auftrag, der ihn betraf?"
„Ich... muss darauf kein Antwort geben", sagte Sam.
„Sie müssen nicht, wenn Sie sich dadurch selbst belasten würden", sagte Owen mechanisch.
„Wer glaubt, mich am Tatort gesehen zu haben?", fragte Sam.
„Der Eigentümer des Restaurants, zu dem der Goldfischteich gehört. Er hat sich bei uns gemeldet und zu Protokoll gegeben, dass ein Privatermittler nach seinem Kellner gefragt hatte und ihn dann beim Namen Weston Firth genannt habe, obwohl er unter einem ganz anderen Namen beschäftigt gewesen war."
„Es könnte also ein ganz anderen Privatdetektiv gewesen sein?", gab Sam zurück.
„Nun, die Beschreibung passt auf Sie, Mister Mason und unsere Ermittlungen ergeben, dass Sie sich in der letzten Nacht in der Gegend herumgetrieben haben. Einige dort ansässige Spirituosen-Händler stimmen in ihren Aussagen überein, dass Sie – ausdrücklich Sie, Samuel Mason – sich nach einem Fremden erkundigt hätten, der zufällig den gleichen Namen trug wie unsere Leiche."
„Verdammt", Sam versuchte ein gewinnendes Lächeln zu formen, „Haben Sie mich erwischt. Es stimmt, ich habe nach Firth gesucht."
„Wieso?", wollte Owen wissen. Brian hinter ihm wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Ich hatte einen Auftrag ihn betreffend. Aber seien Sie versichert, dass ich mit dem Mord nichts zu tun habe."
„Wer ist Ihr Auftraggeber in diesem Fall?"
„Ich unterliege einer beruflichen Schweigepflicht, Mister Owen."
„Es geht um Mord! Wollen Sie ein Kapitalverbrechen decken?", fragte Owen ungeduldig.
„Meine Ermittlungen bezogen sich auf ein Betrugsdelikt. Mit Mord haben weder ich noch mein Klient etwas zu schaffen, das kann ich Ihnen versichern."
Die Schweinsaugen wurden zusammengekniffen und fokussierten Sam, der versuchte gelassen dreinzuschauen.
„Ich kann Sie zum Präsidium vorladen", sagte Owen.
„Dazu brauchen Sie einen richterlichen Beschluss, wenn keine Gefahr im Verzug besteht", zitierte Sam die Dienstvorschrift.
„Man sagte mir, Sie seinen bei der New Yorker Polizei gewesen", stellte Owen fest.
„Ein weiter Hinweis darauf, dass ich diesen stümperhaften Mord nicht begangen haben kann", sagte Sam, „Ich wäre anders vorgegangen."
„So? Und wie?"
„Es ist Ihre Aufgabe, das herauszufinden. Ich sage Ihnen nur so viel: Ich bin gestern Nach dort gewesen, hatte aber nicht die Chance, mit Firth zu sprechen. Ich wurde niedergeschlagen, kurz bevor auf Firth geschossen wurde. Wenn Sie mir nicht glauben, dürfen Sie gerne meine Beule begutachten", Sam zeigte sie den Kommissaren und Owen knurrte kurz.
„Sam, bitte halte dich in nächster Zeit bereit, weitere Fragen zu beantworten. Es könnte außerdem sein, dass wir dich vorladen müssen", sagte Brian.
„Ist schon gut. Ihr macht ja nur eure Pflicht", sagte Sam und geleitet die beiden Kommissare hinaus, schloss dann die Tür hinter sich und atmete aus. Die Mühlen der Justiz arbeiteten langsam und man konnte sie mit ihren eigenen Waffen außer Gefecht setzen, doch auf die Dauer arbeiteten sie gründlich und effektiv.
Ich wartete eine halbe Stunde, beruhigte meine Nerven mit einer Zigarette und einem Scotch, dann griff ich zum Telefon.
In der Polizeizentrale verlangte ich nach Brian Shaw für ein privates Gespräch.
Brian war gerade im Präsidium angekommen und hob ab. Was ich aus ihm herausbekam, war nicht besonders wertvoll. Er meinte, er hätte gerade seinen Bericht über die ersten Untersuchungen im Mordfall Firth fertig gestellt, da sei der kleine Italiener aufgetaucht und hätte seine Aussage unterschrieben, die eine ziemlich detaillierte Beschreibung meiner Wenigkeit beinhaltete. Owen verglich den Bericht mit er Aussage des derzeit wichtigsten Zeugen und stellte fest, dass ein eklatanter Punkt im Bericht des Kommissars Shaw fehlte: Die Anwesenheit einer dritten Person in einem schäbigen Trenchcoat, der vorgegeben hatte private Ermittlungen anzustellen.
Owen wusste um die Freundschaft zwischen Brian und mir, deshalb wurde er misstrauisch und begann damit, die Nachbarschaft des Restaurants gezielt nach mir zu befragen.
Nun, er hörte schließlich, dass ich tatsächlich nach einem Mann Namens Weston Firth gesucht hatte. Die Schnapshändler kannten mich sogar beim Namen und erinnerten sich an den ungewöhnlichen Umstand, dass ich ohne etwas zu kaufen, aus ihrem Geschäft wieder verschwunden war.
Brian entschuldigte sich für das Misslingen seiner Vertuschungsaktion, doch wer hatte wirklich daran geglaubt, dass der Wirt seine Klappe halten würde?
Brian trug keine Schuld. Er hatte sich nur selbst in Schwierigkeiten gebracht, denn wenn es schlecht lief, würde man ihn wegen Behinderung von Ermittlungen und Verschleierung von Fakten drankriegen.
Dem würde die Entlassung folgen.
Hinzu kam, dass Owen nun einen Hauptverdächtigen gefunden hatte, der so verdächtig war, dass er darum bitten musste, Polizeiberichte zu fälschen.
Ich hatte es zu weit getrieben und ich schuldete Brian, dass ich seinen Job nicht noch mehr gefährdete. Ich beschloss also, ihn anzurufen, die Sache aufzuklären und alle weiteren Ermittlungen ihm und wohl oder übel Phil Owen zu überlassen.
Ich wartete eine halbe Stunde, beruhigte meine Nerven mit einer Zigarette und einem Scotch, dann griff ich zum Telefon.
In der Polizeizentrale verlangte ich nach Brian Shaw für ein privates Gespräch.
Brian war gerade im Präsidium angekommen und hob ab. Was ich aus ihm herausbekam, war nicht besonders wertvoll. Er meinte, er hätte gerade seinen Bericht über die ersten Untersuchungen im Mordfall Firth fertig gestellt, da sei der kleine Italiener aufgetaucht und hätte seine Aussage unterschrieben, die eine ziemlich detaillierte Beschreibung meiner Wenigkeit beinhaltete. Owen verglich den Bericht mit er Aussage des derzeit wichtigsten Zeugen und stellte fest, dass ein eklatanter Punkt im Bericht des Kommissars Shaw fehlte: Die Anwesenheit einer dritten Person in einem schäbigen Trenchcoat, der vorgegeben hatte private Ermittlungen anzustellen.
Owen wusste um die Freundschaft zwischen Brian und mir, deshalb wurde er misstrauisch und begann damit, die Nachbarschaft des Restaurants gezielt nach mir zu befragen.
Nun, er hörte schließlich, dass ich tatsächlich nach einem Mann Namens Weston Firth gesucht hatte. Die Schnapshändler kannten mich sogar beim Namen und erinnerten sich an den ungewöhnlichen Umstand, dass ich ohne etwas zu kaufen, aus ihrem Geschäft wieder verschwunden war.
Brian entschuldigte sich für das Misslingen seiner Vertuschungsaktion, doch wer hatte wirklich daran geglaubt, dass der Wirt seine Klappe halten würde?
Brian trug keine Schuld. Er hatte sich nur selbst in Schwierigkeiten gebracht, denn wenn es schlecht lief, würde man ihn wegen Behinderung von Ermittlungen und Verschleierung von Fakten drankriegen.
Dem würde die Entlassung folgen.
Hinzu kam, dass Owen nun einen Hauptverdächtigen gefunden hatte, der so verdächtig war, dass er darum bitten musste, Polizeiberichte zu fälschen.
Ich richtete mich darauf ein, eine längere Zeit beschnüffelt und beobachtet zu werden, ehe jemand mir irgendetwas nachwies, das mich selbst überraschen würde.
Es blieb mir nichts, als mich darum zu bemühen, dass der Mord auf die richtige Weise aufgeklärt wurde.
Ob Judith es wollte oder nicht, ich war noch nicht raus aus dem Fall. Ich musste herausfinden, wer mich niedergeschlagen hatte und warum.
Ich hatte nicht viele Anhaltspunkte, doch einer führte mich zu einer ganz speziellen Adresse. Ich beschloss, die Briefmarke zu sparen und meine Rechnung an Judith Leery persönlich vorbeizubringen.
Ich verfasste halbherzig eine Rechnung über meine Arbeit und heftete die Spesenabrechnung dahinter. Dann verließ ich mein Büro. Für heute hatten mich hier genug unangenehme Personen besucht und der Scotch war einfach zu leicht zu erreichten.
Auf der Straße pfiff ich nach einem Taxi und zeigte der Fahrerin den Zettel, den Judith mir gegeben hatte.
Wir waren eine ganz Zeit lang unterwegs. Die Taxifahrerin versuchte nicht, mich in ein Gespräch zu verwickeln, tat einfach ihren Job. Ich war ihr dankbar. Vielleicht konnte sie in meinem Gesicht lesen, dass ich weder in der physischen, noch in der psychischen Verfassung war, etwas charmantes, belangloses zu sagen.
In meinem Schädel hämmerte ein Schlagbohrer, meine Knochen beschwerten sich und meine Gedanken drehten sich um die bevorstehenden polizeilichen Ermittlungen.
Ich sah sicher schrecklich aus. Bisher hatte ich keine Gelegenheit gehabt, meine Kleidung zu wechseln. Inzwischen war sie zwar getrocknet, doch das dreckige Gefühl blieb.
Ich musste mich zusammenreißen, um nicht bei dem gleichförmigen Motorengeräusch einzuschlafen und die letzte Nacht, sowie den heutigen Morgen einfach zu vergessen.
Gerade als ich mich nicht mehr überwinden konnte und mir die Augen zu fielen, weckte mich das abrupte Bremsen des Wagens.
„Wir sind da, Mister", sagte die Fahrerin in einem sachlichen und teilnahmslosen Tonfall. Sam ärgerte sich darüber, dass sie nicht einmal Mitleid heucheln wollte.
„Was macht das?", fragte er schläfrig.
„Fünf Dollar, und die Reinigung des Beifahrersitzes", sagte die Fahrerin.
Sam wand sich auf seinem Sitz, um zu sehen, in wie fern er ihn verschmutzt hatte. Tatsächlich hatte sein Mantel getrockneten und noch halbfeuchten Schlamm auf dem Polster hinterlassen, sein Körpergesicht, hatte in hinein gerieben.
„Schicken sie die Rechnung einfach an die Dame, die hier wohnt. Ihr Name ist Mrs. Leery", sagte Sam hielt sich den Kopf und der Fahrerin einen Fünfer hin.
„Wird sie denn bezahlen?"
Sam fiel keine schlagfertige Antwort ein und brummte ein erschöpftes: „Das hoffe ich doch."
Sam stieg aus dem Wagen und betrachtete sich das Haus, in dem Judith Leery zu wohnen vorgegeben hatte.
Es war ein großer, weißer Bau, von einem Garten umgeben. An Giebelseite rankte Efeu dem Dach entgegen. Die Frontseite wirkte wie ein englisches Herrenhaus des vorigen Jahrhunderts.
Dies war nicht das schmuddelige Chicago, in dem Sam sich herumtrieb. Er befand sich in einem der westlichen Außenbezirke, wo Häuser nicht aneinanderklebten, sondern frei in einer grünen Insel standen, wo Hauseingänge von Säulen gesäumt wurden und Briefkästen im Vorgarten standen. Menschen, die hier lebten, gaben ihr Geld für Hausangestellte und Gärtner aus, besaßen zusätzlich ein kleines Haus, in dem sie ihre Wagen parkten. Es gab Terrassen, Balkone, Gartenlauben, Zierteiche.
Sam schüttelte sich beim Gedanken an letztere und stapfte geradewegs auf das Haus zu, dessen Adresse er der Taxifahrerin genannt hatte.
Eine illustre Nachbarschaft, dache Sam. Er hatte sich umgesehen und in der näheren Umgebung zumindest drei Äskulapschlagen an den Hauswänden gesehen zu haben. Was war Judith Mann noch mal von Beruf fragte er sich und erinnerte sich prompt an die Umstände seines Ablebens: Arbeitsunfall in einer Fabrik. Konnte man dort so viel Geld verdienen um solch ein Haus zu unterhalten?
Sam besah sich dar Türschild und nun war offensichtlich, dass Judith ihn gelinkt hatte. Hier wohnte ganz offensichtlich niemand. Das Haus stand leer. Es gab kein Türschild, keine Gardinen an den Fenstern. Nirgendwo brannte Licht und der Briefkasten vor dem Haus war zwar neu, aber mit Klebeband zugeklebt.
Judith Leery hatte ihn betrogen. Vielleicht hatte sie es von Anfang an vorgehabt, vielleicht war ihr aber auch die Sache mit dem Mord zu viel geworden und sie zog es vor, sich in die Anonymität zurückzuziehen. Wahrscheinlich aber, dachte Sam, hatte sie überhaupt nie das Geld gehabt, um ihn zu bezahlen.
„Wir sind da, Mister", sagte die Fahrerin in einem sachlichen und teilnahmslosen Tonfall. Sam ärgerte sich darüber, dass sie nicht einmal Mitleid heucheln wollte.
„Was macht das?", fragte er schläfrig.
„Fünf Dollar, und die Reinigung des Beifahrersitzes", sagte die Fahrerin.
Sam wand sich auf seinem Sitz, um zu sehen, in wie fern er ihn verschmutzt hatte. Tatsächlich hatte sein Mantel getrockneten und noch halbfeuchten Schlamm auf dem Polster hinterlassen, sein Körpergesicht, hatte in hinein gerieben.
„Schicken sie die Rechnung einfach an die Dame, die hier wohnt. Ihr Name ist Mrs. Leery", sagte Sam hielt sich den Kopf und der Fahrerin einen Fünfer hin.
„Wird sie denn bezahlen?"
Sam fiel keine schlagfertige Antwort ein und brummte ein erschöpftes: „Das hoffe ich doch."
Sam stieg aus dem Wagen und betrachtete sich das Haus, in dem Judith Leery zu wohnen vorgegeben hatte.
Es war ein großer, weißer Bau, von einem Garten umgeben. An Giebelseite rankte Efeu dem Dach entgegen. Die Frontseite wirkte wie ein englisches Herrenhaus des vorigen Jahrhunderts.
Dies war nicht das schmuddelige Chicago, in dem Sam sich herumtrieb. Er befand sich in einem der westlichen Außenbezirke, wo Häuser nicht aneinanderklebten, sondern frei in einer grünen Insel standen, wo Hauseingänge von Säulen gesäumt wurden und Briefkästen im Vorgarten standen. Menschen, die hier lebten, gaben ihr Geld für Hausangestellte und Gärtner aus, besaßen zusätzlich ein kleines Haus, in dem sie ihre Wagen parkten. Es gab Terrassen, Balkone, Gartenlauben, Zierteiche.
Sam schüttelte sich beim Gedanken an letztere und stapfte geradewegs auf das Haus zu, dessen Adresse er der Taxifahrerin genannt hatte.
Eine illustre Nachbarschaft, dache Sam. Er hatte sich umgesehen und in der näheren Umgebung zumindest drei Äskulapschlagen an den Hauswänden gesehen zu haben. Was war Judith Mann noch mal von Beruf fragte er sich und erinnerte sich prompt an die Umstände seines Ablebens: Arbeitsunfall in einer Fabrik. Konnte man dort so viel Geld verdienen um solch ein Haus zu unterhalten?
Sam läutete an der Haustür. Es stand kein Name an der Klingel, aber das war in diesen Kreisen ohnehin eher unüblich.
Es dauerte einige Augenblicke, bis sich die Tür öffnete und es war Judith Leery, die im rosa Bademantel und einem Handtuchturban auf dem Kopf vor Sam Mason erschien.
Ich zog den Hut vor Judith und begrüßte sie, ohne auf ihre Aufmachung groß einzugehen.
Einer Frau wie Judith war es nicht peinlich im Bademantel vor die Tür zu treten. Viel mehr legte sie es darauf an, in solche Situationen zu geraten.
Sie bat mich, einzutreten, aber ich wollte Judith nicht in eine kompromittierende Situation bringen. Also reichte ich ihr meine Rechnung und wollte mich sogleich von ihr verabschieden.
Sie blickte mich ein wenig enttäuscht an, sagte aber nichts weiter.
Drei Tage später erhielt ich ihren Scheck per Post.
Ich zog den Hut vor Judith und begrüßte sie, ohne auf ihre Aufmachung groß einzugehen.
Einer Frau wie Judith war es nicht peinlich im Bademantel vor die Tür zu treten. Viel mehr legte sie es darauf an, in solche Situationen zu geraten.
Sie bat mich einzutreten und ich folgte ihr in einen großen, weißen Flur.
„Kommen Sie mit nach oben", ich höre ihre flötende Stimme noch heute, wenn ich die Augen schließe.
Was sollte ich tun, außer ihr zu folgen?
Judith führte Sam in einen Raum, den manche Damen als „Salon" bezeichnen würden. Es war ein Vorzeigezimmer für Leute, denen man Intimität vorspielen wollte.
Die Einrichtung erschien Sam französisch, opulent und auch ein wenig kitschig.
„Man merkt, die Dame des Hauses hat Geschmack", sagte Sam, als er sich umgesehen hatte.
„Eine Dame als Hausherrin neigt zur Übertreibung", erwiderte Judith, „Aber bitte, fühlen Sie sich wie zu Hause. Machen Sie es sich bequem, aber nicht zu bequem. Sie werden verzeihen, dass ich mir zuerst etwas anziehen möchte." Mit einer fahrigen Bewegung glitt Judiths Hand in eine Schublade einer Kommode und zog ein schwarzes Notizbuch heraus. Sie nahm es mit, als sie hinter einer Tür in einem Badezimmer verschwand.
„Natürlich", sagte Sam und setzte sich in einen weißen Ledersessel neben einem Tisch, auf dem ein Glas, Eiswürfel und eine Flasche Brandy bereit standen.
Als hätte sie gewusst, dass ich auftauche, dachte Sam und schenkte sich ein.
Der Salon war nicht groß, trotzdem offen und hell. Ein großes Fenster gewährte einen Blick auf den Garten hinter dem Haus. Direkt daneben befand sich eine Glastür, die zu einem kleinen Balkon führte.
Jetzt, im Herbst, waren alle Gartenmöbel in einer überdachten Ecke gestapelt, doch im Sommer konnte man hier sicher herrliche Sonnenbäder genießen.
Der Raum besaß auch eine Bar, die aus einem Tresen, einem Spirituosenschrank und drei Barhockern bestand. Außerdem war er mit eine weißledernen Sitzgruppe ausgestattet, an der diskutiert und geraucht werden sollte, wenn hier einmal eine Party stattfand. Neben zwei Sesseln gab es ein Chaiselongue und zwei Schemel, auf denen man die Füße hochlegen konnte.
In einem Zeitschriftenständer sammelte Judith alte Zeitungen, die offensichtlich zum Anfeuern des kleinen Kamins genutzt wurden, der sich links neben Sams Sessel befand.
Wo immer sich Platz für eine Vase fand, hatte Judith Blumen drapiert, einige waren bereits welk, andere aus Stoff. Es musste ein Vermögen kosten im Spätherbst frische Blumen zu kaufen, überlegte Sam, was für eine Geldverschwendung.
Der Salon wirkte keines Falls aufgeräumt. Auf dem Chaiselongue lagen getragene Kleider, die einen süßlichen Parfumduft in der Umgebung verbreiteten, Gläser und Aschenbecher waren an Ort und Stelle stehen gelassen, wo man sie zuletzt verwendet hatte. Auf einem der Barhocker lag Judiths geöffnete Handtasche. Auf dem Tresen der Bar konnte Sam ein weiteres schwarzes Buch liegen sehen.
Erst jetzt kam es ihm komisch vor, dass Judith ihr Notizbuch mit unter die Dusche nahm. Wieso hatte sie es aus der Kommode geholt? Glaubte sie, er würde in ihrer Abwesenheit ihre Wohnung durchsuchen? Erwartete sie das von ihm, als einem Detektiv?
Ich glaube, ich wäre ein schlechter Detektiv gewesen, wenn ich nicht zumindest daran gedacht hätte, die Schubladen zu durchwühlen, aber dieses schwarze Buch lag da auf dem Tresen, als wollte es aufgeschlagen werden, als sollte es aufgeschlagen werden, von mir aufgeschlagen werden.
Ich stand auf und wankte hinüber zur Bar und betrachtete das Buch und die Handtasche.
In der Handtasche befand sich nichts, was mich interessiert hätte. Ich war zwar abgebrannt, aber nicht so sehr, um zum Dieb zu werden.
Das Buch entpuppte sich als Familienstammbuch.
Wieso lag das Familienstammbuch ausgerechnet hier, wenn Judith nicht wollte, dass ich einen Blick hinein warf?
Hinter der Badezimmertür wurde die Dusche angestellt.
Ich schlug das Buch auf und auf der ersten Seite stand zu lesen, dass es sich hierbei um das Stammbuch eines gewissen Herrn Howard Leery handelte.
Unzweifelhaft handelte es sich hierbei um Judiths verstorbenen Ehemann. Doch das Buch begann nicht mit ihm, sondern es endete mit ihm.
Bevor man das Blatt mit seinen Daten fand, musste man sich durch einen Stammbaum der Familie Leery kämpfen.
Das ansonsten vergilbte Buch wies lediglich eine einzige blütenweiße Seite auf. Das Blatt hinter Howard Leery war nachträglich eingeheftet worden. Es handelte sich um das seiner Ehefrau Judith, einer geborenen Bouvoir.
Howard Leery hingegen war der Sohn von Mortimer und Sybil Leery, wobei letztere eine geborene Johnson gewesen war. Mortimer Leery hatte eine Schwester namens Victoria, die wiederum einen Mann namens Antony Bixby geheiratet hatte und deren Reihe damit aus dem Buch verschwunden war, um Teil eines anderen, in einer anderen Familie zu werden.
Mortimers und Victorias Eltern hießen James und Eleonore und der Mädchenname der Mutter war offenbar verloren gegangen.
James Leery hatte zwei Brüder, Peter und John. Peter starb im Alter von 15 an der Grippe, John blieb Zeit seines Lebens unverheiratet.
Die Eltern der drei Jungs bildeten den Anfang des Stammbuches: Chester und Elisabeth Leery, verheiratet am 17. August 1843.
Die Blätter der einzelnen Personen enthielten Geburtsdaten, Hochzeitsdaten und Angaben über gemeinsame Kinder, deren Blätter folgten. Die Sterbeurkunden hefteten hinter den jeweiligen Blättern.
Mir fiel sofort auf, dass Howards Sterbeurkunde fehlte.
Hastig schlug ich das Buch zu, als sich die Tür öffnete, hinter der Judith vorhin verschwunden war. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass das Wasser abgestellt worden war.
„Sehr gut, Sie fühlen sich schon wie zu Hause, wie ich sehe", sagte Judith und trat auf Sam zu. Sie trug ein leichtes, weißes Seidenkleid, das für die Straße bei weitem zu gewagt gewesen wäre, Sam aber derzeit immer noch zu geschlossen vorkam.
„Ich wusste nicht, dass Sie Französin sind", sagte Sam und trat damit die Flucht nach vorne an.
„Genauso gut könnte ich Ihnen zum Vorwurf machen, Amerikaner zu sein", gab Judith zurück.
Sam nickte: „Schon gut. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich mich an Ihrem Brandy bedient habe."
„Oh nein, deshalb ist er ja da. Um unangekündigtem Besuch den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten."
„Wie kommt es, dass Sie akzentfreies Englisch sprechen?", fragte Sam plötzlich.
„Meine Mutter ist Amerikanerin. Das steht allerdings nicht in dem Büchlein. Nachdem mein Vater in Gefangenschaft kam, floh sie mit mir über Marokko nach Portugal", erklärte Judith ruhig, „Für uns war es eine leichte Sache, da meine Mutter als US-Bürgerin kein Visum beantragen musste und ich war noch minderjährig. Aber ich kann Ihnen sagen, für die meisten Flüchtlinge ist in Marokko Schluss und man bringt sie geradewegs zurück nach Paris."
„Ja, davon habe ich gehört", sagte Sam und wünschte sich, das Seidenkleid hätte weniger den Charakter einer Milchglasscheibe.
„Aber lassen Sie uns nicht davon sprechen", meinte Judith und setzte sich zu Sam an die Bar, „Darf ich Ihnen einen Drink mixen, bevor Sie mir erklären, warum Sie gekommen sind. Ich bin eine ausgezeichnete Bardame."
„Ich trinke keine Mischgetränke, aber wenn Sie einen Scotch im Haus haben...".
Judith ließ sich langsam vom Hocker herunter gleiten und schwebte hinter die Theke, wo sich offenbar ein Kühlschrank befand. Als sie wieder auftauchte, hatte sie zwei Gläser und eine Flasche Whiskey in der Hand: „Ich hoffe der tut es auch."
„Ich bin nicht wählerisch", erwiderte Sam.
Sie tranken erst einen, dann einen zweiten. Schließlich fragte Judith: „Wieso sind Sie gekommen, Sam", ihre Stimme klang tiefer, als sonst und dunkler und gefährlicher, als Sam je eine Frauenstimme gehört hatte.
„Ich wollte mir die Briefmarke sparen und Ihnen meine Rechnung persönlich bringen", sagte Sam und legte seine Addition auf den Tresen. Judith würdigte sie keines Blickes. „Aber dann ist mir eingefallen, dass ich nicht ganz zufrieden mit meiner Arbeit in diesem Fall bin und gerne noch einige Auskünfte erhalten würde", fuhr er fort, „Zumal sich nun eine Mordkommission mit Ihrer Zielperson beschäftigt, Mrs. Leery."
„Nennen Sie mich Judith", bot sie an, ging aber mit keinem Wort auf Sams Ausführungen ein.
Der Detektiv musste nachbohren: „Wer war Weston Firth wirklich und wer hat ihn aus welchem Grund ermordet?"
Judith seufzte: „Hören Sie auf damit. Wie kommen Sie darauf, dass ich nach dem Tod eines Menschen, den ich geliebt habe, derartige Fragen ertragen kann?"
„Geliebt?", Sam nahm noch einmal das Stammbuch zur Hand, „Hier steht etwas anderes."
„Seien Sie mal nicht päpstlicher als der Papst, Sam."
„Na gut, nächste Frage: Ihr verstorbener Mann arbeitete in einer Fabrik. Wie konnte er sich solch ein Haus leisten?"
„Sie werden unverschämter, je mehr sie trinken."
Sam erkannte, dass er zu weit gegangen war und stellte sein Glas vor sich auf den Tisch. Er entschuldigte sich formlich und Judith deutete ein gelangweiltes Gähnen an.
„Sie sind ein Feigling, Sam Mason", sagte sie, „ich hatte mehr von Ihnen erwartet. Aber wenn Sie gehen möchten, stehe ich Ihnen nicht im weg."
Sam lief rot an. Allein Judith Kleid verwirrte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Es war wohl besser, aus ihrer Einflusssphäre zu verschwinden, dachte er und Judith sprach es aus: „Sie tun besser daran, die kleine Jüdin zu heiraten", gab sie ihm mit auf den Weg und Sam wollte gar nicht wissen, woher Judith von Johanna wusste. Er wollte nur noch so schnell wie möglich von hier verschwinden. Er hatte es schon viel zu weit getrieben.
„Sehr gut, Sie fühlen sich schon wie zu Hause, wie ich sehe", sagte Judith und trat auf Sam zu. Sie trug ein leichtes, weißes Seidenkleid, das für die Straße bei weitem zu gewagt gewesen wäre, Sam aber derzeit immer noch zu geschlossen vorkam.
„Ich wusste nicht, dass Sie Französin sind", sagte Sam und trat damit die Flucht nach vorne an.
„Genauso gut könnte ich Ihnen zum Vorwurf machen, Amerikaner zu sein", gab Judith zurück.
Sam nickte: „Schon gut. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich mich an Ihrem Brandy bedient habe."
„Oh nein, deshalb ist er ja da. Um unangekündigtem Besuch den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten."
„Wie kommt es, dass Sie akzentfreies Englisch sprechen?", fragte Sam plötzlich.
„Meine Mutter ist Amerikanerin. Das steht allerdings nicht in dem Büchlein. Nachdem mein Vater in Gefangenschaft kam, floh sie mit mir über Marokko nach Portugal", erklärte Judith ruhig, „Für uns war es eine leichte Sache, da meine Mutter als US-Bürgerin kein Visum beantragen musste und ich war noch minderjährig. Aber ich kann Ihnen sagen, für die meisten Flüchtlinge ist in Marokko Schluss und man bringt sie geradewegs zurück nach Paris."
„Ja, davon habe ich gehört", sagte Sam und wünschte sich, das Seidenkleid hätte weniger den Charakter einer Milchglasscheibe.
„Aber lassen Sie uns nicht davon sprechen", meinte Judith und setzte sich zu Sam an die Bar, „Darf ich Ihnen einen Drink mixen, bevor Sie mir erklären, warum Sie gekommen sind. Ich bin eine ausgezeichnete Bardame."
„Ich trinke keine Mischgetränke, aber wenn Sie einen Scotch im Haus haben...".
Judith ließ sich langsam vom Hocker herunter gleiten und schwebte hinter die Theke, wo sich offenbar ein Kühlschrank befand. Als sie wieder auftauchte, hatte sie zwei Gläser und eine Flasche Whiskey in der Hand: „Ich hoffe der tut es auch."
„Ich bin nicht wählerisch", erwiderte Sam.
Sie tranken erst einen, dann einen zweiten. Schließlich fragte Judith: „Wieso sind Sie gekommen, Sam", ihre Stimme klang tiefer, als sonst und dunkler und gefährlicher, als Sam je eine Frauenstimme gehört hatte.
„Ich wollte mir die Briefmarke sparen und Ihnen meine Rechnung persönlich bringen", sagte Sam und legte seine Addition auf den Tresen. Judith würdigte sie keines Blickes. „Aber dann ist mir eingefallen, dass ich nicht ganz zufrieden mit meiner Arbeit in diesem Fall bin und gerne noch einige Auskünfte erhalten würde", fuhr er fort, „Zumal sich nun eine Mordkommission mit Ihrer Zielperson beschäftigt, Mrs. Leery."
„Nennen Sie mich Judith", bot sie an, ging aber mit keinem Wort auf Sams Ausführungen ein.
Der Detektiv musste nachbohren: „Wer war Weston Firth wirklich und wer hat ihn aus welchem Grund ermordet?"
Judith seufzte: „Hören Sie auf damit. Wie kommen Sie darauf, dass ich nach dem Tod eines Menschen, den ich geliebt habe, derartige Fragen ertragen kann?"
„Geliebt?", Sam nahm noch einmal das Stammbuch zur Hand, „Hier steht etwas anderes."
„Seien Sie mal nicht päpstlicher als der Papst, Sam."
„Na gut, nächste Frage: Ihr verstorbener Mann arbeitete in einer Fabrik. Wie konnte er sich solch ein Haus leisten?"
„Sie werden unverschämter, je mehr sie trinken."
„Deshalb trinke ich so viel", antwortete Sam und blickte Judith in die glasig gewordenen Augen.
„Er hat recht gut verdient, ja. Aber das Haus war noch lange nicht abbezahlt, als er starb."
„Sie haben also Schulden?", fragte Sam.
„Was sind schon Schulden gegen den Verlust gleich zweier geliebter Menschen?", Judith entzog sich seinem Blick und starrte nun in ihr leeres Glas, „Es geht mir finanziell ganz gut, was ziehen sie daraus nun wieder für Schlüsse, Sam?", sie hob den Kopf und sah dem Detektiv nun wieder klar und offen ins Gesicht, „Howard hat mich nicht mittellos zurückgelassen."
„Sie haben geerbt", stellte Sam fest.
„Ja, so etwas in der Art, aber lassen Sie uns von etwas anderem reden."
„Worüber wollen Sie denn reden?", fragte Sam, als er sicher war, dass er keine brauchbare Auskunft aus Judith herausbekommen konnte.
„Warum reden wir nicht zur Abwechslung mal von Ihnen, Sam?"
„Was wollen Sie denn wissen?"
„Wann werde Sie die kleine Jüdin heiraten?"
Sam war einigermaßen verblüfft: „Woher...".
„Ich wähle die Menschen, denen ich Aufträge erteile, sehr sorgfältig aus, Mr. Mason."
„Sie haben mir hinterher spioniert!", entfuhr es Sam.
„Das selbe, was Sie mit mir versuchen, nur hatte ich mehr Erfolg. Zu schade, dass es Ihr Beruf ist...".
„Sie werden nicht minder unverschämt, Judith", sagte Sam und lächelte grimmig, denn alle anderen Arten zu lächeln hatte er sich abgewöhnt.
Nach einem schockierend impulsiven Kuss bemerkte Judith trocken: „Und ich dachte, Sie hätten einen moralischen Konflikt, was solche Sachen angeht, schließlich sind Sie fest liiert."
„Die Ausmaße meiner moralischen Abgründe bedeuten nicht, dass Ihre weniger garvierend sind, Judith."
Ich war keinen Schritt weiter gekommen und dennoch hatte es sich gelohnt, Judith einen Besuch abzustatten.
Wieso wollte sie, dass ich mir das Stammbuch ansehe? Sie hatte die unangenehmen Fragen geradezu provoziert. Und das nur, um ihnen anschließend ausweichen zu müssen?
Von Judiths Telefon aus rief ich mir ein Taxi. Es war bereits dunkel und es begann wieder zu regnen.
Ich beschloss, das Büro für heute nicht mehr aufzusuchen und ließ mich zu meiner Wohnung fahren.
Ich schlief wie ein Toter in dieser Nacht und als ich am nächsten Morgen wieder aufwachte, war ich erleichtert darüber.
Es hatte sich nicht seltsam angefühlt, Judith zu küssen. Jedenfalls nicht während ich sie küsste.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich ausgelutscht und gar nicht wohl bei dem Gedanken, einer Kundin näher gekommen zu sein, als es ein professionelles Verhältnis in meinem Metier zwischen Dienstleister und Auftraggeber erlaubte.
Ich duschte und rasierte mich zu Hause. Aus irgendeinem Grund trieb mich nichts in mein Büro. Ich glaubt, dort ständig den beobachtenden Blick Phil Owens im Nacken spüren zu können.
Es waren nur wenig mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen, seit der Mord an Firth geschehen war, doch ich hatte das Gefühl schon eine halbe Ewigkeit deswegen im Dunkeln zu tappen.
Ich hatte keine Anhaltspunkte und meine Zeugen schwiegen wie ein Grab. Einen Augenblick lang erwägte ich, mein Frühstück in einem gewissen kleinen, italienischen Gasthaus einzunehmen, doch ich verwarf den Gedanken. Es wäre sehr verdächtig gewesen, dort noch mal aufzukreuzen. Sicher wurde das Restaurant observiert, denn die Erfahrung lehrte, dass Verbrecher oft den Ort ihres Verbrechens wieder aufsuchen. Sei es, weil sie glaubten noch ein paar Spuren verwischen zu müssen, aus Neugier oder Nostalgie. Wenn ich mich dort also sehen lassen würde, stiege ich auf der Verdächtigentabelle auf einen uneinholbaren Rang.
Hinzu kam, dass der Restaurantbesitzer mich erkennen würde. Er musste mir misstrauen, denn er hatte der Polizei Angaben über mich gegeben. Sicher würde er mich auch jetzt wieder verpfeifen und Geld, um ihn zum Schweigen zu bringen, besaß ich nicht. Judith hatte mich noch nicht bezahlt.
Judith. Sie blieb mir ein Rätsel, doch seit ich wusste, dass sie zur Hälfte Französin war, wunderte mich das nicht mehr. Ich bekam ihr Kleid nicht mehr aus dem Kopf und den öligen Geschmack ihres Lippenstiftes.
Keine einzige meiner Fragen hatte sie beantwortet und doch verspürte ich nicht das Bedürfnis nachzubohren. Später vielleicht. Morgen. Vielleicht.
Sam war noch nicht ganz wach, als er seine Wohnung verließ. Er taumelte mehr, als er ging. Er hatte vergessen, sein Hemd in die Hose zu stecken und seinen Mantel offen gelassen.
Um die Ankunft in seinem Büro hinauszuzögern, entschied er, sich zu Fuß zu gehen. Er hoffte, dass die kalte Morgenluft ihm einen klareren Kopf bereitete.
Er war es gewohnt, verwirrt und verkatert aufzuwachen, aber heute fühlte er sich irgendwie gut dabei. Dieses Hochgefühl wollte er nicht dadurch verlieren, dass er in seinem Büro mit der Wirklichkeit und seinen Erinnerungen konfrontiert wurde, die er nachts zu verdrängen versucht hatte.
Auf dem Weg durch die Straßen kam er an einem Kiosk vorbei und er suchte in seiner Manteltasche nach etwas Kleingeld. Es reichte gerade noch für eine Flasche Scotch. Genau das brauchte er jetzt, um die Geister der letzten Nacht und dieses unseligen Falls zu vertreiben.
Sam war noch nicht ganz wach, als er seine Wohnung verließ. Er taumelte mehr, als er ging. Er hatte vergessen, sein Hemd in die Hose zu stecken und seinen Mantel offen gelassen.
Um die Ankunft in seinem Büro hinauszuzögern, entschied er, sich zu Fuß zu gehen. Er hoffte, dass die kalte Morgenluft ihm einen klareren Kopf bereitete.
Er war es gewohnt, verwirrt und verkatert aufzuwachen, aber heute fühlte er sich irgendwie gut dabei. Dieses Hochgefühl wollte er nicht dadurch verlieren, dass er in seinem Büro mit der Wirklichkeit und seinen Erinnerungen konfrontiert wurde, die er nachts zu verdrängen versucht hatte.
Auf dem Weg durch die Straßen kaufte er sich an einem Kiosk die Tageszeitung. Es war ein Ritual. Wann immer er es einrichten konnte, wann immer er an einem Kiosk vorbei kam, investierte er ein paar Cent in eine aktuelle Zeitung, denn was man nicht von Informanten erfuhr, brachten Journalisten irgendwie in Erfahrung. Manchmal erleichterte es die Arbeit ungemein, wenn man einen Blick in die Zeitung warf. Außerdem hatte er Zeit. Derzeit gab es keinen Fall, mit dem er sich befassen musste.
Sam sperrte widerwillig seine Bürotür auf und schleppte sich hinter den Schreibtisch, der noch immer der gleiche war, wie noch am gestrigen Tage, nun jedoch abstoßend und fremd auf ihn wirkte.
Sofort hatte ihn die schlechte Laune wieder, als er bei schummrigem Licht neben einem Telefon saß, das nichts Gutes verhieß, wenn es klingelte – und das würde es unweigerlich früher oder später tun.
Der kalte Herbstwind blies durch die undichten Fenster und die Jalousien klapperten.
Es dauerte eine Weile, bis Sam sich an die Zeitung erinnerte. Er saß reglos da, als wartete er auf ein Wunder oder eine Katastrophe – auf jeden Fall auf etwas, der er nicht beeinflussen konnte. Dann zog er das Zeitungsbündel aus seiner Manteltasche und faltete es auf.
Die ersten beiden Seiten wurden beherrscht von Nachrichten aus Europa. Auf der dritten Seite stand der Wetterbericht, der eine weitere graue Woche ankündigte. Seite Nummer vier berichtete von den Börsenkursen in New York. Sam überblätterte das alles und gelangte schließlich auf Seite Nummer fünf, auf der die Todesanzeigen den regionalen Teil der Zeitung einläuteten. Sam blätterte weiter bis zur Seite acht, denn die Seiten sechs und sieben befassten sich mit Kleinanzeigen und dem Bericht über ein neues Ampelsystem in der Innenstadt, wo es bereits des Öfteren zu leichten bis mittelschweren Unfällen an Kreuzungen gekommen war.
Seite acht bot schließlich das, wonach Sam insgeheim oder unbewusst gesucht hatte. Diese Journalisten... Die fanden wirklich alles raus!
„Mutmaßlicher Eisenbahnmörder tot aufgefunden" lautete die Überschrift eines relativ kleinen Artikels, zudem es kein Foto gab, dafür aber den Untertitel: „Gestern in der Frühe wurde die Leiche eines Mannes im Zierteich eines Restaurants gefunden. Die Polizei gibt an, das Opfer habe selbst unter Mordverdacht gestanden."
Die Zeitung hatte über den Fall berichtet, doch Sam interessierte sich nicht mehr für Kriminalfälle in seiner unmittelbaren Nähe. Er hatte es sich abgewöhnt, sich in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen, wenn er nicht dafür bezahlt wurde.
Doch nun schien diese Sache zu seiner Angelegenheit zu werden. Sam rekapitulierte kurz, was er auf der Straße über den Fall des Eisenbahnmordes aufgeschnappt hatte:
Es war auf der Bahnstrecke aus Chicago Richtung Westen passiert. Es gab keine direkten Zeugen, obwohl sich die Tat mitten in einem vollbesetzten Zug abgespielt haben musste.
Man hatte eine männliche Leiche auf den Gleisen gefunden und am folgenden Tag meldeten sich einige Passagiere, die bemerkt haben wollten, dass auf ihrer Fahrt plötzlich zwei Männer verschwunden waren. Den einen identifizierte man als die Leiche, der andere wurde gesucht, da er unter dringendem Tatverdacht stand.
Sam las nun den Bericht:
„Wie der Daily Herold berichtete, fahndete die Polizei bereits seit drei Wochen nach dem mutmaßlichen Mörder eines Eisenbahnpassagiers, der am zwölften Oktober diesen Jahres tot auf den Gleisen in der Nähe den Bahnhofs West Chicago aufgefunden worden war.
Über hundert Hinweise der Bevölkerung gingen bei den Polizeistationen der Stadt ein, doch gestern konnte der mutmaßliche Mörder selbst nur noch tot aufgefunden werden. In einem Zierteich im Hof eines italienischen Restaurants wurde am Morgen des 17. Novembers die Leiche von Weston Firth aufgefunden. Die Polizei geht von einem Gewaltverbrechen aus und bittet erneut die Bevölkerung um Mithilfe.
Konkrete Verdachtsfälle gebe es derzeit nicht, jedoch könne man eine Involvierung der Maffia bisher ausschließen.
Nach Informationen des Herolds handelt es sich bei Firth um den Hauptverdächtigen im Mordfall Andrew Bixby, der nach einem Sturz aus dem fahrenden Zug erdrosselt aufgefunden wurde – wir berichteten.
Bisher konnte keine Beziehung zwischen Firth und Bixby ermittelt werden und so ist auch das Motiv für den Mord an Firth weiterhin unklar. Als gesichert gilt jedoch, dass die beiden Taten miteinander in Verbindung stehen.
Zu weiteren Auskünften ist die Polizei derzeit nicht bereit, doch wie Anwohner und andere Zeugen dem Herold berichten, war es in der Nacht, in der der Mord stattgefunden haben muss, zu einem Streit zwischen Firth, der als Kellner in besagtem Restaurant arbeitete, und einem Gast gekommen.
Zum Tathergang ist derzeit nichts weiter bekannt, doch es scheint als gesichert, dass Firth von vorne erschossen und erst danach zum Fischteich verbracht wurde.
Ob Rache an Bixby oder andere Motive bei der Tat eine Rolle spielten, ist ebenso spekulativ wie alle Annahmen zum Motiv für die Ermordung an dem unscheinbaren Bankier Andrew Bixby.
Der Besitzer des italienischen Restaurants machte gegenüber dem Herold keine weiteren Angaben: „Ich stehe noch immer unter Schock. Zuerst stritten Sie und dann fiel ein Schuss. Ich bin davon gelaufen. Ich war geradezu panisch."
Die Polizei fahndet derzeit nach einem mittelgroßen, schlanken Mann im Alter zwischen 35 und 55. Zum Tatzeitpunkt trug er einen grauen Mantel, sowie einen grauen Hut.
„In der Dunkelheit und beim schnellen, unerwarteten Ablauf der Ereignisse war es den Zeugen nicht möglich eine detailliertere Beschreibung abzugeben", meinte die Janice Dickens, Pressesprecherin im Mordfall Firth."
Ich fluchte laut auf den alten Italiener. Er hatte mir die Polizei auf den Hals gehetzt und jetzt auch noch die Presse.
Wenigstens hatte er den Journalisten nichts darüber gesagt, dass ich ihn zuvor nach Firth ausgefragt hatte. Eigentlich wunderte es mich, denn ich hielt ihn für ein geschwätziges Waschweib, das aus Kleinigkeiten falsche Schlüsse zog, und diese an die falschen Personen weiterleitete.
Doch nachdem bisher alle Spuren in Sackgassen geführt hatten, hatte ich nun einen Namen, dem ich folgen konnte.
Der Fall Andrew Bixby hatte mich kaum interessiert, obwohl er vor ein paar Wochen das Stadtgespräch Nummer eins gewesen war.
Bixby war bei einer örtlichen Bank beschäftigt gewesen und viele Leute kannten und mochten ihn offensichtlich. Er war weder besonders wohlhabend noch einflussreich. Dennoch hatte man ihn ermordet. Bei einer Zugfahrt war Bixby einem seiner Kunden aus den Bank begegnet. Dieser meldete sich später bei der Polizei, als klar war, dass Bixby tot auf den Gleisen gefunden worden war.
Ein mutmaßlicher Mörder war schnell in die Geschichte eingeflochten worden und als dann ein weiterer Eisenbahngast aussagte, Bixby zusammen mit einem Mann gesehen zu haben, der ebenfalls auf der Fahrt verschwunden sei, bestätigte sich der Verdacht, der bereits durch die Medien gegeistert war: Andrew Bixby konnte nicht durch den Sturz von einem langsam fahrenden Zug getötet worden sein. Er wurde erwürgt.
Offenbar war Firth bereits länger in diesem Fall verdächtigt worden, denn Brian erwähnte ja, dass man ihn wegen eines Tötungsdeliktes im Auge behielt.
Nun blieben also die Fragen offen: Wer war Weston Firth und warum hatte er Bixby getötet?
Bixby... Bixby, ging es Sam durch den Kopf. Er kannte Andrew Bixby nicht, denn er hatte sein Konto bei einer anderen Bank, aber dennoch glaubte er, den Namen nicht nur im Rahmen des Mordes gehört zu haben.
Bixby ist kein seltener Name, überlegte er, aber dennoch blieb er darauf fokussiert.
Er brauchte zuerst einen Drink, um auf die Antwort zu kommen, schlenderte also rüber zum Kühlschrank, fand den letzten Rest Scotch in einer Flasche und genehmigte ihn sich ohne Glas, was er eigentlich als unwürdig erachtete.
Bixby, Antony... war der Onkel von Howard Leery.
Bixby, Andrew... war – und erst jetzt erinnerte er sich an eine zuvor unleserlich erscheinende Unterschrift auf Howards und Judiths Trauschein – der Cousin Leerys und zugleich sein Trauzeuge.
Ich musste Judith darauf ansprechen. Sie wusste, wer Firth war und zwar ganz sicher keiner ihrer Liebhaber.
Ich musste mit dem Italiener sprechen, weil er vielleicht ebenfalls etwas wusste oder gesehen hatte, das er der Polizei und der Presse verschwiegen hatte.
Ich musste herausfinden, ob Bixby Familie hatte und diese nach eventuellen Feinden ausfragen.
Vielleicht musste ich auch der Bank einen Besuch abstatten, doch zunächst verspürte ich ein gewissen literarisches Verlangen.
Ich wählte die Nummer der nächsten Western Union-Dienststelle und gab eine Telegramm auf:
„Treffen uns heute 14:00 Uhr in der Bibliothek! – Sam."
Sam hatte die Nase voll von Judith Leery. Er wusste, dass sie log. Alles, was sie bisher zu ihm gesagt hatte, war gelogen und er hatte keine Lust mehr, sich für dumm verkaufen zu lassen. Vielleicht würde sie bei einem echten Polizisten weich werden.
Deshalb beschloss er, ihr diese Falle zu stellen, bestellte sie in die Bibliothek und wartete selbst mit Verstärkung durch Brian Shaw auf, der zwar ehrfurchteinflößend aber nicht angsteinflößend wirkte.
"Sie haben einen Bekannten mitgebracht?", fragte Judith kühl und distanziert.
Brian stellte sich mit Namen und Dienstrang vor und machte gerade eine joviale Geste, die Judith dazu bringen sollte, sich zu setzen. Doch sie bevorzugte es, stehen zu bleiben.
"Ich hätte nicht gedacht, dass Sie mich so hintergehen, Mister Mason!", sagte Judith stolz, drehte sich um und wollte gehen, fügte aber noch hinzu: "Und Sie", sie meinte Brian, "Sie können mich besuchen kommen, wenn Sie einen Durchsuchungsbeschluss für mein Haus haben. Vorher mache ich von meinem Recht Gebrauch, zu schweigen!"
"Aber es ist zu Ihrem Besten!", beteuerte Sam, "Wir versuchen, Ihnen zu helfen."
"Und ich versuche, meine Ruhe zu haben!", erwiderte Judith, "Und falls Sie es nicht begriffen haben, Mister Mason, ich entbinde Sie von diesem Fall! Sie haben kein Recht, weiter in meinem Privatleben herumzustochern!"
Und damit verschwand sie. Brian meinte: "Besser du überlässt uns die Ermittlungen ab jetzt."
„Na schön, ich gebe es zu", sagte Judith, als sie es nicht mehr verheimlichen konnte und ihre ursprüngliche Geschichte plötzlich unglaubwürdig, ja sogar widersprüchlich wirkte, „Ich habe Weston Firth gesucht, weil er der Mörder von Andrew war. Ich wollte ihn zur Rede stellen und...", sie stockte.
Sam schaute sie schief an: „Hältst du das nicht für sehr leichtsinnig?"
„Ja, Sam. Aber was sollte ich tun? Er wäre fort gegangen und der Mord am Cousin meines Mannes wäre ungesühnt geblieben. Er war unser Trauzeuge. Glaubst du, so etwas ließe mich kalt?", Judith schniefte und kämpfte mit den Tränen, „Und die Kommissare sind allesamt ein herzloses Pack. Niemand interessierte sich dafür, was für ein wunderbarer Mensch Andy gewesen war. Niemanden interessiert das, wie mir scheint."
„Du wolltet ihn rächen?", Sam unterdrückte ein Schmunzeln.
„Ich wollte den Mann sehen, der meinen Trauzeugen und guten Freund getötet hatte. Ich wollte ihn sehen und dann der Polizei übergeben und wissen, etwas gerechtes getan zu haben."
Sam und Judith saßen allein ein einer Lesestube der Bibliothek. Sam hatte unverblümt die Frage nach der Verbindung zwischen Firth und Bixby gestellt und es hatte Judith nicht gewundert. Es war, als hätte sie damit gerechnet, oder vielleicht als hätte sie es geplant.
„Woher kanntest du Firth' Namen?", fragte Sam, der das Gefühl hatte, eine Frau, die er einmal geküsst hatte, duzen zu dürfen.
„Du bist ein anständiger Mann, wenn du den Namen nicht kennst, Sam", erwiderte Judith, „Er war ein billiger Auftragsmörder, wie du zweifellos früher oder später herausgefunden hättest – auch ohne mich. Er hat viele ungeklärte Todesfälle auf den Gewissen und dem Bankkonto."
„Ein Auftragsmörder", wiederholte Sam skeptisch und blickte Judith schief an, „Du hast doch nicht etwa etwas mit einem Mord zu tun?"
„Ich kann mich nur wiederholen, Sam. Ich habe keine Ambitionen Menschen zu töten, die mir nahe stehen."
„Judith, ich weiß nicht, ob dir eigentlich klar ist, in was für einem Schlamassel ich stecke wegen dir! Die Polizei ist hinter mir her und sie wird auch hinter dir her sein, wenn ich ihnen deinen Namen verrate. Wenn wir beide heil aus der Sache raus kommen wollen, solltest du mit mir kooperieren und endlich aufhören in Zweideutigkeiten zu reden."
„Obwohl die meisten Zweideutigkeiten ohnehin eine eindeutige Bedeutung haben...", bemerkte Judith trocken, winkte Sam unausgesprochenen Einwand ab und fuhr fort: „Na schön, was willst du wissen?"
„Ein Auftragsmörder also... Kennst du ihn? Kennst du seine Auftraggeber?"
„Ich kenne ihn persönlich nicht, aber ich kenne jemanden, der sich nach ihm erkundigt hat."
„Ich nehme an, eine junge Dame, mit der er sich in dieser Bibliothek getroffen hat", kombinierte Sam.
„Richtig. Es handelt sich um Jane Bixby, Andys Frau."
„Seine Frau wollte Andrew Bixby ermorden lassen, verstehe ich das richtig?", fragte Sam.
„Es sieht so aus, nach allem, was ich weiß."
„Was weißt du denn, verdammt noch mal?"
Sam stand sehr unter Druck und konnte es kaum verbergen. Er schwitzte und fluchte unkontrolliert und hatte sogar Dorothy übersehen, als sie ihm beim Eintreten in die Bibliothek freundlich zugezwinkert hatte.
„Warum bist du damit nicht zur Polizei gegangen?", fragte Sam. Er war sauer, dass Judiths unlogische Entscheidung ihn in einen solchen Fall hatte hineinschlittern lassen.
„Das habe ich dir doch gesagt: Ich halte es nicht aus, ständig unter Verdacht und Beobachtung zu stehen. Kannst du dir nicht vorstellen, dass es ziemlich schwer für mich ist, erst meinen Mann und dann meinen Trauzeugen zu verlieren? Meine Nerven... Deshalb habe ich mich entschieden, mir mit Geld einen Ermittler zu leisten, der mir Firth auftreibt, ohne dass ich dafür unangenehme Verhöre und hässliche Schlagzeilen in der Zeitung ertragen muss. Natürlich konnte ich dir nicht den wahren Grund meines Auftrags verraten – du wärst ja sofort selbst zur Polizei gegangen – deshalb musste es aussehen, wie eine private Angelegenheit. Ein bisschen peinlich, damit du sie mir auch abnimmst. Bitte, Sam, halt mir die Polizei vom Hals. Ich will nur meine Ruhe. Sag ihnen, was sie wissen wollen, aber halte meinen Namen da raus. Alles, was ich wollte, war Weston Firth der Gerechtigkeit auszuliefern und da ist mir wohl einer zuvor gekommen."
Sam runzelte die Stirn: „Glaubst du, dass ihm Gerechtigkeit widerfahren ist?"
„Wenn die Polizei ihn gefasst hätte, wäre er ebenfalls getötet worden."
„Hast du etwas damit zu tun?", fragte Sam nun ganz offen, denn es ging ihm auf die Nerven wie Judith mit Tränen kämpfte – nicht damit sie drin blieben, sondern damit sie hervorquollen.
„Nein. Nein und du musst mir glauben! Ich hatte keine Ahnung, wo er sich rumtreibt. Ich wusste kaum, wie er aussah. Ich wollte ihn der Polizei überstellen. Du hättest ihn übergeben können und ich hätte dir die Belohnung ganz allein überlassen. Ich will nur meine Ruhe. Sam, ich bin müde und erschöpft. Hoffentlich hat die Sache damit ein Ende. Ich möchte nach Hause."
Ich setzte Judith in ein Taxi und ging selbst zu Fuß nach Hause.
Dorothy hatte mich beim Verlassen die Bibliothek böse angefunkelt und ich glaube, es wird Zeit, dass ich mir einen Büchereiausweis zulege – aus reiner Höflichkeit.
Ich rekapitulierte den Fall, um das Chaos in meinem Kopf zu sortieren:
Judith Bouvoir heiratet Howard Leery. Ihr Trauzeuge ist der Cousin des Ehemannes, Andrew Bixby. Dieser ist verheiratet mit einer gewissen Jane Bixby, die mir bisher noch unbekannt ist.
Howard Leery stirbt bei einem Unfall in der Fabrik, in der er arbeitet. Er und seine Frau besitzen ein großes Haus in einer guten Gegend und scheinen recht wohlhabend zu sein. Judith erbt all das, behauptet aber ebenso, Howards Schulden geerbt zu haben. Wie finanziert sie also nun ihren Lebensstandart und die Tilgung ihrer Schulden?
Zurück zu Bixby: Er wird bei einer Zugfahrt vom Wagon gestoßen. Bei langsamer Fahrt ist dies jedoch nicht tödlich und sein Mörder muss ebenfalls abspringen, um Bixby auf den Gleisen zu erdrosseln.
Man findet Bixbys Leiche und erkennt, dass er erwürgt wurde und nicht an den Folgen einen Sturzes gestorben war. Es gibt außerdem Zeugen, die Bixby in Begleitung eines mysteriösen Mannes gesehen haben wollen, der auf der Zugfahrt ebenso verschwunden sein soll wie Bixby.
Die Polizei fahndet also nach diesem Mann und kommt irgendwie auf den Namen Weston Firth.
Bevor Judith Leery in die Sache verwickelt wird und bevor Firth das Weite suchen kann, engagiert sie mich unter einem Vorwand, um Firth zu finden und der Polizei zu überstellen.
Ich finde Firth tatsächlich, werde jedoch niedergeschlagen, bevor ich ihn zur Rede stellen kann. In der Zwischenzeit wird Firth erschossen. Zeugen gibt es nicht, außer dem alten Italiener, der jedoch bereits bei der Polizei gegen mich ausgesagt hat.
Hinzu kommt, dass Judith zugegeben hat, mich bisher nach Strich und Faden belogen zu haben. Wieso sollte das nun die Wahrheit sein?
Ein bisschen peinlich, damit es glaubwürdig erscheint. Ein bisschen unglaubwürdig, damit es realistisch erscheint.
Ich trottete durch den eisigen Herbstwind und fragte mich, ob ich mich auf dem richtigen Weg befand, oder ob ich mich nicht besser der Polizei stellen und darauf hoffen sollte, dass die Justiz immer Recht hatte.
Es blieben mir zwei Personen, mit denen ich sprechen wollte, bevor Brian und sein stiernackiger Kollege mich erneut aufsuchten.
Ich brauchte ein mehrdimensionales Bild. Judiths Version für sich genommen bot mir kaum einen glaubhaften Rahmen für diese Geschichte. Ich musste noch andere Menschen anhören und ihnen die gleichen Fragen stellen.
Zunächst aber interessierte mich Judith. Ich wusste, dass ich ihr nicht trauen konnte, aber ich musste wissen, in welchem Maß ich ihr nicht trauen konnte. Ich beschloss, mich im Gebüsch in der Nähe ihres Hauses auf die Lauer zu legen.
Es gelang mir, ein halbwegs bequemes Plätzchen im Schlamm des Nachbargartens zu beziehen. Unter dem Lorbeerstrauch war es zwar feucht und kalt, aber wenigstens halbwegs windgeschützt.
Ich wartete eine Stunde und beobachtete, wie die Lichter in den Zimmern des Leery-Anwesen abwechselnd ein- und ausgeschaltet wurden. Wäre ich paranoid gewesen, hätte ich geglaubt, es handele sich um einen komplexen Code, aber vermutlich irrte Judith nur unruhig in ihrer Wohnung umher.
Erst als die Dämmerung einsetzte tat sich etwas auf der Straße. Ein Wagen fuhr vor und hielt. Ich argwöhnte, dass es ein Nachbar sein musste, der von der Arbeit nach Hause kam, doch der Insasse - ein kleiner gebeugter Mann - hielt auf Judiths Haustür zu. In der Dunkelheit erkannte ich ihn erst nicht, doch ich konnte ihn an der Haustür mit Judith sprechen hören: Es war der Italiener aus dem Restaurant und das erstaunte mich so sehr, das ich ein verblüfftes Stöhnen von mir gab.
Die Frage "Ist da wer?", meinte der Kerl sicher nur rhetorisch, denn er gab mir keine Gelegenheit sie mit einem Schweigen zu beantworten. Er trat an den Lorbeerstrauch heran und zerrte mich am Kragen heraus wie einen Klumpen Haare aus dem Abfluss.
"Das ist doch der Kerl!", rief er aus - erfreuter, als es mir lieb war.
"Sam, du hättest nicht herkommen sollen", sagte Judith von ihrer Türschwelle aus und der süßliche Tonfall gefiel mir nicht.
Ich verspürte den Druck einer auf mich gerichteten Waffe, die mich ins Haus und eine Treppe hinunter in einen Kellerraum beförderte.
Dort angekommen, erhielt ich den Befehl, mich hinzuknien und das war dann auch das letzte, was ich tat.
Ich setzte Judith in ein Taxi und ging selbst zu Fuß nach Hause.
Dorothy hatte mich beim Verlassen die Bibliothek böse angefunkelt und ich glaube, es wird Zeit, dass ich mir einen Büchereiausweis zulege – aus reiner Höflichkeit.
Ich rekapitulierte den Fall, um das Chaos in meinem Kopf zu sortieren:
Judith Bouvoir heiratet Howard Leery. Ihr Trauzeuge ist der Cousin des Ehemannes, Andrew Bixby. Dieser ist verheiratet mit einer gewissen Jane Bixby, die mir bisher noch unbekannt ist.
Howard Leery stirbt bei einem Unfall in der Fabrik, in der er arbeitet. Er und seine Frau besitzen ein großes Haus in einer guten Gegend und scheinen recht wohlhabend zu sein. Judith erbt all das, behauptet aber ebenso, Howards Schulden geerbt zu haben. Wie finanziert sie also nun ihren Lebensstandart und die Tilgung ihrer Schulden?
Zurück zu Bixby: Er wird bei einer Zugfahrt vom Wagon gestoßen. Bei langsamer Fahrt ist dies jedoch nicht tödlich und sein Mörder muss ebenfalls abspringen, um Bixby auf den Gleisen zu erdrosseln.
Man findet Bixbys Leiche und erkennt, dass er erwürgt wurde und nicht an den Folgen einen Sturzes gestorben war. Es gibt außerdem Zeugen, die Bixby in Begleitung eines mysteriösen Mannes gesehen haben wollen, der auf der Zugfahrt ebenso verschwunden sein soll wie Bixby.
Die Polizei fahndet also nach diesem Mann und kommt irgendwie auf den Namen Weston Firth.
Bevor Judith Leery in die Sache verwickelt wird und bevor Firth das Weite suchen kann, engagiert sie mich unter einem Vorwand, um Firth zu finden und der Polizei zu überstellen.
Ich finde Firth tatsächlich, werde jedoch niedergeschlagen, bevor ich ihn zur Rede stellen kann. In der Zwischenzeit wird Firth erschossen. Zeugen gibt es nicht, außer dem alten Italiener, der jedoch bereits bei der Polizei gegen mich ausgesagt hat.
Hinzu kommt, dass Judith zugegeben hat, mich bisher nach Strich und Faden belogen zu haben. Wieso sollte das nun die Wahrheit sein?
Ein bisschen peinlich, damit es glaubwürdig erscheint. Ein bisschen unglaubwürdig, damit es realistisch erscheint.
Ich trottete durch den eisigen Herbstwind und fragte mich, ob ich mich auf dem richtigen Weg befand, oder ob ich mich nicht besser der Polizei stellen und darauf hoffen sollte, dass die Justiz immer Recht hatte.
Es blieben mir zwei Personen, mit denen ich sprechen wollte, bevor Brian und sein stiernackiger Kollege mich erneut aufsuchten.
Ich brauchte ein mehrdimensionales Bild. Judiths Version für sich genommen bot mir kaum einen glaubhaften Rahmen für diese Geschichte. Ich musste noch andere Menschen anhören und ihnen die gleichen Fragen stellen.
Doch zunächst brauchte ich etwas, das die Kälte aus meinen Gliedern vertrieb. Ich nahm mir den Rest des Nachmittags frei und besuchte Pete im „Papagei".
Sam erschrak, als er von der grauen Straße in das quietschbunte Lokal stolperte. Doch es war nicht der Farboverkill sondern die Tatsache, dass Johanna am Tresen saß und an einem Fruchtcocktail nippte.
„Du siehst furchtbar aus", begrüßte Jo ihren Freund.
„Charmant wie immer", sagte Sam, als er sich neben sie setzte.
„Was ist los mir dir? Seit Tagen hört man keinen Mucks mehr von dir."
„Ich verbuche Umsatzeinbrüche, Sam. Was ist los?", meldete sich Pete zu Wort.
Sam zog den eben vor ihn hingestellten Cocktail zu sich heran und saugte geräuschvoll an seinem Strohhalm, ehe er antwortete. Es kam einer warmen Dusche, einem entspannen Wochenende oder einem Strandurlaub gleich. Er schmeckte praktisch die Sonne und das tropische Klima, das den Früchten, die in seinem Getränk zu Saft und Spirituosen verarbeitet waren, zuteil geworden war. Erst als er den Strohhalm gehen lassen musste, um zu atmen, kehrte er in die Wirklichkeit zurück: „Dieser Fall macht mich ganz krank."
„Macht er dich wenigstens auch reich?", fragte Pete und polierte ein Glas mit einem Geschirrhandtuch.
„Eher nicht, aber...".
„Geht es etwa wieder oder immer noch um diese Person vom letzten Mal?", mischte sich Johanna ein und spielte mit einem Cocktailschirmchen wie mit einem Dolch.
Sam zog die Augenbrauen hoch. Er wollte nicht schweigen und er wollte nicht lügen. Es war ihm noch nie gelungen, Jo erfolgreich anzuflunkern und wenn sie es dann herausgefunden hatte, gab es immer nur mehr Ärger, als er eigentlich gegeben hätte.
„Ich deute das als „ja", Samuel", sagte Johanna und schnaubte durch die Nase, weniger wie ein wilder Stier, sondern eher wie ein sprungbereiter Tiger im Unterholz.
„Es ist mein Job, Jo. Ich kann die Leute nicht von der Türschwelle abweisen, nur weil sie dir nicht gefallen", begann Sam und begab sich damit auf gefährliches Terrain. Johanna Cohen Widerworte zu geben, endete meistens im Treibsand.
„Ich dachte, der Fall sei erledigt", erinnerte sich Johanna.
„Das dachte ich auch, aber...".
„Ja?"
„Hör zu, die Sache ist ein bisschen komplizierter, als ich dachte und ich möchte dich nicht...", er überlegte, was er statt „in Gefahr bringen" sagen konnte, „... langweilen."
Johanna explodierte: „Bitte was? Du willst mich nicht langweilen? Vielleicht tanzt du mir deshalb in letzter Zeit so dermaßen auf den Nerven herum? Vielleicht meldest du dich deshalb seit Tagen nicht mehr bei mir? Vielleicht sorgst du deshalb dafür, dass ich nächtelang nicht schlafen kann, weil ich mir vorstelle, wie du mit irgendwelchen Flittchen Geschäfte machst und was weiß ich noch alles? Jetzt hörst du mir mal zu: Wenn du nicht auf der Stelle mit der Sprache rausrückst, kannst du zusehen wo du bleibst. Ich bin nicht auf dich angewiesen, Sam Mason!", sie machte eine Pause, aber nur um Luft zu holen, „Ich höre?"
„Was ist nur los mit dir? Seit wann bist du so eifersüchtig?", sagte Sam um Zeit zu schinden.
„Eifersüchtig? Auf wen? Ein Flittchen?"
„Nun, es hört sich fast so an", erwiderte Sam vorsichtig.
„Du missinterpretierst da etwas, Schatz", sagte Johanna plötzlich süßlich, „Ich bin nicht eifersüchtig auf diese Person, die ich noch nicht einmal kenne. Ich bin sauer auf dich und dich kenne ich ganz genau. Und das ist überhaupt, was mich so sauer macht!"
„Dass du mich kennst?", fragte Sam und spielte den Unwissenden.
„Dass ich genau weiß, dass ich dir nicht vertrauen darf! Es geht überhaupt nicht um diese Frau. Das heißt, es geht natürlich schon um sie. Aber es geht vor allem darum, dass ich dich gebeten habe, sie nicht mehr zu treffen und dir das vollkommen egal ist. Und dann kommst du hier rein und verlangst, dass man dich bemitleidet!"
„Na ja, aber...".
„Du hättest auf mich hören sollen und den Fall ablehnen. Diese Art von Frauen bringen nur Ärger."
„Du hast eben selbst zu gegeben, dass du sie nicht kennst", warf Sam ein.
„Ich erinnere mich an deine Beschreibung und das reicht mir. Außerdem hab ich da etwas von einem Mord im Kopf. Du sollst die Finger von so heißen Sachen lassen. Du bist Privatermittler und kein Kriminalkommissar mehr. Man erwartet von dir, dass du entlaufene Haustiere findest oder vielleicht mal einen Ladendieb stellst, aber du solltest dich nicht in Polizeiangelegenheiten mischen und...".
„Himmel, es geht hier doch nicht um Mord!", log Sam, „Wie kommst du denn darauf?"
„Du hast den erfolgreichen Abschluss des Fall bereits verkündet, jetzt kommst du aber hier herein, bist vollkommen meschugge und behauptest, es sei dieser angeblich bereits abgeschlossene Fall. Und außerdem Sam: Ich bin weder blind noch debil. Dein Heiratsschwindler stand heute Morgen in der Zeitung. Er ist tot aufgefunden worden."
„Jo, ich...", begann Sam, gab es jedoch auf. Normalerweise war er ein hervorragender Lügner, doch Johanna kannte ihn gut genug, um das zu wissen. Er setzte erneut an: "Jo, ich verspreche dir, die Sache von nun an, auf sich beruhen zu lassen."
Und daran hielt er sich.
Sam erschrak, als er von der grauen Straße in das quietschbunte Lokal stolperte. Doch es war nicht der Farboverkill sondern die Tatsache, dass Johanna am Tresen saß und an einem Fruchtcocktail nippte.
„Du siehst furchtbar aus", begrüßte Jo ihren Freund.
„Charmant wie immer", sagte Sam, als er sich neben sie setzte.
„Was ist los mir dir? Seit Tagen hört man keinen Mucks mehr von dir."
„Ich verbuche Umsatzeinbrüche, Sam. Was ist los?", meldete sich Pete zu Wort.
Sam zog den eben vor ihn hingestellten Cocktail zu sich heran und saugte geräuschvoll an seinem Strohhalm, ehe er antwortete. Es kam einer warmen Dusche, einem entspannen Wochenende oder einem Strandurlaub gleich. Er schmeckte praktisch die Sonne und das tropische Klima, das den Früchten, die in seinem Getränk zu Saft und Spirituosen verarbeitet waren, zuteil geworden war. Erst als er den Strohhalm gehen lassen musste, um zu atmen, kehrte er in die Wirklichkeit zurück: „Dieser Fall macht mich ganz krank."
„Macht er dich wenigstens auch reich?", fragte Pete und polierte ein Glas mit einem Geschirrhandtuch.
„Eher nicht, aber...".
„Geht es etwa wieder oder immer noch um diese Person vom letzten Mal?", mischte sich Johanna ein und spielte mit einem Cocktailschirmchen wie mit einem Dolch.
Sam zog die Augenbrauen hoch. Er wollte nicht schweigen und er wollte nicht lügen. Es war ihm noch nie gelungen, Jo erfolgreich anzuflunkern und wenn sie es dann herausgefunden hatte, gab es immer nur mehr Ärger, als er eigentlich gegeben hätte.
„Ich deute das als „ja", Samuel", sagte Johanna und schnaubte durch die Nase, weniger wie ein wilder Stier, sondern eher wie ein sprungbereiter Tiger im Unterholz.
„Es ist mein Job, Jo. Ich kann die Leute nicht von der Türschwelle abweisen, nur weil sie dir nicht gefallen", begann Sam und begab sich damit auf gefährliches Terrain. Johanna Cohen Widerworte zu geben, endete meistens im Treibsand.
„Ich dachte, der Fall sei erledigt", erinnerte sich Johanna.
„Das dachte ich auch, aber...".
„Ja?"
„Hör zu, die Sache ist ein bisschen komplizierter, als ich dachte und ich möchte dich nicht...", er überlegte, was er statt „in Gefahr bringen" sagen konnte, „... langweilen."
Johanna explodierte: „Bitte was? Du willst mich nicht langweilen? Vielleicht tanzt du mir deshalb in letzter Zeit so dermaßen auf den Nerven herum? Vielleicht meldest du dich deshalb seit Tagen nicht mehr bei mir? Vielleicht sorgst du deshalb dafür, dass ich nächtelang nicht schlafen kann, weil ich mir vorstelle, wie du mit irgendwelchen Flittchen Geschäfte machst und was weiß ich noch alles? Jetzt hörst du mir mal zu: Wenn du nicht auf der Stelle mit der Sprache rausrückst, kannst du zusehen wo du bleibst. Ich bin nicht auf dich angewiesen, Sam Mason!", sie machte eine Pause, aber nur um Luft zu holen, „Ich höre?"
„Was ist nur los mit dir? Seit wann bist du so eifersüchtig?", sagte Sam um Zeit zu schinden.
„Eifersüchtig? Auf wen? Ein Flittchen?"
„Nun, es hört sich fast so an", erwiderte Sam vorsichtig.
„Du missinterpretierst da etwas, Schatz", sagte Johanna plötzlich süßlich, „Ich bin nicht eifersüchtig auf diese Person, die ich noch nicht einmal kenne. Ich bin sauer auf dich und dich kenne ich ganz genau. Und das ist überhaupt, was mich so sauer macht!"
„Dass du mich kennst?", fragte Sam und spielte den Unwissenden.
„Dass ich genau weiß, dass ich dir nicht vertrauen darf! Es geht überhaupt nicht um diese Frau. Das heißt, es geht natürlich schon um sie. Aber es geht vor allem darum, dass ich dich gebeten habe, sie nicht mehr zu treffen und dir das vollkommen egal ist. Und dann kommst du hier rein und verlangst, dass man dich bemitleidet!"
„Na ja, aber...".
„Du hättest auf mich hören sollen und den Fall ablehnen. Diese Art von Frauen bringen nur Ärger."
„Du hast eben selbst zu gegeben, dass du sie nicht kennst", warf Sam ein.
„Ich erinnere mich an deine Beschreibung und das reicht mir. Außerdem hab ich da etwas von einem Mord im Kopf. Du sollst die Finger von so heißen Sachen lassen. Du bist Privatermittler und kein Kriminalkommissar mehr. Man erwartet von dir, dass du entlaufene Haustiere findest oder vielleicht mal einen Ladendieb stellst, aber du solltest dich nicht in Polizeiangelegenheiten mischen und...".
„Himmel, es geht hier doch nicht um Mord!", log Sam, „Wie kommst du denn darauf?"
„Du hast den erfolgreichen Abschluss des Fall bereits verkündet, jetzt kommst du aber hier herein, bist vollkommen meschugge und behauptest, es sei dieser angeblich bereits abgeschlossene Fall. Und außerdem Sam: Ich bin weder blind noch debil. Dein Heiratsschwindler stand heute Morgen in der Zeitung. Er ist tot aufgefunden worden."
„Jo, ich...", begann Sam, gab es jedoch auf. Normalerweise war er ein hervorragender Lügner, doch Johanna kannte ihn gut genug, um das zu wissen.
Jo hatte mir den Rest gegeben. Ich brachte es nicht übers Herz, ihr die Wahrheit zu sagen und so riskierte ich es, in die Wüste geschickt zu werden.
Ich verzog mich in mein Büro und begab mich in die Gesellschaft weniger wankelmütiger Freunde. Nachdem ich die neue Flasche Scotch gelehrt hatte, zertrümmerte ich sie auf dem Schreibtisch und verletzte mich dabei an der Hand. Ich verspürte kaum Schmerz und ließ die Wunde auf sich beruhen, um am nächsten Morgen eine gehörige Blutlache vom Boden wischen und eine geschwollene Hand verbinden zu müssen. Ich war nicht wehleidig, aber Johannas Szene hatte mir schon zu gesetzt.
Das Problem war vornehmlich, dass sie Recht hatte, und dennoch wäre es mir zu keinem Zeitpunkt möglich gewesen, ihrem Rat zu folgen. Sie verstand es nicht, weil ich es ihr nicht erklärte.
Jetzt herrschte erst einmal Funkstille. Vielleicht war es ganz gut so.
Ich fragte mich, ob ein Strauß Blumen die Situation etwas entschärfen konnte, glaubte aber zu wissen, dass es dazu erheblich zu spät war.
Jo und ich hatten und schon häufig gestritten, auch über Dinge, die meinen Beruf betrafen. Meistens ging es dabei um Geld, das sich nicht eintreiben ließ. Aber so wütend hatte ich sie noch nie erlebt.
Es liegt ihr etwas an mir, dachte ich zuerst. Doch nach einer durchzechten Nacht erkannte ich, dass ihr nun sicher nichts mehr an mir lag.
Soll sie Brian heiraten, überlegte ich mir. Das wäre die perfekte Rache.
Erst danach erinnerte ich mich an meine anderen Probleme, raffte meinen Mantel auf, der ebenfalls einige Blutflecken abbekommen hatte, setzte meinen Hut auf und machte mich auf den Weg zur Bibliothek.
Ich vergaß, mich zu rasieren oder mir die Zähne zu putzen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, mir liefe die Zeit davon und dass es dumm gewesen war, einen halben Tag mit Streit und Alkohol zu vergeuden.
Dorothy saß verlässlich, wie ich sie einschätzte, an ihrem Arbeitsplatz. Als hätte sie auf mich gewartet, blickte sie von ihren Karteikarten auf und musterte mich von oben bis unten. Ich musste schäbig aussehen. Noch schäbiger als sonst, doch das schummrige Licht des Bürozimmers ließ die Blutflecken auf meinem Mantel ungesehen. Dorothy arbeitete unter einer kleinen Schreibtischleuchte und es wunderte mich nicht, dass sie ihn ihrem Alter bereits eine Brille trug.
Ich bat um eine Ausgabe des Strafgesetzes dieses Bundesstaats.
Dorothy blickte mich nur kurz komisch an, drehte sich zu einem Regal hinter ihr um und zog ein Exemplar des Strafgesetzbuches hervor.
Erst als sie es zu mir herüberschob ergriff sie das Wort: „Haben Sie kein eigenes in Ihrem Büro, Herr Privatdetektiv?"
Ich musste ernsthaft überlegen und entschied mich für die Antwort: „Nein."
Dorothy lachte: „Nicht sehr gesprächig heute, was? Die Lady von neulich scheint Ihnen auf den Magen geschlagen zu sein."
„Eher auf den Kopf", erwiderte ich und blätterte fahrig in dem dicken Buch mit dem schlechten Papier.
„Wollen Sie es mir erzählen, damit Sie sich besser fühlen?", fragte Dorothy und wollte offensichtlich ausschließlich ihre Neugier befriedigen.
Wieder konnte ich nur mit „Nein", antworten, ehe ich das Gesuchte im Paragraphendschungel dieses Werkes fand.
„Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen als Nichtmitglied der Bücherei eine Servicegebühr berechnen würde?", fragte Dorothy, die verhindern wollte, dass ich allzu schnell wieder verschwand.
„Ich würde Ihnen eine Adresse nennen, an die Sie die Rechnung in meinem Namen schicken dürften", antwortete ich und wand mich zum Gehen.
„Dann seien Sie froh, dass das Gesetzbuch kein auszuleihendes Buch dieser Bibliothek ist!", rief Dorothy mir nach.
„Wieso? Sie würden auf Ihren Kosten sitzen bleiben", rief ich zurück, als ich schon wieder durch die Gänge der Bücherei in Richtung Ausgangstür schlenderte.
So wie es aussah, machte ich mich gerade auf verschiedenen Ebenen strafbar: Ich behinderte die Ermittlungen der Polizei, verschwieg ihr wichtige Informationen und deckte eine Person, die nach allen Regeln der Polizeiarbeit verdächtig war. Ich hatte außerdem in der Intimsphäre eben dieser Person herum geschnüffelt. War das schon Hausfriedensbruch? Und durften derart widerrechtlich angeeignete Informationen überhaupt vor Gericht vorgebracht werden?
Mir wurde klar, dass meine Aktion zu nichts weiter führte und entschied mich, das einzig richtige zu tun: Zur Polizei zu gehen und denen allen zu erzählen, was ich wusste. Sie würden Judith festnehmen und verhören und Judith würde den Verdacht von mir nehmen und alles würde wieder ins Reine kommen.
Dorothy saß verlässlich, wie ich sie einschätzte, an ihrem Arbeitsplatz. Als hätte sie auf mich gewartet, blickte sie von ihren Karteikarten auf und musterte mich von oben bis unten. Ich musste schäbig aussehen. Noch schäbiger als sonst, doch das schummrige Licht des Bürozimmers ließ die Blutflecken auf meinem Mantel ungesehen. Dorothy arbeitete unter einer kleinen Schreibtischleuchte und es wunderte mich nicht, dass sie ihn ihrem Alter bereits eine Brille trug.
Ich verlangte ein Telefonbuch.
Dorothy blickte mich nur kurz komisch an, bückte sich unter die Tischplatte, öffnete eine Schublade und zog ein Exemplar des städtischen Telefonbuchs heraus.
Erst als sie es zu mir herüberschob ergriff sie das Wort: „Haben Sie kein eigenes in Ihrem Büro, Herr Privatdetektiv?"
Ich musste ernsthaft überlegen und entschied mich für die Antwort: „Nein."
Dorothy lachte: „Nicht sehr gesprächig heute, was? Die Lady von neulich scheint Ihnen auf den Magen geschlagen zu sein."
„Eher auf den Kopf", erwiderte ich und blätterte fahrig in dem dicken Buch mit dem schlechten Papier.
„Wollen Sie es mir erzählen, damit Sie sich besser fühlen?", fragte Dorothy und wollte offensichtlich ausschließlich ihre Neugier befriedigen.
Wieder konnte ich nur mit „Nein", antworten, ehe ich das Gesuchte im Telefonnummernverzeichnis fand und meinen Notizblock heraus kramte, um es mir abzuschreiben.
„Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen als Nichtmitglied der Bücherei eine Servicegebühr berechnen würde?", fragte Dorothy, die verhindern wollte, dass ich allzu schnell wieder verschwand.
„Ich würde Ihnen eine Adresse nennen, an die Sie die Rechnung in meinem Namen schicken dürften", antwortete ich und wand mich zum Gehen.
„Dann seien Sie froh, dass das Telefonbuch kein auszuleihendes Buch dieser Bibliothek ist!", rief Dorothy mir nach.
„Wieso? Sie würden auf Ihren Kosten sitzen bleiben", rief ich zurück, als ich schon wieder durch die Gänge der Bücherei in Richtung Ausgangstür schlenderte.
Sam hatte keine Lust zu Fuß durch die Kälte zu wandern und stieg in eine Straßenbahn, die ihn genauso gut an sein Ziel bringen konnte wie seine Füße. Teurer zwar, dafür aber schneller und bequemer.
Das gleichförmige Rattern der Bahn machte ihn zusätzlich müde und dösig. Es dauerte nicht lange, da fielen Sam die Augen zu und als er wieder aufwachte, schüttelte ihn ein Fahrkartenkontrolleur. Sie befanden sich an der Endstation und nach einer kurzen nervösen Suche, entdeckte Sam, dass man ihn, während er geschlafen hatte, um seine Fahrkarte und seine Geldbörse erleichtert hatte.
Er hatte keine Chance und musste den Kontrolleur zu einem kleinen, düsteren Büro begleiten, wo er ihn als Schwarzfahrer bezeichnete und eine Anzeige fertig machte.
Da kam auch schon der zuständige Sicherheitsmann der Straßenbahngesellschaft, um ihn festzunehmen, denn er hatte natürlich kein Geld, um die Strafe zu bezahlen.
So endet es also, dachte er, reichlich absurd, aber wer wusste, wofür es gut war?
Während Sam die Straße entlang ging, hielt er Ausschau nach einem Taxi, das er heranwinken konnte, doch er hatte kein Glück. Er wusste ungefähr in welche Richtung er gehen musste, aber um die Adresse zu Fuß zu erreichen, würde er Stunden benötigen.
Nun, bis ein Taxi anhalten würde, blieb ihm nichts anderes übrig, als zu laufen. Es tat ihm gut und die frische Luft bewirkte eine Nüchternheit, die sein Gehirn auf Hochtouren arbeiten ließ.
Sein Fußmarsch führte ihn durch die Innenstadt und am „Papageien" vorbei. Er fühlte sich kaum versucht, einen Abstecher hinein zu unternehmen. Eine unausgesprochene Vereinbarung mit Johanna verbot es. Die kleine Bar wirkte wie eine Knallbonbon in Mitten einer Welt aus grauem Teer.
„Sam!", als hätte er auf ihn gewartet, stürzte plötzlich Pete aus seinem Laden, „Was hat das zu bedeuten?"
„Was denn?", fragte Sam und war nicht geneigt, sich ernsthaft mit Petes Problemen auseinanderzusetzen.
„Heute Morgen schließe ich meinen Laden auf, bereite alles für das Frühstücksgeschäft vor, da stürmen mir zwei Bullen die Bude und verschrecken die Gäste. Einer von ihnen faselte was von dir. Also, was soll das?"
„Was haben sie denn gesucht?", fragte Sam, der tatsächlich nicht richtig zugehört hatte.
„Na dich, du Flitzpiepe!"
„Und warum?"
„Das wollte ich eben von dir wissen! Jedenfalls haben sie meine ganzen Gäste vergrault, wollten einfach nicht abziehen, obwohl ich ihnen eindringlich zugeredet hab, dass du morgens nie bei mir frühstückst und...".
„Und jetzt sind sie weg?", fragte Sam, denn das war das einzige, was ihn wirklich interessierte.
„Wo denkst du hin? Du kommst jetzt sofort mit rein und machst der Sache ein Ende! Ich muss mein Soll erfüllen und das geht nicht, wenn den ganzen Tag die Bullerei für alle sichtbar hier herumlungert. Denk nur mal an meinen Ruf!"
Sam dachte eher an seine Freiheit, doch Pete hatte ihn schon am Arm gepackt und zog ihn nun in seine Bar.
Auf Barhockern saßen in Mantel und mit Dienstmarke am Revers Brian Shaw und Phil Owen. Sie nippten jeweils an einem Glas Mineralwasser und Owen drückte einen Zigarettenstummel aus, als er Sam zur Tür hereinkommen sah.
Die beiden Kommissare erhoben sich und traten auf den Privatermittler zu: „Guten Tag Mister Mason."
„Guten Tag", erwiderte Sam. Sie schüttelten sich nicht die Hände.
„Haben Sie ein wenig Zeit, um uns aufs Revier zu begleiten?", fragte Owen formell.
„Nein", antwortete Sam.
„Das ist bedauerlich", meinte Owen und zerrte Sam hinaus auf die Straße.
Brian bezahlten bei Pete die Rechnung für vier Gläser Mineralwasser und folgte schließlich seinem Kollegen, der seinen Freund soeben in den Streifenwagen bugsierte, der um die Ecke geparkt stand.
Es war ihm unangenehm, dass die Leute auf der Straße das Theater mit ansehen mussten und es tat ihm leid für Pete, der in der nächsten Zeit von der einschlägigen Kundschaft gemieden werden würde.
Und auch Brian selbst war nun im Viertel als Polizist bekannt. Er hatte es immer vorgezogen in zivil zu ermitteln, ohne Streifenwagen und unter strikter Trennung zwischen privatem und beruflichem Leben. Nur wenige seiner flüchtigen Bekanntschaften wussten überhaupt, welchem Beruf er nachging und keiner seiner Kollegen kannte seine Freizeitaktivitäten. Nun würde es sich bald herumgesprochen haben, dass Brian, ein kaltschnäuziger Polizist, einen seiner besten Freunde aus seiner Stammkneipe heraus hatte verhaften lassen.
Und der Gedankengang würde sich als gar nicht so falsch erweisen. Brian war ein kaltschnäuziger Polizist – nicht so erbarmungslos wie Phil, aber er gefiel sich in der Rolle des bösen Bullen. Genau das war es, das ihm nun ein schlechtes Gewissen und eine gewisse Zukunftsangst einhauchte. Er spielte seine Rolle perfekt im Rahmen des Polizeireviers und vor Leuten, die ihn privat nicht kannten und er glaubte, dass seine Fassade bröckeln könnte, wenn Leute, die ihn als fröhlichen Thekengast schätzten, nun davon erfuhren, wie er sein Geld verdiente. Und dies war Chicago.
Brian schlich zum Streifenwagen. Heute musste er den guten Bullen spielen. Sam würde es ihm nicht abnehmen, er kannte die Tricks selbst zu genau. Die Aktion war zum Scheitern verurteilt, er wusste es und er wagte es nicht, Phil da hinein zu reden. Phil war der Chef. Phil hatte den Plan.
Sam saß hinter einem Gitter auf dem Rücksitz. Er schwieg, obwohl es ihm schwer fiel, nicht zu protestieren. Auch Brian musste sich zwingen, sich nicht zu entschuldigen, zu versuchen die Wogen zu glätten, die vom Fahrersitz nach hinten zu schwappen drohten. Doch auch Phil schwieg, er lief rot an.
Die Fahrt zum Revier dauerte nicht lange, doch allen Beteiligten kam sie wie eine Ewigkeit vor, die sie auf glühenden Kohlen barfuß verbringen mussten.
Sam ließ sich nicht führen, was Phil insgeheim als Widerstand gegen die Staatsgewalt verbuchte. Er konnte jedoch nichts gegen dieses respektlose Verhalten unternehmen, da Sam brav die Treppen zum Haupteingang des alten, grauen und Ehrfurcht gebietenden Gebäudes hinaufstieg und keine Anstalten zur Flucht machte.
Räume, in denen Verhöre stattfanden, sahen in allen Städten gleich aus: Ein Tisch, drei Stühle, ein Aschenbecher, ein quadratischer Kellerraum, dessen einzige Lichtquellen eine staubige Glühbirne und ein vergittertes Fenster darstellten, das von hier unten unerreichbar hoch oben angebracht zu sein scheint, sich in Wirklichkeit aber auf gleicher Höhe mit den Schuhsohlen auf dem Bürgersteig draußen befand.
Man setzte sich und zündete sich Zigaretten an: Runde 1.
Sam und Phil mochten sich nicht, was bedeutete, dass sie fast alles von einander wussten. Phil hatte gewusst, dass Sams Stammlokal der „Papagei" gewesen war. Phil hatte gewusst, dass er mit Brian recht gut bekannt war. Phil hatte gewusst, dass Sam auf eigene Faust zu ermitteln begonnen hatte. Er brauchte nicht lange zu recherchieren. Sam war nicht besser als ein gewöhnlicher Gauner und wie deren Gehirne funktionierten, wusste er bereits.
Phil kannte auch Sams Lebenslauf, er hauchte Sam seine Einschätzung dessen zusammen mit einem Nikotinschwaden ins Gesicht: „Heutzutage bekommt jedes Gesinde eine Lizenz, um sich Detektiv zu nennen."
Sam schwieg und musste sich darauf konzentrieren nicht vor Lachen zu prusten.
Auch Sam kannte Phil Owen und es wunderte ihn nicht, dass sein Gesicht nun in Genugtuung getränkt war, als er hinzufügte: „Von der Bestechlichkeit zum Mord ist es nur ein kleiner Schritt, nicht wahr?"
Sam mochte es, Menschen mit Tieren zu vergleichen. Sich selbst stelle er sich gerne als listige Eidechse vor. Johanna bezeichnete er als Schäfchen, was diese neben so vielen anderen Sachen hasste. Judith hatte etwas von einem Stachelschwein und Brian von einem dieser putzigen Waschbären, die zwar aussehen wie Schwerverbrecher, mit Charme und Naivität aber jedes Herz erwärmen konnten.
Aber für Phil Owen fand er keine schmeichelnde Entsprechung in der bekannten Fauna. Er war und blieb ein Frosch. Keiner dieser grünen Grasfrösche, die harmlos in abgelegenen Biotopen lebten. Phil erinnerte eher an einen roten Pfeilgiftfrosch aus dem Südamerikanischen Dschungel, deren Sekret die Eingeborenen zur Jagd verwenden. Solch ein Frosch bedeutet entweder den Tod oder sie garantiert dem Jäger eine angemessene Beute. Es kam nur darauf an, in welcher Rolle man steckte, wenn man Phil gegenübertrat. Der Polizeidirektor schätzte seine Arbeit und ihn als gewissenhaftes und verbissenes Organ der inneren Sicherheit. Diejenigen, die er verfolgte, fürchteten und verabscheuten ihn.
Jetzt war sein pfeilgiftfroschrotes Gesicht auf mich gerichtet. Als er mich ansprach, konnte ich nicht anders, als zu kichern: Er quakte.
„Ich nehme an, Sie lesen Zeitung", fragte Phil, als er realisierte, dass ich auf seine Beleidigungen nicht antworten würde.
„Meistens nur, um das Kreuzworträtsel zu lösen", erwiderte ich.
„Und? Haben Sie das heutige Rätsel gelöst?", fragte Owen und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
„Erwarten Sie, dass ich Ihnen helfe?"
„Es wäre in Ihrem Sinne", knurrte Phil und meinte nicht Belohnung sondern das Vermeiden von Strafe.
„Nein, ich habe es nicht gelöst", sagte ich leichthin und es war die Wahrheit. Ich hasste Kreuzworträtsel.
„Andrew Bixby", sagte Owen und lehnte sich nun wieder nach vorne, um sich auf mich zu konzentrieren.
„Ermordet durch Erdrosseln. Auf den Bahngleisen gefunden. Ich nehmen an, da könnten Sie auch jeden anderen auf der Straße fragen. Die meisten Leute, die sich für Straßenklatsch interessieren, wissen mehr als ich."
„Das entspricht nicht Ihrem Berufsbild", meinte Owen und winkte ab, „Firth hat ihn erdrosselt. Soviel wissen Sie doch wohl auch schon?"
„Weiß ich das?"
„Sie wissen es jetzt. Was fällt Ihnen dazu ein?"
„Sollte mir etwas einfallen, wenn ich eine solche Geschichte höre? Tragisch, aber was habe ich damit zu tun?"
Es wunderte mich, dass Phil im Verhörspiel solche rudimentären Anfängerfehler beging.
„Sie haben nach ihm gesucht. Sie haben ihn gefunden, ehe wir ihn fanden. Wie kam es dazu?"
„Wie meinen Sie das?", ich stellte mich dumm.
„Wer war Ihr Auftraggeber und welche Informationen haben Sie von ihm erhalten?"
„Ah, jetzt verstehe ich. Sie glauben, da wollte jemand Rache üben und der Justiz zuvorkommen. Oder ihr die Arbeit abnehmen? Und Sie glauben, dass ich diesen jemand kenne?"
Owen setzte seinen giftigsten Blick auf, Brian rollte mit den Augen.
„Hören Sie, Sie können mich hier nicht festhalten, nur weil ich zufällig Zeuge eines Gewaltverbrechens hätte sein können, wenn ich nicht kurz zuvor niedergeschlagen worden wäre."
„Sie haben nach ihm gesucht, das haben Sie zuvor Shaw erzählt", vor Phils Lippen bildetet sich langsam Schaum.
„Betriebsgeheimnis. Wo kämen wir denn hin, wenn ich Daten meiner Klienten einfach ausplaudern würde, nur weil ein stiernackiger Kommissar mir auf den Pelz rückt und mir seinen Speichel ins Auge spuckt? Das lernt man im ersten Ausbildungsjahr", ich wischte mir mit einer fahrigen Geste Phils Aussprache aus dem Auge und klopfte mit einer Zigarette auf den Tisch. Brian verstand das Zeichen und reichte mir eine Schachtel Streichhölzer aus seiner Tasche.
„Wenn ich Sie vor Gericht lade, werden Sie aussagen. Ich wollte es Ihnen nur etwas leichter machen, Mason."
„Tatsächlich? Und ich dachte schon, Sie wollten es sich selbst leichter machen. Wie dem auch sei. Ich würde mir wünschen, bis zur Gerichtsverhandlung nicht mehr belästigt zu werden."
Ich stand auf und machte einen Schritt zur Tür hin.
„Sie sind unverschämt, Mister Mason", sagte Owen und wenn ich mich nicht täuschte schwang ein Quantum Anerkennung mit.
„Sie sind ein Anfänger", sagte ich.
„Vielleicht können wir etwas von Ihnen lernen, wenn wir Ihnen folgen, Mister Mason", erwiderte Owen.
„Davon möchte ich abraten. Mein Einfluss verdirbt die Menschen."
Jetzt war sein pfeilgiftfroschrotes Gesicht auf mich gerichtet. Als er mich ansprach, konnte ich nicht anders, als zu kichern: Er quakte.
„Ich nehme an, Sie lesen Zeitung", fragte Phil, als er realisierte, dass ich auf seine Beleidigungen nicht antworten würde.
„Meistens nur, um das Kreuzworträtsel zu lösen", erwiderte ich.
„Und? Haben Sie das heutige Rätsel gelöst?", fragte Owen und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
„Erwarten Sie, dass ich Ihnen helfe?"
„Es wäre in Ihrem Sinne", knurrte Phil und meinte nicht Belohnung sondern das Vermeiden von Strafe.
„Nein, ich habe es nicht gelöst", sagte ich leichthin und es war die Wahrheit. Ich hasste Kreuzworträtsel.
„Andrew Bixby", sagte Owen und lehnte sich nun wieder nach vorne, um sich auf mich zu konzentrieren.
„Ermordet durch Erdrosseln. Auf den Bahngleisen gefunden. Ich nehmen an, da könnten Sie auch jeden anderen auf der Straße fragen. Die meisten Leute, die sich für Straßenklatsch interessieren, wissen mehr als ich."
„Das entspricht nicht Ihrem Berufsbild", meinte Owen und winkte ab, „Firth hat ihn erdrosselt. Soviel wissen Sie doch wohl auch schon?"
Es hatte keinen Sinn, zu lügen. Also erzählte ich Phil und Brian alles, was ich wusste, in der Hoffnung, Brian würde ein gutes Wort für mich einlegen und dafür sorgen, dass sie mich laufen ließen. Aber Brian hatte bei diesem Verhör nichts zu sagen und am Ende beschloss Phil: "Wir werden Sie hier behalten, Mr. Mason. Ich kann es nicht zulassen, dass Sie in unseren Ermittlungen herumpfuschen und alle Spuren verwischen. Sie haben genug Schaden angerichtet, als dass es als Behinderung einer polizeilichen Aktion durchgeht."
Und so machte ich Bekanntschaft mit den relativen Annehmlichkeiten einer Zelle für Untersuchungshäftlinge. Mein Wissen darum, dass ich mir nichts zu Schulden hatte kommen lassen, hielt mich aufrecht. Brian und Phil würden den Fall schon aufklären und dann müssten sie mich laufen lassen.
Jo hatte mir den Rest gegeben. Ich brachte es nicht übers Herz, ihr die Wahrheit zu sagen und so riskierte ich es, in die Wüste geschickt zu werden.
Ich verzog mich nach Hause und legte mich ins Bett. Dort blieb ich für den Rest des Tages und die Nacht. Vielleicht habe ich geweint. Vielleicht habe ich meine Situation überdacht. Vielleicht war ich alt geworden. Vielleicht sehnte ich mich nach einem ruhigen Leben, einer Ehefrau, vielleicht sogar Kindern. Und es war Jo, mit der ich mich vorstellte, alt zu werden, nicht Judith.
Ich musste sie vergessen. Ich musste aufhören, mich von dieser Geschichte vereinnahmen zu lassen und wieder anfangen, mein eigenes Leben zu vereinnahmen.
Ich beschloss also, Jo einen Blumenstrauß zu besorgen und sie um Verzeihung zu bitten. Und zum Zeichen dafür, dass ich es ernst meinte, wollte ich Judith Leery vollkommen aus meinen Gedanken herausstreichen. Sollte die Polizei sich um sie kümmern. Oder die Mafia. Oder wer auch immer hinter ihrer Verwandtschaft her war.
Ich musste Judith darauf ansprechen. Sie wusste, wer Firth war und zwar ganz sicher keiner ihrer Liebhaber.
Ich musste mit dem Italiener sprechen, weil er vielleicht ebenfalls etwas wusste oder gesehen hatte, das er der Polizei und der Presse verschwiegen hatte.
Ich musste herausfinden, ob Bixby Familie hatte und diese nach eventuellen Feinden ausfragen.
Zuerst aber entschied ich mich, zur Bank zu gehen und mich dort bei Bixbys Kollegen über den Toten zu informieren.
Leider erhielt ich dazu keine Gelegenheit, denn just als ich mich in die Schlange der Wartenden vor dem Kassenschalter einreihte, erschallte von weiter hinten der Ruf: "Alle auf den Boden, das ist ein Überfall!"
Sam tat wie geheißen, ließ sich auf den Boden fallen und fühlte sich mies, entwürdigt und verspürte zudem einen deutlichen Schmerz an seinem linken Rippenbogen. Er hatte sich auf seine Waffe fallen lassen, wurde ihm bewusst und noch bevor er sich fragen konnte, ob der Revolver gesichert war, ging er auch schon los und eine Kugel durchschlug erst seine Lunge und schließlich sein Herz.
Sam hatte keine Lust, es hier zu einem Geiseldrama kommen zu lassen. Er griff in die Innentasche seines Mantels nach seinem Revolver und noch ehe er überhaupt einen Blick auf die Bankräuber werfen, geschweige denn zielen, konnte, war er schon von deren Kugeln durchsiebt worden.
Sam wusste nicht, warum er sich überhaupt noch dafür interessierte. Es gab einige Theorien, aber für ihn keine Möglichkeiten sie zu prüfen. Alles, was er sich vorstellte, waren am Ende des Tages nichts weiter als Spekulationen - teils wild, teils langweilig.
Weston Firth konnte ein Betrüger sein, dem seine Bank auf die Schliche gekommen war. Er konnte Bixby im Affekt getötet haben - nach einem Streit um einen Fensterplatz im Zug zum Beispiel. Er konnte ein Auftragskiller sein. Oder ein Sündenbock.
Sam verspürte keine Ambitionen seine Nase noch tiefer in die Geschichte hinein zu graben, es konnte nur schlecht für ihn ausgehen. Und Geld verdiente er weder damit noch mit seinen Phantasiegeschichten. Die Wahrheit war: Er kannte Weston Firth nicht. Er hatte nie mit ihm gesprochen und ihren Auftrag hatte Judith Leery offiziell für erledigt erklärt. Es tat überhaupt nichts zu Sache, wer Weston Firth war und manche Fragen blieben eben bis zum Ende und darüber hinaus unbeantwortet. Das war es, was das Leben ausmachte und Sam sah dies als eine Möglichkeit an, um zu lernen, damit zu leben.
Ich fluchte laut auf den alten Italiener. Er hatte mir die Polizei auf den Hals gehetzt und jetzt auch noch die Presse.
Ich beschloss, dass ich dem ein Ende setzen musste und rief in der Redaktion des Heralds an, um ihnen einen Deal anzubieten: Insiderinformationen gegen die Möglichkeit, mich zu dem Verdacht gegen mich öffentlich zu verteidigen.
Natürlich wurde mein Vorschlag begeistert begrüßt. Ein Reporter, der einen Scoop wittert, ist in etwa so vernünftig wie ein Detektiv, der sich mit einer leicht bekleideten Judith Leery konfrontiert sieht.
Ich sollte so schnell wie möglich vorbei kommen, bat man mich und ich machte mich auf den Weg - hoffnungsvoll, meinen Kopf möglichst elegant aus der Schlinge ziehen zu können. Umso größer war schließlich meine Enttäuschung, als im Empfang des Redaktionsgebäudes nicht der Chefredakteur, sondern etwa zwanzig Polizisten auf mich warteten und mit gezückter Waffe begrüßten.
Vielleicht war ein Bericht über eine erfolgreiche Verhaftung eines mutmaßlichen Mörders in der eigenen Redaktion der größere Scoop, als die mutmaßlichen Lügen eines Verdächtigen. Ich schwor mir jedenfalls, nie wieder auch nur ein Wort von dem zu glauben, was in einer Zeitung abgedruckt wurde.
Es hatte sich nicht seltsam angefühlt, Judith zu küssen. Jedenfalls nicht während ich sie küsste.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich ausgelutscht und gar nicht wohl bei dem Gedanken, einer Kundin näher gekommen zu sein, als es ein professionelles Verhältnis in meinem Metier zwischen Dienstleister und Auftraggeber erlaubte.
Ich duschte und rasierte mich zu Hause. Aus irgendeinem Grund trieb mich nichts in mein Büro. Ich glaubt, dort ständig den beobachtenden Blick Phil Owens im Nacken spüren zu können.
Es waren nur wenig mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen, seit der Mord an Firth geschehen war, doch ich hatte das Gefühl schon eine halbe Ewigkeit deswegen im Dunkeln zu tappen.
Ich hatte keine Anhaltspunkte und meine Zeugen schwiegen wie ein Grab. Ich entschied mich, mein Frühstück in einem gewissen kleinen, italienischen Gasthaus einzunehmen. Ich wollte den Restaurantbesitzer zur Rede stellen und ihm vielleicht noch ein paar Informationen zu entlocken.
Als ich vor dem Restaurant stand, stellte ich jedoch fest, dass es geschlossen war. Seltsam, dachte ich, hatte der Besitzer nicht gesagt, das Frühstücksgeschäft sei das einzige, was ihn derzeit über Wasser hielt?
Ich zuckte mit den Achseln und wollte mich schon abwenden, als mir jemand nachrief: "Hey, Schnüffler! Was wollen Sie hier?"
Ich suchte nach der Quelle des Rufes, konnte aber niemanden entdecken.
"Wir wollen dich hier nicht!"
"Wer ist da?", rief ich verzweifelt zurück, aber der italienische Akzent hatte es mir längst verraten: Ich war mitten in eine Auseinandersetzung der Mafia geraten und von dort kam man nicht so einfach wieder lebendig davon. Irgendwo in den Büschen wartete ein Heckenschütze, da war ich mir sicher, und er würde mich nicht gehen lassen, um jemand anderem davon zu erzählen.
"Ich bin unbewaffnet!", versicherte ich, aber es nutzte nichts, denn schon hörte ich von irgendwoher einen Schuss und es dauerte nur den Bruchteil eines Augenblicks, bis ich spürte, wo er einschlug.
Ich war keinen Schritt weiter gekommen und dennoch hatte es sich gelohnt, Judith einen Besuch abzustatten.
Wieso wollte sie, dass ich mir das Stammbuch ansehe? Sie hatte die unangenehmen Fragen geradezu provoziert. Und das nur, um ihnen anschließend ausweichen zu müssen?
Von Judiths Telefon aus rief ich mir ein Taxi. Es war bereits dunkel und es begann wieder zu regnen.
Ich beschloss, mich zu meinem Büro fahren zu lassen, um mir dort in Ruhe noch einmal den Fall durch den Kopf gehen zu lassen. Unglücklicherweise blieb ich nicht lange allein und eine große, dunkle Gestalt drückte sich vor meiner Bürotür herum. Da ich das Licht brennen hatte, konnte ich meine Anwesenheit nicht verleugnen und musste den Besucher einlassen.
Es war Phil Owen in Begleitung eines süffisanten Lächelns und eines Haftbefehls gegen mich. "Dringender Tatverdacht in einem Mordfall und Fluchtgefahr", erklärte er mir, was ich ohnehin schon geahnt hatte. Ich leistete keinen Widerstand bei meiner Festnahme und hoffte lediglich auf ein faires Verfahren.
Ich wollte das Buch nicht hier untersuchen. Judith konnte jeden Augenblick zurück kommen. Bücher und Papier brauchen Zeit, bis man ihnen all ihre Geheimnisse entlockt hat und ich wollte mich außerdem nicht beim Schnüffeln erwischen lassen.
Ich griff also blitzschnell nach dem Buch und steckte es in die Innentasche meines Mantels.
Sofort ging quietschend die Badezimmertür auf und Judith Leery kehrte zurück. Ich dachte: "Gott sei Dank, erwischt sich mich nicht beim Blättern in ihrem Buch!" und lobte mich schon für mein Umsicht, da sagte Judith: "Misstrauen Sie mir etwa, Mr. Mason? Oder sind Sie einfach nur ein ganz gewöhnlicher Kleptomane?"
"Ich verstehe nicht...", stotterte ich.
"Sie haben das Buch genommen. Sie konnten nicht widerstehen. Leugnen Sie es nicht, ich habe Sie durch das Schlüsselloch beobachtet. Sie sind mir vielleicht ein lausiger Ermittler!"
"Sie meinen das war ein Test?", brachte ich hervor.
"Und Sie sind durchgefallen, Mr. Mason. Ich möchte, dass Sie mein Haus verlassen und alles diesen Fall betreffend vergessen, wenn Sie nicht möchten, dass Ihnen eine Anzeige wegen Diebstahl und sexueller Nötigung ins Haus flattert!"
Judith Leery klang sogar noch abgebrüht, wenn sie außer sich war und ich beschloss, mich nicht weiter mit ihr anzulegen. Ich hatte einen Fehler begangen, zog das Buch wieder hervor, legte es zurück auf seinen Platz und schlicht mich wie ein geprügelter Hund davon.
Judith führte Sam in einen Raum, den manche Damen als „Salon" bezeichnen würden. Es war ein Vorzeigezimmer für Leute, denen man Intimität vorspielen wollte.
Die Einrichtung erschien Sam französisch, opulent und auch ein wenig kitschig.
„Man merkt, die Dame des Hauses hat Geschmack", sagte Sam, als er sich umgesehen hatte.
„Eine Dame als Hausherrin neigt zur Übertreibung", erwiderte Judith, „Aber bitte, fühlen Sie sich wie zu Hause. Machen Sie es sich bequem, aber nicht zu bequem. Sie werden verzeihen, dass ich mir zuerst etwas anziehen möchte." Mit einer fahrigen Bewegung glitt Judiths Hand in eine Schublade einer Kommode und zog ein schwarzes Notizbuch heraus. Sie nahm es mit, als sie hinter einer Tür in einem Badezimmer verschwand.
Sam verstand ihren neckisch wippenden Gang als Aufforderung, ihr auch dorthin zu folgen und so trottete er ihr hinterher wie ein treudoofer Straßenköter. Er konnte den Verlockungen und dem Duft einer Frau nicht widerstehen, wenn sie ihn sogar einlud. Sam war und blieb ein Privatdetektiv und damit von Natur aus neugierig.
Zu neugierig, wie sich herausstellte, denn hinter der Badezimmertür wartete Judith auf ihn - nicht mit einem sinnlichen Bad für zwei, sondern mit einem Revolver in der Hand und den Worten: "Du willst zu viel und lässt nicht locker, das ist dein Problem Samuel Mason!"
Ich verfasste halbherzig eine Rechnung über meine Arbeit und heftete die Spesenabrechnung dahinter. Dann verließ ich mein Büro. Für heute hatten mich hier genug unangenehme Personen besucht und der Scotch war einfach zu leicht zu erreichten.
Die Gegend, in der Judiths Adresse lag, war mir vage bekannt und deshalb wollte ich das Geld für ein Taxi sparen, indem ich die Straßenbahn nahm. Ich hoffte, so auch eventuelle polizeiliche Verfolger abschütteln zu können.
Das gleichförmige Rattern der Bahn machte mich müde und dösig. Es dauerte nicht lange, da fielen mit die Augen zu und als ich wieder aufwachte, schüttelte mich ein Fahrkartenkontrolleur. Wir befanden uns an der Endstation und nach einer kurzen nervösen Suche, entdeckte ich, dass man mich, während ich geschlafen hatte, um meine Fahrkarte und meine Geldbörse erleichtert hatte.
Ich hatte keine Chance und musste den Kontrolleur zu einem kleinen, düsteren Büro begleiten, wo er mich als Schwarzfahrer bezeichnete und eine Anzeige fertig machte.
Zu allem Elend hatte sich der Zettel mit Judiths Adresse, sowie die Rechnung, die ich ihr ausgestellt hatte, in meiner Geldbörse befunden und ich erinnerte mich zwar noch an den Namen ihres Viertels und ihrer Straße, aber bei Hausnummern, die bis in die Tausender gehen, würde es mir schwerfallen, allein durch das Lesen der Türschilder ihre Wohnung ausfindig zu machen.
Aber da kam auch schon der zuständige Sicherheitsmann der Straßenbahngesellschaft, um mich festzunehmen, denn ich hatte natürlich auch kein Geld, um die Strafe zu bezahlen.
So endet es also, dachte ich, reichlich absurd, aber wer wusste, wofür es gut war?
Ich bin kein Mensch der zum Grübeln neigt. Es nutzt nichts verschiedene Möglichkeiten durchzugehen, wenn es die äußeren Faktoren sind, die dein Schicksal bestimmen. Das Leben ist keine Schachpartie.
Der Morgen war gelaufen. Ich hatte die Zeitung gelesen, drei Zigaretten geraucht und den Scotch schweren Herzens zurück in den Kühlschrank gestellt. Es gehörte sich einfach nicht, vor dem Mittagessen schon betrunken zu sein.
Weston Firth war tot. Ich fragte mich, was ich davon halten sollte. Hatte er wirklich Schulden gehabt? In italienischer Gesellschaft konnte man schnell in derartige Schwierigkeiten geraten.
Er hatte unter Mordverdacht gestanden. Vielleicht war es Rache.
Ich fragte mich, was Judith damit zu tun hatte, immerhin hatte sie mich nach ihm suchen lassen. Aber vielleicht war es besser, wenn es mich nicht weiter interessierte.
Ich neigte nicht dazu, Spekulationen anzustellen, denn ich bevorzugte Fakten und Wahrheiten. Noch mehr aber bevorzugte ich, am Leben zu bleiben, deshalb schleppte ich mich hinüber zu Jos Büro, wo ich ihr gestand, dass sie Recht gehabt hatte und ich den Fall lieber aufgeben wollte, als in etwas hinein zu geraten, das mir irgendwann den Schädel völlig demolieren würde.
Jo hielt das für vernünftig und erklärte sich bereit, mir ein Taxi zum nächsten Krankenhaus zu bezahlen, wo sie mich für ein paar Tage zur Beobachtung da behalten lassen wollten.
Die ganze Geschichte wurde Sam langsam zu heiß. Um sich mit Schlägern auseinanderzusetzen bezahlte Judith nicht genug - obwohl sie schon sehr gut bezahlte.
Er entschied sich, den Fall abzugeben und seine Bürgerpflicht wahrzunehmen, die Polizei einzuschalten. Es war nur vernünftig, denn immerhin könnten noch andere Leute durch diesen irren Schläger gefährdet werden.
Sam stolperte zur nächsten Polizeiwache und legte den Fall dar. Mitten in der Nacht traf er dort jedoch nur einen einbeinigen Veteranen vor, der die Stellung hielt. Sam wollte bis zum Morgen warten - es würde sowieso nur noch wenige Stunden bis zum Morgengrauen dauern und wenn er sich in eine Ausnüchterungszelle sperren ließ, bekam er vielleicht sogar noch ein paar Augenblicke Schlaf.
Diese waren ihm jedoch nicht vergönnt, denn der Krüppel am Empfang machte via Telefon eine Meldung über Sams Fall und nicht mal dreißig Minuten später lief das Funkgerät heiß. Man teilte Sam Mason mit, dass an dem Ort, an der er vorgegeben hatte, niedergeschlagen worden zu sein, eine Leiche gefunden worden war und man ihn vorläufig festhalten würde.
Am späteren Morgen sah es für ihn nicht besser aus. War er nicht der Detektiv gewesen, der nach Weston Firth gesucht hatte? Brian Shaw wusste Bescheid und Sam geriet in Erklärungsnot.
Ja, er hatte nach Firth gesucht, aber er hatte ihn sicher nicht umgebracht, beteuerte er. Niemand glaubte ihm. Auch nicht der Haftrichter.
Draußen schien die ganze Belegschaft abgelenkt zu sein von irgendeinem kindischen Streit, also entschied sich Sam dafür im Innenraum des Restaurants nach Hinweisen, Spuren oder sonst irgendwelchen Anhaltspunkten - womöglich eine Erwähnung von Frith' Namen irgendwo in den Geschäftspapieren - zu suchen.
Er fand nichts dergleichen. Gleichwohl machte es ihn stutzig, als er an der Kassenschublade herumfingerte, dass er unter den dürftigen Tageseinnahmen einen doppelten Boden entdeckte unter dem er sicher einige interessante Entdeckungen hätte machen können, wenn nicht auf einmal der Geschäftsführer hinter ihm gestanden hätte, die Waffe im Anschlag und mit den Worten auf den Lippen: "So einer sind Sie also!"
Sam hatte keine Zeit, sich zu erklären. Die Kugel durchbohrte ihn mit einem heißen und zugleich eiskaltem Schmerz, der weniger Verzweiflung als Taubheit in sich barg. Dabei hatte er noch nicht einmal etwas stehlen wollen, dachte er traurig, aber das war nun auch egal.
Ich vertraute den Typen nicht, er war zu naiv, zu einfältig und ich wollte mir nicht eingestehen, dass es naive und einfältige Menschen wirklich gab.
Dass er mich für einen Schlägertypen hielt, der seinem „Burschen" Geld herauspressen sollte, könnte für mich ein Vor- oder ein Nachteil sein. Es kam darauf an, wie der „Bursche" gebaut war.
Nach einer Weile kam er auch wirklich aus der Küche und brachte eine verstaubte Flasche Rotwein mit.
Die dürftige Beschreibung Westons passte und ich entschied mich, dreist zu sein und einfach nachzufragen: "Wie heißen Sie, junger Freund?", fragte ich.
"Geht Sie nichts an!", lautete die mürrische Antwort.
"Ich hab Sie doch nur nach Ihrem Namen gefragt", lenkte ich ein und wollte unterschwellig ausdrücken, dass es verdächtigt wirkte, so zu tun, als hätte man etwas zu verbergen.
Die Botschaft kam an, stieß aber auf völliges Desinteresse: "Wer sind denn Sie, wenn ich fragen darf?", flapste der junge Mann zurück.
"Sam Mason", sagte ich, weil mir nichts besseres einfiel, "Ich wollte nur ein bisschen Konversation machen."
"Sam Mason?", rief den nun doch ziemlich verdächtige Kellner, "Der Privatschnüffler? Der, den die Leery-Schlampe auf mich angesetzt hat?"
Ich wusste nicht, woher er das erfahren hatte, aber ich beschloss, dass es nicht zu meinen Prioritäten zählte, das herausfinden zu wollen, denn der Kellner mit dem mutmaßlichen Namen Weston Firth kam mit einer Weinflasche auf mit zu gerannt und machte allerhand Anstalten, mich auf der Stelle mit dem Ding zu erschlagen. Und vermutlich wäre es ihm sogar gelungen, wenn nicht von hinten der Geschäftsführer mit einer Bratpfanne dem Jungen eins über den Schädel gegeben hätte und somit mein Leben rettete.
Er war es auch, der daraufhin die Polizei verständigte und dem ganzen Spuk ein Ende setzte. Judith Leery bekam ihre fünftausend Dollar zwar nicht mehr zurück, da Firth sie bis auf den letzten Cent auf den Kopf gehauen hatte, aber sie honorierte dennoch meinen todesmutigen Einsatz für ihre Interessen.
Judith war der Meinung, dass ein Buch über Weine nur eines bedeuten konnte. Weston Firth hatte einen Job angenommen, in dem es von Bedeutung war, etwas von Wein zu verstehen.
Ich stimmte soweit mit ihr überein, jedoch war ich der Meinung, dass dieser Job im Zusammenhang mit einem kleinen Weingut in den Hügeln um Santa Barbara stand und es sich kaum lohnen würde, hier in Chicago weiter nach dem Typen zu suchen.
Judith Leery gefiel der Gedanke nicht, aber sie musste zugeben, dass er realistisch war.
"Wenn er meine fünftausend Dollar für einen Weinberg investiert, werde ich sie nie wieder sehen", jammerte sie.
"Oder er wird sie Ihnen mit Zinsen zurückzahlen", sagte ich.
Judith Leery entschied sich, ihr Glück vorerst in Kalifornien zu versuchen und Weston Firth dort ausfindig zu machen. Wir verblieben so, dass sie auf mich zurückkommen würde, wenn sie Firth nicht finden würde. Sie muss ihn gefunden und sich mit ihm ausgesöhnt haben, denn ich habe nie wieder etwas von ihre gesehen oder gehört.
Sam stolperte auf die adrett gekleidete Dame zu, die wirkte, als hätte sie in ihrem Leben durchweg besseres zu tun gehabt, als in Bibliotheken zu verstauben. Es war offensichtlich, dass Judith sich vor den dreckigen, abgegriffenen Büchern ekelte. Sie gehörte nicht hier her, das sagte ihr Auftritt, ihre Kleidung, ihr Make-up und ihr Blick. Und die war stolz darauf.
„Guten Tag, Sam", sagte sie und die beiden schüttelten geschäftsmäßig die Hände.
„Guten Tag", Sam deutete einen nachlässigen Diener an.
„Sie haben den Fall gelöst?", fragte Judith, die schnell zur Sache und aus diesem Gebäude kommen wollte.
„Ich denke schon", antwortete Sam lässig, „Aber setzen wir uns doch zuerst."
Judith folgte Sam widerwillig zu einem Tisch in einer Ecke des Lesesaals. Der Raum war leer und niemand konnte die beiden belauschen.
„Nun?", drängte Judith, „Ich muss zugeben, dass ich so schnell kein Ergebnis erwartet habe."
„Sie sagten selbst, dass es ein leichter Fall sei", erwiderte Sam.
Judith lachte matt, was deutlich machte, dass sie nun endlich das Ergebnis der Ermittlungen hören wollte.
„Na schön", begann Sam, „Weston Firth hat sich abgesetzt. Ich vermute, er befindet sich derzeit in Kalifornien."
Judith rümpfte die Nase und schwieg einen Augenblick. Sie dachte nach und entschied sich schließlich für folgenden Satz: „Ich glaube, Sie haben zu schnell aufgegeben, Sam. Ich bin überzeugt, dass er noch hier ist."
„Sind Sie sicher, Judith?", fragte Sam zuvorkommend.
„Menschen wie Weston hängen an Chicago", meinte Judith knapp, „Ich weiß, dass er noch hier ist. Er ist untergetaucht. In keiner Stadt in diesem Land kann man besser untertauchen, als in Chicago. Er ist noch hier. Hier kennt er sich aus. Hier kennt er Leute, die ihm helfen."
„Leute wie Sie, Judith?", fragte Sam, schon seit einiger Zeit hatte er den Verdacht, dass es hier nicht um Betrug oder Rache ging, sondern um tatsächlich echte Liebe. Was war, wenn Judith nach Firth suchte, weil sie ihn verstecken oder unterstützen wollte, während er auf der Flucht war, nachdem er einen Mord begangen hatte? Was war, wenn sie ihn dazu benutzte, einem Mörder zu helfen?
Damit wollte Sam nichts zu tun haben und er sagte freundlich, aber bestimmt: „Judith, Sie halten sich an ihren Wünschen fest, nicht an der Realität. Weston Firth ist aller Wahrscheinlichkeit nach fort und es ist besser für Sie, wenn Sie ihn vergessen."
Er wollte ihr wirklich helfen, denn sie tat ihm leid, aber Judith Leery war keine Frau der Vernunft. Statt einzusehen, dass sie gerade so dem Abgrund entgangen war, brach sie in Tränen aus und da wusste Sam, dass er das Richtige getan hatte, sie vor einem Treffen mit Weston Firth zu bewahren.
Ich traf mich mit Judith in meinem Büro. Sie hatte mich angerufen und als ich ihr mitteilte, dass ich den Fall gelöst hätte, wollte sie sich persönlich mit mir treffen.
Judith kam. Sie trug einen weißen Mantel und hatte einen mit Rüschen verzierten Regenschirm bei sich. Ich wusste gar nicht, dass sowas wieder in Mode war, aber wenn Judith es bei sich trug, würde es bald ganz große Mode werden, überlegte ich und dann beschloss ich, Johanna einen solchen Schirm zum Geburtstag zu schenken.
Der Gedanke kam mir einen Augenblick zu spät, denn da sah ich bereits Jos Pferdeschwanz an meinem Fenster vorbei schweben. Sie hatte immer das perfekte Timing. Sie war immer zur falschen Zeit am falschen Ort.
Sicherlich hatte sie von draußen in mein Büro hinein geblickt, denn sie stürmt nun durch den Flur meine Eingangstür. Sie hatte Judith Leery gesehen und offensichtlich eingesehen, dass sie wirklich ein "Gerät" war, das sich nicht mit mir abzugeben hatte. Uns allen stand eine Szene biblischen Ausmaßes bevor.
"Was erlauben Sie sich!" rief sie, ohne dass irgendjemand sonst die Chance gehabt hätte, sie zu begrüßen, oder irgendwas zu erklären.
"Ich erlaube mir, diesen Herren für eine Ermittlung zu engagieren", erwiderte Judith kühl und erreichte damit einen Vorsprung nach Punkten.
"Mr. Mason ist nicht auf Ihre Aufträge angewiesen!", behauptete Johanna und ich wollte schon protestieren, da bedeutete sie mir, bloß still zu sein. Ich gehorchte, über mir würde früh genug ein ähnliches Gewitter nieder gehen.
"Das ist jetzt aber unpassend, denn er befindet sich bereits mitten in seinen Ermittlungen", sagte Judith.
"Er wird den Fall niederlegen", entschied Jo.
"Ach ja? Wird er das?", fragte Judith und blickte fragend zu mir. Jos Blick folgte ihr.
"In Anbetracht der Tatsache, dass der Fall meiner Ansicht nach abgeschlossen ist...", begann ich hilflos, "Ich glaube nicht, dass es sich lohnt, noch darüber zu streiten."
"Sie wollen die Angelegenheit also abschließen?", fragte Judith und in meinem Kopf hallte das Wort "Mord" wider.
Ich sagte schnell: "Ja. Ja, ich glaube, ich betrachte den Fall als abgeschlossen."
"Na, wenn das so ist...", sagte Judith schnippig, "erwarte ich Ihre Rechnung, nehme ich an?"
"Ja", bestätigte ich verdattert.
"Die können Sie ich in die Haare schmieren, Mr. Mason! Ich bin nicht zufrieden mit Ihrer Arbeit und der Art und Weise, wie Ihre Sekretärin hier mit mir umgeht."
"Sekretärin?", Jo schäumte und übersah Judith triumphierendes Lächeln.
Diese drehte sich nun um und glitt elegant als dem Büro. Sie flötete ein "Auf Wiedersehen" und überließ mich meinem Schicksal.
Ich war froh, sie los zu sein und den Fall abgeschlossen zu haben, bevor er gefährlich werden konnte. Jo würde sich schon wieder beruhigen und der Ausfall des Honorars schmerzte auch nur im ersten Moment.
Johanna Cohen war so etwas wie meine Freundin und so etwas wie ein Sargnagel. Ich hing an ihr aus irgendwelchen Gründen und sie ließ sich nicht abschütteln.
Ich hielt es für angebracht, mit ihr zu Mittag zu essen, denn ich glaubte, die schnelle Auflösung des Falles mit jemandem feiern zu müssen.
Johanna war eine Jüdin und man sah es ihr an. Im Vergleich zur gängigen Mode hatte sie buschige Augenbrauen und eine große Nase. Außerdem prangte ein großes Muttermal über auf der rechten Seite ihrer Oberlippe.
Ich mochte es, dass sie ihre leicht gewellten Haare in einem einfachen Pferdeschwanz trug, doch sie jammerte häufig darüber, dass sie keine ordentliche Frisur in ihre Mähne bekam. Sie ging ins Kino, um sich die Frisuren der Schauspielerinnen anzusehen und hatte zu Hause im Bad ein ganzes Regal nur mit Tiegeln und Tuben, Cremes und Lotionen.
Für meine Begriffe machte es keinen Unterschied, ob sie das Zeug benutzte oder nicht, sie war hübsch und daran ändere auch kein Make-Up etwas.
Unser Essen kam und wir saßen uns gegenüber, um uns anzuschweigen.
Zuerst glaubte ich, in der Pflicht zu sein, ein Gespräch zu beginnen, doch Johanna war keine Frau, die sich an solche Regeln hielt. Johanna konnte laut, wütend und forsch sein. Das machte es mir leicht, mich mit ihr zu streiten und zu vertragen.
„Seit ein paar Tagen treffe ich Brian hier recht häufig", meinte sie beiläufig, was ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass es nicht beiläufig gemeint war, sondern dass sie jetzt ganz genau auf meine Reaktion achtete.
Brian Shaw war ein großer, grobschlächtiger Mann, mit der Zunge eines Waschweibes und der Uniform eines Polizisten in Zivil. Ihn als Polizisten zu bezeichnen, trifft es nicht ganz. Er war Kommissar und einer der Typen, die man zum Freund brauchte, wenn man ihn nicht zum Feind haben wollte.
Er war irischer Abstammung, was seine roten Haare nicht verstecken konnten. Er hatte Nachteile dadurch in einer Stadt wir Chicago und in einer Institution wie der Kriminalpolizei.
Seine äußere Erscheinung ließ allzu leicht den Schluss zu, es handele sich um einen grenzdebilen Muskelprotz ohne die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erfassen. Dem war nicht so. Er hatte einen scharfen Verstand und nutzte die Muskelprotzfassade gerne aus, um seinem Gegenüber Aussagen zu entlocken, die er eigentlich für sich behalten wollte. Er trug abgetragene Kleidung und zerzaustes Haar. Seine Haut war unrein und im Sommer roch er nach Schweiß. All das war Taktik.
„Ich will nicht, dass du dich mit dem triffst", sagte ich.
„Ich kann mich treffen, mit wem ich will. Wir sind nicht verheiratet. Gott sei Dank", sagte Johanna.
„Gott sei Dank?", fragte ich aufbrausend.
„Ja. Gott sei Dank! Was habe ich schon von dir, Sam? Du meidest mich doch und willst mich gleichzeitig bevormunden. Ich wollte es dir schon lange sagen, aber ich bekomme dich ja nie zu Gesicht. Es ist aus mit uns. Jetzt weißt du es! Und ich hatte gehofft, dass du das selbst merkst, aber anscheinend bist du nicht in der Lage, dich in andere Leute hinein zu versetzen. Ein toller Detektiv bist du!"
Ich legte mein halb aufgegessenes Wüstchen auf den Teller zurück und wandte mich um. Ich konnte nicht einfach gehen. Die Begegnung mit Brian war jetzt unvermeidlich. Ich würde ihn zu einem Kampf auffordern müssen, allein deshalb, weil er Jo in den Kopf gesetzt hatte, dass sie was besseres als mich verdient hatte.
Das waren idiotische Gedanken. Idiotische Männergedanken. Aber in den Momenten, in denen das Blut hochkocht, verdrängen sie jede Rationalität. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was ich zu Brian Shaw gesagt habe. Ich erinnere mich nur noch daran, wir ich mit fünf gebrochenen Rippen im Krankenhaus aufgewacht bin.
Sam zuckte zusammen. Er hatte nicht erwartet, dass man ihm wirklich die Tür öffnen würde, schon gar nicht eine, in die ein kleiner Spion eingebaut war.
Vor ihm stand eine kleine, verhutzelte Frau in einer blauen Kittelschürte, die sich ein Geschirrtuch um den grauen Kopf gewickelt hatte.
„Was wollen sie?", krähte sie und Sams Gehirn produzierte unfreiwillige Assoziationen zu den Horrormärchen seiner Kindheit, in denen es immer eine Hexe gab, die ungezogene Jungen in ihr Haus lockte, um sie zu mästen und verspeisen.
„Oh, Entschuldigung, ich habe mich in der Türklingel vertan. Ich suchte nach einem gewissen Mr. Firth", sagte Sam indem er sich zur Geistesgegenwart zwang.
„Der wohnt hier nicht mehr, den haben sie abgeholt."
„Abgeholt? Aber wohin denn?", fragte Sam gespielt bestürzt.
„Na, in die Irrenanstalt, von wo er entlaufen ist. Haben Sie's nicht gehört? 'N Mörder isser gewesen! Zwei Frauenleichen haben Sie bei ihm gefunden und er sagt dazu nur: Das sei der Wille Gottes gewesen! Vollkommen verrückt!", keifte die Alte und Sam lief es eiskalt den Rücken hinunter.
Er beschloss, es dabei zu belassen und Judith Leery mitzuteilen, dass die froh sein konnte, mit dem Leben davon gekommen zu sein.
Es war ein Büro oder ein Pausenraum für die Angestellten. Jedenfalls wirkte er unaufgeräumt, fast schon chaotisch. Überall lagen zerfledderte, aussortierte Bücher herum, Karteikarten und Notizen.
Hinter mir sperrte Dorothy die Tür ab und schaltete das Licht ein, das in einem derart staubigen Raum, der ohnehin nur aus Schatten zu bestehen schien und kein einziges Fenster nach draußen aufwies, lediglich schummrig wirkte.
Dorothy setzte sich auf den Schreibtisch und ließ die Beine baumeln. Sie setzte die Brille ab und sagte: „Ich schlage einen fairen Handel vor: Du bekommst die Informationen, die du dir wünschst und dafür..."
Irgendwie hatte sie es geschafft eine Sektflasche aus einer Ecke des Büros zu greifen, mit der sie jetzt vor meiner Nase herum winkte.
Ich hingegen winkte ab: „Nein, vielen Dank. Ich trinke nicht", log ich und und erntete gerechtfertigtes Misstrauen.
Ich hinterfragte solche Situationen nicht. Ich konnte mir vorstellen, dass viele intelligente Frauen, die glaubten, das Schicksal habe sie für Abenteuer und ein interessantes Leben vorgesehen, in langweiligen Jobs festsaßen und nur darauf warteten, dass ein abgehalfterter Typ durch die Tür trat und unangebrachte Fragen stellte. Für diesen Fall versteckten Frauen immer eine Flasche Sekt in ihrem Büro.
Aber nur weil ich so etwas für realistisch hielt, musste ich mich dem nicht ergeben. Es gefiel mir nicht, wenn ich die Kontrolle verlor und es ärgerte mich, wenn jemand versuchte, sie mir zu entwinden.
Dorothy jedenfalls wirkte einigermaßen verwirrt, um nicht zu sagen: enttäuscht.
„Sie sind zu anständig, Mr. Privatermittler", sagte sie und stellte die Flasche zurück in die verstaubte Ecke, um dort bis zur nächsten Gelegenheit zu versauern.
„Sie nennen es Anstand, ich nenne es Selbstschutz", erwiderte ich.
Dorothy reagierte mit etwas, das ich erst für Entsetzen hielt, dann aber als Abscheu erkannte: „Selbstschutz, Mister Mason? Halten Sie eine kleine Party etwa für gefährlich? Sind sie etwa ein Langweiler?"
„Sie haben die Tür abgeschlossen."
„Macht Sie das nervös?", fragte sie überrascht.
„Es beruhigt mich zumindest nicht."
„Oh, Sie können gehen, wenn sie möchten", meinte Dorothy, holte geschwind den Schlüssel wieder hervor, sperrte die Tür auf und das gelbliche Bibliothekslicht flutete den kleinen Abstellraum zum Zeichen dafür, dass der Moment vorbei war.
Was auch immer es für ein Moment gewesen war, er würde sich nicht wiederholen. Dorothy Miller schnaubte mich wütend hinaus und bedeutete mir unmissverständlich, aber dennoch ohne Worte, dass ich nicht wieder zu kommen brauchte und sie mir nichts weiter zu sagen hatte.
So endet es also, dachte ich. Mein Glück bei Frauen war schon mal besser gewesen. Gleich zwei an einem Tag enttäuschen zu müssen, war auch für mich ein neuer Rekord. Judith Leery würde mich für einen Idioten halten, wenn ich ihr erzählte, auf welche Weise ihr Auftrag in einem Misserfolg gemündet war.
In einem Sessel neben einem kleinen Beistelltisch, der mit einer Plastikblume in einer Glasvase verunstaltet war, saß ein mittelgroßer Mann, mit braunen Haaren und blätterte in einem Buch über Hühnerzucht.
Sam Mason kam sich seltsam vor, allein durch die Gänge zu streifen und nicht ein einziges Buch in die Hand zu nehmen. Er ging also auf den Mann zu und fragte: "Entschuldigen Sie, kennen Sie einen Mr. Firth? Weston Firth?"
Ein unverwandter und feindseliger Blick traf Sam: "Wer will das wissen?"
"Eine Mrs. Judith Leery", antwortete Sam wahrheitsgemäß.
"So, so... Eine gewisse Judith Leery... Sie sind ihr Bruder oder sowas?"
"Nein", sagte Sam.
"Doch nicht etwa ein Bulle?"
"Sowas ähnliches. Aber sagen Sie, kennen Sie Mr. Firth oder nicht?"
"Kennen?", lachte der Mann, "Niemand kennt Weston Firth! Weston Firth existiert nicht! Ich sag Ihnen, wer Weston Firth ist: Da drüben finden Sie ein ganzes Regal voll mit Liebesschnulzen. Weston Firth ist nichts weiter als eine Romanfigur und ihre Mrs. Judith Leery ist durchgedreht. Reich, aber durchgedreht. Sie glaubt, dass sie mit diesem Kerl verlobt sei. Fragen Sie die Mädels da drüben am Thresen, die kennen die alte Judith schon lange. Sie steht eigentlich unter der Obhut ihres Bruders, aber hin und wieder büchst sie aus, wissen Sie, und dann taucht hier die Polizei auf, um sie wieder mitzunehmen. Wenn sie mich fragen, wird es Zeit, das arme Mädchen in eine Anstalt einzuweisen."
Ich wusste instinktiv, dass ich den Fall nicht annehmen sollte. Solche Frauen bringen Unglück. Solche Frauen verursachen Unannehmlichkeiten.
Ich hatte sie nach ihrem Ehemann gefragt, weil ich ahnte, dass ich es hier mit einer Frau der abgebrühteren Sorte zu tun hatte. Der Tod ihres Mannes war gerade einmal ein paar Monate her und sie fiel auf einen Heiratsschwindler herein.
Ihre Ausführungen und die Bitte, die Polizei aus der Sache herauszuhalten kamen mir seltsam vor, auch, dass sie mir einen so extrem überzogenen Tagessatz zahlen wollte, machte mich stutzig.
Deshalb schob ich das Geld zurück und verabschiedete mich von ihr. Höflich aber bestimmt.
Sie steckte das Geld zurück in ihr Buch.
Sie trug ihr Geld nicht in einer Geldbörse, sondern in einem Buch mit sich herum. Das verwirrte vielleicht Diebe, die es auf Geldbörsen abgesehen hatten, schien aber auf mehr als einen seltsamen Spleen zurückzuführen zu sein. Das Buch hatte sie schnell und tief in ihrer Tasche vergraben, als sie das Geld auf den Tisch gelegt hatte.
Und dann kam der Blick, der sagte: „Ich weiß, dass du deine verdammte Miete bezahlen musst und trotzdem verschmäst du mein Geld. Du bist ein mieser Feigling, Sam Mason."
Aber man konnte kein Feigling sein, wenn man seinen Vermieter zum dritten Mal hintereinander um einen Aufschub bat.
Sam Mason saß umständlich verrenkt aus seinem Bürostuhl und starrte angestrengt in die größte Scherbe eines ehemaligen Rasierspiegels, die er gerade aus einer der sechs Schreibtischschubladen gekramt hatte. Der antike Elektrorasierer wies nur ein kurzes Kabel auf, sodass Sam sich unbequem vorbeugen musste, um ihn benutzen zu können. Er gab röchelnde Geräusche von sich und entschied sich etwa die Hälfte von Sams Bartstoppeln einfach stehen zu lassen.
Seit einigen Tagen war dies die einzige Rasur, die er sich leisten konnte und so hatte sich sein Gesicht langsam aber sicher in etwas verwandelt, was in Chicago noch weniger Ansehen ernten würde, als das Gesicht eines Privatermittlers, der sich für Geld durch Mülltonnen wühlt.
Wer verdiente weniger Ansehen, als ein Privatermittler? Eigentlich gab es nur eine Bevölkerungsgruppe, die unter dem Detektiv stand: Es handelte sich um die Menschen, die sich im Mittelpunkt der Ermittlungen eines Privatermittlern befanden und vielleicht ihren Auftraggebern.
Mason nahm einen Schluck aus der Whiskyflasche von gestern. Ein letzter Schluck ließ sich ihr erringen, ehe er sie in den Papierkorb pfefferte, wo sie sich in Gemeinschaft der Flaschen vom Mittwoch, Dienstag und Montag wiederfand.
Die dritte Zigarette des Tages entscheidet für gewöhnlich über den weiteren Verlauf des Tages. Es war neun Uhr. Die Sonne versteckte sich hinter grauen Wolken. Vor Masons Büro bewegte sich der Verkehr wie in pulsierenden Venen. Er entzündete ein Streichholz, während zwischen seinen Lippen die dritte Zigarette des Tages klemmte.
Sam hielt inne und verbrannte sich beinahe die Finger, was er für ein schlechtes Omen hielt.
Er entschied sich, den Schattenriss der Person vor seiner Tür zu ignorieren. Wenn sie wirklich in Not war, würde sie an einem anderen, weniger miesen Tag wieder kommen.
Sam Mason glaubte zwar daran, dass Mietzahlungen wichtig waren, um seine Existenz aufrecht zu erhalten, aber er glaubte auch an das Schicksal und daran, dass man an manchen Tagen seine Existenz dadurch aufrecht erhielt, dass man Leuten aus dem Weg ging.
Er kaute also auf seiner Zigarette herum und döste für ein Weilchen ein.
Als er wieder erwachte blickte er einem erzürt dreinblickenden Herren ins Gesicht, der meinte, der Hausbesitzer schicke ihn, dieser sei mit der Geduld am Ende und verlange nun seine Schlüssel zurück, sowie die Büroeinrichtung als Pfand für die ausstehenden Mietzahlungen.
Es war ein mieser Tag. Sam Mason hatte es von Anfang an gewusst.
suedehead | |
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