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Wunden, die nicht heilen

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31.12.18 02:54
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

2 Charaktere

Hank Anderson

Hank war einst ein äußerst fähiger Lieutenant beim Detroit Police Departement. Doch seit dem Tod seines Sohnes, für den er einen Androiden verantwortlich macht, ist sein Leben aus den Fugen geraten. Hank verbringt seine Freizeit mit Alkohol und zweifelhafter Gesellschaft in Bars, bis eine erzwungene Zusammenarbeit mit Connor ihm neue Blickwinkel auf Androiden und die Welt eröffnen.

Connor

Connor ist der modernste Android von CyberLife und erschaffen, um Abweichler zu jagen. Er ist der perfekte Android. Kompetent, rational und einzig und allein auf seine Mission fokussiert. Während seiner Investigation wird er Lieutenant Hank Anderson als Partner zugeteilt. Doch während er herauszufinden versucht, warum Androiden zu Abweichlern werden, beginnt auch Connor langsam zu zweifeln...

Sein Atem ballte sich in dichten, weißen Wölkchen vor seinem Gesicht, wann immer er ausatmete. Die kalte Luft brannte bei jedem Atemzug in seinen Lungen, doch Hank störte sich nicht daran. Immerhin hielt sie auch das Bier kalt.

Er nippte an der Flasche, dann stützte er sich mit den Unterarmen auf seinen Beinen ab und beugte sich locker vor. Die Skyline Detroits zeichnete sich vor dem wolkenverhangenen Himmel ab, die hell erleuchteten Fenster spiegelten sich im Wasser des Detroit Rivers und schufen ein Muster von Lichtern in der Dunkelheit. Von der Belle Isle hatte man immer die beste Aussicht auf die Stadt gehabt gehabt.

Der Park war leer – nicht verwunderlich, bedachte man die späte Uhrzeit – aber Hank war es so ohnehin lieber. So konnte er ungestört seinen Gedanken nachhängen und trinken, ohne dass ihn andere mit verurteilenden Blicken straften.

Andererseits – was sollte man auch denken, über einen alten Mann, der am Heiligabend allein im Park saß und sich betrank?

Hank stellte die Bierflasche neben sich auf die Bank, dann vergrub er seine Hände in seinen Manteltaschen, um sie aufzuwärmen. Dabei spürte er eine glatte, kühle Oberfläche gegen seine Finger.

Er holte das Objekt aus der Tasche und betrachtete es mit gerunzelter Stirn. Der Bilderrahmen war nicht groß, nur wenig größer als seine Handfläche. Doch das Bild darin ließ ihn beinahe zusammenbrechen.

Er musste blinzeln, als ihm Tränen in die Augen stiegen.

Was hat dieses Arschloch sich dabei gedacht?, fragte er sich verärgert, doch im gleichen Moment schalt er sich für diese Frage. Es war nicht fair, wütend auf Connor zu sein, nur weil dieser versucht hatte, ihm eine Freude zu bereiten.

„Ich habe etwas für dich“, hatte Connor gesagt, als Hanks Kollegen vom DPD sich auf das eben eröffnete Buffet gestürzt hatten und er und Connor einen Moment für sich gehabt hatten. „Ich habe immer daran denken müssen, dass du vor ein paar Wochen meintest, dass du es bedauerst, nur das eine Foto von Cole zu haben. Ich habe ein wenig in den Archiven deiner gelöschten Social Media Accounts recherchiert und... ich dachte, du würdest dich vielleicht hierüber freuen.“

Mit diesen Worten hatte er Hank einen unverpackten, kleinen Bilderrahmen mit der Kopie eines Fotos in die Hand gedrückt. Hank hatte das Bild angestarrt, unfähig etwas zu sagen, während Connor unsicher auf eine Reaktion gewartet hatte.

Dann war Hank an dem Androiden vorbei gestürmt und hatte die Weihnachtsfeier des DPD beinah fluchtartig verlassen, ohne sich um die fragenden Rufe seiner Kollegen zu kümmern.

Nun saß er wieder einmal auf einer Bank in jenem Park, den er früher so oft besucht hatte. Mit den Fingern strich er über das Glas des Bilderrahmens. Das Foto war sechs Jahre alt und zeigte einen vierjährigen Cole, der vor einem geschmückten Weihnachtsbaum auf dem Boden saß und strahlend den Welpen an sich drückte, den ihm seine Eltern nach langem Betteln endlich gekauft hatten.

Hank konnte sich noch bildhaft daran erinnern, wie sehr Coles Augen gestrahlt hatten, als er voller Begeisterung verkündet hatte, dass er den Welpen Sumo nennen wollte und – sobald er erst mal ausgewachsen war – auf ihm zur Schule reiten würde.

Natürlich hatte Hank schon damals gewusst, dass die Verantwortung für den Hund in erster Linie bei ihm selbst liegen würde, doch das war es ihm wert gewesen, als er die pure Freude seines Sohnes gesehen hatte. Er und der Welpe waren unzertrennlich gewesen und alle Einwände Hanks und seiner Frau hatten Cole nicht davon abbringen können, ihn in seinem Bett schlafen zu lassen.

Ein Tropfen fiel auf das Bild und Hank zuckte zusammen, ehe er feststellte, dass er weinte.

Schnell wischte er sich über die Augen und fluchte leise: „Scheiße... dieser verdammte Android.“

Wieder fühlte er einen schuldigen Stich – er wusste ja, dass Connor es nur gut gemeint hatte. Wahrscheinlich hatte der Android überhaupt nicht geahnt, dass Hank ihm ein solches Geschenk übel nehmen könnte, zumal es ja auf einem unbedachten Kommentar von Hank selbst beruhte.

Er hatte ja nicht einmal gelogen, als er gesagt hatte, dass er es bedauere, nur ein Foto von Cole zu haben. Nach dem Unfall hatte Hank in einem Anflug von trauerbedingtem Wahnsinn alle seine Profile auf sozialen Netzwerken gelöscht – und mit ihnen all jene Andenken an seinen Sohn, die nach seinem Tod nichts weiter als schmerzhafte Erinnerungen hervorriefen.

Diese impulsive Entscheidung hatte er schon bald bereut, aber da war es schon zu spät gewesen und die zahlreichen Bilder und Videos waren bereits unwiederbringlich verloren gewesen. Er konnte sich nicht einmal im Ansatz vorstellen, wie Connor noch an irgendwelche Daten – geschweige denn ein Foto – gelangt sein konnte und welche Arbeit das selbst für einen Androiden bedeutet haben musste.

Er wusste, dass seine Reaktion Connor gegenüber nicht fair gewesen war. Der Junge war so furchtbar aufrichtig ihm gegenüber, dass es manchmal fast an Naivität grenzte. Und obgleich er nach wie vor nicht immer abschätzen konnte, welche Emotionen seine Worte und Taten bei seinem Gegenüber nach sich ziehen könnten, waren seine Absichten doch immer redlich.

Er hatte einfach nicht ahnen können, was für tiefe Narben sein Geschenk bei Hank aufreißen würde.

In diesem Moment ertönte hinter ihm eine Stimme: „Hank?“

Er fuhr herum. Connor stand da, wie er es immer tat, wenn er nicht wusste, welche Reaktion von ihm erwartet wurde – gerader Rücken, leicht hängende Schultern und schief gelegter Kopf mit blinkender LED.

Hank richtete sich ein wenig auf und runzelte die Stirn. „Hast länger gebraucht, als ich dachte“, hörte er sich sagen und verfluchte sich im gleichen Moment dafür.

Connor versuchte sich an einem Lächeln – es wirkte immer ein wenig ungeübt, fand Hank – und antwortete: „Ich bin den Reifenspuren gefolgt. Drei Blocks entfernt vom DPD hatte ich sie für eine Weile an einer Kreuzung verloren und musste erst ein Stück des Weges zurücklaufen, um die richtigen Spuren wiederzufinden. Ab dann konnte ich die wahrscheinlichste Route auf Basis von Erfahrungswerten berechnen.“

Ein bitteres Lachen stieg in Hanks Kehle auf, doch er verschluckte sich beinah daran. Um zu verbergen, wie kurz vor einem totalen Zusammenbruch er wirklich stand, drehte er sich wieder um und murmelte: „Hättest dir nicht die Mühe machen brauchen.“

„Ich weiß. Aber nachdem du so plötzlich das DPD verlassen hast, habe ich mir... Sorgen gemacht.“ Wann immer Connor zugab, etwas zu fühlen, bemerkte Hank nach wie vor dieses Zögern in seiner Stimme, dass er vermutlich nie ganz loswerden würde. Umso beeindruckender fand Hank es, wie offen Connor mit seinen Gefühlen umging. Zumindest Hank gegenüber schien er sich nie zu schämen, all seine Emotionen offenzulegen.

Hank wusste nur nicht so recht, ob er ihn darum beneiden oder dafür bemitleiden sollte.

Es entstand ein betroffenes Schweigen zwischen ihnen. Hank wusste nicht, was er sagen könnte, um sich und seine Reaktion auf Connors Geschenk zu erklären. Um seiner Verlegenheit Herr zu werden, griff er nach der Bierflasche und nahm einen tiefen Schluck.

Dann hörte er knirschende Schritte im Schnee, als Connor näher kam und leise sagte: „Hank... es tut mir Leid. Ich wollte nicht, dass durch meine Unbedarftheit schmerzhafte Erinnerungen für dich geweckt würden.. Ich hätte wissen müssen, dass das Geschenk eine dumme Idee war. Ich dachte nur...“

Hier brach Connor ab und suchte offensichtlich nach Worten. Als er keine fand, wiederholte er nur hilflos: „Es tut mir Leid.“

Hank senkte den Kopf. Connor wartete, dann meinte er fast unhörbar: „Ich... ich werde im Auto warten. Komm einfach nach, wenn ich dich nach Hause fahren soll.“

Dann drehte er sich um, doch ehe er sich entfernen konnte, klopfte Hank mit der Hand neben sich auf die Bank. „Nun setz' dich schon her“, forderte er Connor auf.

Connor zögerte kurz, doch dann trat er an die Bank und ließ sich neben Hank nieder. Er legte die Hände auf seine Oberschenkel und sah Hank fragend von der Seite her an.

Hank stellte die Bierflasche wieder weg und vertiefte sich erneut in die Betrachtung des Bilderrahmens. Nach einer Weile sagte er schließlich: „Cole wollte unbedingt einen Hund. Er hat monatelang darum gebettelt. Irgendwann haben wir, meine Frau und ich, dann nachgegeben.“

Bei der Erinnerung musste er für einen traurig kurzen Moment lang lächeln. „Sie wollte irgendwas Kleines, einen Terrier oder Pekinesen. Ich hab gesagt, wenn sie so einen Hund will, würde ich mich weigern, mit ihm spazieren zu gehen. Wie würde das denn aussehen, wenn ein knallharter Cop mit einer Taschenratte herum rennt? Sie hat darauf bestanden, bis ich ihr die Anzeige wegen eines Wurfs Bernhardinerwelpen im Tierheim gezeigt habe und sie ein Bild von Sumo gesehen hat. Dann hatte sie plötzlich keine Einwände mehr.“

Er strich mit dem Daumen über das Bild, um ein paar Schneeflocken wegzuwischen. „Cole hat sich so gefreut. Er und Sumo waren unzertrennlich. Es war jeden Tag Schwerstarbeit, ihn davon zu überzeugen, dass er Sumo nicht mit in den Kindergarten nehmen konnte. Und immer, wenn er nach Hause kam, saß Sumo schon vor der Tür und hat auf ihn gewartet.“

Connor hatte ihm aufmerksam zugehört. Nun senkte sich sein Blick von Hank zu dem Foto, als eröffnete sich ihm durch diese Informationen ein gänzlich neuer Blickwinkel auf das Bild. Seine Stirn war leicht gerunzelt und es war ihm anzusehen, dass er damit kämpfte, sowohl seine als auch Hanks Emotionen zu verstehen und zu verarbeiten.

Nach kurzer Bedenkzeit antwortete er vorsichtig: „Kinder, die mit Haustieren aufwachsen, bauen oft eine enge Bindung zu ihnen auf. Zudem haben Studien gezeigt, dass es für Kinder auf emotionaler und sozialer Ebene förderlich ist, wenn sie früh im korrekten Umgang mit Tieren geschult werden.“

Das war eine sachlichere Antwort, als Hank sie erwartet hatte, doch dann dachte er, dass er immer noch mit Connor sprach – was hatte er denn erwartet?

Weitere Schneeflocken hatten sich auf das Glas des Bilderrahmens gelegt und wieder wischte Hank mit dem Finger darüber. Der Schnee schmolz und Streifen winziger Tropfen verblieben auf dem Glas. Bis ein weiterer, größerer Tropfen auf das Glas fiel.

Hank schluckte, dann flüsterte er: „Er fehlt mir so.“

Connor hielt inne, sah Hank für einen Moment an, seine LED blinkte gelb. Dann, ganz langsam, als wisse er selbst nicht, ob es eine gute Idee war, hob er die Hand und legte sie Hank auf die Schulter.

Und alle Mauern, die Hank über Jahre hinweg in sich aufgebaut hatte, brachen.

Er sackte vor und bedeckte das Gesicht mit einer Hand, während ihm Tränen über die Wangen liefen. „Wenn ich aufwache...,“, schluchzte er. „... gibt es manchmal einen kurzen Moment, wo ich noch nichts weiß. Nicht, wo ich bin, nicht wann, nicht warum... da herrscht Frieden. Und dann fällt mir alles wieder ein und ich denke an Cole... und der Rest des Tages ist die Hölle.“

Er spürte Connors Hand an seiner Schulter und hörte ihn mit ungewohnt heiserer Stimme sagen: „Hank... ich.. es tut mir so Leid.“

Er ignorierte es und fuhr fort: „Ich vermisse ihn so sehr. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke. Ich vermisse, wie schwer es war, ihn morgens aus dem Bett zu bekommen. Ich vermisse, wie er die Intros von seinen Kinderserien mitsingt. Ich vermisse, wie er es geliebt hat, bei Regen durch Pfützen zu hüpfen.“

Er sah auf, doch sein Blick war verschleiert. „Ich würde alles tun, wenn ich ihn nur noch einmal in den Armen halten könnte“, brachte er erstickt hervor.

Connor senkte den Kopf. „Hank, ich wünschte... ich wünschte, es gäbe etwas, das ich tun könnte. Ich wünschte, ich wäre nie auf dieses Bild gestoßen. Es tut mir so...“

„Nein!“, unterbrach Hank ihn schroff. Dann fuhr er etwas sanfter fort: „Nein, Connor. Du... du hast nichts falsch gemacht. Und ich bin... froh... dass du dieses Bild gefunden hast. Es ist nur... schwer.“

Dann schwiegen sie beide für eine ganze Weile, als gäbe es einfach nichts mehr zu sagen. Dabei wusste Hank, dass es so vieles gab, das er Connor sogar unbedingt sagen sollte. So vieles, das er dem Jungen schon so lange schuldig war, das er aber einfach nicht über die Lippen bekam.

Ich bin froh, dass du mir damals als Partner zugeteilt wurdest.

Danke, dass du den Abweichler hast entkommen lassen, um mich wieder auf das Dach zu ziehen.

Tut mir Leid, dass ich dir eine Waffe an den Schädel gehalten hab.

Danke, dass du mich gerettet hast, obwohl es den Untergang deiner Leute hätte bedeuten können.

Ich war so erleichtert, als die ganze Scheiße vorbei war und du noch am Leben warst.

Danke, dass du zurückgekommen bist.

danke, dass du mich nicht aufgegeben hast.

„Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast.“

Hank zuckte zusammen, als Connor genau die Worte genau in dem Moment aussprach, als Hank sie gedacht hatte. Er musste mehrmals blinzeln – hatte er laut gedacht? – und antwortete nur: „Hä?“

Connor hob den Blick und sah ihn an. „Ich... glaube zu verstehen, wie schwer Coles Verlust für dich wiegt. Und ich verstehe, dass es dir deswegen so schwer fällt, enge Beziehungen aufzubauen. Und ich verstehe... dass es dir schwer gefallen sein muss, mit mir zusammenzuarbeiten. Du hast jedes Recht gehabt, mich auf Abstand zu halten. Du hättest jedes Recht gehabt, mich aufzugeben, als ich die Augen vor der Wahrheit verschließen wollte. Und wenn ich bedenke, in welche Gefahr dich die Verbindung mit mir gebracht hat, hättest du jedes Recht gehabt... nichts mehr mit mir zu tun haben zu wollen, als alles vorbei war.“

Connor senkte den Blick wieder auf seine ineinander verschränkten Hände, während Hank ihn stumm und aus großen Augen anstarrte.

„Danke, dass du es nicht getan hast“, murmelte Connor. „Ich weiß nicht, was ohne dich aus mir geworden wäre. Wahrscheinlich... wäre ich heute nicht hier. Ich schulde dir so viel. Und ich weiß keinen Weg, wie ich dir jemals zurückzahlen kann, was du für mich getan hast. Und manchmal...“

Connor stockte und sein Gesicht zuckte ein wenig – Hank glaubte, dass das ein Zeichen dafür war, dass Connors Verstand versuchte, eine ihm unbekannte Emotion zu verarbeiten.

Dann fuhr Connor fort: „... manchmal wünschte ich, ich könnte ein bisschen... ein bisschen mehr wie Cole sein, damit du...“

Er wollte weitersprechen, doch das ließ Hank nicht zu. Stattdessen packte er Connor grob an der Schulter, riss ihn und zu sich herum – und schlang seine Arme um ihn so fest er konnte.

„Sag das nicht“, warnte er Connor in drohendem Tonfall, doch Tränen rannen ihm dabei übers Gesicht. Er presste Connor an sich und ignorierte dessen verwirrt blinkende LED. „Sag das nie wieder, hast du mich verstanden?“

Er ließ Connor nicht los, obwohl er wusste, dass er ihn zu fest hielt – einem Menschen hätte er vermutlich Atemnot bereitet. Trotzdem hielt er Connor weiter an sich gepresst, als könnte dieser sich jeden Moment in Luft auflösen.

Connor war verstummt, als Hank ihn unterbrochen hatte und ließ die Behandlung klaglos über sich ergehen. Hank war froh darüber – so blieben ihm immerhin einige Sekunden, um seine Gedanken zu ordnen.

„Du... bist nicht Cole. Und du wirst niemals Cole sein“, begann er heiser zu erklären. „Und das ist auch nicht deine beschissene Aufgabe. Scheiße, Connor, ich...“

Seine Stimme brach und er schluchzte laut auf. Dann spürte er plötzlich, wie Connors Arme sich um ihn legten. Zitternd holte er Luft und fuhr fort: „Ich will nicht, dass du auch nur für eine Sekunde glaubst, ich würde dich als Ersatz für Cole ansehen. Du bist... du. Du bist Connor. Du bist der blöde, nervige Plastikpudel, über den ich irgendwie gestolpert bin und den ich einfach nicht mehr loswerde. Und ich würde es nicht anders wollen.“

Abgesehen davon, dass Hank die Vorstellung entsetzte, Connor könnte glauben, er müsse Cole ersetzen... noch viel, viel schlimmer war diese leise Stimme in Hanks Hinterkopf, die ihm zuflüsterte, dass doch genau das der Fall war. Dass er Connor nur deswegen ins Herz geschlossen hatte. Dass Connor nur ein Ersatz für seinen Sohn war.

Dass er Connor nur bei sich behielt, um die eigenen egoistischen Bedürfnisse eines trauernden Vaters zu befriedigen.

Der Gedanke tat so weh, das Hank es kaum aushielt.

„Hank... das weiß ich“, antwortete Connor schließlich. „Ich weiß, dass die Bindung zwischen Eltern und ihren Kindern für gewöhnlich über alle anderen Arten von zwischenmenschlichen Beziehungen hinaus geht. Cole war... ein Teil von dir. Er ist es immer noch. Ich weiß, dass ich ihn nie werde ersetzen können. Aber... aber das ist okay. Ich bin... zufrieden, dich mit der Erinnerung an Cole teilen zu können. Und wenn es mir dabei gelingt, dir zumindest hin und wieder ein wenig von deiner Last nehmen zu können... dann bin ich ebenfalls zufrieden.“

„Scheiße, Connor. Du bist mir nichts schuldig“, warf Hank ein. „Du hast mir bereits viel mehr gegeben, als ich dir je zurückzahlen könnte...“

„Was das betrifft, scheinen sich unsere jeweiligen Sichtweisen erstaunlich exakt zu überschneiden“, entgegnete Connor mit leichtem Lächeln und dieser speziellen Stimme, die Hank hin und wieder liebevoll als die Klugscheißer-Stimme bezeichnete. „Und da wir ebenfalls beide überproportional stark zu ausufernder Sturheit neigen, befürchte ich, dass wir diesbezüglich wohl heute auf keinen gemeinsamen Nenner kommen werden.“

Hank konnte nicht anders – aller Absurdität der aktuellen Situation zum Trotz musste er lachen. „Was das deine Psychotherapie-App?“, fragte er, während er sich Tränen aus den Augen wischte.

Connor lächelte noch breiter. „Ich verspreche, sollte jemals eine solche App entwickelt werden, werde ich sie nicht installieren.“

„Guter Junge“, lachte Hank wieder und klopfte Connor auf die Schulter. „Aber ich meine es ernst. Du... du magst nicht mein Sohn sein, aber du bist mein Partner und mein Freund. Und ich könnte mir in beiden Fällen niemand besseres vorstellen als dich.“

„Das kann ich nur zurückgeben, Hank“, antwortete Connor lächelnd.

Hank betrachtete ihn kurz und sagte leise, doch immer noch lächelnd: „Ich weiß, es klingt wahrscheinlich... jämmerlich, aber... ich glaube, Cole hätte dich gemocht. Und ich glaube, er wäre ein bisschen geworden wie du.“

„Ein blöder, nerviger Plastikpudel, den du einfach nicht mehr loswirst?“

„Und ohne einen Funken Verständnis für simpelsten Humor“, bestätigte Hank. „Coles Witze waren ungefähr genauso schlecht wie deine.“

„Das bedeutet immerhin, ich habe bereits das humoristische Niveau eines 6-Jährigen erreicht. Ich betrachte das als Fortschritt“, konterte Connor und zwinkerte Hank zu. Dann hob er den Blick, als feine, weiße Flocken vom Himmel schwebten. „Wir sollten nach Hause fahren, Hank. Der Schneefall wird in den nächsten Stunden zunehmen. Außerdem ist dir kalt.“

„Ja, ja, schon gut“, stimmte Hank zu. Schwerfällig erhob er sich – nach dem langen Sitzen in der Kälte waren seine Gelenke steif geworden. Connor erhob sich deutlich geschmeidiger und griff nach den zwei noch ungeöffneten Bierflaschen, die Hank vorsorglich neben der Bank deponiert hatte.

Hank selbst merkte erst da, dass er immer noch das Bild in den Händen hielt. Ein letztes Mal fuhr er mit dem Daumen darüber, wischte ein paar verirrte Schneeflocken weg, dann steckte er das Bild in seine Manteltasche. Er bemerkte, dass Connor ihn aufmerksam dabei beobachtete, doch er kommentierte es nicht und Hank beließ es dabei.

Für eine Nacht hatten sie gar keine schlechte Arbeit geleistet. Es war noch immer ein weiter Weg, bis er und Connor sich alles gesagt haben würden, was sie einander zu sagen hatten, aber... es war wohl definitiv ein Anfang gewesen. Und auch, wenn seine Gelenke bei jedem Schritt knackten und krachten, hatte Hank sich schon lange nicht mehr so leicht gefühlt.

Gemeinsam gingen sie zum Auto und Hank übergab Connor die Schlüssel, ohne eine Diskussion vom Zaun zu brechen – er würde sie ja sowieso nicht gewinnen.

Die Fahrt verbrachten sie in behaglichem Schweigen, die einzige Geräuschkulisse waren die Saxophon-Töne des Jazzmusikers im Radio.

Die Straßen waren leer, aber das war natürlich zu erwarten gewesen. Wer war schon am Heiligabend nach Mitternacht noch freiwillig unterwegs? Außer einem exzentrischen, alten Cop und seinem Plastik-Partner.

Als sie nach fast einer halben Stunde Fahrtzeit – Hank verzichtete darauf, sich über Connors übervorsichtigen Fahrstil lustig zu machen – endlich in Hanks Einfahrt einbogen, blinkte Connors LED kurz blau auf, dann gingen die Außenlichter des Hauses an.

Hank stöhnte leicht, als er sich aus dem Auto kämpfte und wartete, bis Connor die Tür aufgeschlossen hatte. Kaum hatte er diese auch nur einen Spaltbreit geöffnet, drängte sich bereits Sumos großer Kopf heraus, um den Androiden schwanzwedelnd zu begrüßen.

„Schon gut, Sumo. Ist ja gut. Geh schon rein! Ja, ich hab dich auch vermisst... Hank? Kommst du?“

Connor sah ihn verwirrt an, als Hank keine Anstalten machte, ihm ins Haus zu folgen. Stattdessen war er einfach auf der Türmatte stehen geblieben und hatte mit einem leichten Stich im Herzen beobachtet, wie vertraut Sumo und Connor mittlerweile miteinander umgingen. Wieder kam ihm in den Sinn, wie Sumo stets auf Cole gewartet hatte... genauso, wie er jetzt auf Connor gewartet hatte...

Doch diesmal blieb der überwältigende, betäubende Schmerz aus. Stattdessen fühlte Hank eine schwer zu beschreibende Wärme, die sich in ihm ausbreitete und sich wie eine Decke über den Schmerz zu legen schien.

„Hank? Ist alles in Ordnung?“, fragte Connor erneut mit leichter Beunruhigung in der Stimme.

Endlich gab sich Hank einen Ruck und trat durch die Tür ins Warme. „Ja, ja... 'tschuldigung, war nur kurz abgelenkt“, murmelte er, doch im Vorbeigehen klopfte er Connor auf die Schulter und lächelte ihn an.

Es gab Wunden, die niemals vollständig verheilten, das wusste Hank nur zu gut. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, wollte er das auch gar nicht.

Aber vielleicht... vielleicht war es ja in Ordnung, zuzulassen, dass zumindest ein paar der alten Narben endlich verblassten.

„Hank? Gibt es einen bestimmten Grund, warum du mich so anstarrst?“

Hank schmunzelte und holte Coles Bild aus der Manteltasche. Dann stellte er es auf die kleine Anrichte neben dem Plattenspieler. „Nein, den gibt es nicht. Alles gut, Connor.“

Nicht alles. Nicht wirklich. Aber... das war okay. Als Sumo seinen Körper gegen Hanks Beine drückte, streichelte Hank dem Bernhardiner über den Kopf. Dann beobachtete er, wie Sumo, offensichtlich zufriedengestellt, zu Connor hinüber trottete, der sich soeben die Schuhe ausgezogen und sich auf dem Sofa niedergelassen hatte. Sumo legte dem Androiden seinen schweren Kopf in den Schoß und Connor begann wie selbstverständlich, den Hund liebevoll zu kraulen.

Wieder musste Hank lächeln.

Ja. Ja, es war okay.

Autorennotiz

Ein kleiner weihnachtlicher OS. Zwar einen Tag zu früh, aber seien wir doch ehrlich - wer hat an Weihnachten schon Zeit zum Lesen von FFs? Ich wünsche viel Spaß.

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Autor

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Sätze: 293
Wörter: 3.880
Zeichen: 22.504

Kurzbeschreibung

Als durch ein Geschenk Connors bei Hank alte Narben aufreißen, ist es an der Zeit für ein lange fälliges Gespräch. Und vielleicht für ein wenig Linderung der alten Schmerzen.

Kategorisierung

Diese Fanfiction wurde mit Schmerz und Trost, Freundschaft und Trauer getaggt.