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Die letzte Chance

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03.11.21 16:55
6 Ab 6 Jahren
Fertiggestellt

Die Geschichte ist eine kleine Erinnerung an die KFP Figur Lord Shen aus "Kung Fu Panda 2".


1. Lebendig und verurteilt

Geistesabwesend starrte Po auf das zerstörte Schiff, wo er Lord Shen das letzte Mal gesehen hatte. Feuerwerk erfüllte die Luft, gemischt mit Schießpulver und dem Geruch vom nassem Holz. Der Panda strich sich über sein feuchtes Fell. Seine Knie zitterten ein wenig. Was für ein Tag. Er hatte tatsächlich eine ganze Armee besiegt. Und seinen inneren Frieden gefunden. Doch trotz des ganzen Triumphes drückte ihn etwas unglaublich Schweres auf der Seele.
„Nimm's nicht so schwer, Po“, sagte Monkey.
Po drehte sich um und blickte in die Gesichter seiner Freunde.
„Du hast das Richtige getan“, fügte Tigress hinzu und nickte ihm aufmunternd zu.
„Ja“, murmelte Po noch etwas traurig. „Ja, das habe ich, aber dennoch, ich hatte so gehofft, er würde begreifen und…“
Er unterbrach sich selber und schaute wieder zurück auf das sinkende Schiffsfrack, wo immer noch Feuerwerkskörper mit lautem Krachen explodierten. Die Farben waren wunderschön, aber der Drachenkrieger wusste, dass dieses bezaubernde Schauspiel mit Traurigkeit vermischt war, für eine Kreatur, gefangen gewesen in Hass und überheblichem Stolz. Nachdem er ihm die Entscheidung überlassen hatte, hatte er gehofft, er würde diesmal das Richtige wählen, aber es war anders gekommen.
„Po?“
Shifus Stimme holte ihn wieder aus seinen tiefen Gedanken zurück.
Der kleine rote Panda schaute ihn mit ernsten aber auch warmen Blick an.
„Es war seine eigene Entscheidung gewesen, die du nicht ändern konntest. Du hingegen hast alles richtig gemacht. Er wählte seinen Weg und bekam das, was er verdiente.“
Po nickte nach einer Weile. Sein Lehrer hatte Recht.
„Und sieh nur, Po.“ Shifu deutete hinter sich. „Du hast Gongmen gerettet. Du hast China vor einer Katastrophe bewahrt. Das ist mehr als man erwarten konnte.“
Ein kleines Lächeln glitt über das Gesicht des Drachenkriegers. „Stimmt.“
Sein Blick wanderte zurück zu seinen Freunden, die inzwischen von mehreren Stadtleuten gefeiert wurden.
Po seufzte tief und gesellte sich zu den anderen ins Stadtzentrum. Aber was wäre passiert, wenn er Shen gepackt hätte, bevor die schwere Kanone auf ihn herabgesaust wäre? Er fand darauf keine Antwort. Aber vielleicht war es doch das Beste für alle, dass der Pfau seinen letzten Atemzug auf der Erde getan hatte. Er hatte seinen Frieden gefunden. Für immer.
Po holte tief Luft und schwang die Arme hoch.
„Yeeeaaah! Jetzt ist Party!“

Die Zeit flog dahin und Po und seine Freunde waren in der Zwischenzeit wieder zum Jade-Palast zurückgekehrt. Nach all dem hatte Po über so vieles nachzudenken. Über seine Begegnung mit Shen und auch über seine Familie. Doch über das, was sich inzwischen in Gongmen abspielte, hatte er keine Ahnung…

Stadt Gongmen

Nach dem Sieg über Shen hatten Meister Kroko und Meister Tosender Ochse wieder die Kontrolle über die Stadt und waren damit beschäftigt die Stadt von Shens Anhängern zu säubern. Ebenso die zerstörten Gebäude, die durch Shens Machenschaften zerstört wurden, mussten wiederaufgebaut werden und das abgerissen, was Shen für den Bau seiner Kanonen verwendet hatte. Auch das Einsammeln der Trümmerteile im Fluss war reinste Knochenarbeit. Nashornsoldaten patrouillierten durch die Stadt, stets ein wachsames Auge, da Shens Leute sich immer noch herumtrieben, bis auch diese das Feld geräumt hatten.
Meister Ochse und Meister Kroko hatten ihr Quartier in einem Haus neben dem zerstörten Palastturm aufgeschlagen und beide hofften inständig bald wieder zum normalen Alltag übergehen zu können. Doch bevor sie das tun konnten, unterbrach etwas ihre Hoffnung auf Frieden, als ein Wächter mit schnellen Schritten ins Haus gerannt kam.
„Meister Kroko! Meister Tosender Ochse!“, rief er. „Wir haben etwas im Hafen gefunden!“
Meister Ochse verdrehte die Augen. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Wächter etwas gefunden haben, was ihn überrascht hätte.
Das Nashorn beugte sich vor und flüsterte den beiden etwas zu.
Meister Ochse, der jetzt doch überrascht war, und Meister Kroko standen jetzt da mit großen Augen.
„Seid ihr sicher?“, fragte Meister Ochse ungläubig.
„Ziemlich sicher“, beteuerte das Nashorn.
Die beiden Meister wechselten kurz einen Blick, dann verließen sie eilig das Haus.

Am Hafen hatten sich mehrere Leute versammelt und standen in einer Tiertraube um etwas herum. In deren Mitte standen rechts und links zwei Nashörner, ihre Speere auf dem Boden gerichtet.
Als die zwei Meister eintrafen, machten die Leute ihnen respektvoll Platz.
Irgendetwas weißes schmutziges lag auf den Holzsteg. Beide Meister erkannten die Gestalt des Ex-Herrschers. Der Körper was nass, überzogen mit leicht angesenkten Federn. Auch die Robe war teilweise zerrissen.
„Sieht tot aus“, meinte Meister Kroko.
„Er atmet noch“, entgegnete ihnen ein dünnes Schaf in violetten Mantel, bei dem es sich um den Stadtarzt handelte.
„Wird er überleben?“, fragte Meister Ochse düster.
„Nun, ja und nein.“
„Ja oder nein?“, fragte der Meister hartnäckig.
„Er befindet sich in einem schlechten Zustand, aber er scheint nicht sehr schwer verletzt zu sein. Mit etwas ärztlicher Behandlung, denke ich…“
„Er verdient keine ärztliche Behandlung!“, schnitt Meister Ochse ihm das Wort ab.
Er gab den zwei Nashorn-Wärtern ein Zeichen und einer von ihnen zog sein Schwert.
Auf einmal entstand ein Ruck durch den Vogelkörper. Die zwei Kung-Fu-Meister nahmen sofort eine kampfbereite Position ein. Die Nashörner richteten ihre Speere weiter runter und hielten mit den Spitzen den Kopf des Pfaus fest. Einige Leute wichen erschrocken zurück. Jeder fürchtete sich vor einem möglichen Angriff des Lords. Doch dieser stand nicht auf. Stattdessen bewegte der Pfau nur ein wenig seine Flügel. Seine Augenlider flackerten heftig. Schließlich schaffte er es den Kopf zu bewegen. Meister Ochse spannte seine Arme an, um einen Angriff von Shen so früh wie möglich abwehren zu können. Doch der Vogel war viel zu geschwächt, um sich zu erheben. Zudem hielten ihn die Nashörner immer noch mit ihren Speerspitzen am Boden fest, die sich jetzt wieder etwas enger um seinen Hals schoben. Meister Ochses Anspannung ließ ein wenig nach, als er sah, dass der Lord nicht für einen Kampf bereit war. Shen öffnete etwas seinen Schnabel, doch er war völlig außer Stande auch nur einen Laut von sich zu geben, nur ein heiseres kaum hörbares Krächzen. Doch er hatte noch die Kraft sich umzuschauen. Zuerst sah er Meister Tosender Ochse und Meister Kroko neben sich stehen. Anschließend wanderte sein Blick mit zittriger Bewegung weiter nach oben zu den zwei Nashörnern, einer mit einem Schwert in der Hand, welches direkt über ihn gerichtet war. Der Herrscher stöhnte mit zittriger Stimme, sehr wohl wissend in was für einer gefährlichen Lage er sich befand. Seine Augen wanderten zurück zu Meister Ochse. Dieser verschränkte die Arme und schaute mit verächtlicher Geste auf ihn herab. Shen ließ ihn nicht aus den Augen, die vor lauter Hass brannten. Er weigerte sich um Gnade zu betteln. Nach mehreren schweren Atemzügen ließ der Lord seinen Körper auf den Boden sinken, ohne ein Zeichen von Angst, und schaute den Meister mit hämischem Blick und einem gemeinen Lächeln auf dem Schnabel an. Meister Ochse verengte die Augen vor Wut. Diese verfluchte Kreatur zeigte keine Spur von Reue.  
In diesem Moment schwang das Nashorn das Schwert über Shens Hals.
Plötzlich hob Meiser Ochse den Huf. „Warte!“
„Warte?“ Meister Kroko verstand nicht. „Wieso warten?“
„War das jetzt ein ja oder nein?“, frage das Nashorn irritiert.
„Werft ihn in den Kerker!“, befahl der Ochse ohne weitere Erklärungen.
Die zwei Nashörner packten den Pfau an den Flügeln und zerrten ihn weg. Shen stöhnte leise, während sein ehemals stolzer Körper hängend über den Boden geschliffen wurde.

„Ich verstehe dich einfach nicht. Wieso hast du ihn verschont?“, fragte Meister Kroko, als sie ihr Hauptquartier wieder erreicht hatten.
Meister Ochse lachte. „Wer sagt denn, dass ich ihn verschonen werde?“
Meister Kroko hielt mit offenem Mund inne. „Was?“
„Hast du es etwa vergessen?“
Sein Kollege verstand immer noch nicht und sah ihn fragend an.
„Lass mich dir deinem Gedächtnis mal auf die Sprünge helfen.“
Mit diesen Worten wandte sich der Ochse zu einem Bücherregal, in dem mehrere Pergamentrollen lagerten. Ohne lange zu suchen, zog er eine davon heraus und breitete sie auf den Tisch aus.
„Hier, dieses Schriftstück wurde vor 20 Jahren* aufgesetzt, kurz nach Shens Verbannung.“
Meister Kroko seufzte. „Ich erinnere mich. Sein Vater schrieb es unter Tränen, seine Mutter weinte an seiner Schulter…“
Ein lautes Schnauben von Meister Ochse unterbrach ihn und der mächtige Kung-Fu-Meister fuhr mit seinen Erläuterungen fort: „Es heißt hier, dass, sollte Shen jemals zurückkommen, soll er für seine Vergehen bezüglich des Angriffs auf das Panda-Dorf bestraft werden. Seine Eltern standen vor zwei Möglichkeiten. Erstens, Verbannung, oder zweitens Gefängnis für immer. Sie entschieden sich für die Verbannung und dass er nie wieder einen Fuß in diese Stadt setzen durfte.“
Es folgte eine kurze Pause bevor er weitersprach: „Jetzt ist er zurückgekehrt. Normalerweise stünde ihm jetzt ein ewiger Gefängnisaufenthalt bevor bis zum Ende seines Lebens. Meiner Meinung nach, eine sehr milde Strafe. Er erhielt damals nicht sofort die Todesstrafe, weil er als königliches Mitglied einen besonderen Schutzstatus hatte.“
Meister Kroko rieb sich verwirrt den Kopf. So wie er seinen Freund kannte, hatte er noch mehr zu sagen. „Und?“
Meister Ochse ging nicht auf seine Frage ein, sondern holte ein weiteres Pergament, welches Bestandteil der Gesetzessammlung der Stadt Gongmen war.
„Laut dem Gesetz der Stadt Gongmen, sind Shens Straftaten jetzt weitaus höher als früher. Mit dem Mord an Meister Donnerndes Nashorn, dem Oberhaupt des Kung-Fu-Konzils, hat er gegen den Kung-Fu-Kodex verstoßen. Dafür müsste er exekutiert werden. Das würde miteinschließen: Erdrosseln, in vier Teile zerlegt werden etc.… aber…“ Sein Huf wanderte weiter über das Papier nach unten. „Mit seinem Versuch China zu erobern, sind wir berechtig die absolute Höchststrafe an ihn zu verhängen.“
Meister Kroko wusste was er damit meinte.
„Aber…“
Meister Ochse warf ihm einen wütenden Blick zu. „Was ist denn?“
„Es würde seinen Eltern das Herz brechen.“
Meister Ochse schlug mit der Faust auf den Tisch und hämmerte hart auf das Pergament. „Es ist ein Gesetz der Stadt Gongmen! Und wir müssen diesen Vorschriften Folge leisten!“
Meister Kroko schwieg betroffen. Dann nickte er und schaute zu einem großen Gemälde hoch, auf dem Shens Eltern abgebildet waren. „Mögen sie uns unsere Entscheidung vergeben.“

 

*Laut "Kung Fu Panda 2" sollte Shen 30 Jahre auf den Moment seiner Eroberung gewartet haben. In "Kung Fu Panda 3" hingegen ist Po ca. 21 Jahre alt. Es ist anzunehmen, dass Shens Verbannung nur knappe 20 Jahre gedauert hatte.

2. Das letzte Mal

Po gähnte laut, als er an diesem Morgen früher als sonst aufstand. Es waren bereits mehrere Tage nach ihrer Rückkehr aus Gongmen vergangen, und er hatte die Geschichte von ihrem großen Sieg immer und immer wieder im Dorf erzählen müssen.
Müde rieb er sich übers Gesicht. Er war noch ziemlich verschlafen. Er hatte etwas in seinen Träumen gesehen. Einen Albtraum.
Während seine Freunde immer noch schliefen, schlich er sich aus dem Haus nach draußen, wo er wusste, dass Meister Shifu seine Tai-Chi Entspannungsübungen unter dem Pfirsichbaum zu tun pflegte.
Die Sonne hatte den Horizont noch nicht überschritten und ein leichter Nebel lag über dem Tal.
„Meister Shifu?”
Meister Shifu unterbrach seine Bewegungen nicht, hob aber seine langen Ohren etwas höher. „Oh, so früh schon auf den Beinen, Drachenkrieger?“
„Äh, ja. Und ich…“
Er rieb sich den Kopf. „Nun… uuuuund…“
Shifus Augenmuskulatur spannte sich an. „Ja, Po?“
„Ich konnte nicht gut schlafen. Ich glaube, ich… das heißt, ich weiß es nicht. Vielleicht war es, weil so vieles passiert war in der Stadt… oder es ist ein dringendes Zeichen dafür, dass ich frühstücken sollte.“
„Po, was ist los?“, fragte Shifu ruhig aber ernst.
„Äh… es war mehr ein Traum gewesen.“ Po hielt einen Moment inne. „Ein ziemlich schlechter Traum.“
„Was ist damit?“, erkundigte sich Shifu weiter, ohne seine Übungen zu unterbrechen.
Po winkte ab. „Ach, es wahr vielleicht nur einer von diesen verrückten Träumen, solche von denen mein Dad mir etwas über Nudeln erzählt hatte.“
„Po!“
Mit einem Mal ließ Shifu das Üben sein und sah den Panda etwas genervt an.
Dieser seufzte tief.
„Ich habe Shen gesehen.“
Shifu erstarrte und blinzelte heftig.
„In welchem Zusammenhang? Was hast du gesehen?“
„Äh, ist das wichtig? Stimmt etwas nicht?“
„Po, sag es.“
„Nun, äh… zuerst sah ich ihn in den unendlichen Tiefen dunklen Wassers versinken und dann, dann sprang er mich plötzlich an und streckte seinen Krallen nach mir aus, direkt in mein Gesicht. Danach bin ich aufgewacht. Ich versuchte wieder einzuschlafen… und…“
„Und?“
„Und ich habs geschafft.“ Po lächelte.
Shifus Augen verengten sich noch mehr. „Po.“
„Na schön. Danach… danach hab ich in einem dunklen Raum gestanden. Ziemlich düster. Dann sah ich dort wieder Shen. Allerdings… er hing an Ketten… mit Blut.“
Po fröstelte bei diesem Gedanken. „Puh… wenigstens bin ich danach wieder aufgewacht und hab über Nudeln nachgedacht, aber es hat nicht funktioniert. Also bin ich aufgestanden.“
Shifu sah ihn ernst an. Er drehte sich um und entfernte sich. „Na gut.“
„War das alles?“, fragte Po überrascht. „Keine weisen Ratschläge oder so was?“
„Nein“, entgegnete Shifu und spazierte weiter den Pfad entlang.
„Aber Ihr habt doch was“, rief Po und rannte hinter dem kleinen Meister her. „Ich sehe es in Euren Augen, Meister.“ Der Panda platzierte sich vor Shifu und ging im Rückschritt vor ihm her. „Wieso wollt Ihr es mir nicht sagen?“
„Da ist nichts.“
„Aber da ist doch was.“
„Nein.“
„Aber da muss was…“
„Po! Es ist genug!“
Po hielt irritiert im Lauf inne.
„Lass uns über wichtigere Dinge reden“, kommentierte Shifu und spazierte zu dem Ort, wo man einen schönen Ausblick über das Tal hatte.
„Etwas Wichtigeres?“, fragte Po etwas besorgt.
„Po, ich weiß immer noch nicht was, aber ich fühle etwas Schlimmes kommt auf unser Tal zu“, sagte Shifu ganz in Gedanken versunken.
„Was denn?“, fragte Po neugierig.
Shifu ging an den Felsen entlang. „Ich weiß es nicht, aber aus diesem Grund müssen wir besondere Vorkehrungen treffen. Besonders da das Fest des Friedens in zwei Wochen stattfinden wird.“
„Wow!“, jubelte Po.
Shifu warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Jetzt sag nicht, du hättest noch nie gehört von…“
„Doch, doch, doch, natürlich. Jeder im Dorf kennt die Geschichte. Ich kenne sie in und auswendig. Ich musste sogar mal einen Vortrag in der Schule darüber halten. Es ist das wichtigste Fest im Dorf. Vor sehr vielen Jahren war Krieg in diesem Land. Zwei Nationen kämpften gegen einander. Ihr Höhepunkt erreichte ihr Kampf in diesem Tal. Meister Oogway hatte in der Zwischenzeit die Kunst des Kung-Fu erlernt und noch bevor die beiden Nationen sich gegenseitig besiegen konnten, konnte er den Frieden zwischen ihnen wiederherstellen. Von diesem Tag an bekam das Dorf seinen Namen. Aber sollte jemand jemals diesen Frieden brechen, könnte das das Ende unseres Dorfes bedeuten.“
Shifu klatschte langsam und unbeeindruckt Beifall zu Pos Ausführungen und ging in den Jade-Palast.
„Ja, Po“, fügte er monoton hinzu. „Doch diesmal wird es etwas anders sein.“
„Wieso?“
„Jetzt, da der Drachenkrieger gekommen ist, wirst du den wichtigsten Teil übernehmen.“
„Wirklich? Wow! Was muss ich tun? Eine Parade anführen? An einem Ess-Wettbewerb teilnehmen? Oder, oder…?“
„Du wirst die zwei Herrscher der zwei Nationen in unserem Dorf willkommen heißen“, unterbrach ihn Shifu. „Sie wollen kommen, um den Drachenkrieger persönlich zu begrüßen. Und dabei darf nichts schief gehen.“
„Nur keine Sorge, Meister. Ich werde sie so herzlich begrüßen, dass sie gar nicht mehr von hier weggehen wollen.“
Damit drehte sich Po nach rechts und schaute ins Leere, als würde er mit einer unsichtbaren Person sprechen.
„Hi, ich bin Po… äh nein… Hallo, ich bin der Drachenkrieger, nennt mich Po… nein, nein, nein… nennt mich Drachenkrieger… äh, oder soll ich sagen: „Willkommen im Tal des Friedens“ zuerst? Ja oder nein?“
Shifu bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
„Nein, wartet, wartet, wartet! Oder wie wäre es mit "Willkommen, ich umarme euch mit der Umarmung des Friedens"… Ahhhhrggg! Ich schaff das schon, Meister! Ich schaff das schon… Ich brauche einfach nur etwas Übung.“
„Po, sei einfach du selbst, aber höflich.“
„Oh, ja, ja. Seeeehr höflich. Denn es könnte sonst das Ende unseres Dorfes bedeuten… Wirklich? Das Ende? Meister Shifu? Das ist doch nur ein Gerücht, oder? Nein?“
Shifu hob die Hand. „Po, das Beste wäre…“
Plötzlich öffneten sich die Türen und eine Palastgans stürmte herein.
„Meister Shifu! Ein Eilbrief!“
Er überreichte Shifu eine Papierrolle und entfernte sich wieder.
Shifu öffnete das Pergament und las es sich schweigend durch. Po bemerkte, wie sich das Gesicht des Meisters mit besorgten Zügen überzog.
„Schlechte Nachrichten, Meister?“, fragte Po vorsichtig. „Irgendetwas mit Ihrer Familie? Ein Überfall? Ich bin bereit…!“
„Shen hat überlebt.“
Po erstarrte.
„WAS?!“
„Man hat ihn in der Nähe des Hafens gefunden und…“
„Der Traum!“, rief Po und rannte hin und her. „Das war eine Vision! Wir müssen sofort alle Türen schließen! Wir müssen die Fenster blockieren!“
„Po! Er sitzt im Gefängnis.“
Sofort entspannte sich der Panda. „Puh, okay, im Gefängnis, gut… Gefängnis…“ Auf einmal kamen ihm die Bilder vom Ende seines Traumes wieder in den Sinn und seine Augen wurden weit vor Entsetzen.
Mit einer schnellen Bewegung entriss er dem Meister den Brief.
„Hey!”, schimpfte Shifu. „Es ist dir nicht erlaubt…!“
„Pssst!“
Po überflog die Zeilen.
„Die Höchststrafe?“
Schnell nahm Shifu das Papier wieder an sich.
„Was werden sie mit ihm machen?“, fuhr Po mit seiner Frage fort.
„Po, es gibt Dinge, die unausgesprochen bleiben sollen. Das Konzil hat entschieden an Shen die Höchststrafe zu verhängen.“
„Äh, okaaaay. Gut, äh. Was bedeutet das?“
Shifu schieg. Er rollte die Papierrolle zusammen und entfernte sich mit langsamen Schritten, während Po ihm unaufhaltsam folgte.
„Haben die vor ihn zu töten?“
„Po, du musst wissen, es gibt Situationen, in denen man nicht mehr leben möchte.“
Po ahnte, dass das kein gutes Zeichen war. Schweigend blieb er stehen und öffnete mit etwas Zögern wieder den Mund.
„Kann ich ihn besuchen?“
„Nein!“ Shifu wandte sich um und deutete mit dem Brief auf ihn. „Ich weiß, du bist der Drachenkrieger, aber du bist immer noch zu jung, um dir solche Dinge ansehen zu müssen. Es ist ein Prozess von Schmerzen und todesnahen Qualen. Sie werden ihn so lange wie möglich am Leben halten während sie ihn foltern.“
Po schluckte.
„Wann soll es geschehen?“
„Po! Ich sagte, du bleibst hier!“
„Ich will doch nur wissen, wann.“
„Ich weiß es nicht. Sie schreiben nur, dass es in kürzester Zeit passieren wird. Ich vermute, dass sie ihm Zeit geben wollen seine Kräfte zu sammeln bis er stark genug ist. Es ist eine alte Regel, dass ein Gefangener in guter Verfassung zu sein hat, um die Folter lange genug zu ertragen.“
Po tippte nervös seine Fingerspitzen zusammen. „Ähm… Darf ich mit ihm reden?“
Shifu legte seine Ohren zurück. „Po, er hat deine Eltern ermordet. Wieso willst du ihn sehen?“
„Ich möchte mit ihm in aller Ruhe reden. Nur noch ein letztes Mal.“
„Du bist sein größter Feind. Ich glaube nicht, dass er dich sehen will.“
„Er war der Letzte, der meine Eltern gesehen hatte. Ich habe noch einige Fragen an ihn. Als wir das letzte Mal darüber gesprochen hatten, war es ein wenig zu... kurz. Wenigstens für ein paar Minuten.“
Shifu sah ihn skeptisch an, dann seufzte er tief.
„Po. Ich kenne deine Gutmütigkeit, die auch ich sehr zu schätzen weiß, aber wag es nicht dem Konzil von Gongmen zu widersprechen. Es ist beschlossene Sache, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Auch eine alte Regel.“
Po schwieg, dann nickte er.
„In Ordnung.“
Meister Shifu verengte die Augen. „Po. Versprich es.“
Po seufzte. „Ich verspreche es.“
„Na schön. In diesem Fall hast du meine Erlaubnis zu gehen. Aber! Das du mir ja innerhalb von zwei Wochen wieder zurückbist, noch bevor das Fest beginnt.“

3. Alleine ist nicht genug


„Wo willst du hin?“, fragte Monkey, als er Po mit einem Rucksack auf dem Rücken ihnen entgegenkommen sah.
„Oh, ich werde eine kleine Reise machen.“
„Ohne uns?“ Viper war überrascht.
Po berichtete was sich in Gongmen ereignet hatte. Eine Weile herrschte unter seinen Freunden tiefes Schweigen.
„Wir kommen mit dir“, sagte Monkey mit fester Stimme.
„Nein“, entgegnete Po ernst. „Ich muss alleine da hin. Das ist nur eine Sache zwischen mir und ihm. Ich möchte mit ihm alleine sprechen. Ganz alleine.“
„Wir könnten doch draußen warten“, schlug Crane vor.
„Tut mir leid, aber das ist eine Ein-Mann-Tour. Ich habe damals mein Dorf alleine verlassen und alleine werde ich auch meinem Schicksal entgegenblicken.“
Tigress wollte etwas erwidern, doch Po sah sie so entschlossen an, dass sie schließlich nickte.
„Dann geh.“
Po seufzte erleichtert. „Danke.“
Nach einer Welle des “Auf Wiedersehens”, machte Po sich auf den Weg und ließ das Dorf hinter sich. Seine Freunde verfolgten ihn mit ihren Blicken bis er hinterm Horizont verschwunden war.

Po konnte sich nicht daran erinnern, dass der Weg nach Gongmen so lang gewesen war. Vielleicht lag es auch nur daran, dass er diesmal alleine wanderte, ohne die Gegenwart seiner Freunde, mit denen er sich immer angeregt unterhalten konnte, wobei die Zeit schnell verflogen war. Nach einem “langen” Fußmarsch, es waren gerade mal ein paar Kilometer, ließ er sich keuchend auf einem flachen Stein nieder.
„Uff, meine Güte, ist das anstrengend.“
In diesem Moment meldete sich sein Magen.
„Oh Mann, hab ich einen Hunger. Ich brauche etwas Kraftstoff.“ Er stellte den Rucksack auf den Boden ab. „Energie für den Drachenkrieger.“
Er öffnete die Tasche und holte ein Päckchen heraus. Doch plötzlich…
„Ahhh!“
Vor Schreck ließ Po das eingewickelte Lunch-Paket fallen, als eine kleine, grüne Gestalt haarscharf an ihm vorbei auf einen Stein sprang.
„Mantis!“, schimpfte Po. „Ich hab doch gesagt, dass ich alleine gehe!“
„Tut mir leid, aber wir können dich nicht einfach so alleine auf eine Mission gehen lassen.“
So langsam wurde Po wütend. „Ich schaff das alleine!“
Mantis schüttelte den Kopf. „Dann lass mich dich wenigstens nach Gongmen begleiten. Du brauchst doch bestimmt jemanden, der dir auf dem Hinweg etwas die Zeit vertreibt, oder?“
Dieser Satz ließ dem Panda seine Muskeln wieder entspannen, bevor er Mantis zu einem Kampf herausforderte. Er seufzte tief. Vielleicht war das doch keine so schlechte Idee.
„Na schön. Aber denk dran…“ Er nahm seinen Rucksack. „Es ist meine persönliche Mission.“
Mantis vibrierte dankbar mit seinen Antennen. „Na super.“ Damit sprang er auf Pos Kopf.

Das Gefängnis in Gongmen war kalt und dunkel, besonders in der hintersten Ecke des Gewölbes.
Shen wagte einen tiefen Atemzug durch seine schmerzenden Lungen. Nichts mehr sehnte er herbei als zu schlafen und einen Platz zum Hinlegen. Aber hier gab man ich keine Gelegenheit dazu. Seine metalllosen Krallen krallten sich in den harten steinigen Boden, während seine Kniee leicht zitterten. Ketten hielten ihn aufrecht und streckten seine Gliedmaßen in eine unangenehme Position. Weitere Eisenringe waren um seine wundgescheuerten Füße gekettet und hinderten ihn daran sich fortbewegen zu können.
Er zischte wütend. Dieser verdammte… Er zog an seinen Handfesseln.
„Mmpf!“ Diesen Versuch brach er sofort wieder ab. Es war unmöglich sich ohne starke Schmerzen davon loszureißen, denn diese Ketten waren eine Spezialanfertigung, gedacht für Tiere, die nicht so einfach anzubinden waren. Die Metallringe umwickelten nicht nur den mittleren Teil seiner Flügel, sondern waren zusätzlich mit Garn versehen, die durch seine Haut unter den Federn wie Ohrringe vernäht worden waren. Würde er sich davon losreißen, könnte es seine Haut böse zerreißen.
Mühsam bewegte er den Kopf, um den ein Lederknebel um seinen Schnabel gebunden worden war. Mehrere Male hatte er versucht das Teil herunterzubekommen, jedoch ohne Erfolg. Niedergeschlagen ließ er seufzend den Kopf hängen. Er kam sich vor wie ein eingesperrter Kampfhund.
Diese Schande. Wie konnte das nur passieren? Alles hatte wunderbar funktioniert, aber dann ist alles anderes gekommen, nachdem dieser Panda aufgetaucht war.
Seit man ihn hier eingesperrt hatte, hatte er diese schwarz-weiße Kreatur mehr als eine Million Mal verflucht. Doch er musste sich eingestehen, dass jede Art Fluchen jetzt sinnlos war.
Er betrachtete seine zerrissene Robe, wo er schmutzigen Federn und darunter seine gestreckten, wunden Füße sehen konnte.
Der ehemalige Herrscher fühlte sich mehr als gedemütigt, aber er wusste, dass das erst der Anfang seines Leidens sein würde.
Er stieß ein tiefes Stöhnen aus. Er war so müde. Diese skrupellosen Nashörner waren nicht gerade sanft mit ihm umgegangen, als sie ihn hierhergeschleppt hatten. Er bekam nicht einmal Zeit sich zu erholen. Ohne Rücksicht hatten sie ihn in die hinterste Zelle verfrachtet, ohne Wasser und Essen. Ohne Wärme und Pflege. Es war ein Wunder, dass sein Herz überhaupt noch schlug.
Er hustete durch die Nase und bewegte seine Zunge in seinem blockierten Schnabel. Sein Mund war völlig ausgetrocknet. Noch nie in seinem Leben hatte er sich nach so etwas Simplen gesehnt wie nach einem Tropfen Wasser.
Er hob den Kopf, als er Schritte im Korridor vernahm. Sofort spannte er seine Muskeln an, als eine große Gestalt die Tür zu seiner Zelle öffnete.
Im nächsten Moment betrat ein riesiges Nashorn den Raum und platzierte sich direkt neben ihn. Kurz darauf erschienen Meister Tosender Ochse und Meister Kroko.
Shen kniff seine Augen zu gefährlichen Schlitzen zusammen.
Meister Ochse nickte dem Nashorn zu und dieser entfernte den Lederknebel. Mit Abscheu warf Shen seinen Kopf mehrere Male hin und her und bewegte angeekelt den Schnabel, sichtlich froh darüber das widerliche Teil für einen Moment los zu sein.
„Stellt es dich zufrieden mich so zu sehen?“ zischte Shen gereizt. „Fühlst du dich mir gegenüber jetzt stärker?“
Meister Ochse schnaubte. „Du weißt sehr wohl, warum du hier bist.“
Insgeheim hatte Shen gehofft, dass ihm sowas nie passieren würde, doch der Tag war gekommen.
„Ich bin sehr neugierig es zu hören.“ Er lachte heiser, doch plötzlich musste er furchtbar husten. Seine Lunge brannte mit jedem Atemzug seiner Stimme.
„Das Gesetz von Gongmen verurteilt dich zum Tod durch Folter. Du weißt hoffentlich, was du zu erwarten hast.“
Shens Gesicht wurde wie Stein, doch dann lachte er spöttisch.
„Ist das alles?“ Wieder musste er husten und verfluchte sich dafür selbst. Er konnte die Genugtuung des Meisters gerade zu spüren. Die Atmosphäre in dem Raum war mehr als abgetötet.
Doch Meister Ochse bewegte keinen Muskel. „Doch weil du ein Teil der königlichen Familie bist, ist es dir erlaubt, ein Schmerzmittel einnehmen zu dürfen. Aber wirklich nur eine sehr geringe Menge.“
Der Lord schloss seine Fingerfedern ein wenig. Dann lächelte er boshaft.
„Von euch Narren brauche ich gar nichts“, antwortete er mit heiserer, frecher Stimme.
„Wie du willst“, meinte der Ochse abfällig und warf dem Nashorn einen signalisierenden Blick zu. „Check ihn durch.“
Damit ging der Wächter auf Shen zu und tastete das Gesicht und den Körper des Pfaus ab. Auf Shens Gesicht breitete sich ein Ausdruck des Ekels aus. Es war gegen seine Würde, dass ihn jemand so unverschämt behandelte als wäre er ein Sklave.
Der Pfau zuckte merklich zusammen, als das Nashorn seine Schulter berührte. Doch der Wächter schenkte seinen Schmerzen keinerlei Beachtung und warf zum Schluss noch einen Blick in Shens Mund, dann drückte er seine Augenlider runter.
Der Lord wehrte sich nicht, obwohl er sich nur zu sehr wünschte diesem Bastard ordentlich ins Gesicht schlagen zu können. Doch wollte er sich nicht der Schande aussetzen und sich wie ein Idiot vor den Kung-Fu-Meistern aufführen, die sich darüber nur amüsiert hätten. Nein, wenn er schon unterging dann mit Stolz und Würde. Meister Kroko sagte die ganze Zeit über kein Wort, schien aber so etwas wie Mitleid für ihren Gefangenen zu empfinden.
„Nur noch zwei weitere Tage und er ist bereit“, sagte das Nashorn abschließend und ließ vom Lord ab.
Shen zischte verärgert.
Meister Ochse nickte zufrieden. „Also, bist du bereit?“
Shen verengte die Augen. Erwartete der Ochse wirklich von ihm um Gnade zu betteln? Es stand dem Ochsen deutlich ins Gesicht geschrieben, dass er Shens brutalen, kaltblütigen Mord an Meister Donnerndes Nashorn nicht verziehen hatte. Shen wich seinem Blick aus, starrte an die Wand und ignorierte ihn.
„Antworte!“
Doch der Pfau stellte sich taub und stand da wie ein bockiges Kind.
Vor Wut schrie der Meister auf und wollte sich auf ihn stürzen, doch im letzten Moment hielt ihn Meister Kroko davon ab.
„Beruhige dich. Er wird seine Strafe noch früh genug bekommen.“
Meister Ochse stieß ein lautes Schnauben aus. Wütend schwang er mit den Fäusten durch die Luft. Sein Blick blieb weiterhin auf den arroganten Pfau gerichtet. Dann wandte er sich wütend ab.
„Wir sehen uns in ein paar Tagen auf deiner Abstrafung.“
Shen schnaubte aufmüpfig. „Es wird mir ein Vergnügen sein.“
In diesem Moment wollte das Nashorn ihn wieder knebeln, doch Shen wich ihm aus.
„Wage es ja nicht!“, warne er.
Das Nashorn schnaubte und packet den Pfau am Genick. Shen wehrte sich wie verrückt.
„Hast du so große Angst vor mir, dass du mich zum Schweigen bringen willst?“
Diese Worte waren an die beiden Meister gerichtet, die sich gerade zum Gehen abgewandt hatten. Bei den Worten des Pfaues drehten sie sich um, während Shen immer noch versuchte dem Knebel zu entkommen.
„Wie niederträchtig...mpmff!“ Mit aller Kraft presste der Nashorn-Wächter ihm den Lederknebel auf den Schnabel.
Meister Ochse schnaubte. „Nur um sicher zu gehen, dass du niemanden mit deinem unsinnigen Gerede beeinflusst.“
Noch ein letztes Mal schaffte es der Lord für einen kurzen Moment wieder frei zu kommen.
„Also hast du doch Angst, dass ich mich befreien könnte, ode..“
Diesmal ließ ihm das Nashorn keine Chance mehr sich zu äußern und schnürte die Seile des Knebels an seinem Hinterkopf fest.
Der Lord durchbohrte die zwei Meister mit seinen roten müden, aber höhnisch wütenden Augen. Seine Augen waren röter als sonst. Seit Tagen hatte er nicht mehr geschlafen. Doch der Wille des Vogels war noch lange nicht gebrochen.
Die Fäuste von Meister Ochse verhärteten sich. „Nimm es ihm ab“, schnaubte er.
Das Nashorn schnaubte zurück und entfernte den Knebel wieder. Hörbar rang Shen nach Luft. Eine Welle der Erleichterung überkam ihn, als sich die Zellentür wieder schloss.
Nachdem seine Peiniger verschwunden waren, wartete er noch ein paar Minuten bis er sicher war, dass sich niemand mehr in seiner Nähe befand. Dann atmete er tief aus und ließ den Kopf hängen.
Wieso verfluchte ihn das Universum mit einem qualvolleren Tod? Er war bereit zu sterben gewesen, als die Kanone auf ihn niedergefallen war. Jetzt hatte sich sein Leidensweg ungewollt verlängert. Sachte bewegte er die Flügel. Er presste die Augen zusammen und zischte. Es gab hier keinen Weg nach draußen. Er hatte noch nicht einmal die Chance sich selber umzubringen, bevor diese Bastarde ihm seinem letzten in seinem eigenen Blut getränkten Atemzug nehmen würden.
Wenigstens musste er diesen Panda nicht mehr sehen.

4. Was ist in der Nacht passiert?


Po verspürte einen Hauch der Erleichterung, als er und Mantis die ersten Häuser der Stadt Gongmen im Morgenlicht erblickten. Po wollte keine Zeit verlieren und steuerte geradewegs, nach einer kleinen Pause in einem Nudelrestaurant, auf das Haus der zwei Kung-FuMeister zu. Diese waren recht überrascht den Drachenkrieger früher als erwartet wiederzusehen.
Nach einer reichlichen Begrüßung, kam Po sofort auf den Grund seines Besuches zu sprechen.
„Ich habe gehört, dass ihr Shen gefunden habt.“
Das Gesicht des Ochsen verfinsterte sich. „In der Tat, das haben wir. Ich weiß nicht wie, aber es scheint als habe er einen Pakt mit den dunklen Mächten geschlossen.“
Po lächelte nervös. „Äh, ja. Wie geht es ihm?“
Meister Kroko nahm sich die Freiheit zu antworten und räusperte sich. „Nun, er lebt noch, aber…“
„... aber nicht mehr lange“, beendete Meister Tosender Ochse seinen Satz. „Seine Zeit ist abgelaufen. Wir werden mit der Bestrafung in weniger als einer Stunde anfangen.“
Po schluckte. Der Gedanke den ehemaligen Herrscher auf diese Art und Weise zu bestrafen behagte ihn nicht. Natürlich hatte er eine Menge schlimme Dinge getan. Inklusive des Mordes an seinen Eltern. Doch als er ihn nach dem unglaublichen Sieg so auf dem zerstörten Schiff liegen gesehen hatte, brachte er es nicht über sich ihn zu töten. Er hatte ihm die Chance gegeben sein Leben zu ändern. Doch…
„Warum fragst du?“, riefen ihn die Worte des Meister Ochsen wieder zurück. „Falls du vorhast ihn eigenhändig zu foltern, dann sorry, wir haben bereits einen guten Folterer engagiert.“
Nervös wedelte Po mit der Tatze. „Nein, nein. Ich bin hierhergekommen, um mit ihm zu sprechen.”
„Du willst ihm eine Standpauke erteilen? Die Idee gefällt mir. In diesem Fall wird es mir ein Vergnügen sein dich zu ihm zu bringen.“
Mit diesen Worten nahm der Ochse den Drachenkrieger beiseite und schob ihn zum Ausgang.
„Du hast außerdem die Ehre die ganze Show live mitzuerleben.“
„Show?“ Ängstlich rieb der Panda seinen Nacken.
„Wenn du willst bekommt du einen Platz ganz vorne“, fuhr Meister Ochse fort, während sie zum Gefängnis rüber marschierten.
„Oh, das ist sehr nett… aber ich kann doch nicht…“
„Natürlich kannst du. Doch wir sollten uns beeilen. Wir starten in 55 Minuten.“
Meister Kroko seufzte und trottete hinter den beiden her. „Er kann es einfach nicht abwarten.“

Po fühlte sich ein wenig unbehaglich, nachdem er die Gefängnishalle betreten hatte. Meister Ochse ging voraus, dicht gefolgt von Po. Zuvor hatte Po Mantis darum gebeten vor dem Gefängnis draußen auf ihn zu warten.
Ein Schauer durchzog den Panda, während sie immer tiefer durch die steinigen Korridore des Kerkers gingen. Ein paar Fackeln erhellten die Wände. In diesem Moment hielt der Ochse an. Po schaute an ihm vorbei nach vorne, wo ein gigantisch großes Nashorn vor einer metallenen Tür stand, die wiederum in einen weiteren Korridor führte. Sie wechselten ein paar Worte und das Nashorn öffnete die Türe, sodass sie ihren Gang fortsetzen konnten.
„Da wären wir.“
Eine Zellentür wurde geöffnet und Meister Ochse winkte mit einer einladenden Geste hinein. „Darf ich vorstellen, der als-bald-zu-Tode verurteilte Gefangene.“
Prüfend betrachtete Po die fast völlig dunkle Zelle.
„Oh, ja. Danke.“
Er trat ein und blieb kurz nach der Türschwelle wieder stehen.
Schweigend und fassungslos starrte er auf den weißen gebrochenen Vogel vor ihm. Die Wunden des Lords waren nicht behandelt worden. Sie waren immer noch dreckig und die ehemals silberne Robe hing zerfetzt und angesenkt an ihm herunter. Sie hatten ihn nicht mal wenigstens was Sauberes zum Anziehen gegeben. Ketten streckten den Pfauenkörper an Flügeln und Füßen. Shen hatte die Augen geschlossen und erweckte den Eindruck als würde er meditieren. Von Zeit zu Zeit bewegte er kaum sichtbar den Schnabel.
„Hat er keine medizinische Behandlung bekommen?“, fragte Po.
„Der kann sich entspannen, wenn er tot ist“, kommentierte der Ochse und lachte.
Po seufzte mitleidig. „Oh, okay. Kann ich jetzt mit ihm allein sprechen?“
Meister Ochse schnaubte. „Aber denk dran. Wir starten pünktlich auf die Minute.“
Er schloss die Tür und Po blieb allein zurück.
Shen bewegte sich nicht. Er schien weder was zu fühlen noch was zu hören.
Vorsichtig trat der Panda näher an den Pfau heran.
„Shen?“
Shens Gesichtsmuskeln verkrampften sich und ignorierte den Panda. Stattdessen bewegte er den Schnabel nur noch schneller.
„Äh… Shen?“
Po streckte seine Tatze aus und berührte die rechte Schulter des Herrschers, woraufhin Shen ein lautes Knurren von sich gab.
„Grrrggghh! Könnt ihr nicht...!“
Der Satz bleib ihm im Halse stecken, als er den Panda vor sich stehen sah. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er seinen Rivalen an. Doch dann kniff er sie zornig zusammen. „Du!“
Zögernd winkte Po ihm zu. „Äh, hi.“
Plötzlich sprang der Pfau nach vorne. Doch im nächsten Moment stieß er einen schrillen Schmerzensschrei aus und sank verkrampf zu Boden, als die Nähte seine Haut bei jeder Bewegung mehr und mehr verletzten. Doch so schnell diese Reaktion bekommen war, so schnell war sie auch schon wieder vorbei. Er schaffte es seine Schmerzen zu kontrollieren und fand seine Selbstbeherrschung zurück.
„Was willst du, Panda?”, fragte er erschöpft. „Es würde mich nicht wundern, wenn du derjenige bist, der dazu auserwählt wurde an mir die Folter zu vollstrecken.“
Noch immer hallten ihm die Worte der Wahrsagerin durch den Kopf.
„Äh, nein. Ich möchte nur reden.“
„Das ist eine sehr schlechte Folter für mich.“
Er warf ihm einen abfälligen Blick zu.
„Nein, es ist nicht so wie du denkst. Ich… wenn ich könnte… Ich wünschte, ich könnte das verhindern.“
„Verhindern was?”, fragte Shen im abfälligen Tonfall.
„Ich hab gehört, was sie mit dir vorhaben.“
Für einen Moment war Shen sprachlos, dann lächelte er. „Mpmf. Und du bist jetzt gekommen, um dich darüber zu amüsieren? Für einen Drachenkrieger bist du mehr als grausam.“
Po verengte die Augen. Es war sinnlos den Lord vom Gegenteil zu überzeugen. Er schluckte seinen Ärger hinunter und startete mit seiner Frage.
„Was ist in der Nacht passiert?“
Shen horchte auf und starrte ihn streng an.
„In welcher Nacht?“
„Du weißt ganz genau welche Nacht. Die Nacht von dem Tag, an dem du das Panda-Dorf angegriffen hast.“
„Da gibt es nichts mehr zu sagen.“
„Ja, wir haben schon neulich darüber gesprochen, aber ich möchte noch mehr wissen. Zum Beispiel, hast du meine Eltern getötet oder jemand von deinen Soldaten? Haben sie noch irgendetwas gesagt?“
Mit emotionslosem Blick schaute Shen ihn an. Ein grässliches Lächeln umspielte seinen Schnabel. „Wenn du nur deswegen gekommen bist, dann war dein Weg umsonst. Ich werde all mein Wissen mit mir ins Grab nehmen. Soweit ich überhaupt eins bekomme.“
Seine Augen sprühten vor bösartiger Schadenfreude. Und Po wusste, dass er solange Schweigen würde bis zu seinem letzten Atemzug.
Betrüb senkte er den Blick.
„Kann ich irgendetwas für dich tun?“
Shen kicherte bevor er mit heiserer, dunkler Stimme antwortete. „Bring dich selber um.“
Traurig sah der Panda ihn an. Es schmerzte ihn den Pfau so verbittert zu sehen, ohne eine Zukunft im Leben. Mühsam versuchte er etwas in den Augen zu lesen, doch Shen verstand es sehr gut seine inneren Gefühle vor anderen zu verbergen.
In diesem Moment öffnete ein Nashorn die Tür mit einem breiten Grinsen.
„So, die Besuchszeit ist vorbei.“

5. Langsame Demütigung


Das Nashorn löste die Eisenkette von der Wand, während diese weiterhin mit Shen verbunden blieb. Doch der Pfau nahm es gelassen hin. Oder er hatte sich schon längst mit seinem Vermächtnis abgefunden. Anschließend nahm das Nashorn die Enden der Ketten und zerrte den Verurteilten hinter sich her.
Po folgte ihnen mit den Augen. Als der Pfau an ihm vorbeiging, warf dieser ihm einen letzten schadenfrohen Blick zu, sichtlich zufrieden den Panda mit offenen Fragen einfach stehen lassen zu können. Dann ließ er sich ohne Widerstand vom Wächter abführen. Po ging ihnen hinterher und beobachtete den Pfau genau, doch dieser schien überhaupt keine Angst vor seinem schrecklichen Schicksal zu haben. Er flehte weder um Gnade oder um mehr Zeit, noch sträubte er sich oder sagte ein Wort. Er stolzierte einfach den Weg entlang, als wäre es das Normalste auf der Welt. Po jedoch konnte nicht glauben, dass der Lord nichts lieber wollte als hier herauszukommen. Doch andererseits gab es hier keine Möglichkeit zur Flucht. Nicht einmal er konnte das Kommende verhindern. Es war so wie Shifu gesagt hatte: es war beschlossene Sache.
Zusammen marschierten sie durch den Korridor, immer dem Wärter folgend, wo sie anschließend durch eine dicke Eisentür in einen Seitenraum abbogen. Mit Schaudern sah Po sich im Raum um. Neben den kahlen, kalten üblichen Steinwänden hingen Ketten von der Decke und einige Instrumente aus Holz und Metall standen herum. Shen hingegen zeigte sich merklich unbeeindruckt und betrachtete alles mit neuralem Blick.
Meister Tosender Ochse und Meister Kroko standen bereits in der Mitte des Raumes und unterhielten sich mit einem anderen Ochsen, der noch kräftiger und muskulöser gebaut war als Meister Ochse. Mit großen Augen betrachtete Po den gigantischen Ochsen.
„Wow, bist du nicht Wei, der dunkle Ochse von den Bergen der Angst?“
Der größere Ochse stieß ein stolzes Schnauben aus. „Ich bin von weit hergekommen, nachdem mir jemand gesagt hatte, dass man einen speziellen Job für mich hier hätte.“
„Sind Sie mit ihm verwandt?“, fragte Po neugierig und deutete auf Meister Ochse.
„Um ein paar Ecken herum.“
Po war beeindruckt. „Wow. Es ist mir eine Ehre Sie kennenzulernen.“
Damit verbeugte er sich ehrfürchtig.
„Also das ist dein Kandidat“, unterbrach Meister Ochse die Begrüßung und deutete mit abwertender Geste auf Shen. „Er ist ebenfalls erfreut dich zu sehen.“
Der große Ochse beschaute den stolz dastehenden Pfau. Mit schweren Schritten kam er näher und knackte mit seinen Huf-Fingern.
Shen lächelte. „Nettes Outfit. Bist du seine Großmutter?“
Und sah dabei auf Meister Ochse.
Po kicherte insgeheim.
Plötzlich schlug wie aus dem Nichts eine zentnerschwere Axt auf den Boden und verfehlte um Haaresbreite den Schnabel des Pfaus und blieb wenige Millimeter vor Shens Zehen im Steinboden stecken.
Po war so geschockt, dass er schwankend von Meister Kroko aufgefangen werden musste.
Shen hingegen bewegte keinen einzigen Muskel. Nur sein Lächeln war ihm gewichen.
„So, hast du vor mich zu zerteilen?“, fragte der Lord mit geschäftiger Stimme. „Wie fantasielos.“
Ein fieses Grinsen umspielte das Gesicht des Folter-Ochsen.
„Ich frage mich, ob du immer noch deine Witze reißt, wenn ich dir jede Feder einzeln rausreiße.“
Damit bewegte er drohend seine Huf-Finger. Shen beobachtete ihn mit mahnendem Blick.
Eine schnelle Bewegung...
„Au!“
Grinsend hielt der Ochse eine Feder in seinem Huf, die er ihm aus dem Flügel gezogen hatte.
„Mach das nicht nochmal!“, zischte Shen.
„Oh, hat das wehgetan?“, spottete der Ochse.
Der Pfau seufzte verärgert.
„Autsch!“
Wieder hatte der Ochse ihm eine Feder herausgerissen.
Der Folterer kicherte. „Jetzt stell dir mal vor wie es sich anfühlt, wenn sich das über deinen ganzen Körper so weiterzieht. Feder für Feder.“
Shens Gesicht wurde wie Stein. Jeder im Raum wusste nun, dass der Spaß vorbei war. Sachte faltete der Pfau seine Flügel etwas zusammen. Dieser Bastard wagte ihm das zu nehmen, was sein ganzer Stolz war.
Po schluckte. „Ähm… äh… interessante Methode. Aber denken Sie nicht, dass sie etwas ein wenig zu… hart ist?“
„Halt den Mund, Panda!“, fauchte Shen ihn an. „Dumme Einwände von jemanden wie dich, kann ich nicht gebrauchen. Das alles macht mir gar nichts aus.“
Der Folterer lachte. „Natürlich nicht.“
Po seufzte erleichtert.
„Das Nächste wird sogar schmerzhafter. Nur keine Sorge. Wir haben ein nettes Programm vorbereitet.“
Wieder wurde Po bleich unterm Fell. Nur Shen sagte kein Wort. Sein Körper schien wie zu Eis geworden zu sein. Nur seine Augen waren jetzt auf dem Boden gerichtet. Po beobachtete ihn mit hilflosem Blick. Noch hatte der Pfau eine kleine Chance seine Taten zu bereuen. Nur vielleicht. Doch Po ahnte, dass Shen sowas niemals tun würde. Er war stolz wie ein… ein Pfau.
„Mach doch was du willst“, waren die einzigen Worte, die der ehemalige Herrscher äußerte.
Im nächsten Moment umzingelten ihn zwei Nashörner rechts und links, während der Folterer sich selber vor Shen bedrohlich aufbäumte. Der Pfau sah zu ihm auf. Sein Gesicht zeigte weder Angst noch Emotionen. Wei griff einen Zipfel von Shens verbliebener Robe und ließ sie wieder fallen.
„Zieht es ihm aus. Du wirst den Lumpen eh nicht mehr brachen.“
Nur widerwillig ließ Shen sich von den beiden Nashörnern an den Flügeln packen. Der Ochse Wei hingegen zog ein Messer hervor und zerschnitt die schon bereits zerfetzte Robe mehr und mehr. Der Pfau protestierte laut, als er ihm anschließend die zerschnittene Robe vom Leib riss, das Letzte was ihm noch die Würde bewahrt hatte. Doch die Wärter waren viel stärker als der noch etwas geschwächte Albino und hatten keine Probleme ihn unten zu halten und dem Ochsen beim unfreiwilligen Entkleiden des Gefangenen zu verhelfen.
„Wie kannst du es wagen?!“, schrie Shen vor Wut.
Po wusste einfach nicht, ob er wegschauen sollte oder nicht. Die Federn bedeckten zwar immer noch den Pfauenkörper, aber was man mit ihm machte war schlicht eine Demütigung. Schließlich entschied sich der Panda nur einen Teil seines Gesichts mit der Tatze abzudecken, um wenigstens Shens hasserfülltem Blick auszuweichen.
„DAFÜR WIRST DU STERBEN!“, schrie Shen den Ochsen an.
Doch dem imponierte die Drohung überhaupt nicht und warf die Robe einfach irgendwo in eine Ecke.
„Nett.“ Er packe den Pfau am Nacken und hob ihn etwas hoch, während die beiden Wärter immer noch den Rest des Körpers unten hielten. „Besser du schonst deine laute Stimme. Du wirst sie später noch oft genug brauchen.“
„Ähm“, meldete sich Po schüttern zu Wort. „Also in diesem Fall werde ich jetzt wohl besser gehen. Ich hab sehr empfindliche Ohren müssen Sie wissen. Sehr empfindliche sogar.“
Mittlerweile hatte sich Shen wieder gefasst und sich seinen Stolz zurückgerufen.
„Was solls“, meinte er mit ruhigerer aufsässiger Stimme. „Die war sowieso schon alt gewesen.“
Trotz seiner Lage schaffte er ein unheimliches Lächeln aufzusetzen und schaute dabei auf Po. „Na, genießt du es, Panda?“
Po nahm seine Tatze runter und sah ihn mit traurigen Augen an. „Nein, es tut mir leid...“
Der Pfau warf den Kopf zurück und lachte. „Es tut dir leid? Warum so beschämt? Ich hoffe doch sehr, dass du es nie vergisst. Ich werde dich jagen in deinen Träumen bis du deinen letzten Atemzug auf dieser dummen verdammten Erde aushauchst.“
Po konnte nicht sagen wieso, doch er meinte Angst in der Stimme zu hören. Als ob der Pfau versuchte sich auf das vorzubereiten was als Nächstes kommen würde.
„Fein“, schaltete sich Ochse Wei wieder ein. „Nachdem wir uns etwas amüsiert haben, kommen wir jetzt zu unserem Programm.“
Mit verkrampfter Haltung ließ Shen sich von den beiden Wachen wegzerren. Dabei spannte er seine Muskeln so stark an, als ob er versuche jede Art von Gefühl und Nerven seines Körpers abzutöten. Er wusste, dass er jetzt alle Kraft aufwenden musste. Dennoch war er sich nicht sicher, ob er dies lange durchstehen würde, da er immer noch ziemlich geschwächt war, um eine komplette innere Stärke aufzubauen.
Er wurde ausgestreckt mit Ketten an beiden Flügeln und Füßen wie vorhin in seiner Zelle, doch diesmal etwas mehr als normal. Shen nahm einen tiefen Atemzug, als der Ochse seine Gliedmaßen weit genug gestreckt hatte, dass es ihn beinahe schmerzte.
„Warum auf einmal so verkrampft?“, fragte Wei mit gespielter Verwunderung. „Du solltest dich entspannen, wenn du es genießen willst.“
Damit holte er eine lange Zange hervor. Shen betrachtete sie flüchtig und schaute dann weg. Seine Krallen gruben sich eisern in den Steinboden, während seine Augen auf den Panda fokussiert waren. Um jeden Preis wollte er seinem Feind beweisen wie stark er war. Diese schwarz-weiße Kreatur, die sein Fluch geworden war, sollte nicht in den Genuss des Triumphes kommen seinen Willen gebrochen zu haben. Auch nicht seinen Körper, der ihn von Anbeginn seiner Geburt zum Verhängnis geworden war.
Inzwischen hielt der Ochse die Zange dicht neben Shens Kopf und klapperte damit spielerisch in der Luft herum bevor er damit zur Seite schwenkte und eine von Shens Fingerfedern packte. Ein schneller Zug…
Shen wollte nicht schreien. Er presste die Schnabellippen zusammen, als er ihm die Feder mit einem Ruck herauszog. Er war nahe daran die ganzen Narren um sich herum zu verfluchen, die ihm mehr und mehr seine majestätische Würde nahmen.
„Ach, keine Einwände?“, fragte der Ochse theatralisch reuevoll. „Vielleicht war das die falsche Stelle.“
Sein Blick wanderte hinter Shen, was dem Pfau nicht entging und verengte warnend die Augen.
Wag es ja nicht.
Doch der Ochse wagte es. Er trat hinter den Pfau und griff nach einer der langen rot-weißen Schwanzfedern.
„Nette Dinger. Sowas würde ich mir auch gern in meinem Zimmer aufhängen.“
Shen knurrte, sein Blick immer noch fest geradeaus auf den Panda gerichtet.
Der Ochse kicherte kehlig, während er an der langen Feder rüttelte.
„Erlaubst du mir?“
Der Lord schloss für mehrere Sekunden lang die Augen.
„Ich deute das mal als ein “Ja“.“
Er verstärkte das Ziehen und Shens Körper krampfte nur noch mehr zusammen. Ein dumpfer unterdrückter Schrei entglitt dem Pfau, als ihm einer seiner schönen Federn seinem Gefieder entrissen wurde.
Meister Ochse wurde langsam ungeduldig. Er wollte endlich Schmerzensschreie von dem Mörder hören.
„Zieh ihm alles raus!“, befahl er.
„Aber...“ Doch Pos “Abers” wurden gehörig ignoriert, als der Ochse Wei eine lange Feder nach der anderen herauszog. Mit jeder gezogenen Feder erkannte Po eine kleine Träne in den Augen des Pfaus. Die Atmung des Lords wurde immer heftiger und lauter, zuckte mehrere Male zusammen, doch immer wieder bekam er sich wieder unter Kontrolle. Ignorierte jeden Schmerz und betäubte alle seine Sinne.
Po war tief beeindruckt von Shens Selbstbeherrschung. Hatte er das vorher trainiert? Doch der Pfau hatte große Mühe seine Schreie zu unterdrücken und ließ stattdessen all seinen Ärger und Wut durch den Blickkontakt an den Panda aus. Die Blicke des Herrschers verursachten dem Panda immer mehr und mehr Schuldgefühle. Er konnte den Blick nicht mehr länger ertragen. Wenn er schon nichts tun konnte, so wollte er dem Lord wenigstens die Chance geben sich frei zu fühlen das Ganze alleine durchzustehen ohne seine Gegenwart.
Und ohne ein Wort rannte der Panda nach draußen.

6. Von Angreifern umzingelt


Mantis, der immer noch vor dem Kerker auf seinen Freund wartete, hob überrascht den Kopf, als er Po schnellen Schrittes herauskommen sah. „Und? Wie war es?“
Po schenkte ihm keine Beachtung und rannte einfach vorbei.
„Äh, Po?“
Doch Po schien ihn gar nicht zu hören und lief an mehreren Häusern entlang bis er eine Bank erreichte, auf die er sich erschöpft niederließ.
Mantis folgte ihm und setzte sich neben ihn.
Po seufzte. „Ich weiß einfach nicht was ich tun soll. Ich wünsche, ich könnte es, aber ich kann es nicht.“
Mantis ahnte, was er meinte. „Aber du kannst es nicht ändern.“
„Ich weiß, verdammt, ich weiß.“
Po war so tief in Gedanken versunken, dass er die schnell vorbeihuschenden Schatten gar nicht bemerkte. Aber Mantis tat es.
„Hey, Po.“
„Jetzt nicht. Ich muss nachdenken… Autsch!“
Mantis hatte ihm einen ordentlichen Schlag verpasst. „Sieh mal! Irgendjemand schleicht sich hier herum.“
Sofort klingelten bei Po die Alarmglocken und sah sich suchend um. „Wer? Wo?“
„Sie sind zum Kerkergebäude gegangen.“
Po sprang auf und gemeinsam rannten sie zum Eingang des Kerkers, wo er aber nur zwei wie gewohnt wachende Nashörner vorfand.
Verwundert kratzte sich Po am Kopf. „Äh… bist du ganz sicher, Mantis?“
„Da waren ein paar merkwürdige Gestalten gewesen“, beharrte die Gottesanbeterin. „Da bin ich mir absolut sicher.“
Plötzlich tauchten mehrere Schatten über den Wächtern auf und griffen sie mit Tritten und Schlägen an.
Aus der Ferne erkannten die beiden jungen Kung-Fu-Krieger dünne katzenähnliche Tiere mit Leopardenfell in schwarzen Klamotten gekleidet.
Pos Augen weiteten sich. „Wer sind die?“
„Das ist doch jetzt unwichtig!“, rief Mantis. „Die wollen in das Gefängnis einbrechen. Wir müssen sie daran hindern!“
Sofort erwachte Po aus seiner Erstarrung. „Oh, ja, ja.“
Zu zweit stürzten sie nach vorne, wo die Nashörner kurz davor waren aufzugeben. Die Angreifer sahen erst auf, als sie die beiden Freunde herankommen sahen.
„Keine falsche Bewegung“, rief Po mit drohender Stimme. „Oder ihr bekommt unsere Fäuste zu spüren.“
Die katzenaussehenden Leoparden zögerten keine Sekunde und griffen nun auch sie an. Es waren fast zehn Stück.
Po und Mantis waren sofort zum Kampf bereit und gaben ihr Bestes ihre Angreifer abzuwehren. Auch weitere Nashörner kamen kurze Zeit später herbeigeeilt.
„Warn die anderen!“, rief Mantis Po zu. „Ich halte sie solange im Schach.“
Po zögerte nicht lange und rannte zurück ins Gefängnis.

„Meister Tosender Ochse! Meister Kroko!“, rief er, während er durch die langen Korridore rannte. „Ich… da sind…“
Er betrat den Folterraum und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Er riss die Augen so weit auf, wie er es noch nie zuvorgetan hatte. Der Pfau bot mehr als einen erschreckenden Anblick. Sein ehemals prächtiges Gefieder war fast komplett herausgerissen worden. Nicht nur seine langen stolzen Schwanzfedern fehlten, sondern fast über seinen gesamten Körper zogen sich kahle Stellen, wenn auch nicht überall. Ein paar Federbüschel waren an Schulter, Beinen und Bauch verblieben. Das Einzige was man noch unangetastet gelassen hatte, waren die Federn am Kopf und Hals, sowie teilweise an den Flügeln. Nur seine Fingerfedern, die ihm als Finger gedient hatten, waren verschwunden. Unter normalen Umständen hätte Po vielleicht gelacht, oder zumindest geschmunzelt, doch dem Panda war alles andere als zum Lachen zumute.
Der Lord war völlig erschöpft. Keuchend hing er an den Ketten, sein Blick tief gesenkt.
Po vergaß alles was er sagen wollte und riss seine Tatze hoch. „Als der Drachenkrieger befehle ich euch…!“
Er hielt mitten im Satz inne, als ihm wieder Shifus Worte in den Sinn kamen.
„Es ist eine beschlossene Sache, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.“
„Äh… Ich meinte… dass ihr aufhören sollt ihm die Federn zu rupfen und was anderes machen sollt.“
Po schlug sich die Tatze vor dem Mund. Das waren irgendwie nicht die Worte gewesen, die er äußern wollte.
Meister Ochse lachte. „Nette Idee. Es wurde langsam langweilig.“
Hastig gesellte sich Po zu Meister Kroko. „Er hat immer noch kein einziges Mal geschrien“, raunte das Krokodil ihm zu.
In der Zwischenzeit hatten die Nashörner den teils entfederten Pfau von der Decke mitsamt den Ketten heruntergenommen und ihn stattdessen mit den Ketten auf dem Boden gelegt. Wieder mit gestreckten Flügeln und Beinen.
Keuchend lag Shen auf dem Rücken. Plötzlich hob er blitzartig den Kopf und Po lief der hasserfüllte Blick einen wahren Schauer über den Rücken. Der Pfau wollte ihm deutlich zeigen, wie sehr ihm die Gegenwart das Drachenkriegers demütigte.
Der Ochse Wei hatte unterdessen einen großen Hammer hervorgeholt und ging damit auf den am Bodenliegenden zu.
„Was hat er denn jetzt vor?“, flüsterte Po Meister Kroko zu.
„Ich nehme an, dass er ihm die Flügel und Beine brechen will.“
Der Panda erstarrte für einen kurzen Moment. Dann lachte er heiter. „Ha, ha, okay. Ich habe gerade verstanden, Sie hätten gesagt, Sie hätten vor seine Extremitäten zu brechen, oder?“
Sein Lächeln erstarb, als Meister Kroko ihn bestätigend zunickte.
Mit besorgtem Blick betrachte Po den Ochsen von der Seite. „Ihr wollt ihm doch nicht wirklich seine Knochen brechen, oder doch?“
Wei grinste. „Sieh zu und lerne.“
Der große Ochse schwang den großen Hammer über den angebundenen hilflosen Pfau. Krampfhaft kniff Shen Augen und Schnabel zusammen.
Der Folterer holte weit aus und ließ das schwere Instrument auf den linken Flügel niedersausen.
Po musste sich die Ohren zuhalten, als kurz darauf ein fruchtbarer Schrei die Luft im Raum regelrecht zerriss, den er so noch nie zuvor gehört hatte. Und diesmal konnte Shen seine Tränen nicht zurückhalten. Po konnte sehen wie der Lord mühsam nach Luft rang. Auf seiner federlosen Stelle am Flügel bildete sich ein heftiger Bluterguss. Er wollte sich gar nicht vorstellen was für Schmerzen jetzt auf seinen Körper einhämmerten. Die Augen des Pfaus flackerten heftig, als ob er versuche irgendwo im Raum einen Ort zu finden, wo er seinen Schmerz abtöten könnte.
Po machte ein paar große Schritte vorwärts und bekam den Arm von Meister Ochse zu fassen. „Könntet ihr jetzt bitte aufhören damit? Ich denke, das war genug...“
„Schlag weiter zu!“, brüllte Shen, als er Pos Worte hörte. Er wollte kein Mitleid.
Dies verwirrte den Panda nur noch mehr.
Wei hingegen kicherte. „Wie du willst.“
Wieder schwang er den Hammer. Diesmal zielte er damit auf das linke Bein.
Po zuckte zusammen. „Nein.“
„Es muss sein“, tadelte ihn Meister Ochse ungeduldig. Er wollte den lauten Schrei noch einmal hören. Diese Kreatur sollte für ihre Sünden bis aufs äußerste bezahlen.
Ein weiterer markerschütternder Schrei erhallte in der kalten Luft, als der Ochse das Bein brach.
Po konnte das nicht mehr länger mitanhören. „Hört auf damit! Oder ich…!“
In diesem Augenblick sprang Mantis auf seinen Kopf.
„Po! Was ist los?! Hast du sie gewarnt?“
Po erschrak. „Äh… Meister Ochse!“
„Nein, er verdient keine Pause! Wir ziehen das an einem Tag durch!“
„Aber Meister...“
„Keine Einwände, oder du kannst verschwinden!“
„Aber ich wollte doch nur… da sind…“
Plötzlich drangen laute Schreie zu ihnen vor. Nashörner stürmten in den Raum. Mantis sprang als Erster nach vorne und warf sich auf das Gesicht des nächstbesten Angreifers, der ihnen gefolgt war.
Kurz darauf war die Folterkammer mit Rufen und Faustschlägen erfüllt. Meister Ochse und Meister Kroko hatte der Angriff zwar überrascht, aber sie waren nicht unvorbereitet. In kürzester Zeit entstand ein heftiger Kampf zwischen Katzen-Leoparden, Nashörnern, Ochsen, Krokodil, Panda und Gottesanbeterin.
Pos Augen wanderten zu Shen. Die Eindringlinge hatten inzwischen den Pfau von den Ketten genommen und drückten ihn brutal mit dem Bauch auf den Boden. Shen schrie vor Schmerzen, als sie seinen heilen und gebrochenen Flügel auf seinen Rücken pressten und ihn mit einer Kordel fesselten.
Sofort rappelte sich der Panda auf.
Nein, die waren nicht hier, um Shen zu helfen. Wenn dann würden sie ihn nie so behandeln. Der Pfau schrie lauter, als sie neben seinem gebrochenen Flügel jetzt auch noch sein gebrochenes Bein bewegten. Der weiße Lord konnte die Schmerzen nun überhaupt nicht mehr ignorier. Seine Beherrschung war vollständig zerbrochen. Völlig außerstande zurückzuschlagen oder in seinem geschwächten Zustand einen Kampf zu gewinnen. Dennoch wehrte er sich so gut er konnte. Doch dann versetzte ihm einer der Angreifer mit einem harten Gegenstand einen harten Schlag auf den Kopf und der Pfau sank bewusstlos zu Boden.
Po warf sich nach vorne. Einige Leoparden versperrten ihm den Weg. Doch Po stieß sie einfach beiseite. Um jeden Preis wollte er verhindern, dass man dem Pfau noch mehr Schaden zufügte. Mit all seiner Kraft, die er aufbringen konnte, kämpfte er sich seinen Weg nach vorne bis seine Tatze einen Teil des verletzten Körpers berührte.
Plötzlich tauchte eine weitere Figur auf und zog ihm den bewusstlosen Pfau unter seinen Fingern weg. Po schaute auf und blickte geradewegs in ein wutzerfetztes Leopardengesicht.
„Nimm deine dreckigen Pfoten von ihm, du Fettklotz!“
Po verengte entrüstet die Augen und erhob sich.
„Mein Name ist Po. Und ich bin der Drachenkrie…“
Er sprang schnell zur Seite, als der Leopard seine Faust nach ihm schlug. Diese Kerle waren mit der Kampfkunst des Kung-Fu offensichtlich gut vertraut. Allerdings zu einem schlechten Zweck.
Der Leopard versuchte einen neuen Angriff. Diesmal gelang es ihm seine Faust in den Panda-Bauch zu rammen. Doch dieser wurde vom Bauch auf die Fäuste des Pandas übertragen und warf die Schlagkraft seines Gegners mit voller Wucht zurück auf den Leoparden. Der Katzen-Leopard wurde nach hinten geschleudert und flog im hohen Bogen durch die Luft, wo er ungewollte Bekanntschaft mit der nächsten Wand machte. Erstaunt betrachtete Po seine Hände, ziemlich stolz über diese ungewöhnliche Fähigkeit seines Köpers. Für einen kurzen Moment hatte er freie Bahn. Ohne nachzudenken nahm er Shen in seine Arme und rannte mit ihm davon so schnell er konnte.
„Fangt ihn!“, schrie eine wütende Stimme.
Po beschleunigte seine Schritte. Shen gab immer wieder schmerzerfüllte Seufzer von sich, doch im Moment konnte der Drachenkrieger keine Rücksicht auf seine Verletzungen nehmen. Sie mussten ihnen entkommen.
Ihre Flucht fand ein kurzfristiges Ende, als er an einer Gabelung ankam, die sich in zwei weitere Korridore aufteilte. Der Linke führte in die oberen Stockwerkte, während der Rechte auf einer Treppe nach unten führte. Shen bewegte sich ein wenig und stöhnte leise. Sanft berührte der Drachenkrieger ihn am Kopf und zuckte sogleich zusammen, als er kaltes Blut dort fühlte, welches nach dem Schlag auf dem Kopf herausgetreten war. Sorgsam hielt er den Kopf des Pfaues enger an seinen Körper.
„Er ist hier entlanggelaufen!“, schrie eine Stimme.
Eine erneute der Welle der Angst schlug auf Po ein und er rannte die Stufen runter. Ziellos wetzte er mit Shen in den Armen durch das dunkle Gemäuer. Selbst bis hierher konnte er noch die Rufe und Schläge des Kampfes von weitem vernehmen. Doch auch schnelle Schritte hinter ihm verhallten im Gang. Po versuchte sich daran zu erinnern, ob er jemals auf einem dieser Wege mal gekommen war, als er das letzte Mal hier gewesen war. Wo konnte man sich nur verstecken?
Beim Vorbeirennen fiel ihm eine halboffene Tür ins Auge. Ohne nachzudenken sprang er rein und gelangte in eine Art Abstellraum.
Sachte und vorsichtig bettete der Panda den Pfau auf den Boden. Dann rannte er zurück zur Tür und blockierte sie mit einem Holzpflock und einem Stuhl.
„Okay“, versuchte er seine Nervosität herunterzuspielen. „Okay, nur keine Panik. Denk nach, Po. Was hast du gelernt wie du dich in solch einer Situation verhalten sollst?“
Plötzlich hämmerte und rüttelte jemand an der Tür. Erschrocken wich der Panda zurück.

7. Was jetzt?


Po schrak erneut zusammen, als die Tür von einem weiteren heftigen Rütteln erschüttert wurde. Vor lauter Anspannung hielt er den Atem an. Doch dann entfernten sich die Schritte urplötzlich wieder. Mit zugehaltenem Mund, atmete er erleichtert auf.
Doch was sollte er jetzt tun? Wer waren diese Kerle? Wer immer sie auch waren, sie hatten auf jeden Fall keine guten Absichten mit dem Ex-Lord. Vielleicht irgendein Feind.
Po drehte sich um und blickte auf den schwer verletzten Pfau. Ein kleiner Blutfleck hatte sich auf dem Kopf ausgebreitet. Der Schlag hatte den ehemaligen Prinzen schwer zugesetzt. Jetzt fielen dem Panda auch die Seile auf, mit denen man ihm die Flügel zusammengeschnürt hatte.
Shen war immer noch bewusstlos, murmelte aber immer wieder ein wehleidiges Stöhnen. Zögernd trat Po an ihn heran und beugte sich zu ihm runter. Er musste die Fesseln lösen, um zumindest den Druck auf den gebrochenen Flügel zu erleichtern. Doch kaum hatte er das Seil berührt, fing Shen an laut zu Wimmern. Das erschreckte den Panda so sehr, dass er etwas zurückwich, dennoch war Shen nicht aufgewacht. Kurz darauf wagte Po sich erneut an die Fesseln und zog ein paar Mal kräftig daran, doch sie lagen viel zu stramm, als dass er sie einfach so hätte lösen können.
Seufzend erhob er sich und sah sich suchend um. Ganz gleich wie schwer Shen verletzt war, so mussten sie irgendwie hier rauskommen. Aber wie?
Ziellos ging Po zwischen den alten Holzkisten umher, die mit sämtlichen Gefängnis-Krimskrams, Ketten, Waffen gefüllt waren.
Plötzlich hielt Po inne. In einer Ecke lag kaum zu sehen eine Falltür. Vielleicht war das der Weg zu einem Keller. Oder sogar in die Freiheit? Es gab nur einen Weg das herauszufinden.
Unter großer Anstrengung schaffte er es die Luke zu öffnen. Kalte, feuchte Luft kam ihm entgegen. Er schnüffelte. Verwundert hob er die Augenbrauen. Das war kein Kellergeruch. Viel mehr der Geruch von Wasser, der seine Nase kitzelte.
Da kam Po Gedanke. Vielleicht war das ihre Rettung.
Er rannte zurück in den Raum und wollte Shen gerade vom Boden aufheben, als er zögerte. Es fiel ihm ein, dass Shen großen Wert auf seinen Stolz legte. Es wäre eine Schande für ihn, wenn andere seinen geschundenen Körper so sehen würden. Hastig kramte der Panda wieder in den Kisten und Ecken und fand eine braune Decke, womit er den Pfau fast vollständig einwickelte. Shen winselte laut, als er ihn dabei etwas auf die Seite rollen musste. Doch im Moment ging es nicht anders. Nachdem er damit fertig war, hob er ihn wieder hoch und kletterte mit ihm eine Steintreppe nach unten, die zu einem steinigen Steg führte.
Po stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Mehrere kleine Boote waren hier angebunden und wie erwartet führte hier wirklich ein Fluss entlang, der unter der Stadt floss. Er zögerte nicht lange. Wer weiß wie lange die Eindringlinge brauchten bis sie sie fanden. Das kleine Boot schwankte und schaukelte sachte, als sie einstiegen. Po legte Shen auf den Boden des Bootes ab und machte die Leine los. Anschließend stieß er sich ab und das Boot schwamm durch eine Art Tunnel. Dann nahm der Panda ein Paddel zur Hand und beschleunigte die Fahrt. Wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, sollten sie bald den Hauptfluss oder zumindest das Meer erreichen, die nahe der Stadt angrenzten.
Es dauerte wirklich nicht lange und ein dämmriges Licht erschien am Ende des Tunnels. Das Boot passierte einen kleinen Torbogen und erreichte einen einsamen Teil des Hafens.
Rund herum lagen verlassene Fischerboote. Zumindest war niemand deren Besitzer zu sehen.
Po ließ das Boot eine Weile ins Meer treiben, dann sah er zum Ufer zurück, wo er noch die letzten Häuser der Stadt erblickte. Für einen Moment kam Po sich einsam und verlassen vor. Er wusste überhaupt nicht, was er jetzt machen sollte. Es war für beide ein Risiko jetzt wieder in den Kerker umzukehren. Oder viel mehr für Shen. Sollte er ihn zurückbringen oder nicht? Im Grunde war es ein schweres Vergehen ihn zu verschonen.
Po seufzte bei den Gedanken an Shifus Worten. Dann wanderte sein Blick wieder auf Shen, der zitternd und mit teilweise zuckenden Gliedmaßen auf dem Bootsboden lag. Vielleicht war es doch das Beste für ihn zu sterben. Vielleicht sogar das Beste für alle. Es war sein Wille zu sterben. Doch für Po erschien es einfach nicht richtig. Nicht jetzt. Nicht hier.
Er strich sich über den Kopf und blickte tief in Gedanken auf die Stadt Gongmen.

8. Irgendwo auf dem Wasser und auf dem Land


Der Himmel verdunkelte sich. Es war schon fast später Nachmittag. Pos Blick hing über der Stadt Gongmen, die mit jeder Minute immer kleiner und kleiner wurde, während das Boot weiter entlang der Küste schipperte. Er hatte überhaupt keine Ahnung was er jetzt machen sollte. Erst jetzt fiel ihm wieder Mantis und die anderen ein. Er hatte sie im Stich gelassen. Doch andererseits war er viel mehr besorgt darum, dass die Angreifer Shen töten könnten. Er konnte nur hoffen, dass seine Freunde wohlauf waren.
In diesem Moment vernahm er wieder Shens Stöhnen. Po griff sich ein Paddel und paddelte schneller von der Stadt weg. Sein Blick fest entschlossen. Er wollte unbedingt in Erfahrung bringen was in der Nacht passiert war. Genau das wollte er noch wissen, bevor Shen starb. Es war sein Recht die Wahrheit zu erfahren. So lange Shen in seiner Nähe war, konnte es nicht verkehrt sein ihn am Leben zu lassen bis die Gefahr für ihn und die anderen vorüber war.
Nach einer Weile hielt er keuchend inne. „Okay, kleine Pause.“
Er legte das Paddel beiseite und lehnte sich zurück. Tief in Gedanken ließ er den Blick wandern und blieb schließlich an Shen hängen, der zwar die Augen immer noch geschlossen, aber sich sachte zu bewegen begann.
Ein tiefes Seufzen entkam dem Panda. Vorsichtig erhob er sich und kramte in einer hölzernen Seemannskiste, um etwas zu finden, womit er die Schnur durchschneiden könnte. Er fand ein altes Messer und ging damit auf den Pfau zu. Sachte schob er die Decke beiseite, die immer noch um den Vogel gewickelt war und kappte die enge Schnur. Der Lord rang zischend nach Luft, als die Kordel sich um seinen Flügeln löste. Nachdem der Panda die Fesseln vollständig entfernt hatte, warf er sie irgendwo auf dem Boot in eine Ecke und überlegte was er als Nächstes tun könnte.
Er zuckte zusammen. Shens Bewegungen wurden jetzt kräftiger und mit einem Mal stand der Pfau auf allen vieren. Plötzlich machte er eine schnelle Bewegung nach vorne. Seine Augen dabei weit aufgerissen. Po war so erschrocken, dass er vorsichtshalber etwas zurückwich. Was war nur mit ihm los? War der Pfau am Ersticken oder wollte er ihn nur wieder angreifen?
In der nächsten Sekunde warf Shen sich nach vorne, beugte sich über die Bootsrelling und… übergab sich.
Po tat nichts. Er ließ ihn einfach. War das alles zu viel für ihn gewesen? Oder war mit dem Schlag auf dem Kopf etwas irreparabel beschädigt worden?
Das Ganze dauerte nicht lange. Nach weniger als 10 Sekunden hob Shen wieder schwer atmend den Kopf und hing mit zittrigen Flügeln über dem Bootsrand.
Sachte legte Po seine Tatze auf seinen Rücken.
„Das ist schon okay.“
Plötzlich drehte Shen den Kopf in seine Richtung und sah ihn mit hasserfüllten aber auch beschämten Augen an. Sich vor seinem ärgsten Feind zu übergeben, war bei weitem die schlimmste Demütigung, die er sich je vorstellen konnte. Doch für einen Kampf war er viel zu schwach. Er bewegte den Schnabel, doch Po konnte nicht verstehen was er sagte, vermutete jedoch, dass es keine positiven Worte beinhaltete.
Doch dann schaffte es Shen klare Worte zu formen. „Du… tot.“
Damit rollte er die Pupillen nach hinten und schloss willenlos die Augen. Schnell beugte sich Po nach vorne und hielt den Oberkörper des Vogels, der jetzt völlig kraftlos aus dem Boot hing.
Vorsichtig holte er ihn zurück ins Innere des Bootes, wo er ihn in den Tatzen halten auf den Rücken rollte und schweigsam seinen Blick auf ihn ruhen ließ. Er kontrollierte Shens Puls, um sich zu vergewissern, dass das Herz noch schlug. Langsam strich er über Shens Kopf. Er hatte Mitleid mit ihm. Würde sich der Lord jemals ändern? Po konnte einfach nicht verstehen, wie ein so einflussreicher Herrscher alles was er im Leben hatte wegwerfen konnte, um ein grausamer Militärbefehlshaber zu werden.
Sachte legte er ihn wieder auf den Bootsboden und suchte nach ein paar Materialien, um die alten und neuen Wunden zu säubern. Die Wunden vom Kanonenaufprall waren zwar fast schon verheilt, doch es steckten immer noch kleine Holzsplitter in der Haut. Einige Stellen hatten sich sogar entzündet. Po hatte überhaupt keinen blassen Schimmer wie er solche Art von Wunden behandeln sollte und beschloss sie mit Wasser zu säubern, um sie anschließend später weiter von einem Arzt untersuchen zu lassen.
Po stieß einen tiefen Seufzer aus. Wo sollte er hier einen Arzt finden? Auf einmal fiel ihm etwas anderes ein. Was würde Shifu dazu sagen? Und all die anderen?
Er schüttelte den Kopf. Dazu war später immer noch Zeit.
Mit einem Lappen säuberte er zuerst Shens Kopfwunde und wickelte ein weiteres sauberes Tuch drum herum, wobei Shen krampfhaft die Augen zusammenkniff. Er spürte die Schmerzen, hatte aber keine Kraft aus seiner Ohnmacht aufzuwachen. Er musste sich dringend erholen.
Nachdem Po damit fertig war, deckte er ihn wieder mit der Decke zu. Dann ließ er sich neben dem Pfau nieder und beobachtete wie sich der Brustkorb des Lords sachte hob und senkte. Wenigstens arbeitete das Herz noch. Vielleicht war es sogar unwahrscheinlich, dass er sterben würde. Zumindest hoffte er das. Müde schloss der Panda die Augen, um ein wenig Schlaf nachzuholen.
Mittlerweile glitt das Boot am bewaldeten Ufer entlang. Die Wellen ließen es näher ans Festland driften, bis es mit einem Mal strandete. Bei dem leichten Aufprall schlug Po sofort die Augen auf und sah sich verwundert um. Am Ufer hielt sich zum Glück keine lebende Seele auf und war von dichten Bäumen und Büschen bewachsen.
Schließlich beschloss er das Boot zu verlassen. Er hatte zwar immer noch kein klares Ziel vor Augen, doch er musste einen Patz finden, wo sie für eine Weile in Sicherheit sein konnten.
Vorsichtig nahm er den Lord wieder in die Arme, die Decke immer noch eng um ihn geschlungen, und marschierte durch den Wald. Zum Glück war der Pfau nicht sonderlich schwer, sodass Po keine Probleme hatte ihn durch das dichte Gestrüpp zu tragen.
Nach einer Weile merkte Po wie ihm der Hunger plagte.
„Zu dumm. Kein Mittag gegessen.“
Seufzend sah er zum Himmel hoch. „Also ein kleines Zeichen vom Universum könnte ich jetzt gut gebrauchen.“
In der nächsten Sekunde erblickte er vor sich einen hölzernen Karren, der über und über mit Gemüse beladen war.
Verwundert starrte der Panda auf das essbare Wunder. „Wow, das nenn ich mal eine schnelle Antwort. Danke.“
Er lief schneller und legte Shen im Gras ab. Dann griff er nach einem großen Rettich und biss rein.
„Mmmm, wie zuhause.“
Er hielt inne. Nachdenklich betrachtete er den großen Holzkarren. Dann kam ihm eine Idee.

„Könntest du mal etwas schneller machen?“, rief ein Schwein ungeduldig einem großen Ochsen zu, der eine große Gemüsekiste auf den Schultern trug.
„Wir müssen diese Waren so schnell wie möglich zu den Restaurants transportieren. Sie warten. Die haben lauter hungrige Kunden!“
„Ja, ja“, grummelte der Ochse gelangweilt. „Ich weiß. Ich weiß.“
„Fein, fein“, plapperte das Schwein. „Beeil dich, beeil dich, Beeilung, wir müssen noch… Hey!“
Mit hochgerissenen Armen lief das Schwein nach vorne, als es Po sah, der seelenruhig an einem Rettich kaute.
„Hey, du Dieb! Nimm sofort deine dreckigen Hände von meinem Gemüse!“
Hastig schluckte Po den Bissen hinunter. „Oh, tut mir leid.“ Und wische sich über den Mund. „Ich hatte Hunger und da dachte ich…“
„Fang den Dieb!“, rief das Schwein und klopfte gegen die Beine des Ochsen.
Der Ochse schnaubte. „Ich fange den Dieb.“
Po ließ den Rettich fallen. „Oh, halt, halt, bevor du einen Fehler machst…“
„Du bist derjenige, der einen Fehler gemacht hat“, knurrte der Ochse und rammte den Panda.
Po reagierte schnell und im nächsten Moment lag der Ochse auf dem Boden. Doch kurz darauf startete das große Tier einen neuen Angriff, während das Schwein ihn laut anfeuerte. „Zertrampel ihn!“
Seine Rufe wurden leiser, als der Ochse immer wieder und wieder zu Boden fiel.
Nach der zehnten Runde hob er erschöpft den Huf. „I-ich brauch ne Auszeit.“
Das Schwein zog sich aufgebracht an den Ohren. „Na toll. Wir werden uns verspäten! Wirklich toll! Dann nimm doch meine Waren!“
Ruhig strich sich Po über sein Fell. „Ich bin nicht hier, um dir deine Sachen zu stehlen.“
„Was willst du dann?“, fragte das Schwein nervös.
Der Panda räusperte sich respektvoll. „Kumpel, ich bin der Drachenkrieger. Und ich suche nach einem Transportmittel in mein Dorf.“
Schweigend sahen ihn die beiden an. „Du bist der Drachenkrieger? Du?“
„Ja, ich bin‘s. Und ich muss dringend ins Tal des Friedens kommen.“
Das Schwein sprang auf. „Das liegt auf unserem Weg! Es wäre mir eine Ehre dich dorthin zu bringen. Ich hab immer viel von dir gehört, wenn wir am Dorf vorbei gekommen sind.“
Po lächelte. „Danke.“
„Bist du auf einer Mission unterwegs?“
Darüber musste Po erst mal nachdenken. „Äh… ja. In der Tat. Ich bin auf der Durchreise. Ich und mein… äh… Freund.“
Das Schwein und der Ochse sahen sich um. „Wo ist er denn?“
Po lächelte nervös. „Nun, er ist ein bisschen… müde geworden. Wir haben schon einen beschwerlichen Weg hinter uns. Und jetzt versuchen wir nach Hause zu kommen.“
Mit diesen Worten hob er den Pfau vom Boden auf, jedoch so dass die beiden nicht vollständig das Gesicht sehen konnten.
Das Schwein kratzte sich am Kopf. „Wenn es weiter nichts ist, dann könnt ihr mit uns kommen.“
„Oh, das wäre großartig, danke, vielen Dank!“
„Komm, Yan“, wandte sich das Schwein dem Ochsen zu. „Wir sind ohnehin schon spät dran.“
Mühsam erhob er sich. „Ja, ja“, grummelte er.
Po wählte einen freien Platz auf dem Karren, wo er Shen ablegen konnte. Mühsam kletterte er aufs Gefährt und bettete Shen neben einer der Holzkisten, während das Schwein es sich auf dem Kutschbock bequem machte und der Ochse mit seinen starken Armen die beiden Stangen des Karrens fest in die Hufe nahm, sodass er sie hinter sich herziehen konnte wie eine Rikscha.
„Alles klar“, rief das Schwein zu ihm runter. „Los geht’s.“
Damit setzte sich der Wagen in Bewegung. Po atmete erleichtert auf. Vielleicht wurde doch noch alles gut.

Der Wagen fuhr durch dichten Wald und auf alten Wegen. Doch Pos Gedanken lagen in weiter Ferne. Irgendwie war es Ironie, dass sie nun denselben Weg fuhren auf dem er als Baby zu seinem Dorf gefahren worden war. Er lächelte und versuchte zu ergründen, ob ihm irgendetwas an diese Gegend erinnerte, doch es kam ihm nichts davon bekannt vor.
Sein Gedankengang wurde unterbrochen, als Shen sich zu bewegen begann. Plötzlich fuhr der Wagen über einen Stein und der harte Aufprall ließ den Karren erzittern. Shen blinzelte. Zuerst dachte Po, er würde wieder einschlafen, doch dann wurde das Blinzeln des Pfaues heftiger und blickte sich verwundert um.
„W-was i-ist pass-iert?”, stotterte er zwischen heftigen Atemzügen.
Er zuckte merklich zusammen, als er nicht weit von sich Po gegenüber erblickte. Der Panda lächelte und hob die Tatze. „Hi.“
Plötzlich durchzogen Shens Augen eine grenzenlose Giftigkeit und schien sich sofort wieder an alles zu erinnern. Sein Schnabel zitterte, sein Blick gefüllt mit blanker Wut.
Po wurde es unheimlich. „Äh, mh, ganz ruuuhiig.“
Shen knurrte böse und sprang mit einem Mal auf. Doch sofort wandelte sich sein Wutschrei in einen Schmerzensschrei und landete ungewollt auf Po.
Beherrscht hob der Panda die Tatzen. „Es ist okay, Shen. Es ist alles okay. Du brauchst keine…“
Shen ließ ihn überhaupt nicht ausreden und grub die Krallen seines heilen Beines in sein Gesicht. Po schrie erschrocken auf. Er rollte sich auf die Seite, versuchte sich aus dem Griff zu befreien, machte ein paar Schritte zu viel und beide landeten unsanft auf dem dreckigen grasbewachsenen Boden. Dort purzelten sie auseinander und Po flüchtete ein paar Meter weiter weg. Sofort wollte Shen einen erneuten Angriff starten, doch mit seinem gebrochenen Bein war es für ihn praktisch unmöglich sich vollständig auf den Beinen zu halten. Stattdessen blieb er auf den Boden liegen, die Augen zitternd zusammengedrückt. Mühsam versuchte er wieder zu Atem zu kommen, begleitet von wimmernden knurrenden Lauten im Versuch die Schmerzen damit zu erleichtern. Den Wundverband um seinen Kopf hatte er bei dem Gerangel zwar verloren, doch wenigstens hatte die Wunde aufgehört zu bluten.
„Alles in Ordnung mit euch?“, rief das Schwein ihnen zu.
Po winkte ihnen zu. „Wir sind okay, wir haben nur eine kleine… Auseinandersetzung.“
Er lief rüber zu Shen. „Shen, du darfst dich nicht bewegen. Dein Flügel und dein Bein sind gebrochen.“
Shen warf ihm einen hasserfüllten Blick zu. „Ich bin nie gebrochen – Panda“, zischte er verärgert.
Mit bebendem Körper richtete er seinen langen Hals auf, während der Rest am Boden liegend von seinem noch heilem rechten Flügel aufrechtgehalten wurde. Doch jede passive Bewegung sendete tausend Nadelstiche durch ihn und am Ende durch den Kopf und legte seinen klaren Verstand komplett lahm. Knurrend und zischend atmete er ein und aus, als er spürte wie eine Decke über ihn gelegt wurde, die Po gerade vom Karren geholt hatte. Shens Atmung wurde heftiger und aggressiver. „Wenn du fertig damit bist mich noch mehr zu demütigen, dann tu dir keinen Zwang an. Ich bin jederzeit bereit zu sterben. Ich werde solange aufrecht stehen bleiben bis du mich tötest.“
Po schwieg zuerst. „Warum sollte ich das tun?“
Shen hielt in seinen harten Atemzügen inne, bevor er heiser auflachte.
„Nett, für wie dumm hältst du mich?“
Po zuckte die Achseln. „Nein, ich meine es ernst. Warum sollte ich dich töten?“
Shens Atmung wurde schneller. Ein giftiges Lächeln zierte seine Schnabelwinkel. „Wenn es – deine Bestrafung – befriedigt. Ich – ich habe deine Familie genommen, hast du das vergessen, - dummer Panda?“ Das Lächeln wurde gefährlicher. „Selbst wenn du mich tötest, wirst du sie nie mehr zurückbekommen – und ich wollte dich töten – und – ich habe immer noch vor es zu tun.“
„Gentlemen,“ rief das Schwein. „Wollen Sie die Reise mit uns nun fortsetzen oder nicht?“
„Ja, wir kommen“, rief Po zurück.
Shen hob die Augenbrauen. „Wir?“
„Äh, ja.“
Misstrauisch kniff Shen die Augen zusammen. „Wo willst du hin?“
„Dieser Wagen bringt uns auf direktem Wege in mein Dorf. Dort werden wir erst mal in Sicherheit sein.“
„In Sicherheit?“, frage Shen verwundert.
„Na vor den Angreifern. Kanntest du sie eigentlich?“
Shen kniff die Augen noch mehr zusammen. Sein Schnabel blieb geschlossen.
Po seufzte, doch er respektierte Shens Recht auf Schweigen.
„Na gut. Komm. Gehen wir los.“
Damit beugte er sich zu ihm runter, doch Shen stieß seine Tatzen weg.
„Fass – mich – nicht – an!“, zischte er abgehakt. „Ich werde auf keinen Fall mit dir mitkommen.“
„Du kannst nicht hierbleiben.“
„Besser hier zu sterben, als bei dir zu sein.“
„Sag doch sowas nicht“, murmelte Po traurig. „Und außerdem sind da noch ein paar Dinge, die ich wissen möchte.“
„Und danach willst du mich töten?“
„Äh, vielleicht kann ich dir helfen.“
„Um mir einen kurzen Tod zu geben?“
„Nein, du hast ein paar Probleme. Aber vielleicht könnte ich ein gutes Wort für dich einlegen…“ Er machte eine kleine Pause. „Wenn du bereust.“
Po beobachtete ihn. Noch immer lag Shen zitternd am Boden. Bis er den Kopf zurückwarf und lachte.
„Du verstehts es wirklich dumme Witze zu reißen, Panda“, kicherte er.
Po lächelte. „Nun, es mag vielleicht verrückt klingen, aber vielleicht änderst du noch deine Meinung.“
Plötzlich sprang der Pfau unerwartet auf den Panda zu und packte ihn mit seinen Krallen am Hals. Po, der das nun nicht erwartet hatte, stand da völlig sprachlos. Dieser Pfau war um einiges stärker als er gedacht hatte. Von einem Moment auf den anderen schien es als hätte der Vogel jeglichen Schmerz aus seinem Körper ausgetrieben und stierte den Panda nun beinahe teuflisch in die Augen.
„Ich werde nirgendwo hingehen“, zischte Shen mit zittriger Stimme. „Und du – du wirst auch nirgendwo hingehen, Panda!“
Damit warf er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen Po, sodass dieser nach hinten fiel.
„Shen! Hör auf damit! Du machst es mit deinen gebrochenen Knochen nur noch schlimmer.“
Doch Shen hörte ihm überhaupt nicht zu. Wie im wilden Trance grub er seine Klauen nur noch tiefer in das Fell. Doch Po war bei weitem stärker als der leichtere Vogel in seinem üblen Zustand. Er rollte sich auf die Seite, sodass Shen auf den Boden gedrückt wurde und der Panda auf dem Bauch auf ihm liegen blieb und ihn so festhalten konnte. Der Lord zitterte stark unter seinem Gewicht und versuchte ihn von sich wegzudrücken.
„Hey!“, rief ihnen das Schwein vom Karren aus zu. „Wollen Sie denn jetzt mit uns weiterreisen oder nicht?“
„Fahr weg“ – „Wartet auf uns“ riefen Shen und Po gleichzeitig.
„Wegfahren, wegfahren, haut ab!“
Shen wurde beinahe hysterisch und wehrte sich wie wild. Schließlich hielt Po es für das Beste ihn irgendwie zu beruhigen. Mit einem tiefen Seufzer rief er: „Fahrt los. Wir kommen schon klar.“
Zunächst wusste das Schwein nicht was es davon halten sollte. Doch dann nahm das Gefährt Fahrt an und fuhr davon. Traurig sah Po ihnen nach bis Shens Schreie ihn wieder zurückholten.
„Verschwinde!“, rief Shen aufgebracht. „Ich hab das Recht für meine Freiheit zu kämpfen!“
Doch Po drückte ihn an den Schultern runter. „Nein, Shen! Ich werde dich nicht gehen lassen.“
Jetzt verengte Shen seine Augen so eng, dass Po es mit der Angst zu tun bekam.
„In diesem Fall lässt du mir wohl keine andere Wahl“, flüsterte er bösartig.
Ein gleißender Schmerz ließ Po zusammenfahren. Shen hatte ihn seine Krallen in den Bauch gerammt. Po sprang auf. Glücklicherweise war sein Fell dicht genug, dass er keinen Schaden davontrug. Sein Blick fiel wieder auf Shen, der sich wieder aufgerappelt hatte. Sein Körper krampfte furchtbar, doch sein Wille war stark genug, um die Konsequenzen zu ignorieren.
„Shen! Mach es nicht noch schlimmer als es schon ist.“
Doch Shens weitaufgerissene Augen sprühten nur so vor Wahnsinn. „Ich werde dich töten, ich werde dich töten! Die Prophezeiung war eine Lüge! Alles ist eine Lüge!“
Er nahm Anlauf, doch Po war schneller. Er wich Shens Sprung aus und warf ihn auf den Boden. Shen schrie vor Schmerz, doch Po zögerte diesmal keine Sekunde und warf sich über den Pfauenkörper.
„Verzeih mir, aber du lässt mir keine andere Wahl.“
Eine schnelle Bewegung mit den Fingern auf Shens Nacken und Shen fiel in einen traumlosen Schlaf. Erleichtert atmete Po auf. Ein Glück, dass Shifu ihm diesen Trick vor wenigen Wochen gezeigt hatte. Schnell stand der Panda auf und sah auf den schlafenden Pfau herab. Dann rannte er zur Straße, doch der Wagen war nicht mehr zu sehen.
„Na toll“, schimpfte er. „Jetzt müssen wir den ganzen Weg zu Fuß laufen.“
Er wickelte Shen erneut in die Decke ein und hievte ihn auf seinen Rücken. Fluchend und schimpfend marschierte er mit dem Pfau durch den Wald, ohne zu wissen was als nächstes kommen würde.

9. Gefährliche Blicke


Po keuchte erschöpft. Er wusste nicht wie lange sie nun schon unterwegs waren. Wobei er eigentlich der Einzige war, der einen Schritt nach dem anderen unternahm, während Shen immer noch, wenn auch unfreiwillig, auf seinem Rücken schlief.
Mit besorgtem Blick warf Po einen Blick zum Himmel hoch. Es war schon fast Abend und dunkle Wolken bedeckten den Himmel.
„Okay, okay“, murmelte der Panda vor sich hin. „Es kann solange nichts passieren solange es nicht regnet…“
Er hatte kaum zu Ende geredet, da fühlte er auch schon den ersten Regentropfen auf der Nase.
„Na toll. Okay, es ist ja nur ein kleiner Wassertropfen. Wäre ja schlimmer, wenn es…“
Plötzlich wurde aus einem Regentropfen mehrere und nach nur wenigen Sekunden prasselten dicke Regentropfen auf die Erde nieder und hüllten den Panda mit dem Pfau auf dem Rücken ein.
Po ließ die Schultern sinken und seufzte laut.
„Ist das ein bescheuerter Tag“, murmelte er grimmig.
Er stand hier allein und vergessen in der Wildnis mit einer Kreatur auf dem Rücken, die ihn jederzeit töten wollte, wenn sie die Chance dazu hätte. Besorgt blickte der Panda auf Shen, der ein sanftes Stöhnen von sich gegeben hatte.
Plötzlich blies ihnen ein kalter Wind entgegen und peitschte den Regen aggressiv ins Gesicht.
Missmutig wischte sich Po das Wasser aus dem Gesicht und setzte seinen Weg mühsam fort. Doch nach ein paar Schritten…
„Das ist doch lächerlich.”
Suchend sah er sich nach einem Platz um, wo sie sich unterstellen könnten bis der Regen vorbei war, und… vielleicht sogar wo sie die Nacht verbringen könnten.
Er stieß ein lautes knötterndes Knurren aus. „Oh Mann, Universum! Es wäre wirklich sehr schön, wenn du uns ein Zeichen schicken würdest, um uns den Weg zu einem trockenen Platz zu weisen.“
Ein weiterer starker Wind blies ihm ins Gesicht und wirbelte einen kleinen Blätterhaufen auf. Überrascht beobachtete der Panda wie die Blätter in eine bestimmte Richtung flogen. Und dann sah er es. Nicht weit entfernt auf einem Hügel stand ein Haus. Po blieb der Mund offen, bevor er ihn nach einer Weile wieder schloss.
„Wow, das ging aber schnell.“
Er blickte sich um.
„Danke“, flüsterte er.
Schnell rannte er auf das Haus zu, das unbewohnt zu sein schien. Kein Licht brannte und es war niemand zu sehen. Kurz vor der Tür hielt er an und schob sie langsam und vorsichtig auf. „Hallo, jemand zuhause?“
Doch niemand antwortete.
Na gut, dachte Po. Er hatte ja eh keine andere Wahl. Sie konnten unmöglich draußen bleiben. Und mit einem verletzten Vogel schon gar nicht.
Langsam trat er ein. Die Tür war recht alt und stand kurz davor aus den Angeln zu fallen. Bei jedem Schritt knarrte der Boden unter seinen Füßen, dass Po befürchtete jeden Moment einzukrachen. Das Dach war undicht, aber zum Glück noch soweit intakt, dass der Regen größtenteils daran abprallte und nur kleine Pfützen auf dem Holzboden hinterließ.
Plötzlich ließ ihn ein lauter Knall zusammenfahren. Erschrocken wirbelte Po herum, bis er erkannte, dass nur ein loser Fensterladen gegen die Wand geschlagen war.
Das Haus war nicht sonderlich groß. Es bestand nur aus einem leeren Essbereich, Küche ohne Kücheneinrichtung, eine Art Wohnzimmer mit einem demolierten, kaputten Tisch und einem weiteren Einzelzimmer in der ein Bett in der Ecke stand, was Po erleichtert aufatmen ließ. Wenigstens hatte er für Shen einen guten Platz gefunden.
Sachte legte er den in der Decke gehüllten Pfau erst mal auf dem Fußboden ab, schüttelte die Bettmatratze aus und breitete ein Tuch darauf aus. Anschließend bettete er den Lord aufs Bett.
Shens Stöhnen wurde jetzt lauter. Vorsichtig schob Po die Decke etwas runter. Shens Flügel zitterte leicht. Po strich ihm beruhigend über den Kopf.
„Okay… oooahhh!“ Er musste laut gähnen. Am liebsten hätte er sich sofort hingelegt, doch Shens Versorgung ging vor. Er war zwar kein Arzt, aber vielleicht konnte er wenigstens die gebrochen Glieder schienen bis er jemanden fand, der sich den Verletzungen annehmen würde.
Mit diesem Vorhaben ging Po nach draußen, um nach ein paar geraden Stöcken zu suchen und ein paar Lianen aufzusammeln. Nachdem er alles gefunden hatte, rannte er zurück ins Haus, wo er sich erst mal den Regen vom Fell schütteln musste. Dann trocknete er die Fundsachen ab und eilte damit an Shens Bett. Zögernd entfernte er die Decke um ihn. Dann legte er ein paar der Äste zuerst um Shens gebrochen Flügel. Doch als er die Lianen drum herumwickelte, begannen Shens Gesichtsmuskeln merklich zu zucken. Sanft strich Po über den Flügel, nachdem er mit der Schienung fertig war. Dann machte er mit dem Bein weiter. Er war kurz davor die Lianen drum herum zusammenzuziehen, als Shen auf einmal blinzelte. Im nächsten Moment zog Po die Seile straff und die Äste pressten sich um das gebrochene Bein.
„AAAAAAAAAAAHHHHHHH!“ Shen brüllte vor Schmerz und setzte sich wie vom Blitz getroffen auf. Po war so erschrocken, dass er alles fallen ließ.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt Shen sich sein Bein. Die Äste und Lianen waren von dem heftigen Aufsetzen wieder runtergefallen.
„Es ist okay, es ist okay“, stotterte Po nervös. „Ich wollte nur…“
„DU VERFLUCHTE KREATUR VON EINEM DORFTROTTEL!“, schrie Shen.
„Äh, okay, nun, ich wollte…“
Shen stieß ein bedrohliches Knurren aus.
„Komm – nicht - näher!“, zischte er mit kontrollierter gepresster Stimme. Doch dann fiel ihm die impovisierte Schienung um seinem Flügel auf. „Was...?“ Verwundert starrte er darauf.
„Die ist von mir“, meldete Po sich mit einem verlegenen Lächeln zu Wort. „Damit dein Flügel gut verheilt.“
Der Panda erwartete eventuell ein gemurmeltes Danke, oder sowas ähnliches. Doch stattdessen warf Shen ihm einen bitterbösen Blick zu.
„ICH BRAUCHE DEINE HILFE NICHT!“ Shen zeriss die Lianen und schleuderte alles auf den Boden. „Dafür wirst du sterben!“
„Hey, wofür?“ Po war empört.
„Du hast meine Ehre in den Dreck gezogen!“
Dem Panda blieb der Mund offen.
„I-ich… ich hab dich gerettet.“
„Hab ich dich darum gebeten?“
„Äh… nun… ich…“
„Hab ich nicht oder hab ich nicht? Oder habe ich?“ Shens Stimme klang verärgert und zutiefst verbittert.
Po legte die Fingerspitzen seiner Zeigefinger zusammen.
„Nein…“, antwortete er kleinlaut.
Für einem Moment herrschte absolute Stille. Shen rieb sich über seinen befreiten gebrochenen Flügel, während er Po ununterbrochen voller Hass ansah.
„Ich hatte die Gelegenheit einen ehrenvollen Tod zu sterben“, fauchte der Pfau düster. „Aber du hast es ruiniert.“
Voller Verachtung drehte er den Kopf zur Seite. „Lass mich allein.”
So langsam wagte es Po sich wieder zu bewegen und war innerlich irgendwie erleichtert. „Oh, okay… du bist müde… wir hatten einen schlechten Tag… und…“
Ein gefährlicher Blick von Shen und Po taumelte rückwärts durch die Tür aus dem Raum. Anschließend schloss er schnell die Tür.
Draußen seufzte der Panda laut auf. Er war enttäuscht von sich selbst. „Na toll,“ murmelte er.
Seine Augen wanderten zu einem der kaputten Fenster. Mit schweren Schritten ging er darauf zu und blickte traurig nach draußen.
„Was die anderen wohl gerade machen.“

Im Jade-Palast war Shifu gerade in einer Meditation vertieft. Um ihn herum war es dunkel und draußen noch kein Regen, da die Regenfront noch ziemlich weit entfernt war.
Ein leichter Hauch von Sorge umschlich ihn. Irgendetwas stimmte nicht und er hoffte, dass es nicht mit Po zu tun hatte. Kerzen brannten vor dem Kung-Fu-Meister. Mit tiefster Konzentration versuchte er den Grund für seine innere Sorge zu ergründen.
Plötzlich flatterte etwas durch die Luft und landete kurz darauf neben ihm zu Boden.
Sofort stand Shifu auf, sichtlich genervt von dieser Störung.
„Was ist denn jetzt los?“
Neben ihm war ein Palast-Gänserich erschienen.  
„Och, ich sehe du bist aus Gongmen. Ich hoffe, du hast gute Nachrichten.“

Tigress, Monkey, Crane und Viper standen gerade in der Küche und versuchten etwas Schmackhaftes für den Abend zu kreieren. Lustlos kramte Monkey durch die Regale.
„Ich vermisse Po irgendwie“, murmelte er. „Seine Kochkünste waren bis jetzt immer das absolute Highlight.“
„Jetzt sei nicht so ein Weichei“, meinte Tigress genervt. „Ein gesundes Mahl ist auch eine gute Sache.“
„Und ich dachte, das was Po gekocht hatte wäre gesund“, meinte Viper verwundert.
Plötzlich flog die Tür auf und Shifu stürmte herein.
„Hört zu!“, rief der Meister. „Po ist verschwunden! Und Shen auch!“
Die vier Freunde starrten Shifu mit großen Augen an.
„Verschwunden? Po?“, fragte Monkey ungläubig.
„Was ist passiert?“, fragte nun auch Tigress.
„Shens Hinrichtung wurde von unbekannten Angreifern unterbrochen. Seitdem sind Po und Shen spurlos verschwunden.“
„Was ist mit Mantis?“, fragte Tigress weiter.
„Mantis ist okay. Er hält sich noch in Gongmen auf und sucht nach ihnen.“
„Und Po?“, fragte Viper, in der Hoffnung einen kleinen Anhaltspunkt zu bekommen.
Doch Shifu schüttelte den Kopf. „Nichts. Ich kann nur hoffen, dass er nichts Dummes anstellt.“ Damit verschränkte er die Hände auf den Rücken. „Und falls doch… kann er sich auf eine Menge Probleme gefasst machen.“ Er seufzte. „Falls er noch leben sollte.“

10. Zurückhaltung und Besorgnis


„Oh Mann, ich werd sowas von einen Haufen Ärger kriegen“, murmelte Po immer wieder und lehnte sich gegen die Wand des fast leeren kaputten Wohnzimmers. Er war so müde, dass er sich nicht einmal mehr die Mühe machte nach einem geeigneten gemütlichen Schlafplatz zu suchen. Stattdessen ließ er sich einfach auf den Fußboden sinken und begann schon nach einer Weile zu schnarchen.
Draußen fiel immer noch der Regen und Po schlief tief und fest, als sich auf einmal die gegenüberliegende Tür des Zimmers langsam zu öffnen begann.

Shen konnte einfach nicht schlafen. Sein Flügel und sein Bein schmerzen pausenlos. Ebenso sein angeschlagener Kopf. Er musste einfach raus aus dem Zimmer, selbst wenn dies mit großer Anstrengung verbunden war. Unter starken Schmerzen verließ er humpelnd das Bett. Sein trockener Mund sehnte sich nach erfrischendem Wasser. Langsam zog er die Tür auf und schlüpfte durch den Türrahmen. Er hielt abrupt inne, als er nicht weit entfernt den Panda schlafend an der Wand sitzen sah.
Der auserwählte Drachenkrieger lag da - ohne Schutz und völlig allein.
Die Flügel des Lords verkrampften sich schlagartig. Ein Glimmer von Hoffnung flammte in ihm auf. Das war seine Chance. Vielleicht sogar seine Letzte. Die letzte Chance seine Zukunft zu seinen Gunsten zu verändern.
Er sah sich um. Hier musste doch irgendeine Waffe oder sowas ähnliches sein. Sein Blick fiel auf den zertrümmerten Tisch. Ein Teil des Holzes war in scharfe Splitter zerbrochen. Ein teuflisches Lächeln umspielte seinen Schnabel. Besser als gar nichts. Das tat es auch.
Mit viel Mühe schlurfte er über den Holzboden und hob eines der scharfen Holzteile auf. Dann wanderte sein Blick zurück auf den friedlich schlafenden Panda. Sein heiler Flügel umklammerte das Holzstück immer enger. Wäre er nicht so angeschlagen, hätte er den Panda am liebsten für seine Niederlage gefoltert.
„Diesmal ist es vorbei für dich – Panda. Genauso wie ich es schon vor 20 Jahren tun wollte.“
Plötzlich fiel ein Wassertropfen durch das undichte Dach und landende direkt in Pos Gesicht. Blinzelnd öffnete der Panda die Augen.
„Was…?“
Er erstarrte förmlich, als er Shen mit dem spitzen Holzstück im rechten Flügel vor sich stehen sah. Für einen Moment war Shen völlig von der Rolle. Doch nur für eine Sekunde. Dann sprang er ihn an.
„STIRB!“
Schlagartig war Po hellwach und sprang zur Seite. Shen verlor das Gleichgewicht und landete mit seinem geschundenen Körper auf dem Boden. Das Ganze wäre nicht so schlimm gewesen, wenn er nicht einen frisch gebrochenen Flügel und ein frisch gebrochenes Bein gehabt hätte. Er wäre am liebsten sofort wieder aufgestanden, doch der darauf rasende Schmerz lähmte seine Nerven komplett und zwang ihn auf dem Boden liegen zu bleiben.
Po stand immer noch unter Schock, hatte sich aber schnell wieder gefasst. Mit weit aufgerissen Augen starrte er auf den vor Anstrengung keuchenden am Boden liegenden Pfau.
„Du solltest das besser unterlassen“, keuchte Po.
Schließlich schaffte es Shen die Beschwerden so stark zu beherrschen, um sich aufzurichten.
„Ich werde niemals aufhören, Panda.“
Missbilligend schüttelte Po den Kopf.
„Warum tust du das?“
„Warum tötest du mich nicht, Panda?“, konterte Shen zurück
Po kratzte sich am Kopf. „Ich kann dich nicht in diesem Zustand töten.“
„So, du willst mich also am Leben lassen, um mich noch mehr zu quälen? Vergiss es!“
Das Zittern des Pfaus wurde immer heftiger. Er versuchte aufzustehen, stets bemüht die vollständige Kontrolle wieder über sich zu erlangen. Sein ganzer Körper krampfte furchtbar. Po sah ihn mitleidig an. Er konnte nur hoffen, dass die gebrochen Gliedmaßen nach diesem Sturz nicht noch schlimmer beschädigt worden waren.
„Das ist nicht meine Absicht“, beteuerte Po. „Ich möchte dir nur helfen.“
Shen lachte wie ein Gestörter. „Oh, du bist so naiv! Wirklich. Du bist die dümmste Kreatur, die mir je begegnet ist, Panda.“
„Mein Name ist Po.”
„Ich würde lieber sterben, als deinen Namen auszusprechen… mein ganzes Leben lang.“
„Shen, ich möchte dir helfen. Was muss ich denn noch tun, damit du mir glaubst?“
„Du willst wirklich eine Antwort darauf?“
„Äh…. j-a.“
„Da gibt es – gar nichts – was du tun kannst.“
Po schwieg und blickte auf den Lord, der ihn gefährlich anlächelte.
Schließlich holte der schwarz-weiße Krieger einmal tief Luft. „Na gut, du musst zurück ins Bett.“
Damit trat er näher an den Pfau heran, doch Shen wich zurück.
„Hab ich nicht gesagt, fass mich nicht an?!“
„Aber Shen. Nach so einem harten Aufprall kannst du unmöglich alleine gehen…“
„Kann ich doch!“
Damit stand er unter bebenden Bewegungen auf. Er hatte große Mühe sich auf den Beinen, beziehungsweise auf einem Bein, zu halten. Er schwanke zur Seite und Po wollte ihn auffangen, doch Shen stieß ihn brutal von sich.
„Hau ab!“
Doch als Shen wieder zu fallen drohte, rannte Po wieder zu ihm rüber. Das machte den Pfau so rasend vor Wut, dass er dem Panda einen harten Schlag versetzte. Schließlich schaffte er es schnellen Schrittes sein Zimmer zu erreichen und sich wieder mit der Decke zuzudecken. Es war immer noch eine schwere Demütigung für ihn einen Großteil seines stolzen Federkleides verloren zu haben. Stöhnend ließ er sich ins Bett sinken.
„Wie lange willst du mich noch am Leben lassen, um mich noch mehr zu demütigen?“, fragte Shen mit reichlich erschöpfter Stimme.
Po stieß einen Seufzer des Unmuts aus. „Ich möchte dich nicht demütigen. Warum sollte ich?“
Shen zischte bösartig. Hielt der Panda ihn wirklich für so dumm?
„Wenn ich du wäre“, begann Shen nach einer Weile. „Würde ich alles daran setzen, um den Tod meiner Eltern zu rächen.“
Über Pos Gesicht zog sich ein Ausdruck tiefster Traurigkeit. „Du hast deine Eltern sehr geliebt, nicht wahr?“
Für einen kurzen Moment war Shen sprachlos. Dann verengten sich seine Augen erneut. „Ich habe sie gehasst - mehr als alles andere auf der Welt.“
Po glaubte ihm kein Wort.
„Das ist nicht wahr, oder?“
„Es ist wahr!“, behauptete Shen lauter. „Wenn du nicht vor hast mich zu quälen, dann lass mich gehen.“
„Shen! Das kann ich nicht tun!“
Der Pfau wurde bei dieser Antwort immer ungehaltener.
„Wieso nicht?!“, japste er in Rage.
„Erstens, weil du hier nicht alleine überleben kannst. Und zweitens, kann ich es mir nicht erlauben dich gehen zu lassen. Solange du bei mir bist, kann ich garantieren, dass ich nicht das Gesetz der Stadt Gongmen breche.“
Shen zog die Decke enger zu sich heran.
„So. Du hast also immer noch vor mich umbringen zu lassen.“
„Äh, nein, ich meine… Vielleicht kann ich dir ja helfen.“
„Um mir einen schnelleren Tod zu gewähren?“
Jetzt war Po an den Punkt angelangt, wo er völlig genervt aufgab. Es war zwecklos. Shen glaubte immer noch, dass er ihn vernichten wollte.
„Nenn es wie du willst, aber ich kann dich nicht gehen lassen.“
Shen kniff die Augen zusammen. „Zum letzten Mal – lass mich gehen!“
„Nein, ich kann nicht! Wenn du es dir leichter machen willst, dann sag mir doch wer diese Angreifer waren.“
Shen schnaubte angewidert. „Vergiss es! Bis dahin werde ich wieder frei sein.“
So langsam wurde Po sauer. „Du bleibst hier bis wir eine bessere Lösung gefunden haben. So leid es mir auch tut. Ich hab eher Sorge, dass wir bald noch mehr Schwierigkeiten auf dem Hals haben werden.“
Damit machte er kehrt und schloss die Tür hinter sich. Shen blickte ihn wütend hinterher. Dann senkte er den Blick und dachte angestrengt nach wie er aus dieser verzweifelten Lage herauskommen sollte. Sein Blick blieb auf den Lianen hängen, mit denen Po ihm zuvor die gebrochenen Gliedmaßen schienen wollte.
„Du wirst nie die Gelegenheit bekommen mich zu töten.“

Po gähnte laut. Er spazierte gerade draußen ums Haus herum, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Es war so schwer mit Shen. Er zog sich an den Haaren. Es musste doch eine Möglichkeit geben mit ihm klar zu kommen. Irgendwie.
Plötzlich vernahm der Panda ein lautes Poltern. Ohne Zögern rannte er zurück ins Haus. Kurz vor Shens Zimmertür blieb er stehen.
„Shen?“
Keine Antwort.
„Shen?! Alles okay? Shen?!“
Doch die Tür war blockiert.
„Shen!“
Po nahm Anlauf und warf sich gegen die Tür. Das alte Holz gab sofort nach und Po fiel zusammen mit ihr zu Boden. Er brauchte nicht lange, um zu kapieren was passiert war.
Er konnte nicht glauben was er sah.
Shen hing in der Luft. Um seinem Hals eine Schlinge.

11. In letzter Sekunde


Zuerst war Po wie gelähmt. Doch dann sprang er auf und bekam Shens Becken zu fassen, dass nicht weit oben hing, und hob ihn hoch, um den Druck vom Hals zu nehmen. Der Lord schnappte nach Luft. Po war teilweise erleichtert, doch gleichzeitig auch geschockt. Aber es war immer noch Leben in Shens Körper.
Po stand da, die Arme um den Lord und wusste nicht was er nun tun sollte, um ihn von der Schlinge zu bekommen. Sein Blick wanderte zu einem alten Stuhl, der auf dem Boden daneben lag und den Shen vermutlich dazu benutzt hatte, um sich an der Schlinge aufzuhängen.
Mit einer schnellen Bewegung brachte er den Stuhl mit seinen Fuß in seine aufrechte Position zurück und sprang drauf. Dann ein lauter Kung-Fu-Schrei, eine schnelle schneidende Bewegung mit der Tatze und die Seil-Schlinge war durchtrennt. Der Lord fiel zur Seite und landete… in Pos Armen.
Schnell entfernte Po die Schlinge um seinem Hals und half dem Pfau zurück ins Bett.
Shen atmete schwer. Mit geschlossenen Augen und zittrigen Flügeln rieb er sich den Hals.
Noch immer starrte Po ihn völlig erschüttert an. Er konnte sich absolut nicht erklären wie Shen es geschafft hatte die Lianen über dem Dachbalken zu befestigen. Dieser Vogel besaß eine unerklärliche Stärke, trotz seiner gebrochenen Knochen.
Es dauerte nicht lange und Shens Augen begannen zu flimmern. Als er Po sah, verwandelte sich sein Blick von geschockt in puren Ärger. Po wusste nicht, was er sagen sollte und versuchte es mit einem Lächeln. Die Augenlider des Lords bebten und er bewegte den Schnabel.
„Lass mich sterben“, flüsterte er immer wieder. „Lass mich sterben, lass mich sterben…“
Damit schloss er die Augen und lag da wie tot.
Po erschrak erneut und fühlte nach dem Puls. Ein Glück. Das Herz war nicht stehen geblieben.
Müde und erschöpft fuhr sich Po über seine Schläfen. Wie lange sollte er das noch mitmachen?
Plötzlich riss Shen ohne Vorwarnung die Augen auf und setzte sich ruckartig im Bett auf. Düster funkelten seine Augen den Panda an.
„Lass mich gehen!“, rief er mit heiserer Stimme. „Lass mich gehen, oder ich versuche es erneut.“
Po starrte ihn mit großen Augen an. Der Pfau war vor wenigen Augenblicken gerade mal knapp dem Tod entkommen und jetzt redete er mit ihm als ob nie was gewesen wäre. Dieser Pfau hatte überhaupt keine Angst vor dem Tod. Warum auch immer.
Shen knurrte drohend. „Sieh mich nicht so an, Panda!“
„Aber ich… ich...“ Po schnappte enttäuscht nach Luft. „Shen, ich kann nicht…“
Shens Augen formten sich zu gefährlichen Schlitzen. „Wenn du nichts weiter dazu zu sagen hast, dann… verschwinde!“
Po war noch immer verwirrt und machte freiwillig kehrt.
„Äh, brauchst du…“
„HAU AB!“
Schnell verließ Po das Zimmer. Im Wohnzimmer kam er zum Stehen. Er war kurz davor wieder umzukehren, doch dann hielt er es doch für das Beste Shen nicht mehr weiter zu belästigen. Vielleicht beruhigte er sich bald wieder.
Mit hängenden Schultern und gesenktem Blick verließ er das Haus und ging ziellos draußen hin und her. Mit einem lauten Aufseufzer hob er die Tatzen gegen den Himmel.
„Oh! Universum! Könntest du mir nicht etwas Hilfe schicken?!“
Er schrak zusammen und drehte sich mit angelegten Armen um. Irgendein knackendes Geräusch im Wald hatte ihn aufhorchen lassen.
„Wer ist da?!“, rief er mit fester Stimme.
Plötzlich tauchte in der Ferne ein Schatten auf. Misstrauisch kniff Po die Augen zusammen. Es war immer noch tief in der Nacht, sodass er nur eine Silhouette erkennen konnte. Die Person bewegte sich langsam und war von kleiner Statur.
Der Schatten kam näher und näher.
Po legte die Arme noch enger an.
Er war bereit für einen Kampf.

12. Auf ein Wort


Ungläubig blieb Po der Mund offenstehen.
„Du?“ Er war mehr als überrascht.
Die alte Ziege nickte. „Ja, ich bin‘s, starker Krieger.“
„Aber wie…?“ Po sah die Wahrsagerin mit großen Augen an. „Woher wusstest du, wo wir sind?“
„Ich fühlte, dass du Hilfe brauchst“, antwortete sie.
Nervös strich sich Po über den Kopf. „Ja! Es ist so… verrückt! Er wollte sich umbringen! Und jetzt hat er mich rausgeschmissen. Er ist völlig übergeschnappt.“
Die Wahrsagerin seufzte. „Das hab ich mir gedacht.“
Damit ging sie auf das Haus zu. Po sah ihr unsicher nach. „Äh… ich glaube, ich gehe da besser jetzt nicht mehr rein.“
Die Wahrsagerin nickte im verständnisvoll zu. „Ich werde sehen was ich tun kann.“
Mit langsamen Schritten ging sie rein, während Po alleine draußen zurückblieb.

Shen hob den Kopf, als er Schritte hörte. Kurz danach entstand ein zaghaftes Klopfen an der Tür.
„Ich hab doch gesagt, du sollst mich alleine lassen!“
„Shen, ich bin’s.“
Er erkannte die Stimme der Wahrsagerin sofort.
„Bleib weg! Ich will dich nicht sehen!“
„Aber Shen. Niemand will dir was tun.“
„Du hast es schon bereits getan.“
„Komm bitte. Hab keine Angst.“
„Ich habe keine Angst!“
„Dann lass mich bitte reinkommen. Wenn du mich nicht sehen willst, dann schließ einfach die Augen oder schau weg.“
„Den Teufel werde ich tun“, murmelte Shen.
Ein trauriges Seufzen war zu hören. „Shen, ich komm jetzt rein.“
Shen knurrte. „Mach doch was du willst.“
Sie öffnete die Tür, während Shens Blick zur gegenüberliegenden Wand schwenkte.
Die Ziege ließ ihren Blick auf den Lord ruhen, der dort wie vergessen und verloren vor ihr zugedeckt im Bett lag. Langsam kam sie Schritt für Schritt näher.
„Wie fühlst du dich?“
Er schnaubte angewidert. „Ich fühle gar nichts.“
„Das sehe ich.“ Für einen Moment entstand eine Stille.
„Ich habe gehört was passiert ist“, fuhr sie fort.
Ein bitteres Lächeln huschte über Shens Gesicht. „So, amüsiert es dich?“
Die Ziege seufzte und suchte nach Augenkontakt.
„Shen. Sieh mich bitte an.“
Knurrend bewegte er seinen Kopf in ihre Richtung. Seine unsicheren Augen trafen auf ihre. Für eine Weile hielten sie den Kontakt, dann schaute er weg. Das letzte Mal als er sie gesehen hatte, hatte sie ihm alles Gute gewünscht, während er selbstbewusst und zuversichtlich mit seinen Plänen in die Zukunft geblickt hatte.
„Hau ab! Willst du mich etwa mit deinen „weisen“ Worten belehren, oder mein Ende endgültig damit besiegeln?“
„Du meinst den Panda?“
„Wen sonst.“ Er warf ihr einen hasserfüllten Blick zu. „Tu dir keinen Zwang an. Ich bin bereit für mein Ende.“
Sie streckte ihren Huf nach ihm aus und berührte seinen Flügel. Er haute ihr auf die Huf-Finger. Schnell zog sie ihren Huf wieder zurück.
„Shen“, sagte sie mit sanfter Stimme. „Jetzt sei kein dummer Junge.“
„Red nicht mit mir wie als wäre ich ein Kind.“
„Aber du benimmst dich wie ein Kind.“
Knurrend drehte er sich im Bett um. Er zuckte zusammen, als dabei sein gepeinigtes, gebrochenes Bein und sein Flügel bewegt wurden.
Die Ziege sah es. Sein Körper war erfüllt von starken Schmerzen.
„Lass mich sehen.“ Sie zog die Decke etwas beiseite, doch Shen zog sie sofort wieder zu.
„Fass mich nicht an!“, zischte er mahnend.
„Aber Shen. Jemand muss deine Wunden versorgen.“
„Warum sollte dich das kümmern?“
„Ich sehe Schmerzen, die du zu unterdrücken versuchst.“
„Spar dir deine Worte!“
Die Ziege ging nicht auf seine harsche Reaktion ein.
„Mach dich frei.“
Shen seufzte erschöpft. „Gibt es denn keinen Moment, wo man mich nicht demütigen will?“, fragte er mit schwacher Stimme.
Sie legte ihren Huf auf die Decke. „Komm schon. Es sei denn du möchtest, dass der Panda es statt meiner erledigt.“
Shen krampfte die Flügel zusammen. Plötzlich warf er die Decke zur Seite, sodass sein fast federloser Körper sichtbar wurde.
„Bist du jetzt zufrieden?!“, schrie er.
Sie trat näher an ihn heran. Ihr Gesicht gefüllt mit tiefen Sorgen. Langsam streckte sie ihren Huf aus und berührte sachte seinen gebrochenen, blauangelaufenen Flügel. Shen stieß ein scharfes Zischen aus und biss die Schnabellippen zusammen.
„Schhhhh“, raunte sie ihm zu. „Es ist okay, Shen.“
„Nichts ist okay!“
Die Wahrsagerin wich erschrocken zurück. Shen sah sie so böse an, dass sie befürchtete, er könnte ihr etwas antun. Doch Shen starrte sie nur an und kam mit jedem Wort, das er aussprach ihr mit seinem Gesicht ein bisschen näher heran.
„Ich hab meine Armee verloren, meine Waffen, meine Würde, und… meinen Stolz.“
„Und deine Eltern“, fügte sie hinzu.
Shen zuckte merklich zusammen, doch seine Wut im Gesicht blieb, während die Ziege fortfuhr: „Alles nur wegen deiner Gier, um die Herrschaft über China zu erlangen.“
Shens Schnabel begann wieder zu zittern. „Es war nicht meine Schuld“, stieß er mühsam hervor.
„Es wäre nie so weit gekommen, wenn du auf mich gehört hättest.“
„Hör auf damit!“, schrie Shen. „Du verdammte Närrin!”
Die Wahrsagerin bemühte sich nicht ihm eine Beleidigung an den Kopf zu werfen. „Das ist genug Shen! Du bleibst jetzt hier und ich werde sehen, was ich für dich tun kann.“
Damit verließ sie ihn und Shen blieb mit seiner Wut alleine zurück.

13. Misstrauen


Po schaute auf, als er die Wahrsagerin aus dem Haus zurückkommen sah.
„Und? Wie war es? Ist er immer noch sauer auf mich?“
Die Ziege schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Denk nicht darüber nach. Er war schon immer schlecht gelaunt.“
„Ja, sehr schlecht“, murmelte Po vor sich hin und sah sie nachdenklich an. „Und, was jetzt?“
„Ich werde versuchen seine Verletzungen zu behandeln.“
„Kann ich dabei helfen?“
„Du könntest ein paar Äste für ein Feuer sammeln.“

Nach einer Weile prasselte ein kleines Feuer vor dem Haus. In einem kleinen Topf kochte die Wahrsagerin eine Flüssigkeit. Po schnüffelte interessiert.
„Was ist das?“
„Ein altes Rezept für schnelleren Federwuchs“, antwortete die Ziege. „Shens Familie pflegte es nach alter Tradition zu verwenden.“
„Oh, gut zu wissen.“
Po setzte sich nicht weit entfernt auf einen Stein und schaute ihr zu wie sie im Topf rührte.
„Wird er wieder gesund?“, fragte Po nach einer Weile.
Die Ziege seufzte. „Solange er nicht aufgibt weiter zu leben… ich denke, ja.“
Po bemerkte eine gewisse Sorge in ihrer Stimme.
„Stimmt etwas nicht?“
Die Ziege füllte die Flüssigkeit in eine kleine Schüssel. „Alles zu seiner Zeit. Alles zu seiner Zeit.“
Nachdenklich beobachtete Po wie sie damit wieder im Haus verschwand.

Shen stieß einen Seufzer aus, als er sie zurückkommen hörte und ignorierte sie.
„Keine Sorge“, sagte die Ziege. „Deine Schmerzen werden bald abklingen.“ Sie stellte die Schüssel auf einen kleinen Tisch ab. „Shen, erinnerst du dich noch daran, wie du als kleines Kind versucht hast zu fliegen und dir dabei den Flügel gebrochen hast?“
Shens Gesicht verfinsterte sich. „Ich erinnere mich.“
„Nun, jetzt mache ich dasselbe wie damals.“
Sie stellte sich neben ihn ans Bett. Shen schloss die Augen. Er wollte sie nicht ansehen. Sein einziger Wunsch war einfach irgendwie wieder schmerzfrei zu werden. Er hörte wie sie einige Instrumente oder etwas ähnliches in die Hufe nahm. Anschließend schob sie die Decke beiseite. Wieder krampfte sich sein Körper zusammen, während sie seinen gebrochenen Flügel betrachtete und ihn behutsam ein Stück zu sich heranzog. Shen presste die Schnabellippen zusammen. Irgendetwas zischte, wie Wasser auf Feuer. Shen sog scharf die Luft ein, als ein Stechen auf seinem Flügel über seine blanke Haut fuhr. Für einen Moment wurde es unglaublich heiß. Die Ziege strich über seine federlose Haut mit schnellen Bewegungen. Erneut schnappte Shen zischend nach Luft. Dann war der Schmerz plötzlich verschwunden. Das gleiche machte sie mit seinem Bein. Anschließend legte sie, zu Shens Ärger, wieder ein paar gerade Stöcke an seinen Flügel und wickelte diesen Teil mit Stoffstreifen ein. Auch sein Bein wurde auf die gleiche Art und Weise einbandagiert und geschient.
Shen war froh, dass sie dabei keine neue Diskussion anfing. Stattdessen fuhr sie mit ihrer Heilungsarbeit fort.
„Ich werde jetzt etwas auf deine Haut auftragen, damit deine Federn etwas schneller nachwachsen.“
Sie nahm ein Tuch in den Huf und tunkte es in die viskose Flüssigkeit in der Schüssel, die sie dann über die gerupfte Haut rieb. Zuerst über den Brustkorb, dann über die unteren Bereiche der Flügel und den Hals.
„Roll dich bitte auf den Bauch“, bat sie.
Shen hob skeptisch den Kopf. „Was hast du vor?“
„Wenn du willst, dass deine langen Federn schneller nachwachsen sollen, muss ich auch an dieser Stelle etwas von der Salbe draufstreichen.“
Der Lord knurrte aufgebracht. „Das kann ich selber machen! Gib das her!“
„Du brauchst dich nicht zu schämen…“
„Hau ab!“, schrie er.
Die Wahrsagerin gab nach und überreichte ihm die Schüssel. Mit seinem gesunden Flügel nahm er sie an sich.
„Dreh dich um.“
„Bist du sicher, dass du nicht…“
Dreh – dich – um!“, befahl er.
Seufzend kam sie dieser Aufforderung nach und schaute stattdessen zur Tür. In der Zwischenzeit hörte sie wie Shen sich im Bett bewegte und versuchte die Salbe auf die Rückseite zu schmieren, an der Stelle, wo einst seine langen Federn gewesen waren.
„Dummer Junge“, dachte sie, doch sie sprach es nicht aus. Manchmal benahm er sich immer noch wie ein Teenager.
Sie sprach solange kein Wort bis Shen das Schweigen beendete.
„Bitte sehr“, murmelte er ohne Dank.
„Alles in Ordnung?“, erkundigte sie sich besorgt.
Shen seufzte und sie wusste, dass er jetzt nichts mehr Weiteres sagen wollte. Mit warmem Blick betrachtete sie den erschöpften Pfau.
„Entspann dich und versuch zu schlafen“, sagte sie gutmütig.
Shen widersprach ihr nicht und schloss die Augen. Doch er schien jetzt nicht mehr ganz so unter Hochspannung zu stehen wie vorher.
„Lass den Panda nicht reinkommen“, murmelte er schläfrig.
Sie nickte. „Ich werde es ihm ausrichten.“

Nach diesem passierte am darauffolgenden frühen Morgen nichts mehr Besonders, während die Sonne immer höher stieg. Po hatte sich solange wieder etwas zum Schlafen hingelegt, während die Ziege etwas zu essen kochte. Sie war froh, dass der Panda schlief, sodass sie keine Fragen beantworten musste. Und während der Drachenkrieger noch vor sich hindöste, ging sie leise mit einer Schüssel Suppe wieder ins Haus hinein. Sie öffnete vorsichtig die Zimmertür. Wie sie vermutet hatte schlief er nicht.
„Shen?“
Der Pfau zuckte zusammen, doch kurz darauf mied er es wieder sie anzusehen. „Was ist?“
„Dein Frühstück. Du musst etwas essen.“
„Ich hab keinen Hunger.“
Sie seufzte und kam näher. „Komm schon. Tu es für deine Eltern…“
„Komm mir nicht schon wieder damit! Das zieht bei mir nicht mehr!“
Daraufhin sagte sie nichts mehr. Sie wusste, Shen würde ihr nicht zuhören wollen. Ohne ein Wort stellte sie die Schüssel auf seinen Bauch ab, doch Shen schob sie von sich.
„Ich sagte doch, dass ich keinen Hunger hab.“
„Wie du wünschst. Es sei denn dir ist es lieber, dass der Panda sie isst.“
„Mir egal.“
„Willst du wirklich, dass der Panda am Ende stärker ist als du?“
Shen knurrte. Die Ziege lächelte, als Shen versuchte nach der Schüssel zu greifen.
Sie streckte ihren Huf nach ihm aus. „Soll ich…“
„Ich brauche keine Hilfe!“, fauchte er.
„Wie willst du sie sonst trinken?“, fragte sie ruhig.
„Ich kann das alleine.“
„Mit nur einem Flügel?“
Shen verdrehte genervt mit die Augen.
„Hast du keinen Löffel?“
Sie schüttelte den Kopf.
Erneut versuchte Shen die Schüssel zu halten, aber um ein Haar wäre sie ihm über seinen Bauch gekippt, doch die Ziege fing es noch in der letzten Sekunde auf.
Shen seufzte verärgert. „Wag es nicht zu lächeln. Ich weiß, was du jetzt denkst.“
Damit erlaubte er ihr die Schüssel an seinen Schnabel zu halten. Er beobachtete sie argwöhnisch, doch er nahm mehrere große Schlucke. Die Ziege versuchte ihm dabei nicht in die Augen zu sehen.
„Das reicht“, sagte er und schob sie weg.
Sie nickte. „Schon gut. Vielleicht später mehr.“
Sie drehte sich um, um den Raum wieder zu verlassen, aber Shen wollte noch etwas wissen, bevor sie ging.
„Warte.“
Sie hielt inne.
„Sag mir, was ist mit meiner Zukunft?“
Sie senkte den Blick und drehte sich zu ihm um. „Tut mir leid, Shen. Aber ich habe beschlossen, dir nie mehr etwas über die Zukunft zu verraten. Es ist zu gefährlich zu viel über seine mögliche Zukunft zu wissen. Vor allem solange du nicht deinen Weg änderst.“
Shen knurrte wütend. Er hasste sie, wenn sie ihm solche Dinge erzählte, was er nicht gerne hören wollte. Er richtete sich auf und schob die Beine über die Bettkante. Die Augen der Ziege weiteten sich.
„Shen! Es ist nicht gut für dich…“
„Halt den Mund! Ich kann nicht die ganze Zeit nur im Bett liegen bleiben!“
Damit setzte er die Füße auf den Boden auf, er schwankte ein wenig, fand aber schnell sein Gleichgewicht wieder. Er sah nach draußen durchs kleine Fenster. Die Sonne war gerade dabei über den Horizont aufzusteigen und mittlerweile war auch Po gerade aufgewacht. Er saß auf einem Baumstamm und zupfte an einem Grashalm.
Die Wahrsagerin strich sich über ihren Ziegenbart. „Warum hast du immer noch Angst?“
Daraufhin kassierte sie von Shen einen eiskalten Blick. „Ich habe keine Angst. Er bedroht mich nur nicht solange ich nicht für einen Kampf stark genug bin.“
„Wieso denkst du würde er vorhaben dich zu bedrohen?“
„Ich weiß es. Er hat es schon einmal beinahe geschafft. Ich werde ihm nie mehr die Chance geben es wieder tun zu können.“
„Denkst du nicht, dass du ihn falsch beurteilst?“
Shen knurrte und hob seinen schmerzerfüllten Flügel.
„Denkst du, das hier bilde ich mir ein?! Ist das eine falsche Beurteilung?!“, schrie er.
„Es war nicht seine Schuld“, widersprach sie ihm. „Nur weil du andere bedroht hattest, hat er entsprechend so gehandelt. Er wollte sie nur vor dir beschützen, weil es seine Aufgabe ist hilflose Leute zu verteidigen, die du umbringen wolltest. Und – du hast getötet.“
Shen wusste nur zu gut was sie meinte.
„Ein Grund mehr für ihn mein Leben zu beenden.“
„Denkst du wirklich so?“
Shen seufzte und schwieg.
„Rede mit ihm und du wirst die Wahrheit erfahren“, sagte sie.
Doch Shen schüttelte den Kopf. „Er wird lügen. Ich bin vorsichtig genug, um mir das zu ersparen. Und ich werde solange warten bis ich ihn töten kann.“
Wieder schaute er aus dem Fenster. Po spürte seinen Blick und schaute nun ebenfalls in seine Richtung, sodass er auf seine kühlen Augen traf.
Schüchtern winkte der Panda mit der Tatze. „Hi.“
Schnell wandte sich Shen ab. Po blieb draußen stehen und konnte sich nicht erklären was er jetzt schon wieder falsch gemacht hatte.

14. In Gefahr


Po war enttäuscht zu hören, dass Shen ihn unter keinen Umständen mehr sehen wollte. Doch ihm blieb wohl keine andere Wahl als sich vorerst vom Haus fern zu halten.
Ein – zwei Tage verstrichen.
Während dieser Zeit redete die Wahrsagerin nicht viel. Von Zeit zu Zeit fragte Po sie wie es Shen ging oder was er gerade machte und sie wiederum antwortete ihm nur kurz und knapp, aber das war dann auch schon alles. Auch auf Fragen, wenn Po etwas über Shens Vergangenheit wissen wollte, gab sie keine Auskunft.
„Die Zeit wird es zeigen“, pflegte sie stets zu sagen, woraufhin Po es unterließ weitere Fragen zu stellen.
Doch am dritten Tag konnte Po es nicht mehr länger aushalten und wagte sich trotz allem ins Haus zu gehen, während die Wahrsagerin gerade etwas im Wald besorgte. Auf leisen Sohlen ging er durch die Räume. Als er Shens Zimmer erreicht hatte, lehnte er den Kopf gegen die Tür und lauschte. Drinnen vernahm er ein sanftes Stöhnen. Vorsichtig und sehr, sehr langsam schob Po die Tür auf. Shen lag im Bett und rollte sich von einer Seite auf die andere, seine Augen dabei immer noch geschlossen.
Plötzlich machte der Lord eine ruckartige, unbewusste Bewegung und die Decke rutschte zur Seite. Beschämt sah Po weg. Es fühlte sich für den Verlust seiner Federn großenteils immer noch mitverantwortlich. Das weiße Gefieder war Shens ganzer Stolz, wenn nicht sogar das Einzige, was er noch hatte. Und jetzt wurde ihm vielleicht sogar kalt…
Auf Zehenspitzen schlich Po zu ihm rüber und nahm die Decke, um sie ihm wieder über zu legen. Doch noch während er die Decke in den Tatzen hielt, riss Shen plötzlich die Augen auf.
Der Pfau schrie erschrocken auf. Aus dem Reflex heraus schlug er den Panda, doch das war ein großer Fehler. Der kurz darauffolgende Schmerz, der durch seinen Flügel schoss, erschlug ihn wie ein Hammer.
Po stolperte zurück. „Tut mir leid, tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.“
Shen saß immer noch im Bett und starrte den Panda keuchend und zitternd an. Die Decke hatte er sich eng um seinen Körper geschlungen.
„Lieg ich nicht schon genug am Boden?“, keuchte der Pfau in einem unheilvollen Flüsterton. „Was veranlasst dich mich noch mehr niederzumachen?“
Po hob die Tatzen. „Oh, das… nein, nein, nein, nein. Ich wollte nicht… Ich meine… Wie… Ich würde niemals… Hast du wirklich gedacht, dass…“
Shens Augen schielten zur Seite auf den kleinen Tisch neben ihm, wo noch die restlichen Äste und Stöcke von seiner Schiene lagen. Eine von ihnen hatte eine scharfe Spitze.
Anschließend wanderte sein Blick zurück auf Po, der immer noch verzweifelt drauflosplapperte.
Der Lord holte tief Luft und schnappte sich das scharfe Stück Holz, trotz aller Schmerzen.
Po hatte keine Zeit mehr zu reagieren. Wie ein Blitz warf der Pfau es auf den Panda. Doch noch bevor es den Brustkorb des Pandas durchbohren konnte, wurde die pfeilartige Waffe aus der Bahn geschleudert.
Der Ast krachte gegen die Zimmerwand. Mit großen Augen starrte Shen keuchend drauf, dann sah er zur Seite, wo die Ziege stand, die etwas geworfen hatte, um das tödliche Geschoss abzuwenden und dadurch das Schlimmste verhinderte.
Po stand da wie versteinert mit offenem Mund. Zum einem wegen Shens unerwarteten Angriff und zum anderem über der Wahrsagerins atemberaubenden Reaktion. Der Panda wusste nicht über was er zuerst einen Kommentar abgeben sollte.
Shen mittlerweile sah sie nur an. Er sagte nichts, er sah sie nur an mit Hass und die Ziege senkte den Blick.
Nach einer Weile keifte der Pfau nur ein einziges Wort. „Verräterin.“
Plötzlich rollte er die Augen zurück und sank geschwächt zurück aufs Bett. Er hatte für diesen sinnlosen Angriff seine letzten Kräfte verbraucht. Einen Moment lang beobachten die beiden den Herrscher, der jetzt wie tot da lag. Doch dann fasste sich die Wahrsagerin ein Herz und ging zu ihm rüber ans Bett. Po beobachtete sie aus sicherer Entfernung und sah wie sie ihn wieder richtig ins Bett legte und ihn wieder mit der Decke zudeckte. Danach verließ sie das Zimmer still und leise.

Tief in Gedanken versunken starrte Po in die Flammen des kleinen Lagerfeuers. Es war früh am Abend und Shen schlief immer noch wie die Wahrsagerin feststellte, als sie nochmal nach ihm gesehen hatte.
Unsicher sah Po sie an.
„Ähm…“
„Ja, Panda?“, sagte sie.
„Äh… danke.“
Doch die Ziege zeigte sich niedergeschlagen. „Nein, ich muss mich entschuldigen. Vielleicht war es auch meine Schuld, dass ich dich mit ihm alleine gelassen habe.“
Po rieb sich das Kinn. „Aber warum? Warum verhält er sich so? Ich würde ihm doch niemals weh tun.“
Ein bitteres Lächeln umspielte ihren Mund. „Sein Vertrauen zu anderen wurde schon vor Jahren zerstört.“
„Gibt es denn keine Möglichkeit es ihm wieder zurückzubringen?“
Die Ziege seufzte erneut. „Die Zeit wird es zeigen. Die Zeit wird es zeigen.“
Sie drehte sich um.
Po wollte ihr folgen. „Hey! Könntest du mir nicht einen kleinen Tipp geben?“
„Die Zeit wird es zeigen.“
Po seufzte frustriert. Warum musste sie immer in Rätseln sprechen?
Enttäuscht gab er es auf sie weiter auszufragen.

Der Mond schien friedlich auf die Erde herab. Das Feuer vor dem Haus war bereits erloschen. Dich daneben lag Po und schlief tief und fest. Die Ziege saß nicht weit entfernt an einem Baum gelehnt und schlummerte ebenfalls.
Auch im Haus war Shen seit dem Vorfall noch immer nicht aufgewacht. Er lag im Bett und seine Atmung verlief ruhig und gleichmäßig. Manchmal war er ein wenig unruhig, doch er war immer noch am Leben.
Plötzlich tauchte ein Schatten am Fenster auf und lugte ins Zimmer rein. Normwalerweise wäre Shen aufgewacht. Seine Sinne waren gut ausgebildet, doch diesmal war er viel zu ausgepowert als dass er was hätten hören können. Auch nicht als auf einmal jemand neben seinem Bett stand. Dunkle Hände strecken sich nach ihm aus und peilten seinen Kopf an.
Plötzlich packte ihn eine Pfote und hielt ihn fest. Shen wollte empört aufschreien, doch jemand hielt ihm den Schnabel zu und schnürte ihm fast die Luft ab.
Der Pfau versuchte sich aus den Griffen herauszuwinden, doch immer mehr Pfoten tauchten aus der Dunkelheit auf und hielten seine Flügel und Beine ausgestreckt. Shen riss die Augen weit auf und schrie mit dumpfen Schreien, als dabei seine gebrochenen Knochen höllisch weh taten, trotz der Schienung. Fesseln wurde um ihn gewickelt, um seinen Hals, seinen Flügeln und seinen Füßen. So eng, dass er kaum mehr atmen konnte. Als sie damit fertig waren, wurde zusätzlich noch eine Schnur um seinen Schnabel gewickelt, dass es nur so schmerzte. Die Pfote verließ seinen Schnabel und ein Sack wurde über seinen Kopf gestülpt. Gefesselt und geknebelt schleppten die Unbekannten ihn weg. Draußen nahm ihn einer über die Schulter.
Shen Schrie aus Protest und vor Schmerz. Seine Wunden waren immer noch zu frisch um solch einer Behandlung standzuhalten.

Die Entführungsreise dauerte nicht lange. Vielleicht 10 Minuten. Sie marschierten durch den Wald ohne Zwischenhalt. Dann wurde er ohne Vorwarnung auf den Boden geworfen. Trotz allem, dass er nichts sehen konnte, fühlte er, dass er auf Waldboden im Gras und Dreck lag. Seine Bemühungen aufzustehen waren sinnlos. Wieder packten ihn mehrere Pfoten und drückten ihn auf den Boden. Jemand entfernte den Beutel über seinem Kopf. Brennende Katzenaugen sahen auf ihn herab. Ein kurzes scharfes Schwert blitzte im Mondlicht auf.
Der Lord schrie und wehrte sich wie verrückt. Er wollte nicht auf diese Art und Weise vor den Augen von Bastarten sterben. Doch seine Kidnapper zeigten kein Erbarmen und hielten ihn eisern auf dem Rücken. Shen fühlte die scharfe Waffe, die bereit war seine Luftröhre und Lunge zu durchtrennen.
Shen sah zum sternenbesetzten Himmel auf. Dann kniff er verkrampft die Augen zusammen. Tränen rollten ihm über die Wangen. Es war eine totale Demütigung. Er war wütend vor Feinden zu Grunde zu gehen, die sich an seinem Tod erfreuten.
„Mmmmmmpf!“, schrie er, als er die Klinge an seiner Kehle fühlte. Nicht mehr lange und sie würde seine Haut zerschneiden.
„Hey! Wenn ihr schon einen fairen Kampf haben wollt, dann fragt doch zuerst mal mich!“
Der Druck auf seinem Hals ließ nach.

15. Ein Platz zum verstecken


Um Shen herum verschwamm die Sicht. Er fühlte sich völlig kraftlos. Nur die wütenden Stimmen seiner Entführer konnte er wahrnehmen. Und eine andere, die ihm nur zu vertraut war. Irgendjemand trat ihm in die Rippen. Der Vogel stöhnte leise, doch er konnte sich nicht bewegen.
Plötzlich ertönte ein lauter Angriffsschrei. Po war jetzt voll in seinem Element, als die Leoparden sich auf ihn stürzten und er sie mit Fußtritten und Seitenkicks abwehrte.
Shen blinzelte, als etwas neben ihm landete. Kurz darauf tauchte ein schwarz-weißer Schatten auf und rannte von ihm dann wieder aus weg in alle Richtungen.
Shen wusste nicht wie lange das Ganze ging, aber irgendwann wurden die Schreie leiser bis sie ganz verstummten. Anscheinend waren die Angreifer geflüchtet. Sein Herz setzte kurz aus, als sich jemand ihm näherte und durch das Gras ging. Einen Moment lang hielt er die Augen offen, schloss sie dann aber sogleich wieder.
Po betrachtete den gefesselten Pfau, der auf dreckigen Waldboden lag. Langsam hob er das Messer auf, welches neben ihm ins Gras gefallen war und durchschnitt die Fesseln. Shen presste die Lippen zusammen, als seine gebrochenen Glieder bewegt wurden. Auch die Kordel um seinen Schnabel wurde entfernt. Eine Tatze strich ihm über den Kopf.
„Shen? Bist du okay?“, fragte Po besorgt.
Der Pfau bewegte den Schnabel, doch alles was er zustande brachte war nur ein erschöpftes Stöhnen.
„Okay, keine Sorge. Ich bring dich zurück.“
Sanft schob Po seine Tatzen unter den Pfau. Er zuckte zusammen, als Shen seine Muskeln dabei anspannte. Vorsichtig hob er ihn hoch und ging mit ihm den Weg zurück auf dem sie gekommen waren.

Shen ballte die Flügel zusammen, während er in Pos Armen lag. Mit jedem Schritt wuchs seine Wut auf den Panda. Ärgerlich hob er seinen heilen Fuß hoch.
„Ho, ho!“
Po konnte fast spüren wie Shen seine Krallen ihm in den Bauch krallte.
„Keine Sorge. Wir sind gleich da“, versicherte Po.
Shen hingegen hatte keine Kraft mehr Widerstand zu leisten und ließ sich innerlich in eine tiefe Kraftlosigkeit fallen.

Shen war noch halb bewusstlos, als sie das alte Haus erreichten. Die Ziege hatte vor dem Haus gewartet und stieß einen besorgten Schrei aus, als sie Shen in den Armen des Pandas sah.
„Grund gütiger! Wie geht es ihm?“
Po hielt den Pfau etwas weiter zu ihr runter. „Ich weiß es nicht. Er hat bis jetzt noch kein Wort gesagt.“
Die Wahrsagerin legte ihren Huf auf Shens Stirn. Der Pfau kniff die Augen zusammen. Sein Kopf tat wegen der Wunde immer noch furchtbar weh.
Die Ziege schaute in seine halb geöffneten Augen. Er schien sich in ihrer Nähe jetzt etwas sicherer zu fühlen, was er aber nie zugeben würde.
„Bring ihn zurück ins Bett“, sagte sie schließlich.
Damit marschierte Po ins Haus und setzte den Pfau auf das Krankenlager ab.  
Shen atmete schwer. Doch er schaffte es zu blinzeln. Po lächelte, doch alles was er dafür bekam war nur ein grimmiger Blick.
„Du bist so eine dumme Kreatur – Panda“, murmelte Shen mit schwacher Stimme. „Sehr dumm.“
Der Lord wurde immer schwächer und langsam schloss er die Augen, während er immer und immer wieder die letzten Worte murmelte, bis er einnickte.
„So dumm“, murmelte er weiter im Schlaf.
Wortlos beobachten der Panda und die Ziege ihn mit besorgen Blicken.
Schließlich beugte sich die Ziege zu ihm rüber und kontrollierte seinen Zustand. Shen war zu erschöpft um aufzuwachen. Wenigstens waren seine Verletzungen nicht schlimmer geworden, hatte aber dennoch einen leichten Rückfall erlitten. Nachdem sie sich um ihn gekümmert hatte, drehte sie sich um.
„Lassen wir ihn schlafen“, flüsterte sie.
Po nickte traurig, dann verließen sie das Zimmer.

Schweigend saßen sie am Feuer und sprachen kein Wort, bis die Ziege die Stille unterbrach.
„Was beschäftigt dich, Panda?“
Po seufzte tief. „Ich weiß es nicht. Ich weiß absolut nicht, was ich tun soll.“
Plötzlich sprang Po auf und nahm eine Abwehr-Krampf-Bereite Haltung ein, als er ein Geräusch neben sich gehört hatte, bis sich herausstellte, dass es nur ein kleiner Grashüpfer gewesen war.
„Du bist nervös, nicht wahr?“, fraget sie.
Po schnaubte. „Es ist hier einfach nicht mehr sicher“, murmelte er.
Die Ziege nickte ihm zu. „Wir müssen irgendwo anderes hin.“
Po sah sie traurig an. „Du machst dir Sorgen um ihn, stimmts?“
Die Ziege seufzte. „Er war so ein guter Junge gewesen, bevor er…“
Sie unterbrach sich selbst und strich mit ihrem Gehstock auf dem Boden.
Po rieb sich über sein Kinn. „Wir brauchen einen Platz, wo wir bleiben können… für eine Weile…“
„Wir können hier nicht bis morgen bleiben“, sagte sie. „Wir müssen aufbrechen, und zwar jetzt.“
„Ja, ja, ja… aber wohin… wo… vielleicht…“
Po schnippte mit den Fingern.

Shen war immer noch am Schlafen. Doch als Po ihn sanft am Flügel berührte, öffnete er abrupt die Augen. Schnell setzte er sich im Bett auf.
„W-was-s willst du?”, stotterte er, doch dann räusperte er sich und seine Stimme bekam wieder einen dunklen Unterton. „Was willst du hier, Panda? Von mir kannst du keinen Dank erwarten.“
Po schluckte einen bösen Kommentar herunter und versuchte die Situation zu erklären.
„Shen. Wir dachten, es wäre das Beste nach einer anderen Bleibe zu suchen.“
Shen schnaube angewidert. „Und warum?“
Po sah ihn überrascht an. „Warum? Äh… nun, weil es hier zu gefährlich ist.“
„Was kümmert dich das?“, fragte Shen. Seine Augen verengten sich.
Po schlug sich die Tatzen über den Kopf. „Warum, warum, warum? Du bist in Gefahr! Wir machen uns Sorgen um dich.“
Shen lachte auf. „Du? Du bist doch nur besorgt, dass andere mich töten könnten, bevor du es erledigen kannst. Oder etwa nicht?“
Po stand da mit offenem Mund.
„Shen!“, versuchte es jetzt die Ziege. „Er hat recht. Wir können nicht hierbleiben. Sie könnten jederzeit zurückkommen.“
Wieder stieß Shen ein Schnauben aus. Vielleicht war sie besorgt um ihn, aber er war kein Kind mehr.
„Ich habe keine Angst!“
„Es geht hier doch nicht darum, vor etwas Angst zu haben oder nicht. Shen, es geht um dein Leben!“
„Mein Leben hätte schon vor ein paar Tagen beendet werden sollen.“ Sein Blick fiel auf Po. „Bis du dazwischengefunkt hast.“
Po rief ein empörtes „Hey!“, doch die Ziege tippte ihn mit ihrem Stock an, bevor er weitersprechen konnte.
„Ende der Diskussion!“, rief sie.
Shen sah wie mit weiten Augen überrascht an. Noch nie hatte er solche Worte von ihr gehört. Doch er war nicht bereit aufzugeben.
„Ich erledigte das alleine.“
„Shen, nicht in deinem Zustand. Wir werden gehen, egal ob du nun willst oder nicht.“
Der Lord fauchte. „Du kannst mich nicht dazu zwingen.“

„Lass mich runter! Lass mich runter!“
Es war knapp vor Mittag und die Sonne schon weit über dem Horizont gewandert. Hitze lag in der Luft in den Weiten des Waldes. Sie marschierten die Straße des Forstes entlang. Zuerst Po, auf seinen Schulter Shen, den er wieder in der Decke umhüllt hatte, um seine federlosen Körperstellen zu verbergen und Shen war nicht besonders glücklich über seine Situation. Immer wieder und wieder versuchte er von dem Panda runterzukommen und schlug mit seinem rechten Flügel auf ihn ein. „Verdammt nochmal! Lass mich runter!“
Po war überrascht, dass jemand wie Shen solche Worte äußern konnte, doch absetzen tat er ihn nicht.
Shen zischte verärgert und schaute zur Ziege runter, die dicht hinter ihnen her ging.
„Tu doch etwas!“
Doch diese schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Shen, ich halte mich da raus.“
„Du verdammte Ziege! Ich befehle dir etwas zu sagen. Sag ihm, dass er mich gehen lassen soll!“
„Tut mir leid, du hast mich entlassen, schon vergessen.“
„Du verdammte alte Ziege!“
„Ho hey“, rief Po und hielt an. „Ich denke, wir brauchen gar nicht den ganzen Weg zu laufen.“
Nicht weit entfernt tauchte ein Wagen auf.
„Ich denke, das macht die Sache leichter.“

Es dauerte nicht lange und sie saßen zu dritt im Karren zwischen Holzkisten mit Gemüse.
Der Pfau war jederzeit bereit wieder zu fliehen, doch kaum hatte er sich hingelegt, überholte ihn die Müdigkeit. Er wurde zu müde um wach zu bleiben und es dauerte nicht lange und er war eingeschlafen.
Er wusste nicht wie lange er geschlafen hatte, als plötzlich…
„HHHHEEEYY!“
Alle waren so erschrocken über Pos Aufschrei, dass der Wagen abrupt anhielt.
„Bist du verrückt?!“, schrie Shen ihn noch mit Herz im Hals an.
„Schau nur!“ Po zog Shen am Flügel und deutete nach vorne, wo nicht weit entfernt einige Häuser zu sehen waren.
„Schau, das ist mein Dorf“, rief Po stolz.
Shen zeigte sich unbeeindruckt. Stattdessen kniff er die Augen mit angeekeltem Blick zusammen. „Na toll. Und was jetzt?“
Po wurde unsicher. „Äh… was wir jetzt machen sollen? Ähm… jetzt suchen wir erst mal einen Platz für dich, wo wir dich verstecken können.“
„Und wo soll dieser Ort sein? Im Gefängnis?“
„Ha, ha. Sehr witzig“, lachte Po und schlang seine Arme um den Pfau. Shen stieß ihn sofort wieder von sich.
„Keine Umarmungen! Kapiert?!“, warnte er.
„Oh, okay, okay. Keine Umarmungen. Kapiert.“ Po zwinkerte ihm zu, während der Wagen den Hügel runterfuhr.

16. Hoher Besuch


Nur zwei Straßen weiter, nahe des Hinterhofes von Pos Haus, hielt der Wagen an.
Po und die Ziege stiegen als erster aus. Shen hingegen zögerte.
„Komm schon“, sagte Po und winkte ihm aufmunternd zu.
Der Pfau sah sich um. Er schien jetzt doch etwas verunsichert zu sein.
„Kein Sorge“, redete Po auf ihn ein. „Es ist hier völlig ungefährlich.“
Der Lord zischte. Er wollte nicht als Feigling gelten. Langsam und vorsichtig, er wollte sich nicht noch mehr was brechen, rutschte er an die Kante des Wagens.
Po hielt ihm seine Tatzen entgegen, um ihn aufzufangen, doch Shen schlug ihm auf die Finger.
„Fass mich nicht an!“, fauchte er beinahe aggressiv. „Fass mich nie an, oder ich werde…“
„Ja, ja, ja. Dann würdest du mich töten, wirklich nett. Doch du hast wohl keine andere Wahl.“
Wieder streckte der Panda die Tatze aus, doch Shen schob sie erneut weg.
„Panda! Bist du taub? Es war nie mein Wunsch hierher zu kommen in dieses…“ Angewidert ließ er den Blick schweifen. „… in dieses Kaff von Häuser-Ansammlungen.“
„Ooookay“, meinte Po gedehnt. „Mein Name ist Po.“
Noch bevor Shen weiterreden konnte, trug Po ihn schnell vom Karren runter.
„Lass mich runter! Verdammt! Lass mich runter!“, schrie Shen.
„Shen! Bitte sei ruhig!“, mahnte ihn die Wahrsagerin. „Denk dran, du bist hier nicht unbekannt für einige Leute. Willst du riskierten, dass sie dich hier entdecken?“
Shen kniff die Augen gefährlich zusammen. Po schluckte schwer, als diese gefährlichen Augen auf ihn trafen.
„Lass dir nur nicht einfallen mich zu verraten!“, mahnte der Pfau.
„Das hatte ich gar nicht vor!“, beteuerte Po.
Shen schnaubte. „Wer’s glaubt.“
„Jungs!“
Beide sahen die Wahrsagerin an.
„Bitte, nehmt die Chance wahr und vermeidet es erst mal, dass man euch sieht.“
„Ja, sie hat recht“, stimmte Po zu. „Ich bringe ihn zu mir auf mein Zimmer.“ Er unterbrach sich selber. „Ist das okay für dich?“
Shen sagte nichts und schmollte.
Die Ziege nickte. „In Ordnung. Ich bleibe solange in der Nähe.“
„Willst du nicht mit uns kommen?“, fragte Po verwundert, aber auch etwas ängstlich.
„Wir sollten kein Risiko eingehen“, meinte die ältere Frau. „Ich denke, es ist so das Beste.“
Damit drehte sie sich um.
„Mm… äh…“, stotterte Po. „Aber was ist wenn…“
Die Ziege schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Ich denke nicht, dass er etwas anstellen wird. Stimmst?“
Sie warf Shen einen warnenden Blick zu. Shen schnaubte und wich ihrem Blick aus. Und die Ziege interpretierte es als eine Art „Ja“.

Auf Zehenspitzen schlich Po mit Shen auf den Armen an der Hauswand des Restaurants entlang, wo er durch die Hintertür schlüpfte.
Er schaute um die Ecke. „Okay, nur keinen Lärm machen.“
„Deinen lächerlichen Monolog kannst du dir sparen“, murmelte Shen genervt.
„Na gut“, zischte Po leise und fuhr mit seinem Schleichgang fort. Nicht mehr weit und sie würden sein altes Zimmer erreichen.
„Po?“
Po erstarrte.
„Oh… hi, Dad.“
Vor lauter Überraschung öffnete Shen weit die Augen. „Dad?“
„Po!“
Mit offenen Flügeln rannte Mr. Ping auf ihn zu. Schnell setzte Po Shen auf den Fußboden ab noch bevor Mr. Ping ihn erreichte und er Shen bei dieser stürmischen Umarmung noch wegen den Verletzungen hätte weh tun können.
„Po! Po! Warum hast du mir nicht gesagt, dass du nach Hause kommst?! Ich hörte, dass du einige Probleme gehabt hattest. Ich war so in Sorge. Wieso hast du keine Nachricht geschickt? Ich war kurz davor…“
„PSsssshhh!“, zischte Po laut. „Dad, sei ruhig. Niemand soll wissen, dass ich zurück bin.“
Mr. Ping war so irritiert, dass ihm der Schnabel offenstehenblieb. In dieser Stellung wanderten seine Augen zu Shen.
„Und wer ist das?“
„Äh, das ist…äh… er ist…“
„Wie kannst du sein Vater sein?“, fragte Shen mit Skepsis in der Stimme.
Mr. Ping lächelte. „Nun, vielleicht nicht biologisch, aber für mich ist er wie ein Sohn.“
Shen schaute von einem zum anderem. Dann begann er zu lachen. „Ha, ha, ha, ha, das ist ein totaler Witz! Ich kann mir nicht helfen wie du mir leidtust, Panda.“
Mr. Ping schnappte nach Luft.
„Das ist schon okay, Dad“, versuchte Po die Situation zu retten. „Er ist… er kennt sowas nicht… Er kommt aus gutem Hause. Er kann ungewöhnliche Dinge nicht so verstehen.“
„Aus gutem Hause?“, fragte Mr. Ping neugierig.
„Ja, er ist ein Herrscher, und ein… ein Prinz, glaube ich.“
„OH, königlicher Besuch!?“
„Shhhh! Dad, erzähl das bloß nicht den anderen. Das ist ein Geheimnis. Top-Secret.“
„Oh, ich verstehe. Nun…“
Der Gänserich breitete seine Flügel aus mit einer herzlichen Willkommens Geste.
„Mein Haus steht Ihnen zur Verfügung. Inklusive Frühstück, Mittagessen und Abendessen!“
Shen musterte ihn von oben bis unten und stand ihm eher teilnahmslos gegenüber, als würde ihm gar nicht interessieren was er sagte. Nur eine mürrische Spur überzog leicht sein Gesicht.
Po legte seine Tatze auf Mr. Pings Schulter. „Danke Dad, er wird bei mir im Zimmer schlafen. Er braucht eine Menge Erholung. Er wurde überfallen von… äh… von Räubern.“
„Aha, ich verstehe! Während du auf den Weg nach Hause warst, hast du ihn unterwegs gerettet. Das ist mein tapferer Sohn!“
Damit entfernte sich Mr. Ping und eilte durch eine Tür. Doch bevor er dahinter verschwand, drehte er sich nochmal in der Türschwelle um.
„Fühlen Sie sich wie Zuhause. Pos Freunde sind auch meine Freunde.“
Shen zuckte bei diesen Worten verblüfft zusammen.

Shens Gesicht wurde noch verwirrter, als er das Zimmer sah. Leere alte Suppenschüsseln stapelten sich in den Regalen, Poster von Kung-Fu-Kriegern hingen an den Wänden, inclusive gemalte Bilder von hässlichen Tieren, durchlöchert von geworfenen Wurfsternen. Shen rümpfe den Schnabel. Für seinen Geschmack war es natürlich alles eine ganze Spur zu primitiv. Argwöhnisch starrte er auf den Panda, der seine Arme einladend ausbreitete.
„Ta-da! Das ist mein Zimmer!“
Schweigen war alles, was er als Antwort erhielt.
Po sah sich um und hob etwas vom Boden auf.
„Äh… tut mir leid für die Unordnung.“
Hastig schob er ein paar Wurfsterne beiseite. Dann winkte er auf sein Bett. „Und hier kannst du schlafen.“
Noch immer hüllte sich der Pfau in Schweigen, dann löste er sich von seiner Erstarrung und schaute sich argwöhnisch um, was Po wieder unsicher werden ließ.
„Stimmt etwas nicht? Ist etwas nicht in Ordnung?“
Shen kniff die Augen zusammen. Anschließend wanderten diese auf den Gastgeber. Po erschrak sichtlich, als er erneut eine starke Anfeindung zwischen ihnen spüren konnte.
„Freunde?“
Po rieb nervös die Finger aneinander. „Äh, na ja, ich konnte schlecht nein sagen. Es war nur für…“
Shen machte einen schnellen Schritt nach vorn. Seine Haltung zeigte deutlichen Ärger. „Wir werden niemals Freunde sein! Verstanden?!“
„Okay, verstanden.“
Er beobachtete den Pfau, der seinen Blick wieder auf Wanderschaft gehen ließ. „Wie kann er dein Vater sein?“, fragte Shen mit belangloser Stimme. „Ist das nicht etwas demütigend für dich?“
„Demütigend? Oh, nein, nein, nein. Er hat mich aufgenommen und sich um mich gekümmert, als ich ein Waisenkind war. Obwohl ich zugeben muss, dass ich erst vor kurzem erfahren habe, dass er nicht mein richtiger Vater ist.“
Shen schmunzelte. „Du bist wirklich zu bedauern. Was soll denn das für eine Gesellschaft sein? Ein Vogel und ein Panda? Das ist doch total dumm-verrückt.“
Po seufzte und wandte sich wieder zur Treppe. „Ich gehe jetzt.“
„Und wohin hast du vor zu gehen?“, forschte Shen.
„Nun, zurück in den Jade-Palast. Sie müssen doch wissen, dass es mir gut geht.“
„Und weiter?“
„Was weiter…? Oh, ja, keine Sorge. Ich werde nichts von dir erzählen.“
„Das würde ich dir auch geraten haben.“
Po lächelte verschmitzt. „Nun… ruh dich aus. Ich komme gleich wieder. Bin gleich wieder zurück. Und, fühl dich wie zuhause… und keine Sorge. Es wird alles wieder gut.“
Damit verschwand er. Shen wartete bis er auf der Straße zu hören war. Anschließend schaute er nach draußen durchs Fenster, wo Po gerade die Straße runterrannte.
Er schnaubte. „So voller fehlgeleitetem Optimismus.“
Sein Blick fiel auf das Bett. Dort sollte er schlafen? Dort wo der dreckige Panda Nacht für Nacht zu schlafen pflegte?
Igitt!
Angeekelt trat Shen dagegen.
Er zuckte zusammen. Da waren Schritte auf der Treppe, die zu ihm nach oben stiegen. Der Lord schaute sich hastig um. Seinen gebrochenen Flügel konnte er nicht benutzen. Er suchte nach einem Wurfstern. Er hob einen auf mit seinem rechten Flügel und war bereit zu…
„Hallo, Sir!“
Mr. Pings Kopf schaute in den Raum. Schnell versteckte Shen den Wurfstern hinter seinem Rücken, reichlich verärgert für das unerwartete Erscheinen des Inhabers.
„Hi“, antwortete er kurz. „Was willst du?“
„Oh, tut mir leid, ich wollte Sie nicht stören, aber ich dachte, eine so wichtige Persönlichkeit braucht mehr Komfort.“
Damit zog Mr. Ping ein paar Matratzen hinter sich her.
„Die sind weich, sehr rückenschonend und hautschonend. Darauf schlafen Sie wie ein König.“
„Nett, aber ich…“
„Oh, bitte, Sir. Es wäre eine Ehre für mich alles zu Ihrer Zufriedenheit zu tun.“
Shen wusste darauf nichts zu antworten, doch dann nickte er, allerdings immer noch mit einem verärgerten Gesichtsausdruck. Dieser Gänserich war genauso naiv wie sein verlogener „Sohn“.
Mr. Ping legte die Matten aus und legte frische Decken und Kissen drauf.
„So, hier können Sie sich getrost niederlasen.“
Der Lord zögerte einen Moment, dann bewegte er sich auf das improvisierte Nachtlager zu. Mit Mühe setzte er sich hin. Er musste zugeben, dass es wirklich viel besser war als sein letztes Bett. Mr. Ping lächelte, als sein Gast sich zufrieden zeigte.
„Ich bringe Ihnen noch etwas zu essen.“
Mit diesen Worten drehte sich Mr. Ping um und stieg die Stufen runter. Doch bevor er verschwand, schaute er noch einmal zurück. „Und lassen Sie mich Sie herzlich willkommen heißen in meinem Haus. Empfehlen Sie uns gerne weiter. Wir haben hier das beste Restaurant im ganzen Dorf.“
Dann war er weg.
Shen saß auf den Matratzen und wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Noch nie hatte ihn jemand so behandelt. Normalerweise war er derjenige, der Befehle erteilte, was andere niemals freiwillig für ihn tun würden. Darunter fiel auch das Bringen von Essen und einen Platz zum schlafen.
Er gähnte und ließ sich müde auf die Kissen sinken. Vielleicht sollte er versuchen sich einem Moment zu entspannen. Nur einen kurzen Moment…
Nach einer Weile war er eingeschlafen.

17. Natürlich nicht!


Mit einem unguten Gefühl marschierte Po die unendlich langen Stufen zum Jade-Palast hoch. Er konnte Shifu unmöglich sagen, dass Shen sich im Dorf befand. Doch wie lange konnte er es geheim halten? Oder mehr, wie lange könnte das möglich sein? Würde Shen sich die ganze Zeit ruhig verhalten? Wie lange würde diese Zeit dauern?
„Okay, keine Panik, nur keine Panik, Po“, sagte er immer wieder zu sich selbst. „Alles wird gut, alles wird gut.“
Plötzlich erstarrte er zur Salzsäule. War es überhaupt eine gute Idee gewesen ihn mit seinem Dad alleine zu lassen? Sollte er ihm nicht doch besser sagen, dass Shen eine mehr oder weniger nervöse Person war…
„STEHEN BLEIBEN!!
Po schrie auf und riss erschrocken die Arme in die Höhe. Er stand gerade auf der letzten Stufe.
„Okay! Okay!“, rief er. „Ich gebe es zu! Ich gebe es zu! Es war eine schlechte Idee von mir gewesen, eine sehr schlechte Idee!“
Er sah sich um, um zu sehen, wer ihn da so angeschrien hatte. Sein Mund blieb offen, als er mehrere Gorillas und Nashörner auf der Jade-Palast-Mauer stehen sah. Mit Speeren, Pfeil und Bogen bewaffnet, hatten sie ihre Waffen auf den erstarrten Panda gerichtet.
„Oh…. Hallo Jungs!“, war alles was Po zu sagen wusste und winkte mit der Tatze.
In diesem Moment öffnete sich das große Tor und mehrere Gorillas und Nashörner kamen heraus ihm entgegen. Po wusste nicht, was er machen sollte. Sollte er sich verteidigen oder warten? Wer waren diese Kerle?
Seine große Frage erhielt eine Antwort, als Shifu zwischen ihnen auftauchte.
„Po!“, rief er völlig überrascht.
„Meister Shifu!“
Po rannte auf ihn zu und umarmte den kleinen Meister.
Die Soldaten wurden nervös, aber Shifu hob seine Hand. „Es ist okay, er ist einer von uns.“
Po ließ ihn wieder los. „Einer von uns? Wer sind die?“
Shifu nahm Haltung an. „Po, sie sind hier, um für den Schutz unserer Besucher zu sorgen. Die Gorillas von der Tal-Gegend, und die Nashörner von der Berg-Gegend. Beide Soldaten von den zwei Nationen, die einst gegeneinander kämpften bevor unser Dorf entstand, vor vielen Jahren.“
Po verstand. „Ohhhhh, ja! Jetzt verstehe ich.“
Er sah sich um und betrachtete jeden einzelnen. „Wow, die sind viel größer als ich gedacht hatte. Hey, alles klar bei euch?“
„Po!“
Po drehte sich um. Ein Gefühl von Freude überkam ihn, als er seine fünf Freunde sah.
„Hey! Ich habe euch so vermisst!“
Po schlang seine Arme um sie. Kurz darauf bombardieren sie ihn mit Fragen.
„Was ist passiert, Po?“, fragte Viper.
„Ja, Mantis sagte, du hättest Probleme gehabt“, sagte Monkey.
Po erkannte Mantis auf seinem Kopf. „Oh, Mantis! Dir geht es gut?! Meine Güte, bin ich erleichtert.“
Tigress verhielt sich von allem am zurückhaltensten und beobachtete ihren Freund mit Sorge. „Po, was genau ist passiert? Was ist mit Shen?“
„Ja, was ist mit Shen?“, fragte Mantis neugierig.
Po wurde mit einem Mal still. „Äh, mit Shen? Nun, wisst ihr Leute, das ist eine lange Geschichte… ich meine…“
„Po!“ Diesmal wurde er von Shifu unterbrochen. „Wo bist du gewesen?“
Shifus Stimme klang jetzt schon gar nicht mehr so freundlich wie seine Freunde.
„Wo ich gewesen bin?“, wiederholte Po die Frage. „Äh, nun, wo sollte ich gewesen sein? Ich meine, ich bin hier, bevor ich irgendwo anderes gewesen war, oder?“
Er lächelte gequält, doch damit konnte er Shifu nicht zufrieden stellen.
„Und während du wo anders gewesen warst, ist ein Vertreter der Soldaten gekommen und wartet schon ungeduldig.“
Po machte große Augen. „Wann? Wo?“
„Jetzt.“
Po drehte sich um. Eine Gazelle mit gerollten langen Hörnern stand vor ihm. Er war dünn und trug ein grau goldenes Hemd.
„Wie lange muss man denn hier warten bis uns jemand mit Ehre willkommen heißt, die einem gebührt? Das ist sehr unhöflich!“
„Wie ich schon sagte“, meinte Shifu ruhiger. „Er war auf einer sehr, sehr wichtigen Mission unterwegs.“
„Danach habe ich Sie nicht gefragt, Mister Shifu“, erwiderte die Gazelle unwirsch.
„Es heißt „Meister“ Shifu“, murmelte Shifu.
„Was war das?“
„Nichts, nichts“, antwortete Shifu schnell.
Die Gazelle schnaubte und zog die Nase hoch. „Was kann denn wichtiger sein als das bevorstehende Fest?“
Po zwang sich zu einem Lächeln. „Nein, es tut mir leid, ich wolle Sie nicht…“
„Wie auch immer“, schnitt die Gazelle ihm das Wort ab. „So, Sie sind also der Drachenkrieger?“
Vielleicht hatte er sich den Drachenkrieger etwas anders vorgestellt bevor er Po gesehen hatte.
„Äh… ja, ja, ja. Ich bin Po, und Sie?“
„Po!“, zischte Shifu verärgert.
Doch die Gazelle war schneller. „Mein Name ist Gong, Vertreter beider Nationen. Und ich verbiete mir irgendwelche Witze über diesen Namen, wenn Sie so freundlich wären!“
„Oh, okay, ja, keine Witze“, plapperte Po. „Ihr Name hört sich sehr nett an…“
„Ja, ja. Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun. Alles muss absolut perfekt sein bevor die Könige der Nationen hier eintreffen. Und nur ein Fehler… nur ein einziger Fehler und es ist Krieg.“
Po stand stocksteif da, doch dann lächelte er. „Ah, ja, ich weiß. Ich hatte mal einen Vortag in der Schule darüber…“
„Po!“, rief Meister Shifu aufgebracht. „Könnte ich dich mal unter vier Augen sprechen?“
Gong hob die Augenbrauen. „Jetzt? Wieso denn jetzt? Wir haben jetzt viele wichtigere Dinge zu…“
„Es ist wichtig für die Sicherheit“, sagte Shifu und zog Po mit sich mit.
Gong schnaubte. „Was für raue Sitten hier doch herrschen.“
Shifu führte Po in einen Raum, wo sie ungestört reden konnten. Neben den Furiosen Fünf, denen es erlaubt war mitreinzukommen. Als die Tür verschlossen war, wandte Shifu sich Po zu.
„PO!“ Die Stimme des roten kleinen Pandas war jetzt lauter als vorher. „Ich frage dich jetzt nur diese eine Frage, und ich verlange, dass du sie mir ganz ehrlich beantwortest.“
Er kam näher. Po fühlte sich etwas unbehaglich.
„Ja, Meister?“
„Wo ist Shen?“
Po schluckte.
„Was? Shen? OH, Shen, jetzt weiß ich, wen du meinst. Nun, die Sache ist die… das Ganze ist mir sehr peinlich… aber ich muss sagen… ähm… dass…“
Shifu verengte die Augen.
„… dass ich ihn verloren habe.“
„Du hast ihn verloren?“, frage Monkey überrascht.
Po drehte sich zu ihm um. „Natürlich, ich meine, er ist ein starker Kämpfer. Er entkam mir wie das letzte Mal, erinnert ihr euch noch?“
„Aber Mantis sagte, dass er verletzt gewesen war“, wandte Tigress ein.
„Und du bist mit ihm verschwunden“, fügte Crane hinzu.
„Ja, ja, natürlich war er das“, sagte Po schnell, während er nach einer guten Ausrede suchte. „Aber, es war, er war, ich war…“
Po zerbrach sich den Kopf. Wo waren seine Ideen, wenn er mal eine brauchte?
„Mister Shifu!“ rief Gongs Stimme von draußen.
Shifu fuhr herum. „Ich komme sofort!“
Drohend deutete er auf Po. „Po! Ich warne dich! Sollte irgendetwas passieren…. Dann sei sicher… dann wird dir keine Gnade wiederfahren! Wenn du Shen verschonst…“
„Wer? Ich? Nein, das hab ich nicht. Wirklich nicht! Natürlich nicht!“
Po lächelte breit. Doch es war ein sehr erzwungenes Lächeln. Und Shifu sah es.
„Sei gewarnt, Po!“, warnte der rote Panda weiter. „Es ist das Beste für alle, dass er nicht am Leben bleibt.“
Damit verschwand er. Po sah ihm nach. „Nur keine Sorge, Meister Shifu“, rief er ihm laut hinterher. „Ihr könnt sicher sein, dass nichts passieren wird.“
Noch nie in seinem Leben hatte Po so starke Bauchschmerzen wegen einer Lüge gehabt wie jetzt.

18. Der verführerische Duft einer Suppe


Mit Kopfschmerzen wachte Shen auf. Stöhnend erhob er sich. In seinem Kopf drehte sich alles und er musste sich wieder hinlegen.
Er seufzte tief. Dösend versuchte er seine Gedanken zu sortieren. Es war so viel auf einmal passiert. Er verspürte eine gewisse Hilflosigkeit und genau dieses Gefühl hasste er. Der Panda hatte ihn in seiner Gewalt. Wie konnte er nur so dumm sein? Schon das erste Mal, als er ihn gesehen hatte, kam er für ihn wie ein Idiot rüber. Das sollte der sein, der ihn besiegen sollte? Das war wie ein schlechter Witz.
Plötzlich hob er den Kopf. Da waren Schritte auf den Holzstufen. Er spannte seine Muskeln an und setzte sich etwas mehr im improvisierten Bett auf. Wer war es? Wie lange hatte er eigentlich geschlafen? Kam der Panda zurück?
Er fuhr hoch, als ein kleiner Kopf auftauchte.
„Oh, Sie sind wach“, sagte Mr. Ping und erklomm die letzten paar Stufen. In seinen Flügeln hielt er eine kleine Schüssel.
„Sie haben so tief geschlafen, dass ich Sie nicht aufwecken wollte, aber jetzt… Sie werden sicher Hunger haben.“
Er stellte die Schüssel auf einen kleinen Stuhl ab. Shen betrachtete sie mit prüfendem Blick. Die Schüssel war gefüllt mit dampfender Suppe und einem Löffel.
„Genießen Sie Ihr Mahl“, sagte Mr. Ping freundlich und ging weg. „Wenn Sie irgendetwas brauchen, können Sie mich jederzeit rufen.“
Damit stieg er wieder die Treppe runter. Shen saß im Bett und wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. Er starrte nur auf die Suppe. Der Ex-Herrscher schnupperte misstrauisch. Er musste zugeben, dass es nicht schlecht roch, doch vielleicht war es vergiftet.
Hat Po dem Gänserich vielleicht erzählt, dass er dessen Eltern ermordet hatte?
Shen verzog das Gesicht. Sein Magen knurrte wegen dem Duft.
Er schob die Schüssel beiseite und legte sich wieder hin. Doch der Duft, der jetzt den ganzen Raum erfüllte, trieb ihn immer mehr in Versuchung. Er wanderte durch seine Nase, durch seinen Kopf und ließ in ihm Bilder von delikatem Essen hervorspringen.
Seine Flügel krampften sich zusammen. Er konnte es nicht mehr länger aushalten.
Was sollte er machen? Vielleicht wegschütten.
Mit Mühe stand er auf. Er wickelte die Decke um seinen entfederten Körper, nahm die Schüssel vorsichtig mit seinem heilen Flügel, damit er sie nicht auf den Boden verschüttete und humpelte damit zum Fenster. Vorsichtig lugte er raus. Niemand befand sich im Hof. Er hob die Schüssel an und wollte sie gerade auskippen, als plötzlich…
Er fuhr zusammen. Ein Schwein stand am Fenster des Nachbarhauses und war gerade dabei seine Blumen im Fensterkasten zu gießen. Verwundert sah es den Pfau mit großen Augen an.
Erschrocken warf sich Shen die Decke über den Kopf und stolperte zurück.
Hatte der Nachbar ihn erkannt?
Unmöglich. Keiner hat ihn vorher jemals gesehen. Allerdings gab es nicht viele weiße Pfaue auf der Welt. Manchmal fragte er sich, ob er nicht der Einzige war. Er schlang sich die braune Decke enger um seinen Körper, immer noch ratlos was er jetzt mit der Suppe in seinem Flügel machen sollte.
Sein Blick wanderte zurück in die mit Suppe gefüllte Schüssel. Wieso hatte er heute Morgen nichts gegessen?
Er legte die Schüssel zurück auf den kleinen Stuhl ab, setzte sich auf die Matten und betrachte die dampfende Suppe mit grimmigem Blick und grübelte angestrengt, fast schon philosophisch.
War sie vergiftet oder nicht? Wieso sollte dieser Gänserich das tun? Aus Rache oder doch nicht? Es wäre nur zu logisch doch andererseits, offengesagt, konnte er sich das nicht vorstellen.
Auf einmal kam ihm eine Idee.
„Hey! Komm mal her!“
Er brauchte nicht lange zu warten.
„Sie haben mich gerufen, Sir?“, fragte Mr. Ping, der kurz darauf auf dem Treppenabsatz auftauchte.
Shen ging nicht auf die Frage ein, sondern deutete auf die Suppe. „Könnte es sein, dass da noch Pfeffer fehlt? Oder Salz?“
Mr. Ping wurde kreidebleich. „Oh, tut mir leid, ich wusste nicht, dass… Verzeihung, ich wollte Sie nicht kränken. Ich werde das sofort korrigieren.“
Mit diesen Worten nahm er die Schüssel und rannte damit die Treppen runter.
„Nein! Ich…“
Doch Mr. Ping war schon verschwunden.
Shen knurrte verärgert. Eigentlich hatte er erwartet, dass der Gänserich die Suppe vor seinen Augen kostet. Jetzt konnte er nicht kontrollieren, ob er vorhatte sie zu probieren ohne anschließend tot umzufallen.
Es dauerte nicht lange und Mr. Ping kam zurück. „So, Sir. Ich hoffe, dass nun alles Ihrer Zufriedenheit entspricht.“
Shen zischte. Jetzt wollte er es wissen.
„Probieren“, befahl er.
Mr. Ping sah ihn überrascht an.
„Was soll ich, Sir?“
Jetzt war Shens Misstrauen noch größer als vorher. „Probier es, jetzt sofort!“
„Ich soll das Essen für Sie vorkosten? Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Oh, natürlich, ich denke, dass es so Sitte in Ihrer Familie ist, nicht wahr? Sie müssen ja immerhin sehr vorsichtig sein. Nun, Sir, es wird mir eine Ehre sein Ihnen zu dienen.“
Er nahm einen anderen Löffel aus seiner Tasche, füllte ihn mit etwas Suppe und ließ es unter Shens Augen im Schnabel verschwinden.  
„Schmeckt deliziös“, sagte Mr. Ping glücklich über seine Kreation.
Shen verengte die Augen. „Nun, dann, du kannst verschwinden.“
„Oh, sicher. Genießen Sie Ihr Mahl.“
Damit verschwand Mr. Ping hastig. Doch Shen war immer noch unsicher.
Warum hatte Mr. Ping nicht denselben Löffel genommen? Oder hatte er ein Gegengift eingenommen?
Er seufzte, als sich sein knurrender Magen lauter als vorher meldete. Vielleicht sollte er nur einen kleinen Tropfen probieren. Er nahm den Löffel, tunkte ihn ein, schöpfte etwas davon raus und schnupperte nochmal an der Suppe im Löffel. Doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte kein für ihn bekanntes Gift riechen.
Er nahm einen tiefen Atemzug. „Na dann…“
Er öffnete den Schnabel und ließ einen sehr, sehr kleinen Tropen auf seiner Zunge träufeln.
Der Pfau schloss die Augen und schmeckte den Suppentropfen sehr genau durch.
Dann schluckte er es runter. Er wartete auf eine Wirkung. Nichts passierte. Eigentlich wollte er noch etwas länger warten, doch der Nachgeschmack im Mund betörte seinen Verstand. Es wanderte durch seinen Kopf und seine Augen weiteten sich.

19. Unerwarteter Besuch


Po sah sich um. Es war schon fast Abend. Niemand war in der Nähe. Gong hatte sie den ganzen Tag mit seinen Plänen, Vorschlägen und Ratschlägen für das Fest zugetextet. Pos Kopf rauchte von diesen vielen Worten, dass ihm immer noch die Ohren hallten.  
Vorsichtig verließ er das Tor des Jade-Palastes und tippelte auf Zehenspitzen zu den Stufen.
„Po?“
Er erstarrte. Langsam drehte er sich um. „Äh, ja?“
Er zwang sich zu einem Lächeln, als er seine Freunde sah.
„Alles okay mit dir?“, fragte Tigress.
„Wo willst du hin?“, war Vipers nächste Frage.
„Äh, muss ich nicht irgendetwas tun? Ich wollte zu meinem Dad. Er wollte mir noch etwas sagen“, war alles was Po einfiel.
„Wieder so ein Vater-Sohn Ding?“, erkundigte sich Mantis.
„Ja, sowas ähnliches.“ Zögernd ging Po rückwärts Richtung Treppe. „Wir sehen uns…“
Er verlor das Gleichgewicht und fiel die Stufen runter. Seine Freunde sahen zu wie der Panda im rasenden Tempo die Treppen runterpurzelte.

Po rieb sich seinen schmerzenden Rücken, als er die letzten Stufen der langen Treppe erreicht hatte. Zum Glück war es bis zum Restaurant seines Vaters nicht weit. Schon von weitem hörte er die Stimmen im Lokal. Das Restaurant war wie so oft mit Gästen gefüllt und Mr. Ping war emsig in der Küche beschäftigt.
„Hi, Dad“, grüßte Po, als Mr. Ping in seiner Geschäftigkeit an ihm vorbeilief.
„Oh, hi, Po!“, rief Mr. Ping im Vorbeigehen. „Wie geht es dir?“, fuhr er fort, als er an die Theke zurückkam.
„Nun, gut soweit…“ Po kratzte sich am Kopf und folgte ihm in die Küche. Mr. Ping füllte mehrere Suppenschüsseln mit Nudeln, Gemüse und so weiter.
„Äh… Dad?“, fragte Po leise. „Wie geht es… unserem Gast?“
Mr. Ping hielt kurz inne, bevor er seine Arbeit fortsetzte. „Oh, er hat drei Schüsseln Suppe gegessen. Du solltest ihn öfter vorbeibringen.“
Po runzelte die Stirn. Offensichtlich schien alles in bester Ordnung zu sein. Langsam kletterte er die Stufen zu seinem Zimmer hoch. Shen lag auf den Matratzen, einen Flügel auf dem Bauch und hatte die Augen geschlossen. Er sah sehr zufrieden aus.
Po wollte einen näheren Blick auf ihn werfen und ging ein paar Schritte vor. Doch eine quietschende Diele ließ ihn erstarren.
Shen blinzelte und war sofort wach.
„Was tust du hier?“, fragte er verärgert.
Po hob die Tatzen. „Es ist alles okay, aber wir müssen vorsichtig sein.“
Shen hob den Kopf und sah ihn skeptisch an. „Was meinst du mit vorsichtig?“
„Nun, ich habe niemanden was gesagt, aber ich hab so das Gefühl, dass die anderen etwas ahnen.“
„Wer?“
„Po? Po?“, rief Mr. Pings Stimme zu ihnen hoch. „Da will dich jemand besuchen.“
„Ich komme, Dad!“ Hastig wandte er sich wieder an Shen. „Wir reden später weiter.“
Mit diesen Worten marschierte Po die Treppen runter und kam in die Küche.
„So, Dad, wer will…“
Der Satz blieb ihm im Halse stecken. Er wurde bleich unterm Fell, als er in das düstere Gesicht von Meister Shifu starrte.

20. Was ist was?


Po konnte keine Worte finden. Sein Kopf war wie leergefegt. Was wollte Shifu hier? Wusste er etwa…
„Oh, oh… oh! Meister Shifu!“, stotterte er und stand stocksteif da. „Äh… was machen Sie denn hier?“
Meister Shifu verengte die Augen. „Das Gleiche würde ich dich fragen: Was machst du hier?“
„Äh… Warum sollte ich nicht hier sein?“, fragte Po und schaute mit sorgenvoller Miene zu seinem Vater.
Shifu schnaubte. „Wir haben eine Menge wichtige Vorbereitungen für das Fest zu treffen und was machst du?“
Po tippte die Fingerspitzen nervös zusammen. „Ich- ich- ich- Ich bin hier… ja… ich bin hier wegen meinem Dad. Wir wollten über das geplante Dinner sprechen.“
Mr. Ping hob überrascht den Kopf. „Dinner?“
„Jaaaaaa, Dad!“, hauchte Po energisch. „Das Dinner. Du weißt schon. Das Dinner für das Fest, das wir für dein Restaurant geplant haben.“
Mr. Ping wusste nicht, was er sagen sollte, bis er es so langsam verstand. „Aha! Ja, das große Dinner.“
Po lachte. „Du siehst, Meister. Ich wollte nur etwas zum Fest beitragen.“
Shifu sah ihn an. Sein Gesicht dunkel und emotionslos. Doch dann legte er die Handflächen zusammen, seine Gesichtsmuskeln entspannten sich und setzte ein sanftes Lächeln auf. „So, so. Du machst hier also Pläne für das Fest.“
Po lächelte. „Ja, das ist das, was ich die ganze Zeit machen wollte.“
Shifu nickte mit gutmütiger Geste. „Sehr interessant. Sehr interessant. Ich muss schon sagen, dass ich vielleicht etwas zu misstrauisch gewesen war. Ich hab doch wirklich angenommen, dass du etwas Bestimmtes vor mir verstecken wolltest.“
„Verstecken?“ Po zeigte sich sehr überrascht. „Was sollte ich denn verstecken, Meister? Natürlich nichts.“
„Mmmm.“ Shifu rieb sich übers Kinn. „Nun denn. In diesem Fall würdest du mir erlauben ein Blick in dein Zimmer zu werfen.“
Pos Lächeln versank sofort im Keller. „Äh… mein Zimmer? Wieso mein Zimmer?“
Shifu setzte einen Fuß auf die unterste Stufe. „Nun, du musst verstehen, wenn unsere Gäste sehen wollen, wo der Drachenkrieger wohnt, sollten wir sicherstellen, dass die Umgebung ihren Vorstellungen für einen Besuch entspricht.“
Doch kaum hatte Shifu eine Stufe genommen, sprang Po nach vorne und versperrte ihm den Weg.
„Nein, Meister! Es ist nicht aufgeräumt!“
„Das macht mir nichts aus. Ich kenne deine Unordnung.“
Damit ging er an dem großen Panda vorbei und stieg die Stufen hoch.
„Nein, nein!“ schrie Po und schlang seine Arme um Shifus Bein. „Es ist sehr dreckig da oben! Wirklich sehr, sehr dreckig!“
„Ich denke, damit kann ich leben“, meinte Shifu und zog an seinem Bein.
„Aber Meister Shifu, Meister Shifu!“ Po flehte regelecht und hielt Shifu noch fester umklammert. „Es ist ein furchtbarer Anblick!“
„Das reicht jetzt, Po!”
Shifu befreite sich aus Pos Griff, rannte die letzten Stufen hoch und landete mit einem gekonnten Satz auf dem Zimmerboden. Po stolperte neben ihn und knallte auf die Nase.
„Meister Shifu! Ich kann das erklären! Ich…“
Erneut blieb ihm der Satz im Halse stecken. Die Matratzen im Raum waren leer.
„Ich… ich… ich.. ich meine… Ich kann mein Zimmer erklären.“
Po wusste nicht, was er sagen sollte und rieb sich den Kopf. Shifus Augen wurden kleiner, als er zwei Betten im Raum realisierte.
„Was ist das?“
„Was ist was?“ Noch immer war Po völlig von der Rolle.
„Das!“
Shifu deutete auf die Matratzen auf dem Boden.
„Das? Das. Oh, das! Oh, das, äh… das ist äh… oh… ähm… das ist meine… Sprungmatte. Darauf trainiere ich ein paar neue Kung-Fu-Sprünge. Seht her.“
Damit stieg Po auf sein Bett und sprang mit seinem Spagat auf die Matten, dass der ganze Boden bebte.
„Po!“, rief Mr. Ping vom Erdgeschoss. „Was treibst du wieder da oben? Bring bloß nicht das Haus zum Einstürzen!“
Po stand auf und rieb sich seine schmerzenden Beine. „Ich arbeite noch daran.“
Misstrauisch verengte Shifu die Augen und sah sich um. Doch er konnte nichts entdecken, was sein Misstrauen bestätigte. Oder genauer gesagt, irgendjemanden.
Mit langsamen Schritten ging er an den Wänden und an den Regalen entlang.
„Wonach sucht Ihr, Meister?“, fragte Po ängstlich.
„Ich bin mir nicht sicher, Po“, gab Shifu zur Antwort. „Doch ich habe das Gefühl, dass du etwas…“
„Mister Shifu!“
Beide horchten auf. Kurz darauf ertönten schnelle Fußtritte auf der Treppe und Gong erschien. „Mister Shifu. Was machen Sie hier? Wir haben noch so viele Dinge vorzubereiten, und was machen Sie? Sie lassen mich einfach in einem großen, goldenen Haus zurück und gehen dann ohne ein Wort. So ein unhöfliches Verhalten ist mir noch nie untergekommen.“
Meister Shifu nickte entschuldigend. „Ich bitte um Vergebung. Ich wollte gerade…“
„Mister Shifu!“ unterbrach Gong düster. „Wollen Sie etwa einen Krieg herbei beschwören?“
„Nein!“
Shifu sprang nach vorne und zog die Gazelle die Stufen runter. „Ich bin sofort jederzeit jede Minute für Sie da.“
Als Gong gegangen war, stierte der Meister zurück auf den Panda.  
„Po! Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen!“, warnte er mit erhobenem Zeigefinger. „Wir reden später weiter.“
Damit war Shifu verschwunden. Po atmete erleichtert auf. Aber wo war Shen? Suchend sah er sich um. Er schaute sogar unter dem Bett nach.
Plötzlich war da ein Rascheln. Po wirbelte herum. In einer dunklen Ecke kletterte der Lord von der Decke runter. Keuchend landete er vorsichtig auf dem Boden.
„Ich hatte schon befürchtet, er würde nie mehr verschwinden“, japste er.
Po sah ihn mit großer Bewunderung an. „Wie hast du das gemacht?“
„Ich bin es gewohnt vorsichtig zu sein“, antwortete Shen und zwang ein sanftes Lächeln.
Doch plötzlich legte er den Flügel über sein Gesicht.
„Alles in Ordnung?“, fragte Po besorgt.
„Sicher. Ich bin okay, es ging nur so schnell…“
Shen sah erschöpft aus. Plötzlich geriet er ins Taumeln und sank ohnmächtig zu Boden. Po konnte ihn noch in letzter Sekunde mit den Armen auffangen.
„Shen? Shen?“
Po sah in sein Gesicht. Shen hatte die Augen geschlossen und rührte sich nicht mehr. Doch er atmete noch. Der Panda bekam Panik, als er einen weiteren Schatten vor sich stehen sah.
Doch dann überkam ihm Erleichterung. „Du.“
Die Ziege lächelte.
„Ich hab gedacht, du wärst weg“, flüsterte Po, immer noch in Befürchtung, jemand könnte sie hören.
„Sie sind zum Palast gegangen“, beruhigte ihn die Wahrsagerin. „Für die nächsten paar Stunden ist er erst mal sicher.“
Pos Blick wanderte zurück auf Shen. „Er ist hingefallen und…“
„Keine Sorge“, sagte die Ziege und platzierte ihren Huf auf Shens Stirn. „Er ist nur müde. Aber sei unbesorgt. Ich bin jetzt hier.“
Po konnte nicht heraushören an wem von ihnen beiden diese Worte gerichtet waren.

Schweigend beobachtete Po den Lord, der so viel Sünde und Blut an den Flügeln hatte. Dabei sah er so harmlos im Bett aus. Die Ziege war gerade damit beschäftigt seine Wunden zu begutachten. Sie sahen jetzt viel besser aus jedoch noch zu schlecht, dass Shen einen Kampf hätte gewinnen können.
Po räusperte sich. „Wird er jemals wieder so werden wie früher?“
Die Ziege legte ein Tuch beiseite und strich damit über Shens gebrochenen Flügel. „Ich hoffe, seine Knochen heilen gut. Doch es wird niemals was werden, wenn er sich weiterhin so viel unnötig bewegt.“
„Ich werde versuchen ihm diesen Gefallen zu tun.“
„Po?“ Mr. Ping kam herein. „Das ist für dich.“
Damit übereichte der Gänserich ihm eine Schüssel Suppe. Dann fiel sein Blick auf Shen.
„Wie geht es ihm?“
„Er schläft. Er braucht nur etwas Ruhe.“
Nachdenklich strich sich Mr. Ping übers Kinn. „Po? Warum war Shifu eigentlich hier? Warum machst du so ein Geheimnis daraus?“
Po sah aus, als wollte er ihm alles erzählen, doch dann entschied er sich Stillschweigen zu bewahren. „Keine Sorge, Dad. Ich habe alles unter Kontrolle. Keine Sorge.“
Mr. Ping sah seinen Sohn an. „Po? Sei vorsichtig.“
Po nickte. „Ich verspreche es, Dad.“
Sie umarmten sich.
„Danke, Dad.“
Niemand ahnte, wie Shen die beiden durch kleine Augen beobachtete. Dann schloss er sie erschöpft für den Rest der Nacht.

21. Des Lords kostbarster Besitz


Die Tage vergingen. Shens Wunden verheilten immer besser und schon nach kurzer Zeit konnte er sein Bein und seinen Flügel ohne große Beschwerden wieder bewegen. Während draußen alle Vorbereitungen für das Fest trafen, erholte sich Shen mehr und mehr von seinen Verletzungen und nicht zuletzt dank der Behandlung der Wahrsagerin, verheilten seine Knochen sehr gut und auch seine Federn wuchsen schneller als gewöhnlich. Schon nach einer Woche konnte Shen seine nachgewachsenen Fingerfedern wieder gebrauchen und über seinen kahlen Körperstellen waren lauter kleine Federn nachgewachsen. Nur sein Pfauenschwanz brauchte etwas länger und hatte noch lange nicht seine volle Originallänge erreicht.
Po hatte nicht viel Zeit ihm einen Besuch abzustatten. Außerdem war er zu sehr in Sorge, dass Shifu ihn finden könnte, denn der Meister war trotz allem gegenüber Po immer noch sehr misstrauisch, jedoch zum Glück nicht immer und schien allmählich an seinem Verdacht zu zweifeln. Dennoch erschien er ab und zu in Pos Haus und Shen musste sich jedes Mal vor ihm verstecken bis er wieder gegangen war.
Shen tat sein Bestes im Bett zu bleiben, obwohl er es leid war sich wie ein Invalide vorzukommen. Er war nicht krank, nur verwundet. Sein Geist war voller Energie, doch sein Körper immer noch nicht voll leistungsfähig. Dennoch machte er manchmal ein paar Bewegungsübungen und die Ziege musste stets dafür sorgen, dass er es nicht übertrieb.
Eines Tages überreichte ihm die Ziege eine dunkelgraue Robe mit Kapuze. Es war zumindest eine Alternative zur Decke, die der Pfau ständig um sich ziehen musste. Shen war nicht unbedingt angetan von diesem neuen primitiven Kleidungsstück und hatte es nur widerwillig entgegengenommen. Vor allem, weil es nicht seine Farbe wäre. Die Ziege entgegnete darauf hin, dass es zumindest nicht auffällig war und seinen Körper kleidete.
Unterdessen hatte Po Shen erzählt, dass sie sich für ein paar Tage nicht mehr sehen würden, nur um ganz sicher zu gehen. Shen hatte nichts dagegen und Po war sich sicher, dass er eine Weile ohne ihn gut klarkommen würde. Mr. Ping versicherte ihm, dass er für ihn sorgen würde wie ein Vater.
Soweit ging alles gut, bis zu dem Tag, bevor die Herrscher der Nationen eintreffen sollten…

Es war noch sehr früh am Morgen. Die Sonne war noch nicht erschienen und es lag ein dichter Nebel über dem Tal des Friedens. Wie so oft stand Shen um diese Zeit auf, um eine Morgendusche zu nehmen. Da der Duschplatz hinter dem Haus draußen lag, konnte er sich nicht während des Tages dort aufhalten. Das Risiko auf dem Weg von anderen aus Versehen gesehen zu werden war viel zu hoch.
Vorsichtig und langsam vermied er jegliches Geräusch und stieg die Treppen runter und gelangte in den Hinterhof. Dann nahm er den dunkelgrauen Umhang ab, faltete ihn sorgfältig zusammen und legte ihn auf einen Stuhl. Dann positioniert er sich unter ein Bambusrohr und betätigte einen Mechanismus.
Shen ließ das Wasser seinen gefiederten Körper runterrinnen. Er schloss die Augen und genoss die Erfrischung. Das kalte Wasser tat ihm gut und klarte seinen Verstand auf. Er atmete die frische Luft ein. Es war ein Gefühl wie bei einer Wiedergeburt. Er griff nach der Seife und rieb sich damit die Federn un die darunterliegende Haut ein. Der Lord inhalierte den Duft, die sich mit der würzigen Luft vermischte. Für einen Moment dachte er an gar nichts, er fühlte nur. Manchmal war es wie Balsam für seine Seele nichts zu tun. Ein sanftes Lächeln umspielte seinen von Wasser rinnenden nassen Schnabel. Er öffnete die Augen und sah an seinem Körper herunter. Wieder wurde er an die Folter vor mehreren Tagen erinnert und er seufzte tief. Seine Federn waren fast wieder komplett nachgewachsen. Er hob seine Flügel und bewegte seine Fingerfedern, die immer noch etwas klein waren, aber er konnte sie bereits für feine Arbeiten benutzen.
Er wusste nicht wie lange, aber irgendwann drehte er das Wasser wieder ab. Das Wasser aus dem Bambusrohr versiegte und tropfende Geräusche von Wassertropfen erfüllten die Umgebung. Shen wartete noch einen Moment. Dann schüttelte er sich ausgiebig, dass die Wassertropfen ihn wie glitzernde Perlen umschwirrten. Noch immer nass streckte er die Flügel aus und spreizte die Federn. Er angelte nach einem Handtuch und rieb sich damit sein Federkleid trocken.
Plötzlich hörte er Stimmen. Er fuhr herum und drückte sich an die Hauswand. Auf der Straße spazierten zwei Schweine, die damit beschäftigt waren die Straße zu fegen.
Schnell verschwand er zurück ins Haus und lief die Stufen zu Pos Zimmer hoch. Er kicherte. In Augenblicken wie diesen fühlte er sich wie ein kleines Kind das Verstecken spielte. Dann legte er sich wieder ins Bett und döste für den Rest des Morgens bis die ersten Sonnenstrahlen den Nebel durchbrachen. Um diese Zeit brachte Mr. Ping ihm immer das Frühstück. Po war nicht zuhause. Er übernachtete im Jade-Palast.
Während Shen aß, konnte er spüren, wie sich draußen das Dorf mit ungewöhnlich viel Leben füllte. Als Mr. Ping den Tisch abräumte, wanderte Shens Blick zum Fenster.
„Es ist heute sehr unruhig draußen.“
„Oh, ja“, stimmte Mr. Ping ihm zu. „Morgen treffen die Gäste ein, um unserem Dorffest beizuwohnen.“
„Scheint ein großes Fest zu sein.“
„Oh, ja, es widerspiegelt die Geschichte unseres Dorfes. Als sie hörten, dass der Drachenkrieger aufgetaucht ist, wollten sie unbedingt persönlich vorbeikommen. Alle sind in heller Aufregung. Besonders ich, wo ich doch ein Dinner in wenigen Tagen organisieren musste.“
„Du bist sehr stolz auf ihn, oder?“, fragte Shen mehr emotionslos, doch auch etwas nachdenklich.
Mr. Ping seufzte laut. „Oh, ja… und… nun, also…“
Der Gänserich schwieg und sein Blick wanderte in weite Ferne.
Shen hob die Augenbrauen. „Was ist?“
„Nun, natürlich freu ich mich für ihn, doch andererseits… Manchmal denke ich, was wohl passiert wäre, wenn er nie der Drachenkrieger geworden wäre, und dass er mir stattdessen hier im Restaurant helfen würde.“
Shens Augen weiteten sich. Wovon redete er?
„Ich dachte, er sei im Palast aufgewachsen.“
„Oh, nein, nein, nein, nein“, sagte Mr. Ping schnell. „Natürlich nicht. Vorher hatte er bei mir gewohnt bis er erwachsen wurde, doch nie erwachsen genug für mich. Er wird immer mein kleiner Sohn bleiben.“
Wieder musste Mr. Ping aufseufzen. „Mein kleiner Po. Ich hab nie gemerkt, dass er kein Kind mehr ist.“ Er wischte sich über die Nase. „Ich hab immer gedacht, das Restaurant würde sein Schicksal werden. Er liebt Nudeln wie sonst kein anderer. Doch dann begann er Kung-Fu mehr und mehr zu lieben. Ich konnte ihn nicht davon abhalten. Es wurde ein Teil von ihm und ich nahm an, dass es nur eine Zeitphase sein würde. Doch ich habe mich geirrt. Als der Tag kam, an dem Oogway den Drachenkrieger auserwählen sollte… Ich hatte zu ihm gesagt, er soll Nudeln verkaufen, doch stattdessen ließ er sie links liegen und wollte so gerne in den Jade-Palast rein.“ Mr. Ping lächelte wehmütig. „Oh, ich erinnere mich noch gut daran, wie er auf dem Stuhl sitzt mit dem Feuerwerk darunter. Er hatte schon immer so verrückte Ideen gehabt…“
Shen horchte auf. „Was?“
„Oh, das war noch nicht alles.“ Mr. Ping lachte. „Sie sollten mal hören was er für verrückte Sachen mit dem Essen gemacht hatte…“
„Nein!“
Mr. Ping erstarrte wegen Shens lautem Tonfall. „Was hast du gemeint, mit dem Feuerwerk?“
„Oh, das war ein sehr verrückter Moment. Gar typisch für meinen Sohn. Ich hab ihm immer gesagt, dass er solche gefährlichen Dinge lassen sollte. Doch zumindest habe ich es versucht…“
„Beantworte meine Frage!“, zischte Shen und Mr. Ping wurde still. „Erzähl mir alles über diesen Tag!“
Mr. Ping räusperte sich. „Nun, alles begann an einem normalen Tag…“
Mr. Ping erzählte alles was sich an diesem schicksalhaften Tag ereignet hatte. Über den sogenannten Nudeltraum, denn Po niemals geträumt hatte, über die Ankündigung der Drachenkriegerwahl, Pos Versuche in den Jade-Palast zu kommen, über das Wunder des vom Himmel gefallen Meisters, wo Shen besonders gut zuhörte, über das Fest zu Ehren des Drachenkriegers und und und.
„Doch zu guter Letzt“, beendete Mr. Ping seine Erzählung. „Muss ich zugeben, dass er von nun an sein eigenes Leben lebt und ich habe meinen Platz hier.“
Plötzlich fiel Mr. Ping etwas ein. „Oh, entschuldigen Sie mich! Ich habe noch eine Menge Dinge für Morgen vorzubereiten.“
Damit rannte er die Stufen runter, während Shen wie versteinert auf den Matten saß. Seine Augen weit geöffnet. Der Lord war wie gelähmt.
Eine Weile lang starrte er nur in die Leere. Plötzlich ballten sich seine Flügel zu Fäusten. Ein hässliches Gefühl keimte in ihm auf. Er fühlte sich wie benutzt. Dieser fette Panda hatte das missbraucht, was für ihn das Schönste im Leben war. Das Feuerwerk seiner Familie, seine eigene Schöpfung hatte dem Panda dazu verholfen; mit seiner eigenen Waffe, mit der er China erobern wollte. Der Panda hatte ihn mit seinen eigenen Waffen geschlagen.
Shen inhalierte mehrere Male.
War das wahr? War es das gewesen, worüber die Wahrsagerin über seine Vernichtung geredet hatte?
Er hatte sich sein eigenes Grab geschaufelt. Seine Familie grub sein Grab. Oder das Universum.
Nein! Der Lord schüttelte den Kopf. Es war nicht seine Schuld gewesen! Es war nie seine Schuld gewesen! Die Schuld von niemand anderem! Es war nur die Schuld von diesem Panda!
Er schaute aus dem Fenster, wo er den Jade-Palst sehen konnte. Seine Augen formten sich zu Schlitzen. Knurrend wandte er sich um. Alles in ihm vermischte sich. Seine Emotionen, seine Pläne, seine Vergangenheit, seine Zukunft, sein Dasein, sein Hass…
Ohne nachzudenken rannte Shen die Treppen runter. Mr. Ping befand sich gerade draußen auf der Terrasse, wo er die Tische für morgen herrichtete. Shen verengte die Augen, als er ein Messer auf einem Tisch aufblitzen sah. Als Mr. Ping zurückkam, merkte er nicht, dass eines der Messer fehlte.

Ohne dass ihn jemand sah, schlich der Pfau an den Hauswänden entlang. Niemand befand sich auf den Straßen. Alle waren zu sehr damit beschäftigt ihre Häuser zu säubern. Der Lord hielt an und sah die Stufen rauf, die zum Jade-Palast führten.
Er wollte es dort zu Ende bringen, wo es begonnen hatte.
Es war sein Schicksal.

22. Auf Messers Klinge


Shen keuchte schwer. Es war eine regelrechte Qual für ihn Stufe für Stufe mit seinem fast geheilten Bein zu nehmen. Doch er wollte nicht aufgeben.
„Du wirst für deine Sünden bezahlen“, murmelte er immer wieder und wieder vor sich hin.
Dieser Panda hatte sein Feuerwerk missbraucht. Nur dieser Gedanke umkreisten seinen Kopf. Er konnte seine Wut einfach nicht drosseln.
Der Pfau schnappte nach Luft, als er die letzte Stufe erklommen hatte. Er wunderte sich selber über sein Schnauben. Er hatte viel zu lange das Bett gehütet.
Schließlich richtete er sich auf und schaute geradeaus. Vor ihm erhoben sich die großen Flügeltüren des Tores. Sie waren verschlossen. Er sah sich um. Entlang der weißen Mauer könnte er hochklettern. Es wäre nicht das erste Mal in seinem Leben über eine bewachte Mauer zu klettern. Mit ein paar geschickten Sprüngen stand er auf der anderen Seite. Dort angekommen duckte er sich hinter einem Gebüsch und beobachtete die Umgebung. Dann zog er sich die Kaputze von seiner dunkelgrauen Robe über den Kopf und schlich im Palastgarten umher.

„Mann, war das anstrengend“, jammerte Monkey.
Po und die anderen marschierten gerade zu den kleineren Nebenhäusern, wo sie etwas essen wollten.
Hinter ihnen lag ein harter Morgen. Gong hatte sie so viele Dinge gelehrt, darüber unterrichtet, was sie tun, sagen oder lassen sollten, wenn die Besucher eintrafen, dass sich alles um sie herumdrehte.
„Stimmt etwas nicht, Po?“
„Mmm?“ Po sah Tigress überrascht und erschrocken an. „Äh… nein, ich hab gerade nur über etwas nachgedacht, ob ich auch alles richtig machen werde. Ich meine… das ist immerhin mein erster wichtiger Staatsbesuch.“
„Nur nicht nervös werden“, meinte Mantis. „Immerhin bist du der Drachenkrieger.“
„Genau, du wirst es schon schafften“, sprach Viper ihm Mut zu.
„Na ja, vielleicht habt ihr recht“, seufzte Po und zusammen setzten sie ihren Weg fort. Po hinkte den anderen ein wenig hinterher. Ihm schwirrten noch andere Dinge durch den Kopf.

Der Lord fühlte das Messer in seinem Flügel. Es würde für ihn kein Problem sein es dem Panda direkt ins Herz zu schleudern. Nicht weit entfernt spazierte der Panda hinter seinen Freunden den Hügel rauf. Der Pfau hatte sich hinter ein paar Steinen versteckt und beobachtete sie aufmerksam.
Der Panda war schutzlos. Das war seine Chance.
Nur ein bisschen näher.
„Hey! Wer bist du?“
Der Pfau schrak zusammen. Riesige Wächter von Nashörnern und Gorillas stürmten auf ihn zu. Shen wollte die letzte Chance nutzen und das Messer werfen, doch plötzlich rammte ihn ein gewaltiges Nashorn von der Seite. Das Messer fiel klirrend zu Boden und verschwand zwischen ein paar großen Steinen.
Shen schlug wild um sich, doch nach einer Weile und mehreren versuchten Schlägen, musste er den Angriff abbrechen. Das war zu viel für seine kaum verheilten Knochen. Obwohl es gegen seinen Stolz war so zwangen ihn die Umstände zur Flucht. Die Wachen folgten ihm mit lautem Gebrüll.
Die Mauer kam in Sicht. Nur noch ein paar Sprünge und er würde…
Shen schrie auf, als ihn zwei große Hände am Hals packten und ihn zu Boden warfen. Ein Gewicht wie Tonnen zerdrückte seinen zierlichen Körper. Der Lord versuchte alles, um wieder aufzustehen und wehrte sich wie verrückt. Doch das Nashorn, das auf ihm lag, war bei weitem viel schwerer als ein Fels.
Mehrere weitere Schatten tauchten auf. Das Nashorn verringerte sein Gewicht auf ihm. Doch bevor Shen einen erneuen Fluchtversuch starten konnte, packten ihn zwei Griffe an den Flügeln und pressen sie ihm brutal auf den Rücken. Schwerter wurden gezogen und umkreisten seinen langen Hals wie spitze Zangen. Shen versuchte noch ein paar heftige Bewegungen, dann gab er auf. Er zitterte bei jedem Atemzug. Einer der Wachen nahm einen Dolch und hob sein Kinn an.
„Wer bist du?!“, fragte er mit barschem Ton. „Was suchst du hier?!“
Darauf gab Shen keine Antwort.
„Führt ihn ab!“

Shifu war der Lärm nicht verborgen geblieben. Schnell rannte er in den Hof des Palastes, wo sich die meisten Wachen versammelt hatten.
„Was ist hier los?“, rief er.
„Ist er von euch?“
Shifus Augen weiteten sich, als er den Lord in den Griffen der Wachen erkannte.
Beschämt hielt sich der Meister die Hand über die Augen.
„PO!“
Po und seine Freunde waren ebenfalls auf den Tumult aufmerksam geworden und waren nicht weit entfernt. Po stand da wie betäubt in einem toten Körper. Er wurde bleicher, als er Shifus wütendes Gesicht ansah.
„Was habe ich dir gesagt?“, fuhr der kleine Meister ihn an.
Po legte die Fingerspitzen zusammen. „Äh… mh… muss ich mich daran erinnern?“
„Du hast ihn verschont!“
„Nein, ich… ich meine…“
„Sei still! Wir reden später darüber.“
Mit einer harten Handbewegung winkte Shifu über den Platz.
„Wachen! Schafft ihn raus und richtet ihn hin!“
„Nein!“ Po rannte zu Shifu und sah flehentlich auf ihn runter mit aneinandergepressten Tatzen. „Tut es nicht!“
„Po, wir können ihn nicht am Leben lassen. Wir sind berechtig ihn zu exekutieren.“ Shifu winkte mit der Hand. „Fort mit ihm!“
Damit zerrten die Wachen den Lord zum Ausgang. Shen kämpfte wie verrückt, immer noch in der Hoffnung sich befreien zu können.
Traurig wandte sich Po zu seinen Freunden. „Es tut mir leid.“
Plötzlich sprang der Panda vor und landete mit einem harten Aufschlag in der Mitte des Platzes. Alle Wachen drehten sich zu ihm um. Doch noch bevor einer was sagen konnte, verteilte Po Kung-Fu-Schläge. Zuerst waren die Wachen überrascht, dann begannen sie zurückzuschlagen.  Doch Po wirbelte sie durch die Luft wie ein Meister. Die anderen sahen ihm mit offenem Mund zu, bis Shifu wieder seine Lippen bewegte.
„Haltet ihn auf!“
Alle Fünf schauten sich irritiert an.
„Aber… aber ich kann doch nicht… gegen Po kämpfen“, stotterte Monkey.
Mittlerweile hatte Po Shen fast erreicht. Doch bevor er ihn freikämpfen konnte, gab Shifu ein Signal und einer der Wachen, der direkt neben Shen stand, zog seinen Speer und hielt ihn bedrohlich nahe über Shens Kehle. Ein Stoß und es würde sein letzter Atemzug sein.
Po hielt inne. Auch die Bewegung der anderen erstarrten.
„Po! Gib den Widerstand auf“, rief Shifu über den Platz. „Es ist zwecklos.“
„Mister Shifu! Was ist das hier für ein Lärm?“
Gong erschien und beschaute sich das Szenario mit gehobener Stirn.
„Nichts worüber Sie sich Sorgen machen müssen“, wimmelte Shifu ihn ab. „Wir haben nur eine Hinrichtung auszuführen.“
„Eine Hinrichtung? Kurz vor dem Tag des Friedens?“ Gong war schockiert wie noch nie zuvor. „Was für eine Art von Tradition ist das denn? Das wäre ein Bruch aller Traditionen! Das ist eine Schande für unser Abkommen!“
Verärgert legte Shifu die Ohren zurück. „Aber wir können nicht…“
„Mister Shifu!“, schnitt Gong ihm das Wort ab. „Entweder Sie können mit diesem unzivilisierten Verhalten abwarten, oder ich muss mich zurückziehen zu meinen Oberbefehlshabern und ihnen mitteilen, dass die Festlichkeiten abgesagt sind.“
Für einen Moment wusste Shifu nichts darauf zu sagen. Und vielleicht wollte er keinen Vertrauensbruch riskieren. Zumindest nicht in diesem Moment.
Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Plötzlich schnippte Shifu mit den Fingern. Der Speer ließ vom Pfau ab. Shen atmete heftiger, als ob ihm jemand eine Last von den Lungen genommen hätte.
„Werft ihn in den Kerker und sperrt ihn weg!“

23. Was der Panda am meisten liebt – werde ich töten


Sein Körper schmerzte. Der Lord kniff die Augen zusammen. Es war kalt. Er hasste Kälte. Um ihn herum nur kalte Wände und ein Gitter von Metallstäben umgaben ihn. Der Käfig war nicht besonders groß, aber auch nicht sonderlich klein.
Er bewegte seine Muskeln. Die Wachen hatten nicht wenig Fantasie besessen einen Gefangenen zu binden, dass musste er zugeben. Er lag auf einer Bank oder etwas Ähnlichem, gefesselt mit Seilen und zusätzlich Ketten, die ihn daran festhielten. Die Bänder waren so eng, dass er Mühe hatte tief Luft zu holen. Seine Füße waren ebenfalls gefesselt, doch auseinander mit Ketten und einer Stange, sodass er nicht die Möglichkeit hatte jeweils den anderen Fuß mit seinen Krallen zu erreichen, um sie irgendwie frei zu bekommen.
Wieder bewegte er sich, um einen Schwachpunkt in den Fesseln zu finden, doch er konnte einfach keinen finden, so sehr war seine Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Wenigstens waren sein gebrochener Flügel und sein Bein fast wieder verheilt, sodass es nicht zu sehr weh tat. Dafür drückten die Fesseln jetzt schmerzhaft auf seiner weniger befiederten Haut und eine Kette war um seinen langen Hals gewickelt. Er konnte nur noch seinen Kopf nach rechts und nach links drehen.
Er horchte auf, als er Schritte hörte. Türen wurden geöffnet. Er sah nicht zur Seite, aber er bemerkte zwei Schatten im Augenwinkel. Ein Räuspern veranlasste ihn sie anzusehen. Seine hasserfüllten Augen sahen zuerst auf Shifu, doch sein meist hasserfüllter Blick war auf den Panda gerichtet. Shifu verschränkte die Arme hinter dem Rücken, seine Augen nur auf den Lord gerichtet, der kein Wort von sich gab.
„Wir haben entschieden, dass du hierbleibst, bis die Kung-Fu-Meister aus Gongmen kommen, um dich wegzubringen. Und sei sicher, dass sie dir keine Milderung gewähren werden.“
Der Lord schnaubte und ein fieses böses Lächeln überzog seinen Schnabel. „Milderung wäre eine Beleidigung für meine Würde.“
Meister Shifu verengte ärgerlich die Augen. Der Stolz des Lords nervte ihn.
„Sie werden morgen Abend eintreffen.“
Er drehte sich um. Nur Po bewegte sich nicht von der Stelle. Offensichtlich hatte Shifu ihm eine ordentliche Standpauke erteilt.
„Po, du kommst mit!“
Der Panda seufzte, doch er gehorchte. „Ja, Meister. Ich komme mit Ihnen.“

Viele Stunden vergingen. Shen hatte seine Augen geschlossen und hörte aufmerksam auf jedes Geräusch. Doch da war nur Stille, und leichte Luftzüge und andere sehr leise Nebengeräusche, von denen er nicht wissen wollte, woher sie kamen.
Plötzlich übertönten andere Geräusche die Stille und nicht lange und die Tür wurde geöffnet.
Shen schauten nicht hin. Er kannte diese Schritte. Die Schritte hielten neben seinem Käfig an und Stille trat wieder ein.
Po seufzte tief und kratzte sich nervös am Kopf.
„Mmm… ich…“ Po suchte nach Worten. „Es tut mir…“
„Nein, Panda”, schnitt Shen ihm das Wort ab, allerdings mit einer sehr tiefen Gelassenheit. „Vielleicht ist es mein Schicksal. Es war ein Fehler von mir mich zu verstecken zu versuchen.“
Po senkte den Blick. „Ich wollte nur helfen. Ich wollte es nie schlimmer machen.“
„Ich weiß, Panda.“
Po war ein bisschen überrascht über die Ruhe des Lords, doch er wollte ihn nicht nach dem Grund fragen. Schweigen erfüllte die Atmosphäre und unterdrückte den Drang zum Sprechen, bis Shen es wie ein Schwert in Pos Ohren durchbrach.
„Aber, würdest du mir einen Gefallen tun?“
„Natürlich würde ich!“, schoss es aus Po heraus.
Der Lord hob ein wenig den Kopf und versuchte sich zu bewegen. „Die Stricke sind sehr stramm. Könntest du sie wenigstens ein bisschen lockern?“
Das Lächeln des Pandas verschwand.
„Stimmt etwas nicht?“
„Nein, es ist nur… Meister Shifu hat mir verboten den Käfig zu öffnen, egal aus welchem Grund.“
Shen seufzte und ließ den Kopf wieder sinken. „Mein Flügel tut schrecklich weh“, wimmerte er. „Willst du mir wirklich meinen letzten Willen verwehren?“
Po presste die Lippen zusammen und war den Tränen nahe. „Nun… nun… ich meine… wenn es dich glücklich macht…“
„Das würde es.“
Po kämpfte mit sich selber. Er verfluchte sich für seine Wortkargheit. Doch im Moment fiel ihm kein guter Vorwand ein das Thema zu wechseln. Vielleicht die Frage warum er in den Palast gekommen war. Doch im Moment hatte das für ihn keine Bedeutung. Der Lord von Gongmen und der Mörder seiner Eltern war dem Tode so nah und er konnte nichts tun, um seinen Weg zu ändern. Nicht für ihn, nicht irgendwie. Vielleicht könnte er die Wahrsagerin um etwas bitten.
„Was ist jetzt?“, brachten ihn Shens Worte zurück.
„Oh, ja, ja…“
Po nahm die Schlüssel, die neben der Tür der Zelle hingen. Er würde ihm den Gefallen tun und danach über einen Plan nachdenken.
Nachdem er den Käfig geöffnet hatte, schloss er die Käfigtür hinter sich wieder.
„Hast du so wenig Vertrauen zu mir?“, fragte Shen vorwurfsvoll.
„Äh… nein… tut mir leid, es ist nur… ach egal.“
Er öffnete die Käfigtür wieder und ließ sie halboffen. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Lord zu.
„Okay…“
Po hatte keine Ahnung, wo er die Fesseln zuerst lockern sollte.
„Vielleicht könntest du mit dem Stab an meinen Füßen anfangen“, sagte Shen, als er Pos Fragen gefülltes Gesicht bemerkte. „Mein Bein ist immer noch nicht so gut verheilt wie ich dachte.“
„Oh, natürlich.”
Po ging ans Ende des Lords und öffnete die Stange mit einer der Schlüssel.
„Und die Ketten um meinen Körper. Die schmerzen am meisten.“
Po zögerte. Aber Shen war immer noch genug mit anderen Fesseln angebunden. Es würde wohl nichts dagegensprechen. Er legte den Schlüssel in das Schloss, das die Ketten zusammenhielt, und öffnete es.
„Ist es besser so?“, fragte Po.
„Jaaaaa…“ Shen zischte lange und plötzlich schlüpfte er aus den Fesseln wie durch heiße Butter. Po war so überrascht, dass er ihm nur sprachlos zusah. Ein harter Schlag traf das Gesicht des Pandas.
„Viel besser!“, schrie Shen.
Noch bevor Po eine Bewegung machen konnte, sprang der Pfau ihn an und drückte seine Kralle auf dessen Kehle.
„Autsch! Hey, was tust du da?“, rief Po, und versuchte ihn wegzustoßen, doch Shen grub seine Krallen nur noch tiefer in das dichte Fell. Dann beugte er sich runter und sah den Panda mit Wut gefüllten Augen an.
„Du wirst für deine Sünde bezahlen!“
Po verstand überhaupt nichts. „Wovon redest du…?“
Plötzlich ertönte ein alarmierender Schrei durch die Gänge. Anscheinend hatte einer der Wachen den Lärm gehört. Es dauerte nicht lange und zwei Nashörner erschienen auf der Bildfläche. Shen lächelte dunkel. Zwei Wachen waren kein Problem für ihn. Seine neu gesammelten Kräfte stachelten ihn zur Top-Form an. Eines der Nashörner wollte ihn greifen, doch Shen wich seinem Griff aus. Er flitzte an ihm vorbei und rannte aus dem Käfig.
„Haltet ihn auf!“
Ein Gorilla und ein anderes Nashorn erschienen im Korridor. Doch Shen wich ihnen aus wie ein Blitz. Obwohl er immer noch Schmerzen in den Gliedern verspürte, sein Wille zur Flucht tötete alles Leiden in ihm ab. Mit schnellen Bewegungen passierte er die Wachen und erreichte die Treppe, die nach oben führte. Mehr Wachen rannten in den Keller. Aber der Pfau überflügelte sie wie ein leichtes weißes starkes Handtuch. Und nicht mehr lange da atmete seine Lunge auch schon frische Nachtluft.
Die ganze Zeit schrien die Wachen nach Verstärkung. Doch die Giganten hatten gegen die flinke schnelle Geschicklichkeit des weißen Vogels keine Chance.
Plötzlich hielt Shen an. Vor ihm erstreckte sich ein Abgrund. Senkrechte Felswände präsentierten die Tiefe des Tals. Und von der rechten und linken Seite kamen die Wachen angestürmt. Shen dachte nicht lange nach. Er nahm seine dunkelbraune Robe, überzog damit seinen Körper in einer bestimmten Position und ging ein paar Schritte zurück.
„Er will springen!“, brüllte ein Wächter nicht weit entfernt.
Shen nahm Anlauf und sprang in die schwarze Tiefe. In letzter Sekunde bevor die Hände ihn erreichen konnten. In rasanter Geschwindigkeit segelte der weiße Lord auf das Dorf nieder.
Po konnte nur noch sehen, wie er in der Nacht verschwand.
„Po!“ rief die Stimme von Tigress. „Was hast du getan?“
„Äh… nichts…“
Po stand noch immer unter Schock. Ohne eine Antwort rannte er die Stufen des Berges runter. Auf keinen Fall wollte er von Shifu geschnappt werden. Er musste das Tal erreichen, bevor noch Schlimmeres passierte.

Der Boden kam näher und näher. Eine Wiese tauchte vor ihm auf. Mit schneller Bewegung spreizte Shen seine Robe und Flügel. Mit hartem Schlittern kam er zum Stillstand. Er stolperte nach vorne und landete mit dem Gesicht im nassen Gras. Schnell rappelte er sich wieder auf. Sein Körper war über und über mit Gras und Dreck bedeckt und ein paar Abschürfungen, aber nicht schlimm.
Er schaute zurück, wo er den Berg des Jade-Palastes sehen konnte. Das Dorf war nicht weit von ihm entfernt.
Der Lord schnaubte. Er hatte den Panda verloren. Doch da war immer noch eine andere Möglichkeit ihn tief zu treffen.

Shen keuchte erschöpft. Er musste schnell sein. Es musste schnell gehen. Nur noch über die Brücke des Flusses und ein paar Straßen weiter. Die Straßen waren leer. Keine Seele spazierte draußen in der Nacht.
Der Pfau hielt an. Sein Blick richtete sich auf das Nudel-Restaurant. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Ich werde das töten, was du am meisten liebst.“

24. Die Güte eines Ziehvaters


Vorsichtig und langsam öffnete Shen einen Spalt die Küchentür, wo immer noch Licht brannte. Mr. Ping stand an der Küchenarbeitsfläche und schnibbelte Gemüse klein. Shen wollte ihn nicht aus dem Hinterhalt überfallen. Er mochte es mehr zu sehen wie seine Opfer ihm im kritischen Moment ins Gesicht sahen.
Leise öffnete er die Tür weiter und trat lautlos ein, wie eine Katze auf Samtpfoten. Als er den Inhaber fast erreicht hatte, kratzte er absichtlich mit seinen Krallen auf den mit Platten gefliesten Boden.
Mr. Ping drehte sein Gesicht zu ihm um und erschrak.
„Oh! Sir! Ich war besorgt um Sie! Warum sind Sie auf einmal verschwunden gewesen? Po sagte doch, dass es eine schlechte Idee wäre nach draußen zu gehen!“
Shen verengte die Augen sehr eng. Ein frostiges Lächeln überzog seinen Schnabel. „Es gibt keinen Grund mehr mich zu verstecken.“
Mr. Ping sah ihn überrascht an. „Ist das so?“
Der Gänserich sah sich um. „Wo ist Po?“
Der Lord grinste unheilvoll. „Er wird sehr bald kommen.“
Sehr bald… aber hoffentlich nicht zu bald.
Mr. Ping sah ihn geschockt an. Shen konnte sich nicht erklären warum der Ziehvater seines Rivalen auf einmal so erschrocken dreinschaute. Hatte er sich irgendwie verraten?
„Ach du liebe Güte!“, rief Mr. Ping entsetzt. „Sie sind ja ganz verdreckt und… Sie bluten!“
Shen sah an sich herunter. In der Tat hatte er sich beim Sturz ein bisschen seine Knie aufgeschlagen.
Mr. Ping rannte in der Küche hin und her. „Ein royaler Gast von meinem Hause sollte immer medizinische Hilfe bekommen.“
Zu Shens Irritierung griff der Gänserich nach seinem Flügel und zog ihn zu einem kleinen Hocker rüber.
„Setzen Sie sich.“
Shen widersprach ihm nicht und ließ sich darauf nieder, während Mr. Ping davonrannte und ein paar Materialen holte, um die Schürfwunden zu reinigen.
In angespannter Position sah Shen auf seine aufgekratzten Knie.
Du wirst bald noch viel mehr Blut sehen.
In diesem Moment kam Mr. Ping zurück. In den Flügeln hielt er eine Box, die er auf den Boden neben dem Pfau abstellte und Wundreinigungsstücher und eine Flasche mit einer Flüssigkeit herausholte. Shen sog scharf die Luft ein. Die Flüssigkeit brannte höllisch, als Mr. Ping die Wunden reinigte. Plötzlich hielt er inne. Auf der Spüle lag ein gereinigtes Küchenmesser.
„Ich musste mich ziemlich oft bei Po um solche  Sachen kümmern“, sagte Mr. Ping. „In seiner Kindheit hatte er so viele verrückte Dinge angestellt. So, das wars. Ich denke nicht, dass es sich entzünden wird.“
Mr. Ping wandte sich ab und stellte die Box wieder weg.
Shens Blick wanderte zurück auf das Messer. Jetzt hatte er die Möglichkeit. Wer weiß wie lange der Panda noch wegbleiben würde.
„Oh, ja“, fuhr Mr. Ping mit seinen Gedanken fort und ging zurück an seinen Arbeitsplatz an die Theke. „Ich erinnere mich noch gut daran wie er in mein Restaurant kam. Als kleines Baby. Ein kleines Panda-Baby.“
Shen sah zurück auf das Messer. Der Gänserich war wieder damit beschäftigt Gemüse zu hacken und hatte ihm den Rücken zugewandt.
Jetzt oder nie.
Langsam hob er das Messer auf und umklammerte den Griff feste mit seinen befiederten Fingern. Schritt für Schritt ging er langsam auf den Gänserich zu.
In diesem Moment drehte sich Mr. Ping um. Beide standen sich Aug in Aug gegenüber. Der Lord mit dem Messer vor ihm im Flügel.
Shen lächelte teuflisch. Jetzt war der Moment gekommen, wo sein Opfer immer um Gnade bettelte.
„Oh, danke.“
Mit diesen Worten nahm Mr. Ping ihm ohne Sorge das Messer aus dem Flügel. Shen war so irritiert, dass ihm sprachlos der Schnabel offen stehenblieb. Doch Mr. Ping dachte sich nichts dabei und legte das saubere Messer in eine Box.
„Ja, ich war schon immer ein Mann für alles. Ich musste ihn füttern, baden… Ich war Mutter und Vater in einem. Es war nicht immer leicht für ihn zu sorgen. Er hat immer zu viel gegessen. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie nie Probleme mit diesem Thema hatten, oder? Was ist mit Ihren Eltern?“
Shen zuckte kurz zusammen. Sein Gesicht wurde wie Stein.
„Sie leben nicht mehr“, antwortete er emotionslos. Bitterkeit lag in seiner Stimme.
Wie soll ich ihn jetzt töten?
Mr. Ping legte seinen Flügel mit Bedauern auf seinen Schnabel. „Oh, das tut mir leid.“
Shen schüttelte angewidert den Kopf und schnaubte. „Warum sollte es?“
„Nun, es ist doch sehr traurig, wenn Eltern sterben, oder etwa nicht?“
Shen wich seinem Blick aus. Er wollte nicht antworten.
Mr. Ping seufzte tief und spießte das Messer auf die Holz-Arbeitsfläche.
„Po hatte auch seine Eltern vor vielen Jahren verloren.“
Shen verengte die Augen noch mehr. „Ich weiß.“
„Oh, hat er es Ihnen erzählt?“
„Jaaaaa.“ Shen wurde nervös. „Er hat es mir erzählt. Ich kenne jedes Detail.“
Dunkle Schatten lagen auf seinem Gesicht.
„Wie sind Ihre Eltern gestorben?“, fragte Mr. Ping weiter.
„Ich möchte nicht darüber reden.“
„Ein Unfall?“
„Nein“, antwortete Shen genervt. „Es war nur ein… weil… eine üble Kreatur hat sie umgebracht.“
Der Panda hat sie getötet! Ja, er hat sie indirekt umgebracht.
Mr. Ping betrachtete den Lord und erkannte Traurigkeit in seinen Augen.
„Sie haben Ihre Eltern geliebt, nicht wahr?“
Shen blinzelte. „Nicht wirklich.“
„Aber Ihre Eltern haben Sie geliebt, oder etwa nicht?“
„Hör auf damit, hast du verstanden?!“
Mr. Ping schloss eingeschüchtert den Schnabel.
Der Lord seufzte innerlich. Er hatte die Vergangenheit schon längst hinter sich gelassen, aber da waren immer noch alte Erinnerungen mit verwirrten Emotionen.
„Nun, Po ist nicht wirklich mein Sohn“, fuhr Mr. Ping fort. „Aber ich liebe ihn immer noch wie meinen eigenen. Oh, nebenbei bemerkt, ich musste gerade an etwas denken…“
Er rannte zu einem Regal und nahm etwas heraus. Es waren gestickte Fotos.
„Hier, das ist ein Foto mit mir und Po. Das sind wir beim Nudeln-Essen. Hier sitzt er auf meinem Schoss. Oh, und hier habe ich ihn gebadet. Oh, und hier…“
„Ja, sehr nett“, schnitt Shen ihm das Wort ab und schob die Fotos von sich. „Jede Kreatur auf der Welt hat eine niedliche Seite an sich, bevor sie zum Rächer wird.“
„Verzeihung? Ich verstehe nicht.“
Shen legte die Flügel zusammen und schaute den Gänserich mit düsterem Blick an. „Ich könnte mir vorstellen, dass er Rache für den Tod seiner Eltern nehmen würde. Und um den Mörder von ihnen zu töten.“
Mit einer etwas verärgerten Geste legte Mr. Ping die Fotos beiseite.
„Nein, sowas würde er niemals tun. Po ist der Großmütigste, Ehrenwerteste den ich kenne.“
Shen schnaubte ungläubig. „Jetzt sei nicht albern. Jeder würde blutige Rache für sowas nehmen.“
„Nicht Po!“ sagte Mr. Ping mit fester Stimme. „Er würde niemals…“
„OH, natürlich nicht!“ Shens Stimme nahm einen spöttischen Klang an. „Der große Drachenkrieger, alles in allem ein bisschen harmlos. Doch hinter der fröhlichen Maske verbirgt sich eine grausame, schwarze Seele.“
Mr. Ping wusste nicht, was er sagten sollte und beobachtete den Pfau mit großen Augen, während Shen fortfuhr: „Der „Drachenkrieger“, weiß nicht wie es ist als schlechtes Omen geboren zu werden, nur wegen einer anderen Färbung. Er weiß nicht wie hart es ist für seinen Erfolg in Dreck und Isolation zu arbeiten. Und er hat keine Ahnung wie es ist ein Narr in den Augen anderer betrachtet zu werden.“
Stille trat ein. Mr. Ping antwortete nicht und sah tief in Gedanken nach draußen durchs große Fenster des Restaurants.
„Po hatte mal ähnliche Probleme gehabt.“
Shen zuckte überrascht und irritiert zusammen.
„Der Panda? Aber, aber er ist…“ Shen scheute sich das Wort zu sagen. „Ein He-ld… für euch.“
„Von Zeit zu Zeit hatte Po Schwierigkeiten von anderen akzeptiert zu werden. Besonders nachdem er zum Drachenkrieger ernannt wurde. Er hatte kein Talent für Kung-Fu. Und seine Freunde hatten es ihm auch nicht gerade leicht gemacht.“ Mr. Ping seufzte schwer. „Ich erinnere mich noch genau, wie er einst nachts nach Hause zurückkam. Und ich werde nie vergessen wie traurig und deprimiert er war, weil er nicht den wünschten Erfolgt bekommen hatte, um ein großer Kung-Fu-Meister zu werden.“
Shen blinzelte.
„Niemals in meinem Leben“, fuhr Mr. Ping fort, „habe ich ihn so traurig gesehen. Und ich… ich war so ein schlechter Vater, dass ich ihn nicht die Wahrheit über seine Eltern gesagt habe. Stattdessen habe ich mit ihm über ein Nudelgericht geredet.“ Mr. Ping schluchzte leise und rieb sich über die Nase. Dann nahm er einen tiefen Atemzug. „Doch er hat nie aufgegeben! Und er musste nie zu unfairen Mitteln greifen, um sein Ziel zu erreichen. Jetzt ist er ein Sohn, worüber ich sagen kann, dass ich sehr stolz auf ihn bin.“
Shens Gesichtsmuskeln zuckten ein wenig.
„Aber…“ Mr. Ping fiel was ein. „Da war auch eine andere Begebenheit, wo er so ähnlich traurig gewesen war. Das war nach einem gewonnenen Kampf gegen einen großen Kriegsherrn gewesen… nein, vielleicht ein Lord, sein Name war… Zeng… Zong… nein, bin mir nicht sicher. Ich hab den Namen vergessen. Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen. Eines Abends, wir hatten zusammen Nudeln gegessen, redete er über das Abenteuer in einer Stadt namens Gongmin oder so ähnlich. Aber am Ende seiner Geschichte, meinte er, dass er sich gewünscht hätte, dass der Herrscher ein besseres Ende gefunden hätte.“
Shen hob die Nase und schnaubte mit zitterndem Schnabel. „Vielleicht war er nur traurig darüber, dass er nicht die Chance bekommen hatte ihn mit seinen eigenen Händen zu töten.“
Mr. Ping schüttelte sachte den Kopf. „Nein, es war mehr als das.“
„Er war wütend, oder?“
„Nein, es war Mitleid.“
Mit Abscheu schnappte Shen nach Luft. „Mitleid?“
„Er sagte, der Herrscher schien ein schlechter Kerl zu sein. Aber obwohl dieser seine Eltern ermordet hatte, dachte er, dass er eine arme Person gewesen war, die sich niemals ändert, um seine Zukunft zu einem Erfolg zu machen. Eine Wahrsagerin habe ihm das erzählt. Wenn er seinen schlechten Weg geändert hätte, vielleicht würde er heute immer noch leben und ein großer Herrscher sein. Das war was sie ihm sagte, als eine mögliche Chance für seine Zukunft.“ Mr. Ping seufzte erneut. „Oh, aber was rede ich da? Ich muss ja noch ein Mahl für morgen fertig machen. Oh, oh, das wird ein Tag!“
Schweigend sah Shen ihn an. Dann machte er ein paar Schritte nach vorne.

Po schmerzte die Lunge. Nachdem er damit begonnen hatte die Stufen hinunterzurennen, ist er ausgerutscht und stattdessen den Rest heruntergerollt. Allerdings in die falsche Richtung. Das hatte ihm eine Menge Zeit gekostet und musste den ganzen Weg wieder zurückrennen. Keuchend und völlig am Ende erreichte er das Haus seines Vaters. In der Küche war noch Licht. Po rannte nach vorne und riss die Tür auf.
Seine Augen füllten sich mit Horror.
„DAD!“

25. Blinder Ehrgeiz


Po hielt sich die Tatzen vor dem Mund. Mr. Ping lag auf dem Boden. Sein Kopf unter einem Regal.
„Dad!“
Po rannte nach vorne und berührte den am Boden liegenden an den Schultern.
„Dad! Es tut mir so leid! Es tut mir so…“
„Was tut dir leid?“
Po erstarrte vor Schock, als Mr. Ping den Kopf hob und ihn überrascht ansah. „Po, alles in Ordnung mit dir? Du siehst aus, als hättest du eine Leiche gesehen.“
Endlich schaffte es Po wieder die Lippen zu bewegen. „Ich… du… ich… ich dachte…“ Er schüttelte den Kopf. „Du lagst auf dem Boden und ich habe gedacht…“
„Oh, das.“ Mr. Ping lachte. „Tut mir leid, aber da war ein Knödel unter das Regal gerollt und wir wollen doch keinen Schimmel in unserer Küche haben, oder?“
„Äh… j…j-a…” Po kratzte sich am Kopf, immer noch völlig perplex. „Hast du ihn gesehen?“
„Wer? Oh! Dein Freund, oh, ja, ja. Er war gerade noch hier gewesen. Wir haben ein paar Worte miteinander gewechselt. Ich bin ja so froh, dass du nicht mehr das Versteckspiel betreiben musst. Ich bin ja so stolz auf dich, Po.“
Po stand da wie bestellt und nicht abgeholt.
„Ooookaaaayy. Wo ist er?“
„Oh, wie ich schon sagte, nachdem mir der Knödel auf den Boden gerollt war, hörte ich wie er wegging. Nun, nach deinem Erfolg muss ich mir um ihn ja keine Sorgen mehr machen, oder?“
Mit einem warmen Lächeln sah er seinen Sohn an. Doch Po war immer noch erfüllt mit Fragen, die keine Antwort fanden.
„Weißt du, wo er hinwollte?“
Mr. Ping zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht. Er hat es mir nicht gesagt. Oh, nebenbei bemerkt, du könntest mir helfen das hier in den Lagerraum zu tragen.“
Mr. Ping bückte sich und hob einen großen Topf hoch. Er hatte sich kaum aufgerichtet…
„Äh, Po? Po?“
Doch Po war schon längst durch die Tür verschwunden.

Wie ein weißer, versteinerter Geist saß der Pfau auf einem Felsen, weit genug vom Dorf entfernt, und beobachtete die Sterne und den Mond, die sein weißes Federkleid erleuchteten.
Etwas raschelte zwischen den Bäumen. Shen blickte sich nicht um. Er blieb dort und lauschte bis die Schritte hinter ihm anhielten, die er sehr gut kannte.
„Denk nur nicht, dass ich meine Meinung geändert habe“, sagte der Lord. „Ich wollte nur etwas frische Luft schnappen, das ist alles!“
„Das ist nicht der Grund, weshalb ich hier bin“, sagte die Ziege mit sanfter Stimme, die das Herz des Lords wie ein Messer durchstach. Er hasste und liebte ihre Fürsorge zugleich.
„Ich habe gehört, du hättest dem Panda etwas über meine möglichen Zukunftsaussichten erzählt…“ Der Pfau hob stolz den Kopf. „Mein Weg ist meine Version. Verschwende nicht deine Worte und spar sie dir auf für etwas anderes. Du bist nicht mehr meine Nanny wie du es in der Vergangenheit für mich gewesen warst. Und ich bin nicht mehr dasselbe ängstliche Kind, das vor dir einst das erste Mal stand.“
Die Ziege seufzte. „Es liegt immer noch in deiner Hand es zu ändern. Auch der Panda wusste es seinen Weg zu lenken.“
Shen fauchte beleidigt. „Ich bin aber kein stinkender Panda. Ich bin immer noch ein Herrscher mit hohem Rang.“
„Und wo stehst du jetzt?“
Der Lord hob die Nase ein Stück höher. „Ich habe immer noch meinen Stolz.“
„Du machst dir selber das Leben schwer“, mahnte die Ziege ihn eindringlich. „Ich habe deinen Eltern damals gesagt, dass wenn du weiterhin auf deinem Weg wandelst, dass ein Panda dich besiegen wird.“
„Und es war so gekommen, aber er hat mich immer noch nicht getötet.“
„Wer sagt denn, dass besiegen und töten ein und dasselbe ist?“
Shen verengte die Augen auf eine gefährliche genervte Art.
„Shen, du kannst gewinnen, wenn du deinen Weg änderst. Noch ist es Zeit. Es ist noch nicht zu spät.“
„Ich will mich aber nicht ändern! Warum kannst du das nicht verstehen? Es ist mein Weg, und diesem will ich folgen. Nebenbei bemerkt, ist es der einzige Weg, den ich gehen kann. Außer meinem Leben habe ich nichts das ich geben will, um meinen Sieg einen neuen Anfang zu geben.“
„Mit was Shen? Deine Armee ist weg, deine Stadt ist nicht mehr dein, du hast keine Freunde, keine Familie…“
„Ich habe schon damals einen Weg gefunden nach meiner Verbannung. Ich werde auch diesmal einen neuen Weg finden.“
„Wäre es nicht besser für dich deinen Weg auf einen besseren Weg zu lenken?“
„Du verstehest es einfach nicht. Ich kann nicht zurück.“ Seine Stimme wurde traurig für einen kurzen Moment. „Diese Zeit ist vorbei. Selbst wenn ich alles bereuen sollte, was ich nie tun werde, werden sie mich nach all dem sowieso hinrichten.“
„Aber du hast immer noch ein… jemanden, der es verhindern könnte.“
Shen schnaubte angewidert. „Wer? Der Panda? Erzähl mir nicht sowas. Er hat genauso vor mich zu töten wie alle anderen auch.“
„Und was ist, wenn du dich irrst?“
Shen lachte spöttisch. „Glaubst du wirklich, er würde mich verschonen? Ich habe seine Familie getötet, seinen ganzen Stamm. Ich habe seine Kindheit ruiniert.“ Er senkte den Blick. „Das ist mehr als grauenvoll.“
Die Wahrsagerin verengte traurig die Augen, doch im nächsten Moment, setzte Shen einen harten Gesichtsausdruck auf. „Trotz allem, meine Eltern taten nichts. Wenn sie mich wirklich geliebt hätten, hätten sie weitaus mehr getan als mich dazu zu zwingen die Stadt zu verlassen. Obwohl du mir erzählst hast, sie hätten mich geliebt, war es nicht genug.“
Eine deprimierende Stille entstand zwischen ihnen.
„Shen? Ich hatte nicht vor es dir zu sagen, aber ich denke, dass es Zeit ist, dass du etwas über deine Eltern erfährst.“
Shen stieß einen tiefen lauten Seufzer aus und verdrehte die Augen. „Was denn jetzt schon wieder? Irgendein emotionales Zeug? Denk nicht, dass ich darauf hören werde. Ich habe meine Vergangenheit mit ihnen abgeschlossen. Und ich werde nicht mehr hinter ihnen her trauern.“
„Nein, nicht wirklich. Es ist etwas anderes…“
Shens Lunge schmerzte vom sehr tiefen Luftholen. „Nun denn, ich schätze mal, dass du es mir sowieso sagen willst, nicht wahr? Na schön. Sag es mir. Ich hab ja alle Zeit der Welt.“
Die Ziege seufzte. „Es gibt da etwas, was du nicht über deine Eltern weißt…“

26. Alternative Wege


„Deine Eltern sind keines natürlichen Todes gestorben“, begann die Ziege.
Shen zeigte sich völlig unbeeindruckt. „Sicher, durch Trauer zu sterben ist nie natürlich.“
„Das ist nicht das, was ich meine.“
„Und wie meinst du es stattdessen?“
„Nach deiner Verbannung, nachdem du die Stadt verlassen hattest, wurde es ziemlich still im Palast.“
Shen hob die Nase hoch. „Na und?“
„Deine Mutter… deine Mutter bekam Depressionen. Nichts und niemand konnte sie mehr zum Lachen bringen. Und für neue Kinder, konnten sie sich nicht überwinden. Fünf Jahre vergingen. Deine Mutter fand keinen Sinn mehr im Leben, bis sie sich dazu entschied nach dir zu suchen.“
Jetzt hob Shen doch ein bisschen die Augenbrauen hoch, doch er behielt seinen gefühlskalten Gesichtsausdruck bei. „So, hat sie das?“
„Ja, trotz allem, dass es ihr streng verboten war dich irgendwie zu sehen, verließ sie die Stadt, ohne, dass dein Vater davon wusste. Doch wie du dir vorstellen kannst, war sie nicht auf Gefahren da draußen vorbereitet.“
Die Ziege legte einen Moment eine Pause ein.
„Nach einer langen Zeit, erhielt sie den Hinweis, dass dich jemand in den Bergen gesehen hat. Doch unglücklicherweise… erlitt dort sie einen Unfall.“
Die Wahrsagerin blickte zu Shen hoch. Aber der zeigte keine Spur von Trauer. Aber sie wusste, er verbarg seine Gefühle tief in seiner Seele.
„Nach dem Unfall“, fuhr die Ziege fort, „fanden ein paar Bergleute sie viele Tage später. Zwar schafften sie es, sie zurück nach Gongmen zu bringen, doch ihr Zustand besserte sich nicht. Dann kam der Tag an dem sie starb. Aber bevor sie unsere Welt verließ, hatte dein Vater noch die Gelegenheit mit ihr zu reden.“
„Da ist immer noch etwas Gutes in ihm“, flüsterte die Pfauenhenne, während sie den Flügel ihres Gatten hielt. „Ich weiß es. Versprich mir, dass du dich gut um ihn kümmerst.“
Der Herrscher sah sie mit warmem Blick an. „Ich werde sehen was ich tun kann.“

„Nach der Beerdigung wurde dein Vater nur noch stiller. Doch er war fest entschlossen sein Versprechen zu halten. Eines Tages verließ er die Stadt und ging hinaus in die weite Welt.“
Shen zeigte Gleichgültigkeit. „Und weswegen? Er wird niemals wieder gutmachen nach all dem was er mir angetan hat.“
Die Ziege seufzte. „Es war nur zu deinem Schutz.“
„Na toll!“, zischte Shen. „Wenn er nur zu mir kommen wollte, um sich bei mir zu entschuldigen, dann kam das zu spät.“
Die Ziege schüttelte den Kopf. „Deswegen hatte er die Stadt nicht verlassen. Hör zu, nach deiner Verbannung, hattest du kein Anspruch mehr auf das Erbe deiner Familie. Doch es war der Wunsch von deinem Vater dir nach seinem Tod was zu hinterlassen. Und aus diesem Grund, arbeitete er.“
„Arbeiten?“ Shen sah sie ungläubig an.
„Ja. Er arbeitete. Jahr für Jahr sah er sich nach einer Arbeit um, um Geld zu verdienen. Doch unglücklicherweise geriet er unter kriminelle Banden und stahl Gold.“
Shens Augen weiteren sich. Das war eine Seite, die er von seinem Vater gar nicht kannte. Beschämt bedeckte die Wahrsagerin ihr Gesicht.  
„Natürlich war es ein Fehler gewesen, den er später auch nach einer Weile bereute. Er gab das Gold zurück und entschied sich stattdessen in Goldminen zu arbeiten. Über 10 Jahre tat er nichts anderes als Goldnuggets zu sammeln, doch er gab es niemals aus und lebte von der Hand in den Mund.“ Sie seufzte tief. „Nach so vielen Jahren war er am Ende seiner Kräfte. Doch bevor er starb, kam er zurück in die Stadt Gongmen, wo er mich traf. Er war ein erschöpfter, ausgelaugter, müder alter Mann. Er erzählte mir was er getan hatte. Und ich sollte seinen Sohn erzählen, dass sollte er jemals seine Missetaten bereuen, dass er dann das gesammelte Vermögen bekommen soll, um ihm einen Neustart zu ermöglichen. Es würde genug für dich sein, um eine neue Existenz aufbauen zu können. Jedoch nur wenn du deinen Weg änderst.“
Shen sah sie schweigend an. Dann lächelte er.
„Na gut, ich bereue es“, sagte er mit ruhiger, sanfter Stimme.
Mit tiefem Bedauern schüttelte die Ziege den Kopf. „Du kannst mich nicht anlügen, Shen. Ich werde dir erst den Lagerort preisgeben, wenn du deine Taten ehrlich bereust.“
Das Gesicht des Lords verfinsterte sich.
„Nun, in dem Fall lässt du mir keine andere Wahl als meinen Weg zu vollenden.“
Die Augen der Ziege weiteten sich. „Shen, wenn du denkst, dass er dir was antun wird, dann bist du zutiefst im Irrtum.“
„Oh, ich denke eher, du wirst diejenige sein, die im Irrtum ist. Er wird mich töten. Er muss mich töten. Dazu hat er immer noch einen guten Grund.“
Vorwurfsvoll schüttelte die Ziege den Kopf. „Wie kann man nur so blind sein?“
Shen schnaubte. „Ich werde es dir beweisen. Du wirst schon sehen. Noch diese Nacht wird er mich töten.“
Die Ziege seufzte tief. Dann wandte sie sich ab und verließ ihn.
„Du glaubst mir nicht, oder?!“, rief Shen ihr nach. „Ich werde es dir beweisen! Ich werde dir beweisen, dass du falsch liegst!“
Doch die Wahrsagerin ging nicht darauf ein und schritt weiter in den Wald hinein. Verbittert sah Shen ihr nach, aber er rannte ihr nicht hinterher.
„Ich kann es beweisen.“
Ich werde es beweisen.

27. Ich habe sie getötet!


Po hatte nicht die geringste Ahnung, wohin er nun gehen sollte. Er folgte einfach seinem Instinkt und hoffte, dass es sich nicht irrte. Hastig sah er sich um und stoppte.
„Hey, wieso renn ich ihm eigentlich hinterher?“, murmelte er vor sich hin. „Lass ihn doch einfach gehen.“
Er gab sich selber eine Ohrfeige. „Nein. Das ist nicht richtig. Ja. Es ist richtig. Nein…“
„Panda.“
„AHH!“ Po wirbelte herum und erstarrte.
„Oh… ähm…“ Als er die Wahrsagerin erblickte, wicht die Anspannung sofort wieder aus seinen Armen.
„Du bist verwirrt, nicht wahr?“, fragte sie.
„Warum… Hast du ihn gesehen?“
Die Ziege seufzte und deutete mit ihrem Gehstock in eine bestimmte Richtung.
Po nickte und winkte mit der Tatze. „Danke…“
„Panda.“
Po hielt inne. „Was ist?“
„Sei gewarnt“, sagte sie. „Lass dich nicht provozieren. Sein Geist ist voller falscher und gebrochener Erinnerungen. Breche ihn nicht endgültig. Zeig ihm das Licht im Leben.“
Po stand ratlos da und kratzte sich am Kopf. „Okayyy. Was soll ich tun?“
„Tu einfach nicht das, was er getan hatte.“
„Hat was getan?“
„Geh und du wirst es sehen.“
Po wollte noch etwas fragen, doch die Ziege ging weiter ihres Weges.

In Shens Kopf loderte ein zerstörerisches Feuer. Der Pfau stand still auf der Lichtung und versuchte seine Gedanken zu sortieren. Plötzlich vernahm er Schritte, die sich in seine Richtung bewegten. Mit langsamen Lidschlägen schloss und öffnete er seine Augen.
„Warum gibst du nicht auf, Panda?“
Der Lord hob seinen Flügel und der Panda hielt an.
„Ich möchte klare Verhältnisse“, sagte Po mit fester Stimme.
Er konnte Shens Gesicht nicht sehen, da der weiße Pfau ihm den Rücken zugewandt hatte, doch auf den Schnabelwinkeln zog sich ein Lächeln.
„Darüber habe ich auch gerade nachgedacht.“
Mit diesen Worten drehte sich der Lord zu ihm langsam um. Po stand nur ein paar Meter weg, sein Blick aufgerichtet zu ihm, da der Pfau auf einem Hügel stand. Der Lord faltete seine nachgewachsenen Fingerfedern zusammen und sah den Panda mit unheilvoller Ruhe an.
„Du wolltest wissen, was in der Nacht passiert ist, nicht wahr?“
„Welche Nacht?“ Dann fiel es Po wieder ein. „Oh, diese Nacht.“
Der Lord verengte die Augen. „In der Tat.“
Er sah zum Himmel auf. „Es war dunkel. Und kalt. Aber das Feuer der brennenden Häuser jagte sie sehr schnell davon.“
„Wen? Die Pandas?“
Shen stieß einen genervten Seufzer aus. „Die Kälte.“
„Oh, okay.“
„Ja, ja“, murmelte der Lord und schritt langsam über das Gras. „Ich erinnere mich. Da saß ein kleiner Panda vor einem Haus.“
Pos Augen weiteten sich. Erinnerte er sich wirklich an ihm?
„So ein kleiner, süßer Panda, den ich in meinem Leben nicht brauchen konnte.“ Shen lachte heiser. „Ich befahl meinen Soldaten dich hinweg zunehmen – für immer.“
Vor Pos Augen tauchten Schatten auf. Er sah es noch vor sich, wie die Wölfe ihn ansprangen. Doch plötzlich…
Shen hielt inne und schnaubte. „Solch ein dummer, fetter Panda, der sich meinen Befehlen widersetzte.“
„Lauf mit unserem Sohn weg!“, rief der große Panda.
Der Pfau entfächerte seinen Pfauenschweif. „Tötet sie alle!“

„Ich musste diesem Unverschämten eine Lektion erteilen. Er kämpfte wie ein totaler Anfänger.“ Shen schnaubte verächtlich, doch seine Stimme blieb gelassen. „Oh, ja, er fiel in eines der brennenden Häuser. Was für ein schrecklicher Tod.“ Ein kaltes Lächeln formte den Schnabel des Pfaus bis seine Augen zu Po zurückwanderten. „Und du, kleiner Panda. Es ist mir ein Rätsel, wie du überleben konntest. Ein nettes kleines Wunder, welches mein Untergang wurde.“
Er schwang seine dunkelgraue Robe. Po wich zurück. Aber Shen griff ihn nicht an, sondern fuhr fort: „Deine Mutter war so eine naive Kreatur und rannte davon.“
„Warte mal ne Sekunde“, unterbrach ihn Po. „Woher weißt du, dass sie meine Mutter war?“
Shen hob die Nase und grinste. „Ich sah es in deinen Augen. Dieselben Augen, die mich ansahen, bevor ich sie getötet habe.“
Der Lord amüsierte sich über Pos geschocktes Gesicht.
„Sie dachte wirklich, dass ich sie verschonen würde. Sie bettelte um Gnade. Eine Kreatur, die mein Leben bedrohen wollte. Wie naiv kann man nur sein?“
Po ging einen Schritt zurück. Shen kam näher. Über Pos Lippen kam kein einziges Wort.
„Oh, kleiner Panda“, sagte Shen mit sanfter Stimme. „So viel Traurigkeit in deinen Augen? Hast du Angst?“
Er streckte seinen Flügel aus und ergriff den Arm des Pandas. Seine Fingerfedern gruben sich in das Fell mit einer Kraft, die gehörig weh tat. Po schrie auf. Plötzlich stachen die Klauen des Lords in seinem Arm. Shen lächelte boshaft.
„Blut kann so eine schöne Farbe im Schnee sein“, hauchte Shen, „wie das Rot in meinen schneeweißen Federn.“
Er lachte leise. Der Panda sah ihn immer noch sprachlos an.
Auf einmal ließ Shen von ihm ab, trat ein paar Schritte zurück und erhob seine Flügel in einer anmutigen Weise.
„Ja, ich habe sie getötet!“, schrie er. Seine Augen dabei weit offen. Beinahe geisteskrank. „Ich habe sie mit Vergnügen umgebracht!“
Er kicherte heiser. Doch sofort wurde er wieder ruhig und sah den Panda mit knallhartem Ausdruck an.
„Und ich bereue nichts!“
Po wusste nicht, was er sagen sollte, doch Shen wusste es.
„Und jetzt… töte mich.“ Er breitete seine Flügel aus, als erwarte er, dass ein Pfeil seine Brust durchbohren würde. „Hier stehe ich! Der Mörder deiner Mutter!“
Po rührte sich nicht. Im Mondlicht erschien der weiße Pfau wie ein Engel, nein, ein Todesengel, der seine Sünden offenbarte. Der Lord hob die Flügel noch höher.
„Brauchst du etwas Hilfe dabei?“
Etwas Langes und Scharfes blinkte im Schein des Mondes auf.
„Ich habe mir erlaubt, das hier zu entwenden.“
Er warf das Messer auf den Boden, wo es mit klingendem Geräusch niederfiel.
„Ich bin in deiner Hand.“
Po starrte auf das Messer, das vor ihm im Gras lag.
„Worauf wartest du noch?“ Shen wurde langsam ungeduldig. „Vollende dein Schicksal, Drachenkrieger. Lass uns unseren Krieg bereinigen.“
Langsam hob Po das Messer auf, doch er beweget sich immer noch nicht von der Stelle.
Shen Augen begannen zucken. Plötzlich sprang er den Panda an. Po fiel nach hinten, stand aber sofort wieder auf. Bevor Shen ihn erneut attackieren konnte, lehnte Po sich nach vorne und drückte den Pfau auf den Rücken und fixierte ihn auf den Boden. Shen keuchte, doch er lächelte mit einem giftigen Lachen auf den dunklen Schnabellippen.
„Willst du jetzt das tun, was du die ganze Zeit tun wolltest?“
Po zuckte zusammen. Das Messer hielt er immer noch in der rechten Tatze. Shen fokussierte es und nickte ihm zu.
„Tu es. Es ist nicht schwer.“
Damit packte er die Tatze des Pandas und führte das Messer über seinen Brustkorb.
„Nur ein Stoß um deinen Schmerz zu befriedigen. Ja, es wird deinen Schmerz heilen. Besser als Wissen.“
Der Pfau senkte die Klinge und hielt sie direkt über sein Herz.
„Es ist so einfach.“
Shen entspannte seinen Körper, aber er hielt den Augenkontakt.
„So einfach.“ Er lachte heiser. „Wie ich es mit deiner Mutter getan habe.“
Der Lord schloss die Augen. Er war bereit sein Schicksal zu erfüllen, wie er es nannte.
Mehrere Sekunden lang passierte gar nichts. Shen wagte es die Augenlider ein paar Millimeter zu öffnen.
In diesem Moment stieß der Panda das Messer vor. Shen kniff die Augen zusammen. Er hörte wie das Messer etwas rammte, doch er fühlte keinen Schmerz. Wieder öffnete er die Augen. Po hatte das Messer neben ihm in den Boden gebohrt.
„Was tust du da?!“, brüllte der Pfau mehr drohend als verwirrt.
Po antwortete nicht. Er stand auf und ging langsam davon. Schnell erhob sich Shen. Er zog das Messer aus der Erde raus und warf es auf den Panda. Plötzlich drehte Po sich um, hob die Tatzen und das Messer flog durch die Luft und blieb in einem Baum stecken.
Sprachlos starret Shen darauf. Seine Augen wanderten zurück zu Po, der in angespannter Position dastand.
„Du hast einen großen Fehler gemacht“, begann Po mit dunkler Stimme. „Doch das warst du gewesen. Und ich bin Po. Und ich bin nicht wie du.“
Shen zitterte. „Willst du denn nicht den Tod deiner Eltern rächen? Sie schreien förmlich danach!“
„So wie deine Eltern?“
Shen erstarrte.
„Dadurch bekomme ich meine Eltern auch nicht mehr zurück“, fuhr Po fort. „Genauso wenig wie du deine.“
Shen schnappte nach Luft. Diese Worte bohrten sich extrem tief in seine Seele.
Po hob seine leeren Tatzen. „Dein Leben ist nicht in meinen Händen. Es liegt in deinen Händen.“
Damit drehte er sich wieder um und schickte sich an zu gehen. Shen sah ihm nach. Der Pfau schluckte mehrere Male. Plötzlich schwang er sich in die Luft, landete direkt vor dem Panda und schnitt ihm den Weg ab.
„Hol sofort das Messer wieder runter!“
„Nein, Shen. Das ist etwas, was ich bestimmt nie tun werde.“
Der Pfau stand da wie verloren. Er verstand die Welt nicht mehr.
„Das macht alles keinen Sinn!“
Sein Schnabel bebte.
Po verengte die Augen. „Du bist hier der Einzige, der keinen Sinn macht. Wir wollen dir helfen. Doch du willst es nicht. Warum bist du so versessen darauf zu sterben? Du könntest es besser machen.“
„Das ist unmöglich!“, schrie der Pfau. „Mein Weg ist getan! Meine Zukunft ist vorherbestimmt! Du musst mich besiegen!“
Po starrte in seine Augen. „Dass man dich damals verbannt hatte lag nicht an mir, oder an meiner Familie. Dass die Kanone auf dich drauf gefallen war, war nicht wegen mir. Du hast meine Familie vernichtet, du hast deine Eltern unglücklich gemacht. Ich habe sie nie getötet. Es war nicht wegen mir. Ich habe dich nie alleine besiegt. Du bist derjenige, der das getan hat.“
Tief in Wut rang Shen nach Luft und ballte die Fäuste.
Ebenso Po, der verärgert den Blick senkte. „Geh wohin du willst. Ich werde dich nicht aufhalten. Tu was du für richtig hältst.“
Damit zog der Panda davon und drehte Shen den Rücken zu.  
„Warum lässt du mich gehen?“
Po hielt an und seufzte. „Es liegt nicht in meiner Macht dich zu beschützen. Du bist ein Teil meines Lebens. Vielleicht sogar das letzte Teil, was ich von meinen Eltern haben werde. Aber vielleicht ist es das Beste mit der Vergangenheit abzuschließen. Ich weiß, woher ich gekommen bin, und ich muss wissen, wo ich hingehen werde. Auch wenn mein Leben keinen guten Anfang gehabt hatte.“
„Wie kannst du nur mit dieser Schmach durchs Leben gehen?!“
„Das ist die Art zu leben. Es kommt nicht darauf an, woher man kommt. Viel wichtiger ist es, wohin man geht. Das Ende eines jeden Lebens zählt mehr. Es ist das letzte Zeichen was die Welt von einem sieht und ihr in Erinnerung bleiben wird.“
Damit ging Po weg und verließ den Lord, der still und schweigend dastand. Er beobachtete den Panda solange bis dieser verschwunden war. Shens Gesicht war wie Stein. Die Worte hallten durch seinen Sinn und hämmerten auf seine Seele ein.
Plötzlich fiel er zurück.
Nein, es war nicht seine Schuld! Es war die Schuld des Pandas!
Shen presste die Schabellippen zusammen und hielt sich den Kopf. So viele Stimmen stürmten auf ihn ein. Er konnte es nicht ertragen. Er bedeckte sein Gesicht. Alles wurde so schwer und schmerzte seiner Lunge.
Das Universum war gegen ihn. Er konnte keine klare Linie finden.
Die Zukunft, die Vergangenheit, die Gegenwart… alles war so verwirrend.
Er kniete sich hin und dann, nach langer Zeit, nach so langer Zeit, begann er zu weinen.

28. Die Nacht danach


In dieser Nacht war Po nicht mehr in der Stimmung nach Hause zu gehen. Kurz nachdem er Shen verlassen hatte, streifte er ziellos durch den Wald, ohne zu wissen, was er als nächstes tun sollte. Stattdessen marschierte er so lange durch die Gegend bis er sich müde gegen einen Baum fallen ließ. Er konnte und wollte nicht mehr weiter gehen. Er wollte schlafen. Nur schlafen.
Die ganze Zeit über echoten Shens Worte ihm durch den Kopf.
„Ich habe sie getötet!“
Po schüttelte den Kopf. Er wollte nicht mehr daran denken. Er wollte das Gefühl der Rache nicht in den Fäusten spüren. Er musste die Stärke seines inneren Friedens beibehalten. Er hatte seine Frieden gefunden, nur er nicht.
Mit einem lauten Seufzer rollte er sich von einer Seite auf die andere. Erst nach einer langen Weile fiel er in einen unruhigen Schlaf.

Die ersten Sonnenstrahlen berührten die Wipfel der Bäume. Pos Nase juckte, als die Sonne auf ihn traf. Er nieste und hustete mehrmals kräftig. Der Panda blinzelte und hielt sich die Tatze vor die Augen. Die Erinnerungen der letzten Nacht kamen zurück. Po seufzte tief. Wie sollte er Shifu alles erklären? Shifu würde ihn rauskicken! Verbannen! Er würde ihn hassen! Er könnte nie wieder zurück in das Tal des Friedens…
Wie von der Tarantel gestochen, sprang Po plötzlich auf. Seine Augen dabei vor Schreck weit aufgerissenen. „Oh nein! Das Fest!“
Po raste durch den Wald und vergaß für einen Moment jegliche Androhung von Shifu oder anderen. Er musste ins Dorf! Andererseits drohte ein Krieg auszubrechen!

Po hatte fast die Hauptstraße hinter sich, als…
„Oh, Po! Po!”
Po bremste scharf ab, als Mr. Ping auf ihn zu gerannt kam. „Oh, Po! Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen!“
„Keine Zeit, Dad!“
Damit lief der Panda an den verdutzten Nudel-Restaurateur vorbei.
„Aber Po! Sieh mal, was ich letzte Nacht gemacht habe!“
Po drehte sich um und sah wie sein Vater ein Plakat aufhing, mit der Aufschrift: „Mit Hilfe des Drachenkriegers kannst du deine Kräfte mit der Drachenkriegersuppe stärken.“
Unsicher sah Po ihn an.
„Äh, nicht gut?“
„Nein, nein, es… es ist sehr nett, Dad. Wirklich sehr nett.“
Mr. Pings Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an. „Po? Alles in Ordnung?“
Po hielt inne. „Es ist… es ist nichts, Dad.“
„Bist du sicher, Po? Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst.“
Für einen kurzen Moment war Po nahe daran alles zu erzählen, hielt sich aber in letzter Sekunde zurück. „Es ist nichts. Ich… ich muss los.“
Ratlos beobachtete Mr. Ping wie sein Sohn Richtung Jade-Palast rannte.

29. Ja, Meister


Mit langsamen Schritten erklomm Po die letzten Stufen der schier unendlichen Treppe. Er machte sich auf ein großes Donnerwetter gefasst, doch er musste zurück. Auf dem letzten Treppenabsatz hielt er an. Es war so ruhig am Palast wie er es noch nie erlebt hatte. Seine Schritte hallten beinahe gespenstisch auf den Steinboden. Er ging durch das Tor und von dort den letzten Abschnitt zum Palast-Haus hinauf.
Die Türen standen offen. Po seufzte schwer. Die Halle war leer, nur die Relikte standen wie immer an den Wänden. Po stoppte augenblicklich, als er Shifu am Ende der Halle stehen sah. Der kleine Meister sagte nichts, sondern starrte nur auf den Panda.
Schüchtern hob Po die Tatze. „Hi.“
„Tritt vor“, war die einzige düstere Antwort, die er erhielt.
Po schluckte und ging auf den Kung-Fu-Meister zu. Shifu mittlerweile hatte ihm den Rücken zugewandt und starrte ins Nichts. Kurz vor ihm kam der Panda zum Stillstand.
Po rieb die Handflächen aneinander und schaute fragend auf ihn herab. „Äh, Meister?“
„Po. Was hatte ich dir gesagt?“
„Ähm, es gab in letzter Zeit sehr viele Dinge, die Ihr mir gesagt habt, Meister… Autsch!“
Shifu hatte mit einem langen Stock, den er wie aus dem Nichts herausgezaubert hatte, hervorgeholt und damit Po auf die Finger gehauen. „Ich habe dir gesagt, dass du nicht in seine Nähe kommen solltest! Ich habe dich gewarnt! Mehrere Male!“
Po stolperte rückwärts, während Shifu ihn immer weiter von sich drängte. „Ich habe dich immer gewarnt, immer wieder und wieder. Warum hörtest du nie auf mich?!“
Beschämt senkte Po seinen Blick. „Ich weiß es nicht, Meister Shifu. Ich hatte vielleicht nur gehofft, dass… Autsch!“
„Po, du kannst die Wahrheit einfach nicht begreifen, oder?!“
„Welche Wahrheit?“
„Po! Ich habe es selber mit meinen eigenen Augen gesehen! Er wollte dich gestern töten! Es hat sich nichts geändert!“
„Ich weiß, Meister, doch es scheint so, dass…“
„Ich habe die Soldaten ausgesendet. Sie haben die Anweisung ihn zur Strecke zu bringen – ohne Ausnahme.“
„Nein, Meister! Ich denke, ich kann…“
Po hatte keine Möglichkeit mehr weiter zu sprechen, denn im nächsten Moment packte Shifu ihn am Kopf und riss ihn mit seinem leichten Gewicht zu Boden.
„Autsch, autsch, autsch, meine Nase!“
„Panda! Hör endlich auf mich! Wenn du nicht so wichtig wärst, würde ich dich sofort vom Fest verbannen! Und wärst du nicht der Drachenkrieger, würde ich dir nie mehr erlauben an diesen Ort zu kommen!“
Damit sprang Shifu vom ihm runter, während Po sich den Kopf rieb.
„Dein Verhalten ist mehr als skandalös. Durch dein Handeln hast du nicht nur dich selber, sondern auch mich, uns und das ganze Dorf in Gefahr gebracht!“
Niedergeschlagen ließ Po alles von sich hängen. Vielleicht hatte der Meister ja recht, doch andererseits hoffte er immer noch auf einen Hoffnungsschimmer. Doch darauf würde Shifu niemals hören.
So langsam fand der Meister seine Fassung wieder und räusperte sich mit einer etwas ruhigeren Stimme. „Po, ich weiß, wie viel es für dich bedeutet, doch glaube mir, es ist das Beste für alle, dass er nicht mehr lebt. Lass ihn seinen Frieden finden, dann können auch wir unseren finden. Ich hörte von Meister Tosender Ochse, wie Shen brüllte, dass er mehr als außer sich war, dass er den Unfall im Meer überlebt hatte. Glaube mir, es ist sein Wunsch seinen Frieden im Tod zu finden.“
Po blinzelte, als ihm die Szene wieder in den Sinn kam, wo Shen ihn befohlen hatte, das Messer in ihm einzurammen. War es wirklich sein Wille nur zu sterben?
„Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!“, befahl Shifu.
Po sah ihm in die Augen. „Ja, Meister.“
„Nun, ich hatte zumindest eine Entschuldig von dir erwartet“, tadelte ihn der Meister.
Po seufzte. „Ja, Meister. Es tut mir leid für alles, und es tut mir leid für das ganze Chaos, das ich angerichtet habe.“
Damit verbeugte sich der Panda. Sein Blick zeigte tiefstes Bedauern. „Es tut mir leid.“
Shifu hob die Augenbrauen. „Po, ich erwarte von dir, von jetzt an, bedingungslosen Gehorsam. Hast du das verstanden?“
„Ja, Meister.“ Es war ein sehr schwaches Ja.
„Po.“
Po zuckte zusammen.
„Ich vertraue dir. Enttäusch mich nicht.“
Es war schwer für Po diesem zuzustimmen. „Ja, Meister.“
Plötzlich hallte der laute Ruf eines Palast-Gänserichs durch die Halle.
„Sie kommen, sie kommen!“
Shifu spitzte die Ohren und sah Po eindringlich an. „Po, wenn das hier vorbei ist, werden wir unser Gespräch fortsetzen.“
Po nickte traurig. „Ja, Meister.“
Schlimmer konnte es jetzt nicht mehr werden.

30. Willkommen im Tal des Friedens


Laute Jubelrufe durchdrangen das Dorf, als Shifu und Po den Palast verließen. Sie stiegen die Stufen runter und überquerten den Vorplatz. Po erkannte am Tor seine Freunde, die von dort vom Berg ins Tal runterschauten. Mit einem nervösen Lächeln auf den Lippen trat er näher an sie heran.
„Hi, Leute.“
Zuerst rührten sich keiner, doch dann drehte sich einer nach dem anderem zu ihm schweigend um.
„Äh.“ Po rieb sich den Nacken. „Es ist etwas kühl heute Morgen, findet ihr nicht?“
Sie wichen seinem Blick aus und richteten ihre Augen wieder geradeaus. Po stieß einen niedergeschlagenen Seufzer aus. Dann schlurfte er Schritt für Schritt nach vorne und stellte sich neben sie. Der Panda versuchte einen Blick von Tigress zu erhaschen und wedelte mit der Tatze vor ihr Gesicht.
„Shifu hat gesagt, dass wir leise sein sollen“, flüsterte Monkey ihm zu.
„Oh, okay.“
Po rieb sich über den Mund und hielt ihn geschlossen.
Musikinstrumente klangen zu ihnen hoch. Auch die Palast-Schweine machten jetzt ihre Instrumente bereit, um die Herrscher zu begrüßen.
„Po.“
Po zuckte zusammen und schaute in das ernste Gesicht von Shifu. „Jetzt keine schlechten Manieren, du weißt was ich meine. Kein Small Talk, nur respektvolle Würde.“
„Okay, Meister, okay. Mach ich. Ich… wow.“
Die Fanfahren-Gruppe war soeben am Fuße des Berges aufgetaucht.
„Wow, sie kommen wirklich zu uns.“
„Und sollte irgendetwas schief gehen“, meldete sich Gong zu Wort, der wie aus dem Nichts neben ihnen aufgetaucht war, „wird sich das verheerend auf Sie auswirken, Mister Shifu.“
Shifu zitterte vor Ärger. „Meister Shifu“, grummelte er.
„Oh, seht nur“, sagte Viper. „Sie kommen jetzt die Treppen rauf.“
„Das ist ein besonderer Tag für uns und für das Dorf“, verkündete Shifu. „Und um den Frieden zu wahren an diesen Ort. Ab jetzt vergessen wir alles was in den letzten Tagen passiert ist und werden uns nur auf sie konzentrieren und für ihr Wohlergehen sorgen, verstanden?“
„Ja, Meister Shifu.“
„Das gilt besonders für dich, Po.“
„Ja, Meister Shifu, Sir.“
Shifu nickte. „Na dann los.“

So versammelten sie sich vor den Stufen, die zum Palasthaus hoch führten. Po knetete seine Finger, so nervös war er.
Mittlerweile hatten so gut wie alle Dorfbewohner den Palasthof erreicht. Mr. Ping kam mit einem kleinen Karren und schwang munter Panda-Puppen. Die Furiosen Fünf und der Drachenkrieger hingegeben standen gesittet und brav im Hof vor den Palast-Stufen und warteten auf die Ankunft der Besucher.
Nach einer Weile tauchten große Schatten auf den obersten Stufen des Berges am Tor auf.
„Diese Treppen“, keuchte einer von ihnen. „Wir sollten mal etwas Bewegliches erfinden.“
Am Kopf der Treppe stand ein großer Elefant und ein großes Nilpferd. Beide waren völlig aus der Puste und mussten erst mal tief Luft holen, bevor sie ihren Weg in den Hof fortsetzten.
In diesem Moment trat Gong neben sie und begleitete sie zu den Gastgebern. Po knabberte an seinen Fingernägeln und beobachtete sie mit weiten Augen. Schließlich hatten die beiden großen Tiere die Gruppe erreicht und hielten an.
„Erlaubt mir sie euch vorzustellen“, leitete Gong sich ein. „Dong, Herrscher des westlichen Teils des Landes.“
Der Elefant verneigte sich tief.
„Und Gang, Herrscher des östlichen Landes vom Dorf.“
Das Nilpferd ahmte die Geste seines Kollegen nach.
Po lächelte und winkte mit der Tatze. „Hi, ich bin… autsch!“
Er rieb sich das Knie, wo Meister Shifu ihm gerade einen Seitenkick verpasst hatte.
„Äh, ich meine, es ist mir eine Ehre Sie hier bei uns begrüßen zu dürfen. Willkommen im Tal des Friedens.“
„Es ist unsererseits eine Ehre den lang ersehnten Drachenkrieger kennenzulernen“, antworteten die beiden gleichzeitig.
„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite.“
Jetzt war Shifu an der Reihe und verbeugte sich so tief wie noch nie zuvor. „Willkommen im Jade-Palast. Nun denn, lasst uns nach Tradition unser lang ersehntes Fest vollbringen.“
Damit marschierten die beiden Herrscher die Stufen zum Palast hoch. Po folgte ihnen, dicht gefolgt von seinen Freunden.
Plötzlich hielt Tigress im Gehen inne und sah sich um. Ihr war es als wäre da was gewesen. Sie war sich sicher, dass irgendetwas an den Palastmauern entlanggehuscht war. Doch als sie genauer hinsah, konnte sie nichts entdecken. Mit einem schlechten Gefühl folgte sie den anderen die Stufen hoch.

31. Aus heiterem Himmel


Gemeinsam gingen sie zum Haupthaus des Palastes, wo die Relikte der Kung-Fu-Krieger aufbewahrt wurden. Po war immer noch ziemlich aufgeregt und hatte schon seine ganzen Nägel abgekaut. Von Zeit zu Zeit warf er Shifu einen unsicheren Blick zu. Was sollte er jetzt sagen?
In diesem Moment öffneten sich die großen Türen des Palastes und die Gruppe trat ein.
„Es ist mir eine große Ehre, Sie bei uns in den Hallen des Triumpfes begrüßen zu dürfen“, begann Shifu und ging als Erster durch die lange Halle.
Po folgte ihm und räusperte sich. „Oh ja… dies ist die Ruhmeshalle der größten Krieger des Kung-Fu. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen zu jedem die Geschichte erzählen.“
„Wir möchten gerne deine Geschichte hören“, sagte Gang.
„Meine?“ Po sah sich verdutzt um. „Äh, oh… nun, meine Vorsehung als großer Drachenkrieger ist ein sehr interessanter Werdegang… mit harten Kämpfen.“
Er schwang die Fäuste und startete seine Version wie der Drachenkrieger seinen Anfang nahm, mit ein paar Ausschmückungen.
„Das Training war hart“, kam Po zum Ende seiner Geschichte. „Aber mit Hilfe des besten Kung-Fu-Lehrers Meister Shifu, habe ich gelernt, das Kung-Fu zu meistern. Bis ich meinem ersten Gegner gegenüberstand, den ich besiegen musste.“
Er machte mehrere Sprünge und hob abwehrend die Tatzen. „Kurzes silbernes Fell, gefährliche Augen, die Kälte stand ihm ins Gesicht geschrieben, in kurzen Hosen, Krallen und Zähnen.“
Er machte ein paar Schritte zur Seite und schwenkte zur Wand der Halle, wo er neben einer leopardenähnlichen Figur zum Stillstand kam.
„Ja, so ähnlich wie er, nur etwas größer, äh… Moment. Bist du auch ein Teil der Ruhmeshalle?“
Plötzlich bewegte sich der Leopard und schlug dem Panda ins Gesicht.
Alle schraken zusammen, als mehr Leoparden von allen Seiten auf sie zugesprungen kamen.
„Wie könnt ihr es wagen in diesen Ort einzubrechen?!“, rief Meister Shifu aufgebracht.
Der rote Panda wich einem fliegenden Objekt aus, das kurz darauf auf ihn geworfen wurde und auf den Fliesen zerbrach. Mittlerweile hatten die Eindringlinge die Gruppe umzingelt. Die größte der Katzen trat vor und bäumte sich vor Po auf.
„Wo ist er?“
Betreten sah Po ihn an. „Wen meinst du?“
Der Leopard knurrte. „Lord Shen.“
„Seid ihr etwa diejenigen gewesen, die das Gefängnis in Gongmen überfallen hatten?“, fragte Mantis.
Der Anführer ging nicht auf die Frage ein. Seine funkelnden Augen waren nur auf den Panda gerichtet, der keine Ahnung hatte, was er jetzt sagen sollte.
„Äh, Shen? Shen, nun, er ist irgendwo. Ich weiß aber nicht wo. Er ist außer Haus.“
Der Anführer wurde wütender. „Rede!“
Po gab Shifu einen hilfesuchenden Blick. Dieser hingegen drehte sich um und gab den fünf Freunden ein Signal. Diese verstanden. Für einen Moment herrschte Stille, doch plötzlich…
Ein Aufschrei erfüllte die Halle. Die Furiosen Fünf hatten ihre Positionen verlassen und schlugen und traten mit ihren Fäusten und Füßen wie der Teufel um sich.
Nach einer Sekunde wachte auch Po aus seiner Erstarrung auf und wehrte einen nach dem anderen ab. Auch Shifu beteiligte sich daran. Ebenso Gang und Dong, die den Ernst der Lage begriffen hatten und verteidigten sich mit allem was sie hatten.
Ihre Kampfkunst ist echt gut, dachte Po.
Nur Gong, die Gazelle, versteckte sich unter einem Tisch. Der Anführer der Katzen konzentrierte seine Energie auf Po. Klar, dass er dachte, dass dieser ganz genau wisse, wo sich der Pfau befand und jagte den Panda durch die ganze Halle. Po nahm die Gelegenheit wahr, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen und sprang auf eine Statur.
„Hey!“, rief er. „Ich bin doch der, hinter dem ihr her seid und euch die Information geben kann, die ihr haben wollt, oder?! Lasst die anderen in Ruhe und kämpft gegen mich, den Drachenkrieger!“
Er hatte seinen Satz kaum zu Ende gesprochen, da sprangen die Leoparden ihn an wie Katzen auf die Maus. Po war so erschrocken von diesem Anblick und rannte durch ein Fenster nach draußen auf das nächste Dach.
Im Hof war Mr. Ping gerade damit beschäftigt Plüschpandas zu verteilen als ein Schwein auf den Palast zeigte.
„Hey, seht mal da!“
Alle sahen auf und erkannten den Drachenkrieger, dicht gefolgt von einer Menge großer Katzen.
„Gehört das zum Fest?“, fragte jemand.
Mr. Ping wusste nicht, was er sagen sollte und drückte jemanden ein Panda-Stofftier nervös in die Hände.

„Ist das alles was ihr draufhabt?“, schnaubte Po.
„Sag uns, wo er ist!“, befahl ihm der Anführer.
Natürlich wusste Po es nicht und entschied sich zu einem kleinen Rennen. „Fangt mich!“
Und verschwand hinter einer Mauer. Die Leoparden dicht hinter ihm.
„Okay, okay, Po“, sagte Po zu sich selbst, während er an der Palastmauer entlangrannte. „Denk nach, was kann ich tun gegen so viele Angreifer? AH!“
Ein scharfer Schlag hinter seinem Rücken veranlasste ihn schneller zu laufen. Er musste sie vom Palast weglocken. Nur dadurch wären die anderen in Sicherheit. Alle anderen Dorfbewohner befanden sich Palasthof. Das Dorf war im Moment der einzige Ort, wo er gegen sie kämpfen konnte ohne dabei Gefahr zu laufen jemanden zu verletzen.
Nach dieser Entscheidung nahm er eine scharfe Kurve und rannte die Stufen des Berges herunter.
„Stufen!“, keuchte der Drachenkrieger. „Ich hasse Stufen!“
Es dauerte eine Weile bis er die ersten Häuser erreicht hatte und schwang sich auf eines der Dächer. Doch die Angreifer hatte die Verfolgung lange nicht aufgegeben und stiegen nun ebenfalls auf das Dach.
„Immer schön ruhig bleiben“, sagte Po zu sich selbst und sprang auf das nächsthöhere Dach, was übrigens das Höchste im ganzen Dorf war. „Könnten wir nicht wenigstens in alle Ruhe darüber reden?“
Po hielt inne und musste nach diesem Marathon unbedingt eine Pause einlegen. Der Anführer nutzte die Gelegenheit und setzte zu einem gewaltigen Sprung an. Po war kurz davor ihm auszuweichen, doch plötzlich viel etwas die Mauern runter und knallte gegen den Leoparden. Der Anführer fiel zu Boden und prallte gegen die anderen Verfolger auf die Straße.
Po sah sich irritiert um. Er registrierte eine Bewegung und wirbelte herum. Für einen Moment stand er sprachlos da. Doch dann sprang er nach vorne und schlang seine Arme um eine bekannte weiße in dunkelgrauer Robe gekleidete Person.
„Ich wusste es!“
„Keine Umarmungen, Panda!“
Brutal stieß der Pfau ihn von sich und drückte ihn aufs Dach. „Das ist immer noch eine Sache zwischen mir und dir! Ich bin nur gekommen, um sicher zu gehen, dass ich dich zuerst besiegen kann, bevor es jemand anderes tut, kapiert?“
Po rang nach Luft bevor Shen seinen Hals wieder losließ.
Hustend stand der Panda auf. „O-kay.“
Damit ließ Shen vollständig von ihm ab und stand da wie ein Lord zu stehen pflegte in seinem würdevollen Stolz.
„Diese befellten Typen haben den Palast angergriffen!“, berichtete Po. „Sie suchen nach dir!“
Shen warf ihm einen gefühlskalten Blick zu. „Ich weiß.“
„Warum suchen die nach dir?“, fragte Po weiter.
„Das geht dich nichts an, Panda“, schmetterte der Pfau seine Frage ab. „Doch es ist meine Angelegenheit es zu beenden.“ Er machte eine kleine Pause. „Doch ich denke, dass ich das nicht alleine bewältigen kann.“
Er sah Po an, der sofort verstand.
„Alles klar“, sagte Po und presste die Fäuste zusammen. „Was soll ich tun?“

32. Nah und zu nah


Mittlerweile hatten sich die Leoparden von dem Schlag erholt und rappelten sich wieder auf. Po zog den Kopf ein, nachdem er einen Blick zu ihnen nach unten auf die Straße riskiert hatte.
„Okay, also, wie lautet dein Plan?“
Shen schwieg immer noch und sah sich suchend um.
„Ich habe keine Soldaten, aber hier gibt es doch bestimmt irgendwo Feuerwerk, oder?“
Po dachte einen Moment nach.
„Ja, drei Straßen weiter ist ein Feuerwerksgeschäft.“
„Ich denke, das wird genügen. Zeig mir den Weg.“
Po rannte voraus. Doch plötzlich wurden sie mit einem Haufen Möbel bombardiert, die auf den Dachziegel einschlugen.
„Hey!“, rief Po. „Das ist unfair!”
Der Panda drehte sich um und wehrte die ungewöhnlichen Geschosse ab. Shen war agil genug, um den Objekten ausweichen, die die Leoparden auf sie warfen. Wenigstens war der Weg nicht weit und sie erreichten das Haus ohne Schaden. Sie sprangen vom Dach runter und Po machte sich daran die Tür zu öffnen.
„Abgeschlossen.“
Ohne Kommentar schlitzte der Lord das Türschloss auf. Po blieb keine Zeit ein Wort zu sagen und zusammen betraten sie den Verkaufsraum des Geschäftes. Die Regale waren leer.
„Äh, im Lagerraum muss noch etwas sein“, sagte Po. „Mein Dad und ich waren mal…“
Shen wartete nicht lange und ging in den Lagerraum, wo mehrere Holzkisten aufgestapelt waren. Durch das Fenster gab die Sonne den Blick auf die Feuerwerkskörper frei.
„Das genügt“, meinte Shen
„Denkst du, du kannst damit umgehen?“, fragte Po etwas unsicher.
„Panda, ich habe mit Schießpulver gearbeitet, da warst du noch nicht einmal auf der Welt.“
In diesem Moment ertönten am Eingang laute Stimmen.
„Okay.“ Po wurde es jetzt ein bisschen unbehaglich. „Was hast du vor? Es wäre nicht schlecht, wenn es schnell gehen würde.“
„Nur ein paar Minuten“, antwortete der Lord. „Halt sie solange auf.“
„Wie?“
„Lass dir was einfallen, egal was, oder hat der Drachenkrieger nichts im Kopf?“
„Äh, okay.“
Damit rannte Po zurück in den Verkaufsraum. Keine Sekunde zu spät. Einer der Leoparden schickte sich gerade an durch den Türrahmen zu rennen und knallte gegen Pos Bauch. Der Leopard prallte ab und stieß gegen die anderen.
„Verdammter Idiot!“, fluchte der Anführer.
Po räusperte sich. „Nun, erst mal, mein Name ist Po, und zweitens… äh… zweitens… als Drachenkrieger ist es meine Pflicht gegen euch zu kämpfen, weil ihr den Frieden bedroht.“
Der größere Leopard schnaubte. „Es wird solange keinen Frieden geben, solange dieses Monster von einem Vogel noch lebt.“
Po zwang sich zu einem Lächeln. „Na gut, ich weiß, er ist nicht gerade der beste Kumpel. Die meiste Zeit neigt er zu einem düsteren Denken, aber…“
Plötzlich erschütterte eine laute Explosion den Lagerraum. Po stürzte zurück, doch vor lauter Rauch konnte er nichts erkennen. Aber nur für ein paar Sekunden. Kaum hatte sich die Sicht etwas aufgeklart, erkannte er ein großes Loch in der Decke, wo Shen gerade dadurch nach draußen sprang. Schnell rannte Po ihm hinterher. Doch auch die Verfolger dachten dasselbe. Po konnte ihre schnellen Schritte dicht hinter sich hören. Kaum hatte er das Dach erreicht, machte er sich wieder auf einen Kampf gefasst. Doch ein Wink des Pfauenflügels ließ ihn erstarren.
„Stopp!“, schallte die Stimme des Pfaus und machte seine Peiniger bewegungsunfähig. „Der Boden ist bedeckt mit Schießpulver! Nur ein Schritt und ich jage alles in die Luft!“
Po sah überrascht und geschockt zugleich drein, als er eine brennende Lunte im Flügel des Pfaus sah. Jedoch ohne Feuerwerkskörper am Ende.
Zuerst blieb Pos Blick auf Shen, dann an den Angreifer hängen, die sich nicht zu rühren wagten. In diesem Moment gab Shen Po einen Wink mit dem Kopf.
„Tritt zurück“, hörte der Panda den Pfau leise reden. „Lass sie mich auslöschen.“
Po glaubte nicht richtig zu hören.
„Was?“
Shen verengte die Augen umso mehr. „Ich sagte, was ich sagte und meinte es so. Ich werde es hier beenden.“
Doch noch bevor Shen die Lunte ins Schießpulver werfen konnte, hielt ihn ein einziges Wort davon ab.
„Nein.“
Wütende Augen trafen die Augen des Pandas, der beim Anblick des Pfaus kräftig fröstelte.
„Hast du den Verstand verloren, Panda?!“
„Nicht mehr meinen Verstand wie ich es mit dir tat.“
Diese Antwort ließ Shen für eine zigstel Sekunde verstummen.
„Das ist nicht dasselbe, Panda“, rief er, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hatte.
„Doch, Shen“, versuchte Po ihn zu beruhigen. „Und ich bin nicht hier, um jemanden zu verurteilen. Ich hab es nie getan. Nicht über andere, nicht über dich, nicht über sonst jemanden.“
Shen blinzelte, doch er wollte den Moment auf dem Schiffswrack nicht mehr in Erinnerungen behalten.
Plötzlich schallten laute Stimmen aus der Ferne. Beide wurden abgelenkt und sahen wie Wachen des Palastes in ihre Richtung rannten. Im selben Moment löschte Po die brennende Lunte mit seinen Fingern aus. Fassungslos sah Shen den Panda an. Po versuchte zu lächeln und reichte ihm die Tatze. Die Haltung des Lords verkrampfte sich. In seinem Gesicht lag eine leichte Entspannung, doch er konnte diese Geste einfach nicht erwidern.
Schließlich schüttelte der Pfau den Kopf.
„Tut mir leid, es hat keinen Zweck, Panda.“
Damit nahm der Lord Anlauf und sprang vom Dach runter.
„Hey, warte!“, rief Po ihm nach.
Die Stimmen der herannahenden Wachen wurden lauter. Po sah wie nahe sie jetzt schon waren. Der Panda wusste nicht, was er machen sollte. Dann fand er wieder in die Realität zurück.
„Keine Bewegung!“, rief er den Leoparden zu, die immer noch im Lagerraum verharrten. Doch er wusste, sie würden nicht für immer dort stehen bleiben. Aber im Moment hatte er keine bessere Idee was er Weiteres sagen sollte. Er wusste nur, dass er rennen wollte. Po sprang vom Dach und rannte Shen hinterher.
„Shen! Warte!“
Für einen kurzen Moment zögerte der Pfau, doch dann nahm er erneut Anlauf. Po keuchte und versuchte ihn einzuholen. Der Lord hatte das Ende des Dorfes fast erreicht, als plötzlich…
Po hielt mitten im Lauf inne und erstarrte. Eine große Figur sprang von der Seite und drückte den Pfau zu Boden.
„Schluss mit Lustig!“
Po riss die Augen auf. „Meister Tosender Ochse?“
33. Der Drachenkrieger spricht


Meister Tosender Ochse verstärkte seinen Druck um den Hals des Lords. Niedergeschlagen schloss der Herrscher die Augen. Er hatte keine Kraft zum Kämpfen. Wenn dies sein Schicksal war, dann würde er es akzeptieren. Jetzt tauchte auch Meister Kroko neben ihnen auf. Mittlerweile hatten die Wachen sie erreicht und umzingelt. Auch um diejenigen, die ihre Herrscher zuvor attackiert hatten und brachten sie zusammen. Doch bevor sie damit fertig waren, trat Po nach vorne.
„Meister Ochse? Meister Kroko? Wie konnten Sie so schnell hier sein?“
Meister Ochse schnaubte. „Nachdem wir eure Nachricht erhalten hatten, haben wir alles stehen und liegen lassen und sind sofort hierher gerannt.“ Der Lord stieß einen erstickten Schrei aus, als der Ochse dem Pfau einen kräftigen Drücker verpasste. „Und er wird das bekommen, was er verdient. Ohne jegliche Unterbrechungen!“
Damit riss er den Lord brutal hoch. Kaum spürte Shen wieder festen Boden unter den Füßen, war er kurz davor sich von diesem Kung-Fu-Grobian loszureißen. Doch scharfe Schwerter und Speere umkreisten ihn, und er wusste, dass es keinen Ausweg mehr gab. Nicht ohne seine ganze Energie. Noch immer spürte er die Verletzungen unter seinem nachgewachsenem Federkleid.
„Po?!“
Po erschrak, als Mr. Ping nach ihm rief. Der Gänserich bahnte sich seinen Weg durch die Menge, denn mittlerweile war das ganze Dorf unten zusammengekommen.
„Po? Alles in Ordnung bei dir?“
Zerknirscht blickte Po zu Boden. „Äh, wie soll ich das erklären, Dad? Es ist…“
„Po!“ Die wütende Stimme von Meister Shifu ließ ihn zu Eis erstarren. „Po! Wegen deiner Starrköpfigkeit machst du alles zunichte!“
„Aber Meiser Shifu“, versuchte Po. „Es war die Schuld von…“
In diesem Moment brachten die Wachen die Leoparden-Gruppe auf den öffentlichen Platz.
„Das ist nicht der Punkt“, grummelte Shifu ärgerlich. „Du riskierst noch einen Krieg über unser Dorf.“
Po sah zu den beiden Herrschern rüber, die nach dem Überfall unverletzt geblieben waren.
„Äh, die sehen aber gar nicht wütend aus, oder?“
Er versuchte zu lächeln, aber dies wurde von Shifus Blick sofort wieder abgetötet.
„Es ist das Beste, wir bringen es so schnell wie möglich hinter uns.“
Sein Blick wanderte zu Meister Ochse mit dem gefangenen Lord, der standhaft seine Haltung bewahrte. Er war es leid immerzu wegzulaufen.
„Schafft ihn weg von diesem Ort!“, rief Shifu. „Er soll diese Stätte nie wieder betreten.“
Meister Ochse grinste. „Es wird mir ein Vergnügen sein! Bringt mir ein paar Ketten!“, brüllte er ein paar Wachen zu. Der Lord atmete heftiger, als der Ochse seinen Duck um seinen Flügeln verstärkte. „Und wir werden eine letzte kleine Reise machen.“
Shen wehrte sich. Der Ochse berührte seine alten Verletzungen mit gezielter Absicht, dass es nur so weh tat.
Po war hin und her gerissen. „Nein, lassen…“
„Spar dir deine Worte, Panda!“, befahl der Pfau. „Ich habe schon deinen Freund überlebt, dann werde ich es auch mit diesem Bastard aushalten.“
Diese Beleidigung ließ Meister Ochse die Fäuste jucken. Shen hatte zwar die Chance dem Schlag nur ein paar Zentimeter auszuweichen, doch nicht weit genug, sodass die Faust ihn hart zu Boden schleuderte. Meister Ochse hätte den Pfau bestimmt noch durchgeprügelt, wenn Meister Kroko nicht dazwischen gegangen wäre. „Das reicht.“
Meister Ochse stieß einen lauten Schrei aus, doch er unterbrach seine Schläge auf den gefallenen Herrscher. Mittlerweile hatten die Wachen die Fesseln besorgt und waren daran sie dem Vogel anzulegen.
„Aber, aber…“
Shifu unterbrach Pos Sprechversuche. „Po!“ Woraufhin Meister Shifu nahe an ihn herantrat. „Po, ich habe dir gesagt, dass…“
„Nein!“ Po erschrak selber über seine Widerworte. „Äh, ich meine, Meister Shifu, erlauben Sie mir ein Wort zu sagen. Nur dieses eine Mal.“
„Nein! Du hast schon genug Unheil angerichtet.“
„Aber…“
Er beobachtete, wie die Wachen den Lord mit festen Griffen an den Flügeln festhielten. Shen versuchte stillzuhalten, doch der Ochse setzte ihm mit seinen Armdrückern immer noch stark zu, dass es schon einer Vorfolterung glich.
Ohne Zögern hob Po die Tatze. „Äh, hören Sie, ich…“
„Po!“
„Aber Meister, ich…“
„Po? Was ist passiert?“, fragte Mr. Ping
Auch die Dorfleute redeten wild durcheinander, während Po versuchte sich Gehör zu verschaffen.
„Aber…“
Auf einmal ertönte ein gigantisch lautes Trompeten eines Elefanten durch die Luft, dass sich alle die Ohren zuhalten mussten. Dies dauerte mehrere Sekunden, bis es abrupt aufhörte.
Dong senkte seinen Rüssel und deutete anschließend auf Po. „Der Drachenkrieger will was sagen.“
Für einen Moment stand Po sprachlos da. „Äh, ja, danke.“
Jeder schwieg und sah auf Po, der nach passenden Worten suchte.
„Äh, du!“ Er deutete auf die Wachen. „Bringt die Eindringlinge zu mir.“
Sie taten es. Jetzt konnte Po sehen, dass es fünf dieser Leoparden-Kämpfer waren.
Po schaute zum Anführer und trat an ihn heran. „Sag, wie lautet dein Name?“
„Bailong.“
„Okay, Bailong. Vielleicht hatten wir einen schlechten Kommunikationsstart gehabt, aber bitte erzähl mir, was hat Shen euch getan?“
Bailong schnaubte und sah mit so viel Hass auf den Lord, dass Po einen starken kalten tiefen Schauer unter seinem dicken Fell spürte.
„Wir verweigerten ihm unser Metall. Danach hat er unser ganzes Dorf zerstört. Mit vielen Toten.“
Po erinnerte sich daran wie Wölfe in ihrer Nähe auch mal ein Dorf überfallen hatten, um Metall einzusammeln. Doch sie hatten das Glück gehabt, dass niemand dabei verletzt wurde.
„Okay, das erklärt einiges.”
Po rieb sich die Stirn. Er schwenkte seinen Blick zu Shen, der keinen Gesichtsmuskel bewegte. Er schien es nicht zu bereuen. Dann wandte er sich Meister Ochse zu.
„Meister Tosender Ochse. Als der Drachenkrieger möchte ich dich bitten ihn loszulassen, damit ich ihm in die Augen sehen kann.“
Meister Ochse schnaubte, aber als Meister Kroko ihn auf die Schulter tippte, lockerte er den Griff und er ließ den Herrscher frei. Der Pfau hustete ein wenig, doch er legte seine Flügel zusammen, wie er es sonst immer tat, und zeigte mehr als zuvor seinen Stolz und starrte den Panda an.
Po räusperte sich. „Shen, kommt bitte näher.“
Der Lord verengte die Augen, aber er tat was er verlangte. Doch kurz bevor er ihn erreichte, flüsterte er ihm zu: „Hast du jetzt vor, dass zu tun, was du die ganze Zeit tun wolltest, Panda?“
Po ignorierte den Sarkasmus des Pfaus und fuhr fort.
„Hört Volk von Bailong“, begann Po mit lauter Stimme. „Ich kann eure Situation verstehen. Shen hat eure Artgenossen getötet, und ich weiß wie ihr euch fühlt. Dieser Lord“, er deutete auf Shen. „Er nahm mir meine Familie und alles was ich hatte, wollte er mir auch wegnehmen. Wegen ihm hab ich meinen Vater und meine Mutter verloren. Eigentlich müsste ich derjenige sein, der ihm am meisten den Tod wünschen würde.“
Shen setzte ein Lächeln auf den Schnabel. Er legte keinen Widerspruch ein und senkte seinen Blick sogar ein wenig, hob ihn aber sofort wieder. Meister Ochse hingegen schien der Einzige zu sein, der mit dieser Rede zufrieden war.
Po entspannte seine Gesichtsmuskeln und lächelte.
„Aber du hast mir geholfen mein Zuhause zu retten. Du hast meine jetzige Familie vor Schaden bewahrt. Und ich bin dir dankbar dafür.“
Shen zuckte zusammen. Machte der Panda sich über ihn lustig?
„Ich kann nicht ungeschehen machen, was ich oder du getan haben“, fuhr Po fort. „Aber wir haben immer noch die Möglichkeit es in eine andere Richtung zu lenken. Du bist ein Prinz mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Heute ist ein Tag des Friedens. Vor vielen Jahren kämpften zwei Nationen hier an diesem Ort, wo wir jetzt stehen, wie jeder von uns weiß. Heute kamen ihre Nachkommen hierher, um mit uns das Fest den Frieden unseres Dorfes zu feiern. Und heute verkünde ich mein Friedensangebot an meinen größten Feind. Mit tiefem Respekt.“
Damit legte Po die Handflächen zusammen.
„Meister.“
Er beugte seinen Kopf so tief runter, dass er fast den Boden berührte. Shen wusste nicht, was er sagen sollte und starrte auf den sich beugenden Panda an. Alle Leute wechselten scheue Blicke. Der Drachenkrieger verneigte sich vor seinem ärgsten schlimmsten Feind.
„Der Drachenkrieger sprach ein weises Wort“, sagte Dong.
Und jetzt, Shifu konnte nicht glauben, was er sah. Der Elefant machte ein paar Schritte nach vorne und verbeugte sich wie Po es gerade tat. Das Nilpferd Gang schloss sich ihnen an und verbeugte sich auf die gleiche Art und Weise. Gong, die Gazelle, tat was die Herrscher taten und ließ sich zur Erde fallen. Jetzt verbeugte sich auch Mr. Ping. Und mehr und mehr Leute verneigten sich vor dem Lord.
Shen stand da wie in Trance und starrte auf die sich neigenden Köpfe vor ihm, welche mehr und mehr wurden. Zum Schluss ahmten auch die Furiosen Fünf die Geste nach. Shifu bebte vor Zorn, doch er wagte kein Wort zu sagen, aus großem Respekt vor den beiden Herrschern. Und dann, nach einem inneren Kampf, senkte er den Blick mit einer verspannten Körperhaltung.
Meister Ochse und Meister Kroko bildeten die Ausnahme. Der Ochse war nahe daran aufzuschreien, doch Meister Kroko hielt ihn zurück.
Mittlerweile hatte sich Shen von seiner Starre gelöst und ließ seinen Blick schweifen. Diese Leute verneigten sich vor ihm, ohne dass er sie dazu auffordern müsste. Seine Augen blieben auf der Wahrsagerin hängen, die ihm sanft zunickte.
„Wirf es nicht weg.
Seine Augen wurden feucht. Er sah hinab auf den immer noch sich verneigenden Panda. Dann ballte er die Flügel.
Plötzlich sprang Shen zur Seite und griff sich einen Speer. Einige Leute hoben die Köpfe und beobachteten alles mit geschockten Augen. Der Lord rannte damit auf den Panda zu und…
„AHHHH!“
Mit einem lauten Aufschrei rammte der Pfau den Speer in den Steinboden, direkt vor dem Panda. Der Pfau senkte den Blick, schloss seine Augen, seine verkrampften Flügel umklammerten den Speergriff. Seine Schultern hoben und senkten sich nach jedem Keuchen.
„Du bist so dumm, Panda“, erreichten die flüsternden Worte die Ohren des Pandas. „So dumm.“
Dann ließ er vom Speer ab und ließ ihn zwischen den Steinplatten stecken. Anschließend legte er die Flügel zusammen, neigte seinen Kopf und verbeugte sich. Po hob ein wenig den Kopf und war nahe daran aufzustehen, aber…
„Keine Umarmungen“, hauchte der Lord immer noch mit geschlossenen Augen.
„Okay“, flüsterte Po zurück.
„Wartet! Wartet! Wartet!“, unterbrach Meister Ochse die Stille. „Seid ihr alle total verrückt geworden?! Vor uns steht der gefährlichste Feind Chinas und derjenige, der Kung-Fu zerstören wollte! Er verdient die Todesstrafe, und nichts anderes!“
„Nicht nach einem Friedensangebot“, wandte Gang ein. „Das wäre gegen das Gesetz unserer Nationen.“
Meister Ochse schnaubte. „Das ist gegen das Gesetz der Stadt Gongmen!“
„Aber wir sind doch nicht in Gongmen, oder?“, meinte Po und stand auf. „Er hat ein Recht sich selbst zu beweisen.“
Der Ochse stand kurz vor einem Wutanfall.
„Hör zu, Meister Ochse“, sagte Po und sah dabei auf Shen. „Meister Shen, ich respektiere deinen freien Willen, aber lass mich wissen, was du als nächstes vorhast.“
Der Lord war immer noch verwirrt und dachte über all das nach. Es war gegen seinen Willen ruhig zu bleiben, doch dann tauchte die Ziege hinter dem Panda auf und sah ihn flehentlich an. Es war noch nicht vorbei.
All die Worte hallten durch seinen Kopf. War es das, was sich seine Eltern so lange erhofft hatten?
„Wie lautet deine Antwort?“, brachten ihn Pos Worte zurück.
Der Lord seufzte. „Panda, wenn du deine Waffen ruhen lässt, lasse ich auch meine Waffen ruhen, wenn du versprichst, dass du mir deinen Frieden schwörst.“
„Ich verspreche und schwöre es!“
„In diesem Fall“, sagte Dong. „Ist es gültig.“
Meister Ochse stand da wie bestellt und nicht abgeholt, fand aber sofort seine Sprache wieder. Und die zeigte mehr als Ärger.
„So, wenn du diesem Schurken so viel Vertrauen schenkst, dann ist es dein Grab! Aber nach Gongmen wird er nie mehr zurückkommen können! Nie wieder!“
Po sah auf den Pfau, doch dieser sagte kein Wort. Sein Ausdruck zeigte keine Regung. Aber er wusste, es würde nichts bringen gegen dieses Verbot Protest einzulegen.
Der Panda rieb sich über sein Fell. „Ich denke, in diesem Fall sind wir einer Meinung.“
„Aber du wirst hängen, wenn er auch nur einen einzigen neuen Eroberungsversuch startet!“, fügte Meister Ochse mit Zorn hinzu.
Po konnte die Blicke der beiden Herrscher von Osten und Westen hinter sich spüren und richtete seinen Oberkörper auf. „Ich verbürge mich für ihn. Ich bin sicher, dass er das nie wieder tun wird.“ Er unterbrach sich selber. „Oder?“
Der Pfau warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Hast du vor dein Versprechen zu brechen, Panda?“
„Nein.“
„Na dann.“
Der Ochse trat näher an den Pfau heran. Shen spannte die Muskeln an. Mit einer warnenden Geste deutete der Kung-Fu-Meister auf ihn.
„Solltest du jemals wieder einen Fuß in die Stadt setzen, wird das dein sicherer Tod sein!“
Shen fauchte ihn mahnend an. Beide durchbohrten sich mit vergifteten Blicken und übten ein regelrechtes Augengefecht aus.
„Wir werden sehen“, war Shens einzige Antwort.
Der Ochse hob die Faust. „Wag es ja nicht!“
„Äh, hör mal, vielleicht ist es das Beste wir gehen jetzt“, meinte Meister Kroko.
Meister Ochse gab dem Pfau nochmal einen warnenden Wink, dann machte er kehrt.
Po hob die Tatze. „Äh, wollt ihr denn nicht bleiben?“
„Mit diesen Bastard?“ Meister Ochse war schon aufgebracht genug. „Niemals werde ich mit ihm an einem Ort bleiben. Wenn ich du wäre, würde ich ihm den Kopf abschlagen. Und wenn etwas passiert, werde ich dich zerteilen.“
Po wurde blass. „Äh, okay. Das ist ein Wort.“
„Wir verschwinden.“ Damit entfernten dich die Kung-Fu-Meister.
Po sah ihnen nach und konnte nicht glauben, was gerade passiert war.
„Po?“ Auch Shifu klang nicht begeistert. „Es war keine weise Entscheidung dich gegen die Kung-Fu-Meister zu erheben.“
Po seufzte. „Ich weiß, aber was hätte ich denn tun sollen?“
Shifu legte die Ohren an. „Wie kannst du jemanden mehr vertrauen, der eine Gefahr für China darstellt, statt deiner eigenen Landsleute?“
„Meister, ich weiß, es klingt verrückt, doch ich glaube ihm, dass er sein Wort halten wird.“
Meister Shifu war sich da nicht so sicher. „Wie Meister Ochse sagte, es wird dein Grab sein, wenn nicht.“
Po schluckte. „Okay.“
„Hey!“ Pos Augen wanderten zurück auf die Leoparden. „Was ist mit uns?“
„Was soll mit euch sein?“
Bailong verschränkte die Arme. „So wie ich das sehe, willst du nicht, dass wir ihn töten.“
„Das ist das, was ich erwarte.“
„Und was ist mit unserem zerstörten Dorf?“
„Euer Dorf? Äh, euer Dorf.“
„Großer Drachenkrieger“, sagte der Elefant Dong. „Für deine Taten werden wir dir geben, was du brauchst.“
Überrascht sah Po ihn an. „Und was soll das sein?“
„Wir könnten den angerichteten Schaden wieder gut machen, was ihnen widerfahren ist. Und auch für dein eigenes Dorf.“
Po machte große Augen. „Das würdet ihr für mich tun? Wow. Danke Kumpel!“
Er ergriff den Rüssel des Elefanten und schüttelte ihn. Dann sah er sich um, weil alle Augen auf ihn gerichtet waren.
„Nun, der Tag ist noch nicht vorbei. Wir haben immer noch die Gelegenheit unser Fest des Friedens zu feiern.“

34. Kalter Abschied


Vorsichtig spähte Po um die Ecke. Mr. Ping stand in der Küche. Schwermütig ging Po auf ihn zu, mit gesenktem Kopf.
„Äh, Dad?“
Mr. Ping unterbrach seine Arbeit. „Ja, Po?“
„Äh, ich, ich wollte sagen…“
Nervös rieb er sich den Kopf.
Mr. Ping legte das Messer weg und sah seinen Sohn an. „Was ist, mein Sohn?“, fragte er mit sanfter Stimme.
„Ich wollte sagen, dass… es tut mir leid, dass ich dir von Anfang an nicht alles gesagt habe. Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen. Es war nur…“
„Po.“
Mr. Ping ging auf ihn zu und berührte den großen Panda-Bauch. „Hör zu, ich würde dir deswegen niemals Vorwürfe machen. Ich weiß, warum du es getan hast. Und ich verstehe es. Du hattest recht, ich habe etwas geahnt, aber ich war mir sicher, dass du das Richtige tun würdest, Po.“
„Also, du bist nicht sauer deswegen?“
„Worüber?“
„Nun, er ist kein Fremder wie andere Fremde, die jeden Tag in unser Restaurant kommen. Es ist wegen, er hat mir und meinen Eltern schlimme Dinge angetan. Bist du ihm nicht böse?“
Mr. Ping seufzte. „Nun, er hat viele Fehler gemacht. Doch nach einer kleinen Unterhaltung mit ihm, denke ich, weiß ich, was in seinem Kopf vorging.“
Schweigend sah Po ihm in die Augen. Mr. Ping berührte sein Gesicht. „Ich bin sehr stolz auf dich, Po.“
Po lächelte und schlang seine Arme um ihn.
„Ich hab dich lieb, Dad.“
„Ich hab dich auch lieb, mein Sohn.“
Mr. Ping war den Tränen nahe.

Keiner von beiden wusste, dass sie jemand durch ein Fenster beobachtete. Der Lord ging ein paar Schritte zurück, aber er ließ sie nicht aus den Augen. Die Umarmung der beiden ließ in ihm ein Gefühl aufsteigen, welches er über all die Jahre völlig vergessen hatte. Etwas was er unbedingt wieder spüren wollte. Irgendwie.
„Shen?“
Der Pfau zuckte zusammen. Er drehte sich in seiner stolzen Haltung um und sah auf die alte Ziege herab.
„Du bist immer noch hier?“, fragte er kalt.
„Wo sollte ich sonst sein?“
Der Lord schnaubte. „Glaub nur nicht, dass ich dir all diese Turbulenzen der letzten paar Tage verzeihe. Und sei sicher, es ist immer noch nichts völlig vergeben und vergessen.“
Die Ziege nickte und blickte ihn beruhigend an. „Und was hast du als nächstes im Leben vor?“
Der Lord wiegte den Kopf und sah in weite Ferne. „Hast du mir nicht etwas über meinen Vater erzählt?“

„Hast du es dir auch gut überlegt? Ich meine, du kannst auch hier bleiben solange zu willst.“ Ein lautes Räuspern von Shifu brachte den Panda kurzfristig zum Schweigen. „Äh, mehr oder weniger.“
„Panda“, begann der Herrscher. „Ich habe bereits andere Pläne.“
Sie standen am Rande des Dorfes. Neben dem Lord die Wahrsagerin und vor ihnen Po, Shifu, die Furiosen Fünf und Mr. Ping. Es war der darauffolgende Tag nach dem Fest und nachdem die Herrscher das Dorf bereits verlassen hatten und versprachen nächstes Jahr wieder zu kommen.
Der Panda senkte enttäuscht den Blick. „Na gut. Nun, in diesem Fall, wünsche ich dir alles Gute.“
„Lebwohl.“
Damit verneigten sie sich respektvoll voreinander.
„Du weißt, wenn du mal Hilfe brauchst“, sagte Po nachdem sie ihre Häupter wieder erhoben hatten. „Du weißt, wo du mich finden kannst.“
„Ich weiß das zu schätzen, Panda.“
„Schreib mal.“
Shens Blick wanderte zu Shifu, der ihn nur grimmig anstierte. Er sagte kein Wort. Keinen Laut gab er von sich. Doch der Pfau ahnte, was er dachte. Auch der Lord hielt seinen Schnabel ihm gegenüber geschlossen. Er nickte dem roten Panda nur mit spöttischem Schnauben zu und würdigte die Furiosen Fünf keines Blickes. Nur Mr. Ping nickte er dankbar zu. Mr. Ping nickte zurück und verneigte sich.
„Es war mir eine Ehre Ihnen zu dienen.“
„Ich weiß das wirklich sehr zu schätzen. Nun denn.“
Damit wandte sich der weiße Pfau ab. Die Wahrsagerin schritt neben ihm her und zusammen gingen sie den Pfad entlang durch die Felder des Tals des Friedens.
„Er hat sich noch nicht einmal bedankt“, murmelte Mantis verärgert.
„Er hat es bereits getan“, sagte Po. „Nur nicht mit Worten.“
„Bist du sicher, dass er nie wieder einen Krieg anzetteln wird?“, fragte Monkey, während die Gongmen-Bewohner immer kleiner und kleiner wurden.
„Keine Sorge“, beruhige ihn Po. „Ich bin mir sicher, dass jemand ein Auge auf ihn haben wird.“

Die letzten warmen Sonnenstrahlen erleuchteten den Horizont und tauchten die hügelige Landschaft in rotgelbes Licht. Der Lord ließ die Sonne auf sich und sein Gesicht einwirken. Mit geschlossenen Augen saß er auf einem kleinen Stein und erweckte den Eindruck als würde er meditieren.
Mittlerweile hatte die Wahrsagerin ein Lagerfeuer nicht weit von ihm entfernt angezündet. Jetzt ging sie zu ihm rüber.
„Shen?“
„Mm“, murmelte er leise.
„Das Essen ist fertig.“
Er nickte leicht. Dann erhob er sich und drehte der Sonne den Rücken zu. Nachdenklich beobachtete ihn die Ziege. Er wirkte sehr entspannt. Mit einem leichten Seufzer ließ er sich vor dem Lagerfeuer nieder und sagte kein Wort bis die Wahrsagerin ihm eine Schüssel Suppe reichte.
„Wie lange werden wir noch brauchen bis zu unserem Reiseziel?“, fragte er.
„Nun noch zwei Tage“ Sie sah ihn besorgt an. „Wie fühlst du dich?“
„Ich bin mir nicht ganz sicher. Es ist so anders. Aber es fühlt sich nicht so gut an.“
„Das ist normal, wenn Dinge sich anders als geplant entwickeln.“
Der Lord senkte die Schüssel in seinen Flügeln und starrte in die Brühe.
„Es war mein Traum China zu regieren.“
„Die Hauptsache ist, dass du noch lebst, und deine Eltern stolz machen kannst.“
„Denkst du, sie sind stolz auf mich?“
„Ich bin mir sicher, genauso wie ich es bin.“
„Hast du wirklich gedacht, ich würde ihn töten als ich zum Speer griff?“
Die Ziege schmunzelte. „Ich kenne dich. Du hättest es nie getan. Die Anerkennung nach Ehre war einer deiner Facetten im Leben, was du vor deiner Verbannung hattest. Ich war mir sicher, dass du es nicht vergessen würdest.“
„Ich vermute, dass du mich nie aufgeben willst, oder?“
„Nein.“
Ein sanftes Lächeln umspielte ihren Mund. Und das war ein warmes Gefühl in seiner schneeweißen Seele.
Er sah zurück. Die Sonne war verschwunden. Eine leichte Kühle erfüllte die Luft und ließ in ihm Erinnerungen der letzten Wochen hochkommen. Er sprach es nicht aus, aber er verdankte dem Panda sehr viel. Und er wusste, dass es nicht ihr letztes Treffen sein würde. Der Krieger in schwarz und weiß… und derjenige, der seinen Krieg besiegt hatte. Aber im Gegensatz zum Drachenkrieger verspürte er immer noch keinen inneren Frieden. Irgendetwas fehlte noch. Da war noch etwas. Irgendwo…
 

- Ende vom 1.Teil -

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Kapitel: 34
Sätze: 4.928
Wörter: 48.269
Zeichen: 275.098

Kurzbeschreibung

Was wäre wenn Shen die Schlacht überlebt, jedoch keine zweite Chance bekommt, sondern für seine Missetaten büßen soll? Zumindest aus Sicht der Kung-Fu-Meister, soll er einen qualvollen Tod sterben. Doch was ist, wenn Po eine andere Möglichkeit findet seinen ärgsten Feind mit seiner Gegenwart zu konfrontieren, die beide in ein spannungsgeladenes Erlebnis zwischen dunklem Hass und tiefster Vergebung verstrickt?