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Kapitel: | 33 | |
Sätze: | 8.328 | |
Wörter: | 77.768 | |
Zeichen: | 438.416 |
1. Auf einer Reise
Mit besorgtem Blick schaute der Restaurantbesitzer aus dem Fenster in die dunkle, weiße Nacht.
„Es schneit jetzt schon seit Tagen“, murmelte er und schob die Gardienen zurück.
Das Restaurant lag irgendwo in der Province China in einem kleinen Dorf. Viele Reisende hatten die Chance genutzt dort eine Rast einlegen und Zuflucht vor dem starken, harten Winter zu suchen.
Der Besitzer, ein alter Hase, bediente mit seiner Familie die Gäste. Im Hauptsaal brannte ein großes Kaminfeuer, wo sich die meisten Leute davor versammelt hatten und unterhielten sich über gute und schlechte Zeiten. Einer von ihnen, ein alter Wolf, war der Lauteste von allen und stand auf einem Tisch. Der alte Hase kam gerade mit einem Tablet Gläsern herein, als der Wolf seine Erzählung beendete: „Und so endete es. Ja, an dem Tag so verfuhr der Drachenkrieger mit seinem größten Feind und Kung-Fu-Gegner, und, ich betone es, derjenige, der vor hatte China zu erobern mit seinen gefährlichen Feuerwaffen, machte er ihm ein Friedensangebot. Ja, ich hörte es mit meinen eigenen Ohren.“
„Und was ist dann passiert?“, fragte jemand aus der Menge.
Der alte Wolf zuckte die Achseln. „Das weiß keiner. Niemand weiß es. Einige Leute in den Kasernen sagen, dass er das Tal des Friedens verlassen hatte, wo er das letzte Mal gesehen wurde. Der Drachenkrieger hat nie mehr etwas von ihm gehört. Andere Leute meinen, dass der Lord Pläne für einen neuen Eroberungsfeldzug schmiedet. Im Gegensatz dazu, behaupten andere, dass er irgendwo in den Bergen einen Unfall erlitten hat. Und noch andere sagen, er habe irgendwo eine Stadt errichtet, und niemand weiß wie viele Soldaten sich dort versteckt halten.“
Er nahm das Glas, welches ihm der Restaurantbesitzer hinhielt und leerte es in einem Zug aus. „Aber all dies kann natürlich nur ein Gerücht sein. Ich hörte es nur durch die Gasthäuser, wo ich reinkam. Jeder erzählte ein anderes Ende. Ich habe nur erzählt, was ich von den meisten gehört habe.“
Das alte Kaninchen schaute überrascht in eine Ecke des Raumes, wo ein Schatten sich zum Ausgang bewegte. Während der Wolf zu einer neuen Geschichte ansetzte, nahm die Figur ihre dicke braune Robe, Hut, Stock und Tasche.
„Sie wollen uns schon verlassen?“, fragte er.
Die Figur zögerte. „Ich muss da raus.“
Es war eine sehr junge Frauenstimme.
„Draußen herrscht ein schrecklicher Schneesturm“, warnte der Hase. „Warten Sie bis sich der Sturm gelegt hat. Vielleicht in ein paar Tagen…“
„Nein! Ich muss jetzt gehen!“
Damit öffnete sie die Tür, wo ihr eiskalter Wind entgegenwehte. Der Hase wollte noch etwas sagen, aber die Figur sprang einfach nach draußen und schloss die Tür hinter sich.
„Das ist doch verrückt. Armes Ding.“
Die Lichter der Häuser waren hinter ihr schon verschwunden. Nur Dunkelheit und Schnee umgaben die dunkle ummantelte Gestalt. Schnellflocken tanzten wild um sie herum wie funkelnde Sterne.
Der Pfad war kaum zu erkennen, doch es konnte nicht mehr allzu weit sein.
Während sie den Weg entlang ging, dachte sie über die Geschichte nach, die sie im Restaurant gehört hatte. Diese hatte sie schon in vielen anderen Gasthäusern gehört. Es war der einzige Hinweis, dem sie nachgehen konnte. Einen anderen hatte sie nicht.
Der Drachenkrieger. Er war der Einzige, der ihr helfen konnte. Die einzige Möglichkeit ihn zu finden.
„Ich muss ihn finden“, flüsterte sie.
Ihr langer Mantel verwischten ihre Fußabdrücke im Schnee.
„Ich werde ihn finden.“
Ein Schauer der Kälte und Angst erschütterte ihren Körper.
„Wir brauchen ihn.“ Sie holte etwas aus der Tasche heraus. „Mehr als das.“
Und sie braucht dich.
„Oh, Po!“
Po knallte gegen einen Holzbalken, als er gerade aufstehen wollte. „Ja, Dad?“
„Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mir nicht helfen musst. Du solltest besser das Tal und China beschützen.“
„Aber, Dad“, protestierte der Panda und stellte sich auf seine Füße. Er legte das Handtuch beiseite, mit dem er zuvor den Boden gewischt hatte und strich sich über die Hose. „Du kannst das doch nicht alles alleine machen mit deinem Bein.“
Damit deutete er auf Mr. Pings eingegipstes Bein.
„Aber, Po, ich bin doch nur auf dem Eis ausgerutscht. Es ist nicht gebrochen. Ich hab ihn mir nur verstaucht.“
„Wie auch immer. Ich werde mich solange um dich kümmern, bis deine Haushaltshilfe kommt, die du bestellt hast.“
„Bei dem Wetter?“ Mr. Ping fuchtelte wild mit den Flügeln. „Es liegt mehr Eis draußen als Haare auf einem Bärenfell. Es schneit schon seit vielen Tagen. Ich denke nicht, dass jemand die nächsten paar Tage den Weg zu unserem Dorf findet. Oder Wochen. Oder bis der Winter vorbei ist.“
Po rieb sich den Kopf. „Vielleicht. Aber du kannst nicht mit einem verstauchten Fuß arbeiten.“
„Aber, Po. Der Nachbar hilft mir doch ab und zu aus.“
Po verengte die Augen auf eine gelangweilte Art und Weise. „Ja, und er braucht mehr Zeit den Weg zu einem Tisch zu finden mit seinen schlechten Augen.“
„Seine Brille ist kaputt gegangen.“
Mr. Ping beugte sich runter und schaute in eine Ecke. „Oh.“
„Was ist los, Dad?“
„Uns ist das Feuerholz ausgegangen. Ich muss sofort neues besorgen.“
„Nein, Dad!“ Po packte den Gänserich und setzte ihn fest entschlossen auf einen Stuhl. „Das mache ich!“
„Aber Po…“
„Keine Chance! Ich bringe dir das Holz für den Ofen.“
Damit schnappte der Panda sich einen Korb und rannte damit in den Schnee.
Mr. Ping beobachtete ihn eine Weile bis sein Sohn verschwunden war. „Er ist ein guter Junge.“
„Oh, das ist ein großer.“
Po hob einen Ast auf, doch dieser stecke fest.
„Oh, ko-mm scho-n!“
Er zog und zog und fiel nach hinten.
„OH, verdammter Schnee! Hey, ich brauche meine Knochen noch!“
Er sprang auf und stierte wütend auf den Ast.
„Hey! Willst du dein Hitzefeuer meinem Dad vorenthalten? Oh, komm schon! Bringen wir es hinter uns! Heah!“
Er formte einen Schneeball und warf ihn auf den Ast.
Plötzlich kam ihm eine Idee.
„Okay, perfekt.“
Er machte ein paar Schritte zurück und betrachtete sein Kunstwerk. Dann positionierte sich Po vor die Schneefiguren, ein bisschen kleiner als er, und mit Steinen und Ästen gemachtes Gesicht verziert, und setzte eine lässige, gelangweilte Miene auf. In seiner Kindheit hatte er das sehr oft gespielt.
„Äh, hast du was gesagt? Willst du was von mir? Willst du Ärger? Wirklich? Böser Fehler. Gegen die gefährlichen Fäuste des Drachen hast du keine Chance… Whaha! Whahhahai!“
Er schlug und trat gegen die Schneemänner bis sie nur noch zerstampfter Schnee waren.
„YEah! Nichts steht gegen...!“
Plötzlich drang eine laute Frauenstimme durch den verschneiten Wald.
Der Panda spitzte die Ohren. „Was?“
Der Schrei hallte erneut.
„Da ist Gefahr im Verzug!“
Hastig blickte er sich um und reckte den Hals. „Ich komme! Halte aus!“
Po rannte in die Richtung, wo er die Stimme vermutete.
„Bleibt weg von mir!“, rief die Frau weiter.
„Oh, kleine Lady will spielen“, ertönte eine spöttische Männerstimme.
Völlig außer Puste erreichte Po den Platz und hielt für einen Moment die Luft an. Auf einer verschneiten Waldlichtung standen vier Wildkatzen mit höchst unfreundlichen Gesichtern. Zwei von ihnen hatten eine Figur im langen Mantel und Strohhut eingekreist. Die zwei anderen waren damit beschäftigt den Inhalt der Tasche auf den Boden auszuschütten und suchten nach Wertgegenständen.
„Nichts drinnen“, sagte einer von ihnen.
„Vielleicht versteckt sie es unter den Klamotten.“
Die Figur wich zurück, den Stock feste vor sich haltend. „Wagt es ja nicht! Ich habe nichts mehr bei mir!“
„Das werden wir ja sehen. Packt sie!“
Die Frau schlug mit ihrem Stock wild um sich und traf mehrere Male die Pfoten ihrer Peiniger, war aber nicht schnell genug. Einer von ihnen sprang sie an wie ein geölter Blitz und kickte sie zu Boden. Sie fiel rückwärts nach hinten und landete im Schnee.
Po konnte nicht mehr länger dabei zusehen. „Das reicht!“
Er nahm einen gehörigen Anlauf und startete zum Angriff. „Hey! DuAhhhhahhhaa….“
Po rutschte aus. Er stolperte mehrere Male, wobei sich sein Körper nach und nach mit Schnee bedeckte, der immer dichter und größer wurde bis er in einem großen Schneeball umhüllt den Hügel runterrollte.
Die Wildkatzen wussten nicht was sie davon halten sollten und starrten nur auf die gigantisch rollende Schneekugel. Doch bevor sie sie erreichte, sprangen sie zur Seite und der Schneeball-Panda knallte gegen den nächsten Baum. Schnee flog durch die Luft und Po landete mit einem "Bang" rückwärts in ein Schneefeld.
„Oh, Wahnsinn“, murmelte er.
Doch dann erinnerte er sich an den Grund für seine dimensionale Schneeballschlacht und war sofort wieder auf den Beinen.
„Hey, du Fettwanst!“, schimpfte einer der Wildkatzen. „Wie kannst du es wagen?!“
Po spannte die Arme an.
„Nein, es muss heißen: Wie könnt ihr es wagen! Entweder ihr verschwindet oder ihr bekommt das.“
Er hob seine geballten Fäuste
Die Katzen knurrten. „Einladung für ne Henkersmahlzeit.“
Po zögerte. Offensichtlich waren sie nicht von hier. „Ein Kampf? Na schön. Meine Fäuste hungern nach einem Gefecht. Whahai!“
Alles ging so schnell, dass niemand es im Detail hätte sehen können. Die vier Katzen sprangen auf den Panda, doch Po wusste es sich zu verteidigen. Die meisten Schwierigkeiten bereitete er seinen Angreifern mit seinem dichten Fell. Jeder, der ihn in den Bauch oder Rücken kickte, fiel von der Schlagwucht sofort zurück.
Der Panda schwang die Arme. „Und jetzt zum Hauptgang!“
Po gab alles. Diese Gauner sollten es niemals mehr wagen eine hilflose Frau zu überfallen. Die Katzen waren schnell, doch nach mehreren Schlägen ins Gesicht, verging ihnen die Lust für um nichts zu kämpfen.
„Suchen wir nach einer anderen Beute!“
Damit machten sie sich aus dem Staub und verschwanden im Wald.
Po wischte sich über den Kopf. „Puh. Ich bin aus der Übung. Meine Gelenke sind wohl während der Winterpause etwas eingerostet.“
Doch in der nächsten Sekunde fiel ihm wieder ein, warum er eigentlich gekämpft hatte und drehte sich schnell zu dem Überfallopfer um. Die Gestalt lag still im Schnee. Langsam und besorgt trat Po näher an sie heran.
„Hey, alles in Ordnung?“
Er beugte sich runter und hob den Hut etwas hoch, der ihr Gesicht bedeckte. Schwache silberne Augen eines Vogels schauten zu ihm auf. Fingerfedern wurden sichtbar unter der dunkelbrauen Robe. Ihr Gesicht war hellbraun und ihre Flügel schimmerten helllila.
„Ich bin okay“, sagte die Vogelfrau. „Mir ist nur etwas kalt.“
Po berührte ihren Flügel. „Ein bisschen? Du bist fast unterkühlt. Du musst dich aufwärmen.“
„Nein, ich muss weiter…“
Sie wollte sich aufrichten, doch dann…
Po erschrak und lehnte sich vor, noch bevor sie wieder in den Schnee zurückfallen konnte.
„Hey, kannst du mich hören? Hallo? Hallo?“
Doch das Mädchen sagte kein Wort mehr. Ihre Augen waren fast geschlossen. Nein, sie konnte keinen Schritt mehr weitergehen.
„Keine Sorge. Ich bringe dich an einem warmen Ort.“
Vorsichtig hob der Panda sie hoch und trug sie durch die verschneite Landschaft. Während er den Weg zum Dorf zurückging, fielen ihm zwei Dinge an ihr auf: Ersten, sie war nicht schwer, und zweitens, sie war eine Pfauenhenne.
„Dad?“
„Oh, Po. Schon so schnell wieder zurück?“
„Dad, komm schnell!“
In der nächsten Sekunde schaute Mr. Ping um die Ecke. Er vergaß fast sein Bein, als er die Pfauenhenne in Pos Armen sah.
„Oh, wer ist denn das?“
„Ich hab sie draußen aufgegabelt“, berichtete Po. „Sie benötigt dringend Wärme!“
„Was für ein Glück“, meinte Mr. Ping. „Die kleinen Forstbeulen werden alsbald wieder abheilen.“
Der Panda nickte dem Gänserich dankbar zu. „Danke für dein Hilfe, Dad.“
Po saß neben einem Bett in dem die Pfauenhenne jetzt lag. Sie war noch immer bewusstlos, aber ihre Atmung verlief gleichmäßig.
Nachdenklich betrachtete Po sie. „Ich frage mich, was sie da draußen nur wollte. Mitten in der tiefsten Winterzeit.“
„Oh, sieh nur!“, rief Mr. Ping.
Die Pfauenhenne bewegte ihre Gesichtsmuskeln und begann zu blinzeln.
Po beugte sich weiter vor und winkte mit der Tatze. „Hi.“
Langsam bewegte sie die Augen ein wenig. „Wo bin ich? Ich war… im Schnee…“
„Tja, jetzt liegt du in einem warmen Bett.“
Sie tastete über die Decke.
„Wie fühlst du dich?“
„Ein bisschen… schwindelig.“
„Das geht vorbei“, beruhigte Mr. Ping sie und hielt ihr eine Schüssel hin. „Ich habe hier eine Suppe für Sie. Das wird Sie aufwärmen.“
Po half ihr sich aufzurichten. Wenigstens hatte sie wieder genug Kräfte gesammelt, um die Schüssel halten zu können. Mit einem dankbaren Nicken nahm sie sie an sich. „Danke.“
Sie nahm mehrere Schlucke. Der Dampf wirbelte sich unter ihren Atemzügen.
Po versuchte ein Gespräch. „Wie heißt du?“
Sie zögerte einen Moment, bevor sie antwortete.
„Xia.“
„Nett dich kennen zu lernen. Ich bin Po. Und das ist mein Vater.“
Verwundert schaute sie ihn an. „Dein Vater?“
„Nun, wir sehen uns nicht ähnlich, aber immerhin…“
Er beobachtete sie. War sie so verwirrt über seinen Vater? Sie saß schweigend im Bett, starrte in die Suppenschüssel wie im Trance und bewegte sanft den Schnabel. „Einen Vater.“
„Alles okay?“
Sie zuckte zusammen. „Nein, ja… ähm.. ich weiß es nicht.“
Sie legte die Schüssel beiseite und rieb sich die Stirn mit tiefem Seufzer.
„Nun, wo wolltest du hin, was ist dein Ziel?“, fragte Po vorsichtig. „Warum bist du zu dieser Zeit durch den Schnee gegangen?“
Sie schaute auf und beäugte ihn unsicher. Dann holte sie verzweifelt Luft.
„Ich war auf dem Weg, um den Drachenkrieger zu finden. Er soll in einem Tal des Friedens leben.“
Po riss vor Überraschung die Augen auf.
„Du bist im Tal des Friedens.“
Jetzt wurden ihre Augen weit. „Bin ich das?“
„Ja, und der Drachenkrieger, nach dem du suchst, steht gerade vor dir.“
Sie sah ihn ungläubig an. „Du? Du bist der Drachenkrieger?“
Po lächelte. „Nun, vielleicht sieht es nicht so aus, aber ich bin es, offiziell.“
Der Panda erschrak, als er Tränen in ihren Augen sah.
„Dem Himmel sei Dank, ich hab dich gefunden!“
Po wich zurück. Die Pfauenhenne war aufgesprungen und griff nach seinem Arm.
„Jetzt wird alles wieder gut!“
Sie lehnte ihren Kopf an sein Fell, dass er ein wenig errötete. „Äh, danke, äh… Brauchst du Hilfe?“
Sie lockerte ihren Griff und sah ihn flehentlich an. „Mehr von jemand anderen.“
„Einem anderen?“
„Ja, ich habe nach dir gesucht, weil du mir sagen kannst, wo ich ihn finden kann.“
„Wen?“
„Lord Shen.“
Po riss die Augen noch weiter auf. „Warum willst du das wissen?“
„Zeig mir nur, wo er ist! Es ist sehr wichtig!“
Ihr Griff um seinen Arm wurde enger. Po wusste nicht, was er davon halten sollte und beäugte sie neugierig. Sie war jung. Vielleicht sogar jünger als er. Doch warum wollte sie den Lord sehen? Er verzog skeptisch den Mund. Sie war eine Pfauenhenne und er ein Pfau. Vielleicht eine Verehrerin. Shen war ja keine unbekannte Person.
„Nun, ich weiß nicht, ob er jemanden sehen möchte...“
„Ich muss ihn sehen! Jetzt sofort!“
„Jetzt sofort? Das ist nicht dein Ernst, oder? Es ist Winter. Die Straßen sind völlig verschneit. Besser du wartest bis… vielleicht nächste Woche.“
„Nein! Ich muss ihn sofort sprechen! Es geht um Leben und Tod!“
„Leben und Tod? Äh, also ist es in diesem Fall ein Notfall?“
„Ja, ist es!“
„Mmm, nun…“ Po dachte nach. „Wenn es so dringend ist.“
„Aber, Po“, mischte Mr. Ping sich ein. „Weiß du denn, wo er wohnt?“
„Natürlich weiß ich das.“
Mr. Ping war überrascht. „Wirklich, woher?“
„Er hat mir vor ein paar Wochen einen Brief geschrieben.“
Damit lief er in die Ecke seines Zimmers, wo er allerlei Sachen aufbewahrte, seine Spielsachen, Schüsseln und allerlei Papiere.
„Oh, da ist es ja.“ Er zog eine Schriftrolle heraus. „Er schrieb, dass er eine Stadt in den Mianyang Bergen errichtet hat.“
„Im Mianyang Gebirge?“ Mr. Ping war nicht gerade begeistert. „Aber, Po, das ist mehr als vier Tage von hier entfernt. In der Winterzeit brauchst du vielleicht sogar fünf Tage.“
„Das nehme ich in Kauf“, sagte Xia. „Ich bin schnell.“
„Warte“, hielt Po sie zurück. „Du willst dahingehen? Alleine?“
„Ich reise schon die ganze Zeit alleine.“
„Aber vielleicht wirst du Probleme vor seinem Haus bekommen.“
„Warum, Po?“, fragte Mr. Ping
„Er schrieb auch, dass niemand ohne Genehmigung reinkommen darf. Die Stadt ist immer noch in der Aufbauphase und er erlaubt keine Fremden. Und ich kann mir nicht erlauben, sie alleine gehen zu lassen. Vielleicht friert sie sich draußen noch zu Tode.“
Mr. Ping hielt den Atem an. „Du kannst es ihr nicht erlauben… warte, warte! Wovon redest du da? Du willst sie nicht alleine gehen lassen? Po, du wagst doch nicht etwa, oder?“
„Aber Dad, ich kann sie doch nicht ohne Begleitung weiterreisen lassen.“
„Begleitung?“ Xia sah ihn mit großen Augen an. „Heißt das, du willst mit mir mitkommen?“
„Natürlich werde ich das. Als der Drachenkrieger bin ich jederzeit bereit zu helfen.“
„Aber, Po. Was wird dein Lehrer dazu sagen?“
„Was soll er denn sagen?“
„Du weißt, dass er nicht über dein Vorhaben begeistert sein wird.“
„Shifu? Ach, keine Sorge. Ich überrede ihn schon.“
„Nein, Po!“
„Aber, Meister…“
„Nein, du bleibst hier!”
„Aber das ist ein Notfall! Es geht hier um Leben und Tod! Ist doch so, oder?“
Xia nickte.
Sie stand mit Po und Meister Shifu in der Palast-Halle. Shifu ging hektisch auf und ab und warf ihr immer wieder einen skeptischen Blick zu. Es schmeckte ihm überhaupt nicht, dass sie eine Pfauenhenne war.
„Dein Platz ist hier!“, versuchte er es erneut.
„Aber die Furiosen Fünf sind doch da“, wandte Po ein. „Sie sind stark genug, um das Tal ohne mich zu beschützen, genauso wie sie es früher immer getan haben.“
Shifu hielt an, seine Hände auf den Rücken verschränkt und starrte den Panda grimmig an.
„Po, komm mal her.“
Der Drachenkrieger seufzte. Er gab Xia einen entschuldigenden Wink und folgte Shifu in eine Ecke der Halle.
„Was macht dich so sicher, dass du ihr vertrauen kannst?“, zischte Meister Shifu, jedoch so leise, dass sie es nicht hören konnte.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß es eben.“
„Das ist keine Erklärung.“
„Aber ich bin der Einzige, der sie zu der neuen Stadt bringen kann.“
„Und was macht dich so sicher, dass Shen dich wieder gehen lassen wird?“
„Aber Meister Shifu. Wir gaben uns doch das Versprechen unsere Waffen ruhen zu lassen.“
Shifu verengte die Augen. „Es ist ein Leichtes für ihn ein Versprechen zu brechen. Denk darüber nach. Er ist immer noch ein Gesetzloser.“
„Meister.“ Mit flehentlichem Blick sah Po seinen Lehrer an. „Bitte, lassen Sie mich mit ihr gehen. Sonst werde ich solange keine Ruhe geben bis sie ihr Ziel erreich hat.“
„Weißt du denn, was sie dort will?“
„Nein, sie will es nicht sagen.“
„Warum willst du dann das Risiko eingehen?“
„Weil ich ihr vertraue. Ich kann nicht glauben, dass sie böse Absichten hat, und ich glaube nicht, dass Shen mich bedrohen wird. Ich werde beweisen, dass er mir vertrauen kann.“
Shifus Augen nahmen einen eisigen Ausdruck an. „Po. Gutgläubigkeit kann sehr schnell in Naivität umschlagen. So etwas ist gefährlich.“
„Selbst wenn es so ist, dann lassen Sie es mich wenigstens herausfinden.“
Shifu seufzte. Sorgenvoll senkte er den Blick. „Ich sehe, mein Einfluss ist nicht stark genug. Doch sei gewarnt. Du bist dann ganz auf dich alleine gestellt. Völlig alleine.“
„Ich weiß. Keine Sorge. Ich war schon vorher mit ihm allein zusammen. Es kann nur besser werden.“
„Po, versprich mir, dass du auch immer genug isst.“ Mr. Ping zog einen großen Rucksack hinter sich her und gab ihn an Po weiter. „Ich hab dir extra genügend eingepackt.“
„Aber, Dad. Du solltest doch mit deinem Bein nicht so schwere Sachen schleppen“, sagte Po und nahm ihm den Rucksack ab. „Und nebenbei bemerkt, kommen wir unterwegs an vielen Herbergen vorbei.“
„Na und? Man bekommt doch immer Hunger auf dem Weg.“
„Schon klar, Dad.“
Damit schulterte Po sich den Rucksack über.
Er stand vor Mr. Pings Haus und war fertig für die Reise. Auch Meister Shifu, der allerdings immer noch nicht mit seiner Entscheidung einverstanden war. „Auch wenn ich deine Reise immer noch sehr missbillige, so wünsche ich dir dennoch viel Glück. Und komm gesund wieder zurück.“
„Alles klar, Meister. Wir sehen uns.“
„Und wir sollen wirklich nicht mit dir mitkommen?“
Monkey war ein bisschen enttäuscht, dass ihr Freund wieder eine Reise ohne sie unternahm. Doch Po schüttelte den Kopf und sah seine fünf Freunde dankbar an.
„Nein, danke, aber nein. Shen hat gesagt, dass er niemand anderen in seine Stadt erlaubt. Besonders keine Kung-Fu-Krieger, außer mir. Ihr habt die Aufgabe euch um das Tal zu kümmern. Aber…“ Er beugte sich zu ihnen vor. „Ihr könnt mir einen Gefallen tun, indem ihr ab und zu meinem Vater etwas bei den Hausarbeiten helft, okay?“
„Was hast du gesagt, Po?“
„Nichts, Dad! Nun denn. Wir sehen uns! Bis dann.“
„Oh, Po.“ Mr. Ping gab ihm eine letzte Umarmung. „Pass gut auf dich auf und komm sicher wieder nach Hause.“
„Mach ich, Dad. Und versprich mir, dass du dein Bein schonst. Okay, gehen wir.“
Xia hatte draußen vor dem Tor gewartet und schenkte ihm ein dankbares Nicken.
„Du musst das nicht tun, dass weißt du schon.“
„Ich weiß“, sagte Po und lächelte ihr zu. „Doch ich bring dich gerne zur Stadt. Nun denn, auf Wiedersehen! Tschüss, Leute! Tschüss, Meister Shifu! Tschüss, Dad!“
Mr. Ping und seine Freunde winkten ihm nach. Nur Meister Shifu starrte ihm hinterher und murmelte nur einen einzigen Satz: „Viel Glück, Drachenkrieger.“
Mehrere Tage wanderten sie durch Eis und Schnee. Unterwegs legten sie Pausen in mehreren Gaststätten ein. Am vorletzten Tag erreichten sie die letzte Etappe vor den Mianyang Bergen.
„Viele Dank, dass Sie uns ein Zimmer anbieten“, sagte Po und betrat einen kleinen Raum, was der Herbergsvater, ein alter Gänserich, ihnen zur Verfügung stellte.
„Wir haben selten Besuch“, sagte er und zeigte ihre Betten. „Für eine Nacht könnt ihr bleiben. Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
Der Herbergsvater verließ sie und schloss die Tür. Po sah aus dem Fenster, wo er die ersten Berge des Gebirges sehen konnte. „Nun, wir stehen jetzt am Rande des Mianyang Gebirges. Und morgen werden wir in der Stadt sein.“
Damit warf er sich aufs Bett und streckte seine kalten Füße. „Oh, oh. Was für ein Spaziergang. Was ist mit dir? Sind deine Füße auch so eingefroren?“
Als er keine Antwort erhielt, sah er auf. Die Pfauenhenne blickte nun ebenfalls aus dem Fenster, wo es draußen schon langsam dunkel wurde.
„Po?“
„Ja?“
„Wie ist er eigentlich?“
„Mmh?“
„Ich meine“, sie löste sich vom Fenster und ging zu ihm rüber. „Du hast mir gesagt, dass er und du, Feinde gewesen ward, vom ersten Tag an. War es nicht so?“
„Mm, ja.“
„Und jetzt?“
Po senkte den Blick. Er wusste nicht, ob es klug war ihr die ganze Wahrheit über ihn zu sagen. Und er musste zugeben, dass er selber nicht alles über den Lord wusste, der seine Familie ermordete und viele anderen Leute. Wer war sie nur? Was sollte sie wissen und was nicht?
Die Pfauenhenne knetete ihre Flügel. „Du musst nicht antworten, wenn du nicht willst.“
„Doch, doch, aber, es ist eine lange Geschichte. Eine sehr lange Geschichte.“
„Ich hab Zeit.“
Der Panda war ein wenig beeindruckt. Sie wollte etwas wissen, wollte ihn aber nicht drängen. Po seufzte und beschloss zumindest nur die Hauptereignisse zu erzählen, die er wusste.
„Okay.“
Damit setzte er sich im Bett auf, während Xia auf ihrem eigenen Bett Platz nahm und ihn aufmerksam beobachtete.
Po räusperte sich. „Nun, alles begann in einer weit entfernten Stadt namens Gongmen. Doch mein richtiges Leben startete im Tal des Friedens…“
Und damit begann Po zu erzählen was alles damals passiert war. Zuerst wie er zum Drachenkrieger geworden war, und wie er erfuhr, dass sein Vater nicht sein richtiger Vater war, der Weg nach Gongmen, und was Shen vorgehabt hatte. Details zum Massaker im Panda-Dorf hingegen ließ er aus. Dann darüber wie er seinen inneren Frieden gefunden hatte, wie er Shens Armee besiegt hatte, wie er Shen erneut wieder getroffen hatte und was sich danach alles im Tal des Friedens bis zum Fest des Friedestages ereignet hatte.
Xia unterbrach ihn nicht. Sie lauschte seinen Worten wie in einem tiefen Traum.
„Und das war der letzte Tag, wo ich ihn gesehen hatte“, beendete Po seine Geschichte. „Bis er mir einen Brief geschickt hatte. Er hat übrigens hinzugefügt, dass es nicht seine Idee gewesen war, sondern die der Wahrsagerin, die ihn geraten hatte mich zu informieren.“
Er sah sie an. Sie war immer noch gefangen in seinem Bericht.
„Und das war alles.“
Wie aufs Stichwort begann die Pfauenhenne sich wieder zu bewegen, als wäre sie gerade aus einer Trance erwacht.
Sie senkte den Blick und flüsterte ein sanftes: „Danke.“
Po beobachtete wie sie sich auf ihr Bett legte und an die Zimmerdecke starrte.
„Möchtest du sonst noch über etwas reden, oder wissen?“, fragte er vorsichtig.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, aber danke, dass du mir das erzählt hast.“
„Kein Problem“, antwortete er etwas unsicher. War es nun gut oder schlecht?
Sein Blick fiel nach draußen. Die Nacht war angebrochen.
„Nun, wir sollten schlafen. Und morgen sehen wir weiter.“
„Mm, ja, dann sehen wir weiter.“
Ihre Stimme klang schwach, doch Po wollte sie drauf nicht ansprechen.
„Okay, gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
Und dies waren auch die letzten Worte, die sie miteinander in dieser Nacht wechselten.
„Okay, dieses Schild ist neu.“
Nachdenklich rieb sich Po übers Kinn, während er den Wegweiser beäugte. Sie standen in der verschneiten Landschaft auf einem großen, breiten Pfad, der durch die Berge führte.
„Changkong“, las er. „Nun, entweder ist es der Name der Stadt oder von der Gegend. Wie auch immer, gehen wir weiter. Es muss gleich hinter diesem Hügel sein.“
Po ging voraus. Xia folgte ihm. Jetzt jedoch ein bisschen langsamer als vorher.
„Ist dir kalt?“, fragte Po.
„Nicht wirklich.“
Sie schlang ihre Robe enger um sich.
„Wir sind ja fast da“, redete er ihr aufmunternd zu. „Ich bin mir sicher, dass wir einen warmen Platz bekommen werden…“
Er hielt inne. Xia sah ihn überrascht an. „Stimmt etwas nicht?“
„Äh, nein, nur ein paar…“
Er deutete nach vorne. Am Ende des Pfades, wo der Weg steil nach oben ging, standen zwei große Figuren in dicken Schafsfellen.
„Ich glaube, wir sind näher dran als ich dachte“, murmelte Po.
Damit ging er auf die zwei vermummten Gestalten zu und winkte ihnen zu.
„Hey! Hallo! Sind wir hier richtig an der Stadt von Lord Shen? Er soll soweit ich weiß hier wohnen.“
Mit grimmigen Blicken starrten die zwei Ziegenböcke auf die fremden Reisenden herab.
„Wer will das wissen?“, frage einer von ihnen mit tiefer, verärgerter Stimme.
„Nun”, begann Po von neuem. „Wir waren in der Nähe und… oh.“
Erst jetzt fiel ihm das große Holzschild hinter den zwei Wächtern auf, wo ein großer roter Pfau mit weit geöffneten Schwingen und langen Schwanzfedern abgebildet war.
„Wow, er hat sei Logo geändert. Sehr nett.“
Die zwei Ziegenböcke schnaubten verärgert und Po kam auf den Grund ihrer Anwesenheit zurück.
„Wir wollen gerne mit Lord Shen sprechen. Ist er zuhause?“
Die großen Ziegen stießen so stark die Luft aus den Nüstern, dass dem Pfanda und der Pfauenhenne der Wind über ihre Köpfe wehte.
„Keine Fremden“, schnaubte der Erste. „Befehl.“
„Nun, wir, oder ich bin kein Fremder genauer genommen. Ich bin der Drachenkrieger.“
Doch die Wachen zeigten sich unbeeindruckt von dieser Verkündung.
„Keine Fremden. Auch keine Fast-Fremden. Niemand.“
„Aber es ist sehr wichtig!“, drängte Po. „Meldet uns an.“
„Der Lord erlaubt keine Besuche.“
„Hey, habt ihr denn nichts Besseres zu tun, als einen auf Smalltalk zu machen?“
Ein sehr kleines Schaf, mit kleinen Hörnern auf dem Kopf und rot-gelben Mantel, tauchte zwischen den beiden Giganten auf, aber seine Stimme hatte die von einem erwachsenen Mann. Jetzt sah auch er die beiden Reisenden.
„Wer ist das?“, fragte es mit zusammengekniffenen Augen.
„Unruhestifter“, klärte ihm einer der Riesen auf. „Sie wollen den Lord sehen.“
„Sorry, aber der Lord ist sehr beschäftigt“, gab das kleine Schaf als Antwort.
Jetzt wurde Po ungeduldig. „Wir auch. Das ist ein Notfall!“
Doch das kleine Schaf zeigte kein Interesse. „Tut mir leid, schafft sie weg.“
„HEY! So behandelt man aber nicht den Drachenkrieger!“
Plötzlich hielt das Schaf mitten im Gehen inne. „Du bist der Drachenkrieger?“
„Nun, es sieht vielleicht nicht so aus. Aber ich bin es.“
„Oh, in diesem Fall ist es was anderes. Lasst ihn durch.“
Po war etwas verwirrt. Meinte das kleine Schaf es ernst oder sollte das nur ein Scherz sein, um sie anschließend wieder rauszuwerfen?
„Wirklich? Kein Witz?“
Das Schaf winkte mit dem Huf. „Komm schon.“
„Und was ist mit ihr? Sie gehört zu mir.“
Po deutete auf Xia, die immer noch vor der bewachten „Tür“ stand und unsicher zwischen den beiden Wächtern hin und her schaute.
Das kleine Schaf strich sich übers Kinn. „Nun. Der Lord wird es entscheiden.“
Po seufzte erleichtert. „Du hast es gehört. Komm rein.“
Zuerst zögerte sie, doch dann gab sie sich einen Ruck und schritt den Weg hoch, den das kleine Schaf ging und gemeinsam erklommen sie den Hügel.
„Woher weißt du von mir?“, frage Po.
„Jeder weiß über dich Bescheid“, antwortete das kleine Schaf.
Po schaute nach hinten zu den Wachleuten. „Aber nicht diese zwei.“
„Sie haben ihre Befehle und nehmen ihren Job sehr ernst“, klärte das kleine Schaf ihn auf. „Es könnte ja jeder behaupten, dass er der Drachenkrieger wäre.“
„Und warum glaubst du mir, dass ich der Drachenkrieger bin?“
„Meine Großtante hat dich mir genau beschrieben.“
„Deine Großtante?“ Po zögerte einen Moment. „Könnte es sein, dass…“
Plötzlich hielt er an. Sie hatten die Spitze des Hügels erreicht. Mit offenen Mündern blickten sie nach unten.
Po rieb sich die Augen und starrte erneut nach vorne. Unterhalb des Hügels lag ein gigantisches Plateau, welches sich zwischen niedrigen und höheren Bergen erstreckte. Auf seiner flachen Bergfläche standen mehrere kleine und größere Gebäude, eingehüllt in einem dichten Geflecht von Baustellen-Gerüsten. In diesen Baustellen bewegten und arbeiten unzählige Schafe, Ziegen und Schafböcke.
Der Panda und die Pfauenhenne waren so gefangen von diesem Anblick, dass sie den winkenden Huf des kleinen Schafes zunächst nicht wahrnahmen, welches ihnen signalisierte ihm zu folgen.
So gingen sie den breiten Weg hügelabwärts, bis sie am Baustellen-Gebiet der Stadtmauer ein großes Tor erreichten. Auf der linken und auf der rechten Seite postierten zwei große Ziegenböcke. Po beäugte die beiden Türen auf dem auf jeder Seite ein roter Pfau mit weit geöffneten Flügeln abgebildet war. Po konnte nicht sagen, ob er es als eine Angriffs- oder eine Willkommensgeste deuten sollte. Vielleicht beides.
Die großen Ziegen-Wächter schnaubten und starrte zu ihnen hinunter.
Doch das kleine Schaf zeigte keinerlei Furcht und hob auffordernd den Huf. „Öffnet das Tor!“
Po dachte schon, die beiden würden Widerstand leisten, doch kurz darauf wurde das Tor tatsächlich geöffnet.
Das kleine Schaf trat zuerst ein. Die Besucher folgten ihm. Po winkte den Wachen heiter zu.
„Hey, Kumpel, was geht?”
Doch der Bock antwortete nicht, sondern starrte ihn nur mit grimmigen Blick an.
Po lächelte verschmitzt. „Ebenfalls.“
Schnell rannte er den anderen hinterher, wurde aber sogleich wieder langsamer. Mit einem Schaudern im Nacken sah er sich um.
„Wow!“
Noch nie in seinem Leben hatte Po so viele Haus-Baustellen auf so engen Raum gesehen. Schwer beladene Schafe und Ziegen, die Steine und andere Baumaterialien auf Karren hinter sich herzogen. Andere hantierten an kleine chinesischen Häuser, Schafe fegten die Räume aus, andere wiederum kochten Essen. Entlang der Mauern und Häuser hingen Seile im Flaschenzug, um die Steine daran hochzuziehen.
„Sehr belebter Ort“, murmelte Po.
„Die Stadt steht noch am Anfang“, erklärte das kleine Schaf. „Aber wir machen Fortschritte.“
Sie spazierten durch die Baustellen der neuen Stadt bis sie ihr Hauptziel erreicht hatten.
„Oh“, hauchte Po voller Bewunderung. „Das ist sehr beeindruckend.“
Wieder standen sie vor einer Mauer, was Po an die Mauern um den Turm von Gongmen erinnerte, nur diesmal ohne einen Turm in der Mitte.
Neugierig reckte der Panda den Hals. Aber er musste nicht länger warten. Die Mauerntore wurden geöffnet und Po konnte sich um ein erneutes „Wow“ nicht bremsen.
Zur rechten und zur linken standen mehrere große Ziegenböcke und Steinböcke mit Lanzen verteilt auf der Mauer. Das kleine Schaf führte sie vorwärts und sie überquerten einen großen leeren Platz. Po lief ein Schauer unter sein Fell. Das Feld, gepflastert mit bestem Stein, war so groß, dass eine ganze Armee darauf locker Platz gehabt hätte. Diese unangenehme Weite zwang ihn sich hastig umzuschauen. War das eine Falle?
Doch die Ziegen und Steinböcke, die an den Mauern patrouillierten, erweckten nicht den Eindruck, einen Angriff auf sie zu planen. Dennoch beobachteten sie jeden Schritt von ihnen.
Endlich hatten sie das große Haupthaus erreicht. Es besaß ein typisch chinesisches Dach und erinnerte von der Form her an den Jade-Palast. Nur etwas größer. Die Wände waren rot bestrichen, Säulen aus Silber, die Fassaden bedeckt mit wehenden Flaggen mit roten Pfauen auf weißem Hintergrund oder weiße Pfauen auf roten Hintergrund. Jedoch stand keine Baustelle mehr drum herum. Anscheinend war dieses Haus als erstes fertiggestellt worden.
„Sehr nett“, meinte Po und hielt an. „AHA, mein guter alter Feind und Freund…“
Verwundert beobachtete Xia, wie die Augen des Pandas nach oben wanderten.
„Stufen!“
Das Palastgebäude stand auf dem leeren Platz wie eine Insel. Doch um an die Haustür zu gelangen, musste man die Stufen hochsteigen, die aus hundert oder mehr bestanden.
„Nun, besser als zuhause“, seufzte Po wehmütig und setzte den ersten Fuß auf die erste Stufe. Doch dann hielt er inne und drehte sich um. Xia stand still da und schien unsicher zu sein ihm zu folgen.
„Oh, komm schon“, sagte Po. „Das ist immer noch besser als einen Berg hochzuklettern.“
Jetzt gab sie sich einen Ruck und nahm eine Stufe nach der anderen. Zusammen gingen sie hoch bis sie die letzte Stufe überwunden hatten und standen vor großen Flügeltüren. Das Schaf klopfte an. Es dauerte nicht lange und ein sehr, sehr kleines Fensterchen wurde in der Tür geöffnet. Der Ziegenbock im Haus fragte etwas, und das Schaf antwortete. Kurz darauf wurde das Fenster wieder geschlossen und die großen Türen geöffnet.
Sie betraten eine weiße, rote, zusammen mit Farben aus Gold, Silber dekorierten Korridor, mit aufwändig verzierten Wänden und Decken. Muster von Pfauen, Pfauenhennen und Blumen, Bäumen, Häusern waren gemalt oder eingeritzt in die Wände, Säulen, Vasen und Tische.
Po kam sich vor wie in einem chinesischen Kunstmuseum. Das war mehr als ein Palast. Doch Pfaue waren ohnehin bekannt für ihren Ruf als große Kunstliebhaber. Genauso farbenfroh wie ihre Federn.
Po hielt an, als er den lauten Klang einer Glocke vernahm.
„Folgen Sie mir“, sagte das kleine Schaf.
Sie spazierten durch den langen Korridor, der sie in eine große Halle führte, dekoriert mit großen weiß roten Flaggen. Am Ende der Halle stand ein großer Stuhl und Po wusste sofort, dass es sich dabei um einen Thron handelte.
Das Schaf hielt an und hob seinen rechten Huf.
„Warten Sie einen Moment.“
Damit verließ er sie und verschwand durch eine Tür am anderen Ende der Halle.
Po nutzte die Zeit und legte seinen Rucksack ab.
„Mm. Mal ehrlich. Mit der Einrichtung ist er nicht knauserig.“
Er lachte. „Wow, was für eine gigantische Vase. Ich frage mich, was da wohl drin ist.“
Seine Faszination wurde unterbrochen, als er merkte, dass Xia sich nach allen Seiten umschaute und nervös ihre Fingerfedern knetete.
„Nur keine Sorge“, sagte er und lächelte sie an. „Ich werde mit ihm zuerst reden.“
Die Pfauenhenne sah ihn an und versuchte zu lächeln, doch es gelang ihr nicht so wie sie es wollte. Und noch bevor Po ihr eine Frage stellen konnte, hörte er kleine Schritte aus einem Flur. Das kleine Schaf erschien und winkte mit dem Huf zur rechten Seite.
„Der Lord erwartet Sie jetzt.“
Ein lauter Gongschlag hallte durch die Halle, bis er verklungen war. Doch der sterbende Klang wurde von klaren, klirrenden Fußschritten abgelöst.
Sie warteten. Po ran ein Schauer über den Rücken, als er eine Bewegung durch die Seitentür der Halle sah. Zuerst war da die Welle einer Robe, gefolgt von einer weißen Figur. Po hielt den Atem an, als der weiße Lord die Halle mit langsamen Schritten betrat. Er trug eine silberne Robe mit roten Stickereien. Die Flügel lagen zusammengefaltet unter seinem Gewand, wie immer; sein Gesichtsausdruck erfüllt mit Stolz und Ruhe, als wäre er nicht von dieser Welt. Seine ausstrahlende Eleganz hatte er nicht verloren. Äußerlich wirkte er zwar zerbrechlich, aber seine Gewandtheit war nicht zu unterschätzen. Und das wusste Po nur zu gut.
Seine langen Federn waren wieder vollständig auf ihre volle Länge nachgewachsen und glitten über den schimmernden Marmorboden.
Der Pfau trat näher an sie heran. Neben dem Thron hielt er an und blickte auf sie herab. Po machte den Anfang und winkte ihm zu.
„Hi, lange nicht mehr gesehen.“
Der Panda biss sich auf die Unterlippe. Dann senkte er das Gesicht und verneigte sich respektvoll. „Friede sei mit dir.“
Der Lord nahm einen tiefen Atemzug, was mehr wie ein Seufzen klang, doch er behielt seinen stolzen Gesichtsausdruck bei.
„Sei gegrüßt, Panda.“
Der Drachenkrieger seufzte. „Kannst du mich nicht Po nennen? Warum so formell?“
Der Lord hob die Nase etwas höher. „So ziemt es sich nun mal, Panda.“
Po zuckte die Achseln und sah sich um. „Nette Behausung, sehr groß. Wirklich sehr beeindruckend. Wie hast du diesen Platz bekommen?“
Der Lord schritt ein paar Schritte vor, während er seinen Flügel schweifen ließ.
„Nachdem mein Vater mir sein letztes Erbe hinterlassen hat, kaufte ich das Land von diesem Volk, unter der Bedingung, dass es in der Stadt lebt und sie für mich aufbaut.“ Er ließ seinen Blick wandern. „Du siehst, sie sind eifrig und allesamt loyale Arbeiter.“ Er machte eine Pause und seine Augen ruhten auf den Panda. „Doch was führt dich zu mir?“
Eine gewisse Unsicherheit lag in seinen Augen.
„Oh, ja, ja. Tut mir leid, ich war so überwältigt von deinem neuen… Residenz, dass ich vergaß… ich… nein, nicht ich, sie.. ich habe… da ist jemand, der dich sehen möchte.“
Er schwang seine Hände hinter sich und deutete auf die Pfauenhenne, die ihren Strohhut abgenommen hatte. Po machte ein paar Schritte zur Seite und schaute von einem zum anderen, wobei er die Handflächen vor Spannung aneinanderrieb.
Die zwei Vögel sahen sich an. Stille herrschte. Niemand sprach ein Wort. Der Panda beobachtete genau ihre Gesichter. Xia, mehr ängstlich, und Shen – keine Reaktion.
„Wer bist du?“, war des Pfaus einzige neutrale Frage.
Po ließ enttäuscht die Schultern sinken. Sie kannten sich nicht?
Die Pfauenhenne bewegte den Schnabel und schaffte es einen Laut von sich zu geben.
„Ähm, mein Name ist Xia.“
Für einen Moment senkte sie ihren Blick, fand aber erneut die Courage wieder zu ihm aufzuschauen.
Shen sah sie verständnislos an und verzog skeptisch die Schnabelwinkel.
„Und? Kennen wir uns?“
Das Mädchen legte die Fingerfedern zusammen und tippte sie unruhig aneinander. „Ähm, nun, nicht wirklich, nicht direkt.“
Sie seufzte schwer.
Shen wartete immer noch auf eine detaillierte Antwort. Er machte einen Schritt nach vorne, sein Gesicht überzogen mit Misstrauen. „Ich kenne dich nicht. Woher weißt du, dass wir uns nicht wirklich kennen?“
„Ich… ich…“
Po rieb sich die Stirn. Es war als hätte sie ihren Text vergessen, bis sie einen erneuten Atemzug nahm.
„Ich bin deine Tochter.“
Es fühlte sich an wie der Tod. Zumindest kam es Po so vor. Die Luft war wie abgestorben. Kein Wort, kein Laut, nichts um ihn herum schien zu atmen. Er wagte nur einen einzigen Laut: „Hä?“
Wie gebannt beobachtete er die zwei Vögel, welche weder sich bewegten noch sprachen. Sie standen da wie zwei steinerde Statuen. Xia wie erstarrt, und Shen – Po hatte keine Ahnung – als habe er nichts verstanden. Der Panda wagte keine Fragen zu stellen, bis die Wärme im Raum irgendwie das eisige Schweigen auftaute.
Shen begann die Schabellippen zu bewegen. Po dachte, er würde etwas sagen, doch stattdessen, begann der Lord heiser zu kichern.
„Das ist ein Scherz, oder?“
Po blieb der Mund komplett offen. Eigentlich hatte er erwartet der Lord würde fragen, wie und warum. War der Meister der sagenumwobenen Kampfkunst so verwirrt, dass es ihm die Sprache verschlagen hatte?
Aber der Panda war nicht in der Lage etwas zu sagen und wandte seine ganze Aufmerksamkeit nun Xia zu. Doch auch die Pfauenhenne brachte kein Wort mehr heraus. Sie stand immer noch da, bewegungslos wie Stein, ohne den Augenkontakt zum Lord zu unterbrechen.
Mittlerweile schmunzelte Shen leise. „Nein, oder?“
Xia starrte ihn unentwegt an.
„Nicht dein Ernst, oder?“
Po bemerkte, wie der Herrscher mehr und mehr an Selbstsicherheit verlor. Shen machte ein paar Schritte auf sie zu, ständig forschend auf der Suche nach einem Zweifel in ihrem Blick zu finden. Doch ihre Augen lachten nicht. Schließlich hielt der Lord an. Sein Sinn für Humor war ihm gründlich vergangen.
Nein, sie meinte es ernst.
Für einen Moment dachte Po, er würde nachgeben, doch dann fand der weiße Lord seine Würde zurück. In einer Sekunde nahm er wieder Haltung an und hob majestätisch den Kopf.
„Nett, aber tut mir leid dich enttäuschen zu müssen. Das könnte jeder behaupten. Und das ist ein sehr schlechter Scherz.“
„Nein, du bist mein Vater!“, beharrte sie.
Po bekam es mit der Angst zu tun. Der Gesichtsausdruck des Lords nahm verärgerte Züge an und aus der Erfahrung, die er mit Shen gemacht hatte, wusste er nur zu gut, dass das kein gutes Zeichen war. Doch der weiße Pfau schaffte es die Ruhe zu bewahren. Er schloss und öffnete die Augen mehrere Male sehr langsam, bevor er mit fester Stimme fortfuhr.
„Du kannst froh sein, dass ich heute so gute Laune habe. Aus diesem Grund, werde ich nochmal darüber hinwegsehen und dich bitten jetzt mein Haus zu verlassen - wenn es dir nichts ausmachen würde. Verstanden?“
Po schrak zusammen. Die Augen des Mädchens füllten sich mit Tränen. Der Panda nahm all seinen Mut zusammen und stellte sich zwischen die beiden.
„Nur keine Sorge“, raunte er ihr zu und berührte ihren Flügel. „Ich bin sicher, dass sich alles aufklären wird.“
„Panda?!“
Po erstarrte, während Shen eine Fingerfeder warnend auf ihn gerichtet hielt. „Könnte ich dich bitte mal kurz einen sehr, sehr kurzen Moment sprechen?!“
Po schluckte. Die Stimme des Lords klang nicht gerade freundlich.
„Äh, natürlich.“
Po zwang sich zu einem Lächeln und winkte Xia zu.
„Entschuldige uns.“
Damit folgte er dem Lord in eine Ecke der Halle.
„Bist du völlig verrückt?“, fauchte Shen ihn leise zu. „Bist du wahnsinnig jeden Beliebigen zu mir zu bringen, der dir über den Weg läuft?“
Po reagierte mit einer etwas gereizten Antwort.
„Entschuldige mal, ich konnte doch nicht ahnen, dass sie deine Tochter ist.“
„Sie ist nicht meine Tochter!“
„Woher willst du das wissen?“
„Ich weiß es! Sogar besser als du!“
„Oh, wirklich?“ Po verschränket die Arme. „Denk doch mal nach. War da mal jemand in deinem Leben gewesen?“
„Nein!“
„Wirklich?“
„Ja, wirklich!“
„Bist du sicher?“
„Ja, bin ich!”
Po verengte die Augen. „Wirklich? Wirklich?“
Der weiße Ex-Herrscher war kurz davor die Beherrschung zu verlieren, konnte sich aber noch im letzten Moment wieder fangen, sodass er stattdessen seinen Zorn in einem lauten Fauchen die Zügel gab, doch er behielt sein bösartiges Lächeln. „Sei vorsichtig, Panda! Du scheinst zu vergessen, wo du dich befindest. Ich sagte, dass ich meine Waffen ruhen lassen würde, doch von Zeit zu Zeit, juckt es mich in den Federn das hier auf dich zu werfen.“
Po zuckte zusammen, als der Lord eines seiner Federmesser aus seinem Flügel zuckte.
„Ähm, trägst du diese Dinger immer noch mit dir herum? Sind die scharf? Autsch!“
Der Panda wedelte schmerzerfüllt mit der Tatze, nachdem er mit dem Finger die Spitze der Feder-Klinge berührt hatte.
Shen grinste. „Sehr scharf.“
Po schluckte, fand aber seinen Mut wieder. „Und du scheinst zu vergessen, was du getan hast. Du bist dir also sicher, dass sie nicht deine Tochter ist?“
„Ja!“
„Doch warum sucht sie dich auf? Warum sollte sie mitten im Winter die lange Reise auf sich nehmen? Glaub mir, draußen ist es sehr kalt.“
Dieses Argument konnte Shen nicht überzeugen und wies dies mit einem abfälligen Schnauben ab. „Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand sich als ein verlorenes Familienmitglied ausgibt. Glaub mir. Das kommt in royalen Kreisen öfter als genug vor.“
Po rieb sich nervös den Kopf. Er konnte einfach nicht glauben, dass sie eine Schwindlerin war.
„Nun. Mal Hand aufs Herz. Wenn doch. Wenn du wirklich recht hast. Aber könnte da nicht jemand sein, der so ein Spiel mit dir treiben würde? Vielleicht hast du ja mal jemanden getroffen und sie will dir glauben machen, dass du Kinder hättest. Erinnere dich. War da mal eine bestimmte Person gewesen? Denk genau nach.“
Die beiden Konkurrenten starrten sich an. Shen vor Wut, Po mit traurigem Ärger.
Schließlich gab der Pfau nach, doch sein Zorn blieb ihm ins Gesicht geschrieben.
„Nun, vielleicht. Einmal… Aber das war gar nichts!“
„Gar nichts?“ Pos Tadel scheffelte erneut Öl ins Feuer. „Das sieht mir aber anders aus. Ich meine, das spricht doch für sich.“
„Das könnte jeder behaupten!“, fauchte Shen.
Po verengte die Augen. „Ich kann nicht glauben, dass sie lügt.“
Der Lord zog scharf die Luft ein. „Naivität kann sehr gefährlich werden.“
Po seufzte. „Damit erzählst du mir nichts Neues. Aber Shen, bevor du einen Fehler machst, gib ihr doch wenigstens eine Chance ihre Behauptung zu beweisen. Nur dann hast du wenigstens Gewissheit.“
Shen war nicht gerade von diesem Vorschlag begeistert.
Po rieb sich übers Kinn. „Mm, sag, wann war denn dieses „Einmal“ gewesen?“
Der Lord verengte die Augen voller Verachtung. Er schielte zu Xia rüber, dann wanderte sein Blick zurück auf den Panda.
„Vor über 10 Jahren“, grummelte er durch den fast geschlossenen Schnabel. Die nächsten Worte waren sogar kaum zu hören. „17 Jahre und zwei Monate genauer.“
Po drehte sich zu Xia um. „Sag, wie alt bist du?“
„17*.“
Sein Blick fiel zurück auf Shen. „Das würde passen.“
„Purer Zufall. Das ist noch lange kein Beweis.“
Po war enttäuscht. Doch dann zog sich über Shen ein gemeines Lächeln.
„Nun denn, vielleicht etwas anderes.“
Damit schritt er am Panda vorbei und ging zur Pfauenhenne rüber. Diese zog ein wenig den Kopf ein, als der Lord näherkam.
„Nun, wenn du wirklich meine Tochter bist wie du behauptest“, Shens Stimme hallte unheilvoll durch den Raum. „Dann verrate mir doch mal den Namen von deiner Mutter.“
Xia sah zu Po rüber. Dieser nickte ihr aufmunternd zu. Die Pfauenhenne zögerte einen Moment, bevor sie antwortete.
„Yin-Yu.“
„Ha!“ Shens spöttisches Lachen ließ den Panda zusammenzucken. „Die, die ich kannte, hatte einen ganz anderen Namen!“
Enttäuscht ließ Po den Kopf hängen. Wie schade. Im Gegensatz zu Shen, der sich als Gewinner sah und sich nicht um das verzweifelte Mädchen vor ihm kümmerte.
„Tut mir leid, aber das war eine Verwechslung. Vielleicht wäre es das Beste für dich, nach jemand anderen Ausschau zu halten.“
Damit wandte sich der Lord ab, doch Xia hielt ihn zurück.
„Warte!“
Verärgerte drehte sich der Herrscher zu ihr um. Mittlerweile hatte das Mädchen etwas aus ihrem Flügel herausgenommen.
„Schau. Diese hatte sie immer bei sich getragen.“
Po trat näher heran und erkannte eine weiße Feder mit einem roten Kreis und einem schwarzen Fleck in der Mitte in ihrem Flügel. Es war eindeutig eine Feder von Shen.
„Das ist unmöglich!“ rief der Lord heiser. „Du…“
Er fühlte Pos Blick, den Shen mit einem aggressiven erwiderte.
„Sie muss sie irgendwo draußen gefunden haben! Das ist immer noch lange kein Beweis!“
Po bewegte zögernd den Mund. „Leidest du etwa unter Federausfall?“
Ein strenger Blick und Po zog den Kopf ein.
„Tut mir leid. Aber es muss doch etwas geben, um dir…“
„Du hast es doch gehört, Panda! Ich hab niemals jemanden mit diesem Namen getroffen. Wie war der nochmal?“
„Yin-Yu.“
„Nein, ihr Name war Fang…“
Er hielt inne.
Schnell wich Po erneut seinem Blick aus.
„Keine weiteren Fragen, Panda, verstanden?“
„Okay.“
„Aber du musst mein Vater sein!“
Po bekam die Befürchtung, dass Shen nun vollständig die Selbstbeherrschung verlieren könnte und versuchte zu retten, was zu retten war.
„Hey!“ Po schnippte mit den Fingern. „Könntest du sie uns nicht beschreiben? Vielleicht könnte uns das weiterhelfen. Was meinst du?“
Er sah Shen flehentlich an und diesmal gab es da kein Problem.
„Na gut“, stimmte der Lord zu. „Doch nur um diese Komödie ein für alle Mal zu beenden. Ling?“
Im nächsten Moment tauchte das kleine Schaf neben ihm auf. „Ja, Meister Shen?”
„Bring mir Chun-Chen. Sofort!“
„Ja, Meister Shen.“
Po wusste nichts mit den Namen anzufangen. „Wer ist Chun-Chen?“
„Chun-Chen ist der beste Maler und Künstler der ganzen Province“, erklärte der Lord. „Gib ihm eine Beschreibung und er wird es dir zeichnen.“
Er warf Xia einen warnenden Blick zu. „Doch sollte es mir nicht bekannt vorkommen…“ Er trat näher an sie heran. „Dann verlässt du mein Haus auf der Stelle, verstanden?“
Sie nickte.
„Gut.“
Als ob er um die Ecke gewartet hätte, schaute Chun-Chen, eine alte Ziege, in den Saal.
„Ihr habt mich rufen lassen, Meister Shen?“
„Diese Dame wird dir jetzt eine Beschreibung einer Person geben“, kam der Lord sofort auf den Punkt. „Frag sie jedes Detail und mache deine Arbeit gut. Ich erwarte viel von dir.“
Chun-Chen nickte. „Ganz wie Ihr wünscht, Meister Shen.“
Shen hatte sich in den hintersten Teil der Halle zurückgezogen. Po stand in der Nähe und ging unruhig auf und ab. Am anderen Ende der Halle konnten er hören wie Xia sich mit der alten Ziege unterhielt. Von Zeit zu Zeit schnappte Po Worte wie 'Federfarbe' und 'Augenfarbe' usw. auf.
Mit jeder Minute wurde er immer nervöser. Was wird der Lord sagen, wenn er das Bild sieht, was Xia in ihrem Kopf von ihrer Mutter hatte?
Er beobachtete den Lord, doch dieser machte einen gelassenen Eindruck. Hatte er recht und der falsche Name der Frau war eine andere Person? War das alles ein Missverständnis?
Po strich sich über den Kopf. Das war so nervenaufreibend.
Endlich entstand eine Bewegung in der Ecke. Po hielt den Atem an. Die Ziege kam zu ihnen rüber, mit einem großen Blatt Papier in den Hufen.
„Meister, es ist vollendet.“
Mit gesenktem Kopf händigte er das Papier an den weißen Lord. Po reckte den Hals, um einen Blick darauf zu erhaschen. Angespannt biss er sich auf die Unterlippe, während der Lord die Zeichnung betrachtete.
Zuerst herrschte nur völlige Ausdruckslosigkeit auf seinem Gesicht. Doch dann krümmten sich seine Fingerfedern um das Papier. Plötzlich zerknüllte er es. Po wich zwei Schritte von ihm weg. Da war Wut auf dem Gesicht, die er seit ihrer letzten finalen Schlacht in Gongmen noch nie zuvor gesehen hatte. Po befürchtete schon, der Lord würde ihn schlagen. Doch dann schleuderte der weiße Vogel die Zeichnung zu Boden und trat mit dem Fuß drauf, dass sich seine scharfen Krallen reingruben. Dann drehte er sich blitzschnell um und rannte davon.
Po wusste nicht, was er davon halten sollte und hob das teilweise beschädigte Papier auf.
„Oh.“
Fasziniert besah er sich das darauf gemalte Gesicht. Er musste zugeben, dass die Pfauenhenne sehr schön aussah. Ihre Federn und ihr Hals waren fast dunkelbraun, doch mit einzelnen weißen silbernen Federn bestückt und ergaben ein harmonisches Muster. Ihre Augen schienen wie Silber zu funkeln und ihr grauer Schnabel, es war kein trostloses Grau, war teilweise vermischt mit einem goldenen Schimmer.
Pos Blick wanderte zu Xia. Das Mädchen schaute mehr traurig als ängstlich drein.
Tief beeindruckt beugte sich der Panda zu Chun-Chen rüber.
„Wow, du bist ja ein richtiges Zeichentalent. Meine Hochachtung.“
Er schaute in die Richtung, in die Shen zuvor verschwunden war.
„Entschuldigt mich kurz.“
Mit einem lauten Krachen schwang der Lord die Zimmertür seiner Privaträume auf, stieß einen wütenden Schrei aus und trat mit aller Kraft gegen einen Stuhl, der gegen die Wand zerschellte. Po stand im Korridor and hörte das laute Gepolter im Zimmer. Er wartete mehr als zwei Minuten, bis der Lärm nachließ.
Vorsichtig lugte der Panda in den Raum. Der Lord lag keuchend auf dem Boden, sein Oberkörper gestützt auf seinen Flügeln und starrte nach unten.
Langsam trat der Panda näher an ihn heran. „Und? Ist sie es?“
Der Pfau rang immer noch nach Luft, doch dann nickte er mit zittrigen Bewegungen.
„Ich habe ihr Gesicht nie vergessen.“
Noch einmal besah Po sich das Bild in seinen Tatzen, das er mitgenommen hatte.
„Vielleicht gibt es eine Erklärung dafür.“
„Erklärung?“ Der Lord lachte heiser. „Was für eine Erklärung könnte es dafür geben?“
Po zuckte die Achseln. „Oh, ich kenne viele Leute, die außergewöhnliche Erklärungen hatten für irgendwelche Dinge.“
Stille trat ein, bis der Lord aufstand und zum Fenster rüberging. Po folgte ihm im sicheren Abstand und beobachtete ihn.
„Du hast gesagt, dass da ein Tag gewesen war. Aber was passierte an diesem Tag?“
Der Lord starrte durchs Fenster.
„Ein Tag“, flüsterte der Lord, etwas ruhiger, aber Schwere lag in seiner Stimme. „Dieser Tag, es war ein verschneiter Tag wie heute. Aber ein stürmischer Tag. Ein stürmischer Tag hoch oben in den Bergen.“
Vor 17 Jahren…
Tief in Gedanken versunken saß der Lord in seinem Quartier, gebeugt über Papiere und Zeichnungen. Seine Fabrik war fast fertig. Aber der Schneesturm war so schwer, dass die Arbeiten vorerst unterbrochen werden mussten. Mit einem tiefen Seufzen sah sich der verbannte weiße Prinz um. Das war nicht gerade ein annehmlicher Ort für jemanden seiner Herkunft. Es war eine große Höhle. Tief verborgen in den Bergen. Aber das würde sich bald ändern. Sogar schon sehr bald. Und nicht mehr lange und er konnte sich wieder wie ein Lord in einem Königreich fühlen.
„Meister Shen.“
Der Lord blickte auf. Wölfe kamen herein.
„Wir fanden dieses Individuum in der Näher der Baustellen deiner Fabrik-Anlage.“
Die Wächter warfen etwas auf den Boden, umhüllt in brauen, alten Kleidern. Da war ein schluchzender Laut. Der Lord brauchte nicht lange, um zu bemerkten, dass es sich um eine Frau handelte. Dennoch holte er sein Messer hervor, als er an die vermummte Gestalt herantrat. Die Frau verbarg ihr Gesicht unter einem alten Umhang. Vorsichtig hob der Pfau den Zipfel mit der Klinge an. Die Frau zuckte zusammen und wich von ihm zurück, aber die Wölfe schubsten sie einfach wieder nach vorne. Dabei stolperte sie und fiel genau gegen den Pfau.
Schnell stieß er sie von sich und sie sank zu Boden. Mit einem bösen Zischen deutete er mit dem Messer auf sie.
„Wie kannst du es wagen in mein Territorium einzudringen?!“, fauchte er sie an. Dann wanderte sein Blick zu den Wachleuten. „Ich dachte, eure Männer bewachen das Gebiet!“
„Der Sturm ist zu stark“, erklärte einer der Wölfe. „Wir mussten die Wachstunden verkürzen.“
Der Lord knurrte. „Niemand, ich erlaube niemanden, auch nur einen Fuß in mein Land zu setzen! Sonst passiert sowas wie das hier!“
Er schwang das Messer. Ein großer Schnitt zerriss die braune Kleidung an einer Stelle.
„Zu welchem Zweck spionierst du meine Häuser aus?!“
Die Frau vor ihm begann zu zittern.
„Ich wusste nicht, dass hier jemand wohnt“, flüsterte sie heiser. „Der Sturm verbarg mir die Sicht, dies zu erkennen.“
Der Lord schnaubte. „Denk dir besser eine andere Ausrede aus, bevor ich dich exekutieren lasse.“
Die unbekannte Figur sank tiefer zu Boden, als der Lord sich zu ihr runterbeugte. „Glaub mir“, flüsterte er gefährlich. „Ich habe keine Hemmungen eine Frau zu töten. Spione und Verräter haben kein Recht die Luft dieser Welt einzuatmen.“
Er führte das Messer weiter vor und hob die Kapuze an. Da war eine Bewegung und zwei silberne, ängstliche Augen blickten zu ihm auf.
Der weiße Prinz senkte das Messer ein wenig und starrte sie an. Noch nie in seinem Leben hatte er eine Pfauenhenne wie sie gesehen. Sie senkte den Blick wieder und legte sich auf den Boden.
„Wenn es so ist, dann tut es“, sagte sie erschöpft. „Ich habe niemanden, der sich um meinen Tod schert.“
Der weiße Vogel erhob sich und sah auf sie herab. Er brauchte mehr als fünf Sekunden bis er seine Sprache wiederfand.
„So, dich hat also niemand geschickt?“
„Niemand. Ich hab nur nach einem Platz gesucht, um mich vor der Kälte zu schützen.“
Er verengte die Augen. „Woher kommst du?“
„Von sehr weit weg. Ich besitze keinen festen Wohnsitz.“
„Ganz schön verdächtig.”
„Dann tötet mich.“
Er rieb sich über den Schnabel. „Mm. Ich werde dich hierbehalten, um sicher zu gehen, dass du mich nicht ausspionierten willst.“
Sie hob den Kopf. Ihre Augen trafen sich erneut. Doch Shen änderte nichts an seinem Gesichtsausdruck sondern fragte nur: „Wie heißt du?“
„Fang.“
Er hob die Nase etwas höher. „Na schön, Fang. Wenn du nur gekommen bist, um nach einer Unterkunft zu suchen, dann kannst du hier bleiben bis das Unwetter vorbei ist.“
„Wieso hast du sie verschont, wenn du dachtest, sie wäre eine Spionin?“, unterbrach ihn Po.
Shen warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Ich weiß es nicht.“
Er stieß ein erschöpftes Schnauben aus und murmelte sehr, sehr leise: „Was würdest du tun, wenn du so etwas Schönes in einem Ödland finden würdest?“
Po hatte das gar nicht mitbekommen. „Was?“
„Gar nichts!“ Der Pfau räusperte sich, dann fuhr er fort: „Aus einem Tag wurde über eine Woche. Sie verstand mich mehr als dass es jemand jemals zuvorgetan hätte. Ich zeigte ihr alles. Meine Anlagen, meine Pläne. Wir teilten viele Dinge.“
„Ich dachte, du dachtest, sie wäre ein Spion.“
Ein lautes Fauchen und der Panda verstummte.
„Du hast ja keine Ahnung über so viele Dinge.“ Ein kleines, sanftes Lächeln überzog Shens Schnabel. „Und nach dem achten Tag…“ Der Lord unterbrach sich selber. „Nun, ich war jung. Den Rest kannst du dir ja vorstellen.“
Po legte den Kopf schief. „Äh, nein.“
Shen warf ihm einen „wie-dumm-bist du“-Blick zu.
Po dachte einen Moment nach. „OH, das meinst du, okay.“
„Jedenfalls, nach der achten Nacht, verbrachten wir auch den nächsten Morgen zusammen. Der Schneesturm hatte sich gelegt. Es war ein schöner Spaziergang im Schnee. Bis… bis sie unterwegs sagte, sie müsste für einen kurzen Moment weg. Und dann…“
Po wartete darauf, dass er weitererzählte.
„Sie kam nie mehr zurück.“
„Äh, was, warum nicht?“, fragte Po.
Doch Shen ging nicht auf seine Frage ein. „Meine Soldaten durchkämmten die ganzen Berge. Doch sie blieb unauffindbar.“
Schweigend sah Po ihn an. Zum ersten Mal sah der Lord sehr traurig aus.
Prüfend betrachtete der Panda das Portrait erneut. „Aber jetzt hast du nach so langer Zeit eine neue Spur.“
Shen schnaubte und blickte mit Abscheu auf die Zeichnung. „Das beweist doch nur… dass sie mich angelogen hat!“
Er schlug dem Panda das Papier aus der Tatze.
„Seitdem weiß ich, dass sie mich nur zu ihrem Vergnügen benutzt hat!“
Po hob schützend seine Tatzen vor sein Gesicht. „Das meinst du doch nicht so, oder?“
„DOCH! Ich meine so! Sowohl damals, als auch heute! Sie hat mich fallen gelassen, nachdem sie ihren Spaß mit mir gehabt hatte!“
Po wich zurück. „Äh, Shen?“, begann er vorsichtig. „Vielleicht hatte sie ja einen Unfall gehabt. Vielleicht hat sie ihr Gedächtnis verloren.“
„Aha.“ Shen lachte. „Einen so großer Fall von Gedächtnisverlust, dass sie sich daran erinnern konnte, dass ich eine Tochter habe?“
Beschämt senkte Po den Blick. „Shen. Während sie dich geliebt hatte – du weißt schon, ähm, hattest du da den Eindruck gehabt, dass sie dich nicht von Herzen lieben würde?“
Der Lord wich seinem Blick aus. Der Panda durfte sich darauf keine Antwort erhoffen.
Doch Po nahm einen erneuten tiefen Atemzug. „Shen, jetzt spreche ich zu dir als Drachenkrieger. Wäre es nicht ein guter Schritt von ihr zu hören, was sich an diesem Tag ereignet hatte? Nur zuhören. Dann kannst du immer noch entscheiden, was du glauben willst.“
Schweigend dachte der Lord nach.
Plötzlich drehte er sich um und stierte düster gegen die Wand. „Ich habe mir geschworen nie wieder etwas von ihr zu hören. Nie mehr an sie zu denken. Niemals mehr einen Gedanken an sie zu verschwenden. NEIN!“
Po erschrak.
„Schaff sie weg! Ich will sie nie wiedersehen!“
Po tippet die Fingerspitzen aneinander. „Ähm..“
Er schloss sofort seinen Mund wieder, als Shen warnend seinen Flügel hob. Und der Kung-Fu-Krieger wusste, er war an dem Punkt gelangt, wo Shen absolut nichts mehr hören wollte.
Niedergeschlagen ließ der Panda die Hände sinken. „Na schön. Ich werde es ihr sagen.“
Noch immer stand Xia im farbenfrohen Korridor und ging ziellos auf und ab. Sie hielt erst inne, als sie Po auf sich zukommen sah.
„Und? Was hat er gesagt?“, fragte sie.
Der Panda seufzte tief und versuchte zu lächeln. „Nun, ich denke, dass es das Beste wäre, ihm einen Brief zu schreiben.“
Sie starrte ihn geschockt an. „Nein, er muss zuhören. Er muss mir zuhören!“
„Aber…“
Doch die Pfauenhenne achtete nicht auf ihn. Sie rannte an ihm vorbei und lief durch den Korridor zu den Privaträumen.
„Nein!“
Po rannte ihr hinterher. Das würde ein Fehler sein.
Shen stand immer noch in seinem Zimmer und starrte an die Wand. Er hob den Kopf, als er schnelle Schritte auf sich zu rennen hörte. Im nächsten Moment tauchte Xia im Türrahmen auf und sah ihn flehendlich an.
„Bitte, hör mir zu!“
Shen stieß einen wuterfüllten Schrei aus. „Wache!“
In diesem Augenblick betrat auch Po den Raum, inklusive zwei große Steinböcke.
„Oh, hi Kumpel“, grüßte Po.
„Werft diese Person raus!“, befahl Shen.
Po bekam es bei diesem Verhalten mit der Angst zu tun. Doch der Lord war so in Rage, dass er es nicht wagte einzugreifen.
Die Wachen verschwendeten keine Zeit und packten das Mädchen.
„Nein!“, schrie sie. „Bitte, das kannst du nicht tun!“
Doch Shen ignorierte sie und machte sich daran sich zu entfernen, während die großen Ziegenböcke sie wegzerrten.
„Nein! Bitte! Wenn du mir schon nicht helfen willst, bitte, dann komm wenigstens und sieh deinen Sohn bevor er stirbt!“
Shen hielt inne. Nur Po bekam große Augen. „Was?“
Jetzt drehte sich der Pfau um. Die Ziegenböcke waren stehen geblieben, als der Blick des Lords sie traf.
„Ich habe einen Sohn?“
Xia nickte hastig. „Ja, er ist schwer verletzt nach dem Kampf mit Hunnen. Vielleicht stirbt er!“
Po verstand gar nichts mehr. „Hunnen? Sohn? Kampf?“
In diesem Moment erklang ein klapperndes Geräusch von Hufen und einem Gehstock neben ihm. Langsam drehte der Drachenkrieger den Kopf nach links, wo ihn ein bekanntes Gesicht entgegenblickte.
Der Lord starrte sie an. Neben ihr stand ihr Großneffe Ling.
„Shen.“ Die Ziege schenkte ihm einen bittenden Blick. „Bitte, mäßige deinen Zorn und höre zuerst zu, bevor du ein Urteil fällst.“
Die Wahrsagerin nickte dem Panda zu. Und Po hob die Tatze. „Hi. Ja, genau das hab ich ihm auch schon die ganze Zeit gesagt.“
Alle Augen richteten sich auf den weißen Feldherrn, der mit sich selbst am kämpfen war.
Noch einmal rang er schnaubend nach Luft, dann gab er nach.
„Wie du willst.“ Doch er behielt seinen Sarkasmus. „Na schön. Dann erzähl mal deine Geschichte.“
Laut "Kung Fu Panda 2" sollte Shen 30 Jahre auf den Moment seiner Eroberung gewartet haben. In "Kung Fu Panda 3" hingegen ist Po ca. 21 Jahre alt. Es ist anzunehmen, dass Shens Verbannung knappe 20 Jahre gedauert hatte. In dieser Geschichte hat er Yin-Yu getroffen, nachdem er schon 4 Jahre im Exil lebte.
* Die Brutdauer von Pfaueneiern beträgt fast nur 1 Monat.
Es herrschte eine angespannte Atmosphäre im Raum. Jeder hatte Angst vor Shens gereiztem Temperament. Doch dieser hatte sich inzwischen seine Ruhe wieder zurückgerufen und sich auf einem Stuhl niedergelassen. Po wagte es nicht, ihm etwas zu fragen und setzte sich einfach auf den Fußboden. Die Wahrsagerin und ihr Großneffe Ling blieben in Shens Nähe, und niemand wollte wissen warum.
Xia sah ihren Vater an, doch alles was sie von ihm erhielt, war ein kalter Blick.
„Könntest du jetzt anfangen?“, fragte er eisig.
Er war ungeduldig und wütend zugleich. Xia stellte keine Gegenfrage und begann zu erzählen, wobei ihre Körperhaltung einen schon beinahe unterwürfigen Eindruck erweckte.
„Ich kann nur sagen, was sie mir erzählt hatte“, sagte sie leise. „Es war nicht leicht für sie zu gestehen, was passiert war.“
Es klang wie eine Entschuldigung, doch darauf ging Shen nicht ein und schwieg. Das Mädchen seufzte niedergeschlagen.
„Vor vielen, vielen Jahren, noch vor meiner Geburt, war meine Mutter die Prinzessin von Jingang.“
„Jingang?“ Po sah sie überrascht an. „Das ist einer der reichsten Landstriche von ganz China. Und sie war wirklich eine Prinzessin?“
Alle Augen richteten sich wieder auf Shen, der wie auf Feuer von seinem Platz aufgesprungen war.
„Willst du mich zum Narren halten?!“, keifte er aufgebracht. „Das hat sie mir nie erzählt!“
„Shen, bitte“, mahnte ihn die Wahrsagerin. „Beruhige dich.“
Der weiße Lord setzte sich wieder. Die Wahrsagerin nickte dem Mädchen zu und Xia startete einen neuen Versuch. „Nun, sie war eine Prinzessin, doch ich kann das erklären. Ihre Eltern waren sehr streng mit ihr. Sie musste immer ihre schöne Tochter sein. Immer höflich und ruhig. Das war ihr Leben. Als sie alt genug war, hörte sie, dass sie einen Mann heiraten sollte, den sie nicht liebt.“
Sie hielt einen kurzen Moment inne. „Eines Tages rannte sie davon. Sie wollte weit weg vom Elternhaus. Auf ihrem Weg geriet sie in einen Schneesturm, bis sie dich traf.“
Shen setzte einen skeptischen Blick auf, so als ob er sagen wollte: Dass soll ich dir glauben?
Xia rieb nervös ihre Flügel aneinander. „Nun, nachdem du und Mutter euch getroffen habt…“
„Wir brauchen keine weiteren Details“, schnitt Shen ihr das Wort ab. „Ich kenne den Rest. Dafür brauche ich keine Interpretationen von außerhalb.“
Xia seufzte, doch sie behielt ihre Courage weiterzusprechen. „Nun, als du und sie einen Spaziergang machten, habe sie in der Ferne ein paar Palast-Soldaten ihrer Eltern erblickt. Sie hatte Angst sie könnten sie mit dir zusammenfinden. Sie wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen.“
„Kling wie ein schlechter Witz“, meinte Shen herablassend. „Ich kann sehr gut auf mich selber aufpassen.“
„Vielleicht konnte sie es nur nicht ertragen, dass sie dich töten könnten.“
„Und was ist danach passiert?“, fragte Po schnell bevor Shen zu einem nächsten harten Argument ansetzte.
„Nun, sie hat keine andere Möglichkeit gesehen, als sich ihnen zu erkennen zu geben, und die Palastwachen schleppten sie zurück nach Hause. Aber im Palast versuchte sie immer wieder einen Ausweg zu finden, doch ihre Eltern entschieden sie mit einem Pfau von anderem Ende Chinas sofort zu verheiraten. Sein Name ist Xiang. Kurz nachdem sie wieder zuhause angekommen war, wurde sie in seine Stadt gebracht. Sie sagte immer, dass sie ihn nie heiraten wollte. Doch alle zwangen sie mit ihm die Ehe einzugehen.“
„Eine Zwangsheirat?“ Po war schockiert. „Das ist ja furchtbar.“
„Das ist unmöglich!“, schrie Shen.
Po riss empört die Tatzen hoch. „Was ist denn jetzt schon wieder unmöglich?“
„Spiel mir doch nichts vor!“ Der Lord rannte auf Xia zu und durchbohrte sie mit seinen Augen. „Wie hätte sie dich auf die Welt bringen können? Ein uneheliches Kind ist immer eine Schande und bring immer die Todesstrafe mit sich. Ich kenne das Gesetz königlicher Familien. Nebenbei bemerkt, woher soll ich wissen und wer gibt mir die Garantie, dass du nicht die Tochter von ihm bist?“
Ein Zittern erfasste das Mädchen. Schnell nahm Po sie beiseite und blickte Shen vorwurfsvoll an.
„Lass sie doch erst mal ausreden, okay?“
Shen hatte Mühe seine Wut zu drosseln. „Treib es nicht zu weit!“
Die alte Ziege räusperte sich und die beiden blieben für einen Moment still.
„Sie war schwanger, das stimmt“, gab Xia zu. „Doch sie schaffte es, Xiang davon zu überzeugen, dass es seine eigenen wären. Und wir wuchsen auch auf als seine Kinder.“
„Na fein!“ Damit schwang Shen seine Robe über den Boden. „In diesem Fall ist ja alles für sie in Ordnung.“ Es war ein sehr, sehr sarkastischer Ton. „Ein Land, ein Palast, Kinder von wemauchimmer, was soll ihr da noch fehlen?“
„Aber sie hat ihn nie geliebt!“, wandte Xia schnell ein.
„Lüg mich nicht an!“ Wieder kehrte in dem mächtigen Pfau der Zorn zurück.
„Es ist wahr!“ Xia rannte auf ihn zu und bekam seinen Flügel zu fassen, doch Shen stieß sie einfach von sich. „Er unterdrückt sie jeden Tag.“
Shen zuckte gleichgültig die Achseln. „Ihr Pech.“
„Doch ich bin mir sicher, dass sie immer noch Gefühle für dich hat.“
„Das erklärt nicht, weshalb sie mir sowas unverfrorenes aufgetischt hat wie eine – LÜGE!“
Po schrak zusammen und stolperte nach hinten. Dieser Bruchteil der Ungeschicklichkeit des Pandas reichte um Shen kurz abzulenken und wieder eine kleine Spur ruhiger zu werden. Seine Stimme schlug um in ein leichtes Flüstern. „Alles war und ist eine Lüge.“
Damit kehrte er ihr den Rücken zu und verschränkte die Flügel. Nicht ein Laut war zu hören, bis Xia einen Schritt auf ihn zu ging.
„Glaub es, oder glaub es nicht, er macht sie nur unglücklich. Er sagt immer, dass er mit ihr machen kann was er will. Sie wäre sein Eigentum. Ich hab sie nie lächeln sehen. Sie muss immer an seiner Seite stehen, um ihn besser aussehen zu lassen.“
Shen erwiderte nichts und starrte nur aus dem Fenster. Es schien, als habe er beschlossen nichts mehr sagen.
Po fiel es schwer zu schlucken, so einen dicken Kloss hatte er im Hals. „Ähm, ähm.“
Seine Augen kleben an dem Lord, nur um sicher zu gehen, dass der Pfau nichts dagegen hatte ein Wort zu sprechen und achtete auf jede Körpersprache. Doch Shen verbot ihm nicht seinen Versuch der Kommunikation und Po wagte einen Satz zu formen.
„Ähm, seit wann weißt du denn, dass Shen, ähm, vielleicht, dein möglicher Vater ist?“
„Seit ungefähr einem halben Jahr“, antwortete Xia. „Es war viele Tage nach der Schlacht in Gongmen. Viele Leute redeten über einen Krieger, der einen weißen Pfau besiegt hatte, der China erobern wollte. Auch ich hörte davon. Doch nachdem auch meine Mutter davon erfahren hatte, brach sie zusammen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sie sich in die einsamste Ecke des Palastes zurückgezogen und geweint hatte.“
Vor vielen Monaten…
Zutiefst besorgt öffnete Xia die Tür. Ihre Mutter lag weinend in einer Ecke, so wie das Mädchen es schon all die Jahre über mitansehen musste. Doch diesmal war es schlimmer. Still und leise schloss sie die Tür hinter sich und ging zu ihr rüber.
„Mutter? Was ist passiert?“
Doch die Pfauenhenne schien sie nicht wahrzunehmen. Vorsichtig legte das junge Mädchen ihren Flügel auf ihre Schulter.
Jetzt entstand doch eine Bewegung. Mit tränenüberströmten Augen sah ihre Mutter zu ihr hoch.
„Hat Vater dich wieder geschlagen?“, fragte Xia.
Ihre Mutter antwortete nicht und bedecket ihr Gesicht mit den Flügeln.
Xia seufzte und ließ sich neben ihr nieder.
„Warum tut er das?“, murmelte sie. „Kann er dich denn nicht mehr so lieben wie am Tag euerer Hochzeit?“
„Lieben?“ Zum ersten Mal sprach Yin-Yu ein Wort aus als wäre es pures Gift. „Er hat mich nie geliebt.“
Ihre Tochter wich ihrem Blick aus und legte ihre Fingerfedern aneinander.
„Aber in eurer Hochzeitsnach. Da muss doch ein Hauch von Liebe gewesen sein, oder nicht?“
Das laute Schluchzen ließ sie erstarren.
„Das kann doch so nicht weitergehen“, sprach Xia traurig.
Sie zuckte zusammen. Ihre Mutter hatte nach ihren Flügeln gegriffen und zog sie zu sich heran. Anschließend umarmte sie sie feste.
„Ich wünschte, ich könnte es beenden, doch ich konnte nie. Ich wünsche mir wirklich sie hätten mich nie gefunden.“
Vorsichtig strich ihre Tochter über ihren Rücken. „Was meinst du damit?“
„Ach, mein liebes Kind, es war alles so…“
Wieder begann sie zu weinen. Ihre Tochter wusste nicht, was sie tun sollte.
„Vielleicht wäre ja alles anders gekommen“, brach Yin-Yu mühsam hervor. „Doch ich hatte keine andere Möglichkeit gesehen euch zu beschützen.“
Diese Aussage verwirrte ihre Tochter nur noch mehr. „Ich verstehe nicht, was du mir damit sagen willst.“
Daraufhin legte ihre Mutter ihre Flügel auf ihre und sah sie feste an. „Vielleicht, du und dein Bruder haben so eine Ähnlichkeit mit ihm.“
„Ähnlichkeit? Mit wem?“
Yin-Yu wischte sich über die nassen Augen. „Er ist fort. Ich kann nicht damit leben, ihn vollständig in Vergessenheit geraten zu lassen. Nicht ohne, dass du je von ihm gehört hast.“
Xia wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Ihre Mutter zwang sich zu einem Lächeln, was sehr selten der Fall war. Schließlich rang Yin-Yu sich durch zu sprechen. „Du hast doch von dem Kampf in der Stadt Gongmen gehört, nicht wahr?“
„Ich hab davon gehört. Es war ein Pfau wie wir. Doch was hat das mit uns zu tun?“
„Sein Name war Shen. Er sollte der zukünftige Herrscher über Gongmen werden.“
Xia wurde unsicher. „War er mit dir verwandt?“
Wieder glitt ein bitteres Lächeln über den Schnabel ihrer Mutter. Liebevoll legte sie ihre Flügel in ihre. „Xia, mein liebes Kind, ich muss dir was sagen. Ich hatte Angst gehabt, dass du davon erfährst, weil es uns in Gefahr bringen könnte. Ich, du und dein Bruder. Aber es ist Zeit für dich. Ich muss dir was gestehen.“
„Was willst du mir sagen?“
„Xia, Liebes. Xiang… Xiang ist nicht dein Vater.“
Xia starrte ihre Mutter an. „Was?“
„Shen - Shen war dein richtiger Vater.“
„Danach brach alles aus ihr heraus“, fuhr Xia fort. „Sie erzählte mir alles. Ich gabs dann später an meinen Bruder weiter.“
„Und was hat er dazu gesagt?“, frage Po neugierig.
„Er war betroffen. Er brauchte eine Weile, um das zu verarbeiten. Doch es war klar für uns alle, dass Xiang nie davon erfahren durfte.“
„Kann ich sehr gut nachvollziehen“, klang Shens flüsternde Stimme durch den Raum. Er starrte immer noch aus dem Fenster. „Ganz schön verdächtig, dass sie dir das alles erst nach meinem „Tod“ beichtet.“
Po knabberte an seinen Fingernägeln. „Ähm, apropos Sohn, was hat das denn jetzt alles mit den Hunnen auf sich?“
Xia schien froh darüber zu sein, dass er diese Frage stellte.
„Unsere Stadt liegt nicht weit entfernt von der Grenze Chinas, ganz in der Nähe am Land der Hunnen. Xiang hat sie über all die Jahre immer wieder herausgefordert. Doch diesmal war es ein schlechter Zeitpunkt gewesen. Hunnen überquerten die Grenze und überfielen unsere Stadt. Meine Mutter half mir zu entkommen. Mein Bruder dagegen kämpfte länger, aber er konnte nicht gewinnen. Ich schaffte es gerade noch ihn aus dem Kampf zu ziehen. Zusammen fanden wir Zuflucht in einem kleinen Dorf. Die dortigen Bewohner tun dort alles, aber… aber sie haben nicht mehr viel Hoffnung für ihn.“
„Die Strafe folgt auf den Fuß“, war Shens einziger Kommentar dazu.
Xia versuchte es zu ignorieren. „Aber dann, hörte ich davon, dass der weiße Pfau immer noch am Leben ist und mir fiel nichts anderes ein als nach ihm zu suchen.“
In diesem Moment drehte Shen sich zu ihr um und sah ihr eiskalt ins Gesicht. „Und warum?“
„Ich habe nach dir gesucht, damit du uns helfen kannst. Die Hunnen halten meine Mutter gefangen. Ich befürchte, dass sie ihr was antun können. Ich brauche jemanden, der sie retten kann und… ihren Ehemann.“
Was sollte sie anderes sagen über einen Vater, der gar nicht ihr Vater war?
Der Pfau hob die Nase höher. „Warum ich?“
„Ich kenne niemand anderen, den ich darum bitten könnte.“
Ein kaltes Lächeln umspielte seinen Schnabel. „Und warum sollte ich das tun, nachdem sie so ein Spiel mit mir getrieben hatte?“
Ein heftiges Zucken entstand auf Xias Gesicht. „Warum fragst du sie nicht selber?“
„Gute Idee“, meinte Po, hielt sich aber danach sofort wieder den Mund zu.
Doch der weiße Lord kümmerte sich nicht um die Bemerkung des Pandas.
„Ich habe mich genug um andere Dinge zu kümmern. Vielleicht solltest du nach jemand anderen suchen, der dir helfen kann. Wie wäre es mit ihm?“
Pos Augen weiteten sich, als der Lord auf ihn zeigte.
„Ich?“
„Liegt das nicht in deiner Pflicht als Drachenkrieger?“
„Mm, ja schon, aber, das ist nicht meine persönliche Angelegenheit. Es ist…“
„Sei still, Panda!“
„Dann tu es wenigstens für deinen Sohn“, versuchte Xia es erneut. „Gewähre ihm wenigstens bitte einen letzten Blick.“
Shen war kurz davor den Kopf zu schütteln.
„Nur einen kurzen Moment für die Ewigkeit.“
Ihre Pupillen wurden groß und flehend.
Shen verengte die Augen. „Ich muss darüber andenken.“
Damit verließ er den Raum.
Tief in Gedanken versunken spazierte er auf der Terrasse seines neuen Palastes. Draußen herrschten immer noch Minustemperaturen.
Er wusste nicht wie lange er unterwegs war. Durch seinen Kopf schwirrten tausende von Fragen und immer dieselben gemischten Gefühle. Sollte er nun gehen oder nicht?
Ein klapperndes, schabendes Geräusch ließ ihn aufhorchen. Vorsichtig ging er an den Wänden seines Palastes entlang und schaute um die Ecke. Die alte Ziege saß an der Wand gelehnt und rieb mit ihrem Gehstock über den steinigen Boden.
„Ganz schön kalt heute, nicht wahr?“
Shen schnaubte. „Nicht kalt genug.“
„Ich spüre wie dich eine eisige Atmosphäre umgibt.“
„Verschone mich mit deinen weisen Worten“, schnitt Shen ihr das Wort ab und wollte seinen Spaziergang wieder fortsetzen.
„Du siehst aus, als könntest du etwas Gesellschaft gebrachen.“
Sie stand auf und sah ihn an.
Er gab nach. „Wie du willst.“
„Nur wenn du es erlaubst.“
„Ich erlaube es.“
Gemeinsam gingen sie an den großen hohen Mauern des Hofes entlang. Eine Weile lang sprach keiner ein Wort, bis Shen eine Frage nicht mehr länger unterdrücken konnte.
„Du weißt doch so viel. Sag mir, ist sie und ihr Bruder, meine richtigen Kinder?“
Sie hielt an. Auch er hielt in seinem Gehen inne. Sie blickte geradeaus, während er sie von der Seite ansah.
„Ich sehe Schmerzen.“
“Was ist mit… Autsch! Geht das schon wieder los! Lass mir meine Federn!“
„Tiefer Groll aus der Vergangenheit.”
Nachdenklich betrachtete sie Shens Feder in der Hand. Die Augen des Pfaus weiteren sich.
„Willst du mir etwas über meine Zukunft sagen?“
Doch die Ziege antwortete nicht und legte die Feder, die sie ihm zuvor rausgerissen hatte, auf den Boden ab.
„Ist das eine neue Wahrsagerei-Masche?“
Doch stattdessen holte die alte Frau die Feder hervor, die Xia ihm zuvor gezeigt hatte.
Der Pfau verengte die Augen. „Was willst du mir damit sagen?“
„Ich weiß, du glaubst immer noch nicht, dass sie deine Tochter ist, nicht wahr?“
„Du weißt nicht warum.“
„Ich kenne den Grund. Und du glaubst diesem mehr als ihr.“
Der Lord schwang seine Robe und wandte sich enttäuscht ab.
„Ich habe es verbrannt! Du kannst davon nichts wissen!“
„Du hast gesagt, ich würde viele Dinge wissen. Und dies ist eines der vielen Dinge über die ich Bescheid weiß.“
„Und was willst du mir damit sagen?“
Sie platzierte die zwei Federn nebeneinander. Seite an Seite.
„Wenn sie dich nicht liebt, wieso sollte sie diese über all die Jahre immer bei sich getragen haben?“
„Um mich zu verspotten.“
Traurig schüttelte die Ziege den Kopf. „Deine Sicht ist verblendet mit so vielen dunklen Wolken des Zorns.“
„Mein Verstand war noch nie so klar wie heute“, knurrte Shen. „Gib mir wenigstens eine klare Antwort. Sind sie jetzt meine Kinder oder nicht?“
„Shen“, begann sie sanft. „Das musst du ganz alleine herausfinden. Und das kannst du nur am besten, wenn du dein Herz öffnest.“
Besorgt und rastlos ging Xia auf der Terrasse, die auf der anderen Seite des Hauses lag, auf und ab. Po stand in einiger Entfernung und beobachtete sie. Doch in dem Moment, als er sich vornahm, etwas zu sagen, erschien Shen. Der Pfau warf ihm einen warnenden Blick zu und Po verschwand hinter einer Ecke im Haus.
Kaum war der Panda verschwunden, trat der Lord an das Mädchen heran. Unsicher blickte Xia ihn an, bis Shen die Stille, die sie beide umgab, unterbrach.
„Na schön. Ich komme mit dir.“
In Xias Augen funkelte ein Hoffnungsschimmer, doch bevor sie ein Wort dazu äußerten konnte, hielt Shen sie zurück.
„ABER… nur um ein paar Dinge klar zu stellen.“ Mit gefährlicher Geste deutete er mit einer Fingerfeder auf ihren Schnabel. „Und ich scher mich nicht darum, dass du meine richtige Tochter bist oder nicht. Ich werde dich nie als einen Teil von mir akzeptieren, verstanden?“
Sie nickte sofort und Shen war zufrieden. „Fein… und du!“ Er blickte hinter sich. „Du hast lange genug gelauscht.“
Schüchtern spähte Po um die Ecke und verließ eilig sein Versteck. „Ähm, meine Füße wollten sich nicht so weit fortbewegen.“
Shen verdrehte die Augen. „Na toll.“
Er ging an den Panda vorbei. Doch bevor er das Haus erreichen konnte, gab Po ein gemurmeltes „Ähm?“ von sich.
Shen drehte sich zu ihm um.
„Was?“, frage er genervt.
„Ähm, kann… kann ich…“ Nervös tippte Po die Finger zusammen. „Kann ich mitkommen?“
Noch bevor Shen den Mund öffnen konnte, war Po schneller. „Bitte! Bitte, bitte!“
Seine Pupillen wuchsen zu großen Rehaugen. Mit so einem Blick konnte man Shen zwar nicht beeindrucken, doch dieser Panda würde nicht eher Ruhe geben, bis er eine Antwort erhalten würde.
Ein tiefes Seufzen ließ den Panda zusammenfahren.
„Na schön.“
Innerlich brach Po in einen regelrechter Jubel aus. „Yeeah!“
„Also, Ling. Ich verlasse mich darauf, dass du die Aufsicht übernimmst solange ich weg bin.“
„Ja, Großtante.“
Die Wahrsagerin und ihr Großneffe befanden sich gerade auf dem Weg nach draußen über die Stufen, der zu dem großen Platz führte. Ling folgte seiner Großtante ein bisschen genervt, während sie fortfuhr: „Sorge dafür, dass die Mengs ihr Haus nicht mit der falschen Farbe anstreichen.“
„Ja.“
„Zähl immer die Wachen durch.“
„Ja.“
„Wechsel jede Woche deine Kleidung.“
Das kleine Schaf verdrehte die Augen. „Ja.“
„Und noch eine Kleinigkeit…“
„Ja, ja, ja. JA!“
„Vergiss nicht meine Blumen zu gießen.“
Er stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ja-a.“
„Du kommst mit uns mit?“
Sie hatten das Ende der langen Treppe erreicht, wo Po und Xia schon warteten. Überrascht beäugte der Panda die Wahrsagerin. „Warum?“
Sie lächelte ihn an. „Irgendjemand muss doch ein Auge auf euch beide haben.“
„Aha, alles klar.“
Prüfend schaute Po sich auf dem großen Hof um. Sie waren nicht die Einzigen, die sich dort aufhielten.
„Ist das alles was wir mitnehmen?“
Vor ihnen stand eine Kutsche mit einem anderen kleinen Schaf auf dem Kutschbock und einer große Ziege am anderen Ende, die sie ziehen sollte. Neben ihnen stand ein riesiger, griesgrämig dreinblickender Widder.
Po winkte ihm heiter zu. „Hi! Na? Hunger auf eine kleine Abenteuerreise?“
Der Widder schnaubte ihm kräftig an. Begeistert schien er nicht gerade zu sein.
Po lächelte gequält. „Ich sehe, du explodierst schon vor lauter Erwartung, was?“
Er wedelte hastig mit den Armen und wandte sich wieder der alten Ziege zu.
„Ähm, nur eine kleine Frage über all das hier.“
„Frag was du willst, Drachenkrieger.“
„Ja, das, ist dies, gehört das Land deiner Familie? Als wir hier ankamen, stand auf einem Schild 'Changkong'. Ist das der Name der Stadt oder nennt man das Gebiet so?“
„Zu deiner ersten Frage“, antwortete sie ruhig. „Das Land ist Teilbesitz meiner Verwandtschaft. Es bestand zuerst aus einem Ort mit vielen kleinen Hütten. Und die Bewohner hatten nicht länger vor ein solches Leben zu führen. Shen stellte sie vor die Wahl in einer Stadt zu leben, wenn sie diese für ihn aufbauen würden. Und sie waren einverstanden. Zusammen mit meinen Verwandten, die ringsherum lebten. Und zu deiner zweiten Frage, 'Changkong' war der Name des kleinen Dorfes und das Plateau, worauf es einst gestanden hatte. Genau an derselben Stelle, wo wir uns jetzt befinden. Doch ich bin mir sicher, dass Shen für die Stadt einen anderen Namen im Sinn hat.“
„Was denn für einen?“
Sie lächelte. „Er grübelt immer noch darüber nach.“
„Oh.“ Po rieb sich die Stirn. „Wie wäre es mit 'Shen City'?“
„Zu einfallslos.“
Erschrocken fuhr der Panda herum. Der Pfau stieg gerade die Treppe zu ihnen hinab. Er trug eine dicke silberne Robe aus Schafwolle. „Der Name muss eine symbolische Bedeutung haben.“
Po nickte verständnisvoll. „Okay. Aber erfindet man nicht zuerst den Namen, und baut dann erst die Stadt?“
Der Pfau hatte das Ende der Treppe erreicht und blickte ihn mit hocherhobenem Haupte an.
„Ich bin nicht wie die anderen.“
Po schluckte. „Das sehe ich.“
Ein schneidender Blick und Po wechselte schnell das Thema.
„Ähm, nette Kutsche.“
Das konnte Shen nicht gerade heiter stimmen und Po suchte fieberhaft nach einem anderen Gesprächsstoff. Dann deutete er auf das Schaf, welches zuvor auf dem Kutschbock gesessen hatte.
„Vom Wolf auf das Schaf gekommen, was? Ein sehr friedlicher Wechsel.“
Shen strafte ihn mit einem erneuten giftigen Blick und Po blieb wieder still.
Das Schaf hatte unterdessen die Tür der Kutsche geöffnet und der Lord setzte den ersten Fuß rein.
„Wie sollen wir denn da alle reinpassen?“, fragte Po.
Zum ersten Mal schenkte der Lord ihm ein Lächeln. „Tja, du wirst solange mit Wulong Vorlieb nehmen müssen.“
„Wer ist Wulong?“
Die Frage des Pandas wurde prompt mit einem lauten Schnauben in seinem Rücken beantwortet. Po drehte sich um und winkte dem Widder zögernd zu. „Hi, Kumpel. Erwartest du etwa, dass wir auf seinen Rücken reiten?“
„Nur keine Sorge, Drachenkrieger“, beruhigte ihn die alte Ziege. „Er wird euch in der Rikscha hinter sich herziehen.“
In der Tat hatte der Widder eine Rikscha im Schlepptau.
Po tippte seine Fingerspitzen aneinander. „Das ist sehr nett. Aber er ist sehr sprechfaul.“
„Sie kann dir ja Gesellschaft leisten“, meinte Shen spöttisch und deutete auf Xia.
Jetzt war es Po, der zwischen ihm und sie zeigte. „Wir sollen zusammensitzen?“
„Wenn du es lieber vorziehst den ganzen Weg zu Fuß zu gehen.“
„Nein, nein. Ich dachte ja nur, sie würde… mit dir…“
„Entweder so, oder gar nicht!“
Po hob die Tatzen. „Ist ja gut. Also machen wir es uns gemütlich.“
Damit schob er Xia Richtung Rikscha.
Der Lord schnaubte. „Du kommst mit mir.“
Die alte Ziege nickte ihm zu. „Ganz wie du wünschst.“
„Und noch etwas.“ Damit beugte sich der weiße Pfau zu ihr runter und flüsterte: „Sag deinem Schwager, er soll die beiden im Auge behalten.“
Er deutete mit dem Kopf rüber zu Wulong.
Die Ziege lächelte. „Ich bin mir sicher, dass er das tun wird.“
Nachdem alle Reisenden Platz genommen hatten, setzten sich die Karren in Bewegung.
Ling begleitete sie ein Stück bis zum Haupttor.
„Keine Sorge!“, rief er ihnen winkten nach. „Ich werde mich um alles kümmern!“
Nachdem sie die ersten Hügel überquert hatten, löste sich Po vom Blick auf die Stadt hinter ihnen und wandte sich seiner Reisegenossin zu.
„Was ich noch vergessen habe vorhin zu fragen, hm, sag, bist du in diesem Fall also eine Prinzessin?“
„Ähn, ja, bin ich.“
„Wow, ich hab noch nie neben einer Prinzessin gesessen. Das ist eine große Ehre für mich.“
Das Mädchen lächelte.
„Aber für eine Prinzessin bist du ganz okay.“
„Wie darf ich das verstehen?“
„Nun, ich dachte immer, Prinzessinnen wären sehr…. Äh… nun, du verhältst dich so normal, nicht so herablassen. Und das war ein Kompliment.“
Sie bedeckte ihren Schnabel mit ihrem Flügel und lachte. „Da bin ich aber froh.“
Am Ende lachten beide.
Quietschend rollten die Räder durch die schneebedeckten Straßen. Die Wahrsagerin hatte die Augen geschlossen und lauschte den zwei Personen in der Rikscha, bis ein sanftes Knurren sie veranlasste ihre Augen wieder zu öffnen. Shens Blick war nach draußen gerichtet, sein Kopf lehnte auf seinem Flügel, der wiederum mit dem Ellbogen sich auf dem Kutschfensterrahmen abstützte. Sein Gesicht wirkte düster und bedrohlich.
Der Schnee erinnerte ihn an vergangene Tage…
Vor 17 Jahren…
Mit einem knarrenden Geräusch öffnete sich die Tür des unfertigen Gebäudes. Die Krallen des Lords kratzten auf den frischen neuen Holzboden. Er befand sich in der entlegensten Ecke der Fabrik. Es handelte sich dabei mehr um einen großen Abstellraum. Der Wolf, der ihn begleitete, schloss mit einer Verneigung die Tür hinter ihm wieder. Es fiel nur spärlich Licht in den Raum. Doch genug für den Pfau, um sich einen Überblick zu verschaffen. Um ihn herum standen einige Kisten und viel Material. Doch er war nicht in das Gebäude gekommen, um nach Baumaterialien zu schauen. Sein Wille führte ihn in eine bestimmte Ecke, wo eine kleine zusammengekauerte in einer Decke eingewickelte Figur saß.
„Na, eine gute Nacht gehabt?“
Er grinste boshaft.
Mit einem leichten Zittern hob die Pfauenhenne den Kopf. „Es ist kalt.“
„Was hast du anderes erwartet? Eine Luxus-Suite?“ Er lachte. „Tut mir leid für dich, aber ich konnte nicht riskieren, dass du mir wegläufst.“
Sie senkte den Blick.
„Noch irgendwelche Wünsche, kleiner Spion?“
„Könnte ich bitte etwas zu essen haben?“
Der weiße Prinz unterbrach sie mit einem Wink seines Flügels. „Meine Soldaten haben selber kaum was. Gefangene bekommen gar nichts.“
„Ein kleiner Krümel würde mir schon reichen.“
„Nicht mal ein Krümel Schießpulver.“
Mit einer höhnischen Geste wandte er sich ab, doch dann hielt er im Gehen inne.
„Es sei denn…“
Sie schaute zu ihm auf, überrascht und ängstlich zugleich. Langsam dreht er sich zu ihr um und blickte auf sie herab.
„Es sei denn, du würdest mir Gesellschaft leisten.“
Ihre Augen wurden weit.
Er lächelte böse. „Nun, was ist?“
Wenige Augenblicke später…
Seine Fingerfederspitzen strichen über den Rand der leeren Schüssel vor ihm auf dem Tisch. Er schielte zu ihr rüber. Sie saß ganz dicht neben ihm. Ihre Flügel lagen frei auf der Tischplatte und sie schien nicht zu wissen, ob sie in sein Gesicht sehen sollte oder nicht. Stattdessen starrte sie nur auf ihre Flügel in unsicherer Körperhaltung.
Ein Lächeln umspielte seine Schnabelwinkel. Sie verhielt sich wie ein ängstliches Kind. Alle Damen, denen er im Laufe seines Lebens begegnet war, hatten ihm immer nur mit abwertenden Blicken zurückgewiesen. Sie war die Erste, die ihm das Gefühl von Überlegenheit gab. Und er empfand Gefallen an ihrem Verhalten.
„Wollen mal sehen was wir haben“, murmelte er und nahm einen Löffel zur Hand.
Sie antwortete nicht. Ihre Augen beobachteten nur was seine Flügel taten. Er schöpfte etwas Suppe mit kleinen Klösen in eine Schüssel und schob es zu ihr rüber. Sie betrachtete zuerst die Schüssel, dann ihn. Zögernd nahm sie sie in die befiederten Hände.
„Danke.“
Er schenkte ihr ein herablassendes Nicken. „Bilde dir nur nichts darauf ein. Für gewöhnlich verdienen Eindringlinge keine Sonderbehandlung.“
Sie beobachtete ihn, schließlich nickte sie zaghaft, doch sie behielt ihre Unsicherheit.
„Esst Ihr nichts?“
Er stützte seine Ellbogen auf der Tischplatte ab und legte sein Kinn auf seine Flügel, was sie nur noch unsicherer werden ließ.
„Ich habe selten jemanden beim Essen neben mir.“
Er mochte ihre Erscheinung. Und er genoss sie. Frauen hatten immer einen großen Bogen um ihn gemacht, wenn er in ihre Nähe kam. Sie sollte nicht gehen. Sie sollte in dieser Position bleiben.
Sie hustete ein wenig.
„Iss ruhig“, forderte er mit sanfter Stimme. „Es ist nicht vergiftet.“
Als ob er ihr mit dem Tod gedroht hätte, nahm sie den ersten vollen Löffel in den Mund. Sie versuchte sich auf das Essen zu konzentrieren. Doch er konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden. Er wollte sie beobachten. Die silberweißen Strähnen und Flecken auf ihrem braunen Hals faszinierten ihn und schimmerten im Licht der Lampen. All die anderen Frauen, die er bis jetzt gesehen hatte, besaßen Farben wie grün, lila oder blau. Doch keine von ihnen besaß je eine einzige weiße Feder im Federkleid. Weiß war wie ein Teil von ihm.
Ohne zu wissen was er tat, streckte er seinen Flügel nach ihr aus und berührte ihren Hals. Sie schrak zusammen. Mit geschockten Augen wich sie seiner Berührung aus. Der Lord zog seinen Flügel zurück. Der Zauber war vorbei. Seine Entspannung gewichen. Ärgerlich erhob er sich, seine Augen hart auf sie gerichtet.
„Meine Farbe täuscht. Da ist keine Schwäche in mir!“
„Nein, es ist nicht deswegen…“ Sie schluckte, als befürchtete sie ihr Leben zu verlieren. „Es ist nur… Ich mag das nicht.“
„Was? Meine Gegenwart?“
„Nein, ich fühl mich nicht wohl, wenn ein Mann mir auf diese Art und Weise zu nahekommt.“
„Ich hab ein Recht darauf!“
„Bitte nicht!“
Sie bedeckte ihr Gesicht, als ob er gerade etwas Schmutziges gesagt hätte.
Er knurrte wütend. „Immer dieselben Ausreden!“
Mit einem harten Seitenhieb stieß er sie weg. Sie fiel zur Seite und landete auf dem Boden. Er sprang neben sie und beugte sich zu ihr runter.
„Soll ich mich einfärben?! Wäre ich dann gut genug für dich?“
„Gegen Ihre Farbe habe ich nichts.“
Er packte sie brutal am Flügel und starrte ihr vor Wut in die Augen. „Ist Lügen eines deiner Hobbys?“
„Ich lüge nicht! Ich mag es nur nicht angefasst zu werden.“
„Nur wegen meinem Erscheinungsbild?!“
„Nein, ich mag Ihre Farbe.“
Sie spürte, wie sich seine Fingerfedern um ihren Hals legten und zudrückte, wobei er schnaubend ein und ausatmete. Es klang wie ein warnendes Zischen. „Niemand kann meine Farbe leiden! Alle hassen sie! Wieso solltest ausgerechnet du Sympathie für diese Farbe hegen?“
Sie zuckte zusammen, als er seinen Druck um ihren Hals verstärkte.
„Wieso?!“
„Wegen dem Schnee!“
Er lockerte ein wenig seinen Griff, um sie atmen zu lassen.
„Schnee?“
„Ich mag den Schnee. Es gibt mir das Gefühl der Besinnung und Reinheit. Seit ich ein kleines Kind bin, bin ich immer glücklich, wenn der Schnee fällt.“
Noch immer starrte er sie an. Tränen lagen in ihren Augen.
„Aber wenn Ihr mich tötet, so lasst mich wenigstens meinen Frieden im Schnee finden, so wie hier.“
Nur ihre Atemzüge erfüllten den Raum, begleitet von einem sanften Schluchzen. Nach einer Weile ließen seine befiederten Hände vollständig von ihrer Kehle ab. Langsam strich sie mit ihren Fingerfedern über ihre noch nassen Augen. Allmählich merkte er, dass er fast auf ihr lag. Ihr Körper war verkrampft. Langsam entfernte er sich und hielt einen gewissen Abstand zwischen sich und ihr.
Mit jeder Sekunde fand er seine Selbstbeherrschung zurück. Seine Augen hingen an ihr. Die Pfauenhenne erhob sich, ihr Schluchzen wurde leiser. Beide Vögel sahen sich an.
Nach einer Weile brach Shen den Augenkontakt ab und senkte den Blick.
„Sag mir Bescheid, wenn du meist, ich sei zu aufdringlich.“
Er drehte sich um, doch kurz darauf schaute er wieder zu ihr zurück. „Würdest du bleiben in meinem Quartier bis mein anderes Quartier fertiggestellt ist?“
Erneut überkam sie ein leichtes Zittern.
Shen verengte die Augen. „Ich werde dich nicht berühren.“
Eine fremde Atmosphäre lag zwischen ihnen in diesem Raum. Schließlich nickte sie.
Eine Lüge.
Die Wahrsagerin bemerkte wie sich Shens Augen verengten.
„Eine Lüge“, hörte sie ihn sagen.
„Die Zukunft wird Licht ins Dunkel bringen.“
Er funkelte sie zornig an. „Wo Licht ist, da ist immer Dunkelheit, die nie vergehen wird.“
Sie starrte ihn an. Dann blickte er wieder aus dem Fenster, wo er die weißen schneebedeckten Berge beobachtete.
Du hast den Schnee gemocht.
So kalt und still die Atmosphäre in der Kutsche war, und Shens Emotionen wie der Schnee drum herum, umso heiterer war die Stimmung in der Rikscha. Po erzählte Xia ein Abendteuer nach dem anderen von sich und den Furiosen Fünf. Die Zeit verflog. Die Landschaft wurde flacher, letztendlich reisten sie durch Täler bis sie eine Weggabelung erreichten.
Shen befahl hier eine Pause einzulegen und um zu entscheiden welchen Weg sie als nächstes einschlagen sollten.
Während das Schaf und die Widder damit beschäftig waren die Räder von Eis befreiten, breitete Shen eine Karte auf einen flachen schneefreien Stein aus.
Xia und Po gesellten sich zu ihm und studierten den Plan.
„Bis zur Grenze von Nord-West-China werden wir mehr als drei Tage brauchen“, meinte Xia nachdem sie herausgefunden hatte, wo sie sich im Moment befanden. „Wenigstens sind wir nicht so weit vom Ziel entfernt wie von Anbeginn meiner Reise.“ Sie wanderte mit ihrer Fingerfeder über eine bestimmte Linie auf der Landkarte. „Wir sollten am besten diesen Weg folgen…“
Shen stoppte ihre Bewegungen auf dem Papier und schob ihren Finger weg.
„Wir nehmen diesen Weg“, sagte der Lord entschieden und strich über eine blaue Linie.
„Der Xiyi-Fluss?“
„Damit sparen wir jede Menge Zeit und ersparen uns eine Tour durch die hohen Berge.“
„Aber der Xiyi-Fluss ist nicht ungefährlich“, wandte Xia ein.
Shens Fingerfeder krümmte sich auf der Karte und das Mädchen zog eingeschüchtert den Kopf ein. Der Lord hatte wieder den verärgerten Blick, der jeden Angst einjagen konnte.
„Eine Flussfahrt mitten im Winter?“, fragte Po. „Ist der um diese Zeit nicht gefroren?“
Der weiße Pfau rümpfte die Nase.
„Daran sieht man, wie begrenzt dein Wissen ist. Der Xiyi-Fluss friert so gut wie nie ein. Sein Wasser ist wärmer als gewöhnlich und breit genug dazu. Für die Reise werden wir nur ein bis zwei Tage brauchen. Na, bist du damit um eine Erfahrung reicher geworden, Panda?“
Wäre die Situation nicht so ernst, hätte Po vielleicht geschmunzelt, aber er tat es nicht. Auch zu seiner eigenen Sicherheit, da Shen immer noch einen genervten Eindruck machte.
„Vergiss nicht“, fuhr der Pfau mit beleidigter Stimme fort. „Ich bin hier der Anführer. Dass wir hier durch die kalte, lebensfeindliche Einöde reisen geschieht nur aufgrund meiner Einwilligung. Ich würde euch raten, euch nach mir zu richten, oder ihr werdet die Konsequenzen tragen!“
Shens Stimme war wieder lauter geworden, was Po zutiefst überraschte. Irgendetwas machte den Pfau rasend.
„Und wenn ich sage, wir gehen diesen Weg, dann gehen wir auch diesen Weg. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?!“
Stilles Nicken seiner Reisebegleiter und die Anspannung des Herrschers legte sich wieder. Sehr zu Erleichterung der Wahrsagerin.
„Wir werden den Fluss nicht mehr vor der Nacht erreichen“, sagte Shen. „Wir werden unser Nachtlager heute hier aufschlagen.“
Die Sonne war fast verschwunden. Das Schaf und die Widder holten die Zelte raus.
„Ich muss mir unbedingt die Beine vertreten“, murmelte Po und machte einen Schritt nach dem anderen durch den Schnee. „Wer hätte je gedacht, dass langes Sitzen so anstrengend sein kann. Nicht zu vergessen die ganzen Schlaglöcher.“
Müde rieb er sich den Hintern.
„Geht mir genauso“, sagte Xia. „Wollen wir ein Stück spazieren gehen?“
„Ein Spaziergang mit einer Prinzessin? Aber gerne.“
Shen beobachtete wie die beiden verschwanden, schenkte ihnen aber keine weitere Beachtung.
Gemeinsam spazierten der Panda und die Pfauenhenne an Bäumen des Tals entlang. Die letzten Sonnenstrahlen ließen das Eis um sie herum wie Diamanten glitzern. Mit Faszination betrachtete Xia das Naturschauspiel.
„Es ist wunderschön, nicht wahr?“
„Oh ja“, pflichtete Po ihr bei. „Das ist es.“
„Meine Mutter hat die Winterzeit immer geliebt. Sie sagte, es würde in ihr Erinnerungen wecken.“
„Was für Erinnerungen?“
„Darüber hat sie nie mit mir gesprochen.“
Schweigend beobachteten sie die verschneite Landschaft, die sich im Sonnenlicht rot färbte.
Gedankenverloren griff Po in den Schnee und formte einen Schneeball. Dann warf er ihn gegen einen Baumstamm.
Xia lächelte.
„Mein Bruder hätte ihn abgefangen.“
„Oh, mag er Schneeballschlachten?“
„Nein, aber er besitzt sehr gute Reflexe.“ Eine Traurigkeit überzog ihr Gesicht. „Oder vielleiht er „hatte“.“
Po mochte es nicht sie so traurig zu sehen. „Also ist er demnach ein Soldat?“
„So was ähnliches.“ Sie strich sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Er bekam die beste Kampfschule.“
„Und du? Was für eine Kamptechnik hast du gelernt?“
Sie sah ihn überrascht und scheu an. „Nichts.“
„Nichts? Warum nicht?“
„Ich bin ein Mädchen.”
„Was soll das denn für ein Grund sein?“
Sie seufzte. „Xiang ist der Meinung, Frauen sei es nicht erlaubt zu kämpfen. Sie sind nur dazu da, um hübsch neben ihren Männern zu stehen. Das sei alles wofür wir zu leben haben.“
Sie drehte ihm den Rücken zu und ging ein paar Schritte von ihm weg. Sie wirkte etwas wütend und zugleich beschämt.
Langsam trat Po näher an sie heran. „Also hast du noch nie jemanden versucht zu treten?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich nicht, aber mein Bruder.“
„Nur weil er ein Mann ist?“
Sie verengte die Augen. „Korrekt. Er bekam die beste Schule und wurde wie ein Soldat ausgebildet. Während ich hingegen die meiste Zeit mit meiner Mutter verbrachte.“
Po rieb sich über den Kopf. „Ähm, wenn du willst… ich weiß nicht. Soll ich dir ein paar… möchtest du, dass ich dir ein paar Kampf-Tricks zeige?“
„Mir?“
„Natürlich. Nur weil man eine Frau ist, ist das noch lange kein Grund Kung-Fu nicht zu erlernen.“ Er schwang die Arme. „Zuerst brauchst du ein starkes Selbstbewusstsein. Du musst den Mut haben jemanden zu schlagen oder zu treten.“
„Treten? Schlagen?“ Das Mädchen war mehr als unsicher. „Xiang würde mir sowas nie erlauben. Dafür würde er mir eine Ohrfeige verpassen.“
„Ach, papperlapapp. Er ist doch gar nicht da. Hier kann er uns nicht sehen. Komm schon. Ich zeig‘s dir. Versuch mich zu hauen.“
„Dich hauen?“
„Na klar. Nur keine Sorge. Ich weiche deinen Schlägen schon aus.“
Die Pfauenhenne wusste nicht, was sie dazu sagen sollte und sah ihn prüfend in die Augen, um festzustellen, ob der Panda sich nur über sie lustig machen wollte. Doch Pos Haltung zeigte deutlich, dass er es ernst meinte.
„Okay.“
Langsam hob sie ihren Flügel, doch dann hielt sie mittendrin inne. „Ich kann nicht. Ich hab mich noch nie jemanden widersetzt. Vor allem nicht meinem Vater. Nun, wenn er mein Vater wäre. Ähm. Allein schon, wenn meine Mutter etwas gesagt hatte, was er nicht hören wollte, bekam sie immer wieder Schläge von ihm ins Gesicht.“
Po ließ die Arme sinken. Er konnte sich schwer vorstellen, dass ein Vater so brutal mit seiner Familie umgehen würde. Aber würde Shen besser sein? Zumindest hatte er sie noch nie geschlagen.
„Sag“, fragte er vorsichtig. „Könntest du dir denn Shen als deinen Vater vorstellen statt Xiang?“
Sie rieb nervös die Flügel aneinander. „Nun, vorher, ich hab ihn nie kennengelernt, aber jetzt… ich weiß es nicht. Zudem hab ich Angst, dass er meiner Mutter etwas antun könnte… Irgendetwas Schlimmes muss damals passiert sein, was ich nicht verstehen kann. Dabei hat meine Mutter immer beteuert, dass sie ihn geliebt hat.“
„Weiß sie denn, dass er noch lebt?“
Sie senkte den Blick. „Noch nicht.“
Po blieb überrascht der Mund offen.
„Ich hörte auch erst von seinem Überleben nachdem ich meinen Bruder in das kleine einsame Dorf gebracht hatte“, fuhr sie leise fort. „Und ich weiß nicht, was passieren wird, wenn sie es erfährt.“
„Aber das war vor vielen Monaten gewesen“, meinet Po nachdenklich. „Wie kommt es, dass sie es nicht mitbekommen hat?“
Wieder stieß sie einen tiefen Seufzer aus. „Xiang hatte sie von der Außenwelt isoliert.“
Po verstand nicht. „Warum?“
„Nachdem sie von Shens “Tod“ erfahren hatte, war sie nicht mehr dieselbe. Ihre Worte kamen fast nur noch mechanisch. Es war als hätte sie jeglichen Sinn im Leben verloren. Nach einer Weile wurde es Xiang zu viel und sperrte sie in ihr Zimmer ein, bis sie wieder normal sein würde. Das hatte ihr nur noch mehr die Lebensenegie genommen.“ Sie nahm einen tiefen Atemzug und gab ihm einen wehmütigen Blick. „Vielleicht wenn ich und mein Bruder nicht wären, vielleicht wäre sie schon längst gestorben.“
Für ein paar Sekunden sprach keiner von beiden ein Wort, bis Po den Mut zusammen nahm und die Stille unterbrach. „In diesem Fall müssen wir unbedingt beide zusammenbringen. Vielleicht wird am Ende ja doch noch alles gut.“
„Also ich weiß nicht. Was ist, wenn es dann nur noch schlimmer wird?“
„Wir werden es nie herausfinden, wenn wir es nicht versuchen. Ich denke ohnehin, dass sich einige Dingen ändern müssen. Besonders für dich und deine Mutter.“
„Aber was, wenn Xiang…“
„Jetzt vergiss ihn mal für einen Moment, okay? Er hat kein Recht für immer dein Leben auf diese Art und Weise zu bestimmen. Irgendwann hat man auch die Freiheit über sich selbst zu entscheiden. Und der erste Schritt wird sein, mir einen Hieb zu verpassen. Also dann, schlag zu!“
Er nahm Stellung ein und war bereit.
Aber Xia traute sich immer noch nicht. „Du bist ein guter Kerl. Tut mir leid, ich kann nicht.“
Po dachte nach.
„Oh, einen Moment!“ Er hob mit einer „Aha“-Geste den Finger. „Ich habe eine Idee.“
„Jep, das ist es!“ Zufrieden mit sich selbst betrachtete Po sein Werk. „Das sind jetzt deine Gegner.“
Xia starrte ihn entgeistert an. „Und ich soll was tun? Du hast dir so viel Mühe gemacht. Ich kann sie doch jetzt nicht einfach so kaputt machen.“
„Oh, kein Problem. Die werden so oder so irgendwann wegschmelzen.“
Xia zählte durch. Insgesamt standen fünf Schneemänner auf dem Feld. Einige von ihnen hatten die Gestalt eines Krokodils oder eines Wolfes.
Mit schüchterner Haltung ging sie auf den am Nächststehenden zu und beäugte das Schneegesicht.
„Jetzt hau ihm eine runter!“, rief Po ihr zu und schwang die Arme.
„Wie? Mit dem Flügel?”
„Flügel oder Fuß. Das ist im Moment unwichtig. Stell dir einfach vor, das wäre ein böser Typ, der dir dein Geld stehlen will.“
„Und ich soll ihn schlagen? Ähm, das hab ich noch nie gemacht. Das ist… ist das nicht ein bisschen grob?“
„Es ist nicht grob, wenn du um deinen Besitz oder um dein Leben kämpfst.“
„Mein Leben?“
„Natürlich. Es gibt viele böse Buben, die dich aus irgendeinem Grund töten würden.“
Sie schluckte. Po versetzte ihr einen leichten Seitenstoß.
„Komm schon! Zeig ihm was du kannst und dass du es ihm nicht erlaubst. Verpass ihm einen harten Schlag.“
„Na gut.“
Vorsichtig ging auf den ersten Schneemann zu und stupste ihn an.
„Komm schon!“, feuerte Po sie an. „Versuch es!“
„Muss ich dazu wirklich meine Flügel benutzen? Oder kann ich noch etwas anderes benutzen?“
„Nun, du kannst auch einen Holzstock verwenden. Ich werde es dir zeigen.“
„Und stellt sicher, dass es dem stärksten Sturm standhält“, rief Shen seinen Dienern zu, die damit beschäftigt waren das Zelt aufzubauen. „Sieht ganz danach aus, dass Neuschnee in der Nacht zu erwarten ist.“
Er schaute zum Himmel hoch und beobachtete die Wolken.
Ein plötzlich erschallendes „Woahhai!“ ließ ihn zusammenfahren, bis er die vertraute Stimme von Po erkannte.
„Dieser Panda“, murmelte er grimmig. „Was auf der weißen Erde, macht er jetzt schon wieder?“
Empört über diese Ruhestörung schritt der Lord an den Bäumen entlang. Genau zu der Stelle, wo die Schreie hergekommen waren.
„Er ist wie dein dummes Kind“, dachte der Kriegsheer.
Langsam spähte er um eine Baumgruppe. Zuerst verwirrten ihn die seltsamen Figuren auf dem verschneiten Feld, bis er merkte, dass sie nur aus Schnee bestanden. Ihre Umrisse warfen lange Schatten in dem roten Licht der Abendsonne.
In der nächsten Sekunde schoss eine schwarz-weiße Figur durch die Schneemodelle und schwang den Stock in sämtliche Richtungen, dass der Schnee nur so durch die Luft wirbelte.
Wie vom Blitz getroffen begannen Shens Lider heftig zu flackern.
Nein!
Er schnappte nach Luft und schrak zurück. Er hatte Mühe zu atmen.
Mit weitaufgerissenen Augen starrte er nach vorne.
Wie er! Nein! Das ist er!
Schnell wandte er sich ab und rannte davon.
Mittlerweile hatte Po den Stock auf die Schulter geschwungen und betrachtete seine besiegten „Feinde“.
„So ungefähr könntest du es machen.“
„Bei dir sieht das so einfach aus“, meinte Xia voller Bewunderung. „Aber ich weiß nicht, ob ich das jemals könnte so gut zu sein wie du.“
„Mit ein bisschen Übung, kannst du alles schaffen.“
Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, vielleicht. Aber nicht heute. Es ist schon spät.“
Po sah auf. Der Himmel hatte sich bereits verdunkelt. „Okay. Gehen wir zurück.“
„Shen? Ist alles in Ordnung?“
Besorgt schaute die alte Ziege den Lord von der Seite an, der keuchend gegen dem Zelt lehnte.
„Mir… mir geht es gut“, wich er ihrer Frage aus.
Er bedeckte sein Gesicht mit einem Flügel und rieb sie die Stirn. „Es war nur…“ Energisch schüttelte er den Kopf. „Nichts!“
„Deine Angst hat einen Grund.“
„Ich habe keine Angst! Und bevor du noch mehr sagst, dann sprich mich nicht an! Kein Wort!“
Niedergeschlagen sah sie dem weißen Prinzen nach wie er in seinem Zelt verschwand.
Die Nacht brach an und der Wind wurde stärker, aber in den Zelten war es warm. Shen beanspruchte ein Zelt für sich alleine, während der Rest in einem größeren Zelt zusammen campte. Nach dem Essen gingen sie schlafen. Es wurde schnell ruhig im Lager. Nur der starke Wind blies um den Stoff der Bezüge. Aber alles in allem war die Umgebung leer und einsam. Trotzdem konnte Shen keinen Schlaf finden. Egal was er tat, immer wieder hatte er diese Bilder im Kopf und ließen ihn nicht mehr los. Sie quälten ihn, verfolgten ihn. Er warf den Kopf hin und her.
Es war kalt gewesen.
Eine windige Nacht wie heute.
Überall herum lag Schnee.
Dunkle Schatten und rotes Feuer.
Geheule von Wölfen. Schreie von sterbenden Pandas.
Auf einem Feld stand ein weißer Pfau. Umgeben von Wölfen.
Der Kriegsherr blickte geradeaus. Nicht weit von ihm entfernt saß ein kleiner Panda vor einer Hütte.
„Tötet sie alle!”
Seine Wölfe gehorchten. Mit weit aufgerissenen Mäulern stürzten sie sich auf das Baby.
Plötzlich tauchte eine andere große Figur auf und schwang etwas durch die Luft. Es traf die Wölfe mit voller Wucht und schleuderte sie zurück. Nur sehr knapp verfehlte ihr Aufprall den Lord.
Der Pfau wich aus.
Wer war das gewesen?
„Lauf davon mit unserem Sohn!“, rief der große Panda.
Niemand soll mir entkommen! Niemand darf entkommen.
„Tötet sie! Hinterher!“
Weite Wölfe tauchten auf. Wie bedrohliche Schatten jagten sie durch den Wald.
„Du wirst sie nie kriegen!“
Der große Panda rannte auf ihn zu. Nein, er konnte nicht gewinnen.
Der Kampf war kurz, aber hart.
Noch immer konnte er die Schneeflocken auf seinem Gesicht fühlen und die Asche in Mund und Nase riechen und schmecken. Kalter Schnee unter seinen Füßen, die Hitze der brennenden Häuser rundherum. Der große Panda hatte wie verrückt gegen ihn gekämpft.
Völlig verkrampft öffnete Shen die Augen.
Könnte das wieder passieren?
Könnte dieser Panda ihm wirklich vergeben?
Plötzlich meinte Shen draußen im Schnee Schritte zu hören. Er hob den Kopf. Irgendjemand schlich um das Zelt herum. Dann verstummte es abrupt. Als sich nach einer Weile nichts mehr tat, legte er sich wieder hin.
Muss wohl der Wind gewesen sein. Das alles machte ihn nervös. Wieso hatte er diesem Panda nur erlaubt mitzukommen?
Da war eine Bewegung am Zelteingang.
„Wer ist da?!“, rief Shen sichtlich erschrocken.
Das konnte nicht der Wind sein. Er hatte die Vorhänge zuvor gut verschlossen.
Ein Gefühl des Nicht-Allein-Seins befiel den Lord. Irgendjemand stand mit ihm im Raum. Er war nicht mehr allein.
Ein Schatten tauchte in der Ecke auf.
Schnell drehte er sich um.
Rotes Licht erleuchtete den Raum.
Nein! Das kann nicht sein!
Es war der große Panda. Vor ihm stand der große Panda.
„Du wirst sie niemals bekommen!“
Der Lord war wie gelähmt.
Das war unmöglich. Er war doch tot gewesen.
Plötzlich veränderte sich das Gesicht.
War das…?
Der Drachenkrieger.
Po gab dem Kriegsherrn einen düsteren Blick.
„Wooahai!“
Er schwang den Stock und ließ ihn auf ihn niedersausen.
„AHHHH!“
Mit rasendem Puls riss der Lord die Augen auf. Er brauchte mehr als zwei Sekunden, um zu begreifen, dass das Zelt leer war. Er blinzelte. Er stand fast in seinem Bett. Sein Keuchen war das einzige Geräusch, was den Raum belebte. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Es hatte alles so echt ausgesehen. Er hatte den Panda reinkommen sehen.
Allmählich flauten die Wellen seines Traums ab. Die Realität umwickelte ihn wie eine führsorgliche Mutter. Schließlich wagte er einen tiefen Atemzug und Erleichterung breitete sich in ihm aus. Langsam rieb er mit seinen Flügeln über seinen Kopf. Ein Seufzer neben ihm ließ ihn urplötzlich zusammenfahren.
„Ah!“
Shen hielt sich die Brust, geschockt und froh zugleich, dass es nicht der Panda war, der sich an ihn herangeschlichen hatte.
„Shen, es ist okay, es war nur ein Traum gewesen“, beruhigte ihn die alte Ziege.
„Ich weiß“, murmelte der Pfau düster. Er hasste ihr Mitleid.
„Nur keine Sorge, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Der Panda schläft.“
„Woher weißt du, was ich geträumt habe?“
„Du hast laut genug im Schlaf geredet.“
Noch immer schwer atmend ließ er seine starren Blicke auf sie niedersausen, während ihre Augen sanft auf ihn ruhten. Dann, ohne ein Wort, verließ der Pfau das Bett und ging nach draußen.
Kalter, eisiger Luft trat ihm entgegen. Der Wind wehte immer noch erbarmungslos über die Felder, doch es war schon fast morgen.
Müde und noch immer innerlich aufgewühlt marschierte Shen durch den hohen Schnee. Nach ein paar Meter hielt er an. Der kalte Wind gab ihm wieder einen klaren Kopf. Er schloss die Augen und ließ seinen Geist von der Stille um ihn herum auf sich einwirken.
Der Schnee weckte in ihm Erinnerungen. Erinnerungen aus weiter Ferne und vor sehr langer Zeit.
Er lächelte bitter. So viele Dinge waren im Schnee geschehen. Die Schlacht im Panda-Dorf. Und das in den hohen Bergen…
Sein Blick wanderte nach vorne. Die ersten Sonnenstrahlen eines neuen Tages erleuchteten den Himmel und hüllten die Landschaft in ein sanftes Rot. Der nächste Tag war geboren. Ein neuer Tag im Schnee.
Es ist wunderschön.
Du hast den Schnee gemocht.
Nein, das war nicht in der Morgensonne, es war in der Abenddämmerung gewesen…
Vor 17 Jahren…
Sie stand da. Sie stand da wie eine Statue. Sie tat nichts. Sie stand nur da und blickte in die Ferne zu den Bergen.
Der Lord befand sich im Inneren der Höhle und beobachtete sie. Sie rührte sich nicht von der Stelle. Sie stand im Eingang der Höhle und betrachtete den Sonnenuntergang.
Langsam kam er näher. „Stimmt etwas nicht? Was gibt es dort zu sehen?“
Die Pfauenhenne zuckte zusammen und zog den Kopf ein, als Shen sich neben sie begab. Ihre Augen trafen sich. Sie hatte immer noch Angst vor ihm.
„Also, was machst du hier?“, wiederholte er seine Frage.
„Ich dachte… frische Luft würde mir guttun. Und…“ Wieder fiel ihr Blick auf die sterbende Sonne. „Ich mag es den Sonnenuntergang zu beobachten.“
Der Lord schenkte ihr einen flüchtigen Blick. „Wie jeden Tag vor der Nacht.“
„Jeder Sonnenuntergang ist etwas Besonderes. Er ist wunderschön.“ Sie seufzte leise. „Ich wünschte, ich könnte es sehen.“
Überrascht hob er die Augenbrauen. „Mm?“
Sie hielt den Atem an, doch in derselben Sekunde senkte sie den Kopf. „Nichts.“
Ihre Stimme klang heiser, aber gleichzeitig sanft und weich. Der Prinz konnte sich nicht erklären weshalb er es mochte ihre Stimme zu hören. Doch es gelang ihm sehr gut keine Gefühlregung in seinem Gesicht aufkommen zu lassen. Noch immer betrachtete sie die Sonne. Schließlich überwand er sich und schaute nun ebenfalls dorthin.
Stille umgab sie. Der Sturm war vorbei, aber der Lord wusste, der Nächste würde kommen.
„Es ziehen Wolken auf.“
Ihre Augen schwenkten zu ihm rüber. „Was?“
„Siehst du’s nicht?“ Er winkte mit dem Kopf auf die rechte Seite. „Die Wolken bringen neuen Schnee. Morgen wird die Sonne nicht zu sehen sein.“
Sie beobachte ihn schweigend. „Du scheinst das Wetter hier sehr gut zu kennen.“
„Ich lebe hier schon sehr lange.“
„Warum gerade hier? So ganz alleine?“
„Unwichtig“, schmetterte er ihre Frage ab.
Sie wich seinem Blick aus.
Sie verhält sich immer noch wie ein verängstigtes Kind, dachte er. Doch warum sollte ihm das kümmern?
Eine Weile lang sprach keiner von beiden ein Wort. Man hätte meinen können sie wären zu Eis erstarrt, doch irgendetwas fühlte der Ex-Herrscher. Er wusste nicht wieso, doch eine Anspannung in seinen Flügeln und Schultern baute sich in ihm auf. Was auf der Erde, sowas hatte er noch nie gefühlt. Der Lord schielte zu ihr rüber. War sie nervös? Was sollte er sagen? Wieso sollte er überhaupt etwas sagen? Er war nicht verpflichtet etwas zu sagen. Doch er hatte das Gefühl etwas sagen zu müssen. Er schüttelte über sich selber den Kopf.
Was machst du da?
Er räusperte sich, doch er war unfähig zu sprechen. Warum nicht?
Plötzlich hustete sie furchtbar. Jetzt waren seine Augen komplett auf sie gerichtet. Sie rieb sich den Hals.
„Alles in Ordnung?“, fraget er unsicher.
Warum fragst du?
Erneut musste Shen den Kopf schütteln.
„Nur ein Kratzen im Hals“, sagte sie mit einem Keuchen. „Das geht vorbei.“
Sie sahen sich an, bis der weiße Pfau den Augenkontakt unterbrach.
„Zeit zum Schlafen.“
Er drehte sich weg und begab sich ins Innere der Höhle. Als er merkte, dass sie ihm nicht folgte, gab er sich einen Ruck und winkte sie beruhigend zu sich, allerdings ohne sich dabei nach ihr umzudrehen.
„Keine Sorge. Du musst nicht in meinem Bett schlafen.“
Sie konnte es nicht sehen, aber für einen kurzen Moment überschattete sein Gesicht Reue und Bedauern. Schließlich drehte er dann doch den Kopf in ihre Richtung. Wieder trafen sich ihre Blicke und er konnte es nicht ertragen ihr länger in die Augen zu schauen.
„Komm rein. Du erkältest dich noch.“
„Du erkältest dich noch. Shen? Shen?“
So langsam wachte der Pfau aus seiner Trance auf. „Mm? Was?“
„Es ist kalt, Shen“, drang die Stimme der alten Ziege zu ihm durch. „Du wirst dir noch eine Erkältung holen. Komm rein.“
Der Pfau verengte die Augen.
Sich erkälten. Nur eine Lüge.
Verärgert wandte er sich ab. „Du bist nicht meine Mutter.“
„Wo willst du hin?“, fragte sie, während Shen sich zum zweiten größeren Zelt begab. Doch er äußerte sich nicht für sein Tun. Mit einem heftigen Schwung öffnete er die Zeltvorhänge und trat ein.
„Panda! Aufwachen!“
„Mm, was?“ Po war immer noch nicht ganz wach. „Was ist los? Werden wir überfallen?“
„Wir brechen auf!“
Verschlafen rieb sich der Panda die Augen und drehte sich auf die andere Seite. „Es ist noch früh. Nur noch fünf Minuten.“
Mit einem gnadenlosen Wink seines Fingers, deutete der Lord zuerst auf den schon wachen Schwager der Wahrsagerin, anschließend auf den maulenden Panda. Und es dauerte nicht lange und der Drachenkrieger in Schwarz und Weiß flog durch die Luft und landete draußen im kalten Schnee.
Mit rudernden Armen und Beinen setzte sich der Panda auf. „HEY! Wofür war das denn jetzt?“
Doch Shen schenkte seinem Morgenfrust keine Beachtung, sondern blickte mit schadenfroher Miene auf ihn herab. „Und ich werde dich im Auge behalten.“
Damit ging Shen an ihm vorbei und ließ den irritierten Panda einfach sitzen.
„Warum?“
„Alles und jeder ist in 15 Minuten fertig!“
Noch immer völlig verwirrt stand der Panda auf. „Hey? Und was ist mit Frühstück?“
Kaltes Wetter, kalte Füße, kalter Reis von gestern.
Es war nicht gerade das ideale Frühstück, aber besser als gar nichts, dachte Po, als sie in der Rikscha durch den Schnee gezogen wurden. Glücklicherweise dauerte die kalte Reise nicht lange. Nach einer Weile tippte Po Xia auf die Schulter. „Hey, sieh mal!“
In einem Tal konnten sie eine lange, breite Wasserstraße erkennen.
„Könnten Sie das bitte nochmal wiederholen?“
Ein Gänserich und ein Schaf wussten nicht genau, was sie darauf erwidern sollten, als der Lord vor ihnen stand, nachdem sie ihn schon zuvor geantwortet hatten auf die Frage, ob sie sie durch den Fluss bringen könnten.
„Es ist so wie ich gesagt habe“, startete das Schwein von neuem. „Niemand fährt diesen Fluss hoch, nur flussabwärts. Um diese Jahreszeit lauern dort besonders viele Banditen in den oberen Gebieten herum. Aus diesem Grund meiden wir diesen Flussweg.“
Beide Dorfleute schrien vor Schreck auf, als ein scharfes Messer vor ihren Gesichtern aufblitzte.
Po versuchte die Situation zu entschärfen. „Shen, das ist nicht nötig.“
Shens Fauchen hallte so bedrohlich, dass dem Panda sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich.
„Ich nehme mir was ich will, und ich nehme mir was ich brauche.“ Shens Stimme klang mehr als gereizt. „Entweder wir nehmen das Schiff oder wir nehmen es mit Gewalt ein!“
Die harsche Stimme des Kriegsherrn ließ die Seeleute erschaudern. Schließlich hob das Schwein die Hand. „Ich bin für die friedliche Variante.“
Das Schiff war nicht groß genug, um die Kutsche und die Rikscha zu transportieren. Aus diesem Grund mussten sie beides zurücklassen. Das Schaf und der Widder erklärten sich einverstanden zurück damit in die Stadt zu fahren, während die anderen ihre Reise zur China-Grenze fortsetzten. Der Schiffsbesitzer hinderte sie nicht daran das Schiff zu übernehmen, wenn auch nur widerwillig.
Po überkam ein ungutes Gefühl im Magen, als sie vom Ufer ablegten, weil die Dorfleute nur den Kopf schüttelten und ihnen eine gute Fahrt wünschten.
Die Flussreise verlief ruhig und ohne Probleme. Dennoch herrschte an Bord nur wenig Aktivität. Der Schwager der Wahrsagerin hatte sich bereiterklärt das Schiff zu steuern, während die anderen verteilt nur saßen oder auf dem Deck umhergingen. Shen hatte sich einen Platz auf dem Dach der Schiffkabine ausgesucht, um alles auf dem Schiff zu überblicken. Besonders waren seine Augen auf Po gerichtet. Als der Panda seinen Blick bemerkte, winkte er ihm mit der Tatze zu. Doch der Lord mied seine Geste und schaute weg.
„Ist er heute mit dem falschen Fuß aufgestanden?“, fragte sich Po verwundert.
„Keine Sorge“, meinte die alte Ziege. „Er ist nur ein bisschen nervös.“
„Oh, natürlich, eine alte Liebe zu treffen muss sehr spannend sein.“
„Sie ist nicht meine alte Liebe!“, sagte der Lord neben ihm wie aus dem Nichts aufgetaucht. „Wir sind nur auf der Reise, um einige Dinge zu klären!“
„Vergiss bitte nicht meinen Bruder“, wandte Xia ein. „Vielleicht wird es das erste und letzte Mal sein, dass du ihn sehen wirst.“
Der Lord schnaubte mit einer herabwürdigenden Geste. „Na schön. Doch erwarte nicht, dass ich ihn in meinen Leben willkommen heißen werde. Ich werde ihn wie jeden anderen Fremden behandeln.“
Sie senkte den Blick. Dann meldete sich Po, dem gerade was eingefallen war.
„Hey! Warte mal! Du hast uns noch nicht gesagt wie dein Bruder heißt!“
„Hab ich das nicht?“
Der Panda schüttelte den Kopf. „Nein, hast du nicht.“
„Oh, tut mir leid. Nach so vielen Dingen, hab ich es vergessen. Ähm.“
Ihr Blick blieb auf Shens Gesicht hängen. Wollte er auch den Namen wissen?
„Nun, sein Name ist Sheng.“
„Sheng?“ Po war sehr überrascht. „Klingt ja ähnlich wie Shen.“
Ein sanftes Lächeln umspielte Xias Schnabel. „Vielleicht wollte meine Mutter eine Erinnerung behalten.“
Sie sendete ihrem „Vater“ einen hoffnungsvollen Blick zu. Doch Shen wandte sich einfach ab, ging ein paar Schritte weiter weg und starrte auf den Fluss.
Po tätschelte der traurigen Pfauenhenne auf die Schulter. „Gib ihm etwas Zeit.“
Sie nickte niedergeschlagen. Betrübt lehnte sie sich gegen die Reling und beobachtete die sanften Bewegungen des Wassers.
Mittlerweile hatte Po wieder all seinen Mut zusammengenommen und ging zu dem stillen Lord rüber. Doch bevor er seine Kehle für einen Satz räuspern konnte, schnitt der Lord ihm das Wort ab. „Du solltest aufhören dich in Sachen einzumischen, die dich nichts angehen.“
„Vielleicht ist es ja nicht meine Sache“, entgegnete Po. „Aber ihr Verhalten geht mich etwas an. Nur tu ihr den Gefallen und behandle sie nicht wie ein dummes Mädchen.“
„Ihre Mutter war nicht anders.“
Hörbar schnappte Po nach Luft, doch er kontrollierte seinen Ärger. „Na schön, wir sollten später darüber reden, nachdem wir sie gefunden haben.“
Der Pfau erwiderte nichts. Er starrte nur geradeaus. Po seufzte und wandte sich ab zum Gehen.
„Unser Friedensabkommen steht noch, oder?“
Kaum hatte Shen diese Worte geäußert, sah der Panda ihn mit großer Überraschung an. „Natürlich, warum fragst du?“
„Nur um ganz sicher zu sein.“
Po wusste nicht, was er von dieser Andeutung halten sollte.
„Oookay, wenn du denkst - falls du denkst, ich würde den Schwur in meinem Dorf vergessen, dann bist du im Irrtum. Da zitiere ich immer die Worte meines Meisters Shifu, der immer zu sagen pflegt, ein Gelübde zu halten ist die Pflicht eines jeden Kung-Fu-Kriegers…“
Doch Shen hörte ihm gar nicht mehr zu. Seine Augen spannten sich an und blieben über der hügelverhangenen Seite des Flusses hängen, wo er die schnelle Bewegung eines Schattens wahrgenommen hatte.
Die Wahrsagerin bemerkte seine Anspannung zuerst. Sie kannte ihn gut genug. Und er zeigte ihr, dass etwas in der Umgebung nicht stimmte. Langsam zog er eines seiner Federmesser aus seinem Flügel heraus. Po hingegen hatte immer noch nichts bemerkt und redete ununterbrochen weiter.
„Und genau deshalb kannst du mir vertrauen, und das ist nach meiner inneren Überzeugung…“
„DECKUNG!“
Shen stieß ihn so hart weg, dass der Panda mehrere Meter über das Deck schlitterte.
In der nächsten Sekunde landeten zwei große Gestalten mit einem lauten Krachen auf den Holzboden des Schiffes.
„Was sagt man dazu, heute ist unser Glückstag!“
Ein großes waranaussehendes Tier, bedeckt mit einer dicken Kleidung und noch ein weiterer, zogen ihre Schwerter.
Po mittlerweile hatte sich bereits wieder von der wilden Begrüßung erholt und trat ihnen mutig entgegen.
„In diesem Fall müsst ihr die Banditen sein, die den Fluss unsicher machen.“
„Du weißt viel, in diesem Fall, gib uns was wir wollen.“
Sie lachten.
Po rieb sich die Tatzen. „Nicht ohne einen Kampf!“
Die Echsen zischten amüsiert. „Nette Einladung.“
Mit einem lauten Aufschrei rannten sie auf sie los. Po nahm sich den Ersten vor, Shen den Zweiten. Zuerst dachten die Banditen, sie hätten leichtes Spiel. Doch der Kung-Fu-Panda und der weiße Kriegsherr entpuppten sich als harte Gegner. Doch kurz darauf erschien eine andere Gefahr.
„Überraschung von hinten!“, schrie Po der restlichen Gruppe zu.
Drei weitere Echsen kletterten gerade über die Reling und stießen vor. Der Widder Wulong hatte seine Schwägerin beiseite genommen und wehrte die Angreifer mit seinen Widderkräften ab. Xia schrie, als einer der großen Echsen mit einem gezuckten Messer vor ihr stand.
„Hey!“, rief Po zu ihr rüber. „Schnapp dir etwas und hau ihn damit!“
Die junge Frau sah sich um und bekam die nächstbeste Stange zu fassen.
Der Waran lachte. „Was willst du denn mit diesem Streichholz?“
Xia nahm einen tiefen Atemzug. Doch noch bevor sie den Stock schwingen konnte, riss der Bandit ihn ihr aus den Flügeln und stieß sie mit aller Gewalt von sich. Die Pfauenhenne taumelte nach hinten. Mit einem Klatscher fiel sie rückwärts in die kalten Fluten des Flusses. Zum Glück war die Strömung nicht stark. Als Po mitbekam was passiert war, winkte er ihr zu.
„Schwimm rüber!“
Doch das Mädchen machte nur unkontrollierte, kraulende Bewegungen.
„Ich kann nicht schwimmen!“
Pos Augen wanderten zu Shen, der gerade die letzte Echse aus dem Schlachtfeld vertrieben hatte. Doch statt etwas zu unternehmen, schaute er nur auf das zappelnde Mädchen im kalten Wasser.
„Tu doch was!”
Doch Pos Rufe schienen irgendwie nicht in den Kopf des Pfaus durchzudringen. Entweder ignorierte er sie mit Absicht oder er konnte ihn wirklich nicht hören.
Die Augen des Pandas weiteten sich entsetzt, als Xia zu sinken begann. Mit einem gewaltigen Sprung landete Po in den Tiefen des Flusses und schwamm zu ihr rüber. Seine Finger tasteten sich durch die eisige Kälte und fühlte nasse Federn eines Flügels. Er packte zu und zog daran. So schnell er nur konnte paddelte er zurück zum Schiff. Kaum hatte er den Schiffrumpf erreicht, zogen starke Arme die beiden klitschnassen Schiffbrüchigen hoch. Vorsichtig setzte Wulong sie auf dem Deck ab.
In Pos Kopf rauschte es, begleitet von lauten Flüchen aus weiter Ferne. Der Drachenkrieger stützte seinen Oberkörper ab und sah noch wie die Banditen ihr Heil in der Flucht suchten. Doch dann fiel sein Blick auf Shen, der immer noch ruhig und gelassen mit verschränkten Flügeln da stand.
Wütend zog Po die Augenbrauen zusammen. „Warum hast du sie nicht gerettet?!“
Doch Shen zeigte keine Regung. „Warum sollte ich das tun?“
„Bist du wasserscheu oder was?!“
Jetzt glitt doch eine zornige Welle über des Lords Gesicht. „Pass auf was du sagst!“
„Hört auf damit!“, rief die Wahrsagerin. „Alle beide!“
„Was hast du dir dabei gedacht?!“, rief Po. „Sie hätte ertrinken können!“
Der weiße Vogel hob nur die Augenbrauen. „Das ist nicht mein Problem.“
Po balle die Fäuste, doch ein lautes erschöpftes Husten ließ ihn zusammenzucken. Die Pfauenhenne lag immer noch da mit stark zitterndem Körper.
Sanft nahm Po sie in die Arme.
„Sie friert sich noch zu Tode. Wir müssen ein Lagerfeuer machen.“
Mit tiefster Finsternis beobachtete der Lord wie Po ein Feuer am Ufer anzündete. Natürlich konnten sie unmöglich ein Feuer auf dem Schiff entfachen, sodass sie einen Zwischenstopp am trockenen Land einlegen mussten.
„Warum hast du sie nicht gerettet?“, hallte es dem Vogel immer noch durch den Kopf. Dadurch verengte sich seine Augen nur noch mehr.
Mein Hass war stärker.
„Gleich wird es warm“, sagte Po und blies in die noch kleinen Flammen. Xia saß auf einem Stein, umhüllt in einer dicken Decke. Der Panda trat hinter sie und rubbelte über ihren Rücken.
Sie lächelte verschmitzt.
„Ich bin so ein Feigling.“
„Hey“, meinte Po und lachte. „Für deinen ersten Kampf, war das nicht schlecht. Aber warum kannst du nicht schwimmen?“
Sie schwieg.
„Xiang“, war ihre einzige Antwort.
Und Po verstand. „Na ja, den Schwimmunterricht werden wir auf später verschieben.“
Sie hustete.
Aufmunternd tätschelte Po ihr auf die Schulter. „Mach dir nichts draus. Du musst nicht alles an einem Tag lernen.“
In diesem Moment trat die Wahrsagerin an sie heran und hielt dem Mädchen eine gefüllte Schüssel hin.
„Trink das.“
Die Augen des Lords weiteten sich mit einem Mal. Der Geruch warf ihn weit zurück in die Vergangenheit.
Vor 17 Jahren…
Er konnte kein Auge zumachen. Noch nie hatte er mit einer anderen Person zusammen in einem Raum geschlafen. Zumindest nicht mit einer Frau. Doch ihre Gegenwart war nicht der einzige Grund, weshalb er keinen Schlaf finden konnte. Von Zeit zu Zeit hallte ein Husten durch seinen Kopf. Nein, das war kein Traum. Müde öffnete er die Augen. Der Raum der Höhle lag fast komplett im Dunkeln. Nur ein großes Feuer brannte in der Nähe des Höhleneingangs, um die Höhle aufzuwärmen und sodass der Rauch nach draußen entweichen konnte.
Ein erneutes sanftes Husten ließ ihn hochfahren. Seine Augen wanderten in eine Ecke, wo einige Decken auf dem Boden lagen, während er ein komfortableres Bett belegte. Als er es nicht mehr länger aushalten konnte, warf er die Decke beiseite, verließ das Bett und ging rüber zu der immer noch hustenden Pfauenhenne.
Nachdem er sie erreicht hatte, hielt er an und schaute zu ihr herunter. Ihre Augen waren geschlossen, doch sie schlief nicht. Sie lag da mit verkrampftem Körper und hielt sich den Hals. Der Lord gähnte leise, dann verfiel er wieder in seine würdevolle Haltung zurück und räusperte sich. Sein genervter Klang ließ sie hochschrecken. Sofort setzte sie sich auf und blickte ihn reuevoll an.
Der Prinz lächelte innerlich. Er genoss ihre Unterwürfigkeit.
„Könntest du mir einen Gefallen tun und nicht meinen Schlaf stören?“, fragte er müde und gestresst.
Dadurch neigte sie den Kopf nur noch mehr. „Es tut mir leid, es ist nur etwas in meinen Hals.“
Er seufzte. Momente der Stille umgaben sie. Schließlich wandte sich der Lord ab. Sie sah ihm nach wie der Lord zum Feuer rüberging. Dann schaute er zu ihr zurück und winkte sie zu sich rüber mit einer behutsamen Bewegung seines Flügels.
„Komm her.“
Ihr Schnabel begann zu zittern.
„Bitte!“, flehte sie. „Es war nicht meine Absicht Euch aufzuwecken.“
Schnell stand sie auf und wollte die Höhle verlassen. „Ich schlafe draußen.“
Doch kaum war sie an ihm vorbei, fühlte sie seinen eisernen Griff an ihrem rechten Flügel.
Angst stieg in ihr auf. „Nein, tut mir nicht weh!“
Sie zog, doch der Griff um ihren Flügel ließ nicht locker. Verzweifelt gab sie den Widerstand auf. Ihren Kräften nachgebend konnte sie nichts Weiteres tun, als nur ein keuchendes Wimmern von sich zu geben.
„Habe ich nicht gesagt, ich würde dir nicht weh tun?“, hallte die flüsternd-mahnende Stimme des Lords.
Seine Worte veranlasste sie ihm ins Gesicht zu schauen. Die Augen des Pfaus waren immer noch kalt, aber nicht hart.
„Ich halte mein Wort“, fuhr er ruhig aber ernst fort. „Solange du nicht gewillt bist deins zu brechen.“
Sie starrte ihn an. Und er schaute zurück.
„Komm näher.“
Sanft führte er sie nahe genug ans Feuer und platzierte sie vor sich.
„Mach den Mund auf.“
Sie zögerte, doch sie gehorchte, sodass er ihr in den Mund schauen konnte. Genau wie er vermutet hatte. Ihr Hals war völlig rot und wund. Sie schloss den Schnabel wieder und hustet heiser.
„Tut weh, oder?“, fragte er mit ernstem Gesicht.
Sie nickte und rieb sich über die Kehle. Nachdenklich betrachtete er sie. Dann nickte er und winkte mit dem Kopf in die Höhle. „Geh zurück ins Bett.“
Sie tat was er verlangte, während er am Feuer blieb.
Minuten verstrichen. Der weiße Pfau stand immer noch neben dem Feuer und stierte in die Flammen. Er hörte sie im improvisierten Bett hin und her rollen. Sie konnte keinen Schlaf finden. Und er konnte das nur zu gut verstehen. In seiner Kindheit war er ziemlich oft krank gewesen. Was hatte man ihm nochmal gegeben, wenn er eine Erkältung gehabt hatte? Doch warum sollte ihn das interessieren? Er traute ihr immer noch nicht über den Weg. Was hatte sie hier oben in den einsamen Bergen zu suchen gehabt?
Ein lauteres keuchendes Atmen ließ ihn aufhorchen. Er drehte sich zu ihr um und lief zu ihr rüber. Sie hörte ihn näherkommen. Beschämt richtete sie sich auf und bedeckte ihr Gesicht.
„Vergibt mir. Ich versuche es zu unterdrücken.“
Ihre Versuche stellten sich mehr als schwierig heraus. Er konnte deutlich sehen wie ihre Schultern bebten und zitterten. Normalerweise hätte er sie angeschrien. Nie hatte jemand in ihm einen mächtigen Herrscher gesehen. Doch sie war ihm so unterwürfig, dass sie ihm schon beinahe leidtat.
Schließlich schüttelte er den Kopf. „Macht nichts. Ich werde in meinem neuen Quartier einen Platz suchen.“
Damit verließ er sie.
Der Sturm war stärker geworden. Kalte, harte Schneeflocken wehten ihm ins Gesicht. In der Dunkelheit der verschneiten Nacht wunderte er sich über sich selber wieso er die Höhle verlassen hatte und nicht sie. Er vertrieb diesen Gedanken und wollte die Gelegenheit nutzen die Fabrik zu inspizieren.
Voller Stolz stand der Lord auf einem Holzbalken und überschaute die unfertige aber fast fertiggestellte Fabrik, die seine Träume verwirklichen würde.
Eines Tages wird ganz China sich vor mir verneigen. Eines Tages.
Der nächste Morgen begann ohne einen Sonnenstrahl. Wolken bedeckten den Himmel und verbreiteten eine depressive Atmosphäre. Doch Shen war nicht in schlechter Laune. Die Nacht in seiner neuen Residenz hatte ihm gutgetan. Der Eingang der Höhle war zwar von hohem Schnee blockiert, doch es befanden sich auf jedem Level kleine Türen, um reinklettern zu können. Er schob einige Planken beiseite und schlüpfte hinein.
Das Feuer war fast erloschen. Der Lord kümmerte sich nicht darum und ging an der Feuerstelle vorbei. Plötzlich stießen seine Füße gegen etwas am Boden. Das Objekt wimmerte und hob den Kopf. Im spärlichen Licht erkannte er die Pfauenhenne, versteckt in einer Decke.
„Warum liegt du hier?“
Sie zitterte. „M-mi-r is-t ka-alt.“
Er zog die Augenbrauen zusammen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr und sie sah auch gar nicht gut aus. Er streckte seinen Flügel nach ihr aus und berührte ihre Stirn. Sie fühlte sich wirklich sehr kalt an, vielleicht sogar schon Untertemperatur. Er zog seinen Flügel zurück und hob den Kopf.
„Na gut. Ich werde ein neues Feuer machen. Doch geh zurück ins Bett und stör nicht meine Arbeit.“
Sein Unmut wuchs. Schon seit einer halben Stunde saß er vor seinen Papieren, wo er über ein neues Design für seine Waffe nachdachte. Doch das Konzentrieren fiel ihm mehr als schwer. In jeder Minute musste er ihr Husten hören, einmal lauter, manchmal leiser. Mit einem lauten zischenden Knurren warf er den Stift nieder.
Eine furchtbare Stille trat ein, dicht gefolgt von einem rückenden Stuhl und harten Schritten, die sich einer verängstigten Person näherten. Shen wusste nicht, was er tun oder sagen sollte. Er starrte nur auf sie herab. Sein Gesicht überzogen mit nur einer Frage: Was sollte er mit ihr machen?
Tränen stiegen ihr in die Augen. Die junge Frau wusste selber nicht, was sie machen sollte. Sie saß nur da mit erhobenen Flügeln und flehte: „B-bitte, helft mir.“
Er verengte gefährlich die Augen. „Warum um alles in der Welt sollte ich sowas tun?“
Sie öffnete den Schnabel, zuerst ohne ein Wort, dann mit einem flehendlichen Klang. „Ich habe Angst.“
„Du hast Angst?“ Ein düsteres Kichern entkam ihm. „Dazu hast du keinen Grund.“
Wieder wandte er sich von ihr ab, während sie zu schluchzen begann.
„W-warum se-id Iihr so h-hart?“, weinte sie.
Er hielt inne, seine Augen brannten vor verletztem Stolz. „Die Welt ignorierte mit“, flüsterte er bitter. „Niemand hat das Recht Beachtung von mir zu verlangen.“
Er schaute hinter sich und sein Blick erschreckte sie. „Aber eines Tages, wird mich niemand mehr ignorieren.“
Der Pfau behielt seine strenge Miene, bis er spöttisch lachte.
„Du siehst, ich habe keinen Grund dir was zurückzugeben.“
In Erwartung sie würde weiter betteln, senkte sie den Blick komplett.
„V-vielleicht habt Ihr recht.“
Ihre Antwort überraschte ihn.
„Vielleicht bin ich e-es nicht wehrt am Leben zu bleiben.“ Sie rang nach Luft. „Jeder hat mir gesagt, ich lebe nur um still zu stehen und nichts anderes zu tun. I-ich glaubte nicht, aber meine Eltern hatten recht. Ich bin unbedeutend. Ich hab nur zu gehorchen.“
Sein Blick ruhte auf ihr.
„Deine Eltern scheinen dich nicht geliebt zu haben, oder?“
„Sie – sie sind tot“, keuchte sie. „Und es ist mir egal. Ich hab sie nie geliebt – und sie nie mich. Ich dachte nur – sie hätten gelogen und ich wäre mehr. A-aber Ihr hattet wenigstens das Glück ein Mann zu sei. Ich bin nur eine Frau, o-ohne Rechte. Ihr hingegen könnt machen was Ihr wollt.“
Sie konnte nicht weitersprechen. Ein harter Keuchhusten blockierte ihre Stimme. Langsam kam er näher und kniete sich neben sie hin. Doch diesmal konnte sie kein Wort von sich geben. Ihre Lunge schmerzte und das Atmen wurde ein schmerzhafter Prozess für sie.
Shen kümmerte sich nicht weiter darum und seufzte.
„Glaub mir, Eltern können noch viel grausamer sein als du denkst.“
Sie zuckte zusammen. Ein weißer Flügel legte sich auf ihre Schulter und drückte sie langsam zurück aufs Kissen. Die Frau wehrte sich nicht dagegen. Sie wollte gar nichts mehr tun. Mittlerweile war der junge Pfau aufgestanden und entfernte sich.
In Gedanken versunken und still ging er durch die Höhle. Nach nicht mehr als 3 Minuten verließ er seine private Behausung.
„Ich soll was machen?“
Der Boss-Wolf und ein paar andere Wölfe starrten ihren Meister sprachlos an.
„Du hast mich schon richtig verstanden“, wiederholte ihr Meister. „Ich verlange, dass du und die anderen mir diese Kräuter bringen, die ich aufgelistet habe.“
„Aber das nächste Dorf ist weit weg…“
„TU ES!“, schrie der Pfau. „TU ES! TU ES!“
So schnell sie konnten verließen die Wölfe das unfertige Fabrikgebäude.
Sie hörte ihn zurückkommen. Doch sie sah nicht auf. Immer noch auf der Seite liegend, wickelte sie die Decke enger um ihren zitternden Körper. Schritte hallten durch den Hallenraum, die dann zu ihr zurückkehrten.
Doch statt einer Stimme, huschte ein raschelndes Geräusch und etwas Schweres legte sich über sie. Sie hob den Kopf. Neben ihr stand der weiße Pfau und deckte sie mit einer zweiten Decke zu und noch einer dritten. Dann hob er den Zipfel der vielen Decken an.
„Was… was tut Ihr da?!
„Keine Angst“, sagte er ruhig. „Ich werde dich warmhalten.“
Damit kletterte er zu ihr unter die Bettdecke. Sie konnte nicht glauben, was er da tat und wich zurück. Als Shen seinen Platz neben ihr eingenommen hatte, lächelte er.
„Keine Sorge. Aber du musst warm bleiben. Ich werde bei dir bleiben bis meine Soldaten mir ein paar Medikamente besorgen.“
Er konnte ihre Angst deutlich sehen.
„Vertrau mir. Es wird nichts passieren. Doch du musst näher heranrücken.“
„I-ich weiß nicht.“
Vorsichtig legte er seinen Flügel auf ihre Schulter, die anschließend weiter nach hinten wanderten. Mit sanftem Druck auf ihrem Rücken schob er sie zu sich heran.
„Keine Sorge.“ Im Schein des Feuers, konnte er sehen wie ihre Atmung sich beschleunigte.
„Wieso vertraust du mir nicht?“, flüsterte er.
„I-Ihr seid stärker als ich.“
Wie süß es in ihrer Stimme klang. Ihre silbernen Flecken schimmerten im gedämpften Licht.
„Stell dir einfach vor, der Schnee würde dich in die Arme nehmen.“ Er lächelte. „Du magst doch den Schnee, oder etwa nicht?“
Sie wusste nicht wie ihr geschah. Die Pfauenhenne fühlte sich wie in einem Traum, während der weiße Pfau seinen Kopf nach vorne beugte bis sie nur noch wenige Zentimeter voneinander trennten.
„Schließ die Augen.“ Seine Stimme hatte einen beruhigenden Effekt. „Es ist okay.“
Er konnte nicht anders. Er wollte ihr nichts befehlen. Sie sollte sich freiwillig fügen. Er versuchte alles um fürsorglich zu sein. Sie sollte sich sicher fühlen, was seine Eltern ihn niemals haben fühlen lassen. In ihren Augen war er immer ein Schwächling gewesen.
Ihr Widerstand ließ nach. Noch immer ihn anstarrend ließ sie ihren Körper zu ihm führen. Sie näherten sich, bis ihr Körper auf seinem Oberkörper lag. Er konnte ihre Anspannung fühlen. Es war seltsam und fremd, aber wundervoll zugleich. Langsam und behutsam strichen seine Fingerfedern über ihren Hals. Ihre Anspannung stieg. Sie fürchtete sich immer noch vor seiner Berührung, doch sie wagte nicht ihm zu widersprechen oder zu versuchen ihn daran zu hindern.
Der weiße Prinz blickte auf sie herab. Ihr Schnabel zitterte leicht.
„Du bist nicht oft in der Kälte, oder?“
„N-ni-cht oft“, stotterte sie heiser. „Und Ihr…?” Wieder musste sie husten.
„Du solltest deine Stimmbänder nicht überanstrengen. Bleib ruhig und versuch zu schlafen.“
Es war ein eigenartiges, fremdes Gefühl. Schweigend blickte er auf die Frau herab, die inzwischen in den Schlaf gefallen war und auf seinem Körper ruhte. Es war eine unbekannte Erfahrung den Herzschlag eines anderen zu spüren. Sie lehnte ihren Kopf gegen seine Brust.
Ein Lächeln huschte über seinen Schnabel. So fühlte es sich also an jemanden so nahe zu sein. Ein unbeschreibliches Gefühl.
So wundervoll. So warm. Sanft zog er sie näher zu sich heran.
Er wusste nicht wie lange er mit ihr zusammenlag. Von Zeit zu Zeit wachte er auf, dann döste er wieder ein, bis ihn eine bekannte Stimme vollständig weckte.
„Meister Shen. Ich brachte Euch was Ihr braucht.“
Er blinzelte und besah sich die Tasche, die der Wolf-Boss ihm über den Kopf hielt. Langsam stand er auf und winkte ihn weg. Seine Bewegungen weckten sie auf.
„Wa-as…”
Shen legte eine Fingerfeder auf ihren Schnabel. „Schlaf weiter. Ich werde gleich zurück sein.“
Mit der Tasche in den Flügeln, ging er zu einem Tisch, schob die Schüsseln, Flaschen und andere merkwürdige aussehende Gegenstände beiseite und stellte sie dort ab. Die Pfauenhenne war zu erschöpft und schloss die Augen wieder. Mittlerweile hatte der weiße Prinz ein paar Kräuter herausgenommen und begann mit der Arbeit. Die Wahrsagerin hatte ihm oft genug gezeigt wie er den Saft zubereiten musste, für den Fall, wenn er es mal in Zukunft brauchen würde. Als er erwachsen war, hatte er es zwar nie mehr benötigt, doch er hatte nicht vergessen, wie er die Kräuter zerreiben musste, um einen Auszug daraus zu machen.
Schließlich, nach getaner Arbeit, nahm er den Löffel beiseite. Ja, es roch genauso wie er es in Erinngerung hatte, als er noch ein Kind war. Mit der Saft gefüllten Schüssel in den Flügeln kehrte er zu ihr zurück und berührte sie an der Schulter. Zuerst war sie sehr erschrocken, doch dann hielt er ihr die Schüssel vors Gesicht.
„Trink das. Das wirkt wahre Wunder.“
Vorsichtig nahm sie es. Die ganze Zeit beobachtete er sie, bis sie die Schüssel geleert hatte.
Als sie sie ihm zurückgeben wollte, erstarrte sie. Sein weißer Flügel wickelte sich um ihren. Der andere nahm die Schüssel und stellte sie weg. Sie folgte den Bewegungen seines Flügels, bis er diesen hob und über ihre Wange strich und behutsam ihr Kinn anhob. Ihre silbernen Augen schauten in seine roten dunklen. Ein freundliches Lächeln von ihm ließ in ihr Wellen der Freude aufkommen.
„Ich denke, du solltest dich ausruhen.“
Er blinzelte heftig.
„Nur keine Bange“, erreichte die Stimme des Pandas seine Ohren. „Wird schon alles wieder gut werden. Nicht mehr lange und wir können unsere Reise fortsetzen.“
„Das hoffe ich“, meinte Xia traurig. „Wir haben schon so viel Zeit verschwendet und jetzt vergeuden wir noch mehr nur wegen mir.“
„Ach, das ist doch kein Problem.“
„Aber mein Bruder könnte jeden Moment sterben!“ Sie stand auf. „Wir müssen sofort weitereisen!“
„Erst nachdem du dich aufgewärmt hast“, sagte die Ziege und legte ihren Gehstock auf ihren Flügel. „Dann werden wir unseren Weg fortsetzen. Oder nicht, Shen?“
Die ganze Zeit hatte er teilnahmslos die Gruppe um das Mädchen beobachtet. Jetzt sah er so aus, als würde er gerade von weit weg wieder zurückkommen.
„Mm, ja. Das sollten wir tun.“
„Ich kann es nicht glauben!“
Shen sah sie nicht an, als er die aufgeregte Stimme seiner „Tochter“ hörte.
„Ich fühle mich viel besser. Dieser Saft ist wirklich ein Wundermittel.“
Die alte Ziege lächelte. „Es ist ein altes Rezept von Shens Familie. Sie verwenden es schon seit vielen Jahren.“
„Hey, Shen!“, rief Po zum Pfau rüber, der ihnen wieder den Rücken zugewandt hatte. „Sie fühlt sich schon viel besser! Hast du das gehört?“
„Schön für dich”, antwortete er mit Desinteresse. Er starrte nur auf den Fluss.
Enttäuscht gab Po es auf seine Aufmerksamkeit auf sie zu lenken und wandte sich ab, ohne die einzelne Träne in einem Auge des Lords zu bemerken.
„Oh, seht nur! Ich kenne diese Berge!”, rief Xia laut und deutete nach vorne. „Wir sind fast da!“
Falls einige von euch denken, so störrisch kann Shen doch nicht sein, dann lass ich euch wissen, dass er ein Detail kennt, wovon die anderen nichts wissen. Aber ihr werdet erst später davon erfahren. Auf jeden Fall wird dies noch eine wichtige Rolle spielen und sich extrem auf Shens Verhalten im weiteren Verlauf auswirken.
Und falls ihr euch wundert, weshalb Yin-Yu kein Fieber bekam, muss ich noch hinzufügen, dass Vögel soweit ich weiß kein Fieber bekommen können, sondern im Krankheitsfall von Untertemperatur geplagt werden.
„An der Flussbiegung können wir anlegen“, sagte Xia. „Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zum Dorf.“
„Und wo liegt deine Heimatstadt?“, frage Po sich umschauend.
Die junge Pfauenhenne deutete weiter landeinwärts über die Berge. „Ein paar Hügel weiter weg. Doch es hat keinen Sinn dorthin zureisen. Sie wurde stark beschädigt und wäre für uns auch nicht sicher. Dort lauern überall Spione der Hunnen.“
Nach einer Weile hielten sie das Schiff an. Xia sprang als Erste an Land und winkte den anderen zu.
„Folgt mir!“
Als sich niemand rührte, drehte sie sich um. „Worauf wartet ihr noch? Kommt schon!“
Po verließ das Schiff zuerst, dicht gefolgt von den anderen. Nur Shen bildete das Schlusslicht. Ohne Transportmittel waren sie gezwungen zu Fuß weiter zu gehen. In einer Reihe marschierten sie der Pfauenhenne hinterher, die sie durch die hohen Hügel führte. Der Schnee war nicht sehr hoch, doch der Pfad war nur schwer zu erkennen.
Nach über einer halben Stunde hielten sie an.
„Fußspuren!“, rief Po ganz aus dem Häuschen und deutete in den tiefen Schnee. „Nicht sehr groß, aber auch nicht zu klein.“
Auch Xia hatte die Fußabdrückte bemerkt und beugte sich interessiert runter. „Es muss von einer der Bergschafe stammen, die hier in dem kleinen Dorf leben.“
„Das ist richtig.”
Po wirbelte herum und schrie erschrocken auf, nachdem die kleine, unbekannte Stimme wie aus dem Nichts neben ihn erklungen war. Ein Schaf mit Holz auf dem Rücken sah sie neugierig an.
„Willkommen Fremde“, grüßte es die Gruppe und tat so als habe er den Schrei des Pandas gar nicht gehört. „Wir freuen uns über jeden Besuch.”
„Wir suchen nach deinem Dorf”, sagte Xia.
Das Schaf hob die Augenbrauen. „Kennen wir uns? Mir ist als hätte ich dich schon mal gesehen.“
„Ja, das ist wahr“, stimmte Xia zu. „Vor vielen Tagen war ich in eurem Dorf. Aber jetzt bin ich zurück.“
Das Schaf rieb sich das Kinn. „In der Tat, jetzt erinnere ich mich. Du bist vor langer Zeit gegangen. In diesem Fall folge mir. Ich kenne eine Abkürzung.“
Damit ging die Gruppe durch die hügelige Landschaft. Nach einer Weile trafen sie auf mehr und mehr Schafe, die Holz auf ihrem Rücken transportierten. Schließlich führte sie der Weg einen Hügel hoch, wo mehrere kleine Häuser standen, bewohnt von einer Menge anderer Schafe. Als die Gruppe die ersten Häuser passierte, hielten einige Schafe an und beäugten die kleine Gruppe. Einige verneigten sich sogar. Es war kein Geheimnis für sie, dass der Pfau ein Lord sein musste, da er eine prachtvoll teure Robe trug. Doch vielleicht lag es auch daran, dass Xia für sie keine Unbekannte war. Shen schaute von einer Seite auf die andere. Es war ein relativ kleines Dorf, nicht sehr komfortabel. Kleine Holzhüten ohne viel Dekoration. Sein Blick wanderte wieder geradeaus. Xia steuerte ein bestimmtes Haus an, welches auf der obersten Spitze des Hügels in der Mitte des Dorfes thronte.
Ein weiteres Schaf, das vor dem Haus auf einer Bank saß, schien sie erkannt zu haben und verschwand kurz in dem Haus, kam aber kurz darauf wieder raus, dicht gefolgt von einem viel älteren Schaf.
Xia lief schneller. Bevor sie sie erreichte, legte sie die Flügel zusammen und sie verbeugten sich respektvoll voreinander.
„Friede sei mit dir“, grüßte das ältere Schaf.
Xia nickte.
„Wie geht es ihm?“, fragte sie. Sie hatte irgendwie Angst diese Frage zu stellen.
Po kam dich hinter ihr und bemerkte sofort, dass das Schaf nicht gerade glücklich dreinschaute. Es senkte sogar den Blick bevor es antwortete.
„Die ganze Zeit, während du weg warst, ist er nicht aufgewacht. Wir schafften es zwar ihm etwas zu trinken zu geben, aber das ist auch schon alles. Wir wissen nicht, was wir mehr für ihn tun können. Aber er lebt noch.“
„Kann ich zu ihm?“
„Du kannst“, sagte das Schaf und winkte zur Haustür. Doch noch bevor Xia eintreten konnte, fügte das Schaf noch schnell hinzu: „Aber sei gewarnt. Er zeigt keine Reaktion.“
Xia nickte traurig. Ihre Augen wanderten zu Po und Shen. Auch Pos Augen waren auf Shen gerichtet, der nicht zu wissen schien, ob er ihr ins Haus folgen sollte oder nicht. Xia sagte nichts. Sie wandte den Blick ab und ging ins Haus. Shen seufzte, begleitet von einem Wink des Ärgers, wegen der flehentlich bettelnden Geste des Pandas. Und so kam es, dass der Pfau das fremde Haus betrat, ohne zu wissen, was ihn dort erwartete.
Po reckte den Hals, aber im Inneren des Hauses war es stockfinster. Er sah sich kurz um, dann schlich er auf Zehenspitzen langsam und vorsichtig über die Türschwelle. In dem trüben Licht sah er, wie die zwei Vögel vor einem kleinen Teil des Hauses standen, das separat mit einem Vorhang getrennt war. Xia schob den Stoff beiseite und sie betraten einen weiteren kleinen Raum, wo sich nur ein kleiner Tisch und ein Bett befanden. Das Fenster war mit Tüchern verhangen. Nur ein paar Kerzen spendeten Licht. Das Mädchen begab sich neben das Bett in dem ein junger erwachsener Pfau lag. Shen kam zuerst nicht näher und hielt gebührend Abstand. Doch er beobachtete alles. Der Kopf des jungen Pfaus war blau gefärbt, vielleicht mit ein paar grünen Federn. Der Rest seines Körpers schien grün-blau gemischt zu sein. Langsam näherte sich der Lord. Im unteren Halsbereich erkannte er einige weiße, silberne Strähnen, aber nicht so viele und nicht so klar wie bei seiner Mutter.
Xia beobachtete den weißen Pfau. Was ging dem Lord gerade nur durch den Kopf? Aber sie hielt es für das Beste zu schweigen. Nach einer Phase der Stille beugte sie sich runter zu ihrem schlafenden Bruder und berührte behutsam sein Gesicht.
„Sheng?“, flüsterte sie. „Dein Vater ist hier.“
Ein mahnendes Zischen des weißen Pfaus ließ sie erstarren. Sheng mittlerweile bewegte etwas die Schnabellippen, doch er wachte nicht auf. Shens Gesicht zeigte keine einzige Regung. Schließlich verzog er spöttisch den Schnabel.
„Er sieht mir gar nicht ähnlich.“
„Aber…“ Im letzten Moment zügelte das Mädchen ihren Ärger. „Er kommt mehr nach unseren Großeltern. Aber da ist noch etwas anderes…“
Sie schob die Decke etwas beiseite, sodass der Bereich des unteren Flügels ihres Bruders sichtbar wurde. Dann nahm sie einen Lappen zur Hand und rieb damit über die Federn. Nach einer Weile erhellte sich die Stelle bis sie vollständig weiß war. Jetzt war der Lord doch etwas überrascht. Xia legte den Lappen weg.
„Seit seiner Geburt sind einige Stellen seines Körpers weiß gefärbt. Mutter hatte Angst es könnte Xiang stutzig machen, dass er nicht sein Sohn sein könnte. Seitdem färbt sie seine weißen Federn immer ein. Xiang soll es nie erfahren.“
Shen zuckte zusammen, stieß aber kurz danach ein verärgertes Knurren aus, nachdem er das Gesicht des Pandas durch die Vorhänge erblickte. Der Panda lächelte scheu und verschwand sofort wieder. Dann wandte Shen seine Aufmerksamkeit wieder seinen „Kindern“ zu. Xia mittlerweile sah ihn flehentlich an, so als wollte sie ihn darum bitten, dass er die Wahrheit akzeptieren sollte. Doch der Lord war mehr als skeptisch und ließ seinen Blick auf den Vogel im Bett ruhen.
War dieses Individuum wirklich sein Sohn?
Seine Augen wanderten wieder zu ihr. Aber dann wandte er sich ab ohne ein Wort zu sagen.
„Und?“, frage Po unsicher.
„Und was?“, fragte Shen ungehalten zurück, nachdem er das Haus wieder verlassen hatte.
„Ähm, nun, ich…“ Der Panda suchte nach einer anderen Frage statt ob er nun glaube, dass Xia und Sheng seine Kinder sind oder nicht.
„Ich wollte nur wissen, was wir als nächstes machen.“
„Warum sagst du immer, wir?“
„Okay, in diesem Fall dann, was hast du als nächstes vor?“
Der Lord schwieg, sein Gesicht war wie Stein. Zu Pos Erleichterung führte jemand anderes das Gespräch weiter.
„Wenn du mit ihr reden willst, musst du zuerst in die Burg kommen“, sagte die Wahrsagerin.
„Eine Burg?“, fragte Po.
Sie nickte. „Ich hab mich etwas mit den Dorfbewohnern unterhalten. Beide werden in der Burg des Hunnenkönigs Wang gefangen gehalten.“
Po rieb sich den Kopf. „In diesem Fall müssen wir wohl einbrechen. Yeah! Das wird…“
„Unmöglich.“
„Hä?“
Zwei Schafe, eins das zuvor mit Xia gesprochen hatte und ein anderes in dunkel grünen alten Kleidern, waren hinter ihnen aufgetaucht.
„Es ist unmöglich darin einzubrechen“, sagte das erste Schaf. „Aber nach all dem was Prinzessin Xia uns erzählt hat, habe ich vermutet, dass ihr solche Pläne habt. Aus diesem Grund habe ich euch jemanden mitgebracht.“
Er deutete damit auf das zweite Schaf, welches sich höflich vor ihnen verbeugte. „Mein Name ist Hangfan. Ich kenne die Burg wie meine Westentasche. Ich könnte euch unerkannt in die Burg schmuggeln.“
„Wirklich?“ Po bekam große Augen.
„Wir betreiben Geschäfte mit den Hunnen seit unserer Entstehung“, erklärte das ältere Schaf. „Hangfan könnte euch einschleusen, ohne dass die Hunnen euch bemerken.“
„Wie willst du uns dorthin bringen?“, fragte Po.
„In Fässern.“
„Wie Spione?“ Po klatschte in die Hände. „Wow, das kling ja spannend! In Ordnung. Retten wir…“
Doch Shen schnitt ihm das Wort ab. „Wag es ja nicht, es auszusprechen! Das ist keine Rettungsaktion!“
Po ließ die Schultern hängen. „Okay, in diesem Fall, eine Abenteuer-keine-Rettungs-Tour.“
„Unsere nächste Lieferung findet diesen Abend statt“, sagte Hangfan. „Das bedeutet, wenn ihr bald die Chance dazu nutzen wollt, dann müssen wir spätestens in einer Stunde aufbrechen.“
„In einer Stunde?“ Po wirbelte herum. „Großartig! Zeit genug, um meine Fäuste aufzuwärmen.“
„So, in dem Fall habt ihr also bereits eine Entscheidung getroffen?“, erkundigte sich Hangfan.
„Ja! Äh, das heißt…“ Etwas unsicher drehte sich der Panda zum stillschweigenden Pfau um. „Das heißt, ja, oder nicht?“
Der Lord seufzte. „Je schneller desto besser”, war die einzige Antwort. Dann drehte er sich um und ging den verschneiten Hügel runter.
„Übersetzung, das war ein „ja““, sagte Po und ging dem Lord hinterher. „Hey, ist alles okay?“
Shen verdrehte die Augen und schaute zu ihm zurück. „Was ist jetzt wieder dein Anliegen?“
„Nun, ein bisschen mehr Begeisterung würde nicht schaden.“
„Für was?”
„Bist du nicht aufgeregt sie wieder zu sehen?“
„Nein!“
Das machte den Panda perplex. „Das kam aber schnell.“
„Wieso sollte ich?“
„Nun, du sagtest, dass du einige Dinge klarstellen wolltest.“
„Ich habe nicht gesagt, dass ich es so schnell klarstellen möchte.“
„Aber möchtest du nicht alles erfahren, bevor es zu spät sein könnte für deinen…“ Er schluckte das Wort „Sohn“ runter. „… für ihren Bruder?“
Shen wich seinem Blick aus. „Das ist mir egal. Vielleicht ist es das Beste für alle, dass er stirbt.“
Po konnte nicht glauben, was er da hörte. „Was?“
„Und ihr Verbleib kann mir auch egal sein! Von mir aus, soll sie auf die gleiche Weise sterben.“
Po stand da wie betäubt. Er wollte den Mund öffnen, doch es fiel ihm nichts rechtes ein, was er darauf erwidern sollte.
Mittlerweile hatte Shen den Blick von ihm abgewandt und starrte in den Schnee.
„Ich wünschte wirklich sie wäre tot.“
Po nahm einen Atemzug…
„Lass mich allein.“
„Äh…“
„Lass mich allein!“
Geknickt wühlte der Panda mit den Füßen im knirschenden Schnee herum. „Okay…“
Die Schritte entfernten sich und ließen den Lord alleine.
Warum bist du nicht gestorben?
Vor 17 Jahren…
Der Lord hielt inne in seiner Schreibarbeit. Sie wachte auf. Er hörte wie sie sich im Bett bewegte, doch er drehte nicht den Kopf in ihre Richtung. Er lauschte nur und ließ sie im Glauben, er würde sich auf seine Papierarbeit konzentrieren. Sie seufzte. Er lächelte leicht, was sie nicht sehen konnte.
Was machte sie gerade? Er kämpfte mit sich selber sie anzusehen, doch sie sollte seine Neugier nicht bemerken.
„Mm…“
Ihr Murmeln gab ihm Anlass sein Ignorieren zu brechen.
„Oh, du bist aufgewacht.“
Er legte den Stift beiseite und stand auf. Sie sah viel besser aus als gestern. Vorsichtig strich sie sich über ihren Hals.
„Wie fühlst du dich?“, fragte er.
„Besser, mir geht es gut. Danke.“
„Fein.“ Er faltete seine Flügel unter seiner Robe zusammen. „In diesem Fall, wenn du glaubst, dass du dich stark genug fühlst, kannst du mich in dein neues Zuhause begleiten.“
Sie sah überrascht auf. „Neues Zuhause?“
Mit lautem Schwung öffnete sich das Tor. Es war immer noch kalt in den Hallen, aber schneefrei.
„Willkommen in meiner neuen Arbeits-Residenz“, verkündete der Lord stolz. „Wie findest du es?“
Er drehte sich zu ihr um und wartete auf eine Antwort. Sie wickelte ihre Robe enger um ihren Körper und war immer noch dabei sich umzuschauen.
„Verzeiht mir, mein Herr, wenn ich diese Frage stelle“, begann sie scheu.
„Mein Herr. Wie nett sich das anhört“, dachte Shen, doch er verbarg seine innersten Gedanken sehr gut.
„Aber wozu das alles?“, fragte sie weiter.
Hatte er das vorhin nicht erklärt? Oh, natürlich nicht.
Er lächelte und breitete seine Schwingen aus. „Dies wird mich an die Spitze der Welt bringen.“ Er zeigte zum Himmel. „Die Eroberung Chinas!“
Der Lord wartete auf eine Reaktion. Die Pfauenhenne blickte ihn mit großen Augen an.
„Eine Eroberung?“
„Ganz genau.“
Für einen Moment wusste sie nicht, was sie sagen sollte. „Warum?“
„Um der Welt meine Macht zu demonstrieren. Jeder wird meine Stärke erkennen und jeder wird sich vor mir verneigen.“
Ihr Gesicht zeigte mehr Verwirrung. Dachte sie vielleicht, er wäre verrückt? Er grinste voller Arroganz. Sollte sie doch denken, was sie wollte. Er kannte seine Zukunft. Besser als jeder andere.
„Wie soll das möglich sein?“, fragte sie irritiert.
„Ha, du denkst, es ist unmöglich, nicht wahr?“
Er umkreiste sie. Sie folgte ihm mit ihren Augen, ängstlich wie ein umzingeltes Tier.
„Nein“, leugnete sie. „Aber wie… Ich kann mir nicht vorstellen wie.“
Der Lord hielt an, seine Haltung zeigte mehr als Erhabenheit.
„Wenn du es wissen willst.“ Er gab ihr einen warnenden Blick. „Dann musst du einen Preis dafür zahlen.“
Sie zog den Kopf ein. „Einen Preis?“
Er trat näher an sie heran, seine Augen waren ernst und nachdrücklich. „Du wirst diesen Ort nicht mehr verlassen, bis ich mein Schicksal vollendet habe.“
Ihre Augen weiteten sich während er fortfuhr: „Niemanden ist es erlaubt mein Geheimnis hinaus zu tragen. Es bleibt hinter den Mauern der Verborgenheit bis es den Kreaturen der Welt kundgetan wird.“
Sein Blick wanderte umher, bevor er ihn wieder auf sie richtete.
„Also? Wie lautet deine Antwort?“
Sie blickte hinter ihm, wo die offene Türe nach draußen zeigte. Nach einer Weile sah sie wieder auf ihn und nickte. „Ich bin einverstanden.“
Er kam näher. Sie fühlte wie er seine Fingerfedern unter ihr Kinn schob, die sie festhielten und sie in der Geradeaus-Schauen-Position behielten, und zwangen sie dazu ihm direkt in seine Augen zu blicken.
„Schwöre es.“
Seine finstere Stimme jagte in ihr einen angsterfüllten Schauer durch Mark und Bein.
„I-ich schwöre“
Er lockerte seinen Griff, zog seinen Flügel zurück, entfernte sich von ihr ein paar Schritte, dann wandte er sich ab.
„Folge mir. Ich werde dir etwas zeigen.“
Sie spazierten über Holzbrücken bis sie einen großen Raum erreichten.
Lampen hingen von den Wänden und beleuchteten den Raum mit ihrem schauerlichen Licht. Zuerst überkam sie der Wunsch wegzulaufen, doch sie wollte ihr Wort halten und ging ihm weiter hinterher bis sie in der Mitte des Raumes standen. Der Lord stoppte, drehte sich um und breitete seine weißen Flügel aus.
„Hier siehst du, meine Lösung und mein Schicksal, um es möglich zu machen.“
Er wies auf einen langen Tisch, wo lauter Chemie-Instrumente standen.
„Ich könnte mir vorstellen, dass du nicht weißt, was das ist, oder?“
Sie schüttelte langsam den Kopf.
„Ich werde es dir zeigen.“
Er nahm ein paar Gefäße, die ein Pulver enthielten. Er streute einen kleinen Haufen auf den Tisch und hielt ein glimmendes Räucherstäbchen darüber.
„Halte Abstand!“, warnte er.
Sie tat es. Das Stäbchen berührte das Pulver und es entflammte in einer blendenden kleinen Explosion. Die Frau erschrak und wich zurück.
„Erschrocken?“ Er lachte und legte das Stäbchen weg.
Dann ging er zu ihr. Sie sah ihn ein bisschen angsterfüllt an. Was ging gerade durch ihren Kopf?
„Fühle dich geehrt“, sagte er mit einem dunklen Grinsen. „Normalerweise erlaube ich niemanden meine inneren Räume zu besichtigen.“
Sie presste sich an die Wand. Er kam näher.
„Glaubst du jetzt, dass ich eines Tages China regieren werde?“
Sie zitterte, aber sie schaffte es zu nicken. Er streckte seinen Flügel nach ihr aus. Ihre Körper berührten sich fast. Sie zuckte zusammen. Sein Zeigefinger strich über ihren Schnabel.
„Niemals ein Wort nach draußen“, flüsterte er. Er hielt in den Bewegungen seines Feder-Zeigefingers inne und hielt ihn auf ihre Schnabellippen. „Niemals.“
Er verstärkte seinen Druck.
„Breche je dein Wort, und dein Leben endet wie mein Schießpulver im Feuer.“
Jetzt schaffte sie es ihren Schnabel zu öffnen.
„Niemals.“
Shen verengte die Augen. Es war das erste Mal in seinem Leben gewesen, dass er jemanden blind vertraut hatte. Ohne daran zu zweifeln. Aber das war für gar nichts.
Ich wünschte, du wärst tot.
Vom Aussehen her hat Xia mehr Ähnlichkeit mit ihrer Mutter und einem anderen Familienmitglied, wohingegen Sheng ein Piebald -Pfau ist. (geschecktes Federkleid)
„Ich bin so aufgeregt!“, murmelte Po immer und immer wieder, als er in eines der Fässer stieg.
Es war fast Nachmittag, als Hangfan wie versprochen mit einem Karren in das Dorf kam. Doch es brauchte mehr als Überredenskunst, um Shen davon zu überzeugen in das primitive Transportmittel zu steigen. Besonders nachdem Hangfan seine Tarnmethode nochmal erläutert hatte, die darin bestand über der versteckten Person im Fass eine Holzplatte zu befestigen, sodass noch mehrere Zentimeter Freiraum unter dem Deckelrand frei war, der anschließend mit Material aufgefüllt wurde. Wenn die Wachen der Burg dann den Inhalt kontrollieren, würden sie die blinden Passagiere niemals entdecken.
Xia beobachtete sie aus einiger Entfernung. Alle hielten es für das Beste, dass sie im Dorf blieb. Es wäre zu gefährlich. Dasselbe galt auch für die Wahrsagerin und versprach ein Auge auf sie und ihren Bruder zu haben.
„In Ordnung“, gab Shen schließlich nach und setzte einen Fuß in die Tonne.
Po, der schon vollständig seinen Platz eingenommen hatte, versuchte erst gar nicht dabei in seine Richtung zu schauen. Doch bevor Hangfan die Fässer schließen konnte, wünschte Xia ihnen noch alles Gute.
„Viel Glück, Drachenkrieger!“
„Oh, danke. Und nur keine Sorge. Wir werden deine Mutter schon zurückbringen, gesund und munter.“
Xia zwang sich zu einem Lächeln. „Wache über sie, bitte.”
Sie warf dabei einen besorgen Blick auf Shen.
Po salutierte. „Kein Problem. Alles ist unter meiner Kontrolle.“
„Aber hüte dich vor Xiang.“
„Och, ich hab es schon mit vielen schlimmen Typen zu tun gehabt. Wir werden schon mit ihm klarkommen.“
Xia schüttelte langsam den Kopf. „Du kennst ihn nicht. Ich hab sogar den Eindruck, dass der Angriff der Hunnen irgendeinen Sinn hatte.“
Po hielt inne. „Ein Angriff und eine Verschleppung einen Sinn? Was sollten sie denn für einen Sinn haben?“
„Es ist nur so ein Gefühl.“
„Aha.“
„Wir müssen los“, drängte Hangfan.
Po zog den Kopf ein und das Schaf legte die Holzplatte über ihn. Anschließend drückte er sie gut fest, sodass zwischen Po und der Deckelöffnung ein leerer Freiraum übrig blieb, den Hangfan mit Fisch auffüllte.
Po rümpfte die Nase. „Davon war aber nicht die Rede. Na gut. Ein stinkendes Versteck ist immer noch der beste Schutz, um sich vor den Augen des Feindes zu verbergen.“
Po rieb sich die Handflächen aneinander. Es war kalt, aber er war froh über sein dichtes Fell. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick durch ein Guckloch im Fass, sodass er beobachten konnte, was da draußen vor sich ging.
Der Karren fuhr durch Hügel und Schnee bis sich der verschneite Wald mehr und mehr lichtete und durch kahle Felsen und höhere Hügel abgelöst wurde. Po wusste nicht wie lange, aber irgendwann klopfte Hangfan gegen die Fässer.
„Seid vorsichtig. Wir kommen jetzt an den ersten Kontroll-Punkt der Hunnen an der Grenze zwischen China und ihrem Land.“
„Ich bin bereit für alles und jeden“, murmelte Po zurück. Shen gab dazu keinen Kommentar, was den anderen nur recht sein konnte.
„Still wie der Wind”, dachte Po und bedeckte seinen Mund mit den Tatzen, nur um ganz sicher zu gehen.
Es dauerte nicht länger als fünf Minuten und der Wagen hielt an.
Tiefe Stimmen trafen auf die Ohren des Händlers als auch auf die der blinden Passagiere. Die Hunnen-Wachen hörten sich nicht gerade freundlich an. Und des dauerte nicht lange und sie umstellten den Wagen, begleitet von Hangfan, der sie über den Inhalt der Waren informierte. Po beobachtete alles durch das Loch im Fass und erhaschte einen flüchtigen Blick von zwei großen Ochsen.
Der Panda hörte wie eine Box nach der anderen geöffnet wurde. Sein Herz setzte einen kurzen Moment aus, als der Deckel von seinem Fass drankam. Kurz darauf wurde es wieder geschlossen, nachdem der Wächter nur den Fisch oberhalb zu Gesicht bekommen hatte, der auf dem hölzernen Versteck ruhte. Po atmete einen Hauch der Erleichterung aus, wäre aber auch nicht verärgert über einen Kampf gewesen. Doch vielleicht war es das Beste für alle keinen Aufstand zu machen.
Der Karren fuhr weiter.
Po jubelte.
Der erste Schritt war getan.
Nach einer Weile vernahmen sie wieder Hangfans leise Stimme.
„Die Burg ist nicht mehr weit“, sagte er. „Wir sind fast da. Wir müssen nur noch an den Wächtern am Tor vorbei.“
„Nett“, murmelte Po. „Der Hunnenkönig kann einen kleinen Ausflug vom Hunnenland nach China machen, um billiger einkaufen zu können. Wie praktisch.“
Pos Bemühungen einen Blick auf die Burg der Hunnen erhaschen zu können blieben erfolglos. Das kleine Loch im Fass war zu klein, um sich einen Überblick zu verschaffen. So blieb ihm keine andere Wahl als zu warten bis der Karren die Wachen erreicht hatte, die vor dem Tor der Burg patrouillierten. Es war ein Glück für beide, dass den Wachen der Händler bekannt war und sie sich nicht die Mühe machten nochmal die Waren zu kontrollierten. Das Tor öffnete sich und der Wagen fuhr durch den großen Eingang. Die Schatten von steinernen Wänden verschluckten sie.
„Wow, Gänsehaut”, dachte Po und fuhr weiter mit seiner Observation fort.
Sie passierten dunkle Steinwände, die sie durch schmale Gassen führten. Vielleicht war es mehr eine Hintertür durch die sie gerade gefahren waren, denn die Straßen waren viel zu schmal für eine Armee.
Der Wagen fuhr noch eine Weile bis er anhielt.
„Okay, die Luft ist rein“, sagte Hangfan.
Kurz darauf hörte Po, wie der obere Teil des Fasses angehoben und die Platte entfernt wurde. Vorsicht lugte der Panda über den Rand und schaute sich um. Sie standen in einem sehr kleinen Hof in der Nähe eines kleinen Hauses, vielleicht für die Vorräte. Seine Augen wanderten höher und erblickte hohe Mauern rundherum mit Türmen und mehr emporragend gewaltige Wänden.
„Wir befinden uns in der Mitte der Burg“, erklärte Hangfan, nachdem er auch dem Lord aus seinem Versteck herausgeholfen hatte. Der Pfau rieb sich über die Federn und strich sich die Robe glatt. Dann legte er die Flügel zusammen und hob stolz den Kopf.
Po sprang vom Wagen runter und suchte wachsam die Umgebung ab.
„Und was machen wir als nächstes?“
„Von hier aus kannst du durch einen Untergrundpfad gehen“, erklärte der Händler. „Nicht viele kennen ihn. Noch nicht einmal König Wang selber. Es ist ein sehr kompliziertes Tunnelsystem.“
Po rieb sich den Kopf. „Und wie sollen wir dann den Weg finden?“
Ein leises Zirpen ließ ihn aufhorchen. „Was…?“
Irgendetwas sprang auf seinen Kopf. Es war eine Zikade.
„Sei gegrüßt schwarz-weißer Felsen“, sagte das braune Insekt.
„Äh, hallo, mein Name ist Po.“
Hangfan schwenkte mit dem Huf. „Das ist Tu.“
„Tu?“
Die Zikade zirpte laut. „Tu, ja, das ist mein Name.“
Po kicherte. „Na gut, Tu.“
Forschend stierte Tu in das rechte Auge des Pandas. „Hast du etwa ein Problem damit?“
„Äh, nein, ich hab dabei nur an Tutu gedacht.“
Das Insekt zog ihm am Augenlid. „Pass auf was du sagst, Schwabbel! Oder ich lasse dich im Labyrinth vergammeln.“
Zum ersten Mal seit langem huschte ein Lächeln über Shens Gesicht.
„Sie müssen sein Benehmen verzeihen“, sagte er. „Er hat schlechte Manieren.“
Die Zikade schaute auf und beäugte den weißen Pfau. Dann sprang er auf dessen Schnabel und betrachtete ihn genauer.
„Mm, nach deinem Aussehen zu urteilen, könnte ich mir vorstellen, weshalb du hier bist. Ich hab schon vorhin einer von deiner Spezies gesehen, aber er hatte bei weitem noch schlechtere Manieren als das Fettchen hier.“
Po rieb sich über seinen Bauch. „Hey, das ist nur zu viel Fell.“
„Einer von meiner Spezies, sagst du?“, fragte Shen, der eine gewissen Ahnung hatte, wen das Insekt meinte.
„In der Tat, allerdings“, fuhr Tu fort. „Wangs neuer Gefängnisinsasse ist ein richtiger kleiner Tyrann.“
Hangfan kam näher. „Redest du da von Xiang?“
„Genau das war sein Name“, bestätigte Tu. „Schrecklicher Kerl. Im Gegensatz zu seiner Frau. Die ist wie ein verschlossenes Buch. Sie sagt nie ein Wort, aber sie ist keine dumme Person.“
„Wie geht es ihnen denn?“, fragte Po, immer noch Xias Worte im Hinterkopf.
„Es geht ihnen soweit gut. Ich habe ihren Mann bereits im Kerker gesehen.“
„Und was ist mit seiner Frau?“, frage Po. „Ist sie auch im Gefängnis?“
Tu schüttelte seine Antennen. „Nein. Wang hat ihr mehr Freiheit erlaubt, allerdings unter Aufsicht. Sie hat ein eigenes Zimmer bekommen. Ich habe den Eindruck, Wang hat vor mit ihr einen Deal auszuhandeln.“
„Einen Deal?“, fragte Po, und wunderte sich, dass Shen sich nicht dazu äußerte.
Tu nickte. „Das ist das, worüber er mit ihr diesen Abend sprechen will. Wenn wir uns beeilen, kriegen wir die Unterhaltung noch mit.“
„Diesen Abend?“ Po sprang umher. „Na dann los!“
„Nicht so schnell, Dickerchen“, sagte Tu und sprang auf den Boden. „Vergiss nicht, ohne meine Hilfe seid ihr in den hohlen Mauern verloren. Folgt mir einfach.“
Damit sprang das Insekt in großen Sprüngen von dannen. Po wollte hinterherrennen, doch er zögerte.
„Was ist mit dir?“, fragte er Hangfan.
Doch das Schaf schüttelte den Kopf. „Ich muss den Wagen abladen. Geht ruhig.“
„Roger!“
Damit verschwand Po um die Ecke. Shen folgte ihnen mit schnellen Schritten. Trotz seiner langen Feder verursachte er keinen einzigen Laut.
Zu dritt schlichen sie im Schatten der Mauern entlang bis Tu vor einer Wand anhielt. Er tippte auf einen Wandstein und ein kleiner Teil der Wand öffnete sich. Po und Shen fragten nicht weiter nach, als Tu in der dunklen Wandhöhle verschwand. Zusammen betraten sie einen dunklen Korridor, der von einigen Fackeln beleuchtet war.
„Folgt mir“, sagte Tu und sprang vor.
Der versteckte Gang führte sie durch schmale Korridore und Treppen, bis sie die Spitze eines turmartigen Gebäudes erreicht hatten. Von hier aus hatten sie die Möglichkeit einen Blick durch sehr schmale schlitzförmige Fenster nach draußen zu werfen.
„Wundert euch nicht“, sagte die Zikade. „Die versteckten Wege wurden hinter einer zweiten Wand des Gebäudes gebaut. Aber man kann sie von außen nicht sehen.“
„Ist ja wie ein Spionageort”, sagte Po und spähte durch die steinigen Ritzen. Erst jetzt sah er, wie groß die Burg wirklich war. Denn es war mehr als nur eine Burg mit einem Turm in der Mitte und einer Mauer drum herum. Hinter der Hauptmauer stand das Hauptgebäude, umgeben von mehreren flachen Steinhäusern und einem großen Platz, der wohl als Sammelplatz für die Hunnenarmee diente. Auf den Spitzen der Mauern konnte Po Ochsen erspähen, die sehr muskulös und bewaffnet waren und aussahen aus als könnten sie locker durch eine dicke Mauer rennen.
Pos Blick begutachtete den Himmel. Es war beinahe Abend. Plötzlich ertönte ein leiser chinesischer Gongschlag durch die Luft.
„War das Signal für Abendessen?“, fragte der Panda. „Mein Magen knurrt schon.“
Shen seufzte. „Das ist das typische Signal dafür, dass der König jemanden erwartet.“
„Wir sind fast da“, sagte Tu. „Hier haben wir einen besseren Blick.“
Die Zikade machte ein paar Sprünge um eine Ecke und berührte eine Steinplatte an der Decke. Diese öffnete sich und sie standen auf einer schmalen kleinen Rille am Rande eines Daches von dem man gut runterblicken, aber von oben diesen versteckten Pfad niemals sehen könnte. Mit eingezogenen Köpfen krabbelten sie auf dem verborgenen Sims entlang und spähten über den Dachrand. Von hier aus hatten sie einen guten Überblick über einen großen Platz, der direkt vor dem Hauptgebäude lag.
Im nächsten Moment trugen zwei Ochsen eine mit Vorhängen bedachte Sänfte nahe an den Eingang heran. Sie stellten sie ab und ein Wächter vor dem Haus ging darauf zu. Einer der Träger zog den Vorhang beiseite und eine dunkle Figur stieg aus. Die Figur war viel kleiner als sie.
Po hielt den Atem an.
Es war eine Pfauenhenne.
Gebannt beobachtete Po das Szenario. Die Pfauendame legte ihre Flügel unter ihrer dunkel violetten Robe zusammen. Ihr Gefieder war dunkel braun getönt mit silberweißen Strähnen und Flecken auf ihrem Hals. Ihre Haltung war geprägt von Traurigkeit, ihr Gesicht leicht gesenkt, dennoch erweckte sie den Eindruck, dass ihr Stolz nicht gebrochen war. Einer der Ochsen-Wachen deutete mit dem Speer in seinem Huf in den Korridor. Die Pfauenhenne gehorchte und folgte dem ersten Wächter, der ihr vorausging.
„Wow! Sie ist wirklich sehr schön“, hauchte Po.
Sein Blick wanderte rüber zu Shen. Der Pfau stand da mit schwer definierbarem Ausdruck. Seine Gedanken schienen weit entfernt zu sein und dennoch war sein Verstand so klar wie nie zuvor. Er folgte ihr mit seinen Augen, als ob er keinen Teil ihrer Bewegungen verpassen wollte, bis sie im Korridor verschwunden war, der in das Hauptgebäude der Burg führte. Doch auch danach sagte er kein Wort und Po hatte Sorge, der Pfau hätte seinen Lebensgeist verloren.
„Mm… Shen?“
Wie vom Blitz getroffen entstand eine Bewegung im Körper des Lords. Gleichzeitig fand er wieder die Fähigkeit zum Sprechen. Doch seine Gesichtsmuskeln zeigten keine Emotionen.
„Sie ist schön, sicher“, sagte er Kriegsherr eisig. „Doch mit einem Fehler.“
Po hob die Augenbrauen. „Einem Fehler?“
„Du musst nicht alles wissen, Panda.“
Das geht nur mich was an.
Vor 17 Jahren…
Nachdenklich betrachtete sie den Lord, der vor einem großen Regal stand und nach etwas suchte. Es war bereits der zweite Tag nachdem sie den Platz von der Höhle in das neue Quartier gewechselt hatte. Sie rieb ihre Flügel aneinander.
Zu bleiben bis er sein Schicksal erfüllt hatte. Wie lange würde das dauern?
Sie hatte schon viele Pfaue in ihrem Leben gesehen, doch noch nie jemanden wie ihn. Nicht nur wegen seiner äußeren Erscheinung. Er hatte etwas befremdliches an sich und eine zweigeteilte Persönlichkeit. Er konnte seine Laune in einer Sekunde auf die andere so drastisch ändern wie von Tag auf Nacht. Das beunruhigte sie. Sie konnte nie vorhersehen, was er als nächstes plante. Doch er kannte die Grenzen seiner Umgebung, und dennoch mochte er es mit dem Feuer zu spielen.
„Woran denkst du gerade?“
Seine Frage schleuderte sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
Er drehte sich zu ihr um.
„Irgendetwas Wichtiges?“
Hastig schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich habe nur gedacht, über…“
Sie wies mit ihren Flügeln um sich. „Es ist nur alles so fremd.“
Der Lord schnaubte und drehte ihr den Rücken zu.
„Das habe ich nicht negativ gemeint!“, fügte sie hastig hinzu. „Ihr habt eine Vision, die sehr große Dimensionen aufweist.“
„Aber du denkst, dass es unmöglich ist, oder?“
Seine Stimme klang gekränkt und strich mit gespannten Muskeln seiner Federn über eine Papierrolle.
Sie seufzte. „Ihr scheint sehr zuversichtlich zu sein. Das habe ich so noch nie gekannt.“
Da war Stille zwischen ihnen.
Schließlich öffnete sie wieder den Schnabel. „Woher kommt Ihr eigentlich?“
Der weiße Lord warf ihr einen argwöhnischen Seitenblick zu.
„Aus Gongmen.“
Dann mied er wieder den Augenkontakt zu ihr.
„Gongmen?“
„Kennst du es?“
„Ich weiß nur, dass dort eine Pfauen-Familie lebt, die Feuerwerk herstellt.“
„Sie stellen es nicht nur her - sie haben es erfunden.“
„Heißt das, Ihr seid einer von ihnen?“
„Ja“, antwortete er ein bisschen genervt. Er nahm eine der Buchrollen und ging damit zu einem Tisch.
„Könnt Ihr Feuerwerk machen?“, fragte sie weiter. „Seid Ihr erfahren in dieser Herstellkunst?“
Der Pfau zuckte die Achseln. „Die einfachste Arbeit für mich. Aber ich habe Besseres zu tun als nur ein simples Feuerwerk zu machen.“
Er warf das Papier auf den Tisch und setzte sich auf einen Stuhl.
„Solch ein Feuerwerk muss sehr schön sein.“
Er verdrehte die Augen. „Nur eine Verschwendung von Talent. Sowas dient nur zur Unterhaltung. Es kann viel mehr als das. Es verleiht mir Macht. Oder hast du etwa noch nie ein Feuerwerk gesehen?“
„Selten. Sehr selten.“
Für eine Weile sprach keiner mehr ein Wort. Shen mittlerweile versuchte sich auf das Papier zu konzentrieren, doch jetzt konnte er es nicht mehr. Seine Gedanken kreisten um das, was sie gerade gesagt hatte.
„Vielleicht sollte ich ein paar Substanzen testen“, murmelte er mehr zu sich selbst. „Könntest du mir das Glas mit dem roten Pulver reichen?“
„Rot?“
„Ich kenne keine andere Farbe mit diesem Namen, die so heißt. Es steht im Regal.“
Sie schwieg betroffen. Der Lord sah sie an. „Mm. Gibt es ein Problem?“
„Nein, kein Problem.“
Fieberhaft besah sie sich die Flaschen. Aber es befanden sich keine Namensschilder darauf. Nur Schießpulver oder Explosionswarnungen.
„Was ist jetzt?“
„Ich… ich…“
Ihre Flügel zitterten.
„Ich kann es nicht finden.“
„Unmöglich! Ich hab es gestern noch darein gestellt.“
Er verließ seinen Sitzplatz und ging zu ihr rüber. Mit einem Handgriff holte er das rote Schießpulver mit seiner befiederten Hand heraus und hielt es ihr vor.
„So einfach zu sehen“, sagte er spöttisch. „Bist du blind?“
Beschämt senkte sie den Blick. Doch das konnte ihn nicht zufrieden stellen. „Mmpf, wenn es so schwer für dich ist, brauchst du es nur mit meinen roten Federn zu vergleichen.“ Er schnaubte. „Die einzige normale Farbe, die ich habe.“
Sie schlang ihre Flügel um sich. „Wenigstens könnt Ihr Eure Farbe sehen.“
Mit einer harschen Bewegung wandte sie sich ab, ihr Gesicht immer noch gesenkt.
„Sehen?“
Shen verstand ihre Worte nicht.
„Was meinst du damit?“
„Nichts!“, zischte sie.
Sie schrie vor Angst, als er sie an den Schultern packte, sie herumdrehte und gegen die Wand presste.
„Ich mag es nicht, wenn man in Rätseln zu mir spricht!“, drohte er.
Seine stechend-scharfen Augen bohrten sich durch ihre, dass ihr vor Furcht die Tränen kamen. Vergeblich versuchte sie freizukommen. Doch ihr Wehren war sinnlos. Er war viel starker als sie. Er packte ihr Kinn und zwang sie ihm direkt in die Augen zu schauen.
„Was hast du damit gemeint?”
Er konnte ihren schnellen Herzschlag fühlen. Ihre Schnabellippen bebten. Sie hatte Mühe gleichmäßig zu atmen.
Er verstärkte seinen Druck. „Ich warte!“
Ein schluchzender Laut entkam ihrer Kehle. „Ich – ich… ich kann es nicht sehen.“
Sie schloss die Augen. Wartete sie auf einen Tadel?
„Ich… ich bin farbenblind.“
Sie wagte nicht ihre Augen zu öffnen. Wenigstens hatte sein Druck auf ihrem Kinn nachgelassen. Jetzt hörte sie nur noch ihrem Atem. Sie wünschte, sie wäre jetzt woanders, nur nicht hier.
„So, du kannst also keine Farbe sehen?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nichts. Schwarz, grau, weiß… nichts weiter.“
Die Pfauenhenne fühlte wie seine Flügel von ihr abließen.
„Ich bin ein Nichts.“
Ohne seinen Druck auf ihr sank sie zu Boden. Dann bedeckte sie ihr Gesicht mit ihren Flügeln. Sie hörte wie er sich von ihr entfernte. Sie sah nicht auf. Sie saß nur auf den Boden gegen die Wand gelehnt.
Der Lord kehrte zurück an den Tisch, stützte sich auf der Oberfläche ab und starrte darauf. Schließlich verließ er den Raum und sie bleib allein zurück.
Sie wusste nicht wie lange aber irgendwann hörte sie ihn zurückkommen. Unsicher schaute sie in seine Richtung. Er stand wie immer in seiner stolzen Haltung da. Für eine Weile sahen sie sich nur an, bis er mit dem Kopf zur Seite winkte. „Komm mit mir.“
Sie wagte nicht zu zögern. Sie verließ ihren Platz und folgte ihm durch die Korridore.
Das Essen roch gut, aber sie verspürte keinen Hunger. Und sie sah ihn auch nicht an. Aus dem Augenwinkel bekam sie nur am Rande mit wie er ein Glas nahm und daraus trank. Dann stelle er es zurück auf den Tisch.
Sie bewegte sich nicht. Umso mehr schrak sie zusammen, als er eine Schüssel vor sie hinstellte. Zuerst wollte sie sagen, sie habe keinen Hunger. Doch dann fiel ihr auf, dass es seltsam aussah und es roch auch nicht nach etwas Essbaren. Es war völlig geruchlos. Prüfend beäugte sie den Inhalt genauer. Für sie war es weiß, doch war es wirklich weiß?
„Berühr es“, hörte sie ihn sagen.
Jetzt wanderten ihre Augen doch zu ihm rüber. Er hatte seine Ellbogen auf den Tisch abgelegt und seine Flügel zusammengefaltet.
„Berühr es“, wiederholte er.
Sie zögerte, doch dann tat sie es. Es fühlte sich kalt an. Sehr kalt. Sie nahm etwas davon aus der Schüssel und hielt es vor ihre Nase. Sie konnte nichts riechen. War das…?
„Schnee ist weiß.“
Sie zuckte zusammen, als seine Worte ihr einen Schauer über den Rücken jagten.
„Es ist kalt und glitzert. Und besitzt keinen Geruch.“
Er schob die Schüssel weg und platzierte eine andere vor ihr hin. Der Inhalt war ein bisschen schwerer zu definieren. Diesmal griff sie freiwillig rein. Sie fühlte etwas Hartes und Langes. Sie nahm es heraus. Dann erkannte sie, dass es sich um Grashalme handelte.
„Grün ist frisch wie Gras.“
Sie zerrieb es zwischen ihren Fingerfedern. Jetzt war der Duft intensiver.
Sie warf ihm einen scheuen Blick zu. Was wollte er damit bezwecken?
Wieder wechselte er die Schüsseln aus. Diesmal befand sich darin etwas würfelförmiges. Sie nahm einen tiefen Atemzug. Es roch süß. Sie kannte diese Frucht.
Pfirsiche.
„Sie sind orange“, meinte der weiße Pfau monoton. „Orange riecht oft so.“
Sie senkte den Blick. „Warum? Warum das alles?“
Er schwieg einen Moment.
„Ich dulde keine Fragen.“
Sie sah zu ihm auf. Sein Gesicht war ernst. „Du könntest mir einen Gefallen tun, indem du mich nicht nach dem „Warum“ fragst. Verstanden?“
Sie zog den Kopf ein. Dann nickte sie. „In Ordnung.“
„Hallo? Hallo! Erde an Shen! Bist du noch da?“
Der Lord sprang auf, als der Panda ihn an der Schulter berühre. „Bist du verrückt?!”
Entschuldigend zog der Panda den Kopf ein. „Tut mir leid. Aber wenn wir das Gespräch mithören wollen, müssen wir uns beeilen.“
Der Lord räusperte sich. „In Ordnung. Aber berühr mich nie wieder so.“
Po rieb sich die Arme. „Okay.“
Während Po, Shen und Tu durch die Geheimgänge hinter, oder genauer gesagt, in der Wand der Burg gingen, führten die Soldaten die Pfauenhenne durch den langen Hauptkorridor.
Das Gebäude von König Wang war mehr eine Mischung aus rustikaler Burg und einem noblen Palast. Von außen erweckte es den Anblick einer kalten furchteinflößenden Festung, aber im Inneren, zumindest in König Wangs Räumen, besaß sie alle möglichen Bequemlichkeiten. Jedoch nicht annährend wie die Dekoration in Shens Palast. Wangs Inneneinrichtung war mehr robuster Art ohne viel Details. Die Tische besaßen so gut wie keine Verzierungen. Keine Spiegel, tapetenlose Wände und auch keine Bilder. Nur Steine, die aber zumindest mit einem hellen Farbton das ganze etwas auffrischten. Das gleiche betraf auch den Boden ohne Marmorbestanteile, der teilweise mit Teppichen ausgelegt war. Ein paar Laternen in eisigen Käfigen spendeten Licht in den dunklen Ecken.
Die Pfauenhenne mit Namen Lady Yin-Yu schenkte diesem keine Beachtung. Es schien sie nicht zu kümmern wohin sie ging und wo sie war. Wie ein fügsames Kind folgte sie den Ochsen bis in den zweiten Stock, wo König Wangs private Räume lagen. Der erste Wächter wechselte ein paar Worte mit einem anderem Ochsenwächter vor einer Tür. Diese wurde dann kurz darauf von ihm geöffnet und fragte etwas in den Raum. Eine andere tiefe Stimme antwortete und der Wächter nickte. Die anderen Wächter zogen sich zurück, während der Türsteher ihr den Weg in den Raum wies.
König Wang, ein riesiger Ochse mit großen Hörnern und befellter Kleidung, erhob sich von einem großen Stuhl.
„Willkommen Lady Yin-Yu. Ich hoffe, Ihr seid mit der Unterbringung zufrieden, oder nicht?“
Zum ersten Mal erhob die Pfauenhenne die Augen. Sie stand in einem mehr oder weniger komfortablem Raum, der etwas mehr an Dekoration aufwies, aber die Wände immer noch karges Gestein beinhalteten.
„Das ist es!“
Die Zikade deutete auf einen kleinen Querbalken in der Wand. „Hinter diesen kannst du einen Blick in König Wangs Räume werfen.“
„Alles klar“, sagte Po und schob das Holz beiseite, wo er durch zwei kleine Löcher in der Wand blicken konnte.
„Oh, ich kann sie sehen. Willst du auch mal durchschauen?“
Er blickte auf Shen. Doch der Lord wich seinem Blick aus. „Ich bin nicht taub.“
Po schnaubte. „Spielverderber.“
„Nehmen Sie doch Platz“, hörte er König Wangs Stimme.
Schnell schaute er wieder durch die zwei Löcher.
König Wang war auf die Pfauenhenne zugegangen und winkte auf einen kleineren Stuhl. Lady Yin-Yu sagte nicht ein Wort und setzte sich. Ihr Kopf immer noch dabei gesenkt. Der Ochse schnaubte mit einem Lachen und legte eine Teetasse auf den Tisch. Doch sie sah nicht auf. Ihr Gesicht war immer noch nach unten gerichtet. Doch dann bewegte sie ihre Schnabellippen.
„Wo sind meine Kinder?“
Ein erneutes Schnauben und Po befürchtete schon er würde sie schlagen wollen.
„Ist das das Einzige, woran Sie denken können?“, sagte König Wang etwas genervt. „Wie ich bereits gesagt habe, ich weiß nicht, wo sie sich aufhalten. Wir haben sie nach der Einnahme der Stadt verloren. Wir fanden keine Leichen. Aus diesem Grund würde ich mir keine großen Sorgen machen.“
Sie erwiderte nichts und hielt ihren Blick unten, während König Wang sich langsam auf und ab bewegte.
„Ihr Ehemann war ein Narr! Es war seine eigene Schuld gewesen mich herauszufordern. Niemand bedroht einen Ochsen. Das sollte er sich mal in sein Gehirn einbrennen.“
Die Lady schnappte schwach nach Luft. Dann legte sie die Flügel zusammen und schaffte es ihren Kopf oben zu behalten. „Warum erlaubtet Ihr mir dieses Privileg?“
„Ich bin froh, dass Sie nicht auf den Kopf gefallen sind wie Ihr Mann“, meinte Wang anerkennend. „Nun, in Anbetracht der Situation, können Sie sich hoffentlich vorstellen, dass ich es mir nicht erlauben kann, Ihren Mann weiterhin als Lord in der Nachbarschaft regieren zu lassen. Aber ich kann es mir auch nicht erlauben, die Stadt sich selbst zu überlassen, ohne einen Herrscher und einer Herrscherin an ihrer Seite.“
Er machte eine kleine Pause bevor er stehen blieb und auf sie herabblickte.
„Mein Appel an Sie ist, und ich bin sicher, dass Sie nicht so töricht sind und es einfach abweisen. Ihr Mann muss hingegen im Gefängnis bleiben, aber er wird nicht zu kurz kommen, solange er sich nicht weiterhin wie ein Irrer aufführt. Meine Gefängniswärter beschweren sich schon seit Tagen über ihn.“
Die Pfauenhenne schloss ihre Augen und presste ihre Flügel aneinander, als wünschte sie sich, dass es so schnell wie möglich vorbei sein möge. Endlich kam König Wang auf den Punkt.
„Mein Vorschlag ist, Ihre Heirat mit ihm auflösen und stattdessen mich zu heiraten.“
Jetzt fand die Pfauenhenne mehr Kraft in einer stocksteifen Position zu sitzen.
Po schluckte ein „Was?!“ herunter.
„Hast du das gehört?“, hauchte er und tippte Shen auf die Schulter.
„Fass mich nicht an!“, fauchte der Lord. „Ich bin nicht taub!“
Po presste die Lippen aufeinander. „Hast nicht verstanden, was er gerade gesagt hat?!“
„Pssst!“, zischte Tu.
Mittlerweile hatte Lady Yin-Yu immer noch kein Wort über die Schnabellippen gebracht. König Wang winkte mit dem Huf.
„Sie müssen die Entscheidung nicht heute treffen. Ich möchte Sie aber auch bitten, nicht zu lange zu warten.“
Plötzlich ertönten laute gedämpfte Rufe durch den Korridor hinter der Tür. Ein Wächter stürmte herein. Er war völlig außer Atem.
„Was ist los?“, fragte König Wang.
„Da ist ein Aufstand im Gefängnis!“
König Wang meinte nicht richtig zu hören, aber dann wandte er sich an Yin-Yu.
„Sie bleiben hier. Ich werde jeden Moment zurücksein.“
Mit lautem Knall wurde die Tür geschlossen. Kurz danach sank die Pfauenhenne auf den Stuhl zusammen und bedeckte ihr Gesicht. Es wurde still um sie herum.
Po krampften sich die Zehen hoch. „Das ist unsere Chance! Holen wir sie raus.“
Er schaute zu Tu. „Gibt es eine Möglichkeit in den Raum reinzukommen?“
Die Zikade vibrierte mit den Antennen. „Natürlich.“
„Großartig! Zeig mir den Weg, Companion.“
Die Zikade verdrehte die Augen, aber sie tat was er wollte und aktivierte wieder einen Stein in der Wand. Langsam und lautlos gab dieser Teil der Wand nach und öffnete sich wie eine Drehtür.
Po war kurz davor loszulaufen, aber dann zögerte er und schaute zurück. Aber der Lord stand da, als ob ihm das alles nicht interessieren würde.
„Äh, möchtest du zuerst reingehen?“
Der Pfau hob die Nase. „Ich werde nicht der Erste sein, der ihr hinterherrennt.“
Er hob den Flügel in einer abwertenden Weise und wandte sich ab.
Po verengte die Augen. „Aber jetzt bist du so nah dran!“
„Keine Diskussion!“ Damit ging der Lord davon. „Bring sie zu den Treppen. Ich werde dort warten.“
Für einen Moment wusste Po nicht, was er sagen sollte. „O-okay, ich verstehe. In diesem Fall ist das mein Auftritt.“
Vorsichtig drückte er die Wandtür weiter auf. Schnuppernd sah er sich um, nur um ganz sicher zu gehen. Außer ihm befand sich neben ihr sonst keiner im Zimmer. Auf Zehenspitzen schlich er zu ihr rüber.
Die Lady schenkte ihrer Umgebung keine Beachtung. Sie gab den Eindruck verloren und allein auf der Welt zu sein. Po fühlte Mitleid in sich aufsteigen. Was hatte eine solche schöne zerbrechliche Blume nur getan, dass der Lord so einen tiefen Groll gegen sie hegte? Aber für Interpretationen war jetzt keine Zeit. Vorsichtig beugte sich Po zu ihr runter. Die Pfauenhenne hatte ihn noch gar nicht bemerkt. Erst als er ihr ein paar Worte zuflüsterte, hob sie ruckartig den Kopf.
„Äh… hi?“
Er schluckte. Ihre Pupillen waren wie dunkles Silber, umhüllt in einer tiefen Müdigkeit. Aber schöne Augen. Die Lady schien nicht sonderlich geschockt zu sein, aber auch nicht sehr sorglos. Unsicher sah sie den Panda an.
„Keine Sorge“, sagte Po. „Ich bin ein guter Freund von ihrer Tochter.“
Jetzt keimte neues Leben in ihr auf. Schnell ergriff sie seinen Arm, sehr zu Pos Überraschung, und schaute ihn fest an.
„Wo ist sie?!“
„Sie ist… sie ist in Sicherheit“, antwortete er immer noch völlig überrumpelt.
„Was ist mit meinem Sohn?!“ war ihre nächste schnelle Frage.
„Er lebt“, antwortete Po wahrheitsgemäß. „Aber kommen Sie. Wir bringen Sie von hier weg?“
„Wir?“
„Ja, mehr später. Hier lang.“
Behutsam nahm er ihren Flügel und zog sie zu dem versteckten Geheimgang. Kaum hatten sie den Durchgang passiert, verschloss Po die Tür auch wieder. Dann nahm er sie wieder an dem Flügel und gemeinsam gingen sie durch einen schmalen Gang bis sie in eine Art Halle kamen, wo eine steinige Wendeltreppe nach oben führte.
Der Panda sah sich um. Doch der weiße Pfau war nirgends zu sehen.
„Okay.“
Po blickte zurück. Die Pfauenhenne hatte immer noch einen traurigen Ausdruck auf ihrem Gesicht. Würde es nachher schlimmer werden?
„Nun“, begann Po von neuem. „Da wären wir.“
„Warum halten wir hier an?“
Er ließ ihren Flügel los. „Nun, ich denke, da ist jemand, der mit Ihnen sprechen möchte.“ Wieder sah er sich um. „Jeden Moment. Denke ich. Bald.“
Auf einmal war da ein raschelnder, klirrender Klang. Po blickte automatisch nach oben. In der Dunkelheit der versteckten Mauerwerke erschien eine weiße, geisterhafte Gestalt auf den oberen Treppenabsatz.
Po räusperte sich und deutet nach oben.
„Das ist der, der mit Ihnen sprechen möchte.“
Po bekam irgendwie nicht so richtig mit, was um ihn herum passierte. Alles was er sah war nur, dass Shen mit langsamen Schritten eine Treppenstufe weiter runterglitt. Der Panda drehte sich nach hinten um. Die Pfauenhenne war zu Boden gesunken. Vor lauter Schreck sprang der Drachenkrieger auf.
„Oh nein! Sie ist tot!... Nein, sie atmet noch!“
Während Po aufgeregt um sie herumhüpfte, schritt Shen die Treppe langsam herab. Sein emotionsloser Gesichtsausdruck blieb unverändert. Nur seine Augen waren auf die Stelle gerichtet, an dem die Lady niedergefallen war.
In der Zwischenzeit hatte Po sie auf den Rücken gedreht und wedelte mit den Tatzen über ihr Gesicht.
„Sie braucht frische Luft!“
„Panda“, begann der weiße Lord mit ruhiger, gelassener Stimme und überquerte die letzte Stufe. „Sie ist nur in Ohnmacht gefallen, bevor du noch vorhast Mund zu Mund Beatmung zu machen.“
Po war nahe daran ihren Schnabel zu öffnen, aber dann hielt er inne und dachte nach.
„Oh, okay, okay, jetzt hab ich‘s kapiert. Natürlich, niemand außer dir darf ihre Lippen berühren, stimmst?“
Shens Gesichtszüge zogen sich wutschnaubend zusammen und der Pfau verschränkte die bereits schon zusammengelegten Flügel nur noch mehr. „Könntest du endlich damit aufhören, Panda? Was ich damit meinte ist, dass sie es nicht verdient. Wie ich bereits sagte – sie bedeutet mir nichts.“
Po verdrehte die Augen und wedelte genervt mit den Tatzen. „Warum sagst du das jedes Mal?! Könntest du mir mal erklären, was sie dir getan hat?!“
Doch Shen wich seinem Blick aus. „Es geht dich nichts an, Panda!“
Verärgert verengte der Panda die Augen. „Es heißt immer noch Po. Und ich muss dir sagen, dass ich dein kindisches Verhalten langsam satthabe.“
„Kindisch?“ Ein kaltes Lächeln huschte über die Schnabelwinkel des Lords. „Du solltest nicht über Dinge reden, von denen du keine Ahnung hast.“
„Über was soll ich denn jetzt schon wieder eine Ahnung haben?!“
Der Lord verfiel zurück in seine stolze, stramme Haltung und schloss und öffnete seine Augen sehr langsam.
„Lass es mich dir erläutern, Panda. Ich habe ja bereits über deine Naivität gesprochen. Und was du da vor dir liegen siehst, ist die Verruchtheit in Person. Sie weiß ihre Verlogenheit sehr gut zu verstecken.“
Er hielt inne. Ein schwaches Stöhnen erfüllte den Raum. Die Pfauenhenne begann sich wieder zu bewegen, aber ihre Augen waren immer noch geschlossen. Nervös tippte Po die Finger aneinander, als sie zu blinzeln begann. Vor ihr war die Sicht noch ganz verschwommen und sah nur einen weißen und einen weiß-schwarzen Schatten.
„B-bin ich tot?“, fragte sie schwach.
Po blickte zu Shen. Doch der zog es vor zu Schweigen. Aus diesem Grund machte Po den ersten Schritt.
„Nein, Sie sind nicht tot. Glaube ich.“ Vorsichtig beugte er sich über sie. „Lassen Sie mich Ihnen hochhelfen.“
Sachte schob er seine Tatzen unter ihre Flügel und richtete sie auf. Sie war immer noch ein bisschen wackelig auf den Beinen, aber sie fand Kraft genug sich oben zu halten. Jetzt hatte sich ihr Sehvermögen soweit wieder erholt, dass sie klar sehen konnte. Po blieb hinter ihr stehen und beobachtete wie sie auf den weißen Pfau starrte, der immer noch dastand wie eine Statue. Endlich schaffte sie es ihren Schnabel zu bewegen.
„Du – du bist-“
Shen verengte die Augen. Kein Lächeln war zu sehen. Das war kein positives Zeichen. Er sah aus, als wäre sein Blick pures Gift. Vor lauter Angst schnappte Po nach Luft und befürchtete sie würde wieder zu Boden sinken. Doch stattdessen ließ sie sich nach vorne fallen und umarmte den Lord in einer verzweifelten Art und Weise, als befürchtete sie, er würde sich jeden Moment in Luft auflösen.
„Ich habe dich vermisst“, flüsterte sie heiser.
Für einen kurzen Moment hoffte Po, er würde ihre Umarmung erwidern und seine Flügel um sie legen. Doch dann…
Blitzschnell drückte er ihre Flügel runter und stieß sie von sich, wobei er ihr wütend ins Gesicht schaute.
„Nach so langer Zeit und das ist alles, was du zu sagen hast?!“
„Also wenigstens ein „Hallo“ wäre angebracht gewesen“, dachte Po.
Die Pfauenhenne war wie vor dem Kopf geschlagen und starrte ihn mit großen, unsicheren Augen an. „A-aber, ich… ich dachte… du wärst tot.“
Wutschnaubend wich Shen noch etwas weiter von ihr weg und wandte sich ab. „Überrascht? Mm. Du riskierst nicht gerade eine große Klappe, wenn du vor mir stehst, was?“
Po beobachtete wie Yin-Yus Flügel zu zitternd begannen. Ihr rechter Flügel platzierte sie über ihre Brust als hätte sie Sorge, dass ihr Herz jeden Moment aussetzen könnte. Ihre Augen wurden feucht.
Shen warf ihr einen bösen Seitenblick zu.
„Ja, ich weiß alles, Fang. Oder sollte ich besser sagen: Yin-Yu?“
Ihre Stimme erstarb. Da war kein Laut mehr in ihrer Kehle. Aber irgendwie nahm sie einen starken Atemzug, aber ihre Stimme zitterte immer noch.
„E-es tut mir leid. Ich wollte… ich wollte dich nie verlassen… aber ich hatte Angst wegen der Wachen meiner Eltern.“
„Ich weiß“, schnitt Shen ihr das Wort ab. „Xia hat es mir bereits gesagt.“
„Du hast sie gesehen?“
„Schweig!“ Er riss seine Robe herum. „Ich bin nur wegen einer Sache gekommen. Sag mir – stammen diese beiden Kinder von mir, oder nicht?!“
Sie zögerte. Shen sah sie so drohend an, dass sie Zeit brauchte, um genug Mut für eine Antwort zu sammeln. Shen beobachtete ihre Schnabellippen wie ein Raubtier seine Beute.
„J-ja.“
Ihr erstickter Schrei wurde jäh abgebrochen, als er auf sie sprang. Beide Vögel landeten auf den Steinboden. Sie auf dem Rücken, während der Lord auf ihrem Oberkörper stand und ihren Hals mit seinen Krallen seines Fußes festhielt. Po musste sich extrem beherrschen nicht dazwischen zu gehen. Shens Körper zitterte vor Zorn, während er mit kontrollierter, aber explosiver Stimme, weitersprach.
„Wie oft willst du mich noch anlügen?!“
„Was für Lügen?“, stieß sie atemlos hervor. „Ich gebe ja zu, dass ich dir meine wahre Herkunft verschwieg, war eine Lüge, aber… sie sind deine Kinder…!“
„Oh, wirklich?“ Der Sarkasmus in seiner Stimme war mehr als hart. „Denkst du ich habe bereits vergessen, was du mir geschrieben hast? Wie dumm bist du eigentlich?! Oder viel mehr, für wie dumm hältst du mich? Bist du so verlogen, dass du dachtest, mich mit einem einfachen Brief abservieren zu können und ich mir später dein Gefasel anhören soll?! Warst du so feige und konntest es mir nicht direkt ins Gesicht sagen?! Was glaubt du eigentlich, wer du bist?!“
Die Dame war wie gelähmt.
„E- ein Brief? Ich verstehe nicht. Na-natürlich hatte ich einen geschrieben, a-aber das ist unmöglich, du konntest ihn nicht bekommen haben. Ich hatte nie die Gelegenheit gehabt ihn abzuschicken.“
Shen stieß fauchend die Luft aus. „Ich kann nicht glauben, dass du darüber ohne Bedauern reden kannst und immer noch die Frechheit besitzt mir dabei in die Augen zu sehen! Du bist das Verlogenste was ich je sehen musste!“
Die Frau wusste nicht, was sie sagen sollte und schwieg vor lähmenden Schock, während Shen eine Welle der Genugtuung verspürte.
„Hast du jetzt Angst?“ Sachte bewegte er seine Krallen hochwärts. „Oder bin ich dir immer noch nicht gut genug?“
Ein Schimmer von Scham und Traurigkeit überzog für einen kurzen Moment sein Gesicht, bevor es wieder in Hass überging.
„Ich hatte wirklich geglaubt, du würdest was für mich empfinden. Ich hatte es wirklich geglaubt…“
„Aber… aber das tat ich doch…“
Sie zuckte zusammen, als er seine Krallen tiefer in den unteren Teil ihres langen Halses grub.
„Solange ich nicht präsent bin, denkst du, du kannst mich umherstoßen wie du willst und mich dabei zum Narren halten, was?!“
Sie begann zu schluchzen.
„Nein – das zwischen uns… unsere Nacht… war keine Lüge.“
Shens Gesicht entspannte sich ein wenig. Doch nicht vollständig. Er kletterte von ihr runter und knurrte düster. Po überkam ein Schauer der Angst. Noch hie hatte er Shen so außer sich erlebt wie jetzt.
Der Pfau drehte ihr den Rücken zu.
„Ich habe dir alles gegeben“, sprach er verbittert. „Meinen Respekt. Meine Rücksicht. Meine innersten Geheimnisse… jetzt alles für gar nichts; für ein heuchlerisches Ding wie dich.“
Er drehte sich wieder zu ihr um. Ein hämisches, schadenfrohes Lächeln umspielte seine Schnabelwinkel. „Ich erinnere mich. Unsere Nacht. Ich nannte dich Silber. Erinnerst du dich? In der Nacht, wo wir uns geliebt haben. Ich zählte jede silberne Feder deines Körpers.“
Er schleuderte dem Panda einen warnenden Blick zu. Dieser räusperte sich und schaute weg. Yin-Yu wusste nicht, was Shen als nächstes vorhatte. Sie streckte ihren Flügel nach ihm aus, um seinen Flügel zu fassen. Doch noch ehe sie eine Feder berühren konnte, wich er zurück und mied ihre Berührung.
Seine Augen waren kalt und eisig.
„Sag mir“, flehte sie. „Was habe ich getan?!“
„Vergiss es!“ Mit Abscheu winkte er sie mit seinem Flügel weg. „Ich hasse dich mehr als alles andere in dieser verdammten, verdreckten Welt!“
„Ich, aber ich dachte, du und ich, wir würden…“
Aber der Lord ließ sie nicht ausreden. Statt sie wieder anzuspringen, warf er sie zu Boden. Mit einem Fuß drückte er ihr auf die Kehle.
Die Frau geriet in Panik. „W-was tust du…?! Ich weiß nichts… Vergib mir!“
Doch der Lord hörte ihr gar nicht zu und beugte sich über ihr Gesicht.
„Das hättest du dir früher überlegen sollen“, sagte er eisig. „Doch was du mir angetan hast, ist unverzeihlich. All die Jahre habe ich auf diesen Tag gewartet.“ Er lächelte böse. „Ich hatte einen Traum. Wo du tot vor meinen Füßen liegst.“
Ein entsetzlicher Ruck ging durch den Körper der Frau, als er eines seiner Federmesser vor ihr Gesicht zog.
„Du hast mich fallen lassen.“ Die Stimme des Lords hallte durch ihren Kopf. „Ich hatte vor, dir die Kehle damit durchzuschneiden.“
Sie hielt den Atem an, als die scharfe Klinge ihren Schnabel berührte. Shens Gesicht wechselte zu einem mitleidigen Spott.
„Aber du sollst für meinen Schmerz, den du mir bereitet hast, genauso leiden. Hattest du gedacht, ich hätte ein Gefühl? Ist es wegen meiner Farbe? Oh nein, komm mir nur nicht wieder mit dieser Schnee-Geschichte. Das war eine schlechte Masche. Doch ich bin bereit dir das Gesicht zu zerschneiden, sodass jeder deine hässliche Visage sehen kann, die du unter deinen dunklen Federn verbirgst.“
„Nein!“
Po war nahe daran vorzupreschen, aber die Stimme des jungen Mädchens ließ ihn erstarren. Ein farbiger Schatten tauchte auf, stieß den Lord zur Seite und warf sich über die Pfauenhenne.
Der Panda riss die Augen auf.
„Xia?“
Die Stimme ihrer Mutter sendete einen Schauer der Erleichterung durch sie mit der Gewissheit, dass noch Leben in ihr war.
Für einen Moment war der Pfau ziemlich verwirrt.
„Wie bist du…?“
„Ich hatte mich mit auf dem Karren versteckt!“, antwortete das Mädchen, während sich ihre Fingerfedern um ihre Mutter klammerten.
Der Lord bebte vor Ärger. „Wie kannst du es wagen?!“
Jetzt sah sie zu ihm auf und funkelte ihn kriegerisch an. „Hattest du wirklich gedacht, ich würde dich mit ihr alleine lassen? Du schienst sie zu hassen. Ich hatte mir Sorgen gemacht.“
„Aus sehr gutem Grund.“
Der Pfau wollte keine weitere Zeit verlieren und versuchte sie wegzustoßen.
„Geh mir aus dem Weg!“
„Wie grausam bist du eigentlich?!“
Ihre Augen waren gefüllt mit Hass und Verzweiflung.
Der Lord knurrte. „Frag sie mehr wie grausam sie zu mir sein konnte!“
Po zuckte zusammen, als er spürte wie etwas Kleines auf seinen Kopf sprang.
„Verzeiht mir“, sagte Tu und schaute in eines von Pandas Augen. „Da draußen ist ein ziemlicher Tumult. Wir sollten besser machen, dass wir von hier wegkommen, bevor sie noch alle Ausgänge blockieren.“
„Oh, ja“, stimmte Po nervös zu. „Leute! Vielleicht solltet ihr den Familienstreit verschieben. Wir müssen ganz schnell von hier verschwinden.“
Das musste Po nicht zweimal sagen. So schnell sie konnte half Xia ihrer Mutter hoch und rückte mit ihr in den Flügeln näher zum Panda, während Shen mit seiner Wut an Ort und Stelle stehen blieb.
Po konnte nicht anderes und beugte sich zu den jungen Pfauenhennen vor. „Alles in Ordnung?“
„Alles gut, danke“, antwortete Xia kurz.
Ihre Mutter sagte nichts. Mit gesenktem Kopf stand sie da und hatte Mühe sich auf den Beinen zu halten. Po zog es vor erst mal keine Fragen zu stellen und warf Shen einen tadelnden, vorwurfsvollen Blick zu. Aber der Lord zeigte keine Reue für das, was er beinahe getan hätte. Seine Augen hingen immer noch über diejenige, die er vor langer Zeit geliebt hatte und jetzt nichts mehr als ein Nichts für ihn war. Sogar Tu wusste nicht die richtigen Worte zu finden, bis er sich dazu entschied es kurz zu machen.
„Na gut. Diesen Weg.“
Po war der Erste, der sich in Bewegung setzte. „Okay, folgt…“
Plötzlich knallte etwas gegen ihn. Po fiel zur Seite und hörte kurz darauf jemanden fluchen.
„Hey!“, beschwerte sich der Panda und rieb sich den Arm. „Kannst du nicht…?“
Po gefror das Blut in den Adern.
Das was ihn gerade so gerammt hatte, war ein zweiter Pfau.
„Wie kannst du es wagen mir im Weg zu stehen?!“
So eine rüpelhafte Frage hatte Po von diesem Vogel jetzt nicht erwartet, aber er brauchte nicht lange um zu erahnen, dass es sich bei diesem frechen Kerl um Xiang handeln musste.
Sein Gefieder war hell- und dunkelblau, besonders sein Kopf und seine Flügel waren dunkler als der Rest seines Körpers, und seine langen Schwanzfedern waren mit dunkelblauen Pfauenaugen bestückt. Alles in allem keine schlechte Kombination. Inklusive seiner Robe, die aus dunkelblau-geld-grün gemusterter Seide bestand. Vielleicht ein bisschen zu farbig, aber er schien das zu mögen. Nur seine Sprache war alles andere als blumig.
„Ich hab dich was gefragt!“, schrie Xiang. „Geh mir aus dem Weg!“
Po schaffte es im letzten Moment einem weiteren Schlag auszuweichen.
„Hey!“, schimpfte der Panda. „Sonst geht‘s dir gut, oder?“
„Xiang?“
Die Stimme seiner „Tochter“ ließ den blauen Pfau für einen kurzen Moment verstummen und starrte nur auf seine Frau und Xia. Po hoffte, dass ihn das etwas friedlich stimmen würde, aber Xiang wurde dadurch nur noch ungehaltener.
„Was in aller Welt hab ihr hier zu suchen?! Das war nicht eingeplant!“
Xia, die ihre Mutter immer noch in den Flügeln hielt, verengte verärgert die Augen.
„Kümmert es dich denn gar nicht, was wir durchgemacht haben? Mutter geht es sehr schlecht.“
„Wie so oft.“ Der Pfau war mehr als desinteressiert. „Und wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht in der Gegenwart anderer zu mir sprechen darfst?!“
Xia presse ihre Schnabellippen aufeinander und strich ihrer Mutter über den Kopf, den sie noch mehr eingezogen hatte, als sie die Stimme ihres Ehemannes hörte.
„Schäbige Närrin“, murmelte er. „Du ruinierst noch alles!“
Endlich wanderten Xiangs Augen zu Shen, der mit verschränkten Flügeln dastand. Sein Gesicht war auf die gleiche Art und Weise verärgert. Für einen kurzen Moment wusste der andere Pfau nichts zu sagen. Aber nur für drei Sekunden.
„Wer ist das?!“
Jetzt hob Shen den Flügel, doch er ging nicht auf die Frage ein. Stattdessen konterte er barsch mit einer Gegenfrage.
„Und du bist ihr – Ehemann?“
„Kind, beantworte du mir meine Frage!“
Diese Worte waren jetzt an Xia gerichtet. Die junge Pfauenhenne sah von einem zum anderen. Kümmerte es Shen denn gar nicht was Xiang gerade dachte? Sie verspürte immer noch die Wut im Bauch wegen ihrem biologischen Vater, aber mit dieser Wahrheit würde sie das Leben ihrer Mutter nur gefährden.
„Kümmert es dich gar nicht was mit Sheng passiert ist?“, fragte sie vorsichtig, ziemlich sicher, dass Xiang auf sie nur noch wütender werden würde.
„Dummes Ding!“, schimpfte Xiang. „Wie konnte ich nur sowas wie dich aufziehen?“
„Aber es geht ihm sehr schlecht!“
„Schlecht?“ Nach so langem hob ihre Mutter jetzt doch den Kopf und starrte ihre Tochter mit weiten Augen an. „Wie schlimm?“
„Nein, nicht die Art von schlimm was du denkst… nein, Mutter.“
Sie fühlte wie ihre Mutter ihren Druck auf ihren Flügeln verstärkte.
„Denk nicht darüber nach“, flehte Xia.
Yin-Yu seufzte weinerlich. „Ich weiß gar nicht mehr, was ich noch denken soll!“
Po war den Tränen nahe. Die Frau war völlig fix und fertig. Da fragte man sich nur, was als nächstes kommen würde.
Xiang schenkte ihr keine weitere Beachtung und machte einen Schritt nach vorne.
„Beantworte meine Frage. Wer bist du?“
„Äh…!“ Po tauchte neben Shen auf und legte seinen Arm auf die Schulter des Lords. „W-wir… wir sind das Kung-Fu-Rettungskomitee.“ Er warf Shen einen hilfesuchenden Blick zu. „Sind wir doch, oder?“
Der nächste Tritt von Shens Fuß traf den Panda direkt im Gesicht.
„Autsch! Ich hab‘s geahnt.“
Mit schmerzerfülltem Gesicht rieb der Panda sich die Nase.
„Wenn du wissen willst, wer ich bin“, begann der Lord, sein Gesicht gefüllt mit Schadenfreude und Boshaftigkeit. „Dann würde ich an deiner Stelle mal lieber deine nette Frau fragen.“
Xiangs Haltung versteifte sich kurz.
„Mm. Ihr kennt euch?“
Pos Augen weiteten sich mehr als gewöhnlich.
Xia drückte ihre Mutter enger an sich.
Nein, das kannst du ihr nicht antun!
Doch das kalte Lächeln auf Shens Gesicht sendete Wellen des Horrors über sie. Und er hatte vor es zu tun.
„In der Tat, wir…“
„Was mein Kollege Ihnen eigentlich genau damit sagen möchte“, unterbrach Po schnell. „Ist, dass wir sehr erfreut sind Sie zu treffen, heute zum ersten Mal, um Ihnen zu Ihrer Rettung zu verhelfen von diesem…“
„Geh von mir runter!”, schrie Shen in an und stieß ihn von sich. „Nein, sie und ich, wir… mpff!“
Po hielt ihm den Schnabel zu und versuchte den zappelnden Pfau wegzuziehen. Der Panda kicherte nervös. „Oh, und wir werden Sie so schnell wie möglich von hier wegbringen, um… Autsch!“
Po war gezwungen den Pfau loszulassen, nachdem dieser ihm mit seinen scharfen Krallen in den Bauch gezwickt hatte. Shen machte einen großen Sprung, um den Griffen des Pandas komplett auszuweichen.
„Nein, deine Frau ist ein…!“
Seine Stimme erstarb. Für eine Sekunde wurden Yin-Yus Augen weit vor Entsetzen, als der weiße Körper des Lords zu Boden fiel. Po war außerstande sich zu rühren und starrte auf den Pfau und dann auf seine Faust, die den Vogel auf dem Kopf getroffen hatte. Schließlich überkam ihn eine tiefe Reue.
„Es tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid“, murmelte Po immer und immer wieder.
Der Drachenkrieger konnte nicht glauben, was er gerade getan hatte. Seit seinem Friedensangebot im Dorf, hätte er nie gedacht, dass er sowas tun müsste. Doch er hatte es getan.
Noch immer ungläubig starrte er auf den bewusstlosen Pfau, der jetzt auf dem Boden lag. Und bevor jemand oder er noch etwas sagen konnten, wurden laute Stimmen und schwere Fußschritte hörbar und hallten durch die versteckten Korridore.
Po spitzte die Ohren. „Was ist das?“
In diesem Moment sprang Tu auf seinen Kopf.
„Das ist die Armee! Aber das ist unmöglich. Wie konnten sie nur von diesem versteckten Ort wissen?“
Die harten, schweren, stampfenden Schritte wurden lauter und füllten die Luft wie von hundert Leuten. Als Po dachte, sie würden jeden Moment um die Ecke kommen, spannte er seine Muskeln an. Doch mit einem Mal erstarb der Klang der Schritte.
Po schaute überrascht auf. „Huch, was ist passiert?“
Doch dann realisierte er Xias ängstlichen Gesichtsausdruck. Po schluckte. Er fühlte, dass jemand hinter ihm stand. Langsam drehte er sich um und musste in dunkle, grüne Augen schauen.
„Hi, bist du hier die Putzfrau?“ Er tippte die Finger nervös aneinander.
Der Ochse, der vor ihm stand, schnaubte. „Wer bist du?“
Der Panda rieb wie wild die Handflächen aneinander. „Äh, ist das jetzt hier Standartfrage?“
Er zuckte zusammen, als mehr Schritte näherkamen.
„Hi, Leute.“
Aber Pos scheue Begrüßung wurde schlicht von den anderen Ochsen um sie herum ignoriert. Schritt für Schritt engen sie den Kreis um sie mehr und mehr ein.
Plötzlich preschte der grünäugige Ochse vor und packte Xiang am Nacken. Dann presste er ihn gegen die nächste Steinwand und stierte ihm in die Augen.
„Wag es ja nicht sowas wieder mit mir zu machen! Verstanden?!“
In diesem Moment zog etwas an Pos Ohr. „Autsch, was soll das werden?“
Doch die kleine Zikade erklärte nichts und deutete nach rechts.
„Auf drei.“
Po verstand nicht. „Äh, was?“
„Renn einfach gegen die Wand, verstanden?“
„I-ich soll was machen?“
In Pos Kopf wirbelte alles durcheinander. Seine Augen klebten auf dem Ochsen und Xiang, der immer noch an der Wand stand. Plötzlich durchzuckte es den Panda. Der Ochse hatte aufgehört ihn anzuschreien. Stattdessen wechselten sie zischende, leise Worte miteinander.
„Jetzt!“
Po hatte gar nichts von Tus Countdown mitbekommen. Aber er tat was die Stimme ihm befahl. Ohne nachzudenken rannte er vor.
„Aber da ist doch eine Wand…“
„Ram es!“
Pos Füße fühlten sich an wie Pudding. Er verlor jegliches Gefühl im Körper. In Erwartung von Schmerzen rannte er auf die Wand zu, ohne anzuhalten. Doch dann, als er dachte, er würde jeden Moment Kopfschmerzen bekommen, gab die Wand nach und mit einem starken Schwung fiel Po nach vorne und landete mit einem Klatscher auf dem Boden. Kurz darauf ertönte hinter ihm lautes Gepolter. Die bewegliche Wand schloss sich und all die anderen Geräusche verstummten. Noch immer wie gelähmt setzte er sich auf und schaute sich um. Um ihn herum herrschte pure Dunkelheit. Nur ein sehr, sehr schwaches Dämmerlicht schien durch einen anderen felsigen Korridor.
„Wa-was war das?“
In diesem Moment tauchte Tu auf seiner Nase auf.
„Nur eine Vorsichtsmaßnahme von den Erbauern dieser Geheimgänge. Nur für den Fall, falls es doch von Feinden entdeckt wird.“
„Sehr clever“, murmelte Po und erhob sich. „Aber was ist, wenn die anderen die Wand auch aufbekommen?“
„Keine Sorge. Sie ist jetzt blockiert. Die kannst du nur auf dieser Seite wieder öffnen.“
„Auch eine Vorsichtsmaßnahme?“
„Bingo.“
Po folgte dem dämmrigen Licht mit seinen Augen.
„Wohin führt dieser Weg?“
„Zum Fluss.“
„Fluss?“
„Allerdings. Unter der Burg fließt ein Fluss. Seine Quelle entspringt aus dem Untergrund und verlässt ihn in einen Wasserfall.“
„Und du denkst, dass wir die Burg auf diesem Weg verlassen können?“
Die Zikade schüttelte den Kopf.
„Keine Chance. Nicht zu dieser Zeit des Jahres. Das Wasser ist eiskalt wie nichts und die Klippen zu beiden Seiten verlaufen eine ganze Strecke steil nach oben. Du wirst keine Chance haben es zu verlassen.“
„Und jetzt?“
„In dem dunklen Teil ist ein zweiter Weg, der zu einem schmalen kleineren Weg aufwärtsführt. Doch dafür musst du den Bauch einziehen.“
„Ha, ha, sehr witzig“, sagte Po sarkastisch.
Er war kurz davor den entsprechenden Weg einzuschlagen, als neue Schritte von weitem hörbar wurden.
„Komm schneller“, rief eine tiefe Stimme. „Wir haben schon genug Zeit verschwendet.“
„Wer ist das?“, fragte sich Po.
„Es kommt vom Fluss“, meinte Tu. „Aus diesem Korridor. Du kannst ihn erreichen indem du dem alten Weg folgst. Aber der Eingang von diesem Korridor ist hoch und versteckt in der Nähe des Flusses.“
„Alles klar.“
„Hey, wo gehst du hin?“, fragte Tu überrascht, als Po dem Weg zum Fluss folgte.
„Das muss ich mir ansehen.“
„Nein, warte, warte, warte…“
Doch der Panda hörte ihm gar nicht zu und spazierte runter den Weg bis er zu einem Loch in einer Felswand gelangte, von wo aus er einen Überblick über eine große höhlenartige Halle hatte. Das Loch lag in einem Winkel der hohen Wand, wo ihn niemand sehen konnte. Unterhalb erkannte er einen großen Fluss, welcher mit schäumendem Wasser in einem tiefen Flussbett floss.
Plötzlich tauchten zwei große Figuren auf und gingen näher an die steilen Felswände des Flusses heran. Jetzt erkannte er einen großen Ochsen und einen weiteren. Pos Augen weiteren sich, als er darunter eine andere Figur entdeckte, die der zweite Ochse in den Hufen mit sich trug.
„Warum müssen wir ihn hierherbringen? Sollten wir ihn nicht König Wang übergeben?“, fragte der zweite Ochse und warf den weißen Pfau auf den Boden. Shen stöhnte schwach. Er war immer noch nicht zu sich gekommen.
„Weil der Plan sich geändert hat“, knurrte der grünäugige Ochse und schmiss ein paar Seile neben dem Pfau. „Wir müssen auf weitere Anweisungen abwarten. Er wird uns dann das Signal geben.“
„Doch warum müssen wir ihn hierherbringen?“, wiederholte der zweite Ochse seine Frage.
Der erste größere Ochse schnaubte ungeduldig. „Er braucht ihn nicht für seinen Plan. Jetzt tu es einfach. Aber fessel ihn feste.“
Der zweite Ochse schnaubte und startete mit seiner Fesselarbeit. Zuerst band er die Flügel des Lords auf den Rücken zusammen, dann band er ein zweites Seil um den Körper und die Füße.
„Beeil dich!“, drängte der erste Ochse. „Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“
„Ja, ja“, grunzte der Soldat und zog die Seile beinahe brutal zusammen.
Dieser schmerzhafte Vorgang ließ Shen die Augen öffnen. Er war immer noch etwas benommen.
„Was…?“
Shen wusste nicht was passiert war, aber seine aktuelle Lage war nicht sehr komfortable für ihn. Er versuchte sich zu bewegen, aber er schaffte es nicht mal einen Zentimeter sich zu rühren. Allmählich bekam er wieder einen klaren Kopf.
„Hey, lasst mich frei!“
„Halt die Klappe!“, knurrte der erste Ochse ihn an.
„Was hat das zu bedeuten?! Ihr hab kein Recht…“
Der zweite Ochse presste seinen Huf auf seinen Schnabel. Dann packte er ihn brutal am Hals und hob ihn hoch. Der weiße Vogel wehrte sich wie verrückt gegen diese ungehobelte Behandlung.
„Soll ich ihn noch knebeln?“, fragte der zweite Ochse, der große Mühe hatte den Pfau zu bändigen.
„Wozu das?“ Der grünäugige Ochse zuckte die Achseln und grinste. „Hier hört ihn eh keiner. Nebenbei können wir doch nicht riskieren, dass er verdurstet. Wir sind doch keine Untiere, oder?“
Shen atmete heftig. Sein Kopf tat ihm immer noch weh und konnte nicht verstehen wie er hierhergekommen war.
„Komm schon, mach es kurz.“
Damit schwenkte der Ochse seinen Huf. Der Soldat trat näher ans wütende Flussbett heran, wo die Fluten des Wassers tobten. Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Lord auf das eisig, wilde Wasser. Trotz seiner Fesseln um ihn wandte er sich wie ein Wahnsinniger. Aber der Ochse zeigte kein Erbarmen und warf ihn durch die Luft. Shen fühlte wie die Schwerkraft ihn nach unten zog. Er durchbrach die Wasseroberfläche und verschwand.
Po, der immer noch im Versteck verharrte, hatte alles ungläubig mitangesehen. Die zwei Ochsen kümmerten sich nicht weiter um das Schicksal des Lords und verließen den Ort. Kaum waren sie aus dem Blickfeld des Pandas verschwunden, sprang dieser auf und schlitterte die Felswand runter.
„Hey, was machst du da?“, rief Tu ihm nach.
Aber der Panda ignorierte Tus Worte und hielt direkt neben dem Flussbett an.
„Tu mir den Gefallen und behalte die anderen im Auge, okay?“
Die Zikade verstand nicht, was er damit sagen wollte. „Sicher, aber was ist mit…“
Er hatte keine Gelegenheit mehr den Satz zu beenden. Im nächsten Moment nahm Po Anlauf und sprang ins Wasser. Das kalte Wasser schnitt sich in sein Fell wie eisige Messer. Zuerst hatte er Mühe den Kopf über Wasser zu halten. Die Strömung riss ihn mit und plötzlich fiel er in einen leeren Raum.
Das musste der Wasserfall sein.
Wenigstens war er nicht hoch. Wie auf Eiszapfen landete der Panda mit einem Klatscher im nächsten Wasserpool und wurde erneut fortgerissen. Pos Lunge schmerzte. Er musste regelrecht gegen die Wasserkraft ankämpfen. Wenigstens konnte er seinen Kopf oben halten und versuchte sich einen Überblick zu verschaffen. Aber um ihn herum war nur weißes Wasser und nochmal Wasser.
Wie sollte er ihn hier finden?
Plötzlich hielt er inne. Die reißenden starken Fluten hatten den weißen Pfau gegen einen Felsen gedrückt und hielten ihn dort fest. Po machte ein paar kräftige rudernden Bewegungen und mit einem Griff, fühlte er Federn unter seinen Fingern. Er klammerte seine kalten Finger um den Vogel und fixierte sich selber an den Felsen. Po schauderte unter seinem Fell, aber es hielt ihm warm genug, um es für eine Weile auszuhalten. Aber für Shen… Er fühlte wie der Vogel im kalten Flusswasser fror.
„Shen! Bleib wach! Du darfst nicht einschlafen! Bleib wach.“
Shen blinzelte.
„D-du wagtest… du hast…“
Der Pfau bibberte vor Kälte.
„Was hab ich gemacht?“, erkundigte sich Po.
„Du hast mich bedroht. Jetzt kannst du es ja zu Ende bringen.“
„Shen! Ich dachte, wir hätten darüber gesprochen. Ich hab dich nicht bedroht. Es war nur ein Notfall.“
Doch der Pfau schien ihn nicht mehr zu hören. Stattdessen murmelte er Worte mit halbgeöffneten Augen.
„Es… es schneit.“
Der Panda sah auf. In der Tat tanzten Schneeflocken über ihren Köpfen.
„Äh, ja, ja, es schneit.“
Der Lord schloss die Augen. Ein schwaches Lächeln umspielte seinen Schnabel.
„W-welch I-Ironie. Ich werde sterben – im Schnee - wie ich einst tötete dein D-Dorf.“ Seine Stimme zitterte. „D-das schließt d-den Kreis.“
Po beobachte den weißen Lord nachdenklich. Halluzinierte er gerade?
„Mm, Shen?“
Doch die Schnabellippen des Pfaus zitterten nur, genauso wie der Rest seines Körpers.
„Okay,“, murmelte Po. „Nur keine Sorge. Ich halte dich warm.“
Damit rieb er seine Tatze über den Vogelhals und Brustkorb, während er sich mit der anderen am Felsen festhielt. Aber der Panda wusste, dass er das nicht für den Rest seines Lebens so machen könnte. Sie mussten hier irgendwie raus aus diesem kalten Wasser.
Sein Blick wanderte nach oben. Die Flusswände waren sehr steil. Es war unmöglich an ihnen hochzuklettern ohne Kletterhilfe. Besonders nicht mit einer unbeweglichen Person in jemandes Armen. Po schaute geradeaus, aber auch der Rest des Flusses bot dasselbe Bild. Es gab keine Chance die Fluten zu verlassen. Sie könnten höchstens nur flussabwärts schwimmen, in der Hoffnung an einen Ort zu gelangen, wo sie herauskommen könnten. Aber wer wusste, wie lange sie im kalten Wasser überleben könnten.
Traurig und entmutigt strich Po über Shens Kopf. „Shen. Bleib wach, bleib wach.“
Doch der Vogel war viel zu ausgepowert von der frierenden Kälte. Er blinzelte noch einmal kräftig, dann schloss er endgültig die Augen.
„Nein, bleib wach!“
Mit zittrigen Tatzen nahm der Panda ihn näher und versuchte ihn mit seinem Fell warmzuhalten.
„Nein, dass hast du nicht so gemeint. Wir alle hatten heute einen schwarzen Tag… nur einen schwarzen Tag.“
Po zuckte zusammen. Seine Füße waren fast vom Felsen abgerutscht. Mit Mühe zog er sich wieder aus dem Wasser mit ihm hoch und lehnte sich gegen den eisigen Felsen.
Warum, warum…?
Er schloss die Augen. Schneeflocken berührten seine kalte Nase. Er musste an Zuhause denken. Es war immer ein schönes Bild und ein Spaß gewesen im Schnee zu spielen und die Schneeflocken mit der Zunge aufzufangen. Es war so lustig gewesen. So lustig… Die Kälte auf der Nasenspitze wurde stärker und kitzelte. Es kitzelte. Kitzelte?
Er blinzelte.
„Was…?“
Po dachte, die Kälte würde ihm einen Streich spielen. Vorsichtig streckte er die Hand aus.
Nein, das war kein Traum. Es war Realität. Da baumelte wirklich ein Seil über seinem Kopf und das Ende davon hatte seine Nase berührt. Aber wer könnte das sein?
„Ha-hallo?“, stotterte er hoch.
Aber niemand antwortete. Zweifelnd betrachtete Po das rettende Seil. Sollte er danach greifen oder war das Ganze eine Falle? Er schaute auf Shen, der keinen Laut mehr von sich gab. Seine Kraft schwand mit jeder weiteren Minute.
Schließlich seufzte der Panda. Sie hatten wohl keine andere Wahl. Entweder sie erfroren im Wasser oder es passierte was auch immer.
Mit letzter Kraft sprang er hoch und griff das baumelnde Seil. Zuerst band er es um Shens Körper, dann zog er mehrere Male dran und das Seil straffte sich. Jemand zog daran. Po ließ Shen los und beobachtete wie der Vogel empor zum Himmel aufstieg. Der Panda folgte ihn mit den Augen bis er über den Klippenrand des Flusses verschwunden war. Nun musste er abwarten und hoffen.
Eine Weile blieb alles still. War es doch eine Falle gewesen? Pos Herz machte einen großen Freudensprung, als das Seil zurück zu ihm herunterkam. Voller Freude nahm er es und wurde ebenfalls hochgezogen. Was immer er auch zu erwarten hatte auf den oberen Klippen, es war immer noch besser als im kalten Wasser stecken zu bleiben. Zumindest hoffte er das.
Endlich hatte er das Ende erreicht. Er schwang seinen Kopf über den Rand und blickte nach vorne.
„Was…?“
„PO!“
Po konnte nicht glauben, wen er da vor sich sah, als Mr. Pings warme Flügel sich um seinen Oberkörper schlangen.
„Dad?“ Po war mehr als perplex. „Was machst du denn hier?“
„Eine innere Stimme hat mich hierher gerufen“, erklärte Mr. Ping. „Und ein fliegender Bote.“
„Aber woher besitzt du die Kraft mich heraufzuziehen?“
Mr. Ping schmunzelte. „Nun, mit ein bisschen Hilfe.“
Po schaue hinter ihm. Eine große Figur mit langen Haaren im Gesicht beugte sich gerade runter und war damit beschäftig Shen von den Fesseln zu befreien.
„Wer ist das?“, fragte Po.
„Das ist meine Haushaltshilfe“, klärte Mr. Ping ihn auf.
Dem Panda blieb der Mund offen. „Das ist deine Haushaltshilfe?”
Er betrachtete den großen Yak, der sich gerade erhob.
„Nur für begrenzte Zeit“, räumte der Stämmige grimmig ein. „Meine Frau hat sich erkältet.“
„Aber was hattest du da im Fluss zu suchen gehabt?“, fragte Mr. Ping besorgt.
„Das ist eine lange Geschichte“, murmelte Po. „Aber er muss sich erst mal dringend aufwärmen.“
Er deutete auf Shen, der zitternd im Schnee lag. Jetzt fühlte auch Po wie ihm die Kälte ins Fell kroch und umarmte sich selber. „Und für mich.“
„Wie die Tochter so der Vater“, sagte Mr. Ping mit einem sanften Lächeln, während er beobachtete wie ein Schaf ein warmes Handtuch der Wahrsagerin reichte.
Die Ziege lächelte. „In der Tat, wie seine Familie.“
Behutsam legte sie das warme Tuch auf Shens Kopf, der eingehüllt in dicken Decken in einem Bett lag. Als das warme Tuch seine Federn berührte, zitterte er noch stärker. Sein Schnabel konnte gar nicht mehr aufhören zu zittern. Die Ziege schob die Decke höher bis der gesamte lange Hals des Vogels bedeckt war. Die Füße des Lords lagen frei, wo ein Schaf damit beschäftig war, seine kalten Füße warm zu rubbeln. Seit er das Wasser verlassen hatte, hatte der Lord seine Augen nicht mehr geöffnet. Er murmelte nur, dass ihm kalt war.
Po saß nicht weit entfernt auf einer kleinen Bank, ebenfalls umhüllt mit Decken und seine Füße standen in einer Schüssel mit heißem Wasser. In der Zwischenzeit hatte er seinem Vater alles erzählt und Mr. Ping war mehr als beeindruckt.
„Unglaublich“, murmelte Mr. Ping. „Ich könnte mir vorstellen, dass das eine sehr große Überraschung für ihn gewesen sein muss zu wissen, dass er eine Familie hat.“
Po nickte traurig. „Du ahnst es nicht.“
„Oh, ich würde die Hoffnung nicht aufgeben, Po“. Sanft berührte Mr. Ping sein Gesicht. „Du hast nur Hunger. Ich werde mal in die Küche schauen. Vielleicht ist Yuan schon fertig mit der Suppe.“
Nachdem Mr. Ping den Raum verlassen hatte, lehnte Po sich zur Wahrsagerin rüber.
„Hast du ihm die Nachricht geschickt?“
Die Ziege wiegte den Kopf sachte hin und her. „Kurz nachdem wir die Stadt verlassen hatten. Ich dachte, es wäre das Beste ihn hierher zu bringen.“
„Warum?“
Sie wrang ein anderes Tuch aus, während sie weitersprach. „Ich dachte, er sollte jemanden in seiner Nähe haben, der bereits mit der Vaterrolle vertraut ist.“
Po wurde für einen Moment still. Dann fuhr er hoch, als er beim Stichwort "Vater" an Shens Sohn erinnert wurde. Besorgt schaute er zu den Schafen rüber.
„Wie geht es ihm?!“, fragte er.
Die Schafe schüttelten die Köpfe. „Noch immer unverändert.“
Po ließ die Ohren hängen. In diesem Moment kam Mr. Ping mit einer Schüssel Suppe in den Flügeln zurück und hielt sie seinem Sohn hin. Po nahm sie dankbar entgegen.
„Danke, Dad.“
Sie umarmten sich. Beide sahen auf, als sie ein lautes Seufzen vernahmen. Shen begann sich im Bett zu bewegen und seine zittrigen Bewegungen durchfuhren ruckartig seinen Körper. Endlich blinzelte er und schaute in das bekannte Gesicht der Wahrsagerin.
Er seufzte tief.
„Wer sonst?“, murmelte er.
Die Ziege lächelte. „Du versetzt mich von einer Sorge in die nächste.“
Der Pfau wischte sich über den Kopf. „Solange ich dich nicht an meinem Totenbett sehen muss.“
„Sprich nicht von so was.“
„Aber ich…“
Plötzlich schien Shen sich mit einem Schlag wieder an alles zu erinnern.
Er setzte sich ruckartig im Bett auf und seine Augen trafen auf den Panda.
Po lächelte scheu und winkte ihm zu. „Hi.“
Der Pfau antwortete nur mit knurrend, verengten Augen.
Plötzlich tauchte jemand anderes in seinem Blickfeld auf.
„Hallo, willkommen. Schön Sie wiederzusehen! Ein kleiner Service mit besten Empfehlungen.“
Der Lord schaute sehr überrascht. Doch als seine Augen auf die Suppe fielen, vergaß er es "Hallo" zu sagen. Er griff danach und schluckte das heiße Essbare hinunter. Doch Mr. Ping war nicht verärgert darüber. Dass jemand seine Suppe eher bevorzugte als eine Begrüßung, war für ihn immer noch Kompliment genug. Shen trank alles aus. Dann stellte er die Schüssel weg. Mr. Ping konnte sie gerade noch auffangen, bevor sie noch herunterfiel. Doch das kümmerte Shen überhaupt nicht. Er schloss die Augen, ließ sich willenlos zurück aufs Kissen sinken und atmete schwer.
Mittlerweile hatte die Ziege den Lappen wieder genommen, welcher bei der ganzen Aktion heruntergefallen war und zurück auf seinen Kopf gelegt. Doch im nächsten Moment setzte sich der Pfau erneut im Bett auf. Po versuchte seine große Wut auf dem Gesicht zu ignorieren und schlürfte seine Suppe. Shen nahm einen tiefen Atemzug.
„Würdet ihr uns entschuldigen? Alle!“
Alle Leute schraken zusammen. Der Lord klang mehr als verärgert. Einer nach dem anderen verließ den Raum und Po war der Letzte. Schnell stand der Panda auf und kletterte aus der Wasserschüssel.
„Äh, ich glaube, ich hab draußen was vergessen.“
Mit nassen Füßen huschte er über den Boden zur Tür.
„Panda!“
Er erstarrte.
„Ich sage „uns“.“
Po schluckte schwer.
Vorsichtig drehte er sich um und schaute den Lord an, der immer noch kerzengerade im Bett saß. Seine Augen sprühten vor Hass und Enttäuschung. Die Suppe hatten ihn zwar aufgewärmt, aber nicht das scheußliche Gefühl im Magen weggespült.
„Hey!“ Po versuchte zu lachen. „Nett dich wieder zu sehen. Mann! Das war vielleicht eine Wildwasserfahrt. Wir sollten das – nicht – wiederholen solch eine Wassertour, nicht?“
Er zog den Kopf ein. Die Fingerfedern des Lords gruben sich in die Decke und zitterten, aber nicht vor Kälte, sondern vor Ärger. Dann wanderte sein bebender Flügel auf seinen Hinterkopf.
„Du hast mir geschworen, mir nie Schaden zuzufügen“, fauchte er.
Po presste die Lippen zusammen und wedelte mit den Armen.
„Du hast mich dazu gezwungen!“
„Wir hatten eine Abmachung“, erwiderte Shen kurz.
„Es war Notwehr!“
„Du hast mich geschlagen.“
„Du hättest es nur noch schlimmer gemacht. Hast du gewusst, was passiert wäre, wenn du ihm gesagt hättest, dass du und sie… du weißt schon was ich meine.“
Die schwere Atmung des Lords wurde lauter. „Ich wollte sie zerstören!“
„Denkst du nicht, dass sie schon genug gelitten hat?“
Shens Flügel verkrampften sich. Wie versteinert starrte er darauf.
„Nicht mal in eine Millionen Jahren wäre es genug. Nicht für mich.“
Stille trat ein. Nur Shens Atemzüge erfüllten den Raum.
Po räusperte sich, bevor er zu einem neuen Satz ansetzte. „Oh, komm schon, jetzt mach hier nicht einen auf Primadonna.“
Seine Augen weiteten sich. Shen bewegte sich und hob seinen Kopf sehr langsam, und richtete die Augen auf ihn.
„Ich soll nicht wütend auf sie sein?“ Eine dunkle Welle der Bitterkeit überkam ihn. „Sie hat mich gedemütigt!“
Po war kurz davor aus dem Zimmer zu rennen, doch dann nahm er erneut seinen Mut zusammen und blieb an Ort und Stelle mit strammen Beinen stehen.
„Sag mir doch genau wieso!“, verlangte er.
Shen schnaubte. „Das ist meine Angelegenheit.“
„Du hast zuvor von einem Brief gesprochen“, fuhr Po unbeirrt fort. „Was war das für ein Brief? Was stand darin?“
„Nichts für deine Ohren!“
„Sag es mir doch. Vielleicht versteh ich es dann.“
Shen zog die Augenbrauen zusammen. „Nur über meine Leiche.“
„Ach, aber über die Leichen von anderen, was?“
Shen zischte dunkel. „Vielleicht erleide ich wegen deinem Schlag eine Amnesie und vergesse alles, was wir in deinem verdammten, primitiven Dorf vereinbart haben.“
„Ach, jetzt komm mir doch nicht damit.“
Plötzlich klopfte es an der Tür.
„Was?!“, schrie Shen.
Die Tür öffnete sich und ein kleines Schaf lugte herein.
„Verzeiht mir, aber da ist eine Dame. Sie sagte, dass sie was Wichtiges zu sagen hat.“
Pfau und Panda wechselten Blicke. Wer könnte das sein?
Die Tür öffnete sich vollständig und ein in langen Mantel bedeckte Person trat ein. Als sie den Raum betrat, zog sie die Kapuze runter und das Gesicht einer grauen Füchsin tauchte auf.
Beide starrten die Fuchsdame an.
„Äh, wer sind Sie?“, begann Po bevor Shen fragen konnte.
Die Füchsin legte ihre Pfoten zusammen und verneigte sich. „Mein Name ist Xinxin. Ich stehe schon seit vielen Jahren als Dienstmädchen meiner Herrin Yin-Yu. Ich verließ unsere überfallene Stadt, als ich hörte, dass Xia hier gesehen wurde. In Begleitung eines weißen Pfaus.“
Po deutete auf Shen. „Sie kennen ihn?“
„Yin-Yu hat mir von ihm erzählt“, erklärte sie ruhig.
„Muss ja ein lustiger Frauenklatsch gewesen sein“, fauchet Shen bitter.
Die Augen der Füchsin fokussierten ihn mit tiefer Ruhe.
„Ihr seid wirklich so schön wie sie Euch immer beschrieben hat.“
„Das ist eine bloße Verspottung!“, schrie Shen. „Wie oft will sie mich noch erniedrigen?!“
Die Füchsin senkte ihren Blick. „Sie gab mir gegenüber oft zu, dass sie viele Dinge nicht richtig gemacht hatte.“
„Ist das alles?!“
Po ging ein paar Schritte zurück. Shen war an dem Punkt gelangt einen neuen Wutanfall zu erleiden.
„Mein Herr“, begann Xinxin von vorne. „Ich kann mir vorstellen, wie Ihr Euch fühlt, aber Ihr könnt versichert sein, dass die Dinge anders liegen als Ihr denkt.“
„Anders?!“
Mit einem Sprung verließ der weiße Pfau das Bett und landete mit einem lauten Knall auf den Holzboden vor ihr.
„Sie hat mir einen falschen Namen genannt!“
„Ich weiß.“
„Sie hat mich einfach verlassen!“
„Das stimmt. Sie wollte nicht, dass die Palastwachen Euch findet.“
„Das ist keine Entschuldig für das, was sie mir angetan hat. Sie hat mich nur zu ihrem Vergnügen benutzt!“
„Nein, mein Herr.“
„Du niederträchtige Frau der Falschheit!“, brüllte er. „Du Verlogene! Ich verfluche den Tag meiner Geburt! Aber mehr verfluche ich ihre Geburt!“
Die Füchsin seufzte sanft. „Ihr habt einen Brief vor vielen Jahren erhalten, nicht wahr?“
Der Lord schnappte nach Luft. „Deine Gelassenheit beweist nur, dass du nicht besser bist als sie.“
Po dachte, er würde sie schlagen wollen, doch stattdessen… Po schrak zusammen. Tränen füllten die Augen des weißen Vogels. Der Pfau wandte sich von der Fuchsdame ab, bedeckte mit einem Flügel sein Gesicht und seufzte in krampfartigem, stoßweisem Schluchzen. All sein Hass und seine Wut brachen aus ihm heraus, was er über all die Jahre in sich gestaut hatte.
Vorsichtig kam Xinxin auf ihn zu. „Habt Ihr den Brief noch?“
Shen zuckte bei dieser Frage zusammen.
„Ich habe ihn verbrannt!“, fauchte er. „Aber ich erinnere mich noch an jedes Schriftzeichen, das sie mit ihrer vergifteten Feder niedergeschrieben hatte.“
Immer noch ihr den Rücken zugekehrt hob er langsam den Kopf. Er wischte sich über die Wangen und starrte an die Wand.
„Von diesem Tag an, wollte ich sie töten.“
Er schwang herum. In seinem Flügel hielt er eine Federklinge. „Und alle anderen von ihr!“
Doch bevor der Lord es werfen konnte, fiel etwas auf ihn und drückte ihn zu Boden.
„Runter von mir!“
Doch der Panda, der sich auf ihn geworfen hatte, rührte sich nicht. Shen versuchte aufzustehen, aber er konnte nicht mehr tun als auf dem Bauch zu liegen.
„Ich werde solange auf dir sitzen bleiben, bis du dich bereit erklärst mal zuzuhören“, sagte Po festentschlossen.
„Dazu gibt es keinen Grund!“, schrie Shen und gab den Widerstand auf. „Warum könnt ihr nicht aufhören mich zu quälen?“
In einem Augenblick verlor er alle Kraft.
„Warum?“, hörte Po ihn murmeln. „Warum für was?“
Xinxin kam näher und kniete sich nieder. Ihr Gesicht gefüllt mit Mitleid. „Wie schmerzhaft war es?“
Der Lord funkelte sie an, niedergeschlagen in seinem Leiden.
„Wie schmerzhaft könnte es sein, wenn du einen Brief bekommst, wo du liest, dass sie dich hasst?“
Po hob die Augenbrauen. „Das hat sie geschrieben?“
„Viel schlimmer!“ Wieder wurden Shens Augen feucht. „Sie wäre beschämt darüber, dass sie ihre Jungfräulichkeit an mir verloren hätte.“
Po konnte nicht glauben, was er da hörte. „Ich kann mir nicht vorstellen… dass sie sowas schreiben…“
„Wer hat mir ihr geschlafen?! Du oder ich?!“
Po rieb sich nervös den Kopf. Shen nahm kein Blatt vor dem Mund. Der Panda konnte nur ahnen wie sehr er sie geliebt haben musste.
„Sie, sie…“ Der Lord schluckte bevor er weitesprach. „Sie schrieb mir auch, ob ich impotent wäre. – Du hast nichts gehört!“
Po erschrak, als Shen so bedrohlich auf ihn zeigte.
„Ja, ja… nein, nein, natürlich hab ich nichts gehört.“ Und hielt sich die Ohren zu.
„Und dass sie jemanden gefunden hätte, der ihre Erwartungen besser befriedigen würde als ich. Ich wäre nicht gut genug für sie gewesen. Ich soll sonst irgendwo hingehen.“ Er seufzte schwer. „Nachdem ich das gelesen habe, warf ich sämtliche Stühle und Tische um. Über ein Jahr suchten meine Soldaten nach ihr. Aber sie haben sie nie gefunden.“ Er seufzte tief und nahm einen starken Atemzug. „Und ich habe nie aufgehört sie zu hassen. Ich schwörte, sie sollte nie mehr die Gelegenheit bekommen mir weh zu tun.“
Er schloss die Augen und ließ sich kraftlos auf dem Boden unter der Last des Pandas nieder.
„Ich habe meine Seele umschlossen mit Metall wie das meiner Waffen“, murmelte er schwach. Seine Stimme war kaum hörbar. Seine Fingerfedern gruben sich in den Holzboden.
Die Füchsin hatte ihm zugehört ohne mit einer Wimper zu zucken. Schließlich strich sie sich über ihr Fell und tippte die Fingerspitzen sehr ruhig und bedächtig aneinander.
„Aber Ihr solltet was wissen. Das ist auch der Grund, weshalb ich hierher gekommen bin.“
Damit begab sie sich zu der kleinen Bank, wischte ein paar Mal mit dem Fuchsschwanz drüber und setzte sich.
Po mittlerweile hielt es für das Beste von Shen runterzusteigen, der immer noch auf dem Boden kauerte.
„Hört mir zu, mein Herr“, begann sie und beugte sich vor. „Den Brief, den Ihr gelesen habt – Yin-Yu hat diesen Brief nie geschrieben.“
Po musste sich sein Ohr putzen, nur um sicher zu gehen, dass er richtig gehört hatte. Aber es erweckte den Anschein, dass Xinxin genau das gesagt hatte, was er gehört hatte. Verwirrt starrte er herum und beobachtete wie Shen abrupt aufstand. Seine Tränen waren verschwunden, sein Ärger jedoch war geblieben. Er machte einen harten Schritt auf sie zu.
„Das ist unmöglich!“, erwiderte er verbittert. „Niemand außer uns beiden wusste über uns Bescheid.“
„Und außer mir“, fügte Xinxin hinzu. „Trotzdem erzählte sie mir alles nachdem sie herausgefunden hatte, dass sie schwanger war. Aber kurz danach wusste auch eine andere Person darüber Bescheid. Das war ein schwarzer Tag für sie gewesen.“
Shen fauchte sie wütend an. „Steck dir deine Lügen dorthin…“
„Shen!“, mahnte ihn Po. „Hör doch mal zu.“ Der Panda legte die Handflächen aufeinander. „Bitte!“
Der Pfau wandte sich ab. Er wollte ihr nicht ins Gesicht sehen.
Xinxin machte das nicht aus und begann.
„Nach ihrer Rückkehr nach Hause, war sie die meiste Zeit sehr still. Völlig verschlossen. Das war nichts Neues für mich gewesen. Ich kenne sie seit sie ein kleines Kind war. Aber am nächsten Tag wurde sie nervös und sehr verzweifelt. Sie bat mich darum sie zu untersuchen. Ich war Hebamme bevor ich ein Dienstmädchen wurde. Und wir fanden heraus, dass sie schwanger war.“
Sie machte eine Pause. Shen mittlerweile schaute sie immer noch nicht an.
„Was war ihre Reaktion?“, fragte Po neugierig.
Die Füchsin fuhr mit ruhiger Stimme fort: „Nun, zuerst, war sie sehr glücklich darüber, aber im selben Moment auch sehr schockiert.“
„Warum?“
„Ihre Eltern wussten nichts von all dem. Sie hatte ihnen nie erzählt, was in den Bergen vorgefallen war.“
„Wieder eine Lüge“, zischte Shens Stimme düster. „Sie behauptete, ihre Eltern wären tot.“
Xinxin seufzte. „Für sie waren sie schon vor langer Zeit gestorben. Sie existierten nicht mehr für sie. Sie hatten sie nie als ihre Tochter akzeptiert.“
Po rieb sich den Kopf. „Warum?“
„Weil sie ein Mädchen ist.“
Po machte große Augen. „Nur aus diesem Grund?“
„Sie hatten sich einen Jungen gewünscht, doch stattdessen bekamen sie ein Mädchen. Sie wollte jedoch nie das gleiche mit ihrem Kind machen. Sie geriet in Panik. „Wer wird für das Kind sorgen?“, hatte sie sich immer wieder gefragt. Sie war sich sicher, wenn ihre Eltern davon erfuhren, dass es das Ende von allem bedeuten würde. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass es zwei Kinder werden würden. Schließlich kam sie zu dem Entschluss Ihnen einen Brief zu schreiben.“
In diesem Moment drehte sich der Pfau zu ihr um. Die Füchsin wich etwas zurück und hob schützend ihre Pfoten vor sich, als seine wutentbrannten Augen sie trafen. Po spannte seine Muskeln an, nur für einen Kampf bereit zu sein. Aber Shen hielt seinen Wutausbruch gerade noch zurück.
„Glaubt mir, mein Herr“, sagte Xinxin. „Sie benötigte mehrere Anläufe um diesen Brief zu beginnen. Ich stand direkt neben ihr. Sie weinte, während sie schrieb. Doch noch bevor sie den Brief beenden konnte, kam ihre Mutter ohne Vorwarnung ins Zimmer. Sie pflegte stets ihre Tochter zu kontrollieren, wann immer sie wollte. Doch dieser Moment hätte nie ungünstiger sein können. Sie entriss ihr den Brief. Ich dachte zuerst, mein Herz würde stehen bleiben, wusste ich doch ungefähr was sie geschrieben hatte. Ich wurde gezwungen den Raum zu verlassen, aber ich werde nie vergessen wie wütend sie gewesen war. Ich erinnere mich noch so gut daran, als wäre es erst gestern gewesen.“
Vor 17 Jahren…
„Gib mir den Brief zurück!“
Doch ihre Mutter hielt das Papier nur noch höher, sodass die junge Pfauenhenne es nicht erreichen konnte.
„Du wirst ihn nie wiedersehen!“, schrie ihre Mutter. „Du bist eine Schande! Dich mit einem Dahergelaufenen einzulassen und verleumdest deinen zukünftigen Ehemann?! Ich schäme mich dich meine Tochter nennen zu müssen! Du bist eine Enttäuschung für deine Familie! Und diese Artbastarde, ich werde schon dafür sorgen, dass niemals jemand davon erfahren wird!“
Die junge Pfauenhenne kreuzte sich schützend die Flügel über ihren Körper. „Das ist mein Kind! Du kannst es mir nicht wegnehmen!“
„Weißt du nicht was passiert, wenn herauskommt, dass du Missgeburten von einem unverheirateten Liebhaber in dir trägst?“
Das Mädchen schwieg betroffen, während ihre Mutter auf und ab ging.
„Niemand wird von diesem unehelichen Kind erfahren. Es wird passieren bevor es schlüpft. Es wird schmerzlos sein. Keine Sorge. Es wird nichts spüren. Du hingegen wirst sicher sein, und wir vermeiden, dass es den Platz auf der Welt verschwendet.“
Yin-Yu konnte nicht glauben, was ihre Mutter da sagte. „D-das kannst du nicht tun!“
„Artbastarde haben keinen Platz in der königlichen Familie!“
Das Mädchen schnappte nach Luft. Sie wandte sich ab und bedeckte ihr Gesicht mit den Flügeln.
Ihre Mutter kam näher. „Tochter, ich will doch nur das Beste für dich. Denk doch nur was passiert, wenn jemand erfährt, dass du ein Ungeheuer von einem anderen Mann in dir trägst. Du weißt, was du dann zu erwarten hast. Ich möchte dich nur vor der Todesstrafe bewahren. Besser es als du.“
Das junge Mädchen hatte keine Kraft mehr sich auf den Beinen zu halten. Sie sank zu Boden, ihre zitternden Flügel hatten Mühe sie aufrecht zu halten. Aber ihre Mutter zeigte kein Verständnis und zerknüllte den Brief.
„Du wirst heute noch zu Xiang reisen“, sagte sie eisig und wandte sich ab. „Und sorge dafür, dass er es nicht erfährt. Und wenn es soweit ist, werde ich den Rest erledigen.“
Damit warf sie den Brief in eine mit flammengefüllte Feuerschale.
„Noch nie habe ich jemanden solange weinen hören wie an diesem Tag“, erzählte Xinxin. „Sie verließ ihre Heimatstadt noch am selben Tag. Zusammen mit ihrer Mutter. Wir mussten sie gewissermaßen in die Kutsche tragen. Ich reiste mit ihnen.“ Sie stand von der Bank auf. „Doch bevor sie die Stadt verließ, bekam ich noch mit, wie ihre Mutter einen anderen Brief schrieb und ihn durch einen anonymen Boten wegschickte. So wie ich das sehe, hat dieser Brief Euch erreicht… unglücklicherweise.“
Sie beäugte den Lord, aber dieser bewegte nicht einen Gesichtsmuskel.
Die Frau seufzte erneut. „Am nächsten Tag hatte sie ihn dann geheiratet.“
Sie senkte den Blick. Aber Shen gab sich damit noch nicht zufrieden. Po versuchte ihn abzulenken.
„Aber wenn ihre Mutter wusste, dass sie schwanger war, wie konnte sie sie dann am Leben erhalten?“
Die Füchsin presste die Handflächen aufeinander.
„Nun, ihre Mutter… sie starb unter mysteriösen Umständen.“
Nun starrten beide ihrer Zuhörer sie an, aber Po war der Einzige, der etwas sagte.
„Unter mysteriösen Umständen? Hat sie etwa…?“
„Ich sage nichts“, unterbrach Xinxin. „Und ich sah nichts. Sie starb kurz nach ihrer Ankunft in der Stadt. Vielleicht war es ein Herzinfarkt.“ Sie sprach es so langsam aus, dass jeder heraushören konnte, dass sie nicht an einen natürlichen Tod glaubte. „Kurz nachdem sie etwas getrunken hatte.“
Po sah Shen an. Doch der Vogel stieß nur ein schnaubendes Geräusch von Abscheu aus, aber jetzt begann auch er eine Frage zu stellen.
„Und woher willst du wissen, dass sie nicht von Xiang stammen?“ Seine Stimme war hart, aber ruhiger als vorher. „Ich könnte mir vorstellen, dass er sich mit ihr nach der Hochzeit verbinden wollte, oder etwa nicht?“
Xinxin nickte betroffen. „Sie war ja bereits schon schwanger. Und ja, er tat es. Doch sie hatte sich nie glücklich mit ihm gefühlt. Nach der Hochzeit zwang er sie dazu, was er wollte. Sie sagte, er habe sie mehr vergewaltig als sie zu lieben. Es war Glück genug für sie, dass sie ihm sofort danach sagte, dass sie schwanger sei. Er sollte glauben, dass sie von ihm kommen.“ Sie ging langsam auf und ab. „Nachdem sie die Eier gelegt hatte, belästigte er sie wieder.“
Shen verengte die Augen. „Und wie kommt es dann, dass sie keine weiteren Kinder bekommen hatte?“
Die Frau schnappte leise nach Luft. „Sie fragte eine alte Frau, die ihr ein Mittel gab, das sie unfruchtbar werden ließ für eine Weile. Sie wollte keine Kinder von ihm bekommen. Niemals. Wenigstens hatte es gewirkt. Danach wurde sie nie mehr schwanger.“
Sie schwieg wieder für eine Weile.
„Als weitere Kinder ausblieben, stufte er sie als wertlos ein. Danach hatte er nie mehr Sex mit ihr gehabt. Verzeiht mir meine Wortwahl.“
Sie verneigte sich entschuldigend.
„Das ist schon okay“, meinte Po.
Xinxins Augen wanderten wieder zurück zu Shen.
„Aber sie konnte Euch nie vergessen. Umso mehr war sie innerlich zerbrochen, als sie von Eurem Tod erfuhr.“
Po erinnerte sich daran, was Xia ihm erzählt hatte.
„Ich vermute mal, unsere Unterhaltung ist damit beendet.“
Der Panda beobachtete wie Shen seine lange Robe schwang und zur Tür deutete.
„Die Tür ist offen.“
„Wartet!“, flehte Xinxin. „Bevor Ihr mich fortschickt, möchte ich Euch das hier noch geben.“
Sie griff unter ihren Mantel und holte eine Schriftrolle hervor, die sie Shen überreichte.
„Das ist der richtige Brief. Ich brachte es nicht über mich ihn zu vernichten. Noch nie hab ich solche Worte gelesen. Vergebt mir, dass ich einen Blick reingeworfen hatte, aber ich wusste nicht, dass es so Privates ist, das sie an Euch schrieb.“
Skeptisch betrachtete der Pfau das Papier. „Ich dachte, ihre Mutter hätte ihn verbrannt.“
„Sie warf den Brief ins Feuer, aber es ist an den Flammen abgeprallt und daneben gelandet. Sie hatte sich nicht weiter darum gekümmert. Dafür war sie zu sehr voller Wut gewesen, um es zu bemerken. Aber ich hab es gesehen.“
Sie schwenkte es in seine Richtung. Aber er war unwillig danach zu greifen. Als er sich weiterhin anhaltend weigerte, legte sie es auf den Tisch. Dann legte sie die Pfoten unter ihrem Mantel zusammen und drehte sich zur Tür.
„Es ist Eure Entscheidung.“
Damit öffnete sie die Tür und verließ die beiden.
Po wusste nicht, was er tun sollte und tippte seine Finger zusammen.
„Mm, nun, ich denke, ich denke, dass du jetzt alleine sein willst, oder?“
Shen erwiderte nichts. Er starrte nur auf das Papier, welches immer noch unberührt auf dem Tisch lag. Po fragte nicht weiter und verließ nun ebenfalls den Raum. Draußen konnte Shen hören, wie Po Xinxin hinterherrannte und sie nach dem Inhalt des Briefes ausfragte. Dann wurde es wieder still.
Shens Augen hingen an dem Brief, der in ihm wieder Erinnerungen an das schreckliche Gefühl aufkommen ließ, die er beim Öffnen des ersten Briefes durchlebt hatte.
Plötzlich griff er danach und wollte ihn zerreißen, doch im letzten Moment zögerte er. Er schloss die Augen, seine Flügel eng um das Papier gedrückt. Wie viel schlimmer könnte es jetzt noch werden?
Er verweilte über zwei Minuten in dieser Position. Dann lockerte er seinen Griff und öffnete es. Das Papier war ein bisschen angesenkt. Er nahm einen tiefen Atemzug, bevor er es entrollte und zu lesen begann:
„Shen – ich finde keine Worte diesen Brief zu beginnen und es schmerzt mich mehr, dass du meinen ersten Brief unter diesen Umständen erhältst. Ich schäme mich für das, was ich getan habe. Ich hab so viel falsch gemacht. Zu dir. Am meisten von allen bereue ich, dass ich dich ohne ein Wort verließ. Ich war nur ein Idiot, du hast nichts falsch gemacht. Ich bin diejenige, die sich schämen muss. Bist du mir böse? Du hast recht. Ich war nicht ehrlich zu dir in einigen Dingen. Ich hasse mich selber dafür, doch ich muss dir was gestehen.
Mein wirklicher Name ist nicht Fang. Meinen eigentlichen Namen hatte ich aufgegeben. Ich dachte, ich hätte eine Chance meiner Vergangenheit zu entfliehen. Aber jetzt sehe ich, dass es unmöglich ist.
Die Wahrheit ist, ich komme aus Jingang. Vielleicht ist dir dieser Name ein Begriff und ich bin die Tochter der dort regierenden Eltern. Mein wirklicher Name ist Yin-Yu. Aber es hat keine Bedeutung mehr für mich. Trotz allem Geld und Gold, war ich ein niemand für alle, für jeden. Entweder wollte ich mein Leben ein Ende setzen oder wegrennen. Ich wurde einem Mann versprochen, den ich nicht liebe und auf mich mit voller Verachtung herabschaut, dass ich darunter zusammenbrechen könnte. Ich war so voller Hoffnung ein neues Leben zu finden nach meiner Flucht aus der Stadt. Ich hatte gehofft, sie würden mich nie finden, aber sie hatten es. Es hätte mein Herz gebrochen bei der Vorstellung, dass sie dich entdeckten. Ich dachte, es wäre das Beste meine Freiheit zu opfern, um dich zu verschonen. Vergib mir, aber ich hatte zu viel Angst. Ich bin es nicht wert, dass du dein Leben an mich verschwendest. Ich hatte mir gewünscht deinen Sieg zu sehen. Ich glaube, du wirst ein starker Herrscher sein. Aber es ist das Beste, wenn du deinen Weg ohne mich fortsetzt. Ich bin zu schwach. Ohne dich, bin ich nur ein Schatten meiner selbst, welches sich nur vor seinem eigenen Schatten fürchtet. Du hingegen bist die Stärke in der Welt. Nachdem ich dich getroffen habe, gabst du mir neues Leben. Es war mehr als was du mir gabst – deine Wärme, deine Hingabe, deine Liebe. Das Universum war gesegnet, als es dich erschuf. Du bist rein wie der Schnee. Und was bin ich? Jemand, der nicht mal seine eigenen Farben sehen kann? Alles was ich sagen will ist… mein Verlangen für Vergebung für das, was ich getan habe. Ich kann dich nicht um mehr als das bitten und ich würde sagen, es wäre das Beste, dass ich mich selber aufgebe und mich dafür bestrafte. Aber du sollst wissen, dass du Vater wirst. Es flößt mir Angst ein, das zu schreiben. Es fällt mir schwer die Feder zu halten…“
An dieser Stelle war das chinesische Schriftzeichen verschwommen, so als wäre ein Wassertropfen draufgefallen.
„Ich habe Angst um mein Kind. Unser Kind. Es ruft die Erinnerungen unserer Nacht zurück. Es war die beste Zeit meines Lebens. Ich vermisse dich so sehr. Ich schaue mich jedes Mal nach dir um, in der Hoffnung, du wärst in meiner Nähe. Ich fühle dich stets an meiner Seite wie die vergangenen Tage du mir warst. Noch nie habe ich jemanden wie dich getroffen. Innerlich war ich tot, aber du gabst mir neues Leben. Ich war ein Nichts bevor ich dich traf. Aber ich wünsche wirklich zu sehen, wie du unser Baby in den Flügeln hältst.“
Ein dicker Strich überquerte den Rest der Zeile. Der Stift hatte das Papier fast zerrissen. Erst im nächsten Absatz hatte sie sich wohl dazu überwunden, wieder im normalem Text zu schreiben, aber ihre Handschrift war hier zittrig und schnell geschrieben.
„Hol mich hier raus! Ich möchte ein neues Leben anfangen – mit dir! Ich möchte mit dir leben wie ich es dir in unserer Nacht versprochen hatte. Bitte, hol mich hier raus! Ich kann es nicht alleine durchstehen. Ich habe einen Fehler gemacht… nenn mich eine Närrin, aber es würde nichts ändern für das, was ich für dich empfinde. Ich werde nie einen anderen Mann ansehen, dir treu ergeben sein. Aber wenn du glaubst, ich bin es nicht mehr wert, dann bestraf mich wenigstens. Besser von dir als von jemand anderen. Ich würde lieber eine Gefangene für dich sein als einen anderen Mann zu heiraten. Aber vielleicht verdiene ich nicht jemanden wie dich. Du besitzt die innere Stärke, die ich nicht habe. Nicht mal ein Feuersturm könnte dich niederreißen. Aber wenn es dein Wille ist mich keines Blickes mehr zu würdigen, dann nimm wenigstens unser Kind. Es wird dich glücklicher machen als ich es könnte. Ich bin zu schwach…“
Hier endete der Brief. Vielleicht hatte ihre Mutter an dieser Stelle ihr das Papier entrissen.
Um Shen herum wurde es still. So still. Langsam ging er ans Fenster. Schnee fiel draußen. Kalter Schnee.
Vor 17 Jahren… Vor dem Brief
Er kam zurück. Sie schaute auf. Schon seit vielen Stunden hielt sie sich in seinem Privatraum auf und wartete nur auf ihn. Schließlich öffnete sich die Tür. Er trug zwei Roben. Schneeflocken hingen in seinen Federn und rieselten auf den Holzboden.
Sie erschrak. Er hinkte.
„Was ist mit Euch passiert?“
Er warf die erste Robe weg. „Nichts!“
Ihre Augen wanderten runter zu seinen Füßen. „Ist das eine Brandwunde?“
„Ich hab nur etwas Neues ausprobiert.“
„Habt Ihr Euch geschnitten?“
„Ich hab nur meine neue Erfindung getragen.“
„Was für eine neue Erfindung?“
„Metallkrallen. Und ich muss zugeben, dass die sehr scharf sind. Aber ich werde lernen in diesen Dingern zu laufen, ohne mich daran zu schneiden.“
„Wenn sie so scharf sind, warum tragt Ihr sie dann?“
„Zu meinem Schutz.“
„Aber Ihr hab euch selbst verletzt.“
„Das ist mir egal. Die Hauptsache ist, dass mein Projekt läuft.“
Sie blickte ihn besorgt an. „Gestattet Ihr mir, dass ich es reinige?“
Seine scharfe Antwort ließ sie zusammenfahren. „Ich kann immer noch für mich selber sorgen!“
Sie zog entschuldigend den Kopf ein. „Aber gibt es denn gar nichts, was ich für Euch tun kann?“
„Nur still sein und keine Frage stellen.“
Sie blieb still. Er wollte nicht mehr länger darüber reden und ging weg. „Ich werde jetzt ein warmes Bad nehmen.“
Damit verschwand er in einem Nebenraum.
Nach über einer halben Stunde öffnete sich wieder die Tür. Sie stand immer noch dort, wo er sie zurückgelassen hatte. Jetzt stand er im Türrahmen. Sie beobachtete ihn. Er hatte sich eine neue frische Robe übergezogen. Seine Federn wirkten etwas flauschiger als vorher. Er strich sich über den Kopf mit einem kleinen Handtuch und trat ein.
„Du kannst jetzt auch ein Bad nehmen.“
Sie sah ihn überrascht an. „Ich?“
Er verdrehte die Augen. „Wie lange lebst du schon hier? Wenn du mit mir unter einem Dach leben willst, kann ich ja wohl verlangen, dass du dich auch mal wäschst.“
Nach einer Weile nickte sie. „Na gut.“
Langsam ging sie an ihm vorbei.
„Und nimm das hier.“
Sie betrachtete das, was er vor ihr hinhielt. Es war eine weiße Robe mit dunklen Stickereien. Schüchtern strich sie sich über ihren braunen Umhang, den sie trug.
„Ich verlange es“, befahl er.
Vorsichtig nahm sie es. „Äh, danke.“ Scheuch deutete sie auf das Muster. „Was hat es für eine Farbe?“
„Silber-weiß mit blauen Einstichen.“
„Blau”, wiederholte sie nachdenklich. „Ist das dieselbe Farbe wie der Himmel, den Ihr mir gezeigt habt? Es ist kalte Farbe, stimmst?“
Aber Shen ging nicht darauf ein. „Ich brauche es nicht mehr. Du kannst es haben.“
Die Pfauenhenne wollte noch mehr fragen, aber seine Augen befahlen ihr jetzt still zu sein. Sie nickte langsam, dann drehte sie sich um. Aber bevor sie die Tür hinter sich schließen konnte, rief er ihr noch etwas nach.
„Neues Wasser ist schon drinnen.“
Sie hielt überrascht inne. Woher hatte er gewusst, dass sie ein Bad akzeptieren würde?
Noch nie hatte sie ein Bad so sehr genossen wie an diesem Tag. Keine Bediensteten in der Nähe. Niemand der ihr sagte, wann sie es zu verlassen hatte.
Das Badezimmer war nicht das Nobelste, aber besaß alle Art von Komfort. Eine große Holzbadewanne, welches ein regelrechtes Kunstwerk war, Handtücher und einen großen Spiegel.
Nachdem sie dachte, sie hatte genug, kletterte sie aus der Badewanne raus und nahm ein großes Handtuch zur Hand, welches direkt daneben hing. Sie rubbelte ihre Federn trocken so gut sie konnte und wickelte es sich anschließend um ihren Körper. Dann ging sie zu dem großen Spiegel rüber, der fast von der Decke bis zum Boden reichte, sodass sie sich von Kopf bis Fuß betrachten konnte. Dabei fiel ihr Blick auf die silber-blaue Robe. Blau war bis jetzt die einzige Farbe gewesen, wofür Shen bis jetzt kein passendes Beispiel dazu gefunden hatte, um es ihr zu erklären. Er hatte ihr nur erzählt, dass sie kalt ist, aber nicht so ganz kalt wie der Schnee. Eine kalte Farbe soll sie warmhalten.
Mit einem sanften Lächeln nahm sie es.
Shen zischte. Er saß auf Kissen vor einem Feuer und war gerade damit beschäftig die Wunden an seinen Füßen zu reinigen. Die Brand- und Schnittwunde waren nur wenige Zentimeter auf dem gleichen Fuß voneinander entfernt. Die Metallkrallen waren wirklich sehr scharf gewesen. Er tunkte ein kleines Tuch in eine mit Flüssigkeit gefüllte Schüssel und tupfte es auf die wunden Stellen. Verdammt, es brannte! Danach wickelte er einen Verband um das Bein. Er war fast damit fertig, als die Tür zum Bad sich öffnete.
Er sah auf. Sein Blick blieb an ihr hängen. Vielleicht lag es auch nur daran, dass sie in der neuen Robe besser aussah, als in der braunen, die sie zuvor getragen hatte. Schüchtern strich sie sich über die Haarfedern und blickte auf ihre neu-alte Robe herab. „Blasst sie mich auch nicht aus?“
Er schüttelte langsam den Kopf. „Nein, es gefällt mir… äh… Setz dich.“
Sie ging zu ihm rüber, verneigte sich noch einmal respektvoll, bevor sie Platz auf einem der Kissen vor dem Feuer nahm, sodass sie rechts von ihm saß. Vorsichtig streckte sie die Füße aus, die immer noch ein bisschen feucht vom Badewasser waren. Shen kümmerte sich nicht mehr weiter um seinen verwundeten Fuß und starrte in die Flammen. Ihre Augen wanderten auf sein bandagiertes Bein.
„Tut es weh?“
„Nicht mehr.“
Wieder trat Stille ein, die schwer auf ihrer Seele lastete.
„Was macht Eure Arbeit?“, versuchte sie einen neuen Anlauf.
Seine Augen wanderten höher, immer noch in die Flammen starrend. „Ich werde eine Menge Metall benötigen.“
„Könntet Ihr es nicht kaufen?“
Er schüttelte den Kopf. „Meine Eltern haben mir sämtliche Geldmittel gestrichen. Für sie bin ich ein Nichts.“
Sie beobachtete ihn. „Haben sie Euch geschlagen?“
„Viel schlimmer.“
Wieder schwieg er.
Sie schluckte leise, bevor sie es wagte ihre Schnabellippen zu bewegen. „Was hat man Euch angetan?“
Seine Augen erschrecken sie, als er sie auf sie richtete.
„Sie verbannten mich aus meinem eigenen Zuhause.“
Nervös rieb sie ihre Flügel aneinander. „Wieso sollte man Euch verbannen?“
Er zögerte mit seiner Antwort und senkte etwas seinen Blick. „Ich… ich musste… töten.“
Als er merkte, wie sich ihre Augen weiteten, fügte er hastig hinzu: „Sie haben mir gedroht mir was anzutun. Ich hab sie nur beseitigt, bevor sie mir dasselbe antun konnten.“
Ihr angsterfüllter Ausdruck wandelte sich in ängstliche Verwunderung. „Warum sollte man Euch bedrohen wollen?“
Er hob den Kopf und verengte die Augen. „Um meinen Traum zu zerstören.“
Er wandte seinen Blick von ihr ab und starrte zurück auf die Flammen im Feuer. „Niemand hat je verstanden, was ich wollte. Aber ich werde wieder aufstehen. Jeder sollte zu mir aufsehen anstatt auf mich herab. Jeder soll sehen wie stark ich bin. Trotz meiner Färbung. Aber sie werden es eines Tages tun. Und ich werde mir zurückholen, was sie mir genommen haben.“
Eine schwere, traurige Atmosphäre umgab sie.
„Ich kenne so ein Gefühl.“
Er sah sie an, während sie weitersprach.
„Es ist wie ein Ort ohne Tag und wie in einem inneren Gefängnis.“
Shen legte den Kopf schief. „Hast du eine Familie?“
„N-nein, wie gesagt, meine Eltern existieren nicht mehr, aber sie haben mich gehasst.“
„Weshalb sollten sie dich hassen?“
Sie schluckte. „Ich bin ein Mädchen, aber meine Eltern wollten einen Jungen.“
„Oh, das ist wirklich… schlimm.“
Sie zog ihre Robe enger um sich herum. „Ist das schlimm?“
Der Pfau verstand nicht. „Was?“
„Ist es so schlimm eine Frau zu sein?“
„Warum sollte es? Du bist doch schön, ähm…“
Die Pfauenhenne seufzte tief und erhob sich. Schweigend beobachtete der Pfau, wie sie sich ein paar Schritte von ihm entfernte.
„Aber ich möchte mehr als etwas sein, was man nur die ganze Zeit anstarrt“, sagte sie verbittert. „Aber mehr als das habe ich ja nicht.“
Der Pfau verfluchte sich für seine Worte und stand ebenfalls auf. Er verschränkte die Flügel hinter seinem Rücken und ging zu ihr rüber. „Aber du hast etwas, was sonst keiner hat.“
Sie warf ihm einen überraschten Blick zu. „Und was?“
„Dass du keine Farben sehen kannst.“ Er ließ seinen Blick durch den Raum wandern. „Farben existieren, um das Leben zu verschönern. Das ist auch der Grund, weshalb meine Familie das Feuerwerk erschuf.“
Doch dann in der nächsten Sekunde wurde sein Blick wieder ernst und seine Gesichtszüge verstraften sich. „Aber die meiste Zeit tun sie es nicht. Es klassifiziert uns. Die Welt wäre besser dran, wenn sie keine Farben sehen können.“
Ein Hauch von Bewunderung überzog ihr Gesicht. „Denkt Ihr wirklich so?“
Er verengte die Augen. „Ich weiß es.“
Beeindruckt stand sie steif da und wusste für einen Moment nichts zu sagen. Schweigend ging er auf sie zu. Gefangen in ihrem Augenkontakt.
Plötzlich schmetterte ein lauter Schlag. Ein kalter, eisiger, starker Wind fegte durch den Raum. Beide waren so erschrocken, dass Shen nach vorne sprang, seine Flügel um sie legte und sie in eine Ecke zog. Mit weiten Augen starrten beide auf das Fenster, welches aufgeflogen war. Als niemand zu sehen war, entspannten sich ihre Haltungen wieder.
„Nur der Wind“, murmelte Shen erleichtert.
Er zuckte zusammen, als er bemerkte, dass er ihr über den Kopf streichelte. Hastig entließ er sie aus seiner Umklammerung und rannte nach vorne, um das Fenster mit Mühe zu schließen. Nachdem er es blockiert hatte, lehnte er sich dagegen. Jeder hörte die schnelle Atmung des anderen. Dann kicherten sie.
„Oh, meine Güte. Hab ich mich erschrocken“, sagte sie und rieb sich verlegen über den Hals.
Shen erhob sich. „Ich denke, ich sollte mal ein ernstes Wort mit dem Fensterbauer reden.“
Sie lächelte und ging auf ihn zu. „Du solltest nicht zu streng sein.“
Er räusperte sich und rief sich eine Ernsthaftigkeit zurück. „Ohne Strenge verliert man schnell.“
Sie seufzte und umfasste seine Flügel. „Du bist stark.“
„Meister Shen!“, rief eine laute Stimme.
Im selben Moment wurde die Tür geöffnet und ein einäugiger Wolf stürmte herein. „Ich hörte ein lautes Poltern. Ist alles in Ordnung?“
Der Pfau wich ihren Flügeln aus und wandte sich an ihn.
„Keine Sorge, es ist alles in bester Ordnung. Es war lediglich nur der starke Wind.“
„Wir befinden uns in einem Schneesturm“, erklärte der Wolf. „Aber wir haben alle Türen verbarrikadiert.“
„Außer dieses Fenster“, murmelte Shen bei sich.
„Bitte?“
Der Pfau ging nicht darauf ein weiter. Sein Seitenblick fiel auf die Pfauenhenne, sie gerade den Schnee aus ihrer Robe abschüttelte.
„Ähm, das ist okay. Ich benötige deine Dienste für heute Nacht nicht mehr.“
Der Wolf schien ein bisschen verwirrt zu sein und schaute von einem zum anderen. Schließlich zuckte er die Achseln. „Na dann. Gute Nacht.“
„Gute Nacht“, antworteten beide Vögel wie aus einem Munde.
Schnell hielt sie sich ihren Schnabel zu. „Oh, verzeiht.“
Er schmunzelte insgeheim. Mit einem Lächeln betrachtete er die glitzernden Schneeflocken in ihren halb getrockneten Federn, die allmählich begannen langsam zu schmelzen.
„Du hast Schnee in deinen Federn“, sagte er und strecke seinen Flügel nach ihr aus. Sie bewegte sich nicht, als er sie etwas freirubbelte. Sie ließ ihn einfach gewähren. Auf einmal hielt er inne und starrte sie an. Langsam zog er seinen Flügel zurück. Ihr Blick war seltsam. Kein Lächeln, keine Traurigkeit, nur ein unbeschriebenes Blatt.
Zögernd hob sie jetzt ihren Flügel. „Ihr auch.“
„Wirklich?“
Er berührte seine Wagen und kalte Schneeflocken fielen herab.
„Ja.“
Er zuckte zusammen, als ihr Flügel sein Gesicht berührte. Seine Augen bleiben auf sie gerichtet. Als sie seinen wachsamen Blick bemerkte, senkte sie den Flügel schnell wieder.
„Verzeiht mir das.“
„Nein, das ist…“
Er schüttelte den Kopf.
Ein leichter kalter Hauch lag noch in dem Raum, den der Wind mit reingeweht hatte.
„Ich hab ehrlich gesagt nicht vor noch ein zweites Bad zu nehmen“, murmelte er. „Ist dir kalt?“
„Ein bisschen.“
Er winkte mit den Kopf nach rechts. „Gehen wir zurück.“
Damit setzten sie sich wieder auf die Kissen. Doch kaum hatten sie Platz genommen, erhob Shen sich erneut und holte eine Decke.
„Das wird dich aufwärmen.“
Mit diesen Worten legte er einen Teil davon über sie, dann setzte er sich neben sie und wickelte die andere Hälfte um sich selber. Kaum hatte er die Decke geschlossen, kuschelte sie sich automatisch an ihn. Sie erschauderte ein wenig, doch dann ließ es nach, als die mollige Wärme sie umgab und er fühlte, wie sie sich wieder entspannte.
„Euer Verband ist verrutscht.“
Er sah auf seinen Fuß. In der Tat. Das Tuch um seine Wunde hatte sich gelockert. „Oh.“
Er beugte sich nach unten, doch bevor seine Flügel seinen Fuß berühren konnten, kreuzte ein anderer Flügel seinen Weg. Seine scharfen Augen ermahnten ihre Aktivität, aber diesmal hielt sie seinem Blick stand.
„Bitte, lasst es mich fixieren.“
Sein Vorhaben ihre Flügel wegzuschieben wurde schwächer. Schließlich ließ er sie gewähren. Vorsichtig nahm sie die Enden des Verbandes und zog ihn erst mal vollständig runter. Sein Fuß zuckte unter ihrer Berührung. Sie unterdrückte den Wunsch etwas zu sagen. Stattdessen betrachtete sie die Wunden für einen Moment, dann wickelte sie die Verbände drum herum und befestigte es mit einem festen Knoten.
Die ganze Zeit über sah sie ihm nicht ins Gesicht. Doch sie konnte seine wachsamen Augen spüren.
„Das müsste genügen“, sagte sie und setzte sich wieder zurück an ihren Platz, immer noch seinen Blick ausweichend. Sie beobachtete wie er sein Bein wieder enger an sich zog.
Langsam wanderten ihre Augen zu ihm hoch. Doch sein Gesichtsausdruck blieb ein versiegeltes Buch. Er zeigte keine Emotionen. Schnell mied sie seinen Blick und hielt zwischen sich und ihm etwas mehr Abstand. Als Shen ihre Augen nicht mehr sah, blinzelte er. Eine sanfte Traurigkeit bedeckte sein Gesicht. Er seufzte leise. Diese Frau machte es ihm schwer seine stolze Würde zu wahren. Nachsicht war bis jetzt ein unakzeptables Wort in seiner Denkweise gewesen. Aber dies ist in letzter Zeit ziemlich oft passiert. Alles nur wegen ihr. Er war besorgt nachzugeben. Das wäre Schwäche. Er konnte keinen Schwachpunkt zulassen. Und es war zu gramvoll.
Sein Schnabel zitterte.
Komm nie wieder zurück!
Er sollte nie mehr zurückkommen.
Das war es, was ihm sein Vater direkt ins Gesicht gesagt hatte.
Sein eigener Vater.
Jeder, von dem er dachte, man würde ihn lieben, hatte ihm den Rücken zugekehrt.
Jeder.
Er spannte sich an.
Niemand sollte das je wieder wagen.
Sein Blick fiel auf sie, als sie ihre Flügel um sich schlang.
„Ist dir immer noch kalt?“, fragte er.
Sie warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. „Nein, das ist okay für mich.“
Mit schnippischer Geste zog er die Nase hoch. „Das sehe ich.“
Er rückte etwas näher an sie heran. Steif blieb sie auf ihrem Platz sitzen. Dann legte er langsam einen Flügel über ihre Schulter und zog die Deckenenden um sich und sie zu. „Besser?“
Zögernd nickte sie.
„Na fein“, sagte er von oben herab. „Tu mir den Gefallen und sei nicht so verkrampft. Es macht mich nervös.“
„Oh, das tut mir leid.“
Hastig kuschelte sie sich an ihn. „Ist es so besser für Euch?“
Er gab ihr einen verächtlichen Seitenblick. „Nah genug.“
Damit rieb er sich die Stirn. Zu seiner Erleichterung schloss sie die Augen. Dann wurde es um sie herum still. Nur das Knacken im Feuer war zu hören.
Nach einer Weile lehnte sie ihren Kopf an seinen langen Hals. Diese ungewohnte Berührung ließ ihn hellwach werden, fühlte sich aber gleichzeitig wie gelähmt. Für einen kurzen Moment konnte er nicht mehr denken, nur fühlen. Sein Flügel ruhte immer noch auf ihrem Rücken. Sanft strich er über ihren Rücken. Sie seufzte tief.
Gefiel ihr das?
Auf einmal kam er sich vor wie ein kleiner Junge, der nicht wusste wie eine Sache lief. Wo lag die Grenze? Er hatte mit seinen Eltern nie über solche Dinge gesprochen. Er sah auf sie runter und atmete ihren Duft von frischer Seife ein. Noch nie war ihm eine Frau so nahe gewesen wie jetzt. Außer vor wenigen Tagen, wo sie krank gewesen war, aber das hier war etwas völlig anderes. Es war irgendwie anders als beim letzten Mal.
Ihr Kopf wanderte weiter hoch. War das ein gutes Zeichen?
Ihre Stirn berührte sein Kinn. Eine Hitze stieg in ihm auf. Langsam schlang er seinen anderen Flügel um sie.
Ob ihr wieder kalt war?
Leise atmete er durch. Er durfte sich nicht gehen lassen. Wo blieb seine Kontrolle? Aber es fühlte sich so gut an. Wen kümmerte es? Weder seine Eltern, noch ihre Familie. Wen würde es überhaupt kümmern?
Er zuckte zusammen. Ihr Flügel ruhte auf seiner Schulter. Er zitterte innerlich. Er genoss es regelrecht umgarnt zu werden. In seinen Teenager-Jahren hatte er oft versucht ein Mädchen zum Spaß zu küssen, aber alles was er damit erhielt waren Ohrfeigen oder Wegstoßen, obwohl er ein Prinz war. Keine Frau wollte ihn in ihrer Nähe haben.
Sie schmiegte sich an seinen Hals. Der Pfau war wie gelähmt. War ihr nicht klar, was sie da tat? Aber sie schien es zu mögen. Seine Fingerfedern verkrampften sich.
Verdammt, lass es einfach geschehen!
Er drehte sie sachte um, ihre Oberkörper berührten sich fast. Doch dann lehnte er sich vor und drückte sie an sich. Sie reagierte wieder. Seine Augen waren auf ihren Schnabel fokussiert.
Nur ein bisschen… nur ein einziges Mal.
Er drückte seine Schnabellippen auf ihre. Sein Verstand setzte aus. Er konnte nicht glauben, was er da tat. Würden seine Eltern ihn so sehen, wären sie nicht davon begeistert. Er küsste eine unbekannte, fremde Frau. Sie strich über seinen Rücken. Es fühlte sich so gut an. Er wollte mehr.
„Nein!“
Sachte stieß sie ihn von sich und flüchtete in den entgegengesetzten Teil des Raumes. Noch immer wie in Trance sah er ihr nach. Nach und nach wurde sein Verstand wieder klar. Dann folgte er ihr.
„Was ist los? Was hast du?“
Er sah wie sie zitterte. Er seufzte. „Es tut mir leid…“
Hatte er die Grenze überschritten?
„Ich wollte nur deine Lippen berührten, nichts weiter.“
Er biss sich auf die Zunge. Vielleicht waren das die falschen Worte, aber verdammt, was redete er da überhaupt?
Noch immer zitterte sie.
Er schnaubte. „Ich bin nicht gut genug für dich, nicht wahr?“
Er gab sich innerlich eine Ohrfeige dafür. Was hatte er ihr doch versprochen?
„N-ne-in, nein“, stotterte sie. „I-ich… es hat mir schon gefallen…“
Überrascht starrte er sie an. „Wirklich?“
Er trat ein bisschen näher an sie heran. Ihre scheuen Augen waren direkt auf ihn gerichtet. Der Lord streckte seine Flügel aus, aber sie hob abwehrend ihre Flügel.
„Es ist nur…“
„Wegen…“
„Nein, nicht wegen Euch… es ist mehr… ich hab Angst.“
„Angst wovor?“
Sie schlang ihre Flügel um sich selber. „Ich hab noch nie…“
Verwundert sah er sie an. „Du bist noch Jungfrau?“
Sie schrak zusammen und bedeckte ihr Gesicht.
Schweigend betrachtete er sie. „Jemand wie du, die so viel herumreist und du bist immer noch…“
„Ich hatte immer Angst“, sagte sie schnell. „Ich kann niemanden trauen.“
Skeptisch verengte er die Augen. „Und wie ist es bei mir?“
Sie sah ihn an. „Ich… ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Es ist alles so… so fremd.“
Er schwieg. Dann begann er bedächtig zu reden. „Da bist du nicht die Einzige hier.“
Sie hob überrascht den Kopf. „Ihr auch?“
Er senkte den Blick ein bisschen während sie weitersprach.
„Heißt das, Ihr wart noch nie mit einer Frau zusammen?“
Er nahm einen Atemzug, kam näher und strich ihr sanft übers Gesicht.
„Sie hassen meine Farbe“, flüsterte er. „Für die bin ich nur ein Fluch.“
Sie schloss die Augen und genoss seine Berührung.
„Das macht mir nichts aus“, sagte sie. „Auch wenn Ihr ein farbenprächtiges Gefieder hättet, wäre es für mich schwer zu erkennen welche Farbe Ihr hättet.“
Er sagte nichts. Stattdessen senkte er seine Flügel und wickelte sie um ihren Oberkörper, um sie näher an sich zu drücken. Seine Augen wanderten zurück auf die Kissen, wo sie fast getan hätten, was sie tun wollten. Zögernd folgte sie seinem Blick. Zuvor war es noch ein lustiges Spiel, aber jetzt war es Ernst.
Shen rieb seine Fingerfedern auf ihr. War sie überhaupt dafür bereit? Aber da war eine Hitze in ihnen, die sie nicht ignorieren konnten. Sie wollten es, aber war das der richtige Weg? Er wusste, dass die Ehe mit einer große Verantwortung verbunden war. Mit einem Mal fühlte er sich nicht mehr wie ein Erwachsener, aber er musste sie führen, so wie ein Mann eine Dame beim Tanz.
„Du sagtet, du erklärtest dich bereit länger zu bleiben. Könntest du dir vorstellen noch länger zu bleiben?“
„Wieviel länger?“
„Sehr viel länger.“
Sie konnte seinen Augen nicht ausweichen. Sie war von ihm wie hypnotisiert.
„Würdest du mir die Ehre erweisen bei mir zu bleiben?“
Es war dieselbe Frage, wie er sie ihr auch vor ein paar Tagen gestellt hatte. Zu bleiben solange bis sein Projekt beendet war. Niemand wusste wie lange das sein würde, aber lange. Nun sollte sie sich entscheiden ihre Zukunft mit ihm zu teilen. Sie wusste nicht wieso, aber ihr Instinkt gab ihr den Stoß ihm zuzunicken. Er seufzte mit einem Lächeln.
„Dann bleib bei mir für eine sehr lange Zeit.“
Er umfasste ihre Flügel mit seinen. Dann führte er sie langsam wieder zurück ans Feuer. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie hatte Angst, war aber aufgeregt zugleich. Er hatte ihr gerade einen Heiratsantrag gemacht und war im Begriff mit ihr in die Hochzeitsnacht zu gehen. Sie blinzelte. Nie hätte sie damit gerechnet mit einem Mann wie ihn auf diese Weise zusammen zu kommen.
Shen zuckte zusammen. Sie hatten die Kissen fast erreicht, doch blieb sie stehen. Ihr Blick gesenkt. Sie schien ihren Mut und ihre Kraft verloren zu haben. Der Pfau wusste nicht sofort, was jetzt zu tun war. Es war schon schwer genug eine Armee anzuführen, aber dies hier war bei weitem komplizierter, aber schön.
Ein Schauder durchdrang ihren Körper, als er damit begann seine Fingerfedern auf ihren Flügeln zu reiben. Dann kam er näher und hob ihr Kinn an. Ihre scheuen silbernen Augen trafen auf seine roten. Aber diesmal waren sie nicht ernst. Sie schauten sogar recht warm.
Shen zwang sich zu einem sanften Lächeln.
„Blau ist kalt“, begann er. „Grün weniger kalt, gelb ist wärmer, orange sehr warm, aber rot… Erinnerst du dich?“
„Es ist heiß wie Feuer“, beendete sie den Satz.
Er kicherte. „Hab ich dir je gesagt, wie viele rote Federn ich habe?“
„Nein.“
„Dann lass mich dir einen Vorschlag machen. Du zählst meine roten Federn und ich zähle deinen Silbernen.“
Zuerst wollte sie lächeln, aber dann erstarb es. Seine roten Federn befanden sich nur auf seinem Kopf oder seinem Pfauenschwanz, wohingegen ihre silbernen mehr über ihren ganzen Körper verteilt lagen. Der Lord seufzte tief. Sein Versuch hatte nicht den Erfolg erziel, den er erhofft hatte. Seine Flügel wanderten höher und blieben auf ihren Schultern. Sie beobachtete seine Bewegungen, sein Gesicht dabei wie ein Mysterium.
„Vertrau mir.” Seine tiefe, langsame Stimme ließ sie wie in einer Trance verfallen. „Vertrau mir einfach.”
Das war alles, was er zu sagen wusste.
Der letzte klare Verstand verschwand, als sich ihre Lippen näherten. Seine Flügel liebkosten sie. Alles um sie herum verschwamm. Es kümmerte sie nicht, als sie fühlte wie ihre Robe zu Boden glitt.
Am nächsten Tag, in den führen Morgenstunden
Sie atmete die kühle Luft ein, die durch das Fenster des Quartiers drang. Es fühlte sich an wie nach einer Wiedergeburt. Sie wickelte die Decke enger um sich, während sie den Schnee durch das Fenster betrachtete. Ein wohltuender Schauer durchlief ihren Körper, als umsorgende Flügel sanft über ihren Körper streichelten und sich von hinten an sie schmiegten. Während er ihren Hals streichelte, lehnte sich der weiße Pfau nach vorne und flüsterte ihr ins Ohr.
„Guten Morgen.“
Zärtlich berührte er sie und strich ihr über den Brustkorb. Sie genoss seine Nähe. Für eine Weile blieben sie so zusammen und schauten auf die verschneite Landschaft. Der Schneesturm hatte sich gelegt und Stille herrschte. Schließlich drehte sie sich zu ihm um. Er hatte sich seine Robe notdürftig übergezogen, sodass seine Schultern freilagen.
Sie lächelte ihn an. „Du wirst dir noch eine Erkältung holen.“
Damit rückte sie näher an ihn heran, legte beide Enden ihrer Decke über seine Schultern, doch die Decke war nicht groß genug, sodass sie eng zusammenrücken mussten. Der Lord schenkte ihr ein kicherndes Lachen. Ohne Angst ließ sie sich nach vorne fallen und ihr unbekleideter Körper lehnte sich gegen ihn. Sie rieben ihre Köpfe aneinander. Sie seufzte vor Wohlbehagen. „Es war wundervoll.“
Er lächelte. „Du auch.“
Sie hob den Kopf. Ihre Gesichter näherten einander bis sich ihre Schnäbel berührten. Dann rutschte ihr Kopf nach unten und lehnte an seinen Hals. Er seufzte tief. Mit einem Flügel strich er über ihren Kopf, mit dem anderen hielt er ihren Oberkörper.
Die ersten Sonnenstrahlen tauchten am Horizont auf.
„Und wenn ich China regiere“, murmelte er. „Wirst du an meiner Seite sein. Ich werde dich zur mächtigsten Frau im Königreich machen.“
Sie streichelte seine Flügel. „Macht und Reichtum sind mir nicht wichtig.“ Sie sah ihn ernst an. „Hauptsache wir bleiben zusammen.“
Er atmete zufrieden und führte die Flügel seiner Ehefrau zu seinem Mund und küsste ihre Fingerfedern. „Niemals in meinem Leben… hat mir jemand ein besseres Geschenk gemacht wie du letzte Nacht.“
Sie umfasste die Fingerfedern ihres Ehemannes enger in ihren Flügeln. „Der Himmel hätte mir keinen besseren Mann geben können als dich.“
Er verstärkte seinen Druck um ihren Flügeln, bevor er sie nach unten wandern ließ. Sie folgte seinem Beispiel und sie umarmten sich intensiv. Der verbannte weiße Prinz konnte es nicht mehr zurückhalten. Ihre Berührung trieb ihm die Tränen in die Augen. So stark, dass eine davon auf ihre Wange fiel. Erschrocken sah sie zu ihm auf. „Hab ich was falsch gemacht?“
„Nein…“ Schnell wischte er die Tränen aus dem Gesicht. „Es ist nur… das Schießpulver von gestern. Ich hab’s wohl nicht so gut aus meinen Federn herausbekommen.“
Sie lächelte verschmitzt. „Vielleicht sollten wir in Zukunft zusammen ein Bad nehmen. Ich könnte dich sauber machen.“
“Vielleicht wäre das keine schlechte Idee“, und strich ihr über den Rücken.
Sie kicherte erleichtert und kuschelte sie an ihn, ohne dabei die neuen Tränen in seinen Augen zu bemerken. Er konnte nicht genug davon bekommen sie zu fühlen und ihr über den Rücken zu streicheln. Es sollte nie enden.
Der weiße Pfau ließ den Brief fallen und beobachtete die Schneeflocken vor dem Fenster, die in der dunklen Nacht tanzten.
„Dad?“ Prüfend steckte Po den Kopf in die Küche. „Hast du Shen gesehen?“
Po war ein bisschen besorgt um den Pfau gewesen und hatte einen Blick in sein Zimmer riskiert. Doch es war leer. Mr. Ping war gerade damit beschäftigt für ihre Gastgeber ein kleines Dinner zuzubereiten.
„Oh, soweit ich weiß, ist er nach draußen gegangen.“
„Bei dem Wetter? Es schneit heftig.“
Mr. Ping zuckte die Achseln. „Das Gleiche hab ich zu ihm auch gesagt, aber er erschien sehr abwesend gewesen zu sein.“
Nachdenklich rieb sich der Panda über den Kopf. „Na gut. Danke.“
Damit begab er sich zur Haustür. Doch bevor er sie öffnen konnte, kreuzte ein Schaf seinen Weg.
„Entschuldigung, weißt du zufälligerweise, wo Shen ist?“
„Er steht draußen”, antwortete das Schaf. „Und starrt vor sich hin.“
„Und wo genau?”
„Sieh einfach aus dem Fenster.“
Po tat es. Doch er musste zweimal genau hinschauen, bis er die weiße Gestalt des Pfaus erkannte, die auf einem Hügel nicht weit vom Haus entfernt in der dunklen, verschneiten Nacht stand.
„Wie lange steht er schon da?“
Doch das Schaf war schon verwunden. Po rang mit sich selbst, ob er zum Lord rausgehen sollte oder nicht. Schließlich öffnete er dann doch die Tür. Ein eisiger Wind flog ihm ins Gesicht. Vogel-Fußspuren führten weg vom Haus auf der weißen Oberfläche. Vorsichtig machte Po einen Schritt nach dem anderen durch den Schnee, nähern und näher an den Pfau heran, der sich nicht von der Stelle rührte.
„Hat er etwa vor hier draußen zu übernachten?“, überlegte Po bei sich.
Ein kalter Wind fegte über die Landschaft. Doch er spürte es nicht. Der weiße Lord starrte nur geradeaus in die weite Ferne.
„Shen?“, rief ihm eine Stimme zu, aber er reagierte nicht. „Shen? Hey! Es ist kalt und es schneit. Hast du das noch nicht bemerkt?“
Er antwortete nicht. Nicht einmal als eine schwarz-weiße Gestalt vor ihm auftauchte und mit der Tatze vor sein Gesicht wedelte.
„Shen?“ Mit besorgtem Blick sah der Panda ihn an. „Kannst du mich hören?“
„Wie erträgst du es nur, Panda?“, antwortete ihm eine apathische Stimme.
Pos Augen weiteten sich überrascht. „Was soll ich ertragen?“
Zum ersten Mal kam ein tiefer Seufzer über die Lippen des Lords. „Wie erträgst du es mich zu sehen?“
„Ähhhhhhhh….“ Po hatte keine Ahnung, was der Pfau jetzt genau hören wollte. Vielleicht irgendetwas philosophisches oder doch etwas anderes? „Nun, äh, jemanden zu sehen ist ein sehr, sehr komplexer Begriff.“
Der Panda zwang sich zu einem Lächeln, aber Shens Gesicht blieb hart wie Stein. Po schaute nach vorne und versuchte herauszufinden, wohin der Pfau die ganze Zeit über hinstarrte. Doch alles was er sah war nur Schnee und Dunkelheit. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Lord zu, der seine Position immer noch nicht verändert hatte.
Po rieb sich über seinen Nacken und wagte einen neuen Kommunikationsversuch. „Denkst du… denkst du gerade an sie?“
Wieder nur Stille. Po meinte aufgeben zu müssen, als der weiße Vogel leicht den Schnabel zu bewegen begann. „Schnee ist eine Schönheit, nicht wahr?“
Irritiert schaute Po sich um. „Äh… jaaa. Wir, äh, wir alle mögen Schnee, oder etwa nicht?“
„Obwohl deine Eltern in einer verschneiten Nacht umgekommen sind?“
Diesmal war es Po, der einen tiefen Seufzer äußerte. Mit einem dumpfen Plums ließ er sich in den Schnee fallen und beobachtete den Pfau schweigend. Sein Wunsch seine Gedanken lesen zu können, wuchst mit jeder kalten Minute. Was ging nur in dem Kopf des Lords vor? Es musste mit dem Brief zusammenhängen. Xinxin hatte ihm zwar nur Bruchteile davon berichtet, nicht mehr, aufgrund des Briefgeheimnisses. Aber das alleine genügte dem Panda, um zu verstehen, was die Pfauenhenne für den Armee-Führer von Gongmen gefühlt haben musste.
Immer noch still stocherte Po etwas im Schnee herum, bevor er wieder aufblickte. „Ich bin mir sicher, dass sie dir vergeben wird.“
Plötzlich und ohne Vorwarnung wandte der Lord sich ab und schritt mit strammen Schritten den Hügel runter. „Mir ist kalt.“
„I-ich ich hab doch nicht gemeint…“
Doch Shen unterbrach ihn mit einer warnenden erhobenen Geste seines Flügels, während er unbeirrt seinen Weg fortsetzte. Und ohne ein weiteres Wort betrat er das Haus und ließ den Panda einfach im Schnee zurück.
Shen dachte nicht nach, wohin er ging und wo er war. Er spazierte einfach herum ohne Ziel und folgte einigen Lichtern. Und so kam es, dass er sich alsbald in der Küche befand, wo Mr. Ping immer noch arbeitete.
Der Gänserich drehte sich zu ihm um, als er eine Bewegung im Augenwinkel wahrnahm. „Oh, willkommen, Sir! Ich habe Sie gar nicht erwartet. Tut mir leid für die Unordnung.“
Er vollführte eine tiefe Verbeugung. Shen erwiderte die Geste, dann begab er sich rüber an den Tisch und setzte sich auf ein Kissen.
Mr. Ping beobachtete ihn und Momente später stellte er eine Schüssel mit Suppe auf den Tisch. Der weiße Ex-Prinz beäugte sie, doch dann schob er sie von sich.
„Ich hab keinen Hunger.“
Der Gänserich sah ihn verwirrt an. Doch der Pfau faltete seine Flügel zusammen und wich seinem Blick aus. Mr. Ping nahm die Schüssel wieder weg und stellte sie auf die Spüle. Dann nahm er eine Kelle zur Hand und rührte die Suppe im Kessel um.
Eine Weile sprach keiner ein Wort, bis Mr. Ping sich räusperte.
„Nun, es muss eine sehr große Überraschung für Sie gewesen sein, oder?“
Der Pfau richtete seine Augen auf ihn. „Woher willst du das wissen?“
„Po hat es mir erzählt.“
Ärgerlich zog Shen die Augenbrauen zusammen. „In diesem Fall offensichtlich, alles, oder?“
„Ich werde es ja niemanden weitersagen“, bekräftigte Mr. Ping.
Der Pfau schnaubte und schaute wieder weg.
Nach einigen Sekunden der Stille wagte Mr. Ping den Dialog fortzusetzen.
„Ihr hattet einen schlimmen Streit gehabt, nicht wahr?“
Ein erstickter, erschrockener Schrei zerschnitt die Luft, als ein Federmesser den Gänserich nur ganz knapp verfehlte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Mr. Ping darauf, welches in der Holzwand der Küche stecken geblieben war. Langsam schaute er wieder zum Lord und zuckte zusammen. Der weiße Pfau stand da wie ein angreifender Leopard. Dann ließ er sich langsam wieder aufs Kissen zurücksinken. Mit einem tiefen Seufzer faltete der weiße Vogel die Flügel zusammen und wurde langsam wieder ruhiger, aber seine Haltung blieb angespannt.
„Du hast ja keine Ahnung“, kam es über die Lippen des Lords, seine Augen auf den Tisch gerichtet.
Mittlerweile hatte Mr. Ping all seinen Mut zusammengenommen und das Federmesser aus der Wand gezogen. Mit dem scharfen Instrument im Flügel ging er damit zum Tisch und legte es behutsam dort ab. Shen betrachtete es ein paar Sekunden, dann nahm er es und steckte es irgendwo unter seine Federn. Mr. Ping legte die Fingerfederspitzen seiner Flügel zusammen und beobachtete ihn.
„Das ist doch keine Schande“, versuchte er. „In jeder Familie kann es mal zu Auseinandersetzungen kommen.“
Er erstarrte, als Shens Augen ihn eisig trafen.
„Du hast gut reden“, sagte der Pfau gereizt. „Für dich war es immer einfach gewesen.“
Mr. Ping zuckte zusammen, dann kicherte er reuevoll. „Nun, Po und ich waren auch nicht immer einer Meinung. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir mal einen schlimmen Streit gehabt hatten.“
Der Pfau bewegte die Augen langsam nach rechts, dann zurück zu ihm.
„Kann ich mir nicht vorstellen“, murmelte Shen mehr zu sich selbst.
Der Gänserich lächelte. „Oh ja, es ist schon sehr lange her. Po hatte gerade mal zu sprechen begonnen und es war ein warmer Sommertag gewesen…“
Vor vielen Jahren im Tal des Friedens, Pos Kindheit
„Po? Po?“
Mr. Ping spähte unter den Küchentisch. Aber darunter befand sich kein Panda.
„Po?“
Jetzt fiel sein Blick auf einen umgedrehten Topf. Doch auch dort war kein Panda. Mit einem lauten Seufzen wirbelte Mr. Ping in der Küche herum. Wo könnte er sein? Er ist zwar noch ein Kind, aber nicht so klein, dass man ihn übersehen könnte.
„Mr. Ping?“, rief eine laute Stimme von draußen.
Der Gänserich fuhr herum und schaute durch das Fenster des Restaurants. Im Tor zur Restaurant-Terrasse stand eine große Hasenmutter. Mr. Ping schluckte. Mrs. Maotu, die Nachbarin, gehörte nicht gerade zu den friedlichsten Nachbarn und die meisten Leute mieden sie. Mr. Ping hatte sich gerade vorgenommen sie zu grüßen, als er einen kleinen Panda an ihrer Pfote bemerkte.
„Po!“ Mr. Ping verließ die Küche und rannte auf sie zu. „Wo warst du gewesen?“
Doch noch bevor Mr. Ping Po erreichen konnte, stieß Mrs. Maotu ihn weg.
„Unter meinem Küchenfenster!“, grunzte sie verärgert. „Ich hatte eine Schüssel mit Klößen auf das Fenstersims gestellt, und danach waren sie weg.“
„Weg?“ Mr. Ping versuchte zu verstehen. „Wie weg?“
„Fragen Sie das ihn.“ Damit hob sie den Panda höher. „Und dies hier hatte er in der Hand.“
Mr. Pings Augen weiteten sich, als sie einen Kloß hochhielt. Angeknabbert.
„Po!“
Der Restaurantbesitzer war fassungslos.
„Ich hab sie nicht gegessen“, murmelte der kleine Panda.
„Unartiges Kind!“, schimpfte Mrs. Maotu und gab ihm einen harten Stoß. „Sie sollten Ihr Kind mal besser erziehen!“
Sie warf das Panda-Kind zu Mr. Ping, der wegen Pos Gewicht mit vollem Karacho nach hinten fiel.
„Meine Klöße werden Sie jedenfalls bezahlen.“
Mit diesen Worten schritt die große Hase-Dame davon.
„Po, wie oft hab ich dir bereits gesagt, dass es nicht fein ist, das Essen von anderen zu essen.“ Mr. Ping stand in der Küche, der kleine Panda vor ihm mit verschränkten Armen auf den Rücken. „Du wirst dich bei ihr entschuldigen.“
„Aber ich hab sie nicht gegessen“, beharrte der kleine Panda.
„Und was hatte dann der Kloß in deiner Tatze zu suchen gehabt?“
„Hab ich auf den Boden gefunden.“
„Nachdem du die anderen alle verputzt hast.“
„Ich hab sie nicht gegessen.“
Mr. Ping zog die Augenbrauen zusammen. „Po, Lügen ist eine schlimme Sache. Ich weiß noch genau wie oft du meine Klöße ohne meine Erlaubnis aufgegessen hast, und du gesagt hattest ein Hamster hätte sie gestohlen.“
Der Panda schluckte. „Aber diesmal habe ich sie wirklich nicht gegessen.“
Mr. Ping seufzte tief. Vielleicht war er nicht streng genug gewesen.
„Po. Geh auf dein Zimmer.“
Der kleine Panda riss die Augen auf. „Was?“
„Kinder, die lügen gehen ohne Abendessen ins Bett.“
„Aber ich hab nichts getan!“
„Po! Auf dein Zimmer!“
Der kleine Panda stampfte mit dem Fuß auf. „Ich hasse dich!“
Schockiert sah Mr. Ping zu wie Po die Stufen hochrannte.
„Oh nein, was hab ich getan?“
Tief in Gedanken versunken strich Mr. Ping mit einem Messer über ein Holzbrett. Noch nie zuvor hatte er solche harten Worte ausgesprochen. Warum hatte er das getan?
„Sie sollten Ihr Kind mal besser erziehen!“, hatte Mrs. Maotu ihm eingebläut.
Mrs. Maotu war eine sehr strenge Frau und niemand würde je behaupten sie würde lügen. Und wenn sie sagte, sie hätte Po beim Essen ihrer Klöße erwischt, dann musste es ja stimmen. Doch andererseits, Mrs. Maotu war auch eine sehr strenge Mutter. Mit fünf Kindern besaß sie ein Haus, ohne einen Ehemann. Und er wusste wie viele Dinge sie ihren Kindern verbot. Mr. Ping hatte ihre Erziehung nie so toleriert, aber er war auch noch nie Vater gewesen. Er hatte Po lediglich mal nur ermahnt, nachdem dieser ihn das letzte Mal angelogen hatte, als er eine Schüssel zerbrochen hatte und das vor ihm verheimlichen wollte.
Der Gänserich schüttelte den Kopf. Er hatte Po ganz klar und deutlich zu verstehen gegeben, ihn nie anzulügen. Und er hatte es danach auch nie mehr wieder getan. Aber tat er es heute?
Mit einem lauten Seufzer legte Mr. Ping das Messer beiseite und ging die Stufen hoch.
„Po?“, rief er hoch. „Po, vielleicht hab ich etwas überreagiert. Komm runter und wir reden nochmal in aller Ruhe darüber.“
Aber da kam keine Antwort.
Mr. Ping holte tief Luft. „Po, bitte, komm runter.“
Schritt für Schritt stieg er die Stufen hoch, wo Pos Zimmer lag.
„Po? Hast du gehört was ich gesagt habe?“
Der Gänserich hielt den Atem an, als er über den Rand des Holzbodens schaute. Pos Zimmer war leer. Da war kein Panda.
„Po?“
„Po! Po!“
Mr. Ping schaute in jedem Winkel des Restaurants. Aber Po blieb verschwunden.
„Po? Po? Ich hab’s nicht so gemeint! Po!?“
Schließlich klopfte er gegen jede Haustür in der Nachbarschaft bis er zu Mrs. Maotu kam.
„Entschuldigen Sie“, entschuldigte sich Mr. Ping mit eingezogenem Kopf, als die große Hasenmutter mit verärgertem Gesicht auf ihn herabblickte. „Haben Sie meinen Sohn gesehen?“
„Und ich dachte, Sie wären gekommen, um mir das Essen zu ersetzen.“
Mr. Ping schluckte. „Natürlich, das werde ich, aber zuerst muss ich meinen Sohn finden.“
„Ich weiß nicht, wo sich Ihr verkommenes Kind herumtreibt. Ich will nur meine Klöße zurück.“
Der Gänserich rieb sich über die Stirn. „Vielleicht haben Ihre Kinder ihn gesehen.“
Mrs. Maotu stieß ein erbostes Schnauben aus. „Meine Kinder würden sich nie mit so einem…“
„Ja, ja“, unterbrach Mr. Ping sie ungeduldig. „Aber ich kann sie doch wenigstens mal fragen.“
Die große Hasenmutter wandte sich ab. „Wenn Sie wollen. Aber nicht zu lange. Meine Kinder benötigen keine schlechte Gesellschaft.“
Mit gesenktem Kopf folgte Mr. Ping ihr ins Haus. In der Nähe einer aufklappbaren Leiter hielten sie an. Mrs. Maotu zog an einer langen Decke, die von der Zimmerdecke herunterhing.
„Meine Erziehung ist ein gutes Vorbild. Sie sollten sich daran mal ein Beispiel nehmen.“
Ein weiterer harter Zug und ihre Kinder, fünf kleine Hasen, purzelten herunter.
Mr. Ping riss die Augen auf. Nicht wegen den Kindern, sondern was zwischen den kleinen Hasen herumrollte.
Klöße.
Mit großen Augen blickten die Hasenkinder ihn an. Einer von ihnen ließ gerade einen Kloß im Mund verschwinden.
Jetzt war es Mr. Ping, der in einem verbitterten Ton sprach.
„Ich – ich denke, Sie sollten mal Ihre Kinder besser erziehen.“
Völlig durcheinander lief Mr. Ping aus dem Haus. Als er zwei Schweine auf der Bank sah, rannte er auf sie zu.
„Entschuldigen Sie, habt ihr meinen Sohn gesehen?“
Die zwei Schweine tauschten verwunderte Blicke.
„Aber er ist doch nicht dein Sohn“, meinte einer von ihnen.
Mr. Ping schlug die Flügel über seinen Kopf zusammen. „Er ist mein Sohn! Ich bin nur ein schlechter Vater!“
Und ohne weitere Erklärungen rannte er die Straße runter, wobei er immer zu Pos Namen rief.
„Po! Po!“
Über eine halbe Stunde lang lief er kreuz und quer durch das Dorf, sogar zum Jade-Palast, aber auch dort konnte er keinen Panda finden, geschweige denn einen Hinweis. Erschöpft ließ er sich auf einen kleinen Stein nieder, der am Rande des Dorfes lag.
„Po, wo bist du?“
Tränen stiegen ihm in die Augen. Schweigend beobachtete er die Sonne, die beinahe den Horizont berührte. Schließlich rieb er sich über die Augen.
„Okay“, sprach er zu sich selbst. „Wenn ich Po wäre, wo würde ich dann hingehen?“
Po aß zu jederzeit, egal ob bei guter oder schlechter Laune, aber in einer schlechten Laune musste er noch mehr essen.
Aber wo sollte er etwas zu essen bekommen? Er war nicht im Dorf.
Dann hatte Mr. Ping einen Einfall.
Es war schon fast dämmrig, als der Gänserich den Bambuswald erreichte. Zuerst hatte Mr. Ping vorgehabt nach Po zu rufen, doch dann traute er sich doch nicht mehr dazu. Stattdessen sprach er den Namen recht zaghaft aus.
„Po?“
Zuerst war da nur Stille. Doch dann war da ein raschelndes, knackendes Kauen. Langsam und sachte ging Mr. Ping zwischen den Bambus-Stämmen hindurch. Das essende Geräusch wurde lauter. Er hielt an, als er eine kleine schwarz-weiße Figur entdeckte, die zwischen abgeknabberten Bambusstangen hockte. Der Gänserich machte ein paar Schritte auf ihn zu. „Po! Ich hatte mir solche Sorgen um dich gemacht!“
Der kleine Panda warf ihm einen bockigen Blick zu und stopfte sich den nächsten Bambussproß in den Mund. Der Gänserich rieb sich die Fingerfedern aneinander und schaute zerknirscht zu Boden. „Ähm, möchtest du nicht nach Hause kommen?“
Po antwortete nicht und kaute einfach weiter.
Mit einem tiefen Seufzer kam der Vogel näher. „Hör zu, Po. Ich muss zugeben, meine Reaktion war sehr unüberlegt und unfair. Es war dumm von mir dich auf dein Zimmer zu schicken. Ich hätte dir zuerst zuhören sollen. Ich weiß, dass du sie nicht gegessen hast. Und ich bin hier, um sich zu entschuldigen. Es tut mir leid, ich habe mich geirrt.“
Er machte eine kleine Pause, während der Panda ihn mit vollem Mund ansah. Mr. Ping versuchte zu lächeln, aber es verschwand sofort wieder, als Po seinem Blick auswich.
Mr. Ping kicherte nervös und trat näher an ihn heran. „Po, erinnerst du dich noch an deinem ersten Versuch Nudeln zu machen?“
Der kleine Panda murmelte ein schwer verständliches „ja“.
Langsam setzte sich Mr. Ping nehmen ihm hin. „Dein erster Versuch war ein einziger zäher Brei. Aber du hast nicht aufgegeben und hast es immer und immer wieder versucht.“
Po verschränkte die Arme und schaute ins Leere.
Mr. Ping räusperte sich. „Nun, was ich eigentlich damit sagen will ist, dass viele Dinge im Leben kaputt gehen können. Aber jeder von uns ist mal ein Anfänger.“ Er faltete die Flügel zusammen. „Du bist ein Anfänger in Sachen Nudeln machen. Und ich? Nun, ich bin auch ein Anfänger.“
Po sah ihn an. „Ein Anfänger? Du machst die Nudeln gut.“
Mr. Ping lachte. „Nun, in Sachen Vater sein bin ich ein absoluter Anfänger. Ich benötige auch ein paar Anläufe, um es besser machen zu können. Du hingegen bist ein Profi ein Kind zu sein.“
„Ein Profi?“
„Oh ja, und ein Champion im Essen. Das wären schon mal zwei Punkte für dich. Das ist das, was ich nie schaffen werde.“
Beide verfielen zurück ins Schweigen bis Po etwas näher heranrückte. „Vielleicht klappt es, wenn du dir mehr Mühe gibst.“
Damit reichte Po ihm ein Bambusrohr. Mr. Ping zwang sich zu einem Lächeln und nahm einen Bissen. Der kleine Panda lachte, als Mr. Ping versuchte das harte Holz zu kauen.
„Nun“, murmelte der Gänserich zwischen kauenden Bewegungen seines Schnabels. „Ein bisschen zäh.” Er stand auf und legte den Bambusast beiseite. „Vielleicht sollten wir zuhause etwas kochen.“
„Super!“ Der kleine Panda sprang auf. „Ich hab Hunger!“
Der Gänserich lächelte. „Das ist mein Sohn.“ Und nahm ihn an den Flügel.
Mr. Ping seufzte laut. „Und von da an, war unser Leben ein kleines Stück besser geworden.“
Lord Shen hatte ihm schweigend zugehört und schaute ihn mit leerem Blick an.
Mr. Ping lächelte. „Aber eine Sache haben wir dabei gelernt. So lange die Liebe vorhanden ist, können Dinge jederzeit repariert werden.“
Der Pfau schaute weg. Ahnte er was er ihm damit sagen wollte?
Doch Mr. Ping wollte ihm nichts weiteres einreden und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Mit einem tiefen Seufzer lehnte sich Po gegen die Korridorwand, nachdem er die Geschichte gehört hatte. Er erinnerte sich noch gut an den Tag und hatte ihn auch nie vergessen.
Plötzlich öffnete sich die Tür und ein Schaf kam hereingerannt. Po erschrak. Der Gesichtsausdruck des Schafes verriet ihm, dass es keine guten Nachrichten hatte.
„Wo ist der Lord?“, fragte es ganz aufregt.
Po deutete zur Küchentür. „Äh… in der Küche.“
Ohne ein weiteres Wort rannte es hinein.
„Lord Shen! Es ist wegen Eurem Sohn!“
Mr. Ping und Lord Shen sahen zur gleichen Zeit auf.
„Ich… ich befürchte… ich glaube er…“
„Wir können leider nichts mehr für ihn tun.“
Mit einem tiefen Seufzer der Reue schloss das ältere Schaf seine Tasche, die neben Shengs Bett stand. Der junge Pfau atmete zwar noch, jedoch sehr, sehr schwer.
Po sah auf Shen und suchte nach einer Reaktion. Doch das Gesicht des Lords war völlig emotionslos. Ohne ein Zeichen von Gefühl schaute er auf das Bett, wo sein Sohn mit dem Tod rang. Der Panda schluckte einen Kommentar hinunter und rückte an die Wahrsagerin heran.
„Kannst du denn gar nichts tun?“, fragte er hoffnungsvoll und presste die Handflächen aufeinander. „Du weißt doch sonst so viel.“
Die Ziege senkte ihren Blick. Es schien ihr schwer zu fallen ihm eine Antwort zu geben. Po zuckte zusammen. Der weiße Pfau hatte sich bewegt. Sehr langsam trat er näher an das Kopfende des Bettes heran. Dann griff er nach dem blau-grünen Flügel. Es war kaum zu glauben, dass dasselbe Blut durch ihre Adern floss. Wie alt war er jetzt? 17 Jahre. 17 Jahre, wo er nie etwas von ihm gewusst hatte, nie seine Stimme gehört, niemals in seine Augen gesehen hatte.
Po hielt den Atem an. Shen bewegte seine Flügel um den Flügel des farbigen Pfaus. Der Panda konnte ihn zwar nur von der Seite sehen, aber er meinte, dass dem Lord eine zerbrochene Aura im Gesicht lag. Langsam führte Shen seine Fingerfedern um den Flügel. Er schloss die Augen. Und als er sie dann wieder öffnete, waren sie feucht.
„Ich wünsche wirklich zu sehen, wie du unser Baby in den Flügeln hältst“, hallten ihm die geschriebenen Worte von ihr durch den Kopf.
Po kaute sich auf die Lippe. Er wollte etwas sagen, aber andererseits wollte er ihn nicht stören.
Schließlich startete das ältere Schaf einen Satz. „Sollten wir…“
Er brach ab. Der Lord hatte seinen weißen Flügel gehoben, beugte sich nach vorne und warf sich über den Körper des Jungen, so als versuchte er seine Lebensenergie auf ihn zu übertragen. Er flüsterte etwas, jedoch so leise, dass es niemand verstehen konnte. Es war kurz und flehend.
Was versuchte er zu sagen? So etwas wie Bedauern?
Po fühlte die Flügel seines Vaters auf seinem Arm. Mr. Ping sah ihn an, so als ob er sagen wollte, dass sie sie besser alleine lassen sollten.
Ein Aufseufzer der Wahrsagerin ließ den Panda aufhorchen. Verwundert sah er zu, wie sie auf die zwei Pfaue zuging. Nachdem sie das Bett erreicht hatte, legte sie ihren Huf auf den Rücken des Lords. Bei ihrer Berührung zitterte der weiße Pfau ein wenig, aber Shen schaffte es den Kopf zu heben und sie anzusehen und traf auf ihre traurigen Augen.
„Dein Vater hätte nie gewollt, dass du dasselbe durchmachen musst wie er es tat“, begann sie mit langsamer warmer Stimme. „Er wollte nie, dass du am eigenen Leib zu spüren bekommst, wie es sich anfühlt ein Kind zu verlieren. Nicht wie es ist einen Sohn zu verlieren.“ Sie senkte den Blick. „Wenn er gekonnt hätte, hätte er es am liebsten ungeschehen gemacht. Aber wegen des Gesetzes waren ihm die Hände gebunden.“
Sie streckte ihren Huf aus und wischte dem Lord eine Träne aus seinem Gesicht. Er hatte noch nicht zu Weinen angefangen, doch er war kurz davor. Sanft gab sie ihm ein Zeichen, dass er ihr etwas Platz machen sollte. Langsam erhob sich der Pfau und trat beiseite. Dann rückte sie näher ans Bett und beäugte den geschwächten jungen Pfau. Sie seufzte tief. Sie lehnte ihren Gehstock gegen das Bett und schloss die Augen. Dann hob sie ihre Hufe. Po und die anderen im Raum beobachteten sie mit Spannung. Dann bewegte sie die Arme in einer langsamen schwingenden Weise umher, ihre Augenlieder dabei angespannt. Sie schien sich sehr tief zu konzentrieren. Pos Augen weiteten sich. Plötzlich begannen die Handflächen der alten Ziege zu glühen. Schließlich, nach ein paar neuen kreisenden Schwingungen senkte sie die Hufe und führte sie nahe über den Brustkorb des Pfaus. Etwas schimmerte wie Wasser in der Luft und floss über den bewegungslosen Körper. Doch dann… der Brustkorb begann sich stärker zu heben und zu senken. Der junge Vogel amtete einmal scharf die Luft ein, so als wäre er unter Wasser gewesen, um die Luft wieder zurück in seine Lungen zu befördern. Doch kurz danach flachte seine Atmung langsam wieder ab und ging zu einem normalen Rhythmus über.
Fasziniert beobachte Po das Schauspiel mit offenem Mund. „Wow.“
Doch plötzlich….
„Nein!“
Shen beugte sich nach vorne noch bevor die Ziege auf den Boden fallen konnte. Sie schwankte und kippte um. Po rannte rüber und half ihr hoch, aber die Frau hatte die Augen geschlossen.
„Was ist mit ihr passiert?“, fragte Po besorgt.
Xinxin, die gerade den Raum betrat, lief auf sie zu und berührte den Arm der alten Frau.
„Sie atmet noch. Vielleicht war das zu viel für sie gewesen. Könnten wir sie irgendwo unterbringen, wo sie sich erholen kann?“
Das ältere Schaf trat näher heran. „Natürlich.“
Mehr Schafe kamen hinzu und trugen sie raus. Wenigstens war die Wahrsagerin nicht vollständig bewusstlos, aber sie war immer noch zu schwach, um einen Laut von sich zu geben. Die anderen schauten ihnen nach.
Po war immer noch sehr verwirrt von alldem. „Was war das?“
Er sah seinen Vater an. Doch auch er wusste darauf keine Antwort.
„Wer… wie…“
Er drehte sich um. Ungläubig starrte er auf das Bett, in dem der junge Pfau saß und sich die Augen rieb.
„Mein junger Lord!“, rief Xinxin und beugte sich mehrere Male zur Erde nieder. „Ich hatte schon befürchtet Eurer Familie eine traurige herzzerreißende Mitteilung überbringen zu müssen.“
Überrascht sah Sheng sie an. „Du? Wo bin ich?“
„Erinnert Ihr Euch nicht, junger Prinz?“
Für einen Moment dachte der Junge nach. „Ich entsinne mich an einen Kampf… riesige Gestalten. Meine Schwester nahm mich mit, nachdem mich etwas hart am Kopf getroffen hatte… Aber dann… alles liegt so im… Dunkeln.“ Er rieb sich den Kopf. „Da waren Stimmen. Viele Stimmen. Aber die letzte Stimme war… so fremd.“
Die Fuchsdame deutete zur Seite. „Das war er.“
Als der junge Pfau sein Gesicht zur Seite drehte, erstarre er. Shen stand sehr nahe gegen die Wand, seine Flügel unter seiner Robe und beobachtete den Jungen, der ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Dem jungen Lord schien dasselbe durch den Kopf zu gehen. Ohne den Augenkontakt zu unterbrechen, schob er die Decke sachte beiseite. Als seine Füße nach festem Boden suchten, begannen seine Knie zu zittern. Xinxin war nahe daran ihn dabei zu helfen, doch Sheng schaffte es zu stehen. Seine dunkelblaue Pyjama-Robe glitt über den Boden, als er ein paar Schritte näher an den weißen Lord herantrat.
Shen wandte den Blick nicht von ihm ab. Die Augen des Jungen waren dunkelgrün mit einem leichten silbernen Schimmer. Er versuchte einen starken Geist zu zeigen, dennoch erweckte er den Eindruck wie verloren in einer fremden Welt zu stehen.
Schließlich hielt der Jüngere an, sodass sie nur noch eine Armlänge Abstand trennte. Er konnte nichts anderes als ihn nur anzustarren. Doch er schien etwas zu ahnen. Sie betrachteten sich gegenseitig für eine lange Weile. Niemand wagte ein Wort zu sagen, bis der junge Lord den Schnabel bewegte.
„Bist du…?“
Er beendete den Satz nicht sondern wartete auf eine Antwort.
Schließlich öffnete Shen ein wenig den Schnabel. „Ja, ich bin es.“
Shengs Augen weiteten sich. Was dachte er gerade über ihn?
Po konnte nicht allzu viel von seinem Standpunkt aus erkennen, vermutete aber, dass der junge Lord mehr als verwirrt war.
Aber sein jetzt kennenden Vater sagte nichts weiter. Langsam streckte er seine Flügel aus und berührte die Schulter seines Sohnes. Sheng hinderte ihn nicht daran, aber es war sehr fremd für ihn. Sie waren miteinander verwandt und dennoch fühlten sie sich so fremd wie von zwei völlig verschiedenen Welten. Vorsichtig wollte der Jüngere ebenfalls den Flügel des älteren Lords berühren. Doch plötzlich zog Shen seinen Flügel zurück und drückte ihn gegen seinen Oberkörper.
Endlich hatte Sheng sich wieder soweit erholt, dass er erst jetzt die anderen bemerkte, die sie beobachteten.
„Aber… wie kann das… du…“
Die Gestalt des Pandas irritierte ihn noch mehr und wusste nicht, wo er ihn einsortieren sollte.
Po wusste nichts anderes zu tun und winkte ihm zu. „Hi.“
„Wer ist… bist du?... Und wo ist meine Schwester?“
Po schlug sich die Tatzen über den Kopf. „Oh, oh! Das ist eine sehr lange Geschichte. Aber vielleicht sollten wir erst mal etwas essen.“
„Und dann hatte sie dieses – ungewöhnlich schimmernde Ding – gemacht! Sehr seltsam. Und dann – bist du aufgewacht.“
Damit beendete Po seine lange Geschichte und schaute aufgeregt in die Runde. Er stand in der Küche, nicht weit von dem neu zum Leben gekommenen Sheng, der am Tisch saß, wo Mr. Ping ihm die Suppenschüssel abnahm, die der junge Pfau gerade geleert hatte. Sheng hatte ihm sehr aufmerksam zugehört. Es war immer noch mitten in der Nacht, doch niemand schien müde zu sein. Noch nicht einmal Shen, der sie so plötzlich ohne jegliche Erklärungen verlassen hatte.
Po und Mr. Ping hatten die Aufgabe übernommen den jungen Lord in die Küche zu führen. Kaum waren sie dort angekommen, startete Po auch gleich mit seiner Geschichte. Zuerst erzählte er wie er Shen begegnet und was alles in Gongmen passiert war. Doch er vermied genaue Details über Shens Mordfall. Dann fuhr er damit fort, was sich nach dem Kampf zugetragen hatte und so weiter und so weiter, bis zu der Stelle was Xinxin über seine Mutter erzählt hatte und alles. Sheng sagte nichts, während Po sprach. Nicht einmal als der Panda erwähnte, was in König Wangs Behausung vorgefallen war. Er stellte keine Fragen über seine Mutter oder seine Schwester. Doch als Po geendet hatte, faltete er seine blaugrünen Schwingen zusammen und starrte tief in Gedanken versunken auf die Tischoberfläche. Niemand wusste über was er gerade nachdachte.
Po beobachtete ihn ernüchtert. Er legte die Fingerspitzen aneinander und wartete auf eine Reaktion. Doch Sheng sah aus als würde er rein gar nichts fühlen. Zumindest nicht in diesem Moment. Dann hob er die Augen, richtete sie auf den Drachenkrieger und fragte mit fester, ruhiger Stimme: „Irgendwelche Vorschläge oder Pläne sie herauszubekommen?“
Po sah den jungen Mann überrascht an. Er hatte mehr Tränen erwartet oder Fragen über das Wohlergehen seine Mutter, aber er war mehr als neutral.
„Äääääääähhhhhhhhhh… Noch nicht“, überwand sich Po zu sagen. „Zumindest noch nicht, im Moment.“
Po wich ein Stück zurück, als der Pfau mit dem Flügel auf den Tisch schlug. „In diesem Fall werde ich die Sache wohl selber in die Hand nehmen müssen!“
Damit stand er auf, verbeugte sich vor Mr. Ping, dankte fürs Mahl, dann verließ er den Raum. Der Gänserich und der Panda sahen ihn verwundert nach. Für mehr als 10 Sekunden wusste Po nichts zu sagen. Dieser Junge war das genaue Gegenteil von seiner Schwester und so – neutral.
„Mach dir nichts draus“, meldete sich eine Frauenstimme und Xinxin betrat die Küche. „Es ist nicht wegen euch“, sagte die Füchsin. „Du musst verstehen Xiang hatte ihn hart darauf trainiert seine Gefühle nicht zu zeigen. Er sollte niemals solche Dinge vorweisen.“ Sie pausierte. „Wie man sieht, mit Erfolg.“ Mit einem tiefen Seufzer rieb sie sich über den Kopf. „Aber ich wollte nur sagen, dass sie wieder zu sich bekommen ist.“
„Wer?“, fragte Po.
„Die Wahrsagerin.“
„Oh, kann ich zu ihr?“
Das Dienstmädchen zuckte kaum sichtbar die Achseln. „Nun, Lord Shen ist bei ihr.“
Ihre Atmung wurde wieder kräftiger. Mit wachsamem Blick beobachtete sie der Pfau. Seit über eine Stunde stand er neben ihrem Schlafplatz in einem der vielen Häuser. Ihr Schwager sah von Zeit zu Zeit nach ihr. Der Pfau hielt den Atem an, als sie die Augen öffnete.
Zuerst schien sie erschöpft zu sein, doch dann lächelte sie ihn an. Shen zwang sich zu einem kleinen Rück-Lächeln, aber er war nicht so sehr erfolgreich mit dieser Geste.
„Das ist das erste Mal, dass ich auf dein Erwachen warten musste“, sagte er leise.
Sie seufzte erfreut. „Wie geht es ihm?“
„Es geht ihm wieder gut“, antwortete er.
Ein erneuertes Seufzen und sie lehnte sich auf ihrem Kissen zurück. Er reckte den Hals, nur um festzustellen, dass sie nicht schon wieder in Ohnmacht gefallen war. Aber ihre Atmung war normal und er konnte beruhigt sein.
„Nun, ich wollte nur sehen, ob alles in Ordnung ist.“
Er wandte sich ab, aber ihre Stimme hielt ihn zurück.
„Sag mir den Grund.“
Er hielt im Gehen inne. „Der Grund für was?“
„Ich hab davon gehört, was zwischen ihm und dir los war.“ Sie hatte ihre Augen wieder vollständig geöffnet. „Warum?“
Der Pfau sah sie an und verengte grimmig die Augen. „Wie hätte ich mich denn sonst verhalten sollen?“
„Du weißt ganz genau, was ich meine“, flüsterte sie sanft. „Es ist wegen deinem Vater, nicht wahr?“
„Wie…“ Doch Shen bremste sich noch im letzten Moment und senkte den Blick. „Das... war‘s nicht…“
„Wieso gabst du ihm dann keine Umarmung, nachdem du ihn im Bett umarmt hattest?“
Der weiße Lord biss sich auf die Unterlippe. „Ich konnte nicht…“ Er nahm einen tiefen Atemzug. „Und ich kann nicht.“
Für einen Moment herrschte Stille zwischen ihnen, bis die Ziege einen neuen Start versuchte. „Ich erinnere mich noch wie dein Vater dich umarmte, als du noch ein kleines Kind gewesen warst.“
Sie konnte es nicht sehen, aber in Shens Flügeln wuchs eine Anspannung. „Du weißt gar nichts.“
Sie seufzte laut, aber sie fuhr unbeirrt fort: „Du warst immer sehr glücklich gewesen, wenn er dich umarmt hatte. Die Staatsgeschäfte hatten ihn zwar sehr beansprucht, aber du und er hatten trotz allem irgendwie Zeit als Familie gehabt.“
Der Pfau wandte sich von ihr ab. Er wollte sie nicht ansehen.
Sie ließ eine Zeit verstreichen bevor sie wagte das Schweigen zu brechen.
„Es schmerzt dich, dass er dich abgelehnt hatte. Ist es nicht so?“
Der Pfau stand da ohne auch nur ein Wort zu sagen. Normalerweise redete er nie über solche Dinge, aber gegenüber ihr hatte er keine Hemmungen zu sagen, was er dachte.
„Als er mir sagte, ich sollte mein Zuhause verlassen“, wisperte er. „Dachte ich, seine Vaterrolle war nur Fassade.“ Ein bitterer Unterton lag in der seiner Stimme. „Ich wollte das nie wieder fühlen.“ Er machte eine Pause, dann sah er wieder zu ihr. „Befriedigt das deine Frage?“
Sie sah ihn schweigend an und seine verengten Augen beendeten ihr Gespräch. Plötzlich sprang er zur Tür und riss sie mit harscher Bewegung auf. Als Pos Augen auf seine trafen, fiel der Panda fast nach hinten.
„Äh, ich… hab nicht… ich wollte gerade an die Tür klopfen“, entschuldigte sich der Panda schnell.
Shen knurrte ihn an. „Gibt es nicht mal einen Moment, wo ich deinen Augen nicht entkommen kann?!“
Po lächelte nervös und winkte der Wahrsagerin zu. „Hi, schön zu sehen, dass Sie wieder wach sind.“
Shen hob den Kopf und stolzierte davon. „Ich lass euch jetzt allein.“
Niedergeschlagen sah Po ihm nach. „Ist er immer noch sauer auf mich?“
Die Ziege hob beruhigend den Huf. „Es war ein harter Tag für uns alle gewesen.“
„Oh, ja.“
„Nun?“ Sie beugte sich zu ihm nach vorne. „Was führt dich zu mir, großer Krieger?“
„Was… oh, oh, ja, ja. Tut mir leid.“ Kichernd trat Po näher. „Ich bin nur gekommen… nun, ich wollte auch nachsehen, ob es Ihnen gut geht oder nicht… und… ich-ich hab nur… nun… ich wollte Sie fragen… was war das?“
Sie strich sich übers Kinn. „Was meinst du, starker Krieger?“
„Dieses scheinende fliegende Ding.“ Mit diesen Worten vollführte Po ein paar Schwingungen mit den Tatzen.
Die alte Ziege lächelte. „Chi.“
„Chi?“ Po konnte mit dem Begriff nichts anfangen. „Was ist Chi? Kann ich das auch lernen?“
Die Wahrsagerin schmunzelte. „Drachenkrieger. Es wird die Zeit kommen, wo es dir geoffenbart wird.“
Enttäuscht ließ Po die Schultern sinken. „Warum willst du es mir denn nicht jetzt sagen?“
Doch die Ziege winkte sanft mit den Hufen. „Übe dich in Geduld, großer Krieger. Deine Zeit wird kommen. Aber bis dahin, denke ich, hast du wichtigere Dinge im Moment zu tun.“
„Shen? Sheng?“ Mühsam stampfte Po zwischen den Häusern durch den Schnee, wobei er immerzu ihre Namen rief. Es lag immer noch eine kalte Nacht über dem Dorf, aber zumindest hatte das Schneien aufgehört. „Oh Mann. Ich hoffe, ich verwechsele ihre Namen nicht noch irgendwie.“
Er hielt abrupt an, als er beinahe gegen einen blaugrünen Pfau geprallt wäre.
„Oh, tut mir leid, tut mir leid. Ich hab dich nicht gesehen.“
Langsam drehte sich Sheng zu ihm um und sah ihn gleichgültig an. „Macht nichts.“ Dann wanderte sein Blick wieder geradeaus. Po schaute ihm über die Schultern und sah, dass Shen nicht weit von ihnen entfernt stand und ihnen den Rücken zugewandt hatte. Der Pfau befand sich in einem alten verlassenem Haus, das am Ende des Dorfes lag, vielleicht eine Art Schuppen, wo er sich auf einem großen alten querliegenden Holzbalken niedergelassen hatte und den Mond zu beobachten schien.
Sheng stand am Eingang des Hauses und sah schweigend zu ihm rauf. Po wusste nicht, was er von diesem Szenario halten sollte. „Kann ich irgendetwas tun...?“
Sheng hob seinen Flügel und Po blieb das Wort im Halse stecken. Seine Augen wanderten von einem zum anderem hin und her. Er war kurz davor Shen etwas zu fragen, doch dann hielt er es doch für das Beste gar nichts zu sagen. Ohne ein Wort zog er sich zurück, ging ein paar Meter weg, wo er einen trockenen Platz unter einem Vordach fand. Dort nahm er eine Decke, wickelte sich darin ein und beobachtete die Vögel aus sicherer Entfernung. Er beobachtete und beobachtete. Niemand von ihnen sprach ein Wort, bis er die Augen schloss.
Die Sonne tauchte den Morgenhimmel in ein dunkel-helles Blau. Es war noch recht früh, als Po blinzelnd die Augen öffnete und laut gähnte. Er streckte seinen Körper, dann schaute er dort hin, wo er die beiden Vögel letzte Nacht noch gesehen hatte. Die Augen des Pandas weiteten sich. Es hatte sich nichts verändert. Beide Pfaue standen immer noch in derselben Position wie vergangene Nacht. Er schob die Decke beiseite und ging zu Sheng rüber, der immer noch den älteren Pfau auf dem Balken betrachtete.
„Sag mal, hab ihr hier etwa die ganze Nacht herumgestanden?“, fragte Po ungläubig.
Doch Sheng sprach kein Wort. Sein Blick war nur auf den Pfau auf dem Holzbalken gerichtet.
Po beobachtete ihn, bis sich knurrend sein Magen zu Wort meldete.
„Nun, ich denke, ich sollte mal nach dem Frühstück sehen.“
Damit verließ der Panda die beiden und ging zum Haus rüber, wo sich Mr. Ping aufhielt. Sheng schenkte ihm keine Beachtung und hielt seinen Starrblick auf Shen gerichtet. Es schien als würde die Zeit um sie herum stillstehen.
Der junge Pfau zuckte zusammen. Shen hatte sich bewegt. Mit geschlossenen Augen hielt er sich mit einem Flügel über die Stirn. Schließlich schaute er nach hinten, sodass sich ihre Blicke trafen.
„Was willst du?“
Der junge Prinz senkte den Blick.
„Verzeiht mein Verhalten“, begann er. „Dein Erscheinen kam sehr überraschend für mich.“
Shen machte einen Satz und glitt nach unten auf den Boden, wo er zwei Meter vor dem andern Pfau landete. Dann kam der weiße Pfau langsam näher und unterbrach nicht den Augenkotakt. Dann hielt er an.
„Und?“, fragte er. „Du willst Antworten? Die kann ich dir nicht bieten.“
„Nein“, sagte Sheng mit fester Stimme, aber sein Unterton klang sehr unsicher. Zum ersten Mal schien irgendetwas in seinem Inneren einzuknicken. „Ich… ich wollte dich nur darum bitten meine Familie rauszuholen.“
Shen hob überrascht die Augenbrauen. „Du bist gerade mal vor ein paar Stunden dem Tod entkommen, und redest jetzt schon über sowas?“ Plötzlich schmunzelte er. „Du hast einen starken Willen.“
Er umkreiste seinen Sohn und studierte ihn genau. „Wenigstens, hast du eine gute Erziehung erhalten, vermute ich mal.“
Als er hinter ihm zum Stehen kam, drehte sich Sheng schnell zu ihm um, sodass sie sich wieder Auge in Auge gegenüberstanden. Shen verwirrte dieses Verhalten ein bisschen. Die Augen des jungen Mannes sprachen eine harsche Sprache.
„Ich muss mich für meine Scheu entschuldigen, die ich dir gegenüber gezeigt habe“, sagte der Jüngere. „Es war ein Fehler gewesen. Das wird nie wieder vorkommen.“
Er stand da, feste und steif. Shen konnte sich diesen Ton nicht erklären.
„Wovon redest du da?“
„Ich war nicht Herr der Lage gewesen und ich entschuldige mich dafür.“
„Wie meinst du das?“
„Ein Soldat hat stets zu stehen und keine Schwäche zu zeigen. Und ich war schwach gewesen.“
Shen kicherte, wurde dann aber sofort wieder ernst. „Ich sehe, dass dir eine militärische Ausbildung zuteilwurde, hab ich recht?“
Sheng hob den Kopf etwas höher. „Die Beste. Xiang hat mich persönlich ausgebildet.“
Der weiße Pfau nickte. Dann wandte er sich ab und ging nach draußen. Sheng folgte ihm.
„Nun“, begann Shen. „Was sagt denn deine Mutter dazu? War sie damit einverstanden gewesen?“
„Was sollte sie denn dazu sagen?“ Sheng klang überrascht.
Shen hielt an und sah ihn an. „Sie ist deine Mutter.“
Der junge Vogel zuckte die Achseln. „Na und? Sie hat vom Kämpfen doch keine Ahnung.“
Shen zögerte mit seiner Erwiderung. Seine Augen verengten sich ein bisschen. „Woher nimmst du die Dreistigkeit so über deine Mutter zu reden?“
Der junge Pfau hob den Kopf noch höher. „Wie kanns du es wagen so darüber zu sprechen?“
„Ich bin dein Vater, und ich erlaube dir nicht so über deine Mutter herzuziehen.“
„Gestern wolltest du sie noch umbringen.“
Shen zischte auf. „Woher weißt du das?!“
„Der Drachenkrieger hat es mir erzählt.“
„So nennst du ihn also?“
„Wie soll ich ihn denn sonst nennen?“
Doch Shen ging nicht näher darauf ein und wandte sich erneut ab. „Egal.“
Er setzte seinen Spaziergang fort, aber Sheng dachte nicht daran ihr Gespräch auf diese Art zu beenden.
„Was ist eigentlich los mit dir?“, fragte er laut. „Wie denkst du über Mutter?“
Doch Shen wich seinem Blick aus. „Vielleicht hab ich mich geirrt“, murmelte er vor sich hin.
„Geirrt mit was?“
Doch Shen umging erneut eine Antwort. „Reden wir über was anderes.“
Plötzlich sprang der blaugrüne Vogel vor und versperrte ihm den Weg.
„Nein, du wirst mir antworten, gleich hier und jetzt!“
Shen wich zurück und nahm eine Kampfhaltung ein. Sheng tat es ihm gleich und beide Vögel standen sich mit starrend festen Augen gegenüber. Jeder beobachte die Bewegungen des anderen ganz genau.
Sie hielten ihre angespannten Flügel, bis ein sehr kleines Lächeln die Schnabelwinkel des weißen Lords umspielte.
„Tz. Vielleicht hatte sie recht.“
Sheng hob skeptisch die Augenbrauen. „Wer?“
„Deine Schwester. Wir sind uns wirklich sehr ähnlich.“
Allmählich entwich den beiden langsam die Anspannung. Schließlich legte Shen die Flügel zusammen und machte ein paar Schritte zur Seite. „Deine Mutter war eine nette Person. Das ist alles, was ich über sie sagen möchte.“
Sheng schnaubte. „Ja, du hast sie rein zufällig kennengelernt. Und nach 17 Jahren wissen wir erst jetzt, dass nichts so ist wie es gewesen war.“
Shen senkte ein wenig den Blick. „Deine Mutter konnte wohl nicht darüber reden.“
„Das ist keine Entschuldigung“, erwiderte der junge Pfau barsch.
Shen sah ihn von der Seite an. „Du scheinst recht verärgert über sie zu sein.“
Sein Sohn funkelte zurück.
Der ältere Vogel schmunzelte. „Sehr emotional.“
„Nein!“ Wieder nahm Sheng eine strenge Haltung ein. „Das war nur eine begründete Empörung.“
„Sie wird einen Grund für ihr Verhalten gehabt haben.“
„Wieso verteidigst du sie jetzt?!“ Wieder stellte sich Sheng ihm in den Weg. „Jetzt bist du emotional!“
Shens Gesicht verdüsterte sich. „Ich hab mehr Dinge im Leben gesehen als du.“
„Aber du kennst mich nicht.“
„Niemand hat mir je von dir erzählt.“
Das war genug für Sheng und hob die Flügel. „Na schön, wir drehen uns im Kreis ohne an ein Ziel anzukommen.“
Shen seufzte. „Nun denn, belassen wir es dabei.“
Schweigend gingen sie Seite an Seite durch die verschneite Landschaft, bis Shen wagte die Stille zu unterbrechen.
„Nun, du hast also vor sie da rauszuholen, sehe ich das richtig?“
Sheng nickte. „Ja.“
„So, und wie willst du das anstellen? Die Festung stürmen?“
Sheng hob trotzig den Kopf. „Ohne Armee wäre das unmöglich. Aber da muss es einen Weg geben. Alles kann möglich sein.“
Shen stieß ein abfälliges Schnauben aus. „Ist das auch wieder eine von Xiangs Weisheiten? Hast du jemals einen Krieg geführt?“
Der junge Pfau erwiderte nichts und Shen hatte damit seine Antwort.
Der Lord mied seinen Blick. „Aber ich tat es.“
„Und hast glatt verloren.“
Shen vereiste bei diesen geäußerten Worten seines Sohnes.
„Uns sind Berichte über den Kampf zu Ohren gekommen“, fuhr Sheng fort. Kälte lag in seinen Worten. „Xiang meinte, dass deine Strategie mehr als schlampig gewesen wäre.“
Ein Licht blitzte in der Sonne auf, doch Sheng rannte nicht weg. Mit festem Blick starrte er auf das federgeformte Messer, dessen Spitze fast seinen Schnabel berührte. Beide Vögel stierten sich an. Keiner von beiden wollte nachgeben. Eine Weile lang verharrten sie so. Schließlich steckte Shen das Messer weg und ging wortlos davon und schenkte seinem Sohn keinen letzten Blick.
Schweigend schlürfte Po seine Suppe. Er hatte die Vögel eine Weile lang beobachtet und jedes Wort mitangehört. Jetzt sah er wie sie auseinander gingen. Und es war nicht gerade ein friedliches Verabschieden.
Tief in Gedanken versunken ging Po zu einer Bank rüber und löffelte seine Suppe weiter neben dem Haus aus. Nachdem er die Schüssel geleert hatte, betrachtete er den Schnee, der in der Morgensonne glitzerte.
Theoretisch hatten ja beide Vögel recht. Sie konnten die anderen nicht im Stich lassen. Das war es, was sie nach alldem ganzen Chaos über Yin-Yus Brief und Shengs beinahe Ableben total vergessen hatten. Doch andererseits, Shen hatte nicht ganz Unrecht mit seinen Zweifeln in die Burg der Hunnen zu gelangen.
Auf einmal vernahm er ein lautes Keuchen. Irgendjemand rannte in seine Richtung den Hügel rauf.
„Ich hatte geahnt, dass ich euch hier finden würde“, japste eine vertraute Person.
Mit großen Augen sah Po das Händler-Schaf Hangfan, der sie zuvor über die Grenze gebracht hatte.
„Was machen Sie denn hier?“, fragte Po noch immer recht verwundert. „Wie geht es den anderen?“
Das Schaf hielt an und keuchte schwer. „Oh, ich weiß nicht, ob es für eure Ohren gute oder weniger gute Nachrichten sind.“
„Du meinst wohl, schlechte Nachrichten, oder?“
„Nun, schlechte Nachrichten wären es mehr, wenn etwas Schlimmes passieren würde. Aber vielleicht ist es nicht so schlecht.“
„Ja, ja, okay, okay.“ Po wurde nervös. „Ich hab’s kapiert. Aber was ist denn passiert?“
„Nun, nach alldem was ich erfahren habe“, begann das Schaf. „Zumindest hat es mir ein Soldat erzählt, wäre Xiang wieder inhaftier worden. Er war ausgebrochen, kurz nachdem wir in der Burg angekommen waren. Keiner weiß wie er das geschafft hatte.“
„Was ist mit Xia und ihrer Mutter?“, erkundigte sich Po ungeduldig.
„Alles was ich weiß ist, dass sie sich im Hauptgebäude der Burg befinden. Sie scheinen unversehrt zu sein, aber sie sind eingesperrt in einem Raum. Und… und.. ich hörte ein Gerücht, dass König Wang vor hat Yin-Yu zu heiraten.“
„Hä?“ War alles was Po dazu sagen konnte.
Mit langsamen Bewegungen strich sich die Pfauenhenne die Federn glatt. Sie saß vor einem Spiegel und warf ihrer Tochter von Zeit zu Zeit einen Blick zu, die sie von hinten beobachtete. Zusammen teilten sie sich ein Zimmer, wo Yin-Yu die letzten paar Tage in König Wangs Räumen verbracht hatte. Es war kein schlecht eingerichteter Raum. Tische, Stühle und nette Dekorationen ergaben den Eindruck eines Frauenzimmers. Doch all dies konnte niemanden von ihnen aufheitern.
Schuldbewusst senkte Xia den Blick. „Es tut mir leid, Mutter. Ich hab alles nur noch schlimmer gemacht. Ich wollte dich doch nur einmal glücklicher sehen.“
Langsam drehte sich ihre Mutter zu ihr um. Ihr Gesicht sah müde und traurig aus, aber ihre silbernen Augen zeigten, dass noch Leben in ihr vorhanden war.
Sie schenkte ihr ein Lächeln „Ich weiß.“
Doch das konnte ihre Tochter nicht beruhigen. „Ich hätte nie gedacht, dass er sowas tun würde.“
Die ältere Pfauenhenne senkte ihre Augen, bevor sie sich erhob und ihre Flügel auf Xias Schultern ruhen ließ. „Ist schon gut, schon gut.“ Ihre Stimme klang schwach, aber sie versuchte stark zu wirken. „Mach dir nichts draus. Es war schön zu sehen, dass es ihm gut geht.“
Sie senkte den Blick und flüsterte. „Wenigstens durfte ich ihn noch ein letztes Mal sehen.“ Ein sanftes Lächeln umspielte ihren Schnabel. „Er hatte schon immer ein wildes Temperament.“
Sie hob den Kopf wieder und sah ihre Tochter an. „Aber die Hauptsache ist, dass du und dein Bruder am Leben bleibt.“
Xia erzwang ein sehr bitteres Lächeln, als sie an Shengs schlechten Zustand dachte. Aber sie konnte ihr einfach nicht die Wahrheit sagen. Ihre Mutter sollte mit diesen Gedanken leben.
Der Griff von Yin-Yu um ihre Tochter wurde fester. „Alles andere ist unwichtig.“
„Du bist nicht unwichtig!“, betonte Xia. „Wir brauchen dich.“
Plötzlich ertönte ein Klopfen an der Tür.
Sie ließ von ihr ab. „Sie kommen.“
Zum letzten Mal strich sie über ihre Federn.
„Du musst das nicht tun!“, rief Xia und versuchte sie daran zu hintern an die Tür zu gehen. „Bitte, geh nicht auf seinen Vorschlag ein!“
Doch ihre Mutter nahm sie feste an den Flügeln und schob sie sanft beiseite.
„Mach dir nichts draus.“ Sie lächelte ihr zu. „Es wäre nicht meine erste Zwangsheirat.“
Damit öffnete sie die Tür, wo die Ochsen-Soldaten schon bereites auf sie warteten. Dann wurde die Tür wieder verschlossen und ihre Tochter blieb allein im Zimmer zurück. Plötzlich rannte das junge Mädchen an die Tür und hämmerte wie wild dagegen. „MUTTER!“
Yin-Yus Herz setzte einen kurzen Moment aus, als die Wächter die Tür zu König Wangs Raum öffneten. Sie behielt ihre aufrechte Haltung bei, jedoch mit einem traurigen Ausdruck. Jeder konnte ihr ansehen, dass es nicht gerade ihr glücklichster Tag war. Besonders da ihr Kopf mit allerlei Fragen füllt war, die ihren Geist quälten. Alles erschien so unrealistisch, wie in einem schlechten Traum.
König Wang stand am Fenster. Als sie hereinkam, drehte er sich zu ihr um und kam näher bis sie sich in der Mitte des Raumes trafen.
„Habt Ihr Euch gut erholt?“, fragte er.
Sie nickte.
„Ich muss mich nochmal für den Zwischenfall entschuldigen. Es ist mir ein Rätsel wie er aus dem Gefängnis rausgekommen ist.“
Sie betrachtete ihn, als ob sie das alles gar nicht interessieren würde. Nichts schien sie mehr zu interessieren. Ihre Gedanken waren die ganze Zeit nur auf eine einzige Person gerichtet.
Der große Ochse betrachtete sie aufmerksam. „Haben Sie über unseren Vorschlag nachgedacht?“
Sie seufzte, aber sie nickte.
„Und? Wie lautet Ihre Antwort?“
Zwei Sekunden verstrichen, doch bevor sie ihren Schnabel bewegen konnte, kam Wang ihr zuvor.
„Ihr dürft mich nicht falsch verstehen. Bevor ihr eine Antwort gebt, möchte ich nochmal betonen, dass ich Euch nicht dazu zwingen möchte, aber ich halte es immer noch für die beste Lösung.“ Er verschränkte die Arme auf den Rücken. „Und noch etwas. Meine Soldaten berichteten mir von ein paar Fremden. Kannten Sie die?“
Sie zögerte. Ein dunkler Schatten lag über ihren Augen.
König Wang wandte nicht den Blick von ihr ab. „War er ein Freund von Ihnen?“
Sie zuckte zusammen und bewegte sich von ihm weg. „Nein, nicht wirklich, vielleicht mehr…“
Sie trat ans Fenster und beobachte den Schnee. Ihr Geist war so aufgewühlt. Ein Chaos wie Schneeflocken im Wind hin und her getrieben. So viele Fragen ohne Antworten.
Was hatte sie nur getan? Noch nie hatte sie so viel Hass in ihm gesehen wie gestern. Sie konnte sich nicht erklären warum. Alles woran sie sich erinnerte, waren ihre wundervollen Momente miteinander. Sie wollte sie nie vermissen. Nicht einmal wegen seiner Wut. Was immer auch passiert war, sie war froh darüber, dass Xiang ihr versichert hatte, dass er dafür sorgen würde, dass er ihn aus der Burg schaffen würde.
„Schnee ist wunderschön“, murmelte sie.
König Wang wusste nichts damit anzufangen. Eine andere Frage beschäftige ihn. „Dieser Panda, kannten Sie ihn?“
Sie schüttelte leicht den Kopf, immer noch aus dem Fenster starrend.
„Schade. Ich hatte gehofft, dass es dieser besondere Panda wäre, über den China die ganze Zeit spricht.“ Er verwarf diesen Gedanken wieder. „Aber ich denke, dass ist im Moment unwichtig.“
Er sah sie an. Sein Blick ruhte auf ihr. „Ich weiß, dass Sie Ihren Ehemann hassen, nicht wahr?“
Sie schlang ihre Flügel um sich selbst. Sie wollte nicht darauf antworten. Aber ihr Schweigen sprach eine deutliche Sprache.
König Wang trat näher an sie heran. „Nun denn. Sind Sie mit meinem Angebot einverstanden?“
Sie hob den Kopf. „Ja…“
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Der König und die Lady drehten sich überrascht um. Soldaten traten ein, die bis an die Zähne bewaffnet waren.
„Was hat das zu bedeuten?“, fragte König Wang.
Nachdem fünf Soldaten die Türschelle überquert hatten, trat ein anderer größerer Ochse zwischen ihnen hervor und trug auch weniger Waffen als die anderen.
„Guo!“, rief König Wang. „Was geht hier vor?“
Yin-Yu erkannte den Ochsen, der zuvor Xiang in den versteckten Gängen abgefangen hatte.
„Mein letzter Befehl, mein König“, sagte Guo und winkte hinter sich.
Die Soldaten traten beiseite und eine weitere Person betrat den Raum. Beide wusste nicht was sie sagen sollten, als Xiang böse lächelnd auf sie zukam.
„Seid ihr so überrascht mich hier zu sehen?“
Der farbige Pfau kicherte. Wang und Yin-Yu tauschten Blicke.
„Ich-ich hatte keine Ahnung davon…“, stotterte die Pfauenhenne.
„Wie immer”, schnitt Xiang ihr das Wort ab. „Jedoch bin ich sehr enttäuscht darüber, was du da still und heimlich hinter meinem Rücken treiben wolltest.“ Der Pfau zeigte eine gespielte Niedergeschlagenheit und ging auf sie zu. „Es stimmt mich traurig zu hören, dass wir nicht mehr so gut miteinander auskommen.“
Er hielt vor ihr an. Sie senkte den Kopf und duckte sich wie ein unterwürfiger Hund.
Xiang streckte seinen Flügel nach ihr aus und hob ihr Kinn an. „Wie tief kann man nur sinken?“
Der folgende Schlag in ihr Gesicht war nicht sonderlich hart, aber schmerzhaft. König Wang wollte ihn von ihr wegzerren, aber Soldaten umkreisten ihn mit ihren Schwertern.
„Ich verlange eine Erklärung!“, befahl er.
Xiang ließ von Yin-Yu ab. „Du willst es wissen? Mit einem einfachen Wort erklärt: Revolution. Meine Revolution. Gegen dich.“
Wangs Augen wanderten zu Guo. „Was habe ich dir jemals getan?“
„Genau das ist das Problem“, meinte Guo. „Nichts. Gar nichts hast du für mich getan. Er hat mir halt ein besseres Angebot gemacht.“
Xiang lachte. „Nur keine Sorge. Ich hab nicht alle deine Leute in dieser Burg bekehrt. Über die Jahre hinweg hab ich genug deinesgleichen bestochen, um mir die Kontrolle über diesen kleine Ort zu sichern. Und er wird meine Anweisungen ausführen.“ Er winkte rüber zu Guo. „Ich werde meinen neuen Platz einnehmen, und du wirst deinen neuen Platz finden.“ Er hob die Flügel. „Sperrt ihn ein!“
Dann wandte er sich an Guo. „Und du und ich, wir geben den Rest von diesem Volk eine Erklärung ab. Machen wir es so schnell wie möglich. Ich habe schon viele Jahre auf diesen Moment gewartet.“
Seine blauen brennenden funkelnden Augen ruhten auf der Pfauenhenne. „Und du… wir reden später weiter!“
„Und so sieht es momentan aus“, beendete Po seinen Bericht nachdem Hangfan den anderen die Nachricht übermittelt hatte.
Sie standen zusammen in einem Raum mit ein paar anderen Schafen, Mr. Ping, der Wahrsagerin, sie sich wieder vollständig erholt hatte, Shen, und auf der anderen Zimmerseite mit Abstand zu seinem Sohn Sheng. Pos Blick ruhte besonders auf Shen. Doch der Vogel zeigte keinerlei Gefühlsregungen.
„Hey!“, rief Po. „Sie ist gerade dabei wieder einen anderen zu heiraten! Macht dir das denn nichts aus?!“
Doch der weiße Pfau wandte sich wortlos ab und verließ den Raum. Po wollte ihm folgen, doch die alte Ziege hob den Arm und hielt ihn von seinem Vorhaben ab.
Sheng sah seinem biologischen Vater argwöhnisch hinterher. Dann ergriff er das Wort. „Ich bin jederzeit bereit sie da rauszuholen.“
„Das ist ja alles schön und gut“, meinte das Händler-Schaf. „Aber wie willst du in das Land der Hunnen reinkommen? Die Grenzen sind geschlossen. Selbst wenn sie das nicht wären, ich hab diese Woche keine Lieferung mehr an die Festung. Wir haben keinen Vorwand da reinzukommen.“
Po rieb sich die Stirn. „Vielleicht könnten wir sagen, wir wären von einer Untersuchungsbehörde für illegale Grenzübergänger. Oder eine Touristengruppe, die die Burg besichtigen möchte.“
Natürlich war das alles höchst unglaubwürdig, was auch Po einsehen musste.
„Vielleicht gibt es ja noch eine andere Möglichkeit.“
Plötzlich sprang eine kleine Zikade auf Pos Kopf.
„Tu? Was machst du denn hier? Du solltest doch bei den anderen in der Burg sein und sie überwachen.“
„Was sollte ich denn dort tun? Und überhaupt, wie wollt ihr sonst in die Festung gelangen?“
„Okay, okay”, unterbrach Sheng. Obwohl er keine Ahnung hatte wer Tu war oder woher er kam. Er wollte nur so schnell wie möglich einen Plan auf dem Tisch haben. „Du sprachst von einer anderen Möglichkeit und woraus besteht sie?“
„Nun“, begann Tu. „Vor der Grenze liegt ein versteckter Tunnel, der unter das Gemäuer führt.“
„Hä?“ Po nahm ihn von seinem Kopf runter. „Wieso haben wir diesen Weg nicht von Anfang an genommen?“
„Nun, die Sache hat einen Haken.“
„Einen Haken?“
„Dieser Tunnel ist nicht mit den unterirdischen Gängen verbunden. Er führt dich nur zum Gefängnis. Ursprünglich war er als Fluchtweg gedacht, während die Burg noch unter chinesischer Herrschaft für eine Weile gestanden hatte. Nicht einmal Wang weiß von seiner Existenz.“
Po rieb sich übers Kinn. „Nun, ist zumindest besser als gar nichts.“
„In diesem Fall brechen wir sofort auf“, verkündete Sheng und wandte sich zur Tür.
„Du bist aber schnell“, meinte Po.
Sheng warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Ich will meine Mutter und meine Schwester befreien.“
„Und was ist mit Xiang?“
Sheng hielt inne.
„Du hast dich nicht einmal nach ihm erkundigt. Warum nicht?“
Der junge Pfau hob die Nase hoch. „Er schafft das alleine. Er schafft immer alle Dinge alleine. Wenn dem nicht so wäre, so wäre er ein Schwächling.“
„Denkst du wirklich so?“
„Er sagte es mit seinen eigenen Worten“, kommentierte Sheng eisig. „Sonst wäre er ein Nichts. Das ist was er stets zu sagen pflegte.“
Damit verließ er den Raum und ging nach draußen.
Pos Augen wanderten rüber zu Mr. Ping. „Ähm, nun, ich vermute mal, dass du nicht mitkommen willst, oder?“
Mr. Ping lächelte. „Ich bin mir sicher, dass du das schaffen wirst, Po. Und nebenbei bemerkt, ist es wohl das Beste, wenn ich mein Bein noch etwas schone.“
„Oh, ja, dein Bein… DEIN BEIN! Warum hast du mir nichts… oh, dein Bein, dein Bein! Das hab ich ja total vergessen!“
„Aber Po, er war doch nur verstaucht. Es ist schon alles wieder in Ordnung.“
Po schlug sich die Tatzen über den Kopf. „Es tut mir so leid, Dad! Ich hab gar nicht mehr daran gedacht… Ich hatte so viele Dinge im Kopf.“
„Po, jetzt mach dir mal deswegen keine Sorgen. Geh ruhig. Sie brauchen dich.“
Po schaute zur Tür. „Ich denke, sie brauchen jemanden mehr als mich.“
Shen stand außerhalb des Dorfes und ließ seinen Blick über die verschneide morgendliche Landschaft schweifen.
„Wird das jetzt zur Tages-Routine?“, murmelte Po, als er den weißen Pfau wieder so alleine dastehen sah und ihm den Rücken zugewandt hatte. Aber im Moment war jetzt keine Zeit über so etwas zu reden. Stattdessen ging er näher heran.
„Äh, Shen? Wir sind im Begriff uns auf dem Weg zu machen. Willst du jetzt mit uns mitkommen?“
Zuerst schwieg Shen. Doch dann bewegte er den Schnabel. „Ich denke, bei dir sind sie in besseren Händen als in meinen.“
Nervös rieb sich Po seinen Nacken. „Hey, hör mal. Ich - ich bin mir sicher sie… sie lie… mag dich immer noch.“
Shen schloss die Augen und senkte den Blick. „Warum sollte sie das tun?“
Der Panda rubbelte seine Fingerspitzen aneinander. „Äh, nun, vielleicht… ich… ich könnte mir das so vorstellen… Du.. du kennst sie besser als ich. Kannst du denn nichts fühlen, dass sie genauso fühlt? Komm schon. Du weißt es und ich weiß es auch.“ Er versuchte den Pfau von der Seite anzusehen. „Oder etwa nicht?“
Doch Shen sah ihn immer noch nicht an. „Wie kannst du über Dinge reden, von denen du keine Ahnung hast?“
Po nahm einen tiefen, verärgerten Atemzug. „Na schön, ich hab vielleicht von solchen Sachen nicht den blasstesten Schimmer, aber ich bin mir sicher, dass sie dir bereits vergeben hat.“
Jetzt überwand sich der weiße Lord ihn direkt in die Augen zu sehen und funkelte vor Ärger. „Woher willst du das wissen?!“
„Weil ich es bereits getan habe!“
Verwundert riss der Pfau die Augen auf.
Doch Po änderte nichts an seiner verärgerten Miene. „Ja, genau das ist das, was ich denke.“
Der Pfau brachte immer noch kein Wort heraus.
„Hast du denn bereits alles vergessen?“ Po klang ein wenig enttäuscht. „Der Tag im Tal des Friedens? Wir haben unsere Waffen niedergelegt. Hab dir ein Friedensangebot gemacht. Selbst nachdem ich wusste, dass du meine Eltern ermordet hast. Du hast mir schlimme Dinge angetan. Aber das ist nicht dasselbe, was du ihr angetan hast. Na schön. Du hast einen Fehler gemacht. Wir machen alle mal Fehler. Doch du hast bei ihr einen Vorteil. Sie hat dich geliebt. Oder etwa nicht? Und wenn du sagst, dass dir das alles Leid tut, dann bin ich mir sicher, dass sie dir verziehen wird, was du ihr angetan hast. Und sag jetzt nicht schon wieder, nein. Okay?”
Er verschränkte die Arme. Plötzlich war er selber über seinen Ton überrascht und befürchtete, er wäre jetzt zu weit gegangen. Aus diesem Grund hielt er es für das Beste ihn jetzt zu verlassen.
„Lass es uns wissen, wenn du mitkommen willst. Wir starten in 30 Minuten.“ Er zögerte. „Oh, und falls du wissen willst wie, wir werden einen kleinen Tunnel nehmen, der ins Gefängnis führt. Nur so eine Idee. Aber besser als gar nichts.“
„Sei bitte vorsichtig, Po“, bat Mr. Ping und umarmte den Panda.
„Das werde ich, Dad. Keine Sorge“, sagte Po und legte nun ebenfalls seine Arme um ihn herum.
Sheng, der neben ihnen stand, beobachte die beiden nachdenklich. Aber nur für ein paar Sekunden.
„Können wir jetzt gehen?“, fragte er ungeduldig.
„Na gut.“ Po gab Mr. Ping noch einen letzten Drücker. „Wir werden bald wieder zurück sein.“
Er entließ den Gänserich, doch plötzlich hob er überrascht den Kopf. Ein vertrauter weißer Pfau spazierte durch den Schnee, trug seine weiß-rote dicke Robe und sah die kleine Gruppe mit tiefster Gleichgültigkeit an. Er streifte die Augen seines Sohnes sehr kurz, dann drehte er sich nach links und erweckte den Eindruck als würde er nur auf etwas warten. Po lächelte. Shen musste es nicht sagen, aber er war bereit mit ihnen zu gehen.
„Nuuunnnn“, verkündete Po gedehnt und wandte sich der Zikade Tu zu. „Dann zeig uns mal den Weg. Wir sind bereit.“
Die Zikade zitterte mit ihren Antennen. „Na gut. Aber nur wenn ich auf deinem Kopf bleiben darf.“
„Auf meinem Kopf?“
„Ich bin nicht so ein großer Kerl wie du, der so lässig durch das gefrorene Wasser stolzieren kann.“
„Oh, okay.“
Damit nahm das kleine Insekt seinen Platz ein und die Gruppe setzte sich in Bewegung. Zuerst Po und Tu, dann Sheng. Shen wartete noch bis sie an ihm vorbei waren, und war gerade im Begriff ihnen zu folgen, als ihn jemand im nächsten Moment am Ärmel festhielt.
Er schaute auf die Wahrsagerin, die ihm ein bittendes Lächeln schenkte.
„Shen. Es ist noch nicht vorbei.“
Sie hielt ihm etwas hin. Es war die weiße Feder mit dem roten Kreis und dem schwarzen Fleck in der Mitte, die Xia ihm bei ihrem ersten Treffen gezeigt hatte. Yin-Yus Andenken an ihn.
Shen nahm die Feder und betrachtete sie. Dann steckte er sie unter seinen Flügelfedern und setzte seinen Weg fort.
Mr. Ping und die Wahrsagerin blieben vor den Häusern stehen und sahen ihnen nach.
„Viel Glück!“, rief Mr. Ping
„Danke, Dad!“, rief Po zurück und winkte ihm zu. „Nur keine Sorge. Wir passen schon…“
Plötzlich rutschte er aus und schlittete den Hügel runter.
„Po!“
„Nichts passiert!“, hörte der Gänserich Pos Stimme zu ihm hoch rufen. „Alles in Ordnung!“
„Hier ist es!“
„Wo?“
Suchend sah Po sich um, doch alles was er erspähen konnte war nur Schnee und nochmals Schnee. Aber Tu, der immer noch auf seinem Kopf saß, deutete nach vorne. „Hier. Irgendwo.“
„Ich sehe nur Schnee.“
Die Zikade sprang runter und landete auf einem Stein. „Der Tunnel wurde schon seit vielen Jahren nicht mehr benutzt. Er ist mit Schnee bedeckt. Wir müssen ihn suchen.“
„Suchen?“
Po ließ die Schultern hängen. Sie standen mitten in einer steinigen Gegend, aber ohne einen Eingang vom Tunnel.
Schließlich seufzte er laut. „Na schön… in diesem Fall…“
Er kam nicht mehr dazu seinen Satz zu beenden, denn im nächsten Moment rauschte Sheng an ihm vorbei und wühlte im nächsten Schneehaufen.
„Worauf wartest du noch?“, drängte ihn der junge Pfau.
„Ist ja schon gut, ist ja schon gut.“ Sogleicht machte sich Po am nächsten Schneehügel zu schaffen. Im Gegensatz zu Shen, der sie beobachtete und seinen Blick über die Gegend wandern ließ.
„Hey!“, rief Po ihm zu. „Es wäre wirklich sehr nett, wenn du uns bei der Suche behilflich sein könntest.“
Doch Shen behielt seine Ruhe und ging einen verschneiten Hang entlang. Mit langsamen Schritten ging er durch den knietiefen Schnee und inspizierte die Landschaft genau. Schließlich hielt er an und beäugte den Boden.
„Ich glaub, ich hab ihn gefunden“, murmelte Po unter einem großen Schneeberg, aber in der nächsten Sekunde musste er sich korrigieren. „Äh, doch nicht, nur ein Mauseloch.“
Sheng erhob sich und wischte sich über die schneebedeckte Robe. Seine skeptischsten Augen blieben über dem weißen Pfau in seinem rot-weißen Mantel hängen.
Der Jüngere schnaubte und ging auf ihn zu. „Ist Mutter dir denn völlig egal?!“
Seine Stimme klang verärgert, doch der Lord bewegte keinen Gesichtsmuskel und strich mit seinen Fingerfederspitzen über eine dünne Schneewand. Plötzlich sprang er hoch und peitschte mit schneidenden Bewegungen seiner Flügel und Füße darüber. Die Schneewand bekam Risse, brach ein und gab den Weg zu einem hinter Steinen versteckten kleinen Spalt in den Felsen frei. Kurz darauf legte der weiße Pfau die Flügel wieder zusammen und stand da ruhig und still.
Po, der immer noch Schnee auf seinen Kopf hatte, rannte zu ihnen rüber und schaute sich das an. „Wow, bis du bei den Pfadfindern gewesen?“
„Lebenserfahrung“, antwortete der Pfau kurz und knapp.
Bewundernd hob der Panda den Daumen. „Respekt.“
Erst jetzt realisierte er die angespannte Atmosphäre zwischen den beiden Pfauen und versuchte die Lage etwas zu entspannen. „Gut, gut, gut, gut… na gut, wo geht's lang…? Hier lang…“
Er deutete nach vorne in die dunkle, schmale Felsspalte.
„An den Wänden hängt eine alte Laterne, soviel ich weiß“, fügte Tu hinzu.
Mit Mühe zwängte sich der Panda durch den Eingang, wo ihn kalte nasse Felswände begrüßten. „Oh, meine Güte, hier wären mal ein paar Renovierungsarbeiten nötig.“
Er fand die Laterne und Tu zündete sie an.
„Na schön“, rief Po und spähte nach draußen. „Wir können los.“
Er schwieg, als er Shen und Sheng immer noch vor der Höhle stehen sah und sich mit Blicken durchbohrten.
Schüchtern hob Po die Tatze. „Äh, vielleicht solltet ihr mal eine Auszeit nehmen.“
Plötzlich wandte Sheng sich nach links und schlüpfte in die Höhle. Po ließ ihn vorbei und schaute dann zu Shen. „Äh, kommst du…?“
„Geh vor“, sagte Shen ruhig, aber mit einer verärgerten Stimme.
„Okay.“ Damit zog sich Po in den Tunnel zurück. Kurz danach hob er die Laterne hoch und Sheng ging ihm voraus. Po seufzte und folgte ihm. Er hörte wie Shen ebenfalls eintrat und hinter ihm her ging. Tu nahm wieder seinen Platz auf Pos Kopf ein und zusammen folgten sie den Tunnel.
Die ganze Zeit über sprach niemand ein Wort. Nur ihre Schritte hallten an den kalten, dunklen Tunnelwänden. Po konnte die Stille nicht mehr länger ertragen.
„Hey, wie wäre es mit einem kleinen Spiel? Ich sehe was das du nicht siehst, und das ist…. grün.“
Niemand sagte etwas, bis Tu sich meldete. „Er.“
Er deutete auf Sheng.
„Ich bin mehr blaugrün“, erwiderte Sheng etwas gereizt.
„Okay“, entschuldigte sich Po. „Und weiß“, fügte er hinzu, aber sehr leise, doch Sheng hatte das gehört.
Der Pfau hielt an und wandte sich um. Ein gefährliches Funkeln lag in seinen silber-blaugrünen Augen. Po schluckte, doch dann bemerkte Sheng den Blick seines Vaters und wandte sich wieder ab.
Po versuchte es mit einem Lachen. „Nun, in diesem Fall spielen wir…“
Seine Augen trafen auf Shens und er unterbrach seinen Vorschlag. „… wir sollten still sein, nicht wahr?“
Shen wies dieselbe eisige Atmosphäre auf wie sein Sohn und Po entschied sich zu warten bis sich die Wogen etwas wieder geglättet hatten. Po bemerkte, dass er etwas hinter Sheng zurücklag und wollte dem Jüngeren nachlaufen. Er rannte nach vorne, stolperte dabei jedoch über einen kleinen Stein und fiel gegen den jungen Pfau.
„Hey!“, rief Sheng erbost.
„Oh, tut mir leid, Shen… äh, Sheng… äh… wir brauchen dringend mal einen anderen Namen für dich.“
„Was ist mit meinen Namen?“, fragte Sheng genervt.
„Nichts“, beeilte sich Po zu sagen. „Nichts, du hast einen schönen Namen. Ich dachte nur an etwas Besonderes, um eine Verwechslung vorzubeugen. Ich meine… Wie wäre es mit Sheng… Shen Junior… Nö… nein… ShenJo… SJ. Ich nenne dich SJ.“
„SJ?“
„Warum nicht? Das ist kurz und kling cool. Gib mir Fünf.“
Sheng kam sich richtig veralbert vor und verengte beleidigt die Augen.
Po zwang sich zu einem Lächeln. „Du bist wirklich wie dein Vater.“
Überrascht hob Sheng die Augenbrauen. „Wie denn das?“
Po wedelte mit den Tatzen. „Ach, egal. Ist es noch weit?“
Diese Frage galt Tu, der mit seinen Antennen vibrierte. „Ganz und gar nicht. Nicht mehr lange und wir werden das Ende erreicht haben.“
Po seufzte erleichtert. „Ich hoffe, es geht den anderen gut.“
Eine ganze Strecke weiter entfernt standen viele Ochsen-Soldaten auf dem Sammelplatz der Burg und schauten zu einem Balkon hoch, wo Guo stand und eine Rede hielt.
„Unglücklicherweise ist unser König Wang erkrankt. Er hat mich gebeten solange die Leitung zu übernehmen.“
Es folgte eine kleine Information über die aktuelle Situation und dass alles weiterhin so laufen würde wie bisher. Danach verließen die Soldaten den Platz und Guo zog sich in die Burg zurück, wo ihn bereits eine Figur erwartete, die sich die ganze Zeit in einer dunklen Ecke verborgen gehalten hatte.
„Nette Ansprache, Guo“, meinte Xiang sarkastisch. „Warum verkündest du nicht gleich eine Gehaltserhöhung, wenn du schon mal dabei bist?“
„Hey, das sind immer noch meine Leute, okay?“, knurrte Guo ärgerlich.
Der farbige Pfau zuckte die Achseln. „Na dann. In diesem Fall kannst du ja noch etwas Zeit mit ihnen verbringen.“
Damit wandte er sich ab.
„Und was ist mit dir?“
„Ich hab noch eine Unterhaltung vor - mit meiner… Frau.“
„Ich glaube, wir sind da.“
Po hielt die Lampe höher, aber alles was er erkennen konnte waren nur mehrere Sackgassen.
„Das ist ja alles schön und gut, aber wo ist der Ausgang, oder der Eingang, oder beides?“
Tu sprang von ihm runter und hüpfte von einer Sackgasse in die nächste.
„Jede Zelle hat seinen eigenen Ausgang. Wir müssen uns nur für einen von ihnen entscheiden.“
„Sehr hilfreich“, murmelte Po und schwang die Laterne in sämtliche Richtungen.
„Okay. Also ich würde sagen wir neeeeeehmeeeen…. Diese hier.“
„Warum gerade diese?“, fragte Sheng misstrauisch.
„Kung-Fu-Lebenserfahrung“, antwortete Po und spazierte nach links. „Nicht wahr?“
Po sah zurück auf Shen. Doch der weiße Lord sagte nichts. Po zuckte die Achseln und stellte die Laterne auf einer kleinen Stufe ab.
„Na gut“, murmelte er, hob die Tatzen und berührte die über ihren Köpfen liegende Steinplatte. „Das muss die Tür sein.“
Er drückte. Aber sie bewegte sich nicht von der Stelle. „Scheint eingerostet zu sein.“
Der Panda drückte weiter und nochmal, bis… „Ha! Ich hab’s geschafft!“
Staub rieselte auf ihn herab. Mit letzter Kraft drückte er die Steinplatte beiseite und der Weg war frei. Vorsichtig tastete er den Boden rund um das Loch ab.
„Ich kann es riechen“, flüsterte Po. „Der Geruch der Kriminalität.“
Niemand seiner Begleiter äußerste einen Kommentar zu seiner Erkenntnis und der Panda wagte einen Blick über den Rand. In der Gefängniszelle war es dunkel. Und kalt.
So kalt wie ein Gefängnis nur sein kann, dachte Po und spannte die Augenlider an. „Na schön. Ich check mal die Umgebung.“
Mit diesen Worten zog er sich rauf und landete auf den Steinboden. Zuerst blieb er so auf seinem Bauch liegen, dann kroch er vorwärts, immer Ausschau haltend nach einem verdächtigen Geräusch oder Person.
„Der Drachenkrieger setzt seine Tatzen auf das Gebiet des Feindes“, murmelte er leise zu sich selbst. „Die Luft scheint rein zu sein. Nichts entgeht meiner Aufmerksamkeit…. AHHH!“
Eine fremde Hand hatte sich auf seine Schulter gelegt.
Kaum hatte Po diesen markerschütternden Schrei losgelassen, da war Sheng auch schon aufgesprungen. Er raste raus in die Dunkelheit und schlug auf den Schatten ein, der sich über den Panda beugte. Jemand fiel stöhnend nach hinten.
Mittlerweile hatte Po sich wieder aufgerappelt und fuchtelte wie wild mit den Fäusten um sich.
„Wer ist da?!“, riefen zwei Stimmen gleichzeitig.
Plötzlich huschte ein weißer Schleier über den Boden. Der Lord hob die Laterne und leuchtete damit den Raum ab. In der Gefängniszelle standen Po, Sheng und eine andere große Figur an der Wand.
Überrascht sah Po auf. „Äh, den kennen wir doch, oder ist das ein Doppelgänger?“
König Wang war noch damit beschäftigt sich sein Kinn zu reiben, wo Sheng ihm so heftig einen Schlag versetzt hatte.
„Wie zum Ziegenbock kommt ihr hierher?“ Nach einigem heftigen Blinzeln starrte der Ochse die ungewöhnliche Gruppe verwundert an. „Hey, bist du nicht von gestern?“
Po verschränkte die Arme. „Nein, wir sind nicht von gestern, wir sind von heute.“
„Hey, bist du nicht sein Sohn?“, fragte König Wang, als er Sheng im schummrigen Licht erkannte.
„Wo ist meine Mutter? Wo ist meine Schwester?“, fragte Sheng statt einer Antwort.
„Deine Mutter? Das weiß ich nicht genau. Xiang hat sie in seiner Gewalt.“
„Hat er also schon damit angefangen?“
„Mit was angefangen?“
„Er hat doch den Übergriff absichtlich provoziert. Oder dachten Sie, er ließe sich aus Schluderei einfach so festnehmen?!“
Po rieb sich den Kopf. „Äh, Sekunde mal. Dein Vat… äh… ich meine… nun, heißt das, er hat das alles geplant?“
„Halten wir uns nicht mit solchen Kleinigkeiten auf!“, beschimpfte Sheng den Panda. „Ich hole meine Mutter und meine Schwester hier raus, bevor er ihnen noch etwas antut.“
„Eine Sache verstehe ich aber nicht“, sagte Po.
„Verdammt noch mal! Frag nicht!“ Der junge Pfau wurde immer ungehaltener. „Ich will hier raus!“
Po hob beruhigend die Tatzen. „Okay, okay, okay, nur keine Panik.“ Er wandte sich an Shen. „Was denkst du? Sollten wir?“
Die Gesichtszüge des weißen Pfaus hatten sich verhärtet. Es sah so aus, als würde er selber auf eine Erklärung warten, aber Sheng war so in Eile, dass er eine weitere Befragung unterdrückte.
„Gehen wir.“
„Alles klar“, sagte Po und begab sich nun ebenfalls zur Zellentür. „Wie kriegen wir nur diese blöde Tür auf?“
„Worum geht es hier eigentlich?“, fragte König Wang hinter ihnen.
Po lachte auf. „Oh, das ist eine nette, verrückte Geschichte, ich meine… Moment mal. Was machen Sie eigentlich hier unten?“
„Xiang hat ohne mein Wissen ein paar meiner Leute auf seine Seite gezogen und mich hierher verfrachtet.“
Po verengte die Augen. „Dieser Xiang ist ein echt übler Kerl.“
„Aber wer bist du?“, fragte König Wang weiter.
Po räusperte sich. „Mein Name ist Po, und ich bin der Drachenkrieger.“
König Wangs Augen weiteten sich. „Du bist der Drachenkrieger?“
Po lächelte verschmitzt. „Nun, ich seh vielleicht nicht so aus, aber ich bin es.“
„Wirklich?“
„Ja. Aber wenn Sie uns nun bitte entschuldigen würden, wir müssen noch…“
„HEY! Ich hab so viel von dir gehört! Ich trage dies hier die ganze Zeit bei mir.“
Der Gigant holte etwas unter seiner Felljacke hervor. Po vergaß die Tür und starrte auf den Gegenstand. Das Ding sah aus wie ein kleiner Panda.
„HeY! Ist das etwa… eine Drachenkrieger-Action-Figur?“
„Die allererste.“ Stolz hob Wang die Figur höher. „Es ist mein Glücksbringer.“
Po konnte es nicht fassen. „Woaoahawo… Hey Leute! Ich habe einen Fan!“
Shen und Sheng verengten gleichzeitig unbeeindruckt die Augen. „Na toll.“
Mittlerweile führten Po und König Wang den reinsten Kung-Fu-Eiertanz auf und machten sämtliche verrückte Kung-Fu-Bewegungen. „Wuahai!“
Shen hielt sich den Flügel vor die Augen. Das war peinlich.
„Könnten wir jetzt endlich mal von hier wegkommen?“, unterbrach Sheng ihren Freudentanz.
Beide Drachenkrieger-Fans erstarrten sofort.
„Okay.“ Ernüchtert ließ Po die Arme sinken. „Wo waren wir nochmal stehen geblieben? Ach ja, die Tür.“
Doch noch bevor Po seine Aufmerksamkeit wieder dem stählernen Hindernis zuwenden konnte, legte König Wang seinen Huf auf seine Schulter.
„Sekunde, einen Augenblick! Bevor wir einen hier auf Show machen, möchte ich noch eines wissen.“
„Jederzeit, Kumpel.“
„Was hat der mit allem hier zu tun? Wer ist das?“
Wang deutete auf Shen.
„Äh, das ist Shen.“ Ein bösartiges Fauchen veranlasste Po seinen Bericht zu korrigieren. „Äh, Lord Shen.“
Jetzt war König Wang völlig von der Rolle. „Dieser wahnsinnige weiße Pfau mit diesem Eroberungskoller? Ich hab davon in der Klatschpresse gehört. Ich dachte, er wäre tot.“
Po kicherte. „Nun, das ist eine sehr lange Geschichte.“
„Und was hat er mit der Sache hier zu tun?“
„Nun, er ist mit ihr.“
„Mit wem?“
„Ihr.“
„Wer? Ihr?“ Wang deutete über sich.
Po nickte. „Ja, mit ihr.“
„Unmöglich. Sie ist doch mit ihm.“
„Mit wem?“
„Na ihm.“
„Okay, okay. Wer ist ihm?“
„Xiang. Und wen meinst du?“
„Yin-Yu.“
„Wie kann das sein?“
Po hob die Tatzen in die Luft. „Okay, okay. Warte mal. Er und sie waren zusammen bevor er kam…“
„Wer ist er und wer ist sie?“
„Aggghhh!“ Po raufte sich die Haare. „Shen und Yin-Yu kamen zusammen vor Xiang. Xiang heiratete Yin-Yu, und dann kamen Xia und SJ… ich meine Shen… ich meinte Sheng. (Verflixt.)“
König Wang begann zu verstehen. „Das bedeutet, er und sie waren zuerst und dann kam er und war dann mit ihr…“
„Ja, aber Xia und S… Sheng sind von ihm.“
„Wer ihm?“
„Er.“
Po zeigte auf Shen.
„Von ihm?“
Po nickte. „Ja.“
Das verwirrte den Hunnenkönig nur noch mehr und kratzte sich am Kopf.
Po tätschelte seinen Arm. „Es ist eine komplizierte Geschichte, ich weiß. Ich bin da auch noch ein Anfänger. Aber zuerst sollten wir schauen, wie wir von hier wegkommen, um sie da rauszuholen.“
„Wen?“
„ÖFFNET ENDLICH DIESE TÜR!“, brüllte Sheng.
Po nickte hastig. „Ja, ja, ja, ja, ja… mach ich sofort, ich…“
Alle starrten mit offenen Mündern. Die Tür war bereits schon offen und Shen stand im Korridor.
„Möchte mir jemand Folge leisten?“, fragte Shen und ging langsam davon.
König Wang konnte sich nicht erklären, wie der weiße Vogel die Tür so schnell aufgekriegt hatte.
„Lebenserfahrung, vermute ich mal“, meinte Po.
Es war Nachmittag, aber der Himmel war so düster wie vor Beginn der Nacht. Dunkle Wolken zogen auf, bedeckten den Himmel und kündigten Neuschnee an.
Die Pfauenhenne beobachtete es durch das Fenster und wünschte sich, sie könnte mit ihnen davonfliegen. Schritte eines Vogels erklangen im Korridor. Fest und langsam. Yin-Yu bewegte sich nicht und drehte sich auch nicht um. Sie kannte seinen Gang.
Die Schritte verstummten. Sie konnte seinen Blick hinter der Tür im Rücken spüren. Ein lautes Aufstoßen der Tür ließ sie kurz zusammenfahren. Dann wurde sie wieder zugschlagen. Er führte seine Bewegungen absichtlich so brutal aus, nur um ihre Angst zu sehen.
Sie drehte sich immer noch nicht um, aber ihr Herz setzte für einen Moment aus. Seine Füße setzten sich wieder in Bewegung in ihre Richtung. Näher und näher. Sehr langsam und lässig.
Sie versuchte sich auf das zu konzentrieren was draußen vor sich ging. Dann tauchte er neben ihr am Fenster auf. Aus dem Augenwinkel konnte sie ihn beobachten. Er schien ebenfalls aus dem Fenster zu starren. Der blaue Pfau hob die Flügel und tippte die Fingerfedern aneinander.
„Beobachtest du wieder den Schnee?“, fragte er spöttisch. „Natürlich. Wie immer. Oder etwa nicht?“ Er warf ihr ein herablassendes Schmunzeln zu. „Du hattest schon immer einen Sinn für nutzlose Dinge.“
Er wandte sich ab, aber sie fühlte, dass er sie mit einem fiesen Seitenblick betrachtete. „Ist das der Grund weshalb dich das Universum dazu verdammt hat ein Nichts zu sein?“ Sachte strich er mit dem Flügel über einen Stuhl und ließ sich darauf nieder. „Hör gefälligst auf damit nach draußen zu starren und komm her!“
Sogleich drehte sie sich zu ihm um, aber sie sah ihm nicht ins Gesicht. Mit gesenktem Blick trat sie näher bis sie nahe genug an ihm war.
Er winkte mit dem Flügel und deutete auf den Boden. „Setz dich.“
Ohne Widerspruch kniete sie sich hin. Sie kannte seine Kommandos. Er lehnte sich im Stuhl zurück und beobachtete sie misstrauisch. Seine Flügel auf den Armlehnen verengten sich.
„Schau mich an!“, befahl er.
Sie hob den Kopf, ohne auch nur ein einziges Mal zu zögern. Seine blauen Augen trafen auf ihre Silbernen. Er – voller Optimismus und Ärger, und sie – traurig und verängstig.
„Du hältst Ausschau nach so viel wertlosen Dingen.“ Er legte die Flügel zusammen. „Bin ich dir so wertlos geworden?“ Er streckte seinen Flügel nach ihr aus und tätschelte ihre Wange. „Du warst schon immer für wertlose Dinge gut.“ Dann lächelte er. „Aber nützlich für meinen Plan.“
Xiang versetzte ihre einen letzten Klaps und ließ dann von ihr ab. Dann legte er die Enden seiner Fingerfedern zusammen, lehnte sich zurück und lächelte spöttisch, als er ihr geschocktes Gesicht bemerkte.
„Hast du wirklich gedacht, ich würde mich einfach so fangen lassen für gar nichts? Wie willst du sonst so einfach in eine Burg gelangen?“
Yin-Yu starrte ihren Ehemann nur an.
„Ich weiß, König Wang hätte mich nie vor deinen Augen töten wollen.“ Der Pfau erhob sich und entfernte sich ein paar Schritte von ihr. „Jetzt tu nicht so erschrocken. Natürlich. Es war mein Wunsch gewesen, dass diese Hunnen die Stadt überfallen, um uns gefangen zu nehmen. Meinem Vater ist es nie gelungen, die Burg unter seine Kontrolle zu bekommen. Aber ich würde es schaffen statt seiner. Und ich hab’s geschafft. Dafür hab ich lange genug vorgesorgt. Guo war einer der Ersten, der sich mir angeschlossen hatte.“ Er strich sachte über ein paar seiner Fingerfedern. „Und Schritt für Schritt, zog er mehr und mehr auf seine Seite zu mir, um mich aus dem Gefängnis herauszuholen. Und um König Wang seiner Macht zu entziehen.“
Er schaute nach hinten. Yin-Yu war nicht in der Lage ein Wort hervorzubringen.
Xiang schmunzelte. „Unglücklicherweise konnte ich nicht die ganze Armee für mich gewinnen. Es war ein sehr, sehr kleines Risiko für uns, dass sie uns daheim was antun könnten. Aber das war es wert.“
Die Pfauenhenne riss die Flügel hoch, bedeckte ihren Schnabel und konnte sich nicht zurückhalten. „Du hast das Leben deiner Familie aufs Spiel gesetzt!“
Der Pfau zuckte die Achseln. „Na und.“
„Wir könnten alle tot sein!“
Aber noch mehr schockierte sie, dass er sie nicht für ihren Protest tadelte. Er schien ihre Verzweiflung zu genießen.
„Wen kümmert es? Selbst wenn, es gibt in der Welt weitaus bessere Frauen, die einen stärkeren Charakter haben als du.“
Vorsichtig, ganz vorsichtig spähte Po um die Ecke. Zwei große Bullen waren am Eingang des Gefängnisses postiert. Hastig zog er sich zurück und schaute zu den anderen.
„Okay. Lagebesprechung.“ Er deutete auf Wang. „Solange wir nicht wissen, welcher Ihrer Soldaten Ihnen loyal ergeben ist, ist vorerst jeder ein potenzieller Feind. Nun denn. Zuerst wir müssen aus dem Gefängnis raus. Allerdings so unauffällig wie möglich. Erster Schritt, die Wachen ausschalten.“
„Das mache ich“, sagte Sheng und rannte nach vorn.
König Wang hatte keine Möglichkeit mehr was zu sagen. In der nächsten Sekunde stand Sheng neben den beiden überraschten Wachleuten und trat sie hart von beiden Seiten. Doch einer von ihnen nutzte die letzte Chance um laut zu schreien: „Hier rüber…!“ Dann lagen beide auf den Boden.
Po legte die Zeigefinger zusammen. „Hättest du das nicht ein kleinwenig leiser machen können?“
Das darauffolgende Gebrüll und Gepolter von schweren Füßen gab ihm eine Antwort auf seine kleinlaute Frage. Aber Sheng ließ sich von sowas nicht einschüchtern. Mit einem lauten Kriegsschrei stützte er sich auf den ersten heranrasenden Wachmann und schmetterte ihn zu Boden.
„Vielleicht sollten wir ihm helfen“, meinte Po und startete seinen Kung-Fu-Kampf.
Wang und Shen kamen ihm nach und ein Chaos mit Wachen begann.
„Die hören ja gar nicht mehr auf“, murmelte Po. „Also ich denke, die sind nicht auf unserer Seite, oder?“
„Es scheint so“, stimmte Wang ihm zu und war gezwungen dem Nächsten einen Hieb zu verpassen.
„Also gut, Leute!“, rief Po in die Runde. „Wir haben einen kleinen Minuspunkt.“
Er wurde wütender, als mehr und mehr Wachen seinen Weg kreuzten
„Was hat Xiang sich nur dabei gedacht?“, grummelte er. „Das ist doch schierer Wahnsinn!“
„Und was sollte der Hinterhalt im Untergrund?“ Yin-Yu fand den Mut dieser Frage zu stellen.
Xiang winkte mit dem Flügel. „Nur eine kleine Show. Du weißt schon, ich stand schon immer auf etwas Dramaturgie. Eigentlich war es mein Plan gewesen durch die Geheimgänge eine kleine Erkundung zu starten. Aber einige der anderen Wachen waren wohl eine Spur zu wachsam gewesen und jagten mich. Und dann hast du mir im Weg gestanden. Leute, die mich verärgern kann ich nicht ausstehen. Schon gar keine Fremden. Aber das ist im Moment unwichtig. Guo kam mir noch hinterher bevor alle uneingeweihten Soldaten mich packen konnten und ich inszenierte meine Rück-Gefangennahme.“
„Aber wozu das?“ Die Pfauenhenne hatte Mühe ihre Gedanken zu sortieren.
„Ist das so wichtig für dich? Ich mag meinen Spaß.“
„Spaß? Ich war zutiefst schockiert. Hattest du dir denn keine Sorgen um deinen Sohn oder deine Tochter gemacht?“
Er schnaubte. „Deine Tochter? Warum sollte ich? Sie ist nur ein dummes Kind. Und dein Sohn?“ Ein höhnisches Lächeln zierte seine Schnabelwinkel. „Ich gab ihm Befehl sich einem letzten Test zu unterziehen.“
„Wir brauchen einen besseren Plan!“, rief Po.
Plötzlich sprang ihm eine kleine Figur auf den Kopf.
„Nicht weit von hier entfernt liegt eine andere Geheimtür“, sagte Tu über ihm.
„Wirklich?“ Po schlug den nächsten Wachen und sah sich um. „Wo?“
„Folge mir!“ Tu sprang runter.
„Hey, Leute! Folgt mir!“
Ein lauter Schrei ließ Po zusammenfahren. Mit voller Wucht wurde der junge Pfau durch die Luft geschleudert und knallte gegen eine Wand. Er stöhnte, konnte sich aber nicht sofort wiederaufrichten. Der große Ochsensoldat schnaubte zufrieden und schwang seine Axt. Sheng blinzelte, aber sein Rücken tat so extrem weh und er sank wieder zu Boden. Der Hunnen-Soldat raste auf ihn zu, aber ein schneidendes Licht stoppte seinen Lauf. Der Gigant fiel mit lautem Gebrüll zur Seite. Doch das konnte ihn nicht aufhalten. Mit einem neuen Angriff stürzte er sich auf den weißen Pfau, doch gegen Shens schnelle Bewegungen und harten Schlägen mit Flügeln und Füßen kam der Ochse nicht an. Schließlich nutzte Shen die Axt seines Angreifers und knallte ihm das schwere Geschütz gegen den Kopf. Ein letzter Schrei und der Ochse blieb liegen. Schwer atmend verharrte der Pfau neben ihm und starrte auf den k.o. Geschlagenen. Nachdem er sich sicher war, dass er nicht mehr aufstehen würde, entspannte er seine Haltung und ging wieder in seine normale Position über.
Er schaute zurück. Sheng lag keuchend auf der Seite. Ihre Augen trafen sich, aber ohne eine warme Regung. Shen mit Tadel, Sheng mit Demütigung.
„Hey, hey!”, rief Pos Stimme zu ihnen rüber. „Kleine Planänderung! Wir machen jetzt eine kleine Mittagspause! Aber ohne Essen!“
Wie eine Dampfwalze schoss König Wang an ihnen vorbei und packte Shengs Körper. Shen sah wie die Wachen näherkamen, sodass er gezwungen war sich den anderen in der Flucht anzuschließen. Um eine Ecke öffnete Tu eine versteckte Tür in der Wand. So schnell sie konnten verschwanden sie darin und die Tür schloss sich hinter ihnen wieder. Die donnernden Schritte der vorbeilaufenden Wachen verklangen nach einer Weile. Alle waren völlig außer Puste und erschöpft, hatten sich aber schnell wieder gefasst.
„Wohin führt dieser Weg?“, fragte Po Tu.
„Zu den oberen Gemächern“, antwortete die Zikade. „Folgt mir einfach.“
Wang und Po kamen der Aufforderung sofort nach, bis der Panda bemerkte, dass die anderen zurückblieben. Er blickte hinter sich. Sheng lag noch immer auf dem Boden, während Shen ihn beobachtete. Po war kurz davor zu ihnen zurückzugehen, aber dann entschied er sich ein paar Meter zu entfernen und sie alleine zu lassen.
Im Gang war es dunkel, aber Shen konnte sehen wie Sheng seinen Kopf mit dem Flügeln bedeckte.
„Warum versuchst du dich die ganze Zeit selbst zu beweisen?“, fragte der weiße Pfau.
Ein lauter erschöpfter Seufzer seines Sohnes füllte die kalte Stille. „Ich versuchte meine Fehler zu korrigieren.“ Er brach ab, um nach Luft zu schnappen. „All mein Training für gar nichts.“
Shen verengte die Augen. „War es das, was Xiangs Plan beinhaltete?“
Zuerst antwortete der junge Pfau nicht sofort. Doch nach einem leisen Schluchzen…
„Wenn die Hunnen die Stadt überfallen, wollte er mit mir einen letzten Test machen. Er würde es zulassen, dass seine Hunnen gegen mich kämpften. Würde ich sie besiegen, wäre ich es wert genug sein Nachfolger zu sein. Aber wenn nicht…“ Er senkte den Blick. „Ich habe versagt.“ In seiner Wut über sich selber stiegen ihm die Tränen in die Augen. „Ich kann mich noch nicht mal selber retten.“
Eine Stille trat ein. Der weiße Lord hörte wie der Junge sein Weinen zu unterdrücken versuchte. Er rieb die Flügelspitzen zusammen. Mit seinen eigenen Eltern hatte er nie über sowas geredete. Er wusste nicht wie man über sowas überhaupt redete. Schließlich beugte er sich ein wenig zu ihm runter und kam etwas näher.
„Weißt du, als ich in deinem Alter war, war ich nicht mal annähernd so gut wie du.“
Da war ein aufschluchzendes Geräusch, aber es klang mehr wie ein gekeuchtes „Wirklich?“
„Nun, vielleicht nicht so ganz genau. Dein Kampfstil an sich ist nicht schlecht. Aber du bist ein bisschen zu…“ Er suchte nach einem passenden Wort. „…zu übereifrig.“
„Jeder, der zögert ist ein Verlierer, sagt Xiang.“
„Vergiss alles was Xiang dir je gesagt hat!“, schrie Shen. „Und wenn du nicht hier sterben willst, dann wirst du von jetzt an das tun, was ich dir sage, okay?“
Er konnte keine Details erkennen, aber Sheng schien erschrocken und verwirrt zu sein.
Der Lord räusperte sich. „Was ich damit sagen möchte ist… Ich habe schon bereits deine Geburt verpasst. Ich möchte nicht der Erste sein, der an deiner Beerdigung teilnehmen muss.“ Er mied seinen Blick. „Und glaube mir, ich kenne das Gefühl versagt zu haben. Aber es gibt immer eine Möglichkeit wieder aufzustehen.“
Er wollet das Thema nicht weiter vertiefen und hielt ihm seinen Flügel hin. „Jetzt komm. Alles andere besprechen wir später.“
Zuerst zögerte Sheng. Dann ergriff er sie und Shen half ihm wieder auf die Beine zu kommen. Doch bevor sie sich wieder auf dem Weg machten, murmelte Sheng etwas.
„Jetzt weiß ich, warum Mutter so um dich getrauert hatte.“
Der Lord hielt kurz an. „Hat sie das?“
Der junge Pfau wollte nicht weiter darüber reden, aber vielleicht brauchte er auch nichts weiter zu sagen.
Po und Wang hatten die ganze Zeit in einer einsamen Ecke gewartet und zählten die Sekunden.
Als die anderen endlich auftauchten, hob Po neugierig den Kopf. „Und? Hab ihr alle Ungereimtheiten beiseitegeschafft?“
Shen machte keinen zufriedenen Eindruck. „Noch nicht alle.“
„Dein Sohn war zu schwach.“
Yin-Yu kniete auf dem Boden und war den Tränen nah. „Mein Sohn? Er ist auch… dein Sohn.“
Nicht biologisch, das wusste sie….
„Ein Schwacher hat kein Recht mein Thronfolger zu sein. Das gleiche gilt für deine Tochter.“
Sie hielt sich mit einem Flügel vor die Brust. „Sie ist stärker als du denkst.“
„Was ist das Leben eines Weibes schon wert? Nur wegen ihr hat sich mein ganzer Plan in die Länge gezogen.“ Er drehte sich zu ihr um. „Aber da ist immer noch eine Sache, die eine Frage in meinem Kopf aufgebaut hat.“
Die Pfauenhenne erschrak vor einem kommenden Desaster. Xiangs Augen waren jetzt bedrohlicher als gewöhnlich.
„Wer war dieser weiße Pfau gewesen?“
In ihrem Kopf wurde es schwarz. „Ich – ich kannte ihn aus meiner Kindheit.“
Xiang zeigte sich mehr entspannt. „In diesem Fall macht es dir ja dann nichts aus, wo er jetzt ist.“
Horror überkam sie. „Was hast du ihm angetan?“
„Er bekam ein kaltes Bad. Er wird nie wieder durstig werden.“
Sie stand auf. „Aber du hast mir gesagt, dass du dafür sorgen würdest, dass er aus der Burg kommt!“
Er deutete auf den Boden. „Unter unseren Füßen fließ ein netter Fluss. Natürlich wird es ihn raustransportieren – und aus dieser Welt.“
Er beobachtete wie die Pfauenhenne psychisch zusammenbrach. „Nein, das hast du nicht…!“ Sie wandte sich ab, aber sie fand nicht sofort einen Stuhl, wo sie sich hinsetzen konnte. Stattdessen lehnte sie sich gegen irgendetwas.
Xiang schnalzte schnippisch mit der Zunge. „Er sah ohnehin nicht mehr gesund aus.“ Er legte die Flügelflächen aneinander und beobachtete sie. „Oder ist das etwa ein Problem für dich?“
Sein Lächeln zog ihr sämtliche Boden unter den Füßen weg. Sie versuchte standhaft zu bleiben, aber sie zitterte.
„So, ein Freund aus deiner Kindheit? Sieht aber nicht so aus.“
Ein Frauenschrei zerriss die Luft, als Xiang auf sie sprang und mit seinen Fußkrallen ihren Kehlkopf zu Boden drückte. „Was für eine Rolle hat er in deinem Leben gespielt?!“
„Habt ihr das gehört?“ Die Gruppe hinter dem Panda hielt an und lauschte. „Da war ein lauter Stimme. Glaube ich.“
„Wenn ihr einen Blick drauf werfen wollt“, sagte Tu und deutete zur Seite. „Neben uns befindet sich eine bewegbare Wand, wo ihr in die Gänge der oberen Stockwerke gelangen könnt.“
„Vielleicht sollten wir sie öffnen und einen Blick riskieren“, schlug Po vor.
König Wang rieb sich den Kopf. „Ich hätte nie gedacht, dass es so viele Lücken in meinem Heim gibt.“
Po kicherte. „Wenn du wüsstest, was für mysteriöse Lücken ich im Jade-Palast gefunden habe.“
Vorsichtig schoben sie die Wand weg und spähten hindurch. Der Gang war leer. Nirgendwo standen Wachen. Anscheinend hatte Xiang sie alle weggeschickt.
„Da drüben ist eine Tür“, flüsterte Po.
König Wang schaute über seine Schulter. „Das ist der Raum, wo Yin-Yu gewohnt hat.“
„Lasst mich hier raus!“, schrie eine Mädchenstimme.
„Das ist meine Schwester!“, rief Sheng.
„Du meinst Xia? Okay, folgt mir.“
Po sprintete über den Korridor zur Tür und klopfte gegen das Holz. „Xia? Bist du das?“
Zuerst herrschte Stille. „Bist du das, Po?“
„Ja, ich bin‘s. Bist du allein?“
„Sie haben meine Mutter weggeschleppt!“
„Wissen wir. Warte, wir öffnen die Tür…“
Ein schnelles, weißes Licht und Shen hatte das Schloss durchtrennt.
Po kratzte sich am Kopf. „Nun ja, das ist natürlich die einfachste Lösung.“
Sheng war der Erste, der die Tür aufstieß.
Xia erstarrte förmlich, als sie ihn sah. „Du lebst noch?“
Doch Sheng ergriff ihre Flügel. „Wo ist Mutter?“
„Sie wollte mit König Wang sprechen.“
Die Überraschung des Mädchens wuchs als sie Wang direkt vor sich stehen sah.
„Nur keine Panik“, meinte Po und wedelte mit den Tatzen. „Es sieht kompliziert aus. Aber es gibt für alles eine logische Erklärung.“
Ihre Augen wurden größer, als Shen durch den Türrahmen trat.
„Und für ihn auch“, fügte Po nach einigem Zögern hinzu.
„Ich werde dir alles erklären“, beruhigte sie ihr Bruder. „Keine Sorge. Es wird alles wieder gut.“
Auf einmal spitzten alle die Ohren.
„Oh, oh. Wir bekommen Besuch“, sagte Po.
„Schnell raus hier!“ Sheng zog seine Schwester mit sich, doch die kleine Gruppe war gezwungen sofort wieder anzuhalten, als viele große Wachen auf sie im Gang zu gerannt kamen. Sheng versteckte seine Schwester hinter sich.
Po presste die Fäuste zusammen. „Wir machen das schon.“
„Na schön“, meinte Shen. „Die könnt ihr haben, aber Xiang gehört mir.“
Der Panda starrte ihn aufgeregt an. „Oh, höre ich da gerade das spezielle Wort durch das Universum deines Unterbewusstseins, welches mit „L“ anfängt?“ Po grinste. „Yeah, du llli…l….lord, ein Lord. Du bist immer noch ein Lord? Nicht?“
Der Panda schluckte schnell das Wort „liebst“ runter nachdem Shen ihn einen von Warnung gefüllten Blick zugeworfen hatte. Dann wandte sich der Pfau ab und ließ die anderen allein.
„Oooo-kay“, rief Po. „Auf geht‘s!“
König Wang und Sheng waren ebenfalls bereit.
„Nur keine Sorge“, rief Po dem weißen Pfau noch hinterher. „Wir haben alles unter Kontrolle!“
Xiang verstärkte den Druck seiner Fußkralle auf dem Frauenkehlkopf nur noch mehr, während sein anderer Fuß damit begann ihrem Oberkörper wehzutun. „Du hattest recht, als du mir sagtest, es wäre ein Fehler dich zu heiraten.“
Yin-Yu stiegen die Tränen in die Augen. „D-u t-tust m-ir weh!“
„Schhhh“, hauchte der Pfau. „Wie oft soll ich es dir noch sagen? Du redest erst, wenn ich es dir erlaube.“ Er grub seine Krallen tiefer in sie. „Nach so vielen Jahren sehe ich ein, es war ein Fehler gewesen. Du warst nur ein Klotz an meinem Bein. Es überrascht mich nicht, dass deine Mutter so früh ins Gras gebissen hat.“
Er beugte sich weiter runter. „Zum letzten Mal: Was hattest du mit ihm gehabt?“
Sie hielt die Lippen geschlossen.
Xiang seufzte und gab seinen Krallen einen Ruck. „Dann lässt du mir keine andere Wahl als dich zu foltern.“
Plötzlich traf ihn eine heransausende Vase und riss ihn von ihr weg zu Boden. In Scherben liegend richtete er sich auf. Die Tür zum Raum stand weit offen.
Keuchend rieb sich Yin-Yu den Hals, immer noch auf Xiang starrend, der zwischen dem ganzen zerbrochenen Porzellan lag. Aber seine vor Wut überströmenden Augen waren nicht auf sie fixiert. Noch immer zitternd wagte sie sich zu bewegen und sich auf die andere Seite zu rollen. Die Frau erstarrte. Ihre Sinne waren so gelähmt, dass sie Xiangs Fluchen nicht einmal mehr wahrnahm.
„Wie kannst du es wagen?! Wie hast du überlebt?“ Der blaue Pfau sprang auf, aber ein warnender Wink des sich erhebenden Flügels des weißen Pfaus ließ ihn vor Überraschung innehalten. Der Eindringling zeigte keine Angst. Kein Nachgeben. Die rot-schwarzen Augen schenkten ihm nicht einmal Beachtung. Nur ihr. Für einen Bruchteil einer Sekunde. Doch es genügte, um die Zeit anzuhalten. Nichts in der Welt schien mehr zu existieren.
Sie hielten den Augenkontakt. Nur weil er den Eindruck erweckte, dass er es ihr so befahl. Sie gehorchte. Aber ohne zu wissen wie sie reagieren sollte. Erleichtert? Erschrocken? Oder ihn zu fragen, ob sie tot wäre? Sie besaß keine Kraft ihren Schnabel zu bewegen. Jede Gefühlsregung, jeder Gedanke, war vermischt in einem leeren Chaos.
In der nächsten Sekunde wollte sie zu ihm rennen, aber zugleich wollte sie weglaufen. Ihr Köper begann zu zittern. Ihr Geist verloren in einem inneren Konflikt.
Schließlich gab sie nach und sank zu Boden. Bange wartend auf ein Urteil von ihm. Der Lord erkannte ihren Gesichtsausdruck und verengte die Augen.
„Bist du taub?!“, brüllte Xiang.
Jetzt wanderten Shens Augen zu ihm.
„Lass sie in Ruhe“, befahl der weiße Lord im kalten Tonfall.
Der andere Pfau schnappte empört nach Luft. Doch Shen schenkte ihm keine große Aufmerksamkeit und schaute wieder auf sie. Die Frau lag immer noch unterwürfig ein paar Meter von ihm entfernt.
„Komm her.“
Die Pfauenhenne zog den Kopf ein, während der Lord zu ihr sprach. Was hatte sie zu erwarten?
Doch Shen ließ sich nicht beirren. „Komm.”
Sie hatte Angst. Die Frage war nur vor wem am meisten? Vor ihm oder vor ihm?
„Du bleibst!“, kommandierte sie Xiangs Stimme.
Ihre Augen blieben auf dem weißen Pfau gerichtet. Er, der sie vor vielen Jahren geliebt hatte, hinter ihr derjenige, der ihr Leben zur Hölle gemacht hatte.
„Yin-Yu.“ Die Worte des Lords elektrisieren sie wie ein Blitz. Seine Stimme war ernst, aber nicht mehr bedrohlich wie gestern. Sie wagte einen tiefen Blick in seine Augen. Seine Iris zeigte einen Hauch von etwas Vertrautem. Ein Schimmer wie der in ihrer Nacht.
„Ein Schritt!“, drohte Xiang. „Nur einen Schritt, und ich bringe dich um!“
Sie erstarrte.
Doch Shen behielt die Ruhe. „Nein, das wird er nicht tun.“
Xiang schnappte erneut nach Luft. Mittlerweile hatte der weiße Pfau den Flügel gehoben und bewegte eine Fingerfeder in ihre Richtung, immer noch sie beobachtend und seinen Rivalen sehr genau im Auge behaltend wie ein Falke.
„Komm her zu mir.“
Zu Xiangs Wut stand sie langsam und sehr vorsichtig auf. Als sie fast schon auf ihren Beinen stand, griff der blaue Pfau nach einem Messer, das er auf dem Tisch fand und warf es auf sie. Die scharfe Waffe hätte vielleicht ihre Kehle durchtrennt, wenn nicht ein anderes Geschoss das Messer aus der Flugbahn geworfen und es gegen die Wand geschleudert hätte. Das weiße Federmesser steckte daneben.
Ungläubig starrte Xiang darauf. Doch dann wanderten seine Augen wieder auf den weißen Eindringling. Der weiße Lord hielt seine Augen auf ihn gerichtet, doch zur gleichen Zeit beobachtete er wie Yin-Yu an ihm mit schnellen Schritten vorbeiging. Ihre Augen trafen sich für eine Millisekunde, aber Shen wollte keine Zeit verlieren und schob sie sanft hinter sich um die Ecke in den Korridor.
Voller Verachtung starrten sich die zwei Männer gegenseitig an.
Xiang verengte die Augen nur noch mehr. „Wer bist du?“
„Ist das so wichtig für dich?“, fragte Shen zurück und hielt ihm zwei Speere vor. „Kämpf gegen mich.“
Mit diesen Worten legte er einen davon auf den Boden ab und schob es ihm vor die Füße. Xiang hob es auf. Der Kampf war eröffnet.
Zuerst blieb alles still. Dann nahm ein jeder langsam seine Position ein. Plötzlich rannten sie aufeinander los. Ihre Speere schlugen jedes Mal aufeinander. Yin-Yu spähte um die Ecke und beobachte sie mit Angst und Bangen.
„YEAH!“, triumphierte Po und schlug den nächsten Angreifer k.o.. Auch Sheng leistete ganze Arbeit. Inklusive König Wang, der im Kampf keine Probleme hatte gegen seine Leute anzutreten. Mittlerweile hatte Xia sich eine Vase geschnappt und schlug sie dem nächsten Soldaten auf den Kopf.
Po klatsche in die Tatzen. „Ja, das ist es, genauso wie ich es dir gezeigt habe. Mehr Schwung und Ausweichen nicht vergessen.“
Die zwei Pfaue kämpfen immer noch im Zimmer und warfen alles um, was ihnen im Weg stand. Niemand dachte daran aufzugeben. Ihre Kräfte waren beinahe gleich, dennoch hegte Xiang für ein paar Augenblicke Zweifel an seinem Sieg. Natürlich hätte Shen auch seine Messer einsetzen können, aber er wollte einen fairen Kampf. Zumindest solange es ihm möglich war.
In diesem Moment hob Xiang einen kleinen Tisch und hielt ihn sich über den Kopf. „Gestalten wir es doch etwas aufregender an der frischen Luft.“
Damit warf er den Tisch gegen das Fenster.
„Ich denke, die haben genug“, keuchte Po und beobachtete wie der Rest der Soldaten davoneilte, während die andere Hälfte noch am Boden lag.
König Wang rieb sich die Fäuste. „Und wo ist dieser Kampfvogel hin?“
Po winkte mit der Tatze. „Och, so wie ich ihn kenne, bin ich mir sicher, dass er gerade irgendwo wieder in einen Kampf verwickelt ist.“
Plötzlich war draußen ein lautes Krachen zu hören. Schnell rannten sie ans nächste Fenster und sahen wie ein Tisch durch eines der Fenster geflogen war und die Burgwand herunterfiel. Kurz darauf sprangen zwei Pfaue aufs Dach.
Po formte eine “aha” Geste. „Was habe ich gesagt?“
Mit Angst erfüllt beobachtete Yin-Yu wie die Pfaue draußen über die Dächer rannten. Xiang sprang voraus, Shen ihm nach. Die Pfauenhenne konnte es nicht mehr länger ertragen. Sie drehte sich um und rannte durch den Korridor.
„Hey!“, rief ihr eine andere Stimme zu.
Sie hielt an, als Po und die anderen vor ihr standen. Der Panda mit offenen Armen. „Ich sehe dir geht es gut!“
„Mutter!“
Die Überraschung wuchs, als ihre Tochter auf sie zu gerannt kam.
„Xia?“
Sie konnte nicht glauben, wer neben ihr stand.
„Sheng!“
Voller Erleichterung legte sie die Flügel um ihren Sohn. Po war kurz davor bei diesem Anblick in Tränen der Rührung auszubrechen, als sich die Familie um den Hals fiel.
Mehr als 20 Sekunden vergingen, bis sie ihre Umarmungen lockerten.
„Aber wie ist das möglich?“, fragte Yin-Yu immer noch ihren Sohn das Gesicht mit ihren Flügeln haltend.
„Ich weiß alles, Mutter“, erklärte Sheng und drückte ihre Flügel runter. „Aber wo ist Vater?“
„Was… Vater?“ Die Pfauenmutter war immer noch völlig durch den Wind. Welchen Vater meinte er jetzt?
„Leute!“, mischte sich Po ein. „Wir sollten ihnen folgen.“
„Sieht so aus, als würden sie runter zum Paradeplatz gehen“, meinte Wang, der immer noch die beiden draußen kämpfenden Pfaue beobachtete.
„Na schön“, sagte Po. „Aber selbst wenn wir sie dort abfangen, was wenn mehr Soldaten auf uns treffen?“
Wang machte sich daran den Korridor runterzugehen. „Ich werde mich zur Soldaten-Kaserne begeben. Dort ist ein alter Freund von mir. Ich kann ihm jeder Zeit vertrauen. Nur wenn ich Glück habe.“
„Oh, okay“, sagte Po. „Viel Glück.“
„In der Zwischenzeit sollten wir sie an einen sicheren Ort bringen.“ König Wang deutete auf Yin-Yu und ihre Kinder, aber die Pfauenhenne schüttelte den Kopf.
„Nein, ich muss ihn sehen! Bringt meine Kinder von hier weg.“
„Nein, Mutter!“, riefen Xia und Sheng gleichzeitig. „Es geht uns auch was an.“
„Okay“, sagte Po schnell. „Wir gehen alle zu ihm.“
Ein kalter Wind blies über die Dächer. Aber die zwei Pfaue schenkten dem keine Beachtung. Xiang wich immer den Schlägen von Shens Speer aus und sprang auf das Dach einer Turmspitze.
„Wie kommst du nur dazu, dich in meine privaten Angelegenheiten einzumischen?“
Shen schnaubte verächtlich. „Warum kümmert dich das? Sie hat doch eh keine Bedeutung für dich.“
Der blaue Pfau kicherte spöttisch. „Aber du kümmerst dich um sie, oder etwa nicht?“
Er schlug seine Klauen fest auf dem kleinen Turmdach und schaute mit tiefster Verachtung auf den weißen Pfau herab. „Was erhoffst du dir dadurch?“ Ein hässliches Lächeln umspielte seine Schnabelwinkel. „Lass mich doch den Triumph meines gewonnen Sieges auskosten und verschwinde.“
Shens Gesicht verdüsterte sich. „Nachdem du mich umlegen lassen wolltest?“
Xiang zuckte die Achseln. „Ich muss zugeben, vielleicht war es ein bisschen hart, aber komm schon, du musst das verstehen. Niemand hat das Recht mein Leben zu kontrollieren.“ Er grinste. „Oder ihr Leben? Sag mir, was bedeutet dieses Flittchen für dich?“
Shen verengte seine Augen auf eine gefährliche Art und Weise und sprang ihn an. Aber Xiang hatte diese Reaktion erwartet und kletterte die Wand runter. Kaum hatten seine Füße festen Steinboden berührt, drehte er sich erneut zu seinem Gegner um. Noch immer mit einem hämischen Grinsen.
„Oder ist sie etwa deine Hure? Es würde mich jedenfalls nicht überraschen.“
Der blaue Pfau sprang zur Seite, als Shen ihn mit seiner Waffe zu Boden schmettern wollte.
So schnell Xiang nur konnte sprintete er davon bis er einen freien weiten Platz erreichte. Doch er kam nicht weit.
In der nächsten Sekunde spürte er einen brutalen Zug an seinen langen Schwanzfedern. Er wurde weggeschleudert und flog ein paar Meter weiter weg. Doch noch bevor er sich mit seinem Speer verteidigen konnte, wurde er von einem Hieb niedergeschlagen. Der nächste harte Kick traf ihn in die Brust und er lag am Boden. Über seiner Kehle das scharfe Ende eines Speers.
Xiang keuchte erschöpft. Doch dann lächelte er düster. „Du bist ein guter Kämpfer.“
Shen knurrte vor Ärger und schob die Spitze weiter vor, dass es fast die Haut seines Rivalen berührte.
„Nimm das zurück!“, fauchte der Lord.
Trotz seiner gefährlichen Lage hob Xiang überrascht die Augenbrauen. „Was denn?“
„Du weißt ganz genau was ich meine! Entweder du nimmst das zurück oder es wird dein letzter Atemzug sein!“
Plötzlich begann Xiang heiser zu lachen. „Ach, du liebe Güte. Hattest du wirklich gedacht, ich wäre ein Idiot? Ich halte mir immer einen Joker in meinen Kämpfen parat.“
Ein lauter Schnapper seiner Fingerfedern und sie waren im nu von Soldaten umzingelt.
Mittlerweile hatten sich auch Po und die anderen am Rande des Platzes eingefunden. Yin-Yu hielt sich schockiert die Flügel über den Schnabel, während Po sich suchend umsah. Es waren zu viele von ihnen. Shen hatte gegen die keine Chance.
„Hey, das ist unfair!“, rief der Panda erbost.
Xiang kicherte und schaute auf seinen Peiniger. „Du oder ich. Entscheide dich.“
Die Soldaten rückten näher. Shen nahm jede ihrer Bewegungen aus dem Augenwinkel wahr. Es waren zu viele von ihnen. Ohne den schadenfrohen Augen seines Rivalen auszuweichen, senkte er langsam den Speer in seinen Flügeln. Schließlich warf er ihn weg. Xiang stand auf, noch immer mit dem hämischen Lächeln auf dem Schnabel.
Plötzlich machte Shen eine schnelle Bewegung. In Bruchteilen einer Millisekunde, Xiang schaffte es gerade noch auszuweichen, aber der schneidende Schmerz der Federklinge ließ ihn aufschreien.
Im nächsten Moment stürzten sich die Soldaten auf den weißen Pfau und drückten ihn zu Boden. Mittlerweile hielt sich Xiang den linken Flügel mit seiner rechten befiederten Hand.
Guo eilte zu ihm. „Mein König, seid Ihr in Ordnung?“
Xiang warf einen Blick unter seinen Flügel. Blut färbte seine blauen Federn.
Guo zog sein Messer. „Sollen wir ihn niederstrecken?“
Der blaue Pfau keuchte, aber er blieb aufrecht stehen.
„Nein“, antwortete er, während er damit beschäftigt war einen Teil seiner Robe abzureißen und es um seinen verletzten oberen Teil seines Flügels zu binden. Die Schnittwunde war nicht schlimm, aber diese unverschämte Attacke machte Xiang wütender als der Schmerz. Seine zornigen Augen schauten auf den am Boden liegendenden weißen Pfau herab. Xiang rieb seine blutende Wunde.
„Aber ich werde es ihm auf die gleiche Weise heimzahlen.“ Er winkte mit seinem unbeschädigten Flügel einen der Soldaten zu sich und bat um einen Speer. „Streckt ihn aus!“
Sofort rissen die Ochsensoldaten den weißen Lord hoch. Zwei packten ihn an den Flügeln und breiteten sie weit auseinander. Xiang rieb das Blut am Speer ab, welches immer noch an seinen Federn klebte, womit er zuvor seine Wunde zugehalten hatte. Ungeduldig beobachtete er wie der Lord vor ihm stand.
Yin-Yu schlug sich die Flügel über den Schnabel als sie dieses Bild aus einiger Entfernung sah. „Er wird ihn übel zurichten!“
Die Pfauenhenne rannte vor, aber Po schaffte es gerade noch sie am Flügel festzuhalten. „Nein! Warte! Wang wird bald hier sein.“
Sie zog wie wild. „Da ist es zu spät. Lass mich gehen!“
Shen wehrte sich nicht, aber seine Körperhaltung verriet eine klare Geste des großen Widerstandes. Mit angespannten Muskeln schaute er zum blauen Lord, der wiederum erwiderte seinen Ärger mit Bosheit.
„Du hast einen Fehler gemacht“, keifte Lord Xiang düster.
Der weiße Pfau verengte gefährlich die Augen. „Es war mir ein Vergnügen.“
Xiang hob den Speer.
„Nein, Xiang! Hör auf!“
Beide Pfaue starrten ungläubig wie die Pfauenhenne sich zwischen ihn und ihrem Ehemann stellte. Aber das konnte den blauen Lord nicht lange beeindrucken.
„Geh mir aus dem Weg, du verdammtes Weib!“ Er stieß sie weg. Sie fiel zu Boden. „Wie oft soll ich dir noch befehlen deinen Mund zu halten?!“
Er war kurz davor den Speer auf sie zu werfen.
„Nein! Lass Mutter in Ruhe!“
Mit großen Augen beobachtete Po wie die zwei Kinder auf sie zu gerannt kamen.
„Rede ich hier gegen eine Wand?“ Mit einem tiefen Seufzer folgte der Drachenkrieger ihnen.
Schützend stellten sich Xia und Sheng neben ihre Mutter.
Als Xiang Sheng erblickte wurde er doch etwas umsichtig. „Wie kommst du hierher?“
„Das war nicht Teil von deinem Plan, oder?“, erwiderte Sheng zurück.
Mit besorgtem Blick schaute Po auf Yin-Yu. „Alles in Ordnung?“
„Du schon wieder?“ Xiang war nicht gerade erfreut, den schwarz-weißen Drachenkrieger zu sehen.
Po rieb sich mit einem nervösen Lächeln über den Kopf. „Ich bin nur Tourist.“
„Wag es ja nicht Mutter was anzutun!“, befahl Xia ihm.
Der blaue Pfau knurrte. „Du hast eine ziemlich große Klappe, du freches Ding! Ich werd dir deine Unverschämtheiten schon noch austreiben.“
Der blaue Pfau winkte mit dem Flügel. „Schafft sie weg!“
Die Soldaten packten die zwei jungen Vögel und zerrten sie von ihrer Mutter weg. Doch Sheng schaffte es sich freizukämpfen und sprang Xiang an. Doch dieser war darauf vorbereitet und warf den jungen Pfau mit einem harten Tritt von sich. Eine Kralle schrammte seine Kehle und Sheng fiel keuchend zu Boden. In der nächsten Sekunde wurde er von einem der Soldaten brutal hochgerissen.
Voller Verachtung schaute Xiang auf ihn herab. „Kein Wunder, dass du so schwach bist.“
Xia konnte ihre Frustration nicht länger zurückhalten. „Ich hasse dich!“
Das beindruckte Lord Xiang überhaupt nicht. „Deine Worte sind nur pures Geschwätz. Ich habe wichtigere Dinge zu tun.“
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem weißen Pfau zu, der immer noch gefangen in den Griffen der Soldaten stand.
Er näherte sich ihm. Was Yin-Yu veranlasste wieder auf die Beine zu kommen. „Nein, bitte! Tu ihm nicht weh!“
Doch alles was sie erhielt war ein bösartiger Blick.
„Nenn mir einen Grund, weshalb ich ihn nicht foltern soll.“ Damit hielt Xiang die Speerspitze sehr gefährlich über die Halsschlagader des Lords. Sachte schob sie den Speer weg. Sie fing seinen provozierenden Blick mit ihren silbernen Augen auf.
„Lass ihn bitte einfach gehen.“ Sie legte ihre Flügel auf seine. Ihre Stimme klang flehend. „Lass uns nach Hause gehen. Danach wirst du dich bestimmt besser fühlen.“
Sie versuchte zu lächeln. Xiang verengte die Augen.
Xia schrie auf, als ihre Mutter das Gesicht nach rechts drehen musste und dem blauen Pfau ihre von der Ohrfeige brennende Wange zeigte. Blut von Xiangs Wunde klebte an ihr. Vor Abscheu schnappte Po nach Luft und spannte die Muskeln an. Shen ging es nicht anders, aber es gab für ihn keine Möglichkeit ihn direkt anzugreifen. Er wollte eine Beleidigung schreien, aber die Soldaten hielten ihm einfach den Schnabel zu.
Für ein paar Sekunden war da nur Stille, bis die Lady ihren Flügel langsam hob und sich über die schmerzende Gesichtshälfte rieb. Ihre Augen wurden feucht, aber da waren keine Tränen.
Ihr Blick wanderte zurück auf den blauen Lord. „Das reicht! Ich verlasse dich!“
Xiang begann zu kichern. „Wo willst du denn ohne mich sein?“ Yin-Yu schrie vor Schmerz, als er sie brutal am Flügel packte und sie festhielt. „Ich werde dich nicht gehen lassen.“ Er lächelte teuflisch. „Bis das der Tod uns scheidet.“
Offenbar erwartete er, sie würde ihren Blick senken, doch stattdessen stieß sie ihn von sich.
„Wir waren nie ein Ehepaar gewesen! Schon die ganze Zeit nicht!“
Für einen Moment schien Xiang verwirrt, doch Yin-Yu gab ihm keine Zeit etwas darauf zu erwidern.
„Ich hatte alles für dich aufgegeben!“, schrie sie. „Meine Heimat, meine Vergangenheit, alles! Ich wollte dir eine Familie bieten, trotz der Heirat in die du mich reingezwungen hast. Aber du hast alles in den Schmutz geworfen! Ich hatte dir von Anfang an gesagt, dass du mich nicht heiraten solltest. Und ich hatte einen Grund.“ Sie schaute zu ihren Kindern. „Ich hatte nur zu viel Angst gehabt.“
Die Pfauenhenne wandte sich um und legte ihre Flügel auf Shens Schultern. „Ich wollte es nie sagen, aber –“ Sie zögerte einen Moment. Ihr Blick hing an ihren Kindern, aber es gab jetzt kein Zurück mehr. Der weiße Pfau konnte ihre Angst sehr intensiv spüren, aber sie fand den Mut mit festem Blick zurück zu Xiang zu schauen. „Er ist der Vater. Ich war schwanger, bevor wir geheiratet haben.“
Po wünsche sich, er könnte sich unsichtbar machen. Niemand konnte sagen, was gerade in Xiangs Kopf vor sich ging. Aber jeder konnte ahnen, dass es nichts Gutes war. Der Panda zog den Kopf ein, als er sah wie sich Xiangs Flügel um den Speergriff anspannten. Plötzlich schrie er und stürzte sich auf sie. Die Pfauenhenne wich seinem Angriff aus und der Speer bohrte sich in die Steinplatten.
Yin-Yu hielt inne, aber Xiang zog den Speer wieder raus und startete einen erneuten Angriff auf sie.
„DU ABSCHAUM VON EINER VEDAMMTEN…!“
„Ich – ich wollte es dir sagen!“, unterbrach sie ihn mit erhobenen Flügeln. „Aber ich hatte Angst, du könntest ihnen weh tun!“
Xiang schäumte vor Wut und warf mit dem Speer nach ihr. Yin-Yu tat ihr Bestes ihm auszuweichen.
„Lass das!“, schrie Shen und versuchte sich aus den Griffen zu befreien.
Genauso wie Po, dem jedoch keine Möglichkeit blieb einzuschreiten und die Soldaten ihn nur noch mehr einengten. „Hey, ich bin auch ein Krieger des Friedens, Leute!“
Der blaue Vogel jagte die Frau über den ganzen Hof.
„Hör auf damit!“, rief sie. „Ich warne dich!“
„Ich knüpfe deine Leiche über meine Haustür auf!“, brüllte er ihr nach.
In diesem Moment bestand für die Frau kein Zweifel mehr, dass es keinen Weg gab ihm von seinem Vorhaben abzuhalten. Sie nahm Anlauf und raste auf eine Wand zu. Doch statt stehen zu bleiben, stieß sie sich von dort ab, drehte sich wieder um und raste mit einem lauten Schrei auf ihn zu. Xiang hielt nicht an und stürzte sich weiter auf sie, in der Absicht sie mit der scharfen Waffe zu erdolchen. Aber der Fuß von ihr traf ihn mit voller Wucht. Xiang wurde durch die Luft geschleudert. Er krachte gegen Guo und beide knallten gegen die nächste Wand. Stöhnend blieben beide Antagonisten dort liegen.
Po stand da mit offenem Mund. „Wow, der Shèjī-Kick.“
Tief beeindruckt ließ er seinen Blick auf der Frau ruhen, die inzwischen vor Erschöpfung auf den Boden gesunken war.
Jeder war sprachlos.
Plötzlich nutzte Shen die Chance und kickte die beiden Soldaten weg. Das animierte den Rest der Soldaten wiederum, aber Po war es inzwischen Leid die Opferrolle zu spielen und nahm eine Kampfhaltung ein.
„Bleibt weg, oder wir kicken euch in den Himmel!“
Zu seiner Verwunderung blieben die Soldaten tatsächlich stehen und wichen zurück.
Nach dieser kleinen Phase der Verwirrung hob Po triumphieren die Nase in den Wind. „Yeah, ihr wisst ganz genau, wann es Zeit ist aufzugeben, nicht wahr?“
„Ähm“, unterbrach ihn Sheng und deutete hinter den Panda. „Ich denke, die haben sich wegen denen da zurückgezogen.“
Po drehte sich um. Nicht weit entfernt standen mehrere andere Soldaten, angeführt von König Wang.
„Oh, das erklärt natürlich alles.“
„Tut mir leid für die Verspätung“, entschuldigte sich Wang.
Po lächelte. „Ach, das ist schon okay. Wir sind ja eh fast fertig.“
Wang nickte und winkte seine Soldaten heran. „Verhaftet jeden hier!“
Sie gehorchten und verteilte sich.
„Ist irgendjemand verletzt?“
Po lächelte. „Mehr oder weniger. Die Opfer campen dort drüben.“
Mit großen Augen starrte der Hunnenkönig auf den immer noch benommenen Pfau und den Ochsen.
„Wer war das?“
Der Panda deutet auf Yin-Yu. „Sie.“
Ungläubig sah Wang sie an. „Sie?“
„Allerdings.“
„Wie hat sie das gemacht?“
„Ja, woher kennst du diesen Kick?“
Mittlerweile hatten sich Xia und Sheng neben ihrer Mutter niedergelassen, die sich über ihr schmerzendes Bein rieb.
„Ich hatte ihn heimlich geübt“, erklärte sie. „Ich hab mich aber nie getraut ihn anzuwenden.“ Ihr Blick fiel auf ihre Kinder. „Für euch.“ Sie senkte den Blick wieder. „Und wegen jemand anderen.“
Ein Seufzer traf ihre Ohren. Shen stand nur einen Meter von ihr weg und sah auf sie herab. Doch dann ging er auf sie zu. Xia und Sheng machte ihm Platz. Die Pfauenhenne wagte nicht zu ihm aufzuschauen. Shen kniete sich zu ihr runter und nahm ihren Flügel in seine. Sie hob den Kopf. Nach so langer Zeit studierten seine rot-schwarzen Augen jede Facette ihrer Silbernen. Nach einer Weile ließ ihre Anspannung nach. Vorsichtig half er ihr hoch und hielt sie in den Flügeln.
Sein Blick wurde ernst. Er berührte ihr Gesicht. „Sag mir, hast du deine Mutter umgebracht?“
Sie schloss die Augen langsam und er wusste die Antwort. Sie lehnte ihren Kopf gegen seinen Brustkorb.
„Sie hat mir keine andere Wahl gelassen.“
Ihr zittriger Körper drückte sich gegen seinen. Aber da war kein Vorwurf in seiner Reaktion.
Gerührt beobachtete Po die beiden. Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit von Xiang abgelenkt, als Soldaten damit begannen ihn aufzuheben. Die Kollision war zu viel für ihn gewesen. Mit einem spöttischen Grinsen kam Po näher und sah auf den stöhnenden Pfau herab. „Oh, so schwach? Na dann, gute Besserung.“
Damit winkte er mit seinen Fingern über die Stirn.
Allmählich legte sich der Tumult. Alle Soldaten, die sich von Xiang haben bestechen lassen, wurden abgeführt. Der blaue Pfau war immer noch etwas angeschlagen, sodass er so gut wie keinen Widerstand leistete. Aber Wang war sich sicher, dass er sogleich wieder herumfluchen würde. Po witzelte ein paar Worte mit dem König, schielte aber immer wieder zu Shen und Yin-Yu rüber, die sich immer noch in den Flügeln lagen. Doch nach einer Weile lösten sie ihre Umarmung und gingen etwas auseinander. Xia und Sheng standen immer noch in ihrer Nähe, waren sich aber nicht sicher, ob sie nun was sagen sollten oder nicht.
Schließlich gesellte sich Po zu den beiden Geschwistern und gab ihnen einen leichten Seitenstoß.
„Äh, vielleicht wäre es angebracht, die beiden kurz alleine zu lassen“, flüsterte er den zwei erwachsenen Kindern zu.
Der Panda gab ihnen keine Gelegenheit dagegenzusprechen und zog sie zum Gebäude rüber. König Wang empfing ein Signal von ihm und der Ochse rief seine Leute vom Platz zurück.
Es wurde ruhiger, bis nur noch der weiße Lord und die Lady übrigblieben. Yin-Yu starrte die ganze Zeit auf den Boden, während Shen sie von Zeit zu Zeit von der Seite ansah. Erst jetzt schienen sie zu realisieren, was die Tage über passiert war. Der Lord rieb sich den Flügel. Er hatte sie wieder umarmt. Nach so langer Zeit. Und es fühlte sich an wie eine Illusion, die langsam wieder verblassen wollte. Wieder schaute er zu ihr rüber. Sie fühlte seinen Blick. Die Wirkung der vorherigen Umarmung konnte sie nicht mehr beruhigen. Stattdessen bangte ihr vor einer neuen Bestrafung von ihm.
Die Spannung zwischen ihnen wuchs. Die Stille machte es nur noch schlimmer. Jeder von ihnen wollte gerne etwas sagen, befürchteten aber eine neue Konfrontation. Und keiner von beiden wollte das je wieder erleben. Sogar Shen hasste das Gefühl der Disharmonie in seinem Weltbild. Der weiße Lord wurde immer nervöser und strich sich über seinen Flügel und fühlte auf einmal etwas Seltsames in seinem Gefieder. Er griff danach und die weiße Feder mit der rot-schwarzen Markierung von Yin-Yu kam zum Vorschein.
„Es ist noch nicht vorbei“, hatte die Wahrsagerin ihm versichert.
Shen nahm einen tiefen Atemzug. „Ich denke, wir sollten reden.“
Er zuckte zusammen. Die Pfauenhenne umarmte sich selbst und zog den Kopf ein, immer noch seinen Blick meidend.
Hatte sie Angst vor einer neuen Rüge?
„Sollten wir nicht besser mehr in deren Nähe bleiben?“, fragte Xia und schaute ihren Eltern aus einiger Entfernung zu.
Sie stand mit den anderen irgendwo in der Burg und beobachtete sie durch eines der Fenster.
Doch Po tätschelte ihr beruhigend die Schulter. „Nur keine Sorge. Ich bin mir sicher, dass alles in Ordnung ist. Und sollte doch etwas passieren, so bin ich jederzeit zur Stelle.“
Sanft schob er sie beiseite. Doch dann reckte er neugierig den Hals. „Über was reden die da nur?“
Er hielt den Atem an. Shen machte ein paar Schritte auf sie zu. Dann hob der Pfau die Flügel.
Yin-Yu begann zu zittern, als die Flügel sie von hinten an den Schultern berührten.
„Was habe ich getan?“, fragte sie mit angespannter Stimme.
Sie senkte den Blick noch tiefer und war völlig außerstande sich zu rühren. In der Zwischenzeit bewegte Shen ein wenig seine Fingerfedern. Er scheute sich davor ihr den Grund zu nennen, doch andererseits konnte er es auch nicht mehr länger in seiner Seele vergraben. Er konnte sie nicht mehr länger so sehen.
„Hör zu…“, begann er. „Es war nicht wegen dir… oder zumindest hatte ich zuerst gedacht, es wäre von dir…“
Po stellte sich auf seine Zehenspitzen und versuchte ein Wort zu verstehen. Er hatte sich zwar jetzt nahe genug an die beiden herangeschlichen, jedoch nicht nah genug, um ein klares Wort zu hören. Shen sprach so leise, dass es praktisch unmöglich für den neugierigen Panda war herauszuhören was er sagte. Er presste sich enger an die Steinwand und beobachtete ihre Reaktionen, während Shen ungehemmt weiterredete.
Plötzlich schrak Yin-Yu zusammen. Sie drehte sich um und starrte den weißen Lord an. Dann senkte sie ihr Gesicht und hielt sich die Flügel vor die Augen. Die Lady entfernte sich ein paar Schritte von ihm und gab den Eindruck gedemütigt worden zu sein.
„Wie konnte sie nur?!“, rief sie und rang nach Luft. „Ich habe eine schlimme Familie!“
Der Lord konnte sehen wie ihre Schultern bebten.
„Nun ja, auf mich kann ich ja auch nicht gerade stolz sein“, sagte er und wollte nicht daran denken, dass er ihr beinahe im Geheimgang das Gesicht zerschnitten hätte. Seine Wut auf den gefälschten Brief hatte ihn so blind gemacht, dass er sie fast getötet hätte.
Die Pfauenhenne begann zu wimmern.
„Ich kann verstehen, dass du mich nicht mehr sehen willst“, rief sie. „Ich hab dir nur Unglück gebracht.“
Es sah so aus, als hätte sie vor wegzulaufen, doch Shen ergriff sie an den Schultern.
„Unglück?“, fragte er überrascht aber ernst. „Wie kannst du sowas sagen?“ Sein Griff um sie herum wurde fester. „Kennst du mich etwa nicht mehr?“
Sie schwieg bevor sie wieder ihre Schnabellippen bewegte. „Was bin ich dir noch wert?“
Er verengte die Augen. Xiang hatte sie schlimmer manipuliert als er gedacht hatte. Behutsam, aber bestimmt, drehte er sie herum, sodass er ihr ins Gesicht sehen konnte. Seine Fingerfedern feste auf ihren Schultern. Nachdem er sich sicher war, dass sie nicht mehr weglaufen wollte, griff er in seine Federn und holte die weiße Feder heraus, die Xia ihm gegeben hatte.
„Erkennst du es wieder?“, fragte er.
Sie hob ihre Augen und schaute auf die weiße, alte Feder in seinem Flügel.
Allmählich kamen Erinnerungen zurück. Sie erinnerte sich daran wie sie diese Feder gefunden hatte. Es war an den Morgen nach der Nacht gewesen, wo sie sie auf den Fußboden fand, während sie dabei gewesen waren sich wieder anzuziehen. Wahrscheinlich hatte er sie während ihrer Liebesnacht verloren. Sie hatte sie aufgehoben und sie ihm gezeigt. Dabei hatte der Lord gelächelt. „Du kannst sie behalten.“
Vor 17 Jahren… Der nächste Tag nach der Nacht
„Meister Shen?“, fragte der Wolf-Boss, als er den Lord die Treppe in der Fabrik runtergehen sah. „Habt Ihr heute vor den Test an der neuen Waffe durchzuführen?“
Doch der Lord schüttelte den Kopf. „Heute nicht.“
Überrascht starrte der Wolf ihn an. „A-aber Ihr sagtet doch noch gestern…“
„Gestern war gestern“, schnitt Shen ihm das Wort ab. „Aber heute ist heute.“
Mit großem Auge beobachtete der Wolf wie die Pfauenhenne hinter dem Lord die Treppe hinabstieg. Sie trug eine andere Robe als gestern. Sie war dunkelblau und mit weißen Mustern versehen. Ihre Haltung war nicht mehr scheu wie vor ein paar Tagen. Ihr Blick wirkte selbstsicher und vielleicht sogar… glücklich. Lord Shen nahm ihren Flügel und führte sie bis ans Ende des langen Treppenweges. Dann legte er seine Flügel um sie, um sicher zu gehen, dass ihre Robe auch fest saß.
Der große Wolf war ihnen unterdessen gefolgt und war sich nicht sicher, was er als nächstes sagen sollte. „Ähm… und was habt Ihr heute vor?“
„Es ist so schön draußen“, sagte der Lord. „Wir werden einen kleinen Spaziergang machen.“
Die zwei Vögel sahen sich an. „Heute ist ein besonderer Tag.“
Sie lächelte ihm zu. „Ja, ein besonderer Tag.“
Damit rieben sie ihre Schnäbel aneinander. Es schien Shen nicht zu stören, dass der Wolf ihnen dabei zusah. Der wiederum sah verdutzt von einem zum anderen. Dann zuckte er die Achseln.
„Versteh ich nicht“, murmelte er vor sich hin und ließ sie allein.
Kaum war er weg, konnte sich Shen ein Schmunzeln nicht verkneifen. Dann geleitete er sie zur nächsten Tür.
Die Luft roch wie reingewaschen. Es war als hätte die Welt einen neuen Atemzug genommen. Neuschnee bedeckte die Landschaft der Berge. Alles schien so rein zu sein, so vollkommen, dass es irgendwie schmerzte einen Fuß in den makellosen Schnee zu setzen.
Shen platzierte sich neben sie und winkte mit den Flügel nach vorne. „Gehen wir.“
Zusammen gingen sie einen verschneiten Pfad entlang, der sich durch ein paar Hügel schlängelte. Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel herab. Der Schnee glitzerte und das Knirschen unter ihren Füßen war alles was die Welt um sie herum belebte.
Eine Weile schwiegen beide. Shen fühlte sich gedrängt etwas zu sagen und versuchte ein Gespräch zu beginnen.
„Nun“, begann er. Er versuchte unerschütterlich zu klingen, aber er fühlte sich wie ein unsicherer Teenager. „Es war eine… nette Nacht gewesen.“
Sie lächelte und strich sich über ihre Robe. Shen biss sich auf die Unterlippe. Letzte Nacht war alles so selbstverständlich gewesen, aber jetzt, wo er wieder nüchtern war, schien es ihm etwas peinlich zu sein. Er versuchte das Thema zu wechseln. Sie sollte nicht auf den Gedanken kommen, dass er sie nur wegen ihres Körpers mochte. Nein, es war bei weitem mehr als das. Er wollte über was Neutrales sprechen. Immerhin war alles jetzt eine ernste Sache. Sie waren ab heute ein Paar. Aber nicht irgendein Paar. Er war jemand mit adeliger Abstammung. Und sie waren sich einig als Verheiratete zusammenzuleben. Damit kam eine neue Verantwortung auf ihn zu. Nicht nur der Plan China zu erobern. Etwas anderes hatte ihn erobert.
Er hob etwas Schnee vom Boden auf und strich sachte darüber, während sie jede Bewegung seiner Flügel beobachtete.
Sie lächelte. „Der Schnee ist so weiß wie du.“
Er lächelte zurück. Weiß, schwarz und grau waren die einzigen Farben, die sie sehen konnte.
Plötzlich verfinsterte sich seine Miene.
Ein Krieger in schwarz und weiß wird mich besiegen.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte sie besorgt.
Hastig schüttelte Shen den Kopf. „Nein, nein. Es ist nur… Egal.“
Er wollte sich den Tag nicht mit dieser schwarz-und-weiß Prophezeiung ruinieren lassen. Nicht heute. Und was würde das überhaupt für einen Sinn machen? Er hatte bereits diese „Krieger“ aus schwarz und weiß beseitigt. Niemals würden sie seine Pläne durchkreuzen.
Er presste den Schnee in seinem Flügel zusammen. „Nein, es ist nur alles so neu für mich.“
Sie nickte. „Für mich auch.“
Er warf den Schneeball von sich. Zusammen beobachteten sie, wie dieser irgendwo im Schnee verschwand.
„Du kannst ganz schön weit werfen“, sagte sie.
„Reine Übungssache.“
Erneut hob er etwas Schnee auf und formte ihn zu einem Ball.
„Jetzt sieh dir das mal an.“
Er warf ihn sehr hoch in die Luft. Dann schleuderte er zeitgleich etwas in blitzschneller Geschwindigkeit hinterher und trennte den Ball in zwei Teile.
Sprachlos sah sie zu wie die zwei Schneeballhälften vom Himmel fielen.
„Wie hast du das gemacht?“
Er hob seinen Flügel und zog eine weiße Feder heraus. Aber diese Feder war irgendwie seltsam. Sie wirkte so steif und unnatürlich hart wie eine…
„Federklingen.“
Er reichte ihr eines von den Messern, die wie weiße Federn geformt waren. Vorsichtig nahm sie es in den Flügel und befühlte es mit ihren Fingerfedern.
„Sehr scharf!“, warnte er. „Ich hab sie diesen Morgen angezogen.“
„Wie bist du auf diese Idee gekommen?“, fragte sie.
„Nun, Federn sind wie Messer geformt. Dann dachte ich, wieso keine Federmesser?“
Sie strich über die scharfe Klinge. „Besteht da nicht die Gefahr, dass du dich schneidest?“
„Nein, nicht wenn ich vorsichtig bin.“ Damit nahm er es wieder an sich. „Und ich werde vorsichtig sein. Mein Körper ist meine eigene Waffe.“
Während er sprach, formte er einen weiteren Schneeball, warf ihn in die Luft und trennte ihn wieder mit einem Federmesser durch, sodass der Schnee über ihre Köpfe rieselte.
„Denkst du, ich könnte sowas auch?“, fragte sie nach ein paar Sekunden der Sprachlosigkeit.
Er lächelte sie an. „Da bin ich mir sicher. Ich werde es dich lehren.“
Sein Blick wanderte über die Landschaft. „Für die Eroberung ist jeder guter Krieger nötig.“
Sie bemerkte schnell wie sich seine Augenlider anspannten. Sanft streckte sie ihren Flügel nach ihm aus und rieb ihm über den Kopf, um den ganzen Schnee wegzurubbeln. Seine Anspannung verflog.
„Vielleicht sollten wir über was anderes reden“, schlug sie vor.
Shen blinzelte. „Mm, ja. Zumindest heute.“
In diesem Moment bückte sie sich runter und formte nun ebenfalls einen Schneeball. Zuerst sah Shen sie überrascht an, als ob er sie fragen würde, was sie jetzt von ihm erwartete.
Sie versuchte ein freundliches Lächeln aufzusetzen und fing an zu lachen. „Vergiss deine Arbeit. Es ist so ein wunderschöner Tag heute.“
Sie warf den Schneeball, schaffte es aber nicht ihn so weit weg zu werfen wie Shen es zuvor getan hatte.
Der weiße Lord schmunzelte. „Da fehlt noch ein bisschen Übung.“
Jetzt formte auch er abermals einen Schneeball. Doch dann… Zuerst schrak sie zusammen, doch als sie kurz darauf ein Lachen von ihm vernahm, machte es ihr nichts aus, dass er den Schneeball auf sie geworfen hatte. Und es dauerte nicht lange und zwischen ihnen tobte eine kleine Schneeballschlacht. Dann rannten sie quer über die Schneefelder, wirbelten herum, dass der Schnee nur so stob und sie einhüllte. Schließlich warf er sich auf sie und beide rollten auf den weißen Boden. Keuchend kamen sie zum Stillstand und schauten sich gegenseitig etwas erschöpft an.
Während Shen auf ihr lag, nahm er sich die Zeit ihr Gesicht vom Schnee zu befreien. Dabei führte er seine Bewegungen zärtlich und vorsichtig aus, und es begann ihn wieder an die vergangene Nacht zu erinnern. Sie war für ihn kein Geheimnis mehr. Seit er in der Nacht ihren ganzen Körper durchforscht hatte, meinte er alles über ihre Seele zu wissen. Nach einer Weile standen sie wieder auf und ein neues Fangen-und-Versteck Spiel begann. Sie spielten wie sie es noch nie in ihrer Kindheit getan hatten. Es war mehr als nur ein Spiel zwischen Freunden. Es war vertrauter und inniger…
Während sie sich hinter einem der Schneehügel versteckte, lehnte sie sich gegen die Schneewand und nutzte die Chance, um nach frischer Luft zu schnappen.
Plötzlich erstarrte sie. Ein Schatten war in der Ferne aufgetaucht und flog in niedriger Höhe über die schneebedeckte Berggegend. Die Pfauenhenne zog den Kopf ein. Ihr Herz schlug schneller. Sie kannte diese Gestalt. Im nächsten Moment gab die Figur den Eindruck sie entdeckt zu haben. Jetzt folgten ihr andere fliegende Schatten.
Sie schrak zusammen, als Shen neben ihr auftauchte.
„Gefunden!“ Doch dann bemerkte er ihre Unsicherheit und hielt inne. „Stimmt etwas nicht?“
„Äh… nein, ich…“ Behutsam schob sie ihn etwas weiter hinter den Hügel. „Ich… ich dachte nur, ich hätte eine… eine Blume irgendwo gesehen…“
Sie tat so als würde sie sich nach der Blume umschauen, aber in Wahrheit suchte sie den Himmel ab. Die dunklen Gestalten waren verschwunden.
„Warte eine Sekunde“, sagte sie und ließ den überraschten Lord da stehen. „Bin gleich zurück.“
Schnell rannte sie hinter die nächste Schneewehe.
„Sei vorsichtig“, rief Shen ihr nach.
„Keine Sorge“, rief sie zurück.
Kaum war sie aus seiner Sicht verschwunden, rannte sie so schnell sie konnte um ein paar verschneite Felsen, wobei sie immerzu den Himmel beobachtete. Aber da war nichts. Waren sie weg? Sie hielt an und lauschte. Aber da war kein Laut, nicht einer…
Plötzlich packte sie jemand von hinten und riss sie in die Luft. Sie tat ihr Bestes nicht zu schreien. Der große Vogel flog mit ihr zu einem im Schatten versteckten Plateau. Yin-Yu landete mit dem Gesicht im Schnee. Schnell rappelte sie sich wieder auf und blickte in das Gesicht eines Adlers.
„Nach so vielen Monden und Sonnen haben wir dich endlich gefunden“, sagte er zufrieden.
„Wie könnt ihr es wagen?!“, schimpfte sie. Mehr Adler kreisten sie ein.
Der große Vogel grinste dunkel. „Deine Eltern erwarten dich.“
Sie verengte die Augen. „Oh, wirklich?“ Sie wischte sich den Schnee von ihrer Kleidung. „Ich will nie wieder zurück!“
Der Adler schien jetzt etwas verwundert zu sein. Anscheinend hatte er noch nie solche Widerworte von ihr gehört.
„Ganz schön frech nach ein paar Wochen Freizeit in der weiten Welt.“ Er packte sie am Flügel. „Du kommst jetzt mit uns mit!“
Sie riss sich von ihm los. „Nein! Du weißt ganz genau wieso. Mein Leben in Jingang ist vorbei! Es existiert nicht mehr!“
Der Adler zog die Augenbrauen zusammen. „Oder ist es wegen diesem merkwürdig aussehenden Kerl?“
Sie zuckte zusammen. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“
Der Alder knackte mit den Krallen. „Vielleicht sollten wir ihn fragen.“
Ein hässliches Grinsen von ihm versprach nichts Gutes.
„Er weiß gar nichts über mich!“, beteuerte sie.
Der anführende Adler wandte sich ab. „Ach, wirklich?“
„Er lebt in den Bergen!“, sagte sie mit fester Stimme. „Allein. Er bot mir nur ein Dach über den Kopf an.“
„In diesem Fall wird es ja dann kein Problem sein nach Hause zurückzukehren.“
Zwei der Wachvögel packten sie an den Flügeln. Ihr Körper krampfte zusammen beim Versuch wieder freizukommen.
„Warum tust du mir das an?!“, rief sie.
„Deine Eltern werden sonst sehr ungehalten zu uns“, erklärte der größere Adler. „Sie sagen uns: Bringt sie zurück oder kommt nie wieder. Dreimal darfst du raten, was ich jetzt wählen werde.“
„Nein, ich will nicht zurück!“
„Halt den Schnabel! Zeit zum Abflug.“
Damit packte einer der großen Alder sie mit seinen Klauen und flog mit dem wehrhaften Mädchen davon.
Sie sah sich um, doch da war keine Möglichkeit ihn noch ein letztes Mal zu sehen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Die Landschaft um sie herum verschwamm.
Lebwohl, mein Geliebter.
Sie wünsche, sie könnte schreien. Aber er würde sie hören. Er sollte sie nicht hören. Er sollte nicht kommen.
„Zuerst dachte ich, dir sei etwas Schlimmes passiert“, sagte Shen nachdem Yin-Yu ihre Version beendet hatte. „Bis ich… den Brief erhielt.“
Die Pfauenhenne stieß einen wehleidigen Seufzer aus. „Ich hätte mich nie verschleppen lassen sollen. Ich hab alles kaputt gemacht!“
Sie hielt sich den Schnabel zu, um zu vermeiden laut los zu weinen.
Langsam trat Shen näher an sie heran. „Du hast vielleicht vieles kaputtgemacht, aber doch nicht alles.“
Sie senkte den Kopf noch tiefer. „Du gibst also auch zu, dass ich Schuld habe.“
Der Pfau verengte die Augen. „Wenn dann war es die Schuld deiner Mutter. Sie hat uns beide getäuscht.“
Yin-Yu senkte ihre verkrampften Flügel. „Ich hasse sie so sehr.“
„Warum hast du dich nicht bemerkbar gemacht?“, fragte er. „Ich wäre für dich da gewesen.“
Sie sah ihn mit versteinerter Miene an. „Und was wäre gewesen, wenn meine Eltern mit einer ganzen Armee angerückt wären? Nein, du warst noch nicht soweit. Mein Leben hat man schon ruiniert. Ich wollte nicht auch noch deines zerstören. Ich dachte, ich könnte mein früheres Leben hinter mir lassen. Ich wollte nie mehr meinen Namen hören, den ich am Tag meiner Geburt erhalten hatte. Im Übrigen hab ich nie etwas von deinen Plänen verraten. Nie.“
Shen schwieg einen Moment. „Ich erinnere mich noch wie du das erste Mal vor mir auf dem Boden lagst.“
„Vielleicht war es ein Fehler gewesen. Ich hätte dir eine Menge Probleme erspart.“
Für ein paar Sekunden wich Shen ihrem Blick aus, bevor er es wieder wagte sie anzusehen. „Aber deine Tochter hat nach mir gesucht, und mich gefunden. Und jetzt stehen wir hier.“
Sie sahen einander an, aber Yin-Yu zeigte sich mehr als verunsichert ihm gegenüber. Sie wandte sich ab und ging ein paar Meter weg. „Aber was bedeutet das?“, fragte sie mit heiserer, leiser Stimme.
Sie hielt inne, als sie auf dem Boden ein paar Blutflecken von Xiang erkannte, als Shen ihm mit dem Messer am Flügel verletzt hatte. Der Pfau bemerkte ihren Blick und schaute nun ebenfalls auf die roten Spritzer herab. Dann wischte er mit dem Fuß über den blutbefleckten Schnee.
„Du sagtest, du würdest ihn verlassen, oder?“, fragte er.
Sie rang nach Luft. „Ich war wütend.“
„Aber du würdest es tun, wenn du es könntest, oder etwa nicht?“
Darauf wagte sie nicht zu antworten. Langsam gingen sie Seite an Seite weiter.
„War er so grausam zu dir gewesen?“, fragte er vorsichtig.
Ein bitteres Lächeln zierte ihre Schnabelwinkel. „Wir schliefen in getrennten Schlafzimmern. Nur in den ersten paar Monaten kam er zu mir, wenn er seinen „Spaß“ mit mir haben wollte. Ich konnte mir noch nicht einmal die Namen von meinen Kindern aussuchen. Hätte Xia nie den Anfang und Sheng nie den letzten Buchstaben seines Namens gehabt, hätte er sich was anderes ausgedacht.“
Ein paar Sekunden der Stille folgten.
„Also hasst du ihn?“, wagte Shen die Frage zu stellen.
Sie hielt an, aber ihr Blick blieb geradeaus gerichtet. „Ja.“
Ratlos rieb Shen sich über den Ärmel seiner Robe. „Wang hat dir ein Angebot gemacht. - Willst du es annehmen?“
Sie sah ihn schnell an. „Warum stellst du mir diese Frage?“
„Ich möchte nur die Antwort wissen.“
Sie schaute weg. „Wie soll ich dir das erklären? Ich hatte keine andere Wahl gehabt.“
Er umkreiste sie. „Bis jetzt, nicht wahr?“
„Ich weiß überhaupt nicht, was ich denken soll!“
Shen kam vor ihr zum Stehen, während ihr Blick auf den Boden gerichtet blieb. Schließlich holte Shen etwas aus seinem Mantel heraus und hielt es ihr vor. Yin-Yu hob den Kopf und starrte auf das eingerollte Papier in seinem Flügel. Shen gab keine Erklärung und öffnete es ein wenig.
Ihre Augen weiteten sich. „Ist das etwa…?“
„Dein Brief? Ja.“
Er rollte es wieder zusammen.
„Du hast ihn bekommen…?“
„Seit gestern… Und gelesen.“
Mit einem Mal wandte sie sich ab. War es ihr peinlich?
„Aber das ist schon so lange her“, wimmerte sie. „Woher sollen wir wissen, dass es wieder so wird… wie früher?“
Der Pfau steckte den Brief wieder ein und legte die Flügel zusammen.
„Was verbindest du mit der Farbe schwarz?“
„Wieso?“
„Beantworte einfach meine Frage. Was empfindest du bei Schwarz?“
Sie dachte kurz nach. „Farblos. Weiß ist hell und Licht, aber Schwarz ist dunkel und ohne Sicht.“
„Genauso hab ich auch die ganze Zeit empfunden. Ich war wütend, als ich hörte, dass du jemand anderem gehörst.“
Sie schaute zu ihm auf. „Er hat mich nie besessen. Es gab keinen einzigen Tag, wo ich nicht einmal an dich gedacht habe.“
Shen hob die Augenbrauen. „Die ganzen 17 Jahre? 17 Jahre sind eine lange Zeit. Jeden Tag?“
Sie nickte, wagte aber nicht ihm die gleiche Frage zu stellen. Stattdessen wandten beide ihre Blicke in die Ferne.
„Hast du vor wieder in Xiangs Stadt zurückzukehren?“, fragte er vorsichtig.
„Ich hab mich dort noch nie wohl gefühlt“, antwortete sie. „Es birgt so viele… düstere Erinnerungen.“
Shen schien über etwas nachzudenken. „Nun, in diesem Fall wirst du wohl eine Bleibe benötigen, wo du dich mehr… wie im Licht fühlen kannst. Dort wo es keine düsteren Gedanken gibt.“
Ein sehr sanftes Lächeln glitt über ihren Schnabel. „Das wäre zu schön. Einen Platz zu haben, wo man sich nicht wie in einem Gefängnis vorkommt. Kennst du so einen Ort?“
Ein sehr, sehr kleines Lächeln folgte auf seinem Schnabel. „Vielleicht. Und vielleicht auch für deine Kinder.“
Sie sah ihn von der Seite an, während Shen fortfuhr: „Mm, und vielleicht benötigt deine Tochter einen Ort, wo sie schwimmen lernen kann. Sie wird das mal in einigen Situationen dringend nötig haben.“
Yin-Yu hob den Kopf höher. „Ich kann auch nicht schwimmen.“
„In dem Fall müsst ihr es beide lernen. Und dein Sohn ist kein schlechter Kämpfer. Er wird auch einen Ort brauchen, wo er sich weiterhin gut halten kann.“
„Du meinst unser Sohn… und unsere Tochter.“
Shen musste schmunzeln. „Ich muss mich noch daran gewöhnen.“
„Könntest du dir denn vorstellen, dich daran zu gewöhnen?“
„Nun, ich werde dafür etwas Zeit brauchen.“
„Wieviel Zeit?“
Er drehte sich zu ihr um. „Vielleicht eine sehr lange Zeit. Denkst du, du kannst mir diese Zeit geben?“
Ihre Augen weiteten sich. „Eine sehr lange Zeit?“
„Eine sehr, sehr lange Zeit.“
Sie sahen einander an.
„Könntest du dir das vorstellen?“, fragte er ernst.
„Ja.“
Er zögerte. „Sicher?“
„Wenn du mich schon so fragst.“
„Willst du?“
Erst jetzt fiel ihnen auf, dass sie sich fast umarmten. Aber vielleicht brauchte er auch nichts Weiteres zu sagen. Sie hatte ihm bereits voll und ganz zugestimmt.
In diesem Moment wirbelte eine kleine Schneeflocke um sie herum. Und noch eine und noch eine. Es begann wieder zu schneien.
Beide Vögel sahen zum Himmel auf.
„Liebst du immer noch den Schnee?“, fragte er tief in Gedanken.
„Ich liebe ihn immer noch wie…“
Er schien zu ahnen, dass sie „du“ sagen wollte.
Langsam nahm er ihre Flügel und küsste sie. Als hätte er die ganze Zeit nur darauf gewartet. Er streckte seine befiederte Hand nach ihr aus und wischte über ihre verschneiten Kopffedern. Dasselbe tat sie mit ihm.
Plötzlich wehte ein eisiger Wind. Sie umarmten sich, während sie dabei den Schnee beobachteten.
„Schnee ist wunderschön, nicht wahr?“, sagte er.
„Ja.“
Schnell und behutsam umhüllte er sie mit seinem Mantel. Sie begann zu zittern, wurde aber schnell wieder von ihm aufgewärmt.
„Hey!“, rief eine vertraute Stimme zu ihnen rüber. „Ihr holt euch noch eine Erkältung!“
Shen lächelte. „Wen kümmert es?“ Er zog sie näher zu sich heran. „Es ist uns ein Vergnügen.“
Po war sprachlos. „Also manchmal verstehe ich manche Leute echt nicht“, und beobachtete wie die Schneeflocken die beiden umwirbelten.
Hastig zog sich Po wieder in die Burg zurück, als er Shen und Yin-Yu zurückkommen sah. Und kaum hatten sie die Eingangshalle betreten, wurden sie dort auch schon von den anderen erwartet, mit Ausnahme von Wang, der in diesem Moment nicht anwesend war. Po, Xia und Sheng, die Zikade Tu miteinbezogen, blickten sie erwartungsvoll an.
Xia war die Erste, die ein paar Schritte in Richtung ihrer Eltern wagte.
„Was ist jetzt?“, fragte sie.
„Was ist was?“, fragte Yin-Yu zurück.
Xia rieb sich nervös die Flügel. „Gehen wir jetzt wieder nach Hause?“
„In welches Zuhause?“, fragte ihre Mutter sie erneut.
„Ich meine…“ Xia sah sie verwirrt an. „Ich verstehe das nicht.“
Sachte legte Yin-Yu ihre Flügel auf die Schultern ihrer Tochter.
„Wir haben darüber gesprochen, und ich denke…“
„Wir sind uns einig darüber“, beendete Shen ihren Satz und legte seine Flügel um die ältere Pfauenhenne.
Jetzt war es Sheng, der sich näher zu ihnen begab und sie unverwandt ansah. „Und was bedeutet das?“
Yin-Yu zwang sich zu einem Lächeln durch. „Ich denke, dass sollten wir im Kreis der Familie besprechen.“
Ihre Kinder sahen sie überrascht an.
Xia brachte es treffend auf den Punkt. „Sowas hat Xiang nie mit uns gemacht.“
Jetzt hob Yin-Yu den Kopf. „Wie geht es ihm? Was passiert mit ihm?“
„Ähm, ähm“, meldete sich Po zu Wort. „Während ihr euch draußen unterhalten habt, sprach Wang etwas davon, dass er für seine Taten eine Strafe erhalten wird, aber er sagte auch…“
„Sie haben das Recht über sein Schicksal zu entscheiden“, sagte Wang, der gerade hereinkam. Mit festen Schritten kam er auf die Vogel-Familie zu und sah sie mit ernstem Gesicht an.
„Es sei denn, Sie haben etwas gegen mein Urteil einzuwenden“, fügte der große König hinzu. „Immerhin ist er immer noch Ihr Ehemann.“
Er machte eine kurze Pause. „Oder soll ihm das schlimmste Urteil wiederfahren?“
Yin-Yu wusste was er damit meinte. Unsicher tauschte sie mit Shen Blicke aus. Doch er wollte sich nicht in ihre Angelegenheit einmischen. Wie Wang bereits gesagt hatte, war er ihr Ehemann und besaß die nächste höchste Verfügung über ihn.
Wang zog die Augenbrauen hoch. „Wenn Ihr ein Urteil gefällt habt, dann sollten wir es heute hier und jetzt vollstrecken.“
„Ja“, stimmte Po zu. „Nur um auszuschließen, dass er schon wieder abhaut. Also vielleicht – aus Versehen – nur um ganz sicher zu gehen.“
Der Panda hatte nicht die große Lust sich wieder mit diesem Pfau anzulegen.
Die Pfauenhenne senkte ihren Blick. Um sie herum lag eine schmerzliche Stille.
Schließlich hob sie den Kopf und sah Wang an. „Er ist in deinen Händen“, sagte sie. „Tu mit ihm, was du für richtig hältst. Nur töte ihn nicht.“ Ihre Augen wanderten zurück zu Shen. Sie konnte ihm ansehen, dass er nicht unbedingt ihrer Meinung war, aber sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht.“
Mit einem Schnauben der Verachtung wich Shen ihrem Blick aus, doch er wollte ihr nicht seinen Willen aufzwingen. In seinem Inneren brannte ein zerstörerisches Feuer, das nur darauf aus war diese verruchte Kreatur zu vernichten.
„Demnach ist es also beschlossene Sache?“, hackte Wang nach.
Sie nickte, wenn auch mit einem Zögern. Ihr Hass war zwar immer noch sehr groß, doch andererseits hatte er all die Jahre für sie gesorgt, sodass sie es nicht über sich bringen konnte an ihm die höchste Strafe zu verhängen, die ihm das Leben nehmen würde.
„Wollen Sie ihn noch ein letztes Mal sehen?“, erkundigte sich Wang.
Ein Hauch des Horrors überkam sie.
„Er ist völlig kampfunfähig“, sicherte Wang ihr zu. „Er kann Ihnen nichts anhaben.“
Sie zögerte, doch dann nickte sie. Wang winkte ein paar seinen Soldaten was zu und sie entfernten sich. Und es dauerte nicht lange bis sie zurückkamen. Anscheinend hatten sie ihn nicht sofort weggesperrt, sondern nur in einer einsamen Ecke verwahrt. Der blaue Pfau wehrte sich nicht, als sie ihn in das Gebäude führten. Fesseln aus Eisen lagen um seinen Hals, Flügel und Füße, die wiederum mit einer Kette verbunden waren. Von Zeit zu Zeit sträubte er sich ein bisschen, als wäre er in der Lage die Ketten mit einer Bewegung zu sprengen. Die Schnittwunde von Shen hatte aufgehört zu bluten, aber ein großer Blutfleck zierte seinen linken Flügel.
Die Soldaten platzierten sich in der Halle aber mit genügend Abstand zur Pfauenhenne.
„Na schön“, begann Wang mit verschränkten Armen. „Dein Verhalten war mehr als rücksichtlos gewesen. Aber da ich den Willen deiner Frau respektiere, sehe ich davon ab an dir die schlimmste Strafe zu verhängen. Du wirst in den Steinmienen arbeiten. Dort wirst du genug Beschäftigung haben.“
Xiang sah ihn mit bockigem Gesichtsausdruck an, so als habe er vor ihn anzuspringen und sein Gesicht zu zerkratzen. Sein hasserfüllter Blick fiel auf seine ehemalige Familie.
Plötzlich stürmte er nach vorne, aber die Ketten verhinderten, dass er sie erreichen konnte. Ärgerlich riss er an den Ketten.
„Du verfluchte Hexe!“, schrie er. „Komm mir nur noch einmal unter die Augen und ich werde…!“
Plötzlich warf Shen mehrere Federmesser vor ihm auf den Boden und verfehlten nur ganz knapp die Füße seines Rivalen. Das brachte den blauen Pfau erst mal zum Schweigen, aber seine Wut war noch lange nicht verflogen.
„Wag es nur einmal in ihre Nähe zu kommen!“, fauchte Shen drohend. „Dann wirst du derjenige sein, der stirbt!“
Beide stierten sich an.
„Das glaube ich eher weniger“, zischte Xiang.
Yin-Yu bemerkte wie kurz Shen davorstand, erneut ein Messer auf ihn zu werfen, hielt ihn aber gerade noch davon ab den blauen Pfau zu erdolchen. Stattdessen drückte sie seine Flügel runter und sah ihn bittend an. Nicht so.
Ein bisschen ruhiger nahm er sie in die Flügel, als er spürte, wie die Angst sie wieder vereinnahmte.
Vor lauter Hass verengte der blaue Pfau die Augen.
„Denkt nur nicht, dass ich das auf mir sitzen lasse!“, brüllte er und zog erneut mit aller Kraft an den Fesseln. „IHR SEID ALLE TOT!“
Ungehalten packte König Wang ihn an der Halskette. „Sei froh, dass seine Frau dich am Leben lässt.“
Er schleuderte ihn von sich.
„Führt ihn ab!“, befahl er. „Ich kann ihn nicht mehr sehen.“
Die Soldaten gehorchten, aber Xiang dachte nicht daran einfach so aufzugeben und fuhr mit seinem Herumgefluche unbeirrt fort, während man ihn wegzog. Doch bevor man ihn endgültig wegbrachte, drehte er sich nochmal um. „Ich werde zurückkommen! Ich schwöre das bei meinem Tod!“
Verwirrt rieb sich Po den Kopf. „Äh, du meinst mit deinem „Leben“, oder etwa nicht?“
Ein schneidender Blick von Xiang ließ den Panda erschaudern.
„Ihr werdet dafür bezahlen!“, war der letzte klare Satz, den sie von ihm hörten. Seine Schreie wurden leiser bis sie ganz verklungen waren.
Po warf Wang einen zweifelnden Blick zu. „Das hat er aber jetzt nicht ernst gemeint, oder?“
Doch Wang winkte ab. „Keine Sorge. Der kommt nicht wieder.“
Unsicher sah Po in die Richtung, in die man Xiang verschleppt hatte. „Na hoffentlich.“
Besorgt sah er zu den anderen. Shen hatte sie wieder in die Flügel genommen. Mittlerweile war Wang an sie herangetreten und seine Augen blieben auf Yin-Yu hängen.
„Tja, ich vermute mal, dass Sie nicht hierbleiben möchten, oder?“
„Das glaube ich kaum“, flüsterte Po ihm zu. „Die haben seit 17 Jahren auf diesen Moment gewartet. Von daher kann ich mir nicht vorstellen, dass sie…“
„Panda!“, schnitt Shen ihm das Wort ab.
„Schon gut. Ich bin ja schon still. Tschuldigung. Ich hab ja nur gedacht…“
„Hört zu, König Wang“, begann Yin-Yu. „Euer Vorschlag ehrt mich sehr, aber ich habe bereits eine Familie.“
Damit nahm sie Shens Flügel in ihre und Wang musste ihre Entscheidung akzeptieren.
„Aber was wird jetzt aus Ihrer Heimatstadt?“, fragte der Ochse weiter.
Sie tauschte kurz einen Blick mit Shen. Aber es war eine klare Sache, dass sie nie wieder einen Fuß in Xiangs Stadt setzen wollte.
„Ich übertrage Ihnen die Verantwortung darüber“, sagte sie. „Ich kann dort nicht bleiben.“
König Wang rieb sich den Kopf. „Na gut, aber…“
„Po?! Bist du hier?!“
Wie elektrisiert drehte Po sich um und sah wie Mr. Ping im Eingang stand.
„Dad?“
Hinter dem Gänserich folgten die Wahrsagerin und Xinxin.
„Wie kommst du denn hierher?“
„Durch den Tunnel“, erklärte Mr. Ping. „So wie ich dich kenne, hast du es wohl bereits geschafft und ich dachte nur, dass du Hunger hast… Liebe Güte! Ich wollte nur sehen, ob mit dir alles in Ordnung ist.“
Po rannte auf ihn und umarmte ihn. Schnee rieselte auf den Boden.
„Das war nicht mein Verdienst“, meinte Po und ließ ihn wieder los. „Jemand anderes hatte die meiste Arbeit erledigt.“
Er schaute zu den beiden Vögeln und Mr. Ping verstand. Po führte ihn zu ihnen, doch Shen und Yin-Yu schienen sie nicht so richtig zu bemerken. Nicht einmal die Wahrsagerin, die sie mit einem warmen Lächeln beobachtete. Mittlerweile wanderte Pos Blick von einem zum anderen.
„Hey, bilde ich es mir nur ein, oder steht noch etwas an?“
Viele Tage später…
„Nein, nein, nein, nein. Oh, meine Güte, meine Güte, oh mei, mei, mein…“
Nervös und unruhig ging Po auf und ab.
„Po?“
Der Panda schrie erschrocken auf, bis er merkte, dass es nur Mr. Ping war, der ihn überrascht ansah.
„Was ist denn mit dir los?“
„Oh, nichts, es ist nur…“ Po suchte nach den richtigen Worten. „Es ist alles so… ich bin so aufgeregt. Ich war noch nie bei einer… oh, oh, oh, oh…“
„Po! Beruhige dich“, riet ihn Mr. Ping im beruhigenden Tonfall. „Du scheinst mir ja noch nervöser zu sein als das Brautpaar.“
Sie standen neben dem Palast von Shens neu erbauter Stadt. Es war fast Nacht und Po wusste einfach nicht, was er machen sollte. Denn heute war ein ganz besonderer Tag.
Mr. Ping reckte den Kopf höher und schaute nach draußen, wo der große Paradeplatz lag. „Oh, ich glaube, sie wollen anfangen…“
„Oh, oh, oh, oh, oh, wirklich? Ahh! Wir kommen zu spät!“
So schnell der Panda konnte rannte er ein paar Stufen runter zum großen Platz, wo sich mehrere Schafe, Widder und Ziegen eingefunden hatten. Mit Mühe zwängte sich Po durch die großen Leute hindurch.
„Entschuldigung, tschuldigung, Platz da.“
Er hatte fast die vorderste Front der Menge auf dem Platz erreicht und zog zwischen zwei Widdern den Bauch ein. Plötzlich stolperte der Panda über seine eigenen Beine, fiel nach vorne und landete auf einer freien Fläche am Rande der Volksversammlung.
„Oh, Panda!“, fauchte Lord Shen ihn an.
Der Pfau stand ein paar Stufen höher vor dem Palast und blickte vorwurfsvoll auf ihn herab.
„Oh, tut mir leid, tut mir leid“, entschuldigte sich Po und stand schnell auf. Neben ihn standen Xia und Sheng.
Missbilligend schüttelte Shen den Kopf. Eine dumme Aktion von diesem Panda war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte. Mit einem tiefen Seufzer hob er den Kopf höher und stand felsenfest da. Er trug eine lange schneeweiße Robe mit kaum sichtbaren roten Fäden.
Pos Augen schweiften über die Umgebung und blieben an Sheng hängen.
„Hey, deine Farbe ist cool“, flüsterte Po ihm zu.
Der junge Pfau hatte sich diesmal nicht seine weißen Stellen im Federkleid gefärbt, sodass seine gescheckte weiß-grün-blaue Pracht für jedermann sichtbar war.
„Findest du wirklich?“, fragte er.
„Oh ja.“ Po nickte. „In meinem Dorf sind weiße Flecken sehr beliebt.“
Er deutete auf die weißen Stellen in seinem Fell.
Plötzlich ertönte ein lauter chinesischer Gong über dem Platz. Alle Augen wanderten zu den Treppen rauf. Po hielt den Atem an. Eine Tür wurde geöffnet und eine vertraute Gestalt erschien im großen Türrahmen. Die Pfauenhenne stand da, ihre Flügel zusammen unter den Ärmeln ihrer Robe versteckt. Sie trug eine weiß-silberne Robe mit grauen Mustern und schwarzem Garn. Das Kleidungsstück war länger als gewöhnlich und glitt beim Gehen über die Stufen.
Ein Raunen ging durch die Menge. Yin-Yu hatte die Augen ein kleinwenig geschlossen, aber sie erweckte den Eindruck, dass dies eine Hochzeit war, die sie gerne einging.
Die zwei Vögel trafen sich auf einer größeren Plattform zwischen den Treppen. Das Publikum beobachtete jeden ihrer Bewegungen und wie ein jeder den Flügel des anderen nahm. Ein weiteres Schaf stand neben ihnen und war bereit die Hochzeitszeremonie zu vollziehen. Eine Harmonie umgab die Braut und den Bräutigam. Jeder konnte sehen, dass sie wie eins waren.
Während der gesamten Zeremonie, stand Po auf seinem Platz und kaute nervös an seinen Fingernägeln. Mr. Ping musste ihn jedes Mal mit einem Stoß in die Seite ermahnen damit er damit aufhörte, bevor er wieder damit anfing. Als dann nach dem Ritual der lang ersehnte Kuss folgte, ging ein Jubeln durch die Menge. Po konnte vor lauter Rührung und Aufregung eine Träne nicht unterdrücken.
Schließlich nahm Shen sie an seinen Flügel und blickte auf die Menge, als Zeichen, dass er Respekt erwartete. Jeder verneigte sich. Nachdem die Ehrerbietung langsam abgeklungen war, hob Shen die Flügel.
„Zur Feier des Tages gebe ich der Stadt einen neuen Namen. Von heute an nenne ich sie Yín Yăn.“
„Äh, meintest du nicht, Yin Yang?“, flüsterte Po zu ihm hoch.
Shen stieß einen verärgerten Seufzer aus. „Nein, Yín Yăn.“
Er warf dem Panda einen gefährlichen Blick zu. „Ist das jetzt meine oder deine Stadt?“
Po zog den Kopf ein. „Natürlich ist es deine Stadt. Ich hab ja nur gedacht…“
Shen kümmerte sich nicht weiter um den Panda und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seiner Frau zu.
„Ich weiß, du kannst keine Farben sehen. Darum hab ich für dich etwas ganz Besonderes erschaffen.“
Er hob den Flügel. Irgendjemand erspähte sein Signal und zündete ein paar Feuerwerksraketen an. Zuerst sah es wie ein normales Feuerwerk aus, doch dann… Lichtbilder erschienen am Himmel.
„Wow!“, rief Po überwältigt. „Das sieht aus wie ein Vogel… oh, das da wie eine Nudel, nein, eine Feuerwolke…“
Mehr und mehr Bilder aus Feuerwerklichtern erleuchteten den Himmel.
„Ihr seid ein Genie, Meister“, lobte das kleine Schaf, welches mit seiner Großtante, die Wahrsagerin, neben ihnen standen. Der weiße Lord nickte ihnen zu. Und sie nickten respektvoll zurück.
Während alle das Schauspiel bewunderten, hatte Xia sich an Po gewandt. „Vielen Dank, dass unsere Eltern wieder zusammen sein können.“
Schüchtern rieb Po die Tatzen aneinander. „Hey, kein Problem. Aber ohne dich, wäre das wohl gar nicht zustande gekommen.“
Sie senkte den Blick. „Aber wird er jemals mit mir zufrieden sein?“
Der Panda rieb sich nachdenklich übers Kinn. „Du meinst, weil du ein Mädchen bist? Ne, das glaub ich nicht. Weißt du was, ich werde dir mal einen kleinen Rat geben, und damit kann ich aus eigener Erfahrung sagen, ihr solltet euch besser kennenlernen. Gib ihm Zeit. Es dauert bei ihm manchmal etwas bis er für eine Übereinstimmung bereit ist.“
Das Mädchen sah zu ihrem Vater hoch, der mit Stolz neben ihrer Mutter stand.
Während alle anderen das Feuerwerk beobachteten, rückte Shen etwas näher an seine verheiratete Braut heran.
„Du weißt, ich wollte dich zur mächtigsten Frau machen, wenn ich China erobert habe. Aber im Moment kann ich dir nicht mehr bieten.“
Sie lächelte. „Macht und Reichtum sind mir nicht wichtig.“ Sie ergriff seinen Flügel. „Ich bin glücklich genug.“
Er senkte den Blick. „Dennoch, ich wünschet ich hätte gewonnen.“
„Aber du hast doch bereits einen Krieg gewonnen. Für uns.“
Er sah sie ernst an. „Aber du verdienst es. Es wird Zeit, dass du aus dem Schatten kommst.“
Behutsam strich sie über seinen Flügel. „Hauptsache wir bleiben zusammen.“
Seufzend ließ er sie sich gegen seinen Brustkorb anlehnen. Und er hoffte, dass dies der letzte Krieg war, den er für sie gewinnen musste.
Yín Yăn sollten für die chinesischen Worte „Silbernes Auge“ stehen. Ich hab versucht es in einem chinesischen Wörterbuch genau zu bestimmen, aber falls jemand was dagegen einzuwenden hat, ob die Übersetzung korrekt ist, lasst es mich wissen. :)
Beim Stichwort Feuerwerk, die wie Farben am Himmel sind, musste ich an das Lied „Ist da jemand“ von Adel Tawil denken. Es ist ein schönes Lied. Kann ich nur empfehlen. ^_- (Das Official Video hat immer noch den besten Sound.) Und passt auch irgendwie hierzu. Hört es euch mal an, wenn ihr es noch nicht kennt. ;-)
„…und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“, beendete Po seine Geschichte.
Er war gerade dabei mit seinen fünf Freunden durch die Straßen des Tals des Friedens zu schlendern, während er ihnen alles erzählte, was er erlebt hatte.
„Und du glaubst wirklich, dass sie glücklich miteinander sein werden?“, fragte Monkey.
Po verlangsamte sein Tempo. „Oh, dessen bin ich mir absolut sicher.“ Er seufzte einmal. „Vielleicht würdest du dasselbe sagen, wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe.“
Gedankenverloren wischte er mit dem Fuß über einen kleinen Schneehaufen. Mittlerweile war der Schnee am Schmelzen. Nur hier und da ragte noch eine weiße Stelle hervor. Der Frühling war bereit in das Land einzuziehen.
Über Pos Mund huschte ein Lächeln. „Schnee ist schön.“
Seine Freunde tauschten verwunderte Blicke aus und wussten nicht, was sie mit diesen tiefschürfenden Worten anfangen sollten.
Hastig schüttelte Po den Kopf und knackte mit den Fingern. „Nuuuuun dennn, jetza, was wird unsere nächste Mission sein? Ich bin jederzeit bereit!“
Er hielt an. Sie standen jetzt vor Mr. Pings Restaurant und dort kam gerade jemand heraus.
„Äh, was macht den der Dorfarzt in unserem Haus?“, fragte sich Po.
Mantis sprang auf seinen Kopf. „Vielleicht wollte er was essen.“
Po dachte einen Moment nach. „Um diese Zeit geht er doch nie in unserem Restaurant essen. Könnte es sein, dass…?“
Plötzlich stieg in ihm ein schlimmer Verdacht auf und rannte nach vorne.
„Oh nein! DAD!“ So schnell er nur konnte stürmte er vor in die Küche. „Dad! Was ist passiert?!“
„Oh, hi, Po“, begrüßte ihn Mr. Ping. „Ich hatte schon geahnt, dass du kommen würdest.“
Pos Augen wanderten auf Mr. Pings Flügel, der in einer Armschlinge lag.
Der Gänserich lächelte verschmitzt. „Es ist nur eine kleine Verstauchung. Nichts Ernstes. Ich bin vorhin auf dem Schneematsch ausgerutscht.“
Po schlug sich die Tatzen über den Kopf, als er sah, wie Mr. Ping nach einem Topf griff. „Lass mich das machen, Dad! Ich helfe dir bei der Arbeit.“
„Aber Po, das ist doch nicht nötig.“
„Du kannst das unmöglich mit nur einem Flügel schaffen.“
Mit diesen Worten nahm er ihm den Topf aus der Federhand, doch kurz danach schnappte er sich den Mülleimer.
„Po, ich bestell mir eine Haushaltshilfe…“
„Nur keine Sorge, Dad!“, rief Po. „Ich trag den Müll raus!“
„Aber, Po…“
Tigress hielt sich die Pfote vor die Augen, und Mantis ergänzte ihre Gedanken: „Ich glaube, wir müssen noch eine Weile weiterhin ohne ihn auf Mission gehen.“
- Ende vom 2.Teil -
„… und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute…“ Okay, das ist aber nicht das Ende der Geschichte.
Hier sind die folgenden Storys, die noch folgen werden:
„Der letzte Sieg“, „Die letzte Ehre“ und „Die letzte Hoffnung“.
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Kapitel: | 33 | |
Sätze: | 8.328 | |
Wörter: | 77.768 | |
Zeichen: | 438.416 |
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