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Is all that we see or seem
But a dream within a dream?
( A Dream Within A Dream - Edgar Allan Poe)
Ich weiß nicht, wie lange es schon regnete. Tage vielleicht oder gar schon Wochen. Ganz London schien nur noch durch einen wässrigen Schleier sichtbar zu sein, der die Farben längst ausgewaschen hatte und nichts weiter übrig ließ als ineinanderfließendes Grau. Grau der Himmel, grau die Häuser und Straßen, grau die Gesichter der Menschen. Es passte zu meiner Gemütslage, zu meiner ganzen Situation.
Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer war, hier eine Arbeit zu finden, die mich so lange über Wasser hielt, bis ich endlich meine Ausbildung als Medihexe am St. Mungos beginnen konnte. Alle potentiellen Arbeitgeber, seien es die Läden in der Winkelgasse oder diverse Gastronomiebetriebe – magischer wie nichtmagischer Art – schien abzuschrecken, dass ich nur für wenige Wochen zur Verfügung stünde. Es war, man verzeihe mir den Begriff, wie verhext. Oder vielmehr verflucht. Der jugendlich naive Überschwang und grenzenlose Optimismus, der mich begleitet hatte, als ich mich in die vermeintlich große weite Welt aufgemacht hatte, war längst verflogen und hatte tiefer Niedergeschlagenheit und düsterer Resignation Platz gemacht. Bald würde selbst das kahle Zimmerchen in der billigsten Pension, die ich hatte finden können, zu teuer für mich sein und dann säße ich für eine Weile auf der Straße, bis ich mein Zimmer im Wohnheim der Klinik bezog. Natürlich könnte ich jederzeit meine Familie um Hilfe bitten, sei es um Geld oder darum, bis Beginn meiner Ausbildung wieder nach Hause kommen zu können, doch das ließ mein Stolz nicht zu. Ich liebte meine Familie sehr und sie waren wunderbar, dennoch war mir der leise Zweifel nicht entgangen, der sich auf den Gesichtern meiner Eltern abzeichnete, als ich ihnen meine Pläne darlegte. Ich war immer noch ihr kleines Mädchen, das Nesthäkchen, stets wohlbehütet und geschützt von einem großen Familienverband und sie waren sich nicht sicher, wie ich mich alleine und weit weg von zuhause behaupten würde. Ich hatte bei meinem Auszug ziemlich große Töne gespuckt, verkündet die Welt erobern und wenn schon nicht zu retten, dann doch zumindest verbessern zu wollen…
Im Moment jedoch fühlte ich mich, als sei ich selbst unrettbar verloren.
Mit zusammengebissenen Zähnen irrte ich nun also durch den Regen, nass bis auf die Haut – meinen Schirm hatte ich längst irgendwo verloren und kein Aufrufzauber hatte ihn mir wiederbeschaffen können – und hoffte, ein Arbeitsvermittlungsbüro zu finden, das ich noch nicht abgeklappert hatte und das mich vielleicht aus einer Misere würde retten können.
Den Blick hielt ich gesenkt, oben gab es ohnehin nichts zu sehen außer einer bleigrauen Wolkenschicht und der Blick in die Gesichter der wenigen Passanten, denen ich begegnete, vermochte mich auch nicht aufzuheitern. Vermutlich blickte ich selbst nicht weniger griesgrämig drein.
Es kam, wie es kommen musste – ich verlief mich. Nicht, dass ich ein wirklich klar zu benennendes Ziel gehabt hätte, doch die Straße, in der ich mich schließlich wiederfand, war mir gänzlich unbekannt. Ganz sicher war ich noch auf keinem meiner Streifzüge durch das magische London je hier gewesen.
Die Häuser drängten sich so dicht zusammen, als fürchteten sie, den Halt zu verlieren, wenn sie einander nicht stützten. In Anbetracht dessen, wie uralt sie wirkten, schien diese Möglichkeit auch durchaus plausibel. Das Kopfsteinpflaster war holprig und ausgetreten, kein Mensch war außer mir zu sehen. Wenn ich an der nächsten Ecke nach links ging, bemühte ich meinen nicht sonderlich gut ausgeprägten Orientierungssinn, sollte ich eigentlich wieder in die Parallelstraße zur Winkelgasse gelangen…
Dass ich das Schild bemerkt, war reiner Zufall. „Parks & Craven – Arbeitsvermittlung für Hexen und Zauberer“ war darauf in ehemals goldenen, inzwischen jedoch verblassten und altmodisch verschnörkelten Lettern zu lesen.
Beinahe hätte ich gelacht. Wirklich ein zauberhafter Zufall. Einen Versuch war es jedoch wert – vielleicht hatte mich mein Unterbewusstsein absichtlich hergeführt, vielleicht lag hinter der schäbigen Holztür die Lösung für mein Problem…
Ein altersschwaches Glöckchen bimmelte zaghaft, als ich eintrat. Zu sehen war niemand. Möglicherweise saßen die Herren Parks und Craven gerade im Hinterzimmer beim Tee – oder waren bereits verstorben und hatten es noch nicht gemerkt. So verstaubt und aus der Zeit gefallen wie dieser Ort wirkte, lag das durchaus im Bereich des Möglichen. Schulterzuckend machte ich mich daran, die wenigen Angebote an der Anschlagtafel zu studieren – manche mussten schon Jahre hier hängen – und war, ohne etwas Geeignetes gefunden zu heben, beim vorletzten Pergament angekommen, als die Türglocke erneut klingelte und jemand den Laden betrat.
Der Mann trat schnellen Schrittes neben mich, zog einen Streifen Pergament aus der Innentasche seines Mantels, heftete es mit einem Klebezauber an die Tafel und starrte eine Weile darauf, als wisse er selbst nicht genau, was er da tat. Er beachtete mich nicht, während ich ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. Er war groß und blond, sehr traditionell gekleidet und ich hätte ihn ausgesprochen gutaussehend gefunden, wären da nicht der bittere Zug um den Mund und tiefe Schatten um die Augen gewesen, die ihn müde und verhärmt wirken ließen.
Schließlich seufzte er tief, schüttelte leicht den Kopf als erwachte er aus einem unangenehmen Traum, machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Laden.
Neugierig las ich, was in steiler, gestochen scharfer Schrift auf dem Pergament stand. Gesucht wurde eine weibliche Person für wenige Wochen zur Unterstützung bei der Pflege der schwerkranken, bettlägerigen Ehefrau, wobei die medizinische Versorgung sichergestellt war. In der Hauptsache ging es um Gesellschaft, gemeinsame Mahlzeiten und kleine Hilfestellungen im Alltag. Eine angemessene Vergütung würde gezahlt, zudem waren Kost und Logis natürlich frei. Seine Eule möge man nach Malfoy Manor schicken.
Ich brauchte keine Eule. Ich riss den Zettel von der Wand und rannte hinaus in den Regen. Das war die ideale Stelle für mich und ich wollte den Mann unbedingt einholen, bevor er disapparierte.
Zum ersten Mal seit langem war mir das Glück hold – gerade noch sah ich die hohe Gestalt um eine Ecke biegen und ich begann zu laufen, ungeachtet des vom Regen glitschigen Pflasters. Als ich in Hörweite war, verlangsamte ich meine Schritte – das fehlte noch, dass ich mich vorstellte, indem ich mich schwungvoll mit dem Hintern in eine Pfütze setzte – und rief: „Entschuldigung… Mr Malfoy? Sir?“
Er hielt an, wandte sich zu mir um und sah mich erstaunt an. „Ja?“
Ein wenig überrumpelt von meinem eigenen Mut, einfach so jemand völlig Fremdem auf offener Straße hinterher zu rufen, kam ich zunächst ein wenig ins Stocken. „Verzeihen Sie, dass ich Sie so einfach anspreche, aber… Ich habe das hier gelesen…“ Ich zeigte ihm das Pergament. „Ich würde gerne… Also, ich möchte…“
„Sie wollen für mich …für uns arbeiten?“ Er klang ein wenig überrascht. „Ich weiß nicht, ob…“
„Wenn es an meinem Alter liegt…“
„Nein, nein, das ist es nicht… Im Gegenteil, vielleicht tut es ihr sogar gut, wenn sie wieder jemand Junges um sich hat, ja…“
Für einen Moment schien er mehr mit sich selbst zu sprechen, schien vergessen zu haben, dass ich da war. Dann klärte sich sein Blick und er lächelte mich an, kurz nur, doch es veränderte ihn augenblicklich, ließ ihn um Jahre jünger wirken. Irgendwie mochte ich ihn sofort.
„Wir sollten das nicht bei diesem Wetter auf offener Straße besprechen, Miss…?“
„Valeria. Valeria Sander. Entschuldigung, ich habe mich nicht einmal vorgestellt.“ Ich musste gerade einen schrecklichen ersten Eindruck hinterlassen.
„Es gibt Schlimmeres als das. Dort drüben gibt es ein Café, da können wir reden. Ich denke, wir möchten beide aus diesem Regen heraus – wie ich sehe, bin ich nicht der Einzige, der vergessen hat, einen Trockenzauber anzuwenden.“
Das Café war spärlich besucht, altmodisch und ein wenig heruntergekommen, doch es war immerhin warm und gemessen an der scheußlichen Witterung draußen fand ich es durchaus nicht ungemütlich. Ich bestellte Tee, Mr Malfoy winkte ab. Er wirkte müde und fahrig und fingerte beständig am Knauf seines Gehstocks herum, der einen silbernen Schlangenkopf darstellte. Es war ein antikes Stück, in dem er, wie ich vorhin beobachtet hatte, seinen Zauberstab aufbewahrte.
Er fragte mich zunächst, warum ich auf ihn zugekommen sei, warum ich die Stelle annehmen wollte und ich erzählte ihm frei heraus von meinem bevorstehenden Ausbildungsbeginn, dass ich die Zeit bis dahin überbrücken musste und dass ich gerade diese Ausbildung gewählt hatte, weil es mir ein Anliegen war, kranken Menschen zu helfen.
Daraufhin schwieg er eine Weile nachdenklich und meinte schließlich: „Ich denke, all das qualifiziert Sie umfassend. Dennoch möchte ich, dass Sie noch einmal darüber nachdenken, dass Sie sich ihrer Sache ganz sicher sind. Sehen Sie, Miss Valeria, Sie sind in der Tat noch sehr jung und bei uns ist es… einsam.“
„Das macht mir nichts aus“, beeilte ich mich zu versichern.
„Das mögen Sie jetzt sagen, aber möglicherweise sehen Sie dies recht bald anders. Zudem möchte ich, dass Sie wissen… Narcissa, meine Frau, ist von ruhigem und ausgeglichenem Gemüt – bewundernswert gelassen, wenn man bedenkt, wie es um sie steht. Ihr Anblick könnte Sie jedoch erschrecken, ihre Krankheit hat sie sehr… entstellt.“
Es war freundlich von ihm, mich derart vorzuwarnen, doch das minderte meine Entschlossenheit nicht im Geringsten. Bereits in dieser kurzen Zeit, nach den wenigen Worten, die wir gewechselt hatten, empfand ich tiefes Mitgefühl für diese Menschen.
Ich musste nicht lange überlegen.
„Danke für Ihre Offenheit, Mr Malfoy, aber ich glaube wirklich, dass ich damit zurechtkommen werde. Ich würde wirklich gern für Sie arbeiten.“
Erneut wurden meine Worte mit einem kurzen, aber ehrlichen Lächeln belohnt.
„Nun denn, dann ist es also beschlossen…“
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