Schöner Schein
Das Kristall funkelte im blassen Licht der Wintersonne rein und klar. Nicht ein Staubkorn störte die Reinheit des weißen Tischtuchs, das Besteck schimmerte silbern, wie in stundenlanger Arbeit geputzt.
(Natürlich war es in stundenlanger Arbeit geputzt worden, doch die Hauselfen erhielten in dieser Hinsicht niemals Achtung vor ihrer Leistung.)
Der Duft nach Keksen durchzog schon seit Anfang Dezember die unteren Stockwerke des Herrenhauses, in der Küche war emsig gebacken und gekocht worden und ebenjene süßen Köstlichkeiten lagen in Kristallschalen drapiert, welche in regelmäßigen Abständen auf dem Tisch standen. Der silberne siebenarmige Kerzenleuchter, welcher ein Erbstück der Familie Malfoy war und mit einer eleganten Gravur des Familienwappens versehen war, stand genau in der Mitte des Tisches und rundete das Gesamtbild ab. Sieben, die mächtigste magische Zahl. Sieben Kerzen, ein Symbol, das die die Macht der Familie für das kommende Jahr sichern sollten.
(Natürlich sicherte kein Kerzenschein diese Macht, diese wurde auf andere Art erlangt, teils durch blinkendes Gold, teils durch die einschüchternde Ausstrahlung, die jeder Erbe dieser Familie sein Eigen nannte.)
Noch war es still in dem Raum, doch dies sollte sich bald ändern.
Es war Abend geworden, die Familie saß um den langen Tisch herum. Vier Personen, die jeweils zu zweit rechts und links zur Mitte der Längsseite des Tisches saßen. Das Kerzenlicht fing sich dreimal in blondem Haar und ließ es schimmern, wie Silber, in das ein Hauch Gold gemischt war, ganz im Gegensatz zur vierten Person, deren Locken wie Rabenflügel schimmerten. Der Kerzenschein verlieh allen einen magischen Glanz und die dezente Weihnachtsmusik, die aus dem Nichts zu kommen schien, rundete das Gesamtbild ab.
Vater und Sohn saßen auf der einen Seite, mit den Rücken zu den Fenstern. Den wunderschönen Sternenschein am Nachthimmel konnten sie nicht sehen, genauso wenig wie das Licht des Dreiviertelmondes, doch sie schienen sich nicht groß daran zu stören.
Der Junge hatte einen abwesenden Blick, man konnte meinen, er sei in Gedanken schon bei dem Weihnachtsbaum und bei den Geschenken, die morgen auf ihn warten würden. Er stocherte mehr in seinem Essen herum, als dass er aß, möglicherweise von der Aufregung.
(Natürlich hatte dies nicht mit der Aufregung an eine Weihnachtsbescherung zu tun, im Gegenteil, nichts kümmerte Draco im Moment weniger, als ein geschmückter Tannenbaum. Es war mehr die Angst vor den nächsten Tagen, vor Folter und Mord. An ihm, wie auch an anderen.)
Der Mann saß gelassen auf seinem Stuhl, aß in aller Seelenruhe seinen Truthahn. Er strahlte Autorität aus, die Autorität des Familienoberhaupts. Er war der Kopf der Familie Malfoy, dies wusste er und dementsprechend benahm er sich. Er hatte dafür gesorgt, dass dieses Essen pünktlich aufgetischt wurde, hatte den Hauselfen genaue Anweisungen gegeben, damit diese auch ja alles perfekt machen würden. Und das hatten sie. Der Raum war perfekt geschmückt, das Essen perfekt zubereitet und serviert, der Tisch perfekt gedeckt. Es war ein Weihnachtsessen in seiner Perfektion, eines Malfoys würdig.
(Natürlich lag hinter dieser selbstbewussten Farce ein Mensch, der Angst hatte, ein Mensch, der hilflos war. Seit er seinen Zauberstab an seinen Herren verloren hatte, verbarg Lucius Malfoy seine Angst unter einer noch dickeren Decke der Arroganz als zuvor.)
Die beiden Schwestern saßen den Männern gegenüber, doch auch sie kümmerten sich nicht um den Sternenschein. Die ältere der beiden war mit ihrem Essen beschäftigt, sie zerschnitt ihr Stück Truthahn mit dem Messer, langsam und genüsslich. Die scharfe Klinge zerteilte die Fleischfasern, ein Stück Fleisch wurde aufgespießt und wanderte in ihren Mund. Die dunklen Augen waren auf das Fleisch gerichtet, beim Schneiden gewannen sie einen schon beinahe liebevollen Blick. Der Blick einer Frau, die das gute Essen zu würdigen wusste, welche sich schon auf den nächsten Bissen freute, für die der Truthahn ein jährliches Großereignis war.
(Natürlich hatte dieser Blick einen ganz anderen Ursprung, mehr der Freude auf den nächsten Schnitt geschuldet und der Erinnerung an das Blut, welches früher am Tag aus Schnitten geflossen war, die sie in menschliche Haut geritzt hatte. Der Truthahn barg für Bellatrix eine schöne Erinnerung, doch nicht von der Sorte, die man erwarten würde.)
Die jüngere Schwester war in ein silbernes Abendkleid gekleidet, welches im Licht der Kerze funkelte und glitzerte. Mit einer Eleganz, die ihr von Geburt an zueigen war, führte sie ihren Truthahn mit der Gabel zum Mund. Sie war die Hausherrin, die in den Wochen vor Weihnachten damit beschäftigt gewesen war, das Haus zu dekorieren und alles auf Vordermann zu bringen. Alles sollte perfekt sein, für das Weihnachten mit der Familie. Dies bedeutete natürlich Stress, doch den gestressten Zug um ihren Mund konnte sie durch lange Übung perfekt kaschieren.
(Natürlich stammte der Zug um Narzissas Mund nicht vom Weihnachtsstress, genauso wenig wie der gehetzte Blick, er stammte viel mehr von den vielen Malen, in denen sie durch den Salon gegangen war und die schrillen Schreie Ollivanders gehört hatte, welche genau zeigten, zu was Bellatrix imstande war.)
„Dir ist dieses Weihnachtsfest wieder besonders gut gelungen, Schwester.“ Bellatrix sah kaum von ihrem Teller auf, ihre Stimme klang weich, doch etwas schwang dahinter, Belustigung vielleicht. Narzissa schien diesen Unterton nicht gehört zu haben, denn sie antwortete in dem gepflegten Umgangston, den eine Frau in ihrer Stellung haben sollte: „Vielen Dank, Bella. Ich habe mir auch die größte Mühe gegeben.“
Den Baum hatte sie besorgt, hatte den Hauselfen genaue Anweisungen gegeben, wie groß der Baum sein, wo sie ihn aufstellen und wie sie ihn schmücken sollten. Wie es üblich war, stand der Baum im großen Salon, wo er nun mit dem Sternenhimmel um die Wette glitzerte.
(Natürlich trog der Schein. In Wahrheit gefiel es Narzissa gar nicht, den Weihnachtsbaum im Salon aufstellen zu müssen, in dem Raum, in dem ER seine Treffen abhielt, in welchem er drohte, in welchem ihr Mann seinen Zauberstab verloren hatte. In welchem immer noch die Schreie des gefangen Ollivander nachhallten. Doch Tradition war Tradition …)
Das Essen wurde von gepflegten Unterhaltungen begleitet, eine Familie, die sich auf das Weihnachtsfest freute, die es genoss, einmal fern von Verpflichtungen einfach nur einen Abend zu genießen. Morgen früh würden sie alle Geschenke an ihren Betten finden, die, wie es schien, wie von Zauberhand erscheinen würden. Die leuchtenden Augen Bellatrix‘ schienen auf Vorfreude auf dieses Ereignis hinzudeuten, genauso wie der düstere Zug um den Mund von Draco. So lange noch warten …
(Natürlich war niemand erpicht auf ein gemeinsames Weihnachtsessen gewesen, doch selbst die unkonventionelle Bellatrix hatte sich von dieser Tradition mitreißen lassen müssen. Doch auch dieser Abend würde vergehen und sie könnte sich anderen, weitaus interessanteren Dingen zuwenden …)
Schließlich löste die Gesellschaft sich auf, jeder ging seiner Wege. Narzissa und Lucius verschwanden in ihrem gemeinsamen Schlafgemach, um ihren Abend gemeinsam ausklingen zu lassen. Aneinandergeschmiegt, sich gegenseitig Trost gebend. Für Narzissa war dieser Abend wichtig gewesen. Den Anschein einer Familienidylle zu geben, ein Stück Normalität ins Haus holen. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es doch nur Schein war. Wie eine dünne Schicht Goldfolie auf einer wurmzerfressenen Holzkugel.