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Ich bin am Leben

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24.09.22 21:49
18 Ab 18 Jahren
Heterosexualität
In Arbeit

Autorennotiz

Disclaimer:
Alles Bekannte gehört natürlich JKR. Was unbekannt ist, dürfte meiner Fantasie entsprungen sein. ;)

Inspiriert von Eyþór Ingi Gunnlaugssons „Ég á Líf“.

2 Charaktere

Severus Snape

Severus Snape ist der finstere Lehrer für Zaubertränke. Er war früher ein Gefolgsmann Voldemorts, was ihn für Harry immer zwielichtig erscheinen lässt. Erst am Ende der Reihe erfährt man, dass Severus Snape auf der guten Seite stand.

Arian Llewelyn

Das ist ein von mir selbst ausgedachter Charakter. Eine junge Frau aus Wales, die zu Beginn der Geschichte als neue Lehrerin nach Hogwarts kommt. Mehr wird an dieser Stelle noch nicht verraten.

Arianrhod Llewelyn checkte noch ein letztes Mal ihren Koffer darauf, dass sie auch wirklich alles eingepackt hatte, warf einen letzten Blick auf den Kalender (10. August 1991) und strich sich das lange, dunkelbraune Haar aus dem Gesicht. Geschafft. Hogwarts konnte kommen.

Ein Schauer durchlief die junge Frau. Nach ihrem Studium würde sie nun zum ersten Mal in ihrem Leben richtig arbeiten, und dann gleich an dieser respektablen, alten Schule! Manchmal, wenn sie die Panik überkam, verspürte sie große Lust, dem Schulleiter einfach eine Eule zu schicken und ihren Vertrag zurückzuziehen.

„Tief durchatmen, Arian, einfach tief durchatmen“, murmelte sie vor sich hin, glättete die Decke auf ihrem Bett und zupfte einen Flusen von ihrem weinroten Kleid. „Es wird nichts passieren, du kannst deine Sache wie keine andere, außerdem gibt es niemanden, mit dem du dich vergleichen müsstest. Außerdem bist du keine Frau für  halbe Sachen, du hast den Job angenommen, also ziehst du das jetzt auch durch!“

Noch immer in Gedanken versunken schwenkte sie ihren Zauberstab, sodass der schwere Koffer hinter ihr die enge Holztreppe hinab schwebte. Die Stiege knarzte unter ihren Schritten und noch mehr von der alten weißen Farbe blätterte von den Stufen ab. Ein neuer Anstrich wäre mal wieder bitter nötig.

Die Küche war aufgeräumt und sauber, frische Gardinen vor den kleinen Sprossenfenstern, durch die sich ein atemberaubender Blick auf die Limeslade Bay bot. Arian lächelte. Sie würde ihre Heimat sehr vermissen, doch Schottland war auf jeden Fall einen Besuch wert und dank Magie konnte sie jederzeit (naja, zumindest fast jederzeit) in ihrem Häuschen vorbeischauen.

Ein vorwurfsvolles Kreischen riss sie zurück in die Gegenwart.

„Jaja, Caryl, schon gut“, beruhigte Arian ihre Waldkauz-Dame, „wir machen uns gleich vom Acker und dann kannst du aus dem blöden Käfig raus, versprochen!“

Sie ließ einen letzten Blick durch den Raum schweifen, dann dirigierte sie ihr Gepäck zur Tür hinaus und verschloss diese mit verschiedenen Sprüchen gegen neugierige Eindringlinge. The Mumbles war zwar voller Muggel, doch bisher hatten die Zauber um ihr Haus immer gehalten und der nichtmagischen Bevölkerung eine hübsche Blumenwiese vorgegaukelt. Nicht, dass Arians Garten trist und hässlich gewesen wäre, ganz im Gegenteil, aber sie wollte lieber keine Muggel dabei haben, wenn irgendetwas Magisches auf ihrem Grundstück passierte. Was sich doch gelegentlich nicht vermeiden ließ, wenn man eine Hexe war.

Caryl rief noch einmal, jetzt zwar etwas leiser, doch ihr eigentliches Ziel, nämlich endlich aus dem miesen Käfig rauszukommen, hatte sie noch nicht erreicht.

Schmunzelnd packte Arian ihre sieben Sachen, verließ durch ein Hintertor ihr Grundstück, drehte sich auf der Stelle und disapparierte.

 

OoOoO

 

Severus Snapes Meinung über die großen Ferien war gespalten. Einerseits gab es nichts Schöneres, als einfach einmal seine Ruhe von den ewig nervenden Bälgern zu haben und sich ungestört ein paar Experimenten widmen zu können, andererseits wurde es irgendwann etwas eintönig, so allein in dem riesigen Schloss, ohne jemanden anfahren zu können. Das fehlte ihm wirklich nach einiger Zeit, musste er sich eingestehen, denn er konnte in seinem heruntergekommenen Haus in einem Muggelwohngebiet in Cokeworth nicht nach Lust und Laune Tränke zusammenbrauen. Die Explosions- (und damit die Entdeckungsgefahr) war einfach zu hoch. Des Weiteren könnte ihm dabei aus Versehen die Decke auf den Kopf fallen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Womit er an Hogwarts gebunden war.

Er erhob sich von seinem weichen Ledersessel, schwankte etwas (huch, wohl etwas mehr Wein getrunken als gedacht…) und ging hinüber in sein Büro, um sich ein wenig Lektüre zu beschaffen. Zu seinem Erstaunen stand dort ein winziger Hauself vor seinem Schreibtisch, einen großen, gelblichen Umschlag in den langen Fingern und riesige, ängstliche Augen auf den Tränkemeister gerichtet.

„Bl-Blinky soll dem S-Sir diesen Br-Brief vom Sch-Schulleiter übergeben, Sir“, stotterte das kleine Geschöpf und hielt ihm das Kuvert mit zitternden Armen entgegen. Eigentlich zitterte der ganze Elf vor Angst.

‚Oh nein, was will der denn schon wieder?!‘, war Severus‘ erster Gedanke. Nachrichten von Dumbledore in den Ferien waren selten ein gutes Zeichen. Ungeduldig entriss er dem Hauselfen die Botschaft und schickte ihn mit einer genervten Handbewegung weg. Als der Bote disapparierte, hatte er den Brief bereits geöffnet und aufgefaltet.

„Oh, Albus!“, stöhnte er wenige Sekunden später, nachdem er den Text überflogen hatte. Eine Lehrerversammlung am 10. August! Er befand sich noch in der Phase, in der er keine Gesellschaft herbeisehnte, auch nicht zu weniger freundlichen Zwecken, und jetzt sowas! Und, was das Beste war, Dumbledore hatte noch nicht einmal einen Grund genannt. Das waren immer die allertollsten dieser Veranstaltungen...

Severus‘ Laune erreichte schneller ihren Tiefpunkt, als er es ihr persönlich zugetraut hätte. Grummelnd und leise vor sich hin fluchend kehrte er in seine Räume zurück, um wenigstens etwas gegen die Alkoholfahne zu tun. Wer rechnete an so einem Tag auch schon damit, noch gebraucht zu werden?

 

OoOoO

 

Arian apparierte direkt vor einem hohen, schmiedeeisernen Tor, das auf jeder Seite von zwei geflügelten Ebern eingerahmt und bewacht wurde.

‚Was auch sonst, bei dem Namen!‘, dachte sie sich und verkniff sich ein Lächeln.

Caryl zeterte in ihrem Käfig und machte einen Heidenkrach, sodass Arian sich peinlich berührt umsah. Dumbledore hatte ihr geschrieben, jemand würde sie abholen kommen, und diesem Jemand wollte sie nicht gleich den Eindruck vermitteln, sie hätte nicht einmal Kontrolle über ihr Haustier.

Während die Eule weiter kreischend gegen die Gitterstäbe des Käfigs flog, näherte sich ein gewaltiger, bärtiger Mann von innen dem Tor.

„‘Lo, Sie sin‘ Miss Lewelin? Willkommen in Hogwarts!“ Er öffnete das Tor und winkte Arian hinein.

„Guten Tag, ja, die bin ich!“, grüßte sie und betrat die weitläufige Anlage. „Und mit wem habe ich die Ehre?“

„Hagrid“, stellte sich der Mann vor, „Wildhüter von Hogwarts. Lassen Se die Eule raus, kann man ja nich‘ mit anseh’n, se kann zu den and‘ren in die Eulerei.“

Kaum hatte Arian Caryl aus der engen Behausung befreit, da flatterte diese auch schon glücklich davon.

„Jetzt geht es ihr eindeutig besser, sie hasst Käfige“, gestand Arian. „Und Reisen!“

Schließlich führte Hagrid sie hinauf zum Schloss. Arian war völlig überwältigt von dem Anblick der vier hohen Türme und den malerischen Bergen im Hintergrund. Sie stiegen die steinernen Stufen zu dem gewaltigen Portal hinauf und gelangten in die Eingangshalle.

„Hier is‘ die Große Halle, wo die Mahlzeiten stattfinden“, erklärte Hagrid und deutete mit einem riesigen Finger auf eine große Flügeltür zu ihrer Rechten. „Da hinauf“ – er wies auf eine breite Marmortreppe direkt ihnen gegenüber – „geht‘s hoch in die and‘ren Stockwerke. Ihre Räume sin‘ im zweiten Stock, zeig‘ ich Ihnen gleich. Rechts geht’s nach Hufflepuff, links Slytherin“ – zwei Gänge die nach unten führten, auf beiden Seiten der Treppe – „un‘ hier ganz links sin‘ Klassenzimmer un‘ das Lehrerzimmer. Da soll’n Se in ‘ner Stunde sein.“

Arian war immer noch halb sprachlos, also nickte sie bloß und folgte Hagrid nach oben in den zweiten Stock.

„Hier wär’n wir!“ Er stoppte vor einer Tür aus dunklem Holz, neben der ein wunderschöner Wandteppich hing, auf dem eine Horde Zauberer von einem roten Drachen gejagt wurde. Hagrid besah sich den Teppich, dann Arian. „Sie sin‘ Waliserin, hat Dumbledore gesagt. Sollt‘ wohl n Gag sein.“ Er lachte, was wie ein tiefes Rumpeln klang, und auch Arian musste grinsen. Dieser Kerl war ihr jetzt schon sympathisch.

Sie verabschiedete sich von Hagrid und betrat ihr neues Zuhause. Zugegeben, es war noch etwas karg, doch trotzdem hatten die Räume ein heimeliges Flair. Im Wohnraum befand sich ein prunkvoller Kamin, in dem schon ein fröhliches Feuer flackerte, zusammen mit einem gemütlich aussehenden Sofa. Das Badezimmer hatte durch seine vielen Verzierungen einen beinahe barocken Touch und das Schlafzimmer wurde von einem prächtigen Himmelbett mit samtblauen Vorhängen dominiert.

Vor lauter Staunen und Umsehen hatte sie kaum Möglichkeit, sich auch nur ein bisschen einzurichten, bevor es schon Zeit wurde, hinunter ins Lehrerzimmer zu gehen, wo sie zum ersten Mal auf ihre zukünftigen Kollegen treffen würde. Eine Welle der Aufregung flutete in ihr hoch, als sie noch einen letzten Bürstenstrich durch ihr langes, dunkelbraunes Haar machte. Sie würde wohl die Jüngste von allen sein. Was würden die anderen von ihr erwarten? War sie überhaupt gut genug, um junge Zauberer und Hexen zu unterrichten?

Ein leises Tock-tock an ihrem Fenster riss sie aus den Gedanken. Die aschgraue Eule ihres Freundes Robbie hockte auf der Fensterbank, eine Notiz im Schnabel.

 

Helo cariad,

viel Glück bei deiner ersten Versammlung! Du schaffst das!

Rwy’n dy garu di,

Robbie.

 

Arian lächelte. Robbie war seit zwei Jahren ihr fester Freund, ein Engländer, und schlug immer extra walisische Phrasen nach, um ihr eine Freude zu machen und zu zeigen, wie sehr er sie liebte, was sie sehr rührend fand. Nur diese Herzchen über den Is könnte er ihretwegen ruhig weglassen.

So bestärkt warf sie ihre Haare zurück und verließ ihre Räume.

 

OoO

 

Das von zwei Wasserspeiern flankierte Lehrerzimmer war nicht schwer zu finden, sodass Arians Nervosität nicht durch einen langen Weg abgebaut werden konnte. Ganz im Gegenteil, diese Tatsache verstärkte sie sogar noch. Ihre Hände fühlten sich feucht an und ihr Herz raste wie eine Herde wilder Zentauren.

‚Himmel, Arian!‘, schalt sie sich. ‚Keiner wird dir was tun, reiß dich zusammen!‘

Mit zitternden Händen drückte sie die Klinke hinunter und betrat das Lehrerzimmer.

„Arianrhod, willkommen!“ Albus Dumbledore kam ihr in einer tiefvioletten, mit goldenen Sternen bestickten Robe entgegen, schüttelte ihre Hand und führte sie zu dem langen rechteckigen Tisch, der den gesamten, mit dunklem Holz getäfelten Raum einnahm und um den eine Ansammlung verschiedenster Stühle verteilt war. „Meine lieben Kollegen – dies ist Arianrhod Llewelyn, unser frischer Neuzugang aus Wales. Zu der einen Frage, die Sie sich gerade vielleicht stellen: Sie ist nicht hier zur Schule gegangen, sondern hat die Germanische Zaubererakademie in Deutschland besucht.  Und um die zweite Frage zu beantworten: Arianrhod wird ab dem kommenden Schuljahr ein von mir neu eingeführtes Fach unterrichten: Keltische Sprachen. Ich befinde es als wichtig, unseren Schützlingen die Möglichkeit zu geben, auch die uralte Magie hinter diesen Sprachen zu verstehen und zu erlernen. Ich bin mir sicher, es wird für uns alle eine Bereicherung sein! Herzlich Willkommen!“

Die Hogwarts-Lehrer lächelten Arian, die ungewollt rot wurde und einen Dank murmelte, zu und klatschten kurz. Dann trat eine Dame von etwa Mitte 70 vor: „Minerva McGonagall, stellvertretende Schulleiterin, Lehrerin für Verwandlung und Hauslehrerin von Gryffindor, einem der vier Häuser. Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen!“, begrüßte sie Arian warm. Mit ihren schwarzen, zu einem festen Knoten zurückgebundenen Haaren und der quadratischen Brille auf der Nase wirkte sie strenger, als ihr Ton annehmen ließ.

Gleich darauf stellten sich ihr auch die übrigen Lehrer vor und bei keinem hatte Arian das Gefühl, dass sie nicht mit ihm oder ihr zurecht kommen würde (gut, diese Wahrsagelehrerin, Sybill Trelawney, war zugegeben etwas arg seltsam, aber was konnte man bei so einem Fach auch anderes erwarten?), und ihre Aufregung legte sich langsam, als sich die ersten schon wieder verabschiedeten und ihre eine gute Eingewöhnung wünschten.

Die meisten hatten bereits das Zimmer verlassen, als Dumbledore noch etwas einzufallen schien. Sein Blick fiel stirnrunzelnd auf einen Sessel am Kamin, über dessen Lehne nur etwas Schwarzes zu erkennen war, das Arian zuvor überhaupt nicht aufgefallen war.

„Severus, ich hätte doch etwas mehr Höflichkeit von Ihnen erwartet!“, sagte Dumbledore streng.

Widerwillig regte sich das Etwas in dem Sessel und ein großer, dünner Mann, komplett in Schwarz gekleidet, erhob sich langsam und übertrieben würdevoll daraus. Doch es waren weder seine langen, fettigen, schwarzen Haare noch die markante Hakennase oder die unnatürlich blasse Gesichtsfarbe, die Arian auffielen, es waren die undurchdringlichen, verblüffend tiefschwarzen Augen des Mannes, die sie kalt und gereizt musterten.

„Danke, ich habe alles gehört!“, sagte der Kerl unterkühlt zu Dumbledore, nachdem er sich mit verächtlichem Blick von ihr abgewandt hatte. „Keltische Sprachen! Und als nächstes führen wir Häkeln ein, richtig?“ Mit einem abfälligen „Pff!“ rauschte er an ihnen vorbei und verschwand durch die Tür nach draußen. Sein schwarzer Umhang wehte hinter ihm her, was ihn ein wenig wie eine übergroße Fledermaus wirken ließ.

Die übrigen Lehrer verdrehten entweder genervt die Augen oder gaben missbilligende Geräusche von sich; Dumbledore schüttelte seufzend den Kopf.

„Severus Snape, unser Tränkemeister. Nicht immer ganz einfach mit ihm“, klärte er Arian auf.

„Ich merk’s“, meinte Arian, den Blick mit gerunzelter Stirn auf die Tür geheftet.

 

OoOoO

 

‚Angepisst‘ wäre noch gelinde ausgedrückt gewesen, wenn Severus seine Stimmung nach der Lehrerversammlung hätte beschreiben sollen. Dumbledore hatte ihnen doch tatsächlich einen Youngster vorgesetzt, der nicht einmal den Mund richtig aufbekommen hatte und zusätzlich noch ein komplett unnützes Fach unterrichten würde. Bei näherer Betrachtung war das Schweigen vielleicht gar nicht das Schlechteste an der Neuen, dann müsste er zumindest nie mit ihr reden, aber eine Person mehr machte das Lehrerzimmer schon wieder ein Stück enger und wenn sich die Gespräche dann erst um keltische Riten drehen würden… Bei den Sprachen alleine würde sie sicher nicht bleiben, das wäre ja zu einfach!

Severus warf sich in seinen knautschigen Sessel, fest davon überzeugt, dass seine schlechte Laune jetzt sicher noch bis zum Ende der Ferien anhalten würde.

Ohne hinzusehen streckte er die Hand nach seiner noch dreiviertelst vollen Weinflasche aus, die er zuvor auf dem kleinen Tisch zurückgelassen hatte, stieß dabei allerdings so ungünstig dagegen, dass die Flasche erst nur kippelte, um dann jedoch mit einem gläsernen Klong auf dem Mahagoni aufzuschlagen und schließlich rollend und Wein vergießend auf den Boden zu fallen. Fluchend sprang er auf und riss die Flasche hoch, bevor noch mehr auslaufen konnte. Er besah sich die Sauerei auf dem hellen Teppich und stürzte den Rest Wein, den er noch hatte retten können, in einem Zug hinunter, bevor er die Flasche mit einem unterdrückten Schnauben gegen die Wand schmiss, wo sie klirrend zerbarst. Pfeif auf Manieren. Dann entfernte er die feucht-rote Lache und die Scherben mit einem energischen Wink seines Zauberstabs.

Severus streifte seinen schweren Umhang ab und warf ihn achtlos in die Ecke, dann entledigte er sich der Roben darunter, sodass er nur noch in ein weißes Hemd und schwarze Hosen gekleidet mitten im Raum stand. Mit dunkelroten Weinflecken auf ebenjenem Hemd. Er schloss die Augen und atmete einmal tief durch, bevor er einen wutgeladenen Schrei wie ein wildes Tier ausstieß. Dieser Tag war nun wirklich zum Scheiße schreien, dabei hatte Dumbledore ihm noch nicht einmal mitgeteilt, dass er den Verteidigung-gegen-die-Dunklen-Künste-Posten wieder nicht bekommen würde, was wohl so sicher war wie die Tatsache, dass die neuen Erstklässler wieder nichts als eine Horde abscheulicher Dummköpfe sein würden.

Nachdem von dem Wein nun nichts mehr übrig war, griff Severus zu seiner heiligen Flasche Lagavulin, dem besten Single Malt Scotch, der ihm bisher begegnet war, doch nicht einmal die wollte ihm so richtig schmecken und genießen konnte er den Whisky gleich zweimal nicht. Zu sehr war er mit der lächerlichen Aktion von gerade eben beschäftigt. Was versprach sich Dumbledore nur davon, ein neues Fach, komplett mit Personal, einzuführen? Das war doch völlig sinnlos, mal ganz davon abgesehen, dass er bei seiner Lehrerwahl so ins Klo gegriffen hatte, dass er, Severus, nun die komplette Inkompetenz ertragen musste, die das mit sich brachte. Er und alle anderen Lehrer, aber vor allem und ganz besonders er, denn die anderen waren ja anscheinend begeistert von dem Nachwuchs…

Fünf Weingläser (zugegeben etwas stillos) voll Whisky später war die hochgeschätzte Flasche leer und in Severus‘ Kopf breitete sich ein angenehm wabernder Nebel aus. Jetzt nur noch ins Bett und… hoffentlich eine ruhige Nacht haben. Manchmal suchten ihn noch immer diese scheußlichen Albträume heim, doch mit ordentlich Alkohol ließen sie sich meist ganz gut in Schach halten.

Er seufzte tief, erhob sich – nun relativ stark schwankend – aus seinem Sessel und wankte in Richtung seines Schlafzimmers, wobei er beinahe nähere Bekanntschaft mit dem Türrahmen machte. Morgen wohl nicht vor Mittag aufstehen und einen Anti-Kater-Trank einwerfen…

Severus torkelte gegen das große Himmelbett und landete mit einer gehörigen Portion Glück darauf. Das letzte, an das er sich erinnern konnte, war der Gedanke: ‚Dieses Mädchen wird es keine zwei Wochen machen!‘

Zwar war die Idee, dass sie schon so früh nach Hogwarts kommen würde, ihre gewesen, doch nun, wo Arian endlich da war, wurde ihr schneller langweilig als ursprünglich gedacht. Nachdem sie sich einmal aufgerafft hatte, war das Einräumen ihres Quartiers und des Büros ein Klacks gewesen, sogar das eher etwas komplizierte Aufstellen ihres magischen Plattenspielers hatte nicht allzu viel Zeit in Anspruch genommen. Außer ihr schien jedenfalls kein anderer Lehrer schon hier zu sein, alle waren noch in ihren wohlverdienten Ferien – wie sie es, letztendlich, wohl auch besser gemacht hätte. Sogar Hagrid war unauffindbar, obwohl sie abends gelegentlich Licht in der Hütte am Waldrand sah, von der sie ausging, dass sie ihm gehörte, jedoch wollte sie ihn nicht stören und ging so nie hinunter.

Deshalb saß sie zu den Mahlzeiten auch meist in der Küche (ein leicht verrückter Ritter namens Sir Cadogan hatte ihr verraten, wie man hinein kam), ließ sich von den Hauselfen verwöhnen, unterhielt sich mit ihnen (sie wussten unglaublich viel Klatsch und Tratsch über Personen, die Arian noch gescheit kennenlernen würde), während die Stunden und Tage so dahinplätscherten. Manchmal ging sie des Nachts unter dem silbernen Mond spazieren, der sich so herrlich in den dunklen Tiefen des Sees auf dem Gelände spiegelte, oder wanderte verträumt durch die Gänge – das allerdings bevorzugt bei Tage, da sie sich sonst hoffnungslos verfranzte. Ab und zu meinte sie, jemand anderen herumlaufen, oder besser –schleichen, zu hören, doch so sehr sie sich auch umguckte, sie entdeckte niemanden.



OoO



Nach ungefähr zwei Wochen (obwohl es sich eher wie zwei Jahre anfühlte) traf Arian schließlich auf die erste Menschenseele im Schloss seit der Lehrerversammlung (die Geister zählten nicht wirklich). Wobei treffen etwas zu positiv ausgedrückt war: sie betrat nach einem Spaziergang an der frischen Luft enthusiastisch die Eingangshalle, nur um direkt gegen eine schwarzgekleidete Gestalt zu prallen, die sich auch noch als ein ganzes Stück größer als sie selbst herausstellte. Und dazu extrem schlecht gelaunt.

„Was zur Hölle…?!“, fluchte der Mann, den sie kurz darauf als ihren liebenswerten Kollegen Snape erkannte, als er sie grob von sich stieß. „Passen Sie gefälligst auf wo Sie hinlaufen, Sie…!“ Der Rest des Ausbruchs war so leise, dass Arian kein Wort mehr verstand, doch irgendetwas sagte ihr, dass es gewiss keine Komplimente gewesen waren.

Arian wurde knallrot und stotterte etwas Unverständliches, doch Snape war schon längst wieder verschwunden. Dämlicher Kerl, sollte doch selber schauen, wo er hinlief!

Ihre gute Laune etwas gedämpft, stieg Arian die Marmortreppe hinauf und begab sich in ihre Gemächer. Sie legte eine ihrer Lieblingsplatten auf und entspannte erst einmal eine Dreiviertelstunde auf der Couch. Irgendwie ärgerte sie sich maßlos. Jetzt, hinterher, fielen ihr wieder tausend Dinge ein, die sie besser zu diesem Arsch von einem Kollegen hätte sagen können, nur in der Situation an sich hatte sie wieder kein vernünftiges Wort herausgebracht. Wie wäre es mit einem „Ihnen auch einen wunderschönen guten Morgen“ gewesen? Dieser Mistkerl machte sie jetzt schon halb wahnsinnig… Und er schien wirklich der einzige zu sein, der sich außer ihr gerade im Schloss aufhielt – dann konnte sie ja genauso gut noch ein paar Tage zu Robbie gehen, auch wenn sie sich eigentlich darauf eingestellt hatte, auch noch die restlichen Augustwochen auf Hogwarts zu verbringen. Aber die Hoffnung auf nette Gesellschaft hier war nun endgültig zerplatzt.

Etwas enttäuscht von der Lage, in die sie sich gebracht hatte, packte sie ein paar Sachen wieder ein und benutzte die Flohverbindung, um in die Wohnung ihres Freundes zu gelangen. Krampfhaft versuchte sie dabei sich nicht von diesem Zwischenfall die Vorfreude auf die Arbeit mit den Schülern nehmen zu lassen.



OoO



„Arian!“

Kaum war sie aus dem Kamin gestolpert, da fand sie auch schon Robbies Lippen auf ihren vor. Überrascht, aber voller Freude, erwiderte sie den Kuss lang und innig, bevor sie sich lachend in Robbies Arme fallen ließ.

„Du! Hättest mich ja erstmal reinkommen lassen können!“, neckte sie ihn.

„Bist doch drinnen, cariad“, entgegnete Robbie mit schiefem Lächeln. „Wo rein möchtest du denn sonst, he?“

„Oh Mann, du bist unmöglich, Robbie!“, stöhnte Arian grinsend. „Lass es uns mal nicht übertreiben!“

„Haha, wo bleibt die Spontaneität?“

„Ist es dir nicht spontan genug, dass ich hier bin?“

„Ja… Wieso bist du eigentlich hier? Wolltest du nicht an der tollen Schule sein?“

„Ach, weißt du“, seufzte Arian, „die anderen Lehrer sind alle noch in den Ferien, bis auf den einen und der… der ist ungefähr der größte Idiot, der mir je begegnet ist.“

Robbies Mundwinkel zuckten. „Jetzt weiß ich, warum Großmutter nicht wollte, dass ich nach Hogwarts gehe“, steuerte er wenig hilfreich bei.

„Der Typ ist schrecklich, echt! Ich bin nur aus Versehen in ihn rein gerannt und der beschimpft mich gleich…“

„Vielleicht hast du ihn an seine Ex erinnert“, meinte Robbie nachdenklich. „Oder du hast… was anderes getroffen…“ Er zog eine halb belustigte, halb mitleidige Grimasse.

„Ha. Ha. Echt! Und wenn der wirklich ne Ex hat, wunder‘ ich mich nicht, dass es seine Ex ist!“

Robbie fand es immer wieder unglaublich amüsant, wenn Arian über andere Männer herzog. Aber das war ja auch richtig so, schließlich war sie seine Freundin und diese Schlappschwänze sollten schauen, wo sie blieben.

„Mach dir keine Sorgen, komm einfach immer her, wenn diese soziale Unmöglichkeit dich ärgert!“, sagte Robbie und streichelte Arian zärtlich über den Rücken.

„Danke, Mama“, schnaubte diese augenrollend. „Bei deiner Ausdrucksweise komm ich mir vor wie ein Kleinkind…“ Dann lächelte sie grimmig. „Ich will mich nicht von dem unterkriegen lassen. Sogar Dumbledore lässt ihm dieses Verhalten durchgehen, ich meine, hallo, als Schulleiter!“

„Ja… Das ist halt Dumbledore. Total neben der Spur, wenn du mich fragst.“

„Wie gut, dass ich dich nicht frag‘!“, kicherte Arian. „Er ist schließlich mein Arbeitgeber und du beeinflusst mich gerade eben schlecht! Komm, ich hab‘ keine Lust mehr, über den Kerkerdeppen nachzudenken! Reden wir über was anderes.“

„Kerker?! Sag nicht, er wohnt im Kerker?!“

„ANDERES THEMA!“



OoOoO



So eine naive, ignorante, kleine…! Grrrr!

Severus stampfte wütend die Treppen vor dem Portal hinunter, seine nachtschwarzen Roben bauschten sich hinter ihm auf wie dunkle Gewitterwolken. Mit allerbester Geh-mir-aus-dem-Weg-oder-es-bekommt-dir-nicht-Miene im Gesicht rauschte er über die weitläufigen Schlossgründe und hinein in den Schatten des Verbotenen Waldes. Einige Kräuter blühten heute zum ersten Mal und vorsichtig trennte er die zarten Triebe mit dem scharfen kleinen Silbermesser ab, das er immer für solche Gelegenheiten bei sich trug. Wunderbar, damit konnte er nun endlich seine Forschungen an dem Migräne-Trank fortführen! Zwar hatte er schon lange keine tägliche Verwendung mehr dafür, aber sicher war sicher (vor allem nach dem… Erlebnis vor zwei Wochen) und warum nicht daran arbeiten, wenn ein bisschen Anerkennung dabei herausspringen könnte? Oder war auch das zu viel verlangt? So wie… Nein. Nicht über die Stelle nachdenken. Kräuter. Schöne Sommerkräuter. Einzigartig in diesem Wald. Für den Migräne-Trank. Für den Erfolg. Weiterlaufen.

Von hier, so war sich Severus sicher, war es nur noch ein kurzes Stück, bis er anfangen würde, Selbstgespräche zu führen.

Etwas knackte im Unterholz. Das Geräusch hallte unnatürlich in der schweren, stehenden Luft des Forstes wider. Abrupt blieb Severus stehen. Wohl nur die Zentauren, aber wissen konnte man es nie ganz genau, er war hier auch schon wesentlich Fieserem begegnet und gerade eben war er wirklich nicht in der Stimmung zu verhandeln…

Doch heute wurde er von weiteren bösen Überraschungen verschont: Magorian, ein brünetter Zentaur und so etwas wie der Anführer der Herde, trat aus dem Dickicht zu Severus‘ Rechten hervor und nickte ihm kurz zu, bevor er einige Meter weiter wieder zwischen den Bäumen verschwand.

Warum fiel ihm gerade jetzt wieder ein, wie ebenjener Zentaur ihm einmal von den alten Druiden erzählt hatte und wie diese den Himmel gedeutet hatten? Musste wohl daran liegen, dass er immer noch darüber nachgrübelte, warum Albus ein neues Fach eingeführt hatte. Eigentlich war der ja kein Fan davon, den Schülern ihre sogenannte Freizeit zu nehmen, aber jetzt wollte er schon den Erstklässlern diese Kelten aufzwingen. Konnte das wirklich auch nur den leisesten Hauch von einem Sinn haben?

Einmal mehr war Severus froh, das Schulalter bereits hinter sich gelassen zu haben. Es reichte ihm vollkommen, mit diesem… Mädchen jeden Tag an einem Tisch essen zu müssen. Mehrmals. Das war bestimmt so schon nicht auszuhalten… Warum war sie überhaupt schon so lange da? Übermotiviert oder was? Kein Mensch trieb sich im August in Hogwarts herum, von ihm selbst einmal abgesehen, und das war aus rein praktischem Antrieb. Zum Glück würden die anderen Lehrer nun nach und nach eintreffen und das Ärgernis von ihm fernhalten. Nicht auszudenken, was passieren könnte, sollte er sie noch eine Stunde länger alleine ertragen müssen!

Auf einmal – ob dieser fabelhaften Aussicht – ein wenig besser gelaunt, packte Severus das Messer und die gesammelten Kräuter ein und machte sich auf den Rückweg. Kein Tier, Zentaur oder ähnliches rührte sich mehr, der Verbotene Wald lag schweigend da, die Stille nur ab und an vom Summen eines Insekts unterbrochen. Herrlich!

‚Aber die ruhigen Tage sind zu Ende‘, dachte er bei sich, als er den Pfad zum Schloss hinauf entlang schritt. Mit äußerster Vorsicht öffnete er die großen Flügeltüren und schlüpfte durch die Lücke.

„Severus!“, empfing ihn die nur allzu bekannte Stimme Albus Dumbledores, kaum dass er die Eingangshalle betreten hatte.

„Albus.“ Er nickte seinem Vorgesetzten und Freund knapp zu, dann wandte er sich in Richtung Kerkertreppe.

„Severus, warte doch noch einen Augenblick, bitte!“

Genervt hielt Severus inne. Er hatte es ja gewusst. Gleich würde der Schulleiter die Bombe platzen lassen, er konnte es förmlich riechen, fühlen! Er…

„Wie verstehst du dich mit Arianrhod?“, fragte Dumbledore liebenswürdig.

„Ich – was?!“

„Ob du dich mit unserer neuen Kollegin verstehst“, lächelte der alte Mann.

Severus verdrehte die Augen. „Glücklicherweise sind wir uns bis auf ein schicksalhaftes Mal nicht begegnet“, teilte er dem Älteren mit größtmöglicher Verachtung in der Stimme mit.

Dumbledore seufzte. „Ich hoffe doch, dass du etwas offenherziger mit ihr umgehst, sobald das neue Schuljahr beginnt und ihr öfter miteinander zu tun haben werdet. Sie ist noch jung und man sollte ihr nicht gleich die Freude nehmen, Severus.“ In seinen normalerweise fröhlich funkelnden Augen entdeckte Severus eine ernste Note.

Innerlich stöhnend ließ er sich zu einer Antwort herab: „Natürlich, Albus.“

„Danke.“ Und schon war das nervige Blitzen wieder zurück auf seinem angestammten Platz. „Ach übrigens: für heute Abend habe ich unsere alljährliche Hauptversammlung vor Beginn des Schuljahres einberufen. Unter anderem wird der neue Professor anwesend sein. Er ist nicht ganz, was ich mir erhofft hatte, aber wie sagen die Muggel so schön – einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul! Es gab ein weiteres Mal sehr wenige Bewerber…“

„Du hättest mich nehmen können!“, erwiderte Severus, wobei seine Stimme kratzig klang von zurückgehaltener Wut und Enttäuschung.

„Mh, nein“, meinte der Schulleiter nur. „Aber jetzt muss ich weiter. Heute Abend, 19 Uhr, nicht vergessen!“ Er nickte seinem jungen Freund zu und verschwand die Marmortreppe nach oben.

Severus atmete dreimal tief durch. Nur nicht die Beherrschung verlieren. In den 10 Jahren, die er jetzt schon in Hogwarts unterrichtete (Merlin, wie die Zeit verging!), hatte er die hohe Kunst gemeistert, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten und ein neutrales Gesicht aufzusetzen, selbst wenn in ihm ein Hurrikan tobte, doch heute knallte die schwere Kerkertür so laut wie zuletzt wohl vor ungefähr einem Jahr und eine zornige Grimasse entstellte seine Züge. Mit aller Gewalt musste Severus sich zurückhalten, um nicht wieder den Fehler zu begehen, eine ganze Flasche Whisky in weniger als einer Stunde zu trinken. Die daraus resultierenden unsäglichen Kopfschmerzen hatten mehrere Tage angehalten und sich nicht einmal mit einem extrastarken Migränetrank vollständig vertreiben lassen, was ihn nur zu erfolgreich an die Zeit erinnerte, als er… Nein! Nicht auch noch daran denken! Als ob der Tag nicht schon wieder schlimm genug wäre! Wie spät war es eigentlich?

Schicksalsergeben ließ sich Severus auf seine Couch plumpsen. Noch drei Stunden… und vielleicht ein winziger Schluck von dem himmlischen Oban, den er neulich auf einem Streifzug für sich entdeckt hatte? Ein schottischer Single Malt war ihm mittlerweile mindestens so heilig wie sein Jameson’s, den er seit Jugendtagen (heimlich) nippte. Wenn nicht sogar eine Spur interessanter! Ob Minerva diese bestimmte Köstlichkeit schon kannte? Eigentlich sollte man es bei ihrer Herkunft erwarten. Und wenn man mit der Verwandlungslehrerin auch über sonst kaum etwas vernünftig sprechen konnte – bei Whisky war sie ungemein aufgeschlossen.



OoOoO



Die Eule erreichte Arian, als sie und Robbie gerade auf dessen Sofa lümmelten, Tyrrell’s Crisps futterten (Geschmacksrichtung Sea Salt & Cider Vinegar) und einen extrem langweiligen Film mit dem Fernseher ansahen, den Robbie vor kurzem von einem Muggel-Großonkel geschenkt bekommen hatte. An sich eine gute Idee, wäre dieser Großonkel nicht Antiquitätenhändler gewesen. Das schwarz-weiße Flackern und Knistern war nach einer Weile nicht mehr nostalgisch, sondern außerordentlich nervenaufreibend.

„Was ist denn jetzt das?“, grummelte Robbie, als die winzige Eule sich durch den Spalt des gekippten Fensters quetschte und auf Arians Bauch landete.

„Keine Ah… Oh! Von Hogwarts!“, rief Arian, nachdem sie das Siegel erkannt hatte. „Was bloß los ist…?“ Sie entrollte das Pergament, das der Eule ans Bein gebunden war, und überflog den Text rasch. „Oh je… Heute Abend ist die große Lehrerversammlung vor Beginn des Schuljahres. Dann hab‘ ich wohl bald wirklich nicht mehr viel Zeit, ich schätze, danach muss ich in Hogwarts bleiben und mit den anderen alles startklar machen…“

Es herrschte betretenes Schweigen. Arian fragte sich, ob es an der Nervosität liegen konnte, dass ihr jegliches Vernunftdenken abhandenkam, oder was sonst der Grund war, dass sie in den letzten Wochen immer nur ein, zwei Tage vorausdachte.

Plötzlich riss Robbie sie aus ihren Gedanken, indem er nachdenklich sagte: „Der Idiot wird da sein, nicht?“

Schnell versuchte Arian sich wieder auf ihren Freund zu konzentrieren. „Ähm, ja, er ist schließlich auch ein Lehrer. Und ab September muss ich vor den Schülern auch so tun als würde ich mich mit ihm verstehen…“

„Musst ja nicht das Bett mit ihm teilen“, tröstete Robbie sie.

„Oh nein! Halleluja! Dann würde ich wohl durchdrehen!“, seufzte sie. „Ich muss los, die Versammlung beginnt um 19 Uhr, ich würde mich zuvor gern noch… etwas zurechtmachen. Das hier kann man so wohl eher nicht mehr tragen.“ Sie deutete auf ihr zerknittertes, heute moosgrünes Kleid.

Robbie lächelte schief.

Der Abschied, der folgte, war mindestens so lang und innig wie die Begrüßung, nur hatte Arian da nicht dieses unangenehm zwickende Gefühl befallen, das sie nun überkam. Sie wollte nicht weg, sie wollte bei ihrem Freund bleiben. Bei dem Gedanken, bald längere Zeit in Snapes Gegenwart verbringen zu müssen, wurde ihr sogar leicht schlecht. Sie hätte den Job nicht annehmen sollen, hätte sich etwas anderes suchen oder erstmal noch ein wenig herumreisen sollen, zusammen mit Robbie oder ihrer Familie. Sie hätte Freundinnen und Studienkolleginnen in Deutschland besuchen können und wenn sie schon unbedingt Lehrerin werden wollte, hätte sie genauso gut an ihre alte Schule zurückkehren können. Sie wäre…

Schluss jetzt!

Vorsichtig machte sie sich von Robbie los.

„Wir sehen uns“, murmelte sie zwischen zwei letzten Abschiedsküssen, dann trat sie in die grellgrünen Flammen des Flohfeuers und reiste nach Hogwarts zurück. Unglaublich, wie absolut intelligent sie sich mal wieder verhalten hatte und nun nagten wieder die Zweifel an ihr…



OoO



Arian ging extra eine Ecke früher los, um nicht wieder als letzte einzutreffen. Ein paar ihrer Kollegen waren tatsächlich schon anwesend, unter ihnen Minerva McGonagall und Pomona Sprout, die sie sogleich herüberwinkten und sie unter großem Hallo in einen Stuhl zwischen ihnen verpflanzten. Es war toll, so aufgenommen zu werden, obwohl sie sich ja kaum kannten. Arians Blick wanderte durch den Raum und blieb am Kamin hängen, doch diesmal versteckte sich niemand hinter der hohen Lehne eines der Sessel vor ungewollter Aufmerksamkeit.

„Sagen Sie, meine Liebe“, sprach McGonagall sie an, „hier in Hogwarts reden wir Lehrer uns immer mit dem Vornamen an. Sind Sie dabei?“

„Aber klar doch!“, lächelte Arian.

Augenblicklich rückten die übrigen Lehrer, die zuvor noch im Raum verteilt gewesen waren, näher zu dem Dreiergrüppchen hin. Jetzt würde es zwangsläufig spannend werden, ab hier artete das freundliche Geplauder oft in eine Art Verhör aus.

„Arianrhod war Ihr Name, richtig?“, fragte eine dünne Dame, die etwas furchterregend Geierhaftes an sich hatte und zudem noch eine Nase snape’schen Ausmaßes im Gesicht.

Bevor Arian jedoch mehr tun konnte als nicken, unterbrach Sybill Trelawney die Bibliothekarin und so erfuhr Arian die Geschichte von Arianrhod, genannt „Rhodi“, einer Schuleule, die bevorzugt den Nordturm mit ihrer Anwesenheit entweihen zu wollen schien. Arians alteingesessene Kollegen hörten die Story anscheinend nicht zum ersten Mal, denn einige unterdrückten ein Gähnen, ohne sich groß um Unauffälligkeit zu scheren, und Madam Hooch knurrte etwas, das verdächtig nach „Halt einfach den Rand, Sybill!“, klang.

„… ja… blöde Eulen“, sagte Arian mit verstohlenem Grinsen. „Aber Sie müssen nicht Rhodi zu mir sagen, normalerweise nennen mich die Leute Arian.“

Ein seltsam gequetschter Laut kam von Septima Vektor, die nur Minuten zuvor dazu gestoßen war. Schnell begann sie eine ungezwungene Unterhaltung über die Vor- und Nachteile eines Zauberschach-Sets aus Cheddar, durch die sich mögliches Kichern geschickt auf ein anderes Thema zurückführen ließ.

Da flog plötzlich die Tür auf und herein – schwebte, lief, glitt? – Arians allerbester Freund. Ihr Magen schien sich in ihre Schuhe abzusetzen und sie verlor völlig den Faden des Gesprächs, das sich in Windeseile den vielen ungewöhnlichen Gewohnheiten von Männern zugewandt hatte. Wie auch immer man da von einem Cheddar-Schachset aus hinkam.

„… und dann hab‘ ich zu ihm gesagt, wenn er nicht sofort aufhört, sexuelle Anspielungen bezüglich der Torringe zu machen, kriegt er einen dahin, wo’s… oh, guten Abend, Severus!“

Die Lehrer, die alle gebannt Rolanda Hoochs Erzählung gelauscht hatten, sahen auf und nickten dem Neuankömmling respektvoll zu, die wenigsten brachten jedoch ein Wort über die Lippen. Aus Snapes Gesichtsausdruck zu schließen, konnte es ihm nicht egaler sein. Wortlos und mit so viel Würde wie nur irgend möglich ließ er sich am anderen Ende des Tisches nieder.

Nur wenig später betrat auch Albus Dumbledore den Raum, in Begleitung eines braunhaarigen Mannes in den Vierzigern. Er trug einen goldbraunen Schnauzer, die Haare kurz und seine Augen… die interessante Schattierung und Farbgebung erinnerten Arian unwillkürlich an Vollkornmehl. Ein paar ihrer Kolleginnen war der Mund offen stehen geblieben und sogar Snape zeigte eine Regung: er hatte eine Augenbraue gehoben und starrte den Neuen abschätzig an.

„Guten Abend!“, begrüßte Dumbledore sie alle strahlend. „Darf ich vorstellen – Daniel Shephark, unser neuer Kollege und Professor für Muggelkunde!“

Keiner der Versammelten rührte sich auch nur das kleinste bisschen. Es dauerte etwas, bis die Nachricht bei allen ankam. Muggelkunde. Nicht Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Snape dämmerte es als erstes. Er zog die Augenbrauen zusammen und eine steile Zornesfalte erschien auf seiner Stirn. Sein eisiger Todesblick galt für einen Moment Dumbledore, bevor er zu der zitternden Gestalt Quirinus Quirrells hinüber schwenkte.

Wie als sei nichts geschehen, fuhr der Schulleiter fort: „Er ist der Nachfolger unseres geschätzten Quirinus, der sich erfreulicherweise bereit erklärt hat, Verteidigung gegen die Dunklen Künste zu unterrichten. Einen Applaus bitte!“

Nur einige wenige applaudierten, die Überraschung war viel zu groß, als dass alle anständig reagieren konnten. Dennoch stotterte Quirrell seinen Dank (warum konnte dieser Mensch eigentlich nicht vernünftig reden? Er war Lehrer!) und Daniel Shephark stellte sich noch einmal selbst vor. Die weibliche Belegschaft hing größtenteils begeistert an seinen Lippen, wenn nicht sogar halb über den Tisch. Arian wagte es, aus dem Augenwinkel hinüber zu Snape zu spitzen. Sein Blick war mörderisch. Wie nicht anders erwartet, dauerte es keine fünf Minuten, da stürmte er auch schon mit wehendem Umhang aus dem Raum und ließ die Tür ins Schloss fallen, dass die Wände wackelten. Keine Frage, er war fuchsteufelswild, und Arian hoffte und betete, ihm in diesem Zustand nicht noch einmal zu begegnen. Zumindest war er jetzt nicht mehr in demselben Zimmer wie sie, was schon mal eine Verbesserung der Situation darstellte. Nun etwas entspannter wandte sie sich dem neuen Professor zu. Vielleicht verstanden sie sich ja ganz gut, die zwei Neuen in einem Meer aus bekannten Gesichtern.



OoOoO



Dieser dreimal verfluchte alte Mann! Wie kam er nur auf die hirnrissige Idee, den unfähigsten Muggelkundeprofessor aller Zeiten in Zukunft Verteidigung unterrichten zu lassen?! Wenn der nur einen verständlichen Satz herausbrachte, grenzte das schon an ein Wunder astronomischen Ausmaßes! Ganz zu schweigen davon, dass der Kerl sowieso nicht mehr ganz richtig im Kopf war, seit er von seinem Abenteuer zurückgekehrt war. Praktische Arbeit an dunklen Kreaturen schien ihm nicht allzu gut zu bekommen… Und dann noch dieser vermaledeite Frauenschwarm! Mit Sicherheit würde es ab jetzt keine ruhige Mahlzeit mehr geben – okay, strenggenommen gab es das in der Großen Halle sowieso nie  – , da wohl jede freie Minute ein weibliches Wesen geifernd und sabbernd versuchen würde, dessen Aufmerksamkeit zu erlangen. Unerträgliches Herumgeschleime und geduldüberstrapazierendes Arschgekrieche würden den Tag bestimmen. Albus war aber auch nie glücklich, wenn es in seinem Reich nicht turbulent zuging! Doch wenn Severus es sich recht überlegte, könnte der Gutaussehende auch einen einzigen Vorzug haben: vielleicht entwickelte er ja ein unbeschreibliches Interesse an der stummen Keltin und die beiden würden bald die Schule wieder verlassen, um eine überglückliche, große Familie zu gründen…!

Augenrollend trat er an sein Whisky-Regal heran und ignorierte die kleine Stimme, die ihm sagte, dass er in letzter Zeit zu viel Alkohol zu sich nahm. Diese Stimme hatte keine Ahnung, sie musste ja nicht das Leben leben, zu dem er verdammt war. Seufzend sank er in seinen ledernen Sessel und genoss ein weiteres Gläschen seines neuen schottischen Schatzes, entschloss sich jedoch recht bald dazu, an diesem miesen Tag früher als normal ins Bett zu gehen. Es konnte nie schaden, ein wenig Schlaf in Reserve zu haben, das nächste Schuljahr würde sich sicher nicht groß von den vorherigen unterscheiden und das bedeutete tagsüber Stress, bis an die Grenzen strapazierte Nerven und Korrekturen von grauenhaft schlechten Aufsätzen bis tief in die Nacht.

Im Badezimmer begegnete ihm ein abgespannt aussehender, missmutig dreinblickender Mensch, der eine Haarwäsche dringend mal wieder nötig hätte, jedoch warf er ihm nur einen flüchtigen Blick zu und überging die Tatsache, dass dieser mittlerweile gewisse Ähnlichkeit mit einem Inferius aufwies, geflissentlich. Seinem Bett war es herzlich egal, wie er aussah, und das war auch gut so.

Tief in mehr oder weniger philosophische Gedanken versunken entledigte sich Severus seines Umhangs, seiner Roben, sowie dem Rest seiner Kleidung und schlüpfte in ein paar fadenscheinig Shorts, die er seit Jahren zum Schlafen trug. Dazu gesellte sich noch ein T-Shirt, das ebenfalls schon bessere Zeiten gesehen hatte. Wenn die Schüler wüssten…! Bestimmt glaubten sie alle fest daran, er würde komplett mit Umhang und in voller Montur zu Bett gehen, um am nächsten Morgen beim ersten Sonnenstrahl griesgrämig wie eh und je aus dem Kerker zu entschweben. Oder vielleicht hielten sie ihn auch für einen Vampir, der gar nicht erst schlief, wer wusste das schon!

Die kühle Decke und das riesige Himmelbett, auf dem man sich so schön ausbreiten konnte, beruhigten Severus‘ angespannte Nerven auf himmlische Art und Weise, sodass er bald darauf wegdämmerte.



OoOoO



Arian unterdessen litt unter einem erneuten Anfall von Lampenfieber und konnte noch nach Stunden nicht einschlafen, egal wie viele Niffler sie zählte und wie oft sie Einhörner über Zäune springen ließ. Sie verspürte das dringende Bedürfnis, sich in Hagrids Gemüsefeld verbuddeln zu gehen.
 

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Kapitel: 2
Sätze: 370
Wörter: 6.925
Zeichen: 42.082

Kurzbeschreibung

Von der ersten Begegnung an kann Severus die neue Kollegin nicht leiden - wer unterrichtet schon Keltische Sprachen! Am liebsten würde er sie sofort hinausekeln - doch entpuppt sie sich als Herausforderung, an der er langsam Gefallen zu finden scheint. Und die Karten seines Lebens werden neu gemischt... / SS/OC / Beginn: Stein d. Weisen, Canon-treu / Freundschaft/Drama/H&C/Romanze/ tbc!

Kategorisierung

Diese Fanfiction wurde mit Drama (Genre), Schmerz und Trost, Freundschaft und Romanze getaggt.