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Haifischlächeln
Es roch penetrant nach Parfüm. Nein, es roch nicht. Es stank. Auch Antonin Dolohov hatte seit Kindestagen in einem prächtigen Herrenhaus gewohnt. Sein Vater war ein russischer Geschäftsmann gewesen, mit einem Hang zu Hochrisikogeschäften. Mal waren sie pleite gewesen, mal hatten sie in Saus und Braus gelebt – doch nie war ihr trautes Heim so prunkvoll gewesen wie das der Malfoys. Nur sie konnten es sich leisten, ihren zigten unbelebten Flur mit Parfüm zu dekorieren. Noch nie war Antonin in diesem Teil des Hauses gewesen.
Völlig unnütz, völlig übertrieben, wenn man ihn fragte. Das tat aber in der Regel niemand.
Er seufzte. Alles war besser als Askaban. Ergeben klopfte er gegen die schwere Tür aus dunklem Mahagoniholz.
„Herein!“
Drinnen sah alles nach Arbeitszimmer aus. Obwohl Lucius Malfoy vom Beruf her ‚Erbe‘ war und noch nie einen Tag in seinem Leben richtig gearbeitet hatte – Strippenziehen, Beamte bestehen und Steuern hinterziehen zählten nicht – stapelten sich Papierberge auf dem Schreibtisch, der aus ebenso schwarzem Mahagoniholz geschnitzt war. Der Raum war schwach beleuchtet, die einzige Lichtquelle war in der Tat die alt aussehende Schreibtischlampe, die ein warm leuchtendes Licht auf die Hände Malfoys warf. Antonin trat näher, sein Schatten hinter ihm zog sich quälend lang.
„Setz‘ dich!“
Im kleinen Lichtschein konnte er Malfoys Fingernägel unter die Lupe nehmen. Frisch gemacht, sauber und ordentlich waren sie. Was für eine Pussy. „Was ist, Lucius?“, fragte Antonin. „Warum hast du mich hierherbestellt?“ Beide verbrachten nur die nötigste Zeit gemeinsam. Wann immer sie konnten, gingen sie einander aus dem Weg. Er bekam eine Gänsehaut, als seine raue Stimme von den engen Wänden widerhallte. So viel zum Thema Narzissmus.
„Ich habe vor wenigen Tagen endlich das Arbeitszimmer meines Vaters ausgeräumt“, begann dieser zu schildern.
„Dein Vater ist seit Jahren tot. Du willst mir doch nicht erzählen, dass du erst jetzt seine Sachen aufgeräumt hast?“, schoss es aus Antonin hervor.
Malfoys Augenbraue wanderte in die Höhe. „Bitte?“, fragte er gereizt.
„Fahr‘ fort!“ Die Beine überkreuzt lehnte er sich zurück. „Was habe ich mit deinem Frühjahrsputz zu tun?“
„Ich habe eine Erinnerung gefunden, die dir gehört“, erklärte dieser mit Grabesstimme. „Ich wusste erst nicht, ob ich sie dir tatsächlich überreichen sollte, aber ich habe mich dafür entschieden.“ Er drückte seinem Gegenüber eine kleine Glasphiole mit einer silbernen Flüssigkeit zwischen die Finger.
„Hast du sie dir angesehen?“
Malfoy schnalzte mit der Zunge. „Natürlich“, sagte er missbilligend. „Sonst wüsste ich nicht, dass es deine ist.“
Antonin drehte das Fläschchen in seinen Händen. Tatsächlich war es nicht beschriftet. „Wie hat Abraxas sie bekommen?“
„Stellst du meine Aufrichtigkeit in Frage?“ Malfoy bekam einen hochroten Kopf. „Sage doch einfach ‚Danke‘!“
„Das hast du jetzt in den Raum geworfen...“
„Was sollte ich davon haben, dir eine wahrscheinlich nicht so schöne Erinnerung wiederzugeben? Mich hat niemand drum gebeten!“ Um zu zeigen, dass dieses Gespräch für ihn beendet war, nahm er einen Brief zur Hand und überflog diesen. Er konnte Antonin nicht täuschen, die Hauptaufmerksamkeit lag immer noch bei ihm.
„Du bist ein schlechter Lügner, Malfoy“, seufzte er, ergeben, das Thema ruhen zu lassen. „Jedenfalls heute.“
Sie schwiegen sich an. Offensichtlich wartete Malfoy darauf, dass er sich verabschiedete und ging, doch Antonin dachte nicht im Traum daran, ihm diesen Gefallen zu tun. „Ich werde mir diese Erinnerung sicher nicht ungeprüft in den Kopf pflanzen, ich will sie zuerst ansehen.“
Malfoy stöhnte und zog die unterste Schublade auf, die ein wenig klemmte. Die kleine, doch schwere Steinschale stellte er vorsichtig, auf dem Schreibtisch ab. Natürlich, die Malfoys, immer ein äußerst teures Denkarium zur Hand. „Hier, bitteschön! Noch Wünsche?“, fragte er ironisch. Wieder wandte er sich einem Brief zu.
„Ja. Ein bisschen Privatsphäre, bitte. Sind wir hier unter den Wilden, oder wie?“ Schadenfroh beobachtete Antonin das erzürnte Mienenspiel des wesentlich Jüngeren.
„Ich habe eh noch etwas zu klären.“ Mit überhaupt nicht grazilen Schritten donnerte er aus der Tür hinaus.
Lächelnd drehte Antonin ein letztes Mal die Phiole in seiner Hand, dann gewann seine Neugier über seine Ehrfurcht. Wie grässlich könnte die Erinnerung schon werden, wenn Abraxas Malfoy sie all die Jahre unter Verschluss gehalten hatte? Er konnte sich nicht darin erinnern, diesem eine anvertraut zu haben. Vielleicht war es auch nur ein Irrtum. Schwungvoll kippte er den silbernen Faden in die dunkle Flüssigkeit und tauchte hinab in längst vergangene Zeiten.
oOo
Ein magischer Plattenspieler gab leise Musik von sich, doch er wurde von dem Geschnatter der Schüler übertönt. Überall standen sie in kleinen Grüppchen zusammen, unterhielten sich, lachten oder tanzten. Viele von ihnen hatten sich an einem üppigen Buffet bedient, einige waren ziemlich beschwipst. Der Raum war mit Weihnachtsdekorationen und Mistelzweigen geschmückt worden. In Mitten von Allem stand ein praller Slughorn, der sich mit einem Gast unterhielt und immer wieder einen umstehenden Schüler an seine Seite zog. Dies war die Weihnachtsfeier des Slug-Clubs.
Ha! Das konnte nicht seine Erinnerung sein – Antonin war nie auf eine solche Veranstaltung gegangen. Übellaunig hatte er sie alle ausgesessen, auch wenn seine Mitschüler ihm deswegen verständnislose Blicke geschenkt hatten. Wenn man zu einer solchen Feier ging, dann musste man sich verkaufen können. Man musste Small Talk beherrschen und Charme oder Charisma besitzen – am besten beides. Er wusste, dass dies nicht sein Metier war, daher hatte er sein Glück nie auf die Probe gestellt.
Er wollte schon den Spruch sprechen, der ihn wieder in die Gegenwart zurückkehren ließ, als er innehalten musste.
Da ging etwas äußerst Seltsames vor. Er musste es sich genauer anschauen.
Sein Herz klopfte bis zum Hals, als er die beiden Stimmen der jungen Männer, die dort am Fenster zusammenstanden, vernehmen konnte. Seine eigene, raue Stimme und die des Gegenübers erschütterten ihn. Scheiß Narzissmus schon wieder!
Da stand er, Antonin, und unterhielt sich angeregt mit dem jungen Tom Riddle. Sehr genau konnte er sich an seine Schulzeit mit Riddle erinnern, jede Minute davon hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt, doch dieses Gespräch mit ihm auf der Weihnachtsfeier war ihm völlig fremd. Von den Gesichtszügen der Jungen her zu urteilen, musste er in seinem sechsten und Riddle in seinem siebten Schuljahr gewesen sein.
„Ich dachte, du würdest solche Veranstaltungen wie diese grundsätzlich meiden?“, fragte Riddle und biss nebenbei in ein plunderartiges Gebäck.
Sein jüngeres Ich beobachtete ihn interessiert beim Essen, doch hatte selbst nichts bis auf ein Glas Rotwein, an dem es ab und zu mal nippte, in der Hand. „Du sagst es, Tom. Grundsätzlich meide ich solche gesellschaftlichen Anlässe wie der Teufel das Weihwasser, aber Abraxas hatte mich gebeten, ihn heute zu begleiten und im Geheimen zu unterstützen. Dann mache ich von meinem Grundsatz eine Ausnahme.“
Riddle wischte sich mit seiner Serviette über den Mund und grinste ihn an. „Du bist zu gütig, Antonin. Gleich, wo man dich braucht, du bist stets zur Stelle. Man könnte glatt meinen, an dir sei ein Hufflepuff verloren gegangen.“
Die ausgelassene Stimmung verpuffte. Antonin stellte sein Glas auf die Fensterbank ab, weil es sonst unter den erhöhten Druck seiner Finger zu zerspringen drohte. „Nun werd‘ nicht albern, Tom.“
Dieser grinste immer noch selig vor sich hin. „Abraxas redet nur noch gut von dir, was erstaunlich ist, wenn man bedenkt, welche Worte er letztes Jahr noch über dich in den Mund genommen hat.“
Antonin schluckte. „Ach, ja?“
„Du hast dich würdig erwiesen.“
Verlegen lächelte er. Der Ärger war vergessen. „Es freut mich, dass ihr endlich versteht, dass ich eurem kleinen Eliteclub-Treffen auch Nutzen und Ehre bringen kann. Der Glaube, ich hätte eine unreine Herkunft, nur weil ich ursprünglich aus Russland komme, hat sich viel zu lang gehalten.“
Riddle grinste wieder, doch es war anders als das letzte Mal. Seine Lippen spreizten sich und entblößten zwei Reihen von blanken, weißen Zähnen. Auch wenn sein Lächeln so breit war, dass es von Ohr zu Ohr ging, so erreichte es nicht seine Augen. Sie blieben starr. „Antonin-“, hauchte er und die eisige Kälte einer Winternacht umhüllte sie. „Es gibt so vieles, was du nicht verstehst.“ Er machte einen Schritt auf ihn zu und fasste ihn an die Schulter. Antonin wurde blass. Frost schien sich auf seine Haut abgesetzt zu haben. „Dir sollte gleich sein, was alle anderen von dir denken. Es zählt nur, was ich von dir denke.“ Unendlich langsam drückte er seine Lippen auf seine.
Antonins Herz schien explodieren zu wollen. Dabei war der Kuss seltsam steril. Er wusste nicht, was er zu erst denken sollte. Das Innere, was gerade zwischen ihnen vorging… oder die Umgebung.
Als Riddle von Antonin abließ, errötete dieser. Hastig linste er im Raum umher, um zu prüfen, ob ein Augenpaar gerade auf sie gelegen hatte. Erleichtert erkannte er, dass dem nicht so gewesen war. Sein Blick ging auch durch sein zukünftiges Ich hindurch. Dieser fühlte sich wie das fünfte Rad am Wagen und dabei doch so schrecklich involviert. Was war da gerade zwischen ihnen passiert? Wie kam es, dass er sich an nichts mehr erinnerte?
Obwohl die Antworten vor seinen Füßen lagen, konnte er sich nicht ergreifen. Sein Kopf war leer.
Riddle amüsierte sich über Antonins Verhalten. „Jeder weiß, weshalb man dich noch nie zu einem Mädchen hat sprechen sehen.“
Antonin wollte den Mund aufmachen, er wollte protestieren. Es gab noch viele andere Gründe, weshalb er nicht mit seinen Mitschülerinnen sprach. In eben jenem Moment hatte sich Slughorn genähert. Ein Glas voll Cognac in der Rechten und die Pausbacken gerötet, hatte er sofort eine Hand vertrauensvoll auf Riddles Schulter gelegt. „Tom, mein Junge. Heute ist jemand da, den ich Ihnen vorstellen möchte. Kommen Sie.“
Mit einem kurz angebundenen Nicken und einem verheißungsvollen Blick zu Antonin folgte Riddle dem Professor.
Antonin raufte sich das Haar, sobald Riddle in der Schülermenge verschwunden war. Nie wieder hatte er sich so emotional gezeigt.
Der Sog erfasste ihn und schleuderte ihn zurück in die Gegenwart.
oOo
Er musste seinen Geist verschließen. Niemand durfte es wissen. Es gab selbst so vieles, was er nicht wusste.
Die markerschütternden Schreie eines armen Bastards hallten durch den Salon. Antonin kniete unterwürfig wie alle anderen und in den Reihen der Todesser eingegliedert. Unsichtbar im schwarzen Meer der Roben verschmolz er mit dem ebenso schwarzen Fußboden. Seine Knie schmerzten genauso wie sein Rücken. Er war alt, zu alt für diesen ganzen Scheiß. Niemand hatte ihm an eben jenem Abend, auf der Weihnachtsfeier des Slug-Clubs gesagt, wie lang dieses perverse Spiel dauern würde.
Okklumentik! Er musste seinen Geist verschließen.
„Geht!“ Die Stimme seines Herrn hatte alles, was an den jungen Riddle erinnerte, verloren. Hoch klang sie und zischend wie eine Schlange.
Eilig drangen alle aus dem Salon. Antonin ließ sich von der Masse mitziehen, bloß keinen Widerstand leisten.
„Du nicht, Antonin!“
Er erfror.
Bellatrix stieß in seinem Rücken und warf ihm beim Rausgehen einen gar neidischen Blick zu. Sollte sie doch… Junges, dämliches Ding.
Betont langsam drehte er sich und leerte noch ein letztes Mal seinen Geist. Tief einatmen und wieder aus. Nun waren sie allein.
„Du kannst dir die Mühe sparen!“, rief der dunkle Lord aus. „Ich habe unlängst erkannt, was du vor mir verbergen möchtest. Crucio! Für deinen Betrug!“
Antonin fiel zu Boden. Er klappte zusammen wie ein Kartenhaus, das von einem Windstoß davongetragen wurde. Arme und Beine krümmten sich in unnatürliche Positionen. Er versuchte nicht zu schreien, biss sich dabei auf die Zunge und letztendlich entwich ihm doch ein arger Schmerzenslaut. Als der Nebel sich lichtete und er wieder halbwegs klar sehen konnte, bemerkte er, wie sein Herr zufrieden nickte.
„Und ein zweites Mal – dafür, dass dein Versuch so jämmerlich ausgegangen ist. Crucio!“
Es war die Hölle auf Erden. Er schrie. Von den Schmerzen würde er noch tagelang etwas haben. In ihm war schon lange Etwas zerbrochen.
„Du hast also die Erinnerung an unser Gespräch damals zurückerlangt.“
„Ja, Herr.“ Antonin wagte es nicht hochzusehen. Nicht noch einmal würde er den dunklen Lord erzürnen dürfen, einen dritten Folterfluch würde er nur schwerlich auszuhalten wissen.
„Dabei habe ich Sorge getragen, dass sie dir genommen wurde. Lucius wird noch für das Versagen seines Vaters und für seine eigene Unbedarftheit bestraft werden.“
„Herr, ich verstehe nicht.“
„Wenigstens gibst du es jetzt zu.“
„Ich bitte vielmals um Verzeihung.“
„Sieh‘ mich an.“
Antonin zögerte keine Sekunde, diesem Befehl nachzukommen.
Der dunkle Lord hatte ein Lächeln aufgesetzt. Sein Haifischlächeln. Die Zähne waren ungleich spitzer als damals. Ein kalter Schauer fuhr Antonin über seinen geschundenen Rücken.
„Dieses Mal werde ich dir die Erinnerung lassen. Ein Zauber, der dich hindert, mit einer Menschenseele darüber zu sprechen, wird das Nötige tun. Die Last der Vergangenheit ist nicht nur meine Bürde.“
„Ja, Herr.“
Nie wieder glaubte Antonin irgendetwas zu wissen.
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