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Für ein Leben ...

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16.09.18 11:19
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

2 Charaktere

Romilda Vane

Romilda Vane ist eine Mitschülerin Harrys in Hogwarts. Wie er gehört sie zum Haus Gryffindor, ist aber zwei Jahre später dort eingeschult worden. Im Schuljahr 1996/97 ist sie Viertklässlerin und schwärmt für den Sechstklässler Harry.

Michael Corner

Michael Corner ist dunkelhaarig, im selben Jahrgang wie Harry in Hogwarts und gehört dem Haus Ravenclaw an.Im Schuljahr 1995/96 tritt er zusammen mit seinen Freunden Anthony Goldstein und Terry Boot der neugegründeten Dumbledores Armee bei. Damals hat er eine Beziehung mit Ginny Weasley.

Für ein Leben ...
mit dir.


Für ein Leben mit dir an meiner Seite, hätte ich alles gegeben, und ich will, dass du dir dessen bewusst bist. Du warst und bist mein Ein und Alles und um nichts in der Welt hätte jemand anderes deinen Platz einnehmen können.

Langsam überflogen ihre Augen die Zeilen des Briefes. Seine Zeilen, jene Worte, die er wohl irgendwann verfasst haben musste, während sie die letzten dreckigen Teller abräumte, die Schürze abnahm und sich auf den Nachhauseweg machte. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken daran, dass er solch eine makabere Idee gehabt hatte. Doch ihr Mann war seit je her für jede Art von »Makaberem«, von bösen, bissigen Späßen zu haben. Ihr Mann, ihr Freund, ihr Seelenverwandter, engster Vertrauter und Geliebter ... Er war fort. Hatte eine Leere in der Wohnung, eine Lücke in seinem Umfeld und ein Loch in ihrem Herzen hinterlassen.
Michael Gervasius Corner starb vor zwei Wochen bei einem waghalsigen Versuch, seinem Team einen komplizierten Spielzug beizubringen und der Tag begann wie jeder andere Tag, der vierundzwanzig Stunden besaß:

Sie wachte neben ihm auf. Fuhr sich fahrig durch das dunkle, zerzaustes Haar, schlurfte ins Badezimmer, putzte die Zähne, schöpfte sich eine Handvoll Wasser ins müde Gesicht, nur um dann wieder zurück in das warme, weiche Bett zu kriechen.
»Ich hasse Morgenmenschen«, hatte er gemurmelt, als sie sich an ihn schmiegte und den muffigen Geruch des Zimmers ausblendete, nur um seinen Duft ganz tief in ihre Lungen zu pressen.
»Ich weiß«, gab sie mit einem Grinsen zurück, rückte dichter zu ihm auf und fuhr mit ihren bleichen Fingern über seine, von der Sonne geküsste, Wange.
Er verbrachte eindeutig zu viel Zeit draußen, während sich die junge Frau damit zufrieden geben musste, dass sie ihre Blässe wohl nie würde loswerden können, wenn sie stets und ständig von Tisch zu Tisch rannte, Bestellungen aufnahm und sich den Stimmungen der Gäste ausgesetzt sah.
Doch Romilda Corner-Vane war zufrieden.
Zufrieden mit ihrem Job. Der nie den großen Gewinn abzuwerfen versprach, doch es machte ihr Freude, einen Plausch mit den Kollegen zu halten, oder den wohlgesonnenen Kunden manchmal einfach den zweiten Kaffee nicht zu berechnen, wenn diese eine anregende Konversation mit ihr hielten, sie zum Lachen brachten und ihr den tristen Arbeitstag ein wenig heller gestalteten.

Dennoch, ihr größtes Glück, ihr Los, war der mürrisch dreinblickende, oft etwas überheblich wirkende Mann, der neben ihr lag. Ihre erste, flüchte Begegnung geschah, als sie noch die Schule für Hexerei und Zauberei besuchten. Er war in Ravenclaw, eines der vier »Häuser« untergebracht worden, während man sie nach Gryffindor schickte. Eigentlich hatten sie nie viel miteinander zu schaffen, außer der Begeisterung für Quidditch, die sie unweigerlich teilten. Und auch, als der um zwei Jahre ältere Michael die Schule verließ, hatte sie sich wenig um dessen Leben geschert. Ein dummer Zufall war es wohl, der sie zusammen brachte:
Es war ein Tag im verregneten November gewesen, als er, pitschnass bis auf die Knochen, in das kleine Café eingefallen war. Das schwarze Haar war deutlich von Wind und Wetter gezeichnet und einige Tropfen perlten von den lockigen Strähnen, die ihm ins Gesicht hingen. Er kam ihr merkwürdig bekannt vor, dennoch misstraute sie ihren Empfindungen, denn obwohl er eine gewisse Anziehung auf sie ausübte, schien an diesem Kerl nichts zu sein, was Romilda dazu veranlasst hätte, mit ihm ins Gespräch zu kommen, geschweige denn ihn zu bedienen.
Der Zufall, der sich dahingehend dazu entschied, beide einander näherzubringen, hatte sich in Form eines einfachen Schnupfens geäußert, den sich ihre Kollegin Amy eingefangen hatte, und für die sie nun Doppelschicht schob. Mit dem obligatorischen Tablett in der einen, und einem Notizblock in der anderen Hand, trat Romilda auf den Mann zu, um seine Bestellung aufzunehmen.
Während er sich die dunklen Haare aus dem Gesicht strich und den schweren, schwarzen Mantel über die Rückenlehne des Stuhls legte, fühlte sich die junge Frau fortwährend einer strengen Beobachtung unterzogen. Auch wenn der Fremde mit sich selbst beschäftigt schien, hatte er diesen Blick aufgelegt, der ein mulmiges Gefühl in ihrem Inneren hinterließ. Ein merkwürdiges, vertrautes Prickeln, das über Nacken und Rücken kroch.
»Was darf ich Ihnen bringen?«, hatte sie standardmäßig, aber höflich von sich gegeben und ihr Versuch, weder das Tablett, noch den Schreibblock fallen zu lassen, glückte ihr. Endlich hatte er sich gesetzt, faltete die Hände unter dem markanten Kinn zusammen und schaute zu ihr auf. Sein Blick wirkte gehetzt, leicht gestresst, dennoch spiegelte sich ein flüchtiges Lächeln in seinen braunen Augen.
»Espresso«, sagte er knapp. Romilda nickte, notierte das georderte Getränk und wandte sich bereits zum Gehen, als er sie mit einem simplen Räuspern zurückhielt.

Aus einem flüchtigen Moment schien sich ein ganzes Leben herauszukristallisieren, zumindest versprachen dies die vielen Stunden, die sie miteinander geteilt hatten. Aus dem warmen, vertrauten Gefühl, wurde aufrichtige Liebe und aus dieser Liebe ein Versprechen, das sich als schmales, goldenes Band um ihren linken Ringfinger schlang. Schnell hatte Michael darauf bestanden, vor den Altar zu treten, denn er war sich sicher, dass das Mädchen es wert war, zu seiner Frau gemacht zu werden. Nach drei Monaten schon stand sie in einem schlichten, weißen Kleid vor dem Standesbeamten, während er in einem schwarzen Smoking und mit einem Lächeln, das Treue und Wissen suggerierte, den Worten des Mannes folgte.
Auch wenn die Eltern beider die Heirat als überstürzt ansahen, kamen keinerlei Zweifel an ihrer Liebe auf. Doch so perfekt das Glück auch schien, versetzte das Schicksal der jungen Frau einen schweren Schlag. Clarreace und Bernard Vane starben bei einem Flugzeugabsturz und rissen bei ihren Töchtern und ihrem Sohn eine hiesige, dunkle Kluft in die Herzen. Colline, Romilda und Perry starrten apathisch auf die Särge, die nebeneinander in die Erde hinabgelassen wurden.
Krampfhaft hatte sie sich an sein Jackett geklammert und bitterlich geweint. Beide blieben bei den Gräbern, auch noch, als die Sonne bereits langsam versank.
»Ich will so etwas nicht« Dies waren die einzigen Worte, die Michael übrig hatte.
»Was willst du nicht?«, hakte Romilda nach und er konnte ihre Erschöpfung in jeder Silbe spüren.
»Grabsteine«, antwortete er knapp. »Ich möchte lieber verbrannt, und über die See verstreut werden.«
»Klingt ziemlich düster«, hatte sie geflüstert und ihr Gesicht erneut in den dunklen Stoff seiner Jacke vergraben.
»Ich bin düster, Liebling« Damit beließ er es dabei und kein Ton war mehr von seinen Lippen gewichen. Er schwieg. Hielt seine Frau in den Armen und ließ sie weinen, bis sie keine Tränen mehr hatte. Ein letztes Mal noch glitt sein Blick zu den Steinen, die Geburts- und Sterbedatum beherbergten.
Michael mochte seine Schwiegereltern. Besonders sein Schwiegervater schien sehr angetan von ihm zu sein und stolz, dass sich seine Tochter für jemanden wie ihn hatte erwärmen können. Auch Romildas Mutter hatte ihn stets wie einen zweiten Sohn behandelt und die Vanes waren alsbald wie eine zweite Familie für ihn geworden. Dass er als Einzelkind nie in den Genuss von Geschwistern gekommen war, störte ihn nicht, denn er hatte in Colline und Perry sowohl Schwester, als auch Bruder gefunden.
Doch als die Älteste der Vanes, mittlerweile ebenfalls verheiratet, ein Mädchen zur Welt brachte, elf Monate nach dem Tod der Eltern, schien sich auch Romilda ihre Gedanken über Kinder zu machen. Neid bestritt sie, denn sie war nicht neidisch auf Colline. Sie hatte ihr Glück doch Tag für Tag bei sich und war froh, dass Michael an ihrer Seite stand. Zwar war ihr Versuch, ebenfalls Nachwuchs in die Welt zusetzten, noch nicht geglückt, doch in ihre Wohnung zogen dennoch zwei kleine Wesen ein: Ein Golden Retriever-Welpe namens Miss Goldie und ein kleiner, schwarzer Kater, den Romilda Schroeder nannte. Ihre »Familie« schien auch ohne Sprösslinge vollkommen.

Es ist dunkel, als ich die Augen öffne. Ich weiß nicht, wo ich bin. Bin orientierungslos und spüre zum ersten Mal, was Angst und Alleinsein bedeuten. Kalte, sich langsam anschleichende Finsternis scheint mich zu umkreisen. Ich falle und scheine nirgendwo aufzuprallen, geschweige denn Halt zu finden. Niemand ist da, der mich auffängt, niemand, der mir hilft. Ich falle, stürze, strauchel und schwebe irgendwo im Nichts. Und dann, auf einmal, ist da etwas. Seltsam verschwommen und doch so klar, dass ich es ohne Anstrengung und Mühe erkennen kann. Ein flirrendes, flackerndes Licht, eine Stimme, die mich ruft, auch wenn ich die Sprache nicht verstehe. Plötzlich zieht mich etwas empor, hält mich fest, stoppt meinen Fall. Es zieht mich weg, fort von Kälte und Finsternis. Der Schein des Lichtes kommt näher ...

»Romy, du musst etwas essen« Mit einem schmallippigen Lächeln zwang sich Nara Corner das Wort an ihre Schwiegertochter zu richten und diese zum Essen zu bewegen. Das ergraute Haar der Frau war zu einem strengen Knoten im Nacken zusammen gebunden, während ein Teller in ihren fahlen, zitterigen Händen versuchte, diesen zu entwischen. Schnell blickte sie sich um und platzierte das Geschirr auf einen kleinen Tisch in der Nähe.
Romilda war sich bewusst, dass es egoistisch schien, allein zu leiden, denn nicht nur sie hatte jemanden verloren. Dass die Corners ebenso ihren einzigen Sohn nie mehr wiedersehen würden, war ihr bereits bewusst, als sie den Anruf den Managers entgegen nahm, der ihr von dem Unfall berichtete.
Ihr Zusammenbruch kam rasch, beinahe pfeilschnell. Der Hörer glitt ihr aus den Fingern und schlug mit einem dumpfen Laut auf den Teppichboden auf. Sie hatte nicht einmal die Kraft, zu schreien. Stille, stumme Tränen rannen ihr ungehindert übers Gesicht. David Smith versicherte ihr, auch Michaels Eltern zu informieren, damit sie sich dieser Pflicht nicht ausgesetzt sah.
Tapsig war Miss Goldie auf die junge Frau zugesteuert, setzte sich neben ihr Frauchen auf den Boden, leckte ihr die kalte Hand und begann, schmerzerfüllt zu jaulen.

Das Haus der Corners war still, als Romilda aus dem Taxi stieg, die Klingel betätigte und von Clark Corner in eine stumme Umarmung gezogen wurde. Der Mann wirkte um Jahrzehnte gealtert. Ihr Schwiegervater hatte nie eine herzliche Geste übrig, doch als er sie in seine Arme nahm, spürte sie die vertraute Wärme, die sie vor nicht weniger als sechs Stunden noch bei Michael gefunden hatte. Nara saß in einem der hohen Sessel im Wohnzimmer, starrte auf einen losen Punkt im Teppich, der sich nicht erfassen ließ.
Romilda trat langsam auf sie zu, ließ sich vor ihren Füße nieder und griff behutsam nach den kühlen Händen Naras. Schweigend schüttelte Clark das ergraute Haupt und verließ das Zimmer. Nach einer Weile kam er mit einem Teeservice wieder in den Raum getrottet. Behutsam stellte er Tassen, Teller und Kannen auf den Wohnzimmertisch, ließ sich auf die Couch sinken und verbarg sein von Gram gezeichnetes Gesicht in den großen Händen.
Die Minuten, Stunden schienen endlos, ehe sich Nara plötzlich regte, sich dem Sessel und den Fingern Romildas entwand und, ebenso wie ihr Gatte, das Zimmer verließ. Verwirrt sah die junge Frau ihrer Schwiegermutter nach, ehe sie zu Clark herüberblickte und dieser mit einer stummen Bitte auffordernd auf das Polster neben sich klopfte. Hastig überwand Romilda die Distanz und setzte sich neben den Vater ihres Gatten. Wortlos ergriff dieser die zitternden Hände des Mädchens und verfiel abermals in stilles Schweigen.
Ihr geliebter Sohn war fort. Er würde nie mehr durch die Tür treten, ein großspuriges Lächeln auf den Lippen und einen flotten Spruch parat haben. Romilda verstand ihren Schmerz und wieder schien ebenjener an ihrem eignen Herzen zu zerren. Die Angst und das Gefühl, allein zu sein, erfüllten sie erneut und es schien wie damals, als sie der Tod ihrer Eltern erreichte.
»Menschen kommen und gehen«, hatte Clark mit brüchiger Stimme geflüstert, »ich kann nur zu gut verstehen, was in dir vorgeht, Romy.«
Die Dämme, die sie versucht hatte, zurückzuhalten, brachen in dem Augenblick, als er ihren Namen sagte. Die Lücke, die Michael in ihrem Leben versucht hatte mit Mühe zu füllen, klaffte erneut auf und riss sie mit sich in die Tiefe.

Das Licht blendet mich. Ich schließe die Augen, die eben noch von Dunkelheit umfangen waren. Jetzt wünsche ich mir die Stille zurück, denn plötzlich ist es ohrenbetäubend Laut um mich herum.
»Hey Mick, komm schon, mach die Augen auf!«, fordert jemand, dessen Stimme in meinen Ohren widerhallt.
Ich kenne die Färbung, ein Hauch von irischem Akzent schwingt darin mit, doch der, dem diese Stimme gehört, ist tot. Ich habe ihn nie getroffen, doch habe ich jedes Bild, jedes Poster von ihm in meinem Zimmer verewigt. »Ronan McAlfie«, der super-top-Treiber der Galic-Goblins, mein Vorbild und Idol, zeigt mir seine weißen Zähne und grinst zu mir herunter. Ich erhebe mich ruckartig und stehe plötzlich mit beiden Beinen auf einem festen Untergrund. Nichts, nicht ein Muskel zuckte bei meiner Aktion. Ich erhob mich, weil ich es dachte, es wollte.
»Michael«, da ist eine andere, vertraute Stimme und mein Kopf schnellt herum. Neben mir stehen Clarreace und Bernard Vane, die noch genauso aussehen, wie ich sie in Erinnerung habe. Clarreace lächelt mir aufmunternd zu, während Bernard einen Schulterklopfer für mich übrig hat. Doch plötzlich wird Clarreace Miene traurig.
»Es tut mir leid«, sagt sie leise und ich sehe, dass sie dem Versucht erliegt, zu weinen, doch es will ihr offenbar nicht gelingen.
»Was ist passiert?«, will ich wissen und vernehme den Klang meiner Stimme, der seltsam verzehrt, dumpf und weit entfernt nachhallt.
»Mickey!«
Wieder ein vertrauter Laut, der meine Ohren erfüllt. Erneut drehe ich mich zu demjenigen um und erkenne meinen alten Klassenkameraden und Freund Christopher Dwight, der auf mich zuhält. Doch das kann nicht sein, denn ...


Sie schwebte durch die Straßen, den Blick von Tränen verschleiert. Nur am Rande ihres Bewusstseins nahm Romilda Corner-Vane die Menschen war, die ihr entgegen kamen, ihr auswichen, oder ihr wüste Beschimpfungen entgegenbrachten. Sie schleppte sich, ähnlich der Tage ohne Michael, zur Arbeit, wurde jedoch sofort wieder des Hauses verwiesen. Man bat sie höflich und inständig, sich so viel Zeit für sich zu nehmen, wie sie brauchte.
Mit Grauen dachte sie an den Streit zurück, den sie mit Nara führte, als es um die Beisetzung ging.
»Michael wollte nie einen Grabstein«, beharrte Romilda und wischte die Tränen der Wut fort. Wollte diese sture Person nicht begreifen, dass ihr Sohn kein Mahnmal wollte, an dem man zurückkehren musste? An dem Erinnerungen unweigerlich hochkrochen und die Schuld allgegenwärtig war?
»Woher ...?« Doch die Worte blieben der alten Frau im Halse stecken.
»Weil er es so wollte. Er hat mich ausdrücklich darum gebeten, keinen Grabstein, geschweige denn ein Grab für ...« Romildas Stimme schwoll an und brach. »Auf der Beerdigung meiner Eltern. Er sagte es mir, auf der Beerdigung meiner Eltern. Er will eine Feuerbestattung und danach über die See verstreut werden. Warum willst du das denn nicht verstehen?«
»Nara«, fiel Clark in das von Tränen getränkte Geständnis seiner Schwiegertochter ein. »Sei nicht so stur. Wenn Michael es so wollte, dann sollten wir ihm diesen einen, seinen letzten Wunsch gewähren. Warum sollte Romy uns belügen? Sie kannte ihn genauso gut, wenn nicht sogar besser als wir und ich vertraue ihr in dieser Situation mehr, als du es tust.«
Die Worte, des sonst so wortkargen Mannes, berührten ihr Herz und Romilda hatte nur ein dankbares Lächeln für ihn übrig, ehe Nara Corner ergeben nickte und sich dem Willen ihres Sohnes beugen musste.

Unglauben ziert mein Gesicht. Ich richte meinen Blick auf Chris und sehe ihn lächeln. Doch auch das Lachen stirbt alsbald. Meine Frage schwebt noch immer unbeantwortet umher. Langsam lichtet sich Schleier und die Erkenntnis dringt zu mir durch.
»Chris?« Ich sehe ihn an und lasse meinen Blick weiter schweifen. »Clarreace, Bernard, Mister McAlfie?«
Die Mienen derer, die mich betrachten, erstarren, wirken leblos und blass, beinahe durchsichtig.
»Bin ... bin ich tot?«, frage ich gerade heraus, doch niemand schenkt mir Klarheit. Nur am Rande registriere ich, wie meine verstorbenen Schwiegereltern einen Blick tauschen. ICH weiß, dass Ronan McAlfie starb, als ich mein sechstes Jahr auf Hogwarts verbrachte. Und ICH weiß, dass mein Freund Chris einer Krankheit erlag, kurz vor seinem neunten Geburtstag. »Leukämie«, so hatten mir meine Eltern erklärt, wäre eine Blutkrankheit, die nur bedingt heilbar ist. Und der kleine Junge steht vor mir, so lebendig, als würde ich gleich mit ihm auf den Fußballplatz gehen und Tore schießen üben.
»Wo ist Romy? Wo ist meine Frau?«, verlange ich nach Antwort, doch der Kreis an Freunden, Verwandten und meinem Idol, schüttelt die Köpfe.
»Sie ist nicht hier, Michael«, versichert mir Clarreace und macht einen Schritt auf mich zu, ehe ich glaube, ihre Berührung auf meiner Schulter zu spüren, doch da ist nichts. Nicht eine Regung. Ich sehe ihre Hand, doch ich fühle nichts. Hatte ich mir das aufmunternde Schulterklopfen Bernards etwa nur eingebildet?
»Wo ist sie?«, herrschte ich ungehalten und will meine Frau sehen! Ich will sie sehen! Lachend, weinend, scherzend und glücklich!!
Clarreace ergreift meine Hand und wieder nehme ich nichts wahr. Doch aus einem Impuls heraus, folge ich ihr, während die anderen es uns gleich tun. Sie zieht mich hinter sich her, doch ich spüre nichts. Ein Luftzug kommt auf und wirbelt das, was mich umfängt, durcheinander. Ich weiß nicht, ob es Himmel oder Hölle ist. Ich sehe weder feuerspeiende Vulkane, noch Wattewolken, auf denen wir gehen. Ich kann den Untergrund, auf dem wir uns bewegen, nicht beschreiben, denn ich kenne das Wort nicht, dass es tun könnte. Auch das, was über uns schwebt, hat in meinem Kopf keinen Platz oder gar einen Begriff parat.
»Was ist das hier? Himmel, Hölle, Fegefeuer?«, zische ich wütend. Mir vergeht die Lust am Wandern. Ich will wissen, wo ich bin, will wissen, was passiert ist und wo, verdammt noch mal, meine Frau ist!
»Gleich«, beharrt meine Schwiegermutter, doch ihr Sanftmut widert mich augenblicklich an. Diese Geduld, die mich auslacht, verhöhnt und verspottet.
Ich weiß nicht, wohin sie mich führt, ich höre auch die Schritte der anderen nicht. Vielleicht sind sie auch schon längst nicht mehr hinter uns, doch ein Blick über die Schulter verrät mir, dass ich mich irre.
Christopher klammert sich an Bernard Vanes Hand, während Ronan McAlfie ein Gespräch mit meinem Schwiegervater aufnimmt. Ich kann nicht hören, was sie sagen. Verstehe nichts. Dann spüre ich, dass Clarreace inne hält. Ich habe das imposante Tor gar nicht bemerkt, welches plötzlich vor uns aufragt.
»Was ist das? Petrus Pforte?«, spotte ich abfällig, denn für Gott und Teufel fehlen mir jegliche Ambitionen. »Das Tor zum Himmel, oder zur Hölle?«
Die Frau bedenkt mich mit einer stummen Warnung. Ich sollte meine Zunge wohl, zu aller Wohlwollen, im Zaum halten!
»Ich weiß, dass du mein Kind sehr geliebt hast. Auf eine Art, wie sie nur zwei Menschen zelebrieren können, und wie sie vielleicht auch nur zwischen Mutter und Kind besteht. Michael, wenn du durch dieses Tor gehst, hast du die Wahl. Lässt du sie mit ihrem Schmerz allein, dann bleibe hier, doch willst du sie quälen, dann gehe hindurch.«
»Welcher Schmerz?«, frage ich und fühle mich plötzlich hilflos und unwissend. »Was ist mit Romilda passiert?«
»Sie lebt«, sagt Clarreace knapp, »doch du ...«


Langsam trat sie einen Schritt vor den anderen. Das Boot, das sie hinaus aufs Meer brachte, schaukelte und wiegte sich sanft in den Wellen. In ihren Händen hielt sie das Gefäß fest umklammert. Noch einmal wandte sich Romilda um und vernahm die Laute, die die Sohlen der Schuhe hinterließen, während ihre Schwiegereltern an ihre Seite traten. Alle drei hielten ähnlich aussehende Dosen in den Händen. In den Deckeln prangten die Initialen und das Datum des Todestages ihres geliebten Mannes, ihres Seelenverwandten und besten Freundes:
M.G.C. + 15.01.2005
Zeitgleich schraubten sie die Deckel von den Urnen.
»Für meinen Sohn, mein Kind«, sprach Nara leise und streute die Asche über die Brüstung des Schiffes.
»Für meinen Jungen, du hast mich so stolz gemacht«, wisperte Clark und tat es seiner Frau gleich, ehe auch er das Pulver aus dem Gefäß entweichen ließ. Die Corners tauschten einen Blick und gingen einige Schritte zurück, um Romilda den Moment zugeben, den sie brauchte. Diskret zogen sie sich zurück, griffen einander bei den Händen und kehrten der Szenerie kurzentschlossen den Rücken.
»Für meinen geliebten Mann, Freund und Fels in der Brandung. Du hast mich zu einem der glücklichsten Menschen gemacht. Ich werde dich nie vergessen. Niemand wird jemals an deine Stelle treten können und mich so vollkommen und glücklich machen. Ich liebe dich.« Tränen flossen ihr über die Wangen, während die Worte flüsternd über ihre Lippen kamen. Romilda gab ihren Mann frei, seine Asche rieselte mit dem Wind davon und zerstreute sich in alle Himmelsrichtungen.

»Ich liebe dich, Romilda Corner-Vane«, hatte ich ihr zum wiederholten Male gesagt, ehe ich ihre Lippen küsste.
»Ich liebe dich«, sage ich dir erneut und trete einen Schritt nach vorn. Ich will dich berühren, doch ich weiß, dass du es nicht spürst. Der Wind spielt mit deinem Haar, lässt es wirr umhertanzen, greift danach und gibt es frei.
Ich will meine Arme um dich schlingen, mein Gesicht in die zarte Haut deines Nackens bergen und ein letztes Mal noch deinen Duft in mich aufnehmen. Ich will dich fühlen, dich schmecken, dich hören, doch ich weiß, dass mir dieser Wunsch verwehrt bleibt. Du stehst da, im tosenden Wind und weinst. Weinst um mich, denn ich habe begriffen, dass ich nicht mehr zurückkehren kann. Ich komme nicht mehr Heim, schließe dich nicht mehr in meine Arme, höre nicht mehr dein Herz schlagen.
Meine Entscheidung bereue ich nicht. Ich trat durch das große Tor und fand mich plötzlich von Lärm umgeben wieder. London in seiner schönsten Pracht, auch wenn Schnee und Eis an diesem Januar-Tag, dir wiedereinmal Unrecht taten.
Mein Leben ist vorbei.
Ich gleite durch die Massen der Menschen, schleichend, lautlos. Niemand sieht oder hört mich.
Ich habe ein Ziel, mein Ziel bist du. Du, meine geliebte Frau, mein Ein und Alles. Ich streife weiter durch das Getümmel. Gelange vor das große Haus, in dem sich unsere Wohnung befindet.
Ich will dich sehen!
Ich erwarte nicht, dass mir jemand die Tür öffnet, ich gleite still durch das Holz, entschwebe der Barriere und fliege förmlich die Stufen zu unserem Appartement hinauf. Ich rieche nichts, schmecke nichts. Ich durchdringe Wohnungstür und spüre deine Abwesenheit. Ich bin entmutigt, dennoch weiß ich, wo du bist. Die Küche ist leer, das Schlafzimmer verwaist. Ich stolpere über Miss Goldie, so, wie ich es täglich tat und fluche, weil sie wiedereinmal im Weg liegt.
Verwirrt hebt sie den Kopf, richtete sich auf, schnüffelt und läuft umher, als suche sie jemanden. Meistens hat sie nach dir gesucht, das weiß ich, und plötzlich überkommt mich ein Gedanke. Mir ist, als ob die Hündin spürt, dass ich da bin, als ob sie wüsste, dass ich über ihren langen Körper gefolgen und ins straucheln geraten bin. Miss Goldie bleibt abrupt stehen, trottet auf den Punkt zu, auf dem ich stehe und schaut zu mir auf. Ihre Rute wedelt in freudiger Erwartung, dass ich ihr entschuldigend über den Kopf streiche und ich tue es.
Ihre Antwort ist ein aufforderndes, dunkles Kläffen, doch meine Berührung spürt sie nicht. Ein Winseln entrinnt ihr, sie hebt die linke Pfote und tastet nach meiner Hand, die ich ihr, in nun hockender Position hinhalte.
»So ein gutes Mädchen«, sagte ich. »Pass mir gut auf Romy auf!«
Wieder winselt sie und ich vernehme den murrenden Laut von Schroeder, der sich streckend vom Sessel erhebt und mir genau in die Augen sieht. Er spürt, dass ich da bin, denn nun sitzt er direkt vor mir, legt das Köpfchen schief und kneift müde die leuchtend grünen Augen zusammen. Ich streife durch die Wohnung, sehe, dass du nichts verändert hast. Ich weiß, dass ich dir fehle, dass du trauerst und beinahe daran zerbrichst. Mein Blick fällt auf einen Schreibblock, der auf dem Küchentresen liegt.


Die Schlüssel klapperten und das Bellen, welches erklang, ließ einen Hauch von Gewohnheit erahnen. Mit müden Schritten betrat Romilda Corner-Vane die Wohnung und fand ihre Hündin merkwürdig aufgekratzt vor. Miss Goldie wuselte um sie herum, als sähe sie sie zum ersten Mal, wedelte mit dem Schwanz, wimmerte und fiepte. Romilda tätschelte ihr die Flanke und seufzte, als sie die Leine erblickte. Schnell war diese an dem Halsband festgemacht und die Hündin zog bereits ungeduldig daran. Doch der Spaziergang tat ihr gut. Miss Goldie zog sie von einem Baum zum nächsten, schnüffelte begierig.
»Goldie, komm schon! Mach doch endlich dein Geschäft!«, drängte Romilda und trieb ihren Hund zur Eile an, denn der Wind pfiff noch immer kräftig um die Häuser.
Auf dem Boot war der kalte Hauch noch um einiges spürbarer gewesen und eigentlich hatte sie sich darauf gefreut, in ihre warme Wohnung zurückzukehren, doch nun musste ihre Begleitung erst einmal ausgeführt werden.
Endlich schloss sie die Tür hinter sich. Ihre Hündin wirkte zwar noch immer etwas wuschig, doch nach dem Spaziergang hatte sich Miss Goldies Aufregung ein wenig gemildert. Schnell würde sie unter die Dusche hüpfen, während ein Gericht in der Mikrowelle vor sich hin kochte. Eiligst zog sie sich ihren Pyjama über und holte unter lautem Fluchen, ihr Abendbrot aus dem Gerät. Mit den Händen wedelnd, versuchte sie den brennenden Schmerz zu vertreiben, der sich in ihre Fingerspitzen bohrte, als sie ihr Mahl auf den Küchentresen absetzte.
Die Wohnung war still, leer und kam ihr unheimlich groß vor. Jemand fehlte. Jemand, der den Raum füllte, mit Worten und nicht zuletzt mit Anwesenheit. Ihr Blick glitt durch den Raum und blieb an dem Block hängen, auf dem etwas geschrieben stand, dass ihr heute Morgen noch nicht aufgefallen war:

Für ein Leben mit dir an meiner Seite hätte ich alles gegeben, und ich will, dass du dir dessen bewusst bist. Du warst und bist mein Ein und Alles und um nichts in der Welt hätte jemand anderes deinen Platz einnehmen können.
Ich weiß, dass du verwirrt die Stirn runzelst, denn du begreifst nicht, was vor sich geht. Ich bin fort, vielleicht sogar irgendwann vergessen, doch du wirst immer einen Platz bei mir, in meinem Herzen, haben. Wenn wir uns wiedersehen weiß ich, dass nichts bereuen musste, denn ich habe das tollste, liebste, klügste, atemberaubendste Mädchen zu meiner Frau gemacht.
Dennoch, es tut mir leid, dass ich mit dir nicht um die Welt reisen konnte, wie ich es dir versprach.
Bitte verzeih mir, dass es mir nicht möglich war, mit dir den Wunsch nach einer Familie Wirklichkeit werden zu lassen, doch bitte versteh, dass ich es nicht hätte ertragen können, wenn es jemanden gäbe, der mir ähnlich sehe und dich täglich, Tag für Tag, an das, was wir hatten, erinnert. Halte mich für einen Egoisten, für selbstsüchtig und abscheulich, doch der Gedanke ist unerträglich. Meine geliebte Romilda, da, wo ich jetzt bin, geht es mir gut. Sorge dich nicht.
Gern hätte ich viel mehr Zeit mit dir verbracht, hätte dich getröstet, mit dir gelacht und so viel mehr geteilt. Alle, die dich lieben, sind bei dir. Wir werden an deiner Seite sein, welche Hürden auch immer auf dich zukommen werden. Fühl' dich nicht allein, denn niemand ist einsam.
Geliebte Romilda, lebe, liebe und lache. Fühle Trauer, Schmerz und Verlust doch sei dir eines gewiss:
zweifle nicht, zögere nicht, sondern gehe deinen Zielen entgegen.
Ich liebe dich,

Michael

PS.: Miss Goldie und Schroeder bleiben bei dir, schick sie nicht fort, denn wir haben eine Abmachung.

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Sätze: 268
Wörter: 4.787
Zeichen: 27.774

Kurzbeschreibung

Dieses Werk entstand im Rahmen einer Wichtelaktion zum Thema "Leben und Tod". Hauptcharaktere sind Romilda Vane und Michael Corner.

Kategorisierung

Diese Fanfiction wurde mit Charaktertod, Angst, Unfall, Unfalltod und Quidditch getaggt.