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Kapitel: | 6 | |
Sätze: | 364 | |
Wörter: | 6.788 | |
Zeichen: | 40.248 |
❝Yesterday I died, tomorrow'sbleeding
Fall into your sunlight.
The future's open wide, beyond believing.
To know why, hope dies.
Losing what was found, a world so hollow.
Suspended in a compromise.
The silence of this sound, is soon to follow.
Somehow, sundown.❞
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Marlene McKinnon war schwarz. Zumindest hatte Sirius Black das immer gesagt. Sie selbst sah sich viel mehr in einer Mischung aus der dunklen Farbe von Afroamerikanern und dem hellen weiß einer europäischen Wasserleiche. Doch wann immer sie das jemanden sagte, erntete sie nur merkwürdige Blicke und die meisten mieden sie ab da. Nicht, dass es sie großartig stören würde. Die meisten Menschen hatten ihrer Meinung nach nicht den richtigen Sinn für Ästhetik.
Und während sie dies dachte, hob sie ihre Hände vor ihr Gesicht, bildete mit ihren Fingern ein Rechteck und spähte mit einem zusammengekniffenem Auge dadurch. Sie erblickte weiße Gräber. Und den klaren, komplett von Wolken befreiten Himmel mit der viel zu grellen Sonne über dem Horizont.
Sie senkte ihre Hände wieder und holte einen schwarzen Apparat hervor, den sie sich nun anstatt des schnell gebildeten Rechteckes vor ein Auge hielt. Die Fotokamera gab ein leises Klicken von sich, als sie mit einem Finger den Auslöser betätigte. Unter ihren Fingernägeln war immer noch der verkrustete Rest Farbe zu sehen, den sie zu faul war, herauszuwaschen. Eigentlich war sie nicht einmal zu faul. Sie mochte es irgendwie. Es gab ihr ein leicht rebellisches Aussehen, fand Marlene. Auch wenn sie selbst wohl nicht erklären könnte, wieso das so war.
Es gab neben ihr nur eine Person, die jemals ihre Gedankengänge verstanden hatte. Marlene wurde sie nicht als ihre beste Freundin bezeichnen, denn unheimlich nah hatten sie und Dorcas Meadowes sich während ihrer Schulzeit nie gestanden. Meist schuldete sie es dem Altersunterschied von einem Jahr und auch den verschiedenen Häusern, denen sie zugehört hatten, zu, doch genau genommen, war es ihre eigene Schuld, dass sie und Dorcas nie auf den Status 'Beste Freundinnen' gekommen waren. Immerhin hatte sie die meiste freie Zeit in der Schule damit verbracht, in einer abgelegenen Ecke etwas zu zeichnen, zu skizzieren oder zu malen oder - auch wenn dies nur ein Jahr der Fall war - mit Sirius Black in dunklen Besenkammern herumzuknutschen.
Außerdem war Dorcas eine Slytherin und sie hatte sich nie mit den Schlangen verstanden. Und die Schlangen hatten sie auch nicht zu den Menschen gezählt, mit denen sie gerne abhängen würden, mit ihrem unreinen Blut und den Muggeleltern.
Und trotzdem waren Marlene und Dorcas Freundinnen geworden - sogar relativ gute, wenn sie es von einer außen stehenden Sichtweise betrachtete. Sie teilten sich sogar eine Wohnung in London, die über und über mit Marlenes Bildern dekoriert war.
An sich mochte Marlene nicht einmal jeder dieser Werke - einzig Dorcas war es zu verdanken, dass sie die meisten nicht mit einer schnellen Bewegung mit ihrem Zauberstab verschwinden ließ. Sie sagte immer, sie liebte diese Bilder und irgendwann würden sie bestimmt ein Vermögen wert sein. So genau konnte sie nicht glauben, dass jemals jemand ihre mit Farbe beschmierten Leinwände kaufen wollen würde - aber sie hatte ihrer guten Freundin den Gefallen getan und die Bilder aufgehängt.
Allgemeinhin schien Dorcas die Einzige zu sein, die Marlenes Sinn für Ästhetik und Kunst teilte. So hatten die beiden jungen Frauen ihre Wohnung nicht mit lieblos gekauften Möbeln aus einem Kaufhaus vollgestellt, sondern vielmehr ausrangierte Schmuckstücke restauriert. So befand sich ein wahnsinnig flacher Tisch in ihrem Wohnzimmer, dessen schwarze Holzplatte an verbrannte Kohle erinnerte, und auch ein von Dorcas geflicktes Sofa stand dahinter. Unzählige nicht zusammenpassende farbige Flicken waren in den ursprünglich intakten, weinroten Stoff geschneidert worden und Marlene musste sagen, dass er so viel mehr hermachte, als die langweiliegn Sofas, die man nun zu Hauf in Möbelhäusern erwerben konnte. Außerdem hatte es so eine sehr persönliche Note bekommen und es saß sich gleich viel bequemer, wenn man daran denken konnte, das dies mal ein Stück Müll war, den niemand mehr haben wollte.
In ihrer frühsten Kindheit, erinnerte sich Marlene, da hatte ihre Mutter ihr einmal beigebracht, dass es nichts gäbe, was man nicht mit ein bisschen Arbeit und einer Prise Fantasie wieder herrichten konnte. Damals hatte sie dies an einer Vase demonstriert, welche von dem damals noch sechsjährigen Mädchen mit einem Stoß seismischer Urkräfte in Berührung gekommen war, nur um dann auf dem Dielenboden ein jähes Dekorationsende zu finden.
"Das macht gar nichts, mein Schatz", hatte ihre Mutter damals gesagt. "Hier, siehst du? Noch ist nicht alles ruiniert." Dabei hatte sie einige der Scherben in die Hand genommen und ihrer Tochter gezeigt, dass sie immer noch aneinander passten. "Wenn wir sie kleben, dann ist sie wieder ganz die Alte."
Natürlich war die Vase nach diesem Unfall nie wieder die Alte, das hatte auch die kleine Marlene damals bemerkt. Aber ihre Mutter hatte gesagt, dass die Vase nun mit den ganzen Kleberändern und den stark zu sehenden Bruchstellen irgendwie ihren ganz eigenen Charme hatte. Und sie hatte Recht gehabt. Trotz der zerstörten Struktur, war die Vase immer noch hübsch gewesen und man hatte sie immer noch verwenden können.
Das hatte Marlene die Jahre über im Hinterkopf behalten und sehr oft in ihren Bildern verwendet. Deshalb zeichnete sie so gerne Friedhofsmotive. Sie waren zwar düster und tragisch, vom Tod beschattet, aber sie hatten auch einen Funken Hoffnung in sich. Denn nur, weil es Tod gab, gab es auch Leben. An diesen Leitspruch hielt sie sich fest, auch wenn es besonders in diesen Zeiten wohl schwer zu glauben war, dass dies etwas Gutes war.
Weiterhin mit ihrer Kamera bewaffnet, ging Marlene langsam durch die Reihen der unbekannten Verstorbenen. Vielleicht könnte sie so etwas wie Trauer verspüren, wenn sie diese ganzen vergangenen Namen las, doch tatsächlich ließen sie sie ziemlich kalt. Immerhin hatte sie nicht eine einzige dieser Personen persönlich gekannt und deswegen waren sie ihr egal - trotzdem fühlte sich schlecht, dass sie kein Mitleid verspürte. Manchmal verstand sie sich selbst nicht.
Sie schoss weitere Bilder; ein moosbewachsener Grabstein, eine alter, schaurig wirkender Baum, wie es ihn auf jedem Friedhof gab und das steinerne Bildnis eines Engels, von Muggeln gefertigt, mit blicklosen Augen und schweren Steintränen.
Marlene hatte das Gefühl, dass jedes dieser ein gutes Motiv für ein neues Werk werden würde - würden sie doch gut das einfangen, was gerade in der Welt passierte. Ein Krieg wütete und hatte schon zu viele Opfer gefordert. Doch kein Ende schien in Sicht. Kein Ende einer langen Schreckensepisode, wie es sie nur in den alten Kriegsfilmen gab, die Marlene und Dorcas mal zusammen gesehen hatten. Damals nur schwarz-weiß - heute farbig. Doch natürlich war auch der Krieg farbig. Rotes Blut, schwarzes Schießpulver... in den Filmen schienen die Kriege so surreal zu sein. Denn in ihrer Welt, da gab es kein Schießpulver, welches durch kleine Metallhülsen verheerende Wirkungen auf den menschlichen Körper ausübten, sobald sie aus einer dieser Pistolen abgeschossen wurde – in ihrer Welt war der Krieg bunt und voller Lichter. Todbringender Lichter.
Nicht einmal ein Schrei würde über jemandes Lippen kommen, wenn der grüne Lichtstrahl des Avada Kedavra einen erreichen würde - viel zu schnell reiste das Licht durch den Raum und viel zu schnell erloschen die eigenen Lebenslichter, sobald der Fluch auch nur die Haut berührte. Niemand konnte diesen tödlichen Zauber überleben. Er war die Manifestation des Todes selbst, eine grünleuchtende Lichtquelle, die surrend den Tod ankündigte, ehe er ein Leben nahm und nur die Leere hinterließ, die nach immer blieb, wenn jemand starb.
Vielleicht hatte sie Glück, aber bisher hatte Marlene noch niemanden sterben sehen. Und auch noch niemand aus ihrer Familie war dem Tod zum Opfer gefallen. Selbst ihre steinalte Großmutter lebte noch. Aber sie machte sich nichts vor. In diesem Krieg würde sie irgendwann jemanden sterben sehen. Oder selbst alle Farbe verlieren und wie ein leere Leinwand zurückbleiben.
Und wann immer Marlene nun weiter ein Grab dieser unbekannten Menschen passierte, behielt sie im Hinterkopf, dass jeder von ihnen einmal eine bunte Leinwand, ein Motiv war. Nun waren sie leer und trüb.
Etwas wie Mitleid regte sich dann doch noch in ihr.
❝Tell me what you want to hear
Something that will light those ears
I'm sick of all the insincere
So I'm gonna give all my secrets away
This time
Don't need another perfect lie
Don't care if critics ever jump in line
I'm gonna give all my secrets away❞
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Dorcas Meadowes war eine Rebellin. Sie rebellierte gegen alles, was ihr nicht passte. So hatte sie nichts darauf gegeben, dass die Slytherins für sich alleine stehen sollten und hatte sich trotzdem mit allen anderen Schülern aus ihrem Jahrgang angefreundet. Sie hatte dem Drang widerstanden, die konventionellen Modesünden der modernen Frau zu begehen und bestand lieber darauf, in ihren schwarzen Jeans und ihrem liebsten Pullover herumzulaufen. So hatte sie auch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie gegen die ungleiche Behandlung von Mann und Frau in der Muggelgesellschaft war, obwohl, oder vielleicht sogar deshalb, es sie als Hexe eigentlich gar nicht kümmern sollte.
Und während Dorcas sich eine Lebenseinstellung einer Rebellin auf die Stirn geschrieben hatte, kam sie auch nicht Drumherum, gegen den Krieg zu rebellieren. Sie war eine Slytherin durch und durch, daran zweifelte sie auch nicht, aber sie war auch ein Halbblut mit einer toten Muggelmutter und einem toten Halbblutvater. Sie hatte nichts davon gehalten, dass ihre Klassenkameraden den aggressiven Völkermord der Muggel guthießen und sie hatte schon gar nichts davon gehalten, dass viele aus Slytherin diesem fanatischen Anführer, der sich selbst Lord Voldemort nannte, blind in ein Terrorregime folgten, für welches sie ihre Menschlichkeit aufgaben. Dorcas hatte keine Angst diesen Namen zu nennen. Professor McGonagall hatte ihr erklärt, dass man nur noch mehr Angst vor einer Sache bekommen würde, wenn man schon den Namen fürchtete. Und sie war vieles, aber nicht ängstlich.
Als sie am Morgen eines frisches Frühlings schließlich aus der Haustür trat, da wurde sie sich bewusst, wie klein sie verglichen mit der Welt war, die dort draußen noch wartete und dass sie am liebsten alles davon sehen würde. Gleichzeitig konnte und wollte sie zu dieser Zeit nicht das Land verlassen, nur um ferne Gefilde besuchen zu können. Mit ganzem Herzen hatte sie sich der Rebellion verschrieben und dieses Mal nicht nur dem modischen Frauenbild gegenüber, sondern allem, wofür die Todesser und dieser Lord standen – in ihrer Vorstellung einer heilen Welt gab es keinen Rassismus und keine Verfolgung und deshalb musste sie aufstehen und dagegen ankämpfen, was in dieser Welt vor sich ging.
Mit beinahe grazilen und federnden Schritten ging Dorcas die gut befüllte Londoner Straße entlang. Der Duft von morgendlichem Gebäck und den vollen Mülltonnen drang ihr an die Nase und der Klang eines Plattenladens umspielte ihre Ohren. Was würde sie doch dafür geben, um jetzt in einen dieser Läden zu gehen, etwas zu stöbern und sich keine Sorgen machen zu müssen, dass sie in der nächsten dunklen Gasse nicht von einem wahnwitzigen Todesser getötet zu werden.
Während der Wind ihre blonden Strähnen durcheinander brachte, schien eine wohlige Wärme ihr Gesicht zu erwärmen, als die Sonne sich in einem verzweifelten Versuch durch die dichte Wolkendecke zwängte und ihre Strahlen auf die Welt warf. Dorcas mochte den Frühling von allen Jahreszeiten am Liebsten; die kleinen, langsam aufgehenden Knospen, die Frühblüher, die sich durch die vom Winter gegeißelte Erde zwangen und die Tiere, die aus ihrem langen Schlaf wieder erwachten. Für Dorcas hieß der Frühling Wiedererwachen und Leben und genau das brauchte diese Welt. Ein Wiedererwachen nach einer langen Phase der dunklen Nacht, die der Gesellschaft nur Schrecken und Verderben brachte.
Wann immer sie diese Tage jemanden sah, der ganz offensichtlich einer von ihnen war, so verdüsterte sich ihr Gesichtsausdruck und sie hatte das Bedürfnis, laut zu schreien. Es war traurig. Die Zauberer, die nicht dem Dunklen Lord, wie die Todesser ihn nannten, folgten, waren feige. Würden alle Mächte gleichsam mobilisiert werden, dann wären die dunklen Schergen schnell in der Unterzahl und sie würden keine Chance stehen, überhaupt ihre Herrschaft in so weite Hemisphäre zu bringen. Doch sie hatten vergleichsweise ein leichtes Spiel.
Die Hexen und Zauberer Englands waren größtenteils in ihrer friedfertigen Phase festgefroren und hatten Angst, sich zu wehren. Sie wollten ihren sicheren Platz in der Welt nicht aufgeben, selbst wenn dies bedeutete, die Welt, wie sie sie kannten, in ein Loch aus Dunkelheit und Verderbnis zu werfen. Solange ihre eigene Harmonie aufrecht erhalten wurde, kümmerte es sie nicht, was um sie herum geschah. Dorcas hatte es satt, dass die Welt voller Feiglinge war. Und genau deshalb war sie nun unterwegs, um etwas dagegen zu unternehmen.
Erst am Abend zuvor hatte sie einen Brief erhalten, von niemand geringerem als Albus Dumbledore persönlich. Er wollte sie treffen, sie und viele andere Hexen und Zauberer. Diejenigen, die sich nicht einer falschen Sicherheit unterordnen würde. Diejenigen, die bereit waren, für ihre Sicherheit zu kämpfen. Diejenigen, die für diesen Kampf bereit waren, zu sterben.
Natürlich war Dorcas nicht unbedingt froh, wenn sie sterben würde. Aber sie würde eher im Kampf sterben, als in einem feigen Versuch, ihr eigenes Leben in einer Illusion zu verschleiern. Sie wusste, es war ein falsches Spiel, welches sie spielten. Sie konnten nicht gewinnen. Dafür waren sie zu stark in der Unterzahl. Es wäre dumm, wenn sie sich dem Wunschbildnis hingeben würde, dass sie diesen Krieg überleben würden. Sie hatten keine Chance auf einen Sieg, wenn nicht alle mithelfen würden. Doch so, wie es zu dieser Zeit aussah, würden diejenigen, die bereit waren, zu kämpfen, nur auf Zeit spielen.
Ein Spiel, in dem es nur einen Gewinner geben könnte. Und in diesem Spiel war Dorcas nichts weiter, als eine Schachfigur, die nach ihrem eigenen Willen verschoben würde.
Doch der Orden des Phönix würde kämpfen. Dorcas würde kämpfen.
❝We've all been waiting for this,
But it always comes too quick.
Spend our days in the playground,
Pretending not to be kids.❞
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Kieran Potter war ein Träumer. Wenn er zugleich die Augen auch offen hatte, so war sein Geist doch immer in anderen Gefilden unterwegs. Dies hatte schon des Öfteren dazu geführt, dass er mit dem Kopf gegen einen Türrahmen gelaufen war oder geradewegs gegen eine Londoner Straßenlaterne. Es fühlte sich wie ein einfach sicherer an, wenn er in seiner eigenen Welt unterwegs war. Und nicht in der Realität. Denn die Realität war kalt, grausam und dunkel.
Doch in seinen Traumwelten, da konnte er ihr entfliehen. Er konnte alles sein, was er begehrte. Ein reicher König, der einen Palast vollkommen aus Gold bewohnte, ein Seefahrer, der die fremden Meere einer neuen Welt entdeckte oder auch ein Abenteurer, der mit einem Säbel den Dschungel einer noch nie zuvor erkundeten Insel durchstreifte.
Wann immer Kieran jedoch zu tief in seine Träume abdriftete, so wurde er unsanft wieder in die Realität zurückgeholt. Seine Mutter hatte dieses Phänomen immer nur Tagtraum genannt – aber er wusste, es war etwas anderes. Es musste etwas Magisches sein, dass hatte er schon befunden, als er noch ein kleiner Junge war. Also hatte er seine Lehrer in Hogwarts damit befragt, kaum dass er einen Fuß in die renommierte Zauberschule gesetzt hatte. Obschon die meisten genauso antworteten wie seine Eltern ("Das sind nichts weiter als einfache Tagträume, Mr. Potter, und jetzt verwandeln Sie bitte diese Stecknadel in einen Nagel."), hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es doch etwas besonderes war, was er dort tat.
Zwar bekam er nie offiziell den Bescheid, dass er vielleicht eine besondere Form der Magie besaß, allerdings hatte Professor Dumbledore einmal etwas zu ihm gesagt, dass ihn diese Form von Bestätigung vergessen ließ. "Mr. Potter", hatte der alte Mann damals angefangen, eine Hand hatte dabei unerlässlich durch seinen langen, silbernen Bart gestrichen. "Träume sind etwas ganz magisches. Sie sind keine übliche Form der Magie, so, wie Sie sie hier lernen, nein. Träume öffnen Pforten in eine ferne Welt, die in ihrem Kopf existiert. Sozusagen sind Träume also Reisen. Und es ist an Ihnen, ob Sie diese Reise antreten, oder sie ignorieren. Wie mir allerdings zu Ohren gekommen ist, sind sie doch mehr in ihren Traumwelten als in der Realität, nicht? So sehr ich Ihren Enthusiasmus wertschätze, so muss ich Ihnen auch mitteilen, dass es gefährlich ist, wenn man sich zu sehr an seine Träume klammert. Viele verloren den Sinn für die Wirklichkeit und sollte dieser Zeitpunkt je eintreffen, dann gibt es kein zurück mehr. Also reisen sie mit Bedacht."
Seit er dieses eine Gespräch mit seinem ehemaligen Professoren hatte, waren aber auch schon wieder zehn Jahre vergangen. Heute war Kieran zwar noch immer ein Träumer, aber er hatte es im Griff. Er konnte es, wenn man es denn so nennen wollte, steuern. Seine Welten betrat er nur noch dann, wann er sich sicher genug fühlte. Das musste er auch, immerhin war er seit langem ein erwachsener Mann und irgendwann musste er wohl oder übel auch damit anfangen, sich wie einer zu benehmen. Auch wenn das Entdeckerherz einer Kindes wohl noch immer in seiner Brust pochte.
"Kieran, hör auf zu träumen, das ist wichtig", rügte Hannah ihn. Sein Blick glitt ein Stück nach unten, wo seine Verlobte neben ihm saß. Hannah Lawson, seine wunderbare, kleine Verlobte. Sie seufzte, schüttelte den Kopf und strich sich dann durch die roten Haare. "Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, dich interessiert überhaupt nicht, wo unsere Flitterwochen hingehen sollen."
"Tut mir Leid, Liebling", erwiderte er und lächelte sie an. "Nein, versuch gar nicht erst dein charmantes Potter-Lächeln zu benutzen, das funktioniert nicht", war ihre Antwort. Sie erhob sich, drückte dem großen jungen Mann den Reisekatalog in die Hand und wirbelte dann herum.
"Wo gehst du hin?", fragte er irritiert.
"In die Küche", schnappte sie zurück. "Ich habe Hunger und kann meinen Hintern nicht mehr spüren, vom vielen Sitzen." Kieran konnte nicht anders, als wieder zu lächeln. Hannah war etwas ganz besonders, dass hatte er schon erkannt, als er sie das erste Mal gesehen hatte. Gerne erinnerte sie ihn auch daran – er hatte ihr immerhin einen Stapel mit Zeitschriften auf den Fuß fallen lassen und, in dem Versuch, sie schnell wieder aufzuheben, sie beinahe umgestoßen. Aber selbst nach zwei Jahren hatte keiner von beiden den Witz an dieser Sache verloren. Immerhin waren diese sich selbstständig machenden Zeitschriften, die unbedingt eine Bekanntschaft mit Hannahs linkem Fuß machen wollte, ihre erste Begegnung gewesen. Vielleicht hätten sie sich ohne nie kennengelernt.
Kieran erhob sich nun ebenfalls, legte den Katalog beiseite, in welchen Hannah schon etliche kleine, bunte Zettel gezaubert hatte, die nun potenzielle Ziele markierten, und folgte seiner Verlobten in die Küche. "Wobei kann ich dir denn helfen?", fragte er und lehnte sich gegen den Türrahmen.
"Du kannst mit den Topf runterreichen", sagte Hannah und blickte ihn auffordernd an. Ein kleines Lachen entkam ihm. "Wann wirst du ihn endlich in deine Reichweite stellen?", fragte er sie, während er die oberste Schranktür öffnete, um einen Kochtopf aus dem Regal zu nehmen, an den die gerade einmal einen Meter sechsundfünfzig große Hannah nie herankommen würde. "Oder wann wirst du endlich deinen Zauberstab dafür benutzen?"
"Wenn du nicht da bist, um mir die Sachen zu geben, die zu weit oben sind", sagte sie zwinkernd, als sie ihm den Topf abnahm. "Wozu hab ich dich denn?"
"Ah, ich bin dein persönlicher Topfreicher, schon verstanden." Er grinste sie an, verschränkte die Arme und beobachtete, wie ein Bund Gemüse sich nach dem Wink des Zauberstabes seiner Verlobten von alleine in kleine Würfel schnitt. "Natürlich", erwiderte sie frech. "Oder meinst du, ich heirate dich aus Liebe?"
Ihr Lachen schallte an den hellen, pastellfarbenen Wänden wider und Kieran konnte erneut nicht anders. Er musste einfach Lächeln. Dafür war seine baldige Frau einfach viel zu liebreizend.
Manchmal, so überlegte er, während er zwei Teller aus dem Schrank nahm, und auf den Tisch stellte, manchmal konnte auch die Realität wie ein Traum sein.
❝So when I'm ready to be bolder,
And my cuts have healed with time
Comfort will rest on my shoulder
And I'll bury my future behind
I'll always keep you with me
You'll be always on my mind
But there's a shining in the shadows
I'll never know unless I try❞
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Hannah Lawson war bittersüß. Für ihre Mutter stand immer fest, dass ihr kleines Mädchen mal zu einer ganz großen Frau werden würde und ihr Vater hatte sie immer ganz fest gedrückt und sie `seine süße Prinzessin` genannt. Zwar war Hannah nicht besonders groß vom Körper geworden, allerdings war sie trotzdem so geworden, wie ihre Mutter es sich immer gewünscht hatte. Sie hatte im Moment alles, was sie für ein gutes Leben brauchte; sie hatte einen sehr guten Schulabschluss geschafft (sogar die besten Prüfungen ihres Hauses), sie hatte einen wunderbaren Verlobten (auch wenn sie Kieran manchmal den Hals umdrehen könnte) und sie plante ihre absolute Traumhochzeit.
Das einzige, was ihr fehlte, war ihre Familie.
Sie hatte sie seit vier Jahren nun nicht mehr gesehen, hatte ihre Mutter nicht in den Arm schließen können oder mit ihrem kleinen Bruder albern können. Aber es war das Beste. Es war ihre Entscheidung gewesen, dass sie ihre Familie lieber in Sicherheit wusste, als dass sie sie mit in diesen Krieg zog, der dort draußen tobte. Im Moment lebten sie in der Schweiz. Fernab dieser dunklen Zeit, die in Großbritannien vor sich hin tickte. Hannah wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sie sie endlich wieder sehen konnte – aber nicht, bevor dieser Krieg nicht gewonnen war.
"Hannah, hast du meinen Anzug gesehen?", erklang Kierans Stimme aus dem Schlafzimmer der Wohnung, die die beiden gemietet hatten und sie verdrehte die Augen. "Er liegt auf dem Schrank!", rief sie ihm zu.
"Oh. Danke, Liebling!" Sie kannte ihn mittlerweile gut genug, dass sie wusste, dass ein Lächeln seine Antwort zierte. "Wenn du mich nicht hättest, was...", murmelte sie und überschlug die Beine. Sie befeuchtete ihre Finger und blätterte eine Seite weiter. Die Zeitschrift, die sie las, die Hexenwoche sprach über `Die hübschesten Zauberer unserer Zeit` und Hannah könnte sie nicht oberflächlicher finden. Männer wie Kieran, das waren die, die sie bevorzugte. Oder vielleicht auch nur Kieran, das wusste sie nicht. Neben ihm hatte sie vorher nur eine Beziehung gehabt und die war nicht so erfolgreich verlaufen, dass sie sich davon bereits ein klares Männerbild machen konnte.
Etwas an ihrem Verlobten war es, was ihn so besonders machte. Vielleicht war es die Art, wie seine Haare unordentlich in seinem Nacken abstanden (eine Sonderheit, die wohl alle männlichen Vertreter der Potter-Familie hatten, wollte sie seinen Worten glauben schenken) oder wie seine Augen in einem hellen Blau leuchteten, wann immer er etwas tat, was er gerne mochte. Aber sie liebte Kieran und das war eigentlich alles, was für sie zählte.
"Und, wie seh´ ich aus?", fragte Kieran, der aus dem Flur ins Wohnzimmer trat und sich selbst seiner Verlobten präsentierte. Hannah blickte kurz auf, betrachtete den schlichten schwarzen Anzug den ihr Freund trug und widmete sich dann wieder `Nummer 9: Abraham Alberris – Kesselbauer mit Charme`. "Ganz toll, wie immer."
Er blies leise Luft aus seiner Nase und ging dann zu ihr. "Wow, ich danke für dieses Kompliment", sagte er sarkastisch und Hannah seufzte leise.
"Tut mir Leid", erwiderte sie, hielt ihren Blick aber weiterhin auf den Kesselbauer mit den Oberarmmuskeln gesenkt. "Aber du hast den Anzug schon so oft getragen."
"Ich weiß, es ist ja auch mein einziger", erwiderte Kieran und seine Hand strich über ihren Arm. "Aber das heute ist wichtig, das weißt du doch. Wenn ich hier einen guten Eindruck schinde, dann könnte das ein kleiner Erfolg für mich werden."
"Das hast du alleine gestern schon mindestens drei Mal erzählt, Kieran." Hannah blickte endlich auf und sah ihrem Verlobten in die Augen. "Und damit du dich in deinem männlichen Stolz bestätigt fühlst: Du siehst einfach zum Anbeißen aus und ich würde dich liebend gerne sofort vernaschen."
Kieran lachte auf und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. "Das wollte ich hören."
Hannah wollte sich schon wieder ihrer Zeitschrift widmen, doch stattdessen hob sie noch einmal den Kopf und ihr Blick traf seinen. "Obwohl ich immer noch nicht weiß, wieso du das überhaupt machst. Ich meine, wir haben im Moment doch genug Geld. Wozu also noch mehr?"
Kieran zog eine Augenbraue in die Höhe. "Für uns beide reicht es im Moment, da hast du Recht." Langsam ließ er sich wieder neben ihr nieder. "Aber sollten wir uns mal dazu entscheiden, dass wir nicht mehr nur zu zweit sein wollen, müssen wir mit mehr Ausgaben rechnen. Außerdem will ich, dass es dir an nichts fehlt."
"Du weißt, dass ich keinen Luxus brauche", sagte Hannah, lächelte aber gerührt. Wenn Kieran eines war, dann ein Romantiker, der immer wollte, dass sie sich alles leisten konnte, was ihr Herz begehrte. "Ich bin doch zufrieden damit, wie wir jetzt leben. Einfach, aber sicher."
"Ich weiß, Liebling, ich weiß. Aber ich möchte auch gerne eine Absicherung haben. Eine Familie braucht das." Sein Lächeln war sanft und strahlend schön und Hannah bemerkte, wie sie ihm wieder ein Stück mehr verfiel – wenn das überhaupt möglich war. "Ich liebe dich", sagte er, hauchte ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund und erhob sich dann. "Jetzt muss ich aber los. Bis heute Abend, Liebling."
"Ja. Ich liebe dich auch." Ihre Antwort hörte er nicht mehr. "Und man hat mich gewarnt, dass ein Potter ein liebenswerter Trottel sei." Sie lächelte, fuhr sich mit den Fingern durch die roten Haare und widmete sich dann wieder den hübschen Zauberern.
Auch wenn plötzlich keiner von ihnen attraktiv auf die junge Frau wirkten. Stattdessen schien immer nur ein Gesicht vor ihrem inneren Auge zu erscheinen. Seufzend blätterte sie weiter und hielt erst, als sie ein Rezept für ein `Himmelssoufflee` entdeckte. Mit dem Gedanken daran, wie dies wohl auf einem weißgedeckten Hochzeitstisch wirken würde, erschien ein Lächeln auf ihren Lippen.
❝Hold my head inside your hands,
I need someone who understands.
I need someone, someone who hears,
For you, I've waited all these years.❞
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Lyle Lavoie war ein Romantiker. Vielleicht waren es seine französischen Wurzeln oder die alten, englischen Dramen, die er so gerne las, aber er hatte ein Händchen dafür, romantische Diner vorzubereiten oder die schönsten Blumensträuße zusammenzubinden, die die Welt je gesehen hatte. Seine Schwester würde niemals eine so wunderbare Beziehung führen, wenn ihr kleiner Bruder nicht Amor höchst selbst wäre.
Und obwohl Lyle noch keine eigene Beziehung geführt hatte, so war er sich sicher, das Liebe das schönste Gefühl auf dieser Welt war. Warm, geborgen, sicher. So musste man sich fühlen, wenn man diese eine Person gefunden hatte, mit der man sein Leben verbringen wollte. Wenigstens hatte er seine Schwester, die seine ganze Liebe in sich aufnehmen konnte. Niemanden auf dieser Welt liebte Lyle mehr als Heléne, die ihn in jeder seiner Lebenslagen unterstütze wie es kein anderes Mensch konnte.
Es war nie einfach für den gebürtigen Franzosen gewesen. Während die Kinder in seinem Jahrgang Quidditch spielten oder sich Duelle mit den beweglichen Schachfiguren lieferten, hatte Lyle seine Freizeit damit verbracht, sein Englisch zu verbessern, seinen deutlichen Akzent zu verringern und die Bücher zu lesen, die seine Mutter ihm schickte. Er war ein ruhiges Kind gewesen, hatte Schwierigkeiten, sich in der neuen Umgebung anzupassen und soziale Kontakte waren ihm immer schwer gefallen.
Als Lyle erst zwölf Jahre alt war, wechselten er und seine Schwester Heléne auf die Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberei. Die magische Grundausbildung war ihnen wesentlich lieber gewesen, als der doch recht strenge Umgangston in der Beauxbatons Akademie, die viel Wert auf Etikette legte. Lyle hatte anfangs Schwierigkeiten gehabt, dem Unterricht zu folgen. Er verstand nicht immer alles, was die Lehrer erzählten und obwohl versucht wurde, es ihm zu erklären, waren seine Noten sehr schnell abgefallen. Heléne hatte versucht zu helfen, wo es ging, aber ihr kleiner Bruder hatte das Heimweh gepackt. Er wollte nicht mehr im fremden England sein, wo niemand mit ihm sprach und er die Bücher in der Bibliothek nicht verstand.
Und obwohl dieser Junge nun schon lange nicht mehr existierte, so packte Lyle auch heute noch manchmal das Heimweh und er vermisste die sanfte Landschaft Frankreichs. Trotzdem war er in England mehr als glücklich. Er hatte eine Arbeit, die er liebte und obwohl er kein sehr sozialer Mensch war, so hatte er oft genug seinen Kontakt mit den Menschen, die er in London kennen gelernt hatte. Da wäre Helénes fester Freund Ricardo, ein gebürtiger Spanier, der ein paar Jahre älter war als die beiden, Lyles Chefin Maya, eine sehr warmherzige, aber manchmal durchaus exzentrische Dame in ihren Mittvierzigern und Rody, ein Junge, mit dem er in einer Klasse war und für den Lyle schon seit längerem ein bisschen Schwärmerei übrig hatte.
Er hatte sich auf jeden Fall schon lange gegen Frankreich und für sein neues Zuhause entschieden. Ihm gefiel London. Die Stadt war zwar groß und voller Menschen, aber man fühlte sich nie wirklich alleine. An vielen Ecken fand man magische Monumente oder Gebäude und Hexen sowie Zauberer gab es in dieser Stadt zu Hauf. Die Muggelmetropole war wahrhaft ein magischer Ort.
Als Lyle an diesem Tag die Straßen der Stadt durchstreifte, fiel ihm auf, dass der Frühling in diesem Jahr sehr früh dem Sommer weichte. Während die wenigen Bäume, die manchmal am Straßenrand auftauchten, noch voll in ihrer Blüte lagen, wehte schon ein warmer Wind durch die Luft und die Sonne hatte sich durch die Wolkendecke gekämpft. In den gläsernen Fenstern und dann spiegelglatten Fassaden der riesigen Bürogebäude spalteten sich die Strahlen und trafen jeden noch so versteckten Punkt der Stadt, um ihn mit dem wärmenden Leben der Sonne zu erfüllen. Menschen hatte ihre Mäntel abgelegt und trugen sie nun auf dem Arm, während sie die Augen zusammenkniffen und den Blick eher auf den Boden richteten, als in die Ferne. Der Lärm der Stadt vermischte sich mit den Stimmen der hunderten Vögel, die es sich in ihren hochangelegten Nestern oder in den Bäumen gemütlich gemacht hatten und irgendwie fand Lyle, dass dies einer der schönsten Tage des Jahres war.
Es schien fast schon wieder zu idyllisch zu sein und beinahe erwartete er - wie in den Büchern oder Filmen - dass irgendetwas diese Stille stören würde. Aber es kam nichts. Die Minuten verstrichen und weder ein Unwetter zog auf, noch laute Baustellengeräusche verscheuchten diesen wunderbaren Moment des frühen Sommers.
Lyle hatte die Augen auf die gegenüberliegende Straßenseite gerichtet, als seine Aufmerksamkeit von einem hochgewachsenen jungen Mann eingespannt wurde. Ein schwarzer, schlichter Anzug umgab seinen Körper, der, nach Lyles Empfinden, sehr wohl geformt war. Die dunklen Haare und der stramme Gang gaben dem ganzen ein sehr schickes Gesamtbild und er erwischte sich dabei, wie er dem Fremden hinterher starrte. Beinahe war es so, als würde er den Mann kennen, doch er verwarf den Gedanken schnell wieder. Wahrscheinlich war er ihm einfach nur schon einmal auf der Straße begegnet.
Ein stark gebündelter Sonnenstrahl hatte sich seinen Weg zu Lyles Augen gesucht und als er das nächste Mal strahlenfrei sehen konnte, war der fremde Anzugträger bereits wieder verschwunden. Schade, dachte er sich. Gerne hätte der ihm länger hinterher geblickt. Es geschah nicht jeden Tag, dass er einen gutaussehnden Mann sah, der seine Aufmerksam auf sich ziehen konnte. Obwohl Lyle viele seiner ehemaligen Klassenkameraden doch recht anziehend fand, so hatte er doch keinen als interessant genug befunden. Sie waren stumpf und nicht so gebildet wie er. Einzig an Rody hatte er längere Zeit Interesse bekundschaftet, welches allerdings auch recht schnell verklungen war, als dieser ihm bestimmt mitgeteilt hatte, dass er nicht an so einer Art Beziehung interessiert war. Lyle war nicht unbedingt unglücklich, eher enttäuscht, dass er seine Hoffnungen so hoch angesetzt hatte, dass es ihm wehgetan hatte, das zu hören.
Wahrscheinlich war doch einfach zu viel des Romantikers in ihm, als das es ihn hätte kalt lassen können.
❝And the sky is pouring rain
I can feel you hardly
I can hear you in the wind, in the wind
And you're calling out my name❞
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Alburt Mayden war ein Egoist. Noch nie hatte er gerne geteilt, hatte nicht einmal seinen Klassenkameraden eine Feder geliehen, wenn diese ihre vergessen hatten. Es war wohl mit seine schlimmste Eigenschaft, aber wirklich konnte er nichts dagegen tun. Alburt wollte einfach nichts mit anderen teilen und das, obwohl er eigentlich gerne half. Nur sollte dafür niemals etwas von Nöten sein, was ihm gehörte. Schon als er noch ein Kind war, wollte er auch nicht mit seiner Schwester teilen, selbst wenn sie einfach nur einen seiner Malstifte ausleihen wollte.
Aber die meisten hatten sich damit abgefunden, dass Alburt nun mal ein egoistischer Mensch war. Nicht, dass es viele Leute geben würde, die dies kümmern könnte. Kontakt mit anderen Menschen hatte er eigentlich kaum, Freunde gab es nicht und aus seinem Elternhaus war er ausgezogen, als er die Apotheke seines Vaters übernommen hatte. Es war nur ein kleiner Laden, nichts wirklich besonderes und schon gar nicht magisch, aber irgendwie hatte Alburt Gefallen daran gefunden.
Die Muggel die seinen Laden besuchten redeten nicht überschwänglich mit ihm, er war meistens alleine und hatte seine Ruhe und selbst an geschäftstüchtigen Tagen hatte er kaum mehr als zwanzig Kunden. Das Geschäft war klein und lag nicht gerade inmitten all den anderen Läden Londons, wo es auffallen würde, sondern eher außerhalb der Innenstadt, fast schon am Stadtrand.
Manchmal, wenn er den Laden schloss, dann ging Alburt noch in den Tropfenden Kessel, einem kleinen Pub in der Stadt, nur für Zauberer. Dort genehmigte er sich manchmal ein Glas Feuerwhisky und lauschte den Gesprächen und Gerüchten um sich herum. Denn nur weil Alburt nicht der sozialste aller Zauberer war, so war er ja nicht zurückgeblieben und wusste trotzdem immer Bescheid, wenn etwas passiert war. Er war der stille Zuhörer, derjenige, der nicht weiter auffiel und derjenige, dessen Anwesenheit man meist erst dann bemerkte, wenn er schon wieder weg war. Alburt gefiel diese Rolle.
So hatte er Informationen, die ganz sicher nicht für seine Ohren bestimmt waren. Wo ein übermütiger Auror zum Beispiel seine erste Mission haben würde; wo ein zwielichtiges Treffen von noch zwielichtigeren Gestalten stattfinden würde und auch wann der der persische Zauberereiminister zu Besuch kommen würde. Es war faszinierend, wie offen Menschen redeten, wenn sie dachten, sie wären alleine und niemand würde zuhören. Aber, oh, und wie Alburt zuhörte.
Es war ein wunderschöner Frühlingstag als er einmal nicht nur der passive Zuhörer sondern ein Aktivist war. Alleine das drei Personen gleichzeitig in seiner Apotheke waren, war schon ungewöhnlich, doch als zwei der drei Kunden allem Anschein nach auch schon einiges getrunken hatten, machte die ganze Sache nur noch skurriler.
Der eine, ein hünenhafter Kerl mit breiten Schultern aber verhältnismäßig kleinem Kopf, hatte seinen Kumpel, einen ziemlich untersetzten, schmutzigen Kerl, gegen den Arm gestoßen und dann auf die verbliebende Kundin gedeutet, die gerade bei einem Regal mit Hustenbonbons stand. Ein dreckiges Grinsen war auf ihren Gesichtern zu sehen gewesen, als sie - relativ torkelnd - auf das Mädchen zugegangen waren und noch Interesse für das Regal daneben bekundet hatten.
Als dann der eine ihr aber immer näher gekommen war, da hatte Alburt sich gesagt, dass er in dieser Situation nicht nur den Zuhörer spielen würde. Also war er hinter seiner altmodischen Kasse hervorgekommen.
"Kann ich Ihnen behilflich sein?", fragte er spitz, das kantige Kinn gereckt und die blauen Augen leicht zusammengekniffen. Der schmutzige Typ war daraufhin ein bisschen zusammengezuckt und Alburt hatte das dringende Bedürfnis, sich die Nase bei diesem extraordinären Körpergeruch zuzuhalten, der stark nach billigem Fusel roch.
"Ne, danke, komm schon allein zurecht", erwiderte der Große und warf seinem Kumpel einen bedeutenden Blick zu. Alburt schnalzte kurz mit der Zunge, blickte das Mädchen kurz an - sie hatte ein erschreckend unauffälliges Aussehen mit dem hellbraunen Bob und der zierlich-kleinen Statur - und wandte sich dann vorerst wieder ab. Er behielt die beiden fest im Blick, während er sich wieder seiner Kasse näherte.
Er brauchte keine dreißig Sekunden, da hatte der Große dem Mädchen versehentlich etwas zu tief an den Rücken gefasst. Empört und erschrocken hatte sie aufgeschrien und war zurückgesprungen, war jedoch direkt mit dem übel riechenden Typen zusammengeprallt.
"Würden Sie die junge Dame wohl nicht belästigen?" Alburt hatte es schon immer gekonnt seine Stimme besonders kalt zu stellen, wenn er es wollte. So auch nun und vielleicht waren die beiden so überrascht, dass ein so unansehnlicher Mensch wie Alburt - zumindest empfand er sich selbst nicht gerade für eine Augenweide mit den schmutzig-blonden Haaren und der Hakennase - so eine kalte Aussprache hatte.
"Verzeihung, war ein Versehen", meinte der Große und versuchte sich an einem Lächeln, was eher in einer Grimasse endete und ziemlich gelbe Zähne offenbarte. In dem braunen Lederrucksack auf seinem Rücken klimperte es und für Alburt klang dies sehr deutlich nach Glasflaschen, die aneinander schlugen.
"Für mich sah es aber nicht sehr nach einem Versehen aus und wenn Sie nicht vorhaben etwas zu erwerben, dann muss ich Sie bitten, meinen Laden sofort zu verlassen." Alburt sah die beiden hochgestochen an. Der Große blickten seinen schmutzigen Freund an, dann grummelte er und wandte sich zum Gehen um.
Als die kleine Glocke über der Ladentür zum zweiten Mal geklingelt hatte, erhob das Mädchen ebenfalls die Stimme.
"Vielen Dank", sagte sie und lächelte schwach. "Das war sehr zuvorkommend von Ihnen."
"Nicht der Rede wert", meinte Alburt und war überrascht, weil ihre Stimme sehr rau klang. "Sind Sie erkältet?", fragte er dann in dem Moment, in dem sie sich die Hand vor den Mund hielt, um zu husten. "Nun, offensichtlich." Das Mädchen lachte zittrig. Beim zweiten Hinsehen fiel ihm auf, dass ihre Augen leicht gerötet waren.
"Ich habe hier etwas, dass Ihnen sicher schnell wieder auf die Beine helfen sollte." Alburt ging hinüber zu seiner Kasse, griff nach dem Zauberstab, der darunter verborgen lag und schwang ihn für das Mädchen nicht sichtbar einmal, und eine kleine Flasche mit einer grünlichen Flüssigkeit erschien in seiner Hand. "Hier, rein pflanzlich."
"Oh, vielen Dank, Mr. Mayden", erwiderte sie höflich und Alburt schüttelte es kurz.
"Bitte, Mr. Mayden wird nur mein Vater genannt. Mein Name ist Alburt."
"Paige, sehr erfreut", sagte sie mit geröteten Wangen. "Wie viel - "
"Nehmen Sie ein paar Tropfen morgens und abends", unterbrach er sie lächelnd. "dann sollte ihre Erkältung im Nu geheilt sein. Geht aufs Haus."
Selbst wenn Alburt nicht gerne seine eigenen Sachen teilte, so konnte er ja einem kranken Mädchen schlecht eine einfache Muggelmedizin geben. Schon gar nicht, wenn sie so außerordentlich freundlich war, wie diese junge Dame. Und wahrscheinlich würde er sie nie wieder sehen.
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blackxfairydream • Am 02.05.2017 um 17:24 Uhr | |||||||
Ich hab dir glaube ich auch schon auf Wattpad meine Meinung da gelassen. Ich finde das Kapitel gut nur ist es schade, dass viele Menschen sterben werden :( | ||||||||
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gizmoparadoxes • Am 05.03.2017 um 20:00 Uhr | |||
Ich finde das erste Kapitel schon echt gut. Dein Schreibstil ist super. Du hast auch, -leider-, Recht damit, dass es im Krieg kein Happy End gibt, deswegen finde ich es auch gut, dass es mal eine Geschichte über die vergessenen Charaktere gibt. Ich hab noch keine (gute) dazu gefunden, wenn ich ehrlich bin und ich denke, mit einem Blick hinter die Kulissen dieser damaligen Zeit und Charaktere kann man etwas Großes schaffen. Bin gespannt, was du daraus machst. (: Jedoch muss ich eines noch anmerken: gegen Ende hin hast du vermutlich ein Wort vergessen am Ende eines Absatzes. - »Mit einer Hand fühlte sie, ob ihre Kamera auch unbeschadet war, mit der anderen umklammerte sie den Zauberstab in ihrer Manteltasche und sah sich verstohlen.« Ich denke, da fehlt ein 'um'. (: Mehr anzeigen |
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Kapitel: | 6 | |
Sätze: | 364 | |
Wörter: | 6.788 | |
Zeichen: | 40.248 |