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Kapitel: | 6 | |
Sätze: | 418 | |
Wörter: | 4.217 | |
Zeichen: | 25.303 |
Es war keine sternenklare Nacht. Der Himmel hüllte die Erde in pechschwarze Seide. Die Sträucher wisperten, hielten ihn zum Narren. Zu dem Narren, der er war. Er stolperte über eine knorrige Wurzel, die nach seinem Knöchel griff und ihn kurz in ihren hölzernen Händen gefangen hielt. Fluchend eilte er weiter am Wald entlang.
Was tat er hier eigentlich?
Der Junge spürte bereits die Wut in sich aufkommen. Die Neugier hatte über die Vernunft gesiegt. Sie triumphierte geradezu, mit jedem Schritt mehr. Er folgte der Aufforderung von diesem verdammten Black - und das gefiel ihm nicht.
Mit einem Mal leuchtete die Welt um ihn taghell auf. Der silberfarbene Mond trat hinter den unheilbringenden Wolken hervor. Vollmond. Schnell huschte er in den Schatten der Bäume, fühlte sich jedoch nicht sicherer. Ein Schauer fuhr ihm über dem kalten Rücken und er zog seinen dunkelgrünen Umhang fester um sich. Dann setzte er seinen Weg fort. Im silbrigen Zwielicht erkannte er die Peitschende Weide. Er zückte seinen Zauberstab.
Die morschen Stufen stöhnten unter seinen Schritten. Es roch nach modrigem Holz, doch der Junge wagte es nicht die Nase zu rümpfen, wie er es sonst immer tat. Um die baufälligen Mauern der Hütte pfiff der Wind.
Das Gebäude schien zu atmen.
Er erklomm Stufe um Stufe, hielt sich auf dem mottenzerfressenen Teppich und hoffte, er möge seine Schritte dämpfen. An einigen Stufen musste er klaffende Löcher und Trümmer, die sich vor langer Zeit aus der hohen Decke gelöst hatten, umgehen. Nicht nur einmal trat er in ein unter dem Läufer verborgenes Loch und drohte umzuknicken.
Plötzlich hielt er inne.
Ein langgezogenes Heulen drang durch die Hütte.
Was war das? Das Treppenhaus lauschte.
Der Junge presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Womöglich war es nur der Wind gewesen? Schließlich fegte er nur so um die frierenden Gemäuer. Er wartete noch einige Herzschläge wie erstarrt auf der Treppe. Dann zwang er sich die letzten Stufen hinauf.
Er spürte förmlich wie das Gebäude schwankte. Die altmodische Holzvertäfelung knarzte, der Leuchter an der Decke, der schon seit langer Zeit kein wärmendes Licht gespendet hatte, quietschte leise. Der Teppichläufer führte ihn bis vor eine angelehnte Tür.
Nervös fuhr er sich durch die schwarzen, strähnigen Haare.
Dann schloss er seine zitternde Hand um die verschnörkelte Klinke und drückte in Zeitlupe die Eichentür auf. Die Angeln jammerten vor Altersschwäche.
Vor ihm lag ein dunkler Raum.
Das Mondlicht glitzerte durch die zerschlagenen Fenster, immer wieder unterbrochen von den unerbittlichen Wolken. Das wabernde Licht- und Schattenspiel verwandelte den Raum in einen surrealen Alptraum. Ein zerbrochenes Himmelbett mit zerfetzten Vorhängen, ein auf den Kopf gestellten Sekretär, einige mit im Windzug flatternden Laken bedeckte Möbel.
Doch keine Spur von Black? Oder einer anderen Menschenseele?
Ein Rascheln.
„Black?“ Seine Stimme brach.
Wovor hatte er Angst? Verärgert beschloss er sich zusammenzureißen.
Er trat einige Schritte vor und blieb in der Mitte des Raumes stehen. In der Unordnung war es schwer Einzelheiten auszumachen, doch er ließ seine Augen über die staubbedeckten Möbel wandern.
Sein Blick blieb an etwas hängen, das einige Schritte entfernt auf dem Boden lag.
Stirnrunzelnd trat er näher heran und kniete sich nieder. Was in Salazars Namen war das? Er griff danach und hielt es ins Mondlicht.
Zerfetzte Kleidung. Er erkannte einen Pullover der Hogwartsuniform.
Ein weiteres Rascheln.
Irritiert sah er auf - und direkt in die riesigen, gelben Augen des Werwolfs.
Der Junge fiel rücklings auf sein Hinterteil und kroch auf Händen und Füßen rutschend und strampelnd blind rückwärts. Kurz darauf rammte sich der Bettpfosten in seinem Rücken. Das pure Grauen sprach aus seinem Gesicht.
Aus den Schatten der bedeckten Möbel löste sich die fellbedeckte Gestalt des Werwolfs.
Er bewegte sich langsam und geschmeidig, lauernd. Seine kalten Augen hatten sich keine Sekunde lang von dem Jungen gelöst.
In diesem Moment durchströmte ihn das ohnmächtige Gefühl des Ausgeliefertseins. Erst jetzt zog er ungeschickt seinen Zauberstab, doch sein Mund war staubtrocken. Selbst wenn er hätte sprechen können, ihm wäre kein Zauberspruch eingefallen.
Das Monstrum pirschte näher.
Ein tiefes Grollen kam aus seiner Kehle, das dem Jungen die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Die gebleckten, spitzen Zähne des Wolfs schimmerten silbrig-weiß im Mondlicht und erzählten Geschichten von Tod und Verderben.
Mit einem einzigen kraftvollen Satz überwand der Werwolf die letzten Meter, die sie voneinander trennten.
Er packte ihn mit seinem riesigen, länglichen Kiefer an der Taille und schleuderte ihn mit Leichtigkeit quer durch den Raum.
Das Geschehen um ihn herum spielte sich wie in Zeitlupe ab. Tausende Staubflocken schwebten sanft durch den Raum, Holzsplitter explodierten unter ihm. Das Monster leckte sich das Blut von den Zähnen. Sein Blick fest auf seinem Opfer.
Der Junge spürte die klaffende Wunde an seiner Seite heiß pulsieren. Sein Herz pochte ihm laut in den Ohren. Es versuchte kläglich den Blutverlust zu kompensieren, pumpte dadurch aber nur noch mehr rotes Lebenselexier aus seiner Wunde.
Rasselnder Atem, nebeliger Blick.
Sollte es das nun gewesen sein? Sein Leben?
Eine einzelne Träne löste sich aus seinem Auge.
In seine Sicht zog langsam die Schwärze ein. Der Werwolf setzte zum finalen Schlag an. Mit letzter Kraft hielt der Junge die Augen offen.
Da nahm er eine Bewegung an der Tür wahr.
Potter?
Seine Augen fielen zu.
Der ziehende Schmerz riss mich aus den barmherzigen Tiefen des traumlosen Schlafes. Ein Stöhnen entwich meinen Lippen. Unter Anstrengung riss ich meine verklebten Lider auseinander und schaute mich um. Es dauerte eine Weile, bis ich mich orientiert hatte.
Ein hohes Gewölbe, weiße, lange Vorhänge, der rote Geruch von Blut, durchmischt mit einer feinen Brise verschiedenster Kräuter. Unverkennbar, ich war im Krankenflügel.
Ein harter Strahl gleißenden Mondlichts traf auf meine Bettdecke. Er bohrte sich in meine Netzhaut und verstärkte den hellen Schmerz in meinem Kopf. Gequält schloss ich die Augen.
Warum lag ich hier?
Meine Gedanken schweiften unkontrollierbar, fanden keinen Halt. Rauschten durch dunkle Nebel. Der Werwolf. Unwillkürlich berührte ich meine Seite und zuckte natürlich zusammen.
Ich Tor. Das Mistvieh hatte mich ordentlich erwischt.
Sofort spürte ich die Schamesröte aufsteigen.
Ich hatte versagt im Kampf.
Mein Schnauben echote durch den nachtstillen Raum. Welcher Kampf? Ich hatte erstarrt auf meinem Hinterteil gesessen, wie ein verdammtes Karnickel vor dem Fuchs. Aber da war noch etwas.
Eine Sache, die die Hitze in meinem Gesicht immer weiter anfeuerte.
Und plötzlich fiel es mir wieder ein. Weshalb ich überhaupt hier in diesem unbequemen Bett lag und nicht zerstückelt und zerfetzt in der Heulenden Hütte.
Potter.
Übelkeit brannte in meinem Rachen. Die letzte Person, die ich gesehen hatte, bevor mich die Bewusstlosigkeit übermannt hatte. Hatte Madame Pomfrey nicht auch erwähnt, dass James mich zu ihr geschleift hatte in jener Nacht? Ich schüttelte meinen Kopf, um Klarheit zu erlangen, und bereute es direkt.
Die Schmerzen waren unerträglich. Mit zusammengebissenen Zähnen zählte ich solange, bis ich wieder atmen konnte. Madame Pomfrey musste mir einen starken Trank verabreicht haben, so wirr wie ich mich mit meinen stückhaften Erinnerungen fühlte.
Aber es stimmte.
James Potter hatte mir das Leben gerettet. Lily … ich tastete nach dem roten Haarband, das ich stehts unter meinem rechten Ärmel um das Handgelenk trug. Sie hatte es im ersten Jahr in der großen Halle fallen gelassen …
Und dieser unreife, hochnäsige Potter, der meine kluge Lily in die Falle gelockt hatte, hatte mir das Leben gerettet.
Ein Schwall aus Wut und Ekel ergoss sich auf den Boden. Ich würgte noch einige Male. Dann kam nichts mehr aus meinem lädierten Körper.
Also lag ich da, halb auf der Seite, mit pochendem Körper und atmete einfach. Ich atmete. Bis die Gedanken erneut zu wirbeln begannen.
Das alles wegen Black. Er hatte mich ganz bewusst in dieser Vollmondnacht in die Hütte gelockt. Er allein war dafür verantwortlich, dass ich von nun an in Potters Schuld stand. Wollte er sich einen dummen Spaß erlauben, der eskalierte? Oder wollte er mich tatsächlich umbringen lassen?
Meine Finger krallten sich in das verschwitzte Laken.
Hatte er dabei zugeschaut, wie nutzlos ich auf dem Boden gesessen und auf meinen Tod gewartet hatte? Zusammen mit Potter? Hatten sie gesehen, wie ich im Angesicht des Werwolfs keinen einzigen verdammten Zauber wirken konnte? Hatten sie sehr gelacht?
Vermutlich hatten sie sich nicht mehr einkriegen können. Sie saßen wohl jetzt noch zusammen in ihrem Gryffindortürmchen und lachten über mich. Wie dumm ich gewesen war!
Eine brennende, lodernde Kälte durchströmte meinen Körper, vom schwarzen Schopf bis zu den bleichen Füßen.
Bis jede Zelle meines Körpers einen Gedanken verfolgte.
Potter und Black würden büßen müssen.
Mit einem verzweifelten Schrei schleuderte ich meinen ungebändigten Hass hervor. In einer spürbaren Druckwelle aus reiner Energie brach er heraus. Lampen zerbarsten, Vorhänge flatterten. Die Temperatur im Raum sank merklich.
Dann ohrenbetäubende Stille.
Beinahe.
Ein merkwürdiges Geräusch drang langsam durch den Nebel zu mir durch.
Es war ein langgezogenes Fauchen, das unter dem Nachbarsbett hervorkam. Es wurde leiser, bis es schließlich verebbte. Mit meiner letzten Kraft robbte ich an die Bettkante und spähte mit zusammengekniffenen Augen unter das Bettgestell.
Eine Ratte.
Sie war tot. Aber erst seit kurzem, ein Bein zuckte noch. Dann fiel mir ihr entstellter Körper auf. Er war mit tiefen Schnitten übersäht.
Zum ersten Mal in meinem verkorksten Leben überkam mich ein Gefühl der Macht. Und da wurde mir bewusst, wer das Leid der Ratte verursacht hatte.
Ich.
Es war in dieser Nacht, in der dunkle Magie, geboren aus tiefer Rachsucht, seine Seele verkohlte.
~ Eintrag 4, 25. April 1977 ~
Schaffe es nicht genug Konzentration aufzubringen. Sitze stundenlang vor einem Rattenvieh und es passiert nichts. Bisher nur eine leicht verwundet. Die meisten verhungern einfach.
~ Eintrag 12, 09. Mai 1977 ~
Erste Erfolge. Habe herausgefunden, dass ich mich nur lange genug auf meine Wut und auf Potter konzentrieren muss. Als Folge des Fluchs treten einige Schnittverletzungen am Körper der Ratten auf. Manche sterben. Bei manchem verheilt es mit der Zeit.
Brauche mehr Ratten.
~ Eintrag 20, 18. Mai 1977 ~
Kann nicht genug Ratten auftreiben, die Sucherei nervt. Verbraucht bald mehr Zeit als meine eigentlichen Versuche. Mir fällt es immer leichter den Fluch zu wirken. Die Ratten reagieren dafür immer empfindlicher. Mittlerweile überlebt keine mehr. Die Schnitte werden tiefer und sie verbluten rasch. So wie in der Nacht im Krankenflügel.
Fühle mich nach jedem Wirken des Fluches erschöpfter. Schlafe in den letzten Wochen im Schnitt 12 Stunden pro Nacht.
~ Eintrag 31, 27. Mai 1977 ~
Bin dazu übergegangen die verendenden Ratten kurz vor dem Tod zu heilen. Verbraucht weniger Material. Ärgerlicherweise werden sie mit jedem Beinahetod schwächer, verfälscht die Ergebnisse. Aber besser als stundenlang Rattenfänger zu spielen.
Habe in letzter Zeit lächerliche Alpträume.
~ Eintrag 45, 07. Juni 1977 ~
Meine Geduld zahlt sich langsam aus. Ich treffe mit Sicherheit jedes Mistvieh. Die Schnitte und Wunden variieren hin und wieder leicht.
Eine merkwürdige Sache: manchmal wirkt mein Heilzauber nicht mehr. Ob es daran liegt, dass einige der Ratten nach den vielen Versuchen zu schwach sind?
Jedes Mal, wenn ich den Fluch wirke, spüre ich eine kurze Leere in mir. Was hat das zu bedeuten?
~ Eintrag 50, 10. Juni 1977 ~
Bei den letzten Versuchen hat keiner meiner Heilzauber auch nur den Hauch einer Wirkung gezeigt. Ich denke, ich weiß warum. Die merkwürdige Leere in mir, die quälenden Träume und die Immunität des Fluchs gegen Heilung – schwarze Magie.
Und ich werde ihrer Herr.
~ Eintrag 53, 14. Juni 1977 ~
Mir gehen endgültig die Ratten aus. Zum Glück, ich kann ihr Gequieke nicht mehr hören. Hogwarts wird nie wieder eine Ratte zu Gesicht bekommen, denn ich habe sie alle ausgerottet. Gern geschehen. Wenn die wüssten.
~ Eintrag 56, 18. Juni 1977 ~
Das letzte Mistvieh musste heute dran glauben. Mir gelang es, den Fluch noch etwas anzupassen: die Schnitte vollziehen sich langsamer, das Versuchstier verblutet langsamer = längere Qualen.
Ich denke, es ist bald an der Zeit den Fluch an einem größeren Opfer auszutesten.
Slughorns endloses Geschwafel nervte mich zu Tode. Ich lächelte ihm zu und bekam ein gönnerhaftes Grinsen als Antwort. Am liebsten hätte ich die Augen verdreht, doch ich riss mich zusammen.
Gedankenverloren rührte ich in meinem Trank der lebenden Toten. Er war kristallklar. Ich würde mal wieder den besten Trank des ganzen Kurses zubereiten. Keine Seltenheit, nein, die Regel. Doch heute spürte ich nicht den üblichen Stolz aufkommen, den ich ausschließlich in diesen raren Momenten in Zaubertränke verspürte.
Ich war angespannt. So angespannt, dass ich beinahe mit statt gegen den Uhrzeigersinn gerührt hatte. Bei Salazar, wäre ich wütend gewesen!
Meine sorgenvollen Gedanken hingen ausnahmsweise in der nahen Zukunft. Genauer gesagt: sie beschäftigten sich mit dem Abend des heutigen Tages.
„Severus?“ Ich schreckte hoch, schaffte es gerade so den Zauberstab weiterhin in kreisenden Bewegungen gegen den Uhrzeigersinn über dem Kessel zu bewegen. Verdutzt sah ich in das freudige Gesicht von Slughorn.
„Ich glaube, Sie können jetzt aufhören zu rühren“, zwinkerte mir Slughorn zu. Ich senkte meinen Zauberstab. Der Lehrer für Zaubertränke trat näher heran und fächerte sich etwas Dampf aus dem Kessel zu.
„Ausgezeichnet, Severus!“ Er klatschte in die klebrigen Hände. „Ich glaube, wir haben einen Gewinner.“
Ein vielstimmiges Stöhnen ging durch den Raum.
Erst jetzt wurde ich mir meiner Umwelt bewusst. Meine Mitschüler hingen mit hochgekrempelten Ärmeln und vor Verzweiflung zerzausten Haaren über ihren Kesseln.
Einige hatten etwas zerhackte (jedoch nicht fein genug gehackt, das sah ich sogar von hier aus) Affodillwurzel im Gesicht und den Haaren kleben. Miranda sah aus, als fiele sie gleich in Ohnmacht.
Slughorn zog eine kleine Phiole aus ihrer eisernen Halterung und überreichte sie mir feierlich. Seine folgenden Worte hörte ich nicht mehr. Ich sah nur noch den Namen auf dem Fläschchen „Felix Felicis“ - und plötzlich wusste ich es. Das fehlende Stück.
Ich griff nach einer Feder und notierte mir auf der erstbesten, aufgeschlagenen Seite in meinem Zaubertränkebuch: Sectumsempra – Für Feinde.
Wie ich es geschafft hatte die nicht hatte enden wollende Zeit zwischen Zaubertränke und dem Abend zu überbrücken, wusste ich nicht mehr. Nur die Nervosität war mein ständiger Begleiter.
Auch hier im Zwielicht des Waldes. Ich stolperte durch das Dickicht, scheinbar planlos.
Doch der Schein trog. Ich hatte einen Plan und ich verfolgte ihn mit voller Überzeugung. Lange genug hatte ich gegrübelt. Taten sollten nun folgen.
Trotz aller Gewissheit konnte ich das Zittern in meinen Gliedern nicht unterdrücken. Ich musste es zugeben: ich verspürte blanke Angst.
Schwer atmend pausierte ich an einer alten Eiche. Ich stützte mich an ihrem dicken Stamm ab und genoss ihre gutmütige Starre. Ihre Standhaftigkeit, allen Elementen zum Trotz, gaben mir eine törichte Sicherheit. Der Wind fuhr durch das Geäst und unterlegte die Szene mit seiner vorahnungsträchtigen Symphonie.
Das Fläschchen in meiner rechten Umhangtasche wog schwer. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, griff ich danach und entkorkte es mit einem leisen, vorwurfsvollen „Plopp“.
Ich zögerte nur eine Sekunde, dann kippte ich das flüssige Glück hinunter. Dies sollte mir die fehlende Stütze sein.
Meine Schritte führten mich weiter durch den Wald, es ging mir zunehmend besser. Bis ich schließlich von Stärke und Glück beschwingt auf eine Lichtung trat.
Der Treffpunkt.
Die letzten Sonnenstrahlen beschienen die Wipfel der umstehenden Riesen und tränkten sie in goldene Töne. Doch schon in der entgegengesetzten Himmelsrichtung stieg die Dunkelheit langsam aber sicher auf. Unaufhaltbar entzog sie schleichend, kaum merkbar der Umgebung die Farbe. Zurück blieb die ungewisse Schwärze der Nacht.
Der Wald wartete. Selbst der Wind war fort.
Es knackte.
Ich fuhr herum. Nach und nach traten aus den Schatten der Bäume Gestalten, vermummt mit dunklen Kapuzen. Ein Schauer fuhr über meinen Rücken.
Ich hatte sie nicht einmal apparieren gehört.
Die anonyme Menge bildete einen Kreis um mich, ein Platz blieb frei. Niemand sprach.
Dann ein Rauschen.
Ein Schatten flog durch die Bäume, umrundete einmal den Kreis der Zauberer und schließlich landete, umhüllt von schwarzem Rauch, ein schlanker Mann auf dem freien Platz im Kreis.
„Guten Abend, Severus“, grüßte er mich. Ich wagte einen kurzen Blick in sein ungerührtes Gesicht, dann verbeugte ich mich.
„Herr“, antwortete ich fest, vom goldenen Glück gestützt.
„Heute Abend sind wir nur für dich angereist, Severus“, schmunzelte der dunkle Lord über die nur ihm bekannte Pläne. „Wir wollen dich testen.“
Ein Raunen ging durch die Runde, ein Zauberer lachte unangenehm.
„Klappe, Avery“, zischte Voldemort. Sofortige Stille.
Er zückte seinen Zauberstab. Einige der Umstehenden duckten sich leicht. Mit einem Wisch seines Stabs landete etwas Schweres neben mir im Gras.
Ein ersticktes Stöhnen erreichte meine Ohren.
Ich blickte herab.
Eine Frau lag am Boden.
Sie wiegte sich leicht hin und her. Ihre einst modische, teure Kleidung war teilweise zerfetzt. Der enganliegende Rock war an der Seite aufgerissen, die Bluse war offen und entblößte ihre Brüste. Die Teile ihrer Haut, die ich erkennen konnte, waren über und über mit Blutergüssen und oberflächlichen Verletzungen übersäht.
Als sie sich auf die andere Seite wälzte, bemerkte ich, dass ihr ein Arm fehlte. Aus ihrer Schulter ragte nur ein eitriger Stumpf. Ich wandte den Blick ab.
„Nun, Severus. Darf ich euch einander bekannt machen?“ Voldemort lächelte, doch sein Gesicht blieb kalt. „Das ist July, meine Anhängerin. July sag ‚Hallo‘ zu Severus.“
July wiegte sich weiter hin und her. Sie zeigte keine Regung.
„Wie unanständig. Haben wir dir keine Manieren beigebracht, July?“ Der dunkle Lord schüttelte mit gespielter Empörung den Kopf. Vereinzelte Todesser lachten dreckig.
„Meint ihr, es ist dafür zu spät?“ Er hob die Hände in einer auffordernden Geste und die Kaputzenträger grölten im Protest. Voldemort lachte trocken auf.
Ich schluckte. Dann ein weiteres Zauberstabwischen.
„Crucio!“ Der gepeinigte Körper neben mir schrie schrill auf. July wandte sich in Höllenqualen.
„Bitte aufhören, bitte aufhören, bitte …“ Sie brabbelte mit schmerzerfüllter Stimme, ich konnte sie kaum verstehen. Tränen strömten ihre eingefallenen Wangen herab.
Ich wollte wegsehen – konnte nicht.
Dann war es vorbei. Vorerst.
Ich lauschte angespannt ihrem unregelmäßigen, stoßhaften Atmen und bekam selbst keine Luft.
Sie hatte Augen und Mund noch immer weit aufgerissen, wie im Schrei erstarrt.
In ihren Augen herrschte die Leere. Die Leere der Verlorenen.
„July war unartig, Severus. Sie hat mich verraten.“ Der Blick des Lords ruhte auf mir.
Er bohrte sich in meine Seele. „Und das passiert mit Verrätern.“ Abfällig spuckte er auf July.
„Nun, zu deiner Aufgabe“, sprach Voldemort mit gebieterischer Stimme. Alle Anhänger lauschten gespannt. „Hab‘ ein bisschen Spaß mit ihr. Und dann - töte sie. Töte sie und du sollst das dunkle Mal tragen dürfen.“
Mein Herzschlag setzte für einen Moment aus. Obwohl ich es erwartet hatte.
Ich hatte versucht mich auf diesen Tag seelisch vorzubereiten. Doch selbst mit dem flüssigen Glück, das beruhigend durch meine Adern floss, schien die Aufgabe nicht ausführbar.
Reiß dich zusammen, Severus. Ich schloss die Augen. Blendete das angestrengte Keuchen der Frau aus.
Konzentrier dich.
Ich lenkte meine Gedanken zu Potter.
Dieser Beleidigung der Zaubererschaft. Er und seine hochnäsige Kindergartenbande. Wie würden sie wohl dreinschauen, wenn sie hier stehen würden? Sie würde zittern und wären plötzlich ganz klein. Klein und schwach. Aber ICH werde es schaffen! Ich werde Todesser und wenn es das letzte ist, das ich tue! Und dann werden alle sehen, wie stark und mächtig ich bin und werden vor Anerkennung und Angst erzittern!
„Sectumsempra!“
Mit pochendem Herzen eilte ich den Korridor entlang. Ich war froh, dass ich einen Dämpfungszauber auf meine Schuhe gewirkt hatte, sonst würden mich meine Schritte verraten.
Ich spürte die Erregung in all meinen Gliedern. An der nächsten Ecke angelangt, spähte ich um selbige. Ich sah gerade noch Potters schwarzen Schopf, der hinter einer Tür verschwand.
Zum Glück befanden wir uns im Kerker und ich wusste genau, welcher Raum hinter welcher Tür lag. Ich nahm die Verfolgung wieder auf und betrat einen Raum, der direkt neben dem lag, in dem sich Potter befand.
Volltreffer.
Es handelte sich um eine einfache Abstellkammer – mit einem Geheimnis: ein Gemälde, durch das man in den nebenliegenden Raum treten konnte. Bessere Voraussetzungen hätte ich mir nicht erträumen können.
Die Vorfreude stieg.
Wie lange hatte ich auf diesen Augenblick gewartet? Wie lange hatte ich mich vorbereitet! Wie oft hatte ich von dem Moment der süßen Rache geträumt? Das Adrenalin pumpte in meinen Venen.
Doch halt! War er auch wirklich alleine?
Voller Ungeduld kniete ich mich am Gemälde nieder und stützte mich an der Wand ab. Kurz durchzuckte mich ein dumpfer Schmerz am Unterarm.
Das dunkle Mal.
Stolz durchströmte mich. Doch gleichzeitig flackerte auch die Erinnerung an July auf.
Wie sie in ihrem eigenen Blut im rostroten Gras lag. Ihr Körper zerrissen von tiefen Schnitten. Sie hatte ausbluten müssen. Sie hatte das unfreiwillige letzte Versuchskaninchen sein müssen.
Doch die Erlösung durch den Tod, wenn auch durch einen qualvollen, in den Augen. Der dunkle Lord war mehr als zufrieden, ja, er war schlichtweg begeistert gewesen.
Ich verbannte das Bild aus meinem Kopf und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart. Lautlos schob ich das Gemälde einen spaltbreit zur Seite.
Da stand er. James Potter, über einen Tisch gebeugt, ein paar Kerzen anzündend. Im Kerzenschein suchte ich den Raum ab, doch nichts.
Ich frohlockte. Potter war allein.
Da war sie wieder, die tanzende Vorfreude. Gepaart mit der eisigen Kälte der Determination.
Heute würde ich endlich meinen Seelenfrieden schließen können.
Ich atmete ein. HEUTE. Ich atmete aus. Gleich.
Die Welt um mich herum verlangsamte sich ein weiteres Mal. Einatmen. Ausatmen.
Gleich würde ich das Gemälde beiseiteschieben und wir würden uns endlich von Mann zu Mann gegenüberstehen. Ich konnte den Sieg schon riechen.
Gerade als ich hinter dem Gemälde hervortreten wollte, öffnete sich quietschend die Tür. Alle Augen hingen an der schweren Holztür.
Ein dunkelrotes Glitzern perlte zum Raum hinein.
Ein helles Lachen, das absolut schönste Geräusch, das ich auf dieser Welt kannte.
Ich erstarrte. Lily.
Sie schwebte durch den Raum, Potter fest im Blick. Er schloss sie in die Arme. Eng umschlungen verweilten sie einige Momente.
Dann hob Potter sie auf den Tisch und begann sie zu küssen. Wut flammte in mir auf.
Wie konnte er es wagen! Wie konnte er es wagen ihren kostbaren Körper zu beschmutzen mit seinen dreckigen Händen.
Ich sah wie er ihr das Oberteil öffnete und abstreifte. Dann machte er sich an ihrer Hose zu schaffen.
Mein Blick färbte sich rot, Blitze des Hasses durchzuckten meinen Körper.
Das war es! Kein Duell. Keine Chance für Potter.
Jetzt musste er alles büßen.
„Sectum-“
Just in der Sekunde hob Potter Lily ein weiters Mal hoch und drehte sich mit ihr zur Seite. Direkt in die Schussbahn.
Im allerletzten Moment lenkte ich den Fluch ab.
Er streifte Potter an der Schulter. Es reichte, um ihn von den Füßen zu hauen.
Das Liebespaar stürzte zu Boden. Potters Schulter war übersäht mit tiefen Einschnitten, die sich rasch auf seinen ganzen Körper ausbreiteten.
„James!“
Lilys panischer Ruf traf mein Herz unvorbereitet.
Es zerbarst.
Ein Hufflepuff kam durch die Tür gepoltert, alarmiert durch Lilys Hilferufe.
„Hol einen Lehrer!“, schrie ihn Lily an. Der Hufflepuff wurde blass bei Potters Anblick und rannte keinen Augenblick später stolpernd los.
„Oh Gott, James!“ Die rothaarige Schönheit hatte Potter derweil in den Armen liegen. Sie wiegte ihn sanft. Tränen tropften auf sein schmerzverzerrtes Gesicht. Ein dünnes Rinnsal Blut lief ihm aus dem Mund.
Und dann begann Lily zu singen.
Eine leichte, leise Melodie, doch sie füllte jeden Winkel des Raumes, jeden Winkel der Seele.
Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Ich blinzelte einige Male. Mit Entsetzen und gleichzeitiger Bewunderung beobachtete ich, wie sich langsam aber sicher Potters Wunden schlossen.
Die reine Liebe ihres Liedes vertrieb die schwarze Magie restlos.
Ich war gelähmt. Beinahe hätte ich Lily getroffen.
Mit der schlimmsten Idee, die meine kaputte Seele je entwickelt hatte.
Ohne mich noch einmal umzusehen, stürmte ich aus der Kammer.
Lily konnte sich nie erklären was damals in diesem Raum passiert war. Sie hatte alles abgesucht, doch nichts gab Hinweise auf den Fluchwirker oder den Fluch selbst, der James getroffen hatte.
Sie schaute auch hinter dem Gemälde nach.
Doch das einzige, was sie fand, war ein rotes Haarband.
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GreenQuill • Am 07.07.2019 um 10:41 Uhr • Mit 1. Kapitel verknüpft | |||
Hallo LaylaMalfoy! Nachdem deine Geschichte schon lang auf meiner To-read-Liste steht, dachte ich mir, ich schau heute mal rein. War definitiv keine schlechte Entscheidung, auch wenn ich bisher nur das erste Kapitel gelesen habe. Die Fanfic ist zwar AU, aber es hätte ja echt leicht passieren können, dass James damals Severus einfach verpasst. Und ich liebe deinen Stil. Du schreibst sehr eindrücklich und abwechslungsreich, ohne dass die Geschichte in Beschreibung stockt oder seltsamen synonymen untergeht. Du schaffst es, wirklich Spannung aufzubauen. Und Sätze wie "Das Treppenhaus lauschte" sind einfach herrlich zu lesen. Liebe Grüße, Augurey Mehr anzeigen | ||||
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Kapitel: | 6 | |
Sätze: | 418 | |
Wörter: | 4.217 | |
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