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Collide

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06.11.17 17:57
6 Ab 6 Jahren
Heterosexualität
Fertiggestellt

Wenn Lily eines liebte, dann war es Musik. Zu jeder ihr gegebene Tageszeit hörte sie Musik, hatte ständig ihre Kopfhörer im Ohr und versuchte immer wieder neue Musiker zu entdecken. Es verging kein Tag, an dem sie nicht ihre Lieblingslieder hörte und lautstark in ihrem Zimmer mitsang oder auf dem Weg zum Einkaufen leise mitsummte. Sie konnte gar nicht anders, es schien in ihren Genen zu stecken.

Als ihre Kopfhörer kaputtgingen, war es für sie schon beinahe so, als wäre ihr Haustier gestorben. Sie müsste neue kaufen gehen und der nächste Laden war mindestens fünfzehn Minuten zu Fuß entfernt. Das waren fünfzehn Minuten die sie keine Musik hören konnte und Lily wusste nicht, ob sie das wirklich aushalten würde.

Sie trat aus der Wohnung, ging den Weg entlang und lauschte den Geräuschen um sich herum. Sie hatten ihre eigene Melodie, das stand fest, aber es war nicht das gleiche. Vogelgezwitscher und das Rascheln von Blättern war vielleicht sanft und beruhigend, aber es waren nicht die Gitarrenakkorde, die sie so gerne hörte. Auch die Unterhaltungen der Menschen, das Quietschen der Autoreifen oder Geräusche, die sonst aus der Natur kamen, waren keine Musik in ihren Ohren.

Lily versteifte ihre Hände deshalb beinahe, als sie das leise Zupfen von Gitarrensaiten vernahm. Es war keine wirklich belebte Straße, hier gingen lediglich zwei ältere Ehepaare vorbei und ein rauchender Teenager mit, wie Lily säuerlich feststellte, Kopfhörern in den Ohren saß auf einer Bank. Deshalb musste sie auch zweimal hinsehen, als sie der schwachen Melodie näherkam und sie in ihren Ohren wieder lauter wurde.

Ein Junge saß dort auf dem Boden, die Beine überkreuzt und eine Gitarre im Schoß. Sein dunkelblondes Haar war vom Wind komplett zerzaust und ein leerer Kaffeebecher stand vor ihm auf dem Bürgersteig, in dem sogar schon ein paar Münzen lagen. Allerdings nicht so viele, wie sein Spiel verdiente.

Seine Finger schienen in perfektem Einklang mit den Saiten zu sein, liebliche Melodien, starke Töne und sanfte Klänge entkamen seinem Instrument. Und sein Gesichtsausdruck, während er spielte, überzeugte Lily komplett, dass er Musik wirklich lieben musste. Er wirkte mit sich selbst im Reinen. Als würde er sich gar keine Sorgen machen, ob dort eine oder hundert Münzen liegen würden.

Lily erwischte sich, wie sie stehen blieb und dem fremden Jungen einfach nur zuhörte. Es war, als würde seine Musik ihr Herz erreichen. Beinahe automatisch holte sie Portemonnaie hervor und kramte so viele Münzen heraus, wie sie konnte. Sie ließ eine ganze Hand voll klirrend in den Becher fallen und der Junge, in seiner Konzentration und seinem Einklang, kurzzeitig gestört, blickte auf. Seine Gesichtszüge entspannten sich jedoch wieder, als seine grauen Augen mit Lilys grünen kollidierten.  Er lächelte. „Danke.“

„Kein Problem“, erwiderte sie und wollte ebenfalls lächeln, hatte jedoch das Gefühl, dass ihre Lippen ihr nicht ganz gehorchen wollten. „Ich mag dieses Lied.“

„Ich auch“, antwortete der fremde Junge und lächelte wieder. Seine Augen huschten kurz zu ihren Fingern, die immer noch ihre Geldbörse festhielten. „Was ist dein Lieblingslied? Vielleicht kann ich es spielen.“

„Oh.“ Lily musste nicht lange überlegen, als sie erneut in seine Augen blickte. „Collide.“

Seine Lippen zuckten kurz. Dann stoppten seine Finger kurz, er positionierte sie neu und stimmte seine Gitarre noch neu. Sie war aus dunklem Holz, sah alt aus. Viel benutzt. „Der Song ist schön“, sagte er noch, bevor er wieder anfing zu spielen. Sein Geist schien wieder in der Musik zu versinken und als er die Akkorde spielte, die mit dem Gesang übereinstimmten, konnte Lily einfach nicht anders, als ganz leise zu singen.

Er blickte wieder auf, unterbrach sein Spiel aber nicht. Stumm bewegten sich seine Lippen zu ihren und Lily spürte, dass er gerade wirklich in dem Lied aufging. Dieses Mal bekam sie sogar ein Lächeln hin.

„Ich muss dann auch weiter. Vielleicht sieht man sich mal wieder“, meinte Lily leise, als er gerade am Höhepunkt des Songs war. Er sagte nichts, sondern nickte nur schwach. Sein Kopf lag schief und sie konnte ihm wieder direkt in die Augen blicken.

Als Lily schließlich im Laden ankam und sich neue Kopfhörer ausgesucht hatte, musste sie feststellen, dass er wirklich sehr schöne Augen hatte. Sie wirkten ein bisschen, wie das innere eines Sturms – ruhig, tief und sogar sicher.

Am nächsten Tag hatte Lily eine Besorgung in der Stadt zu erledigen. Ihre Mutter hatte bald Geburtstag und es sollte eine nette Familienfeier geben. Leider hatte sie noch kein Geschenk gefunden. Sie hoffte, dass sie etwas finden würde, was ihr gefallen würde.

Und sie war nicht ganz die Hälfte der Strecke gelaufen – dieses Mal mit Kopfhörern im Ohr und Musik im Herzen – als sie wieder die Gitarrenakkorde vernahm. Sie hatte sie einmal gehört und sie schienen ihr sogleich sehr vertraut zu sein. Ihr Blick wanderte nach rechts, ihre Hände entfernten die Stöpsel aus ihren Ohren und ihre Lippen formten sich zu einem schmalen Lächeln.

Dort saß er wieder, die Beine wieder überkreuzt, eine an den Knien zerrissene Hose an und entlockte seiner Gitarre erneut die schönsten Klänge. Es war beinahe sowie Magie.

Als er aufblickte, wehte ein frischer Wind, seine Haare wurden durcheinandergebracht und ihre Blickte trafen sich in der Sekunde, in der die dunkelblonden Strähnen aus seiner Stirn flogen. Er lächelte.

Und Lily lächelte auch, als sie auf ihn zu ging und ihre Finger schon beinahe automatisch ihre Geldbörse hervorholten. Der Kaffeebecher stand wieder vor ihm.

„So sieht man sich wieder“, hauchte sie etwas verwundert und warf ihm sogleich ein paar Münzen in den Becher. Seine Augen glitzerten etwas.

„Hallo auch.“ Seine Finger brachen wieder ab. „Wohin des Weges?“

Lily zog die Augenbrauen zusammen. Warum sollte es ihn interessieren? Andererseits – was hatte sie zu verlieren? Seine Augen waren wirklich schön.

„Ich suche ein Geschenk. Für meine Mutter“, erklärte sie und verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. „Sie hat bald Geburtstag.“ Lily strich sich durch ihre dunkelroten Haare und lächelte den fremden Jungen dann an. Sie kannte seinen Namen nicht, aber sie fand, das brauchte sie gar nicht. Sie kannte seine Musik. Das reichte ihr.

„Dann viel Erfolg. Mütter liebe Geschenke von ihren Kindern.“ Seine Finger brachten die Gitarrensaiten wieder zum Klirren und erneut drang die Melodie von Collide an ihre Ohren.

„Danke“, sagte sie und meinte nicht seinen Erfolgswunsch.

Als sie letztendlich nach zwei Stunden Suchen mit einer Tüte voll mit Pralinen und einem wirklich spannenden Buch wiederkam (das Buch war nicht für ihre Mutter), vermisste sie beinahe sofort den Klang seiner Gitarre. Er saß nicht mehr dort.

Am dritten Tag dieser Woche musste Lily etwas mit der Post verschicken. Sie hatte Briefmarken und Briefumschläge da, sie musste also eigentlich nur zum Briefkasten, gerade mal 200 Meter von ihrem Haus entfernt, laufen. Aber sie ging dennoch zur Postfiliale in der Stadt. Sie hatte gehofft und ihre Hoffnung wurde nicht enttäuscht.

Er saß auf dem Rand eines kleinen Brunnens in der Innenstadt und seine Augen schiene ihre schon zu treffen, als sie sein Gesicht noch nicht erkennen konnte. Doch sie hörte sehr wohl sein Spiel und schon hatte sie wieder etwas Geld hervorgeholt. Als sie vor ihm zu Stehen kam, lächelte sie beide gleichzeitig und als die Münzen klirrend im Becher landeten, den er neben sich gestellt hatte, klang nun ein anderes Lied in ihren Ohren.

„Wieso spielst du jeden Tag?“, fragte sie und überlegte, ob sie sich neben ihn setzen sollte. Aber eigentlich kannte sie ihn nicht und ihre Beine bewegten sich gerade so schön zum Takt der Musik.

„Ich mag es“, erwiderte er, ohne den Blick von Lily zu nehmen.

„Aber warum draußen?“

„Warum nicht?“, entgegnete er Lily und sie stockte kurz. Dann lächelte sie wieder und ging weiter.

„Dann bis zum nächsten Mal.“

„Ganz bestimmt.“

Lily hatte gar keinen Grund raus zu gehen. Aber ihre Ohren verlangen nach seiner Musik. Sie wollte ihn wieder hören. Und dieses Mal würde sie auch seinen Namen erfahren. Sie hatte von seinen Augen geträumt.

Sie ging durch die Stadt, lauschte den Klängen der Umgebung, konnte ihre geliebte Gitarre aber nicht ausmachen. Ihre Finger verkrampften sich um den Zettel in ihrer Tasche, der neben ein paar Münzen steckte.

Bereit, aufzugeben und am nächsten Tag wiederzukommen, wandte sie sich um. Und da stand er und nahm sich gerade die Sonnenbrille ab. Sie konnte seine Haare erkennen und die Gitarre, der er auf dem Rücken geschnallt hatte. Als er sich setzte und den gleichen Kaffeebecher aus der Tasche seiner Jeansjacke nahm, ging Lily los. Sie wollte die erste sein, die sein Lied hörte.

Er blickte nicht auf, als sie ihm die Münzen und den Zettel in den Becher warf. Aber er lächelte und seine Finger stimmten gerade seine Gitarre. „Warum bist du jeden Tag draußen?“, fragte er und Lily musste auch lächeln.

„Warum nicht?“, entgegnete sie nun und er blickte auf.

Er sagte nichts mehr, sondern fing wieder an zu spielen. Collide. Lily liebte dieses Lied jeden Tag ein bisschen mehr.

Es war abends, als die Musik auf ihrem Handy unterbrochen wurde. Jemand rief sie an.

„Hallo?“, fragte sie, denn die Nummer war unbekannt und obwohl sie wusste, er dies hoffentlich war, wollte sie nicht hoffnungsvoll klingen.

„Diese Nummer lag in meinem Becher. Ich hab eine Ahnung, wer du bist“, ertönte seine Stimme am anderen Ende und Lily lächelte. Musste lächeln.

„Ich bin Lily“, erwiderte sie.

„Scorpius“, kam seine Antwort. „Du bist das Mädchen, welches Collide mag.“ Es war eine Feststellung. Er wusste sehr genau, wer sie war.

„Und du bist der Junge mit den zerrissenen Jeans und der Gitarre.“ Ebenfalls eine Feststellung. Sie wünschte, sie könnte seine Augen sehen.

„Gut erkannt“, sagte er. „Wieso ist deine Nummer in meinem Becher gewesen?“

„Wieso nicht?“, konterte sie und hörte ihn lachen. Sie liebte es jetzt schon.

„Es hat mich nur überrascht. Normalerweise interessieren sich die Leute nicht für mich und meine Musik.“

„Ich bin nicht wie die“, sagte Lily.

„Das hab ich bemerkt.“ Sie lächelte.

„Ich nehme das als Kompliment auf.“

„War auch nicht anders gemeint.“

Lily schob sich eine Strähne hinter die Ohren. „Wo spielst du morgen.“ Ich will dich hören, wollte sie noch sagen.

„Wieder am Brunnen“, antwortete er. „Es ist mein Lieblingsplatz.“

„Dann werde ich morgen vorbeikommen.“ Ich liebe dein Spiel, dachte sie.

„Ich freu mich drauf.“ Sie fand, seine Stimme war sogar noch schöner, als seine Musik.

Der Brunnen lag am nächsten Tag in der Sonne. Als Lily sich auf den steinernen Rand setzte, sah sie seine Augen wieder. Er lächelte, vielleicht sogar ein Stück breiter, als zuvor.

„Du bist da“, stellte er fest.

„Das bin ich“, erwiderte sie und warf wieder Münzen in seinen Becher. Er spielte Collide. „Scorpius ist ein interessanter Name.“

„Meine Familie hat eine interessante Art, Namen zu verteilen“, erwiderte er. You and I collide.

„Mir gefällt der Name. Ist was Anderes. Ich kenne drei Lilys“, meinte sie leise seufzend.

„Es ist ein schöner Name.“ And I´m tangled up in you.

„Er ist okay. Wie lange spielst du schon?“

„Seit ich denken kann. Meine Mutter war Cellistin und wollte, dass ich auch ein Instrument kann. Die hab ich zum Sechzehnten bekommen.“ Er tippte seine Gitarre an, die dunkle. Sie harmonierte gut mit seinen Haaren. Und den Augen. Lily mochte sie.

„Ich kann nicht spielen“, sagte sie. „Aber ich singe. Und tanze.“

„Ich würde dich gerne hören“, erwiderte er und lächelte. „Ich tanze auch manchmal. Meine Mutter wollte das volle Programm für mich.“

„Meine Mutter ist mehr der sportliche Typ“, erklärte Lily.

„Hast du ein Geschenk für sie gefunden?“

„Nein. Aber es ist noch Zeit.“

„Ich kann dir helfen, wenn du willst. Meine Mutter war immer sehr begeistert.“ You make a first impression.

„Was hast du ihr denn geschenkt?“, fragte Lily, weil sie noch keine Antwort kannte. Ja, würde sie gerne sagen.

„Ein Lied. Jedes Jahr ein neues.“

„Du schreibst selber?“

„Natürlich. Ich hab es mir selber beigebracht.“ Even the best fall down some time.

„Das würde ich auch gerne hören“, sagte Lily und stand auf. „Vielleicht findet sich ja mal ein Zeitpunkt.“

„Bestimmt“, lächelte er. „Ich bin jeden Tag hier.“

„Ich weiß“, erwiderte sie und ging. Sie musste sich nicht verabschieden. Sie würde ja wiederkommen und seine Musik wieder hören.

A light shining through.

„Du bist ein schlechter Tänzer“, stellte Lily fest.

„Ich bin aus der Übung“, erwiderte Scorpius. „Ich spiele lieber.“

Sie lächelte, auch, als er ihr auf den Fuß trat.

„Sing eines deiner Lieder“, sagte sie. „Ich möchte es hören.“

Scorpius lächelte und ließ ihre Hand los. Er war viel größer als sie, das hatte Lily zuvor nicht gemerkt. Er hatte immer gesessen.

„Es hat ihr gefallen“, sagte er und drückte ihre Hand. „Du hast es wunderschön vorgetragen.“

Lily küsste seine Wange. „Ich hatte einen tollen Lehrer.“ Ihre Augen trafen sich und sie legte eine Hand in seine dunkelblonden Haare, während ihre Mutter im Hintergrund immer noch über das Lied schwärmte, dass sie beide zusammengeschrieben hatten.

„Du warst eine talentierte Schülerin.“ Er stand auf und reichte ihr die Hand. „Aber jetzt bin ich dran. Ich muss meine Lehrerin noch stolz machen.“

Sie tanzten und Lily musste nicht das Gesicht verziehen und es war ein wirklich, wirklich schöner Geburtstag. Scorpius spielte spät abends noch einmal für sie.

Collide.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Kurzbeschreibung

Indem eine andere Lily und ein anderer Scorpius eine Liebe zu Musik teilen und ihre eigene Liebe entdecken.