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Aussichtslos
Ginny schleppte sich die langen Gänge des Herrenhauses der Malfoys entlang. Sie hinkte, eines ihrer Beine schmerzte. Sie hatte den Wein verschüttet, gestern am Mittagstisch und der Hausherr hatte ihr einen Peitschenschlag in die Kniekehle verpasst. Sie hatte mit schmerzenden Sehnen weitergearbeitet, Böden geschrubbt, die Familie noch beim Nachmittagstee und beim Abendmahl bedient, das Geschirr abgewaschen und schleppte sich nun, weit nach Mitternacht, in ihre Kammer.
Sie blickte aus dem Fenster ins Dunkel der Nacht. Wie lange war sie jetzt hier? Drei Monate? Vier? Ginny wusste es nicht. Sie arbeitete sich halb zu Tode, jeden Tag, stundenlang, doch sie wagte es nicht, inne zu halten. Wenn sie jedoch innehalten musste, in den wenigen Stunden Schlaf, oder wenn sie in die Dunkelheit blickte, so wie jetzt, kamen die Erinnerungen wieder.
Harry hatte den Todesfluch des Lords überlebt. Er war lebendig aus dem Wald zurückgekehrt, sich totstellend, in Hagrids Armen. Doch es war alles schiefgegangen.
Er war aufgesprungen, hatte Flüche auf die Schlange niederprasseln lassen, doch war zu langsam gewesen, als der Fesselfluch eines Todessers ihn traf.
Er war gefangengenommen worden, die Verteidiger Hogwarts` wurden in die Große Halle gescheucht und mit Flüchen an die Wände gedrängt. Einige hatten sich gewehrt. So wie ihr Bruder Ron, der von einem Todesfluch getroffen wurde.
Ginny schämte sich, wenn sie dachte, dass Rons Tod wenigstens schnell und sauber abgelaufen war. Harry hatte es schlechter getroffen. Als die Überlebenden von den Todessern unschädlich gemacht wurden, hatten sie den gefesselten Harry in die Mitte der Halle geschleppt. Hilflos hatten Ginny und die anderen mitansehen müssen, wie der Dunkle Lord ihn zuerst gefoltert und dann langsam getötet hatte, als Warnung für die Überlebenden.
Dann waren sie aufgeteilt worden. Als Sklaven an die Todesser. Ginny war zu den Malfoys gekommen. Wo Hermine war, wusste sie nicht. Aber sie hatte gesehen, wie ihr ältester Bruder von Bellatrix mitgeschliffen worden war, zauberstablos, hilflos. Sämtliche Zauberstäbe von Harrys Anhängern waren noch in der Großen Halle zerstört worden. Niemals würde sie ihren wieder in den Händen halten.
Seit diesem Tag lebte sie hier, bediente die Familie, machte die schmutzigsten Arbeiten und brach jeden Tag ein wenig mehr unter den Strafen des Hausherren. Der Wein gestern war ein Missgeschick gewesen. Aber wäre ihre Hand nicht von den Peitschenhieben von letzter Woche steif gewesen, hätte sie die Karaffe dann festhalten können?
Ginny erreichte die Kammer im Turm. Eine ehemalige Abstellkammer vermutlich, mit magisch versiegelten und vergitterten Fenstern, damit sie nicht auf die Idee kam, ihren Leiden vorzeitig ein Ende zu setzen. Weit von allen Eingängen des Herrenhauses entfernt. Im Haus durfte sie sich frei bewegen, sofern sie nicht von einem Mitglied der Familie für einen Dienst benötigt wurde. Und das wurde sie immerzu, sodass sie die täglichen Minuten an Freizeit an einer Hand abzählen konnte.
Die Böden auf den Knien rutschend säubern, die Fenster putzen, das Essen servieren, es manchmal auch kochen, bei Todessertreffen Getränke servieren, immerzu verfolgt von den Blicken der Männer. Da waren ihr die Stunden am liebsten, in denen sie alleine die Räumlichkeiten ihres Herren säuberte.
Ginny erreichte ihre Kammer, legte sich auf das schmale Bett, ohne einen Gedanken an den verschlissenen Kittel zu verschwenden, den sie noch anhatte. Sie war in Gedanken woanders.
„Harry“, flüsterte sie in die Dunkelheit. „Wenn du nur gewartet hättest, wenn du nur gleich in den Schutz unserer Reihen geflohen wärst, als du dein Überleben bewiesen hast, wäre dann alles anders gekommen?“
Mit diesem Gedanken schlief sie ein, immer mit der Hoffnung, dass die Welt, wenn sie aufwachte, wieder beim Alten war.
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Es war nichts beim Alten, als sie aufwachte. Die Wirklichkeit holte sie ein, schrecklich real, als sie von dem Wecksignal für die Hauselfen aus dem Schlaf gerissen wurde.
Sie stand auf und strich ihren Kittel glatt, versuchte, ihr Gesicht zu ignorieren, welches sie in dem zersprungenen Spiegel sah. Müde Augen, Augenringe, den ein oder anderen blauen Fleck.
Ginny beeilte sich, in die Küche zu kommen, die Tabletts vorzubereiten, mit denen sie den Frühstückstisch decken würde. Nervös war sie bei dieser Arbeit jedesmal, denn wehe ihr, wenn ein Glas nicht auf den Zentimeter genau richtig stand, oder ein Messer ein wenig schief neben dem Teller lag. Anfangs hatten diese Gegebenheiten dafür gesorgt, dass sie immerzu wunde Finger hatte.
Ginny trug das Geschirr ins Esszimmer, mechanisch, wie eine Puppe, denn sie hatte gelernt, zu funktionieren, selbst wenn ihre Hände immer noch zitterten, wenn sie das hauchdünne Porzellan und die feinen Kristallgläser auf dem Tablett balancierte.
Sie deckte den Tisch, mithilfe von Maßstab und Lineal, anfangs hatte sie sich gewundert, warum die Elfen ihr nahegelegt hatten, es zu verwenden, hatte darauf verzichtet, aber die Familie hatte sie schnell überzeugt, es doch zu verwenden. Die Narben trug sie immer noch, würde sie ihr Leben lang tragen. Sie überzogen ihren Rücken in roten Linien, würden sich wahrscheinlich eines Tages in ein Silbernetz verwandeln, wenn die Zeit sie heilte und glättete.
Zeit heilt alle Wunden. Wie oft hatte ihre Mutter ihr das gesagt? Nach dem Tod ihres Onkels, nach dem Tod von Sirius, wenn sie sich ein Knie aufgeschlagen hatte, weil sie zu übermütig gerannt war. Die Zeit heilte alle Wunden, doch Ginny wusste nicht, ob ihnen die Zeit gewährt bleiben würde. Nur gerüchteweise kam sie an Nachrichten von außerhalb. Luna war an Greyback geraten und hatte keine Woche überlebt. Von vielen kannte sie die Aufenthaltsorte nicht. Auch von ihren Eltern nicht. Mum, wo bist du? Anfangs hatte sie dies noch unter Tränen gerufen, abends, wenn sie im Bett lag. Hatte auch versucht nach vorne zu blicken, zu hoffen. Doch wie konnte man hoffen, wenn selbst der Blick nach vorne einem nur eine düstere Zukunft zeigte? Jetzt waren auch die Tränen aufgebraucht, ihre Kraft benötigte Ginny alleine dafür, um den Alltag zu überleben.
Die Hausherren saßen am Frühstückstisch. Mutter, Vater und Sohn. Alle drei mit dem gleichen verächtlichen Blick in den Augen.
Lucius Malfoy schnippte mit den Fingern und zeigte auf seine Tasse. Mehr Kaffee. Ginny trat mit gesenktem Blick an seine Seite und schenkte ihm nach. Als sie eine Hand an ihrem Oberschenkel spürte, zuckte sie zurück. Kaffee ergoss sich über die Hose ihres Herren. Dieser fuhr zusammen, als die heiße Flüssigkeit ihn traf. Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf und fasste ihr ins Haar, umklammerte die rote Mähne mit seinem harten Griff.
Mutter und Sohn hatten Genugtuung in den Augen, als Ginny vom Hausherren ein Stück vom Tisch weggeschleift wurde, Ginny sah es durch den Vorhang ihrer Haare.
Der erste Schlag kam unerwartet, sodass sie zusammenzuckte. Weitere folgten. Ginny versuchte, alle Gefühle abzuschalten, an nichts zu denken, doch es gelang ihr nicht. Wieder nicht.
Als es vorbei war, ließ der Hausherr sie liegen. Ginny brannte der Rücken. Lucius sah sie nur an, Verachtung in den Augen. Er stieß sie mit dem Fuß an.
„Steh auf und sorge für frischen Kaffee. Los. Verschwinde einfach vom Teppich. Egal wie, nur blute ja nicht auf meinen Teppich.“
Ginny rappelte sich auf, unter Schmerzen. Sie bewegte sich langsam, aber so zügig sie konnte, an der Wand entlang.
Auf halbem Weg zur Küche knickte sie ein. Schluchzend. Sie konnte nicht mehr. Konnte nicht mehr Hoffen. Konnte die Schmerzen nicht mehr ertragen.
Doch sie rappelte sich auf und ging weiter. Mechanisch befolgte sie die Befehle.
Sie zeigte keine Gefühle mehr. Sie funktionierte nur mehr. Aber sie lebte nicht mehr.
Denn es war aussichtslos, zu Hoffen.
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Larlysia • Am 04.11.2019 um 23:22 Uhr | |
Hallo! Ich mag deine Kurzgeschichte sehr! Ich finde, du hast die Stimmung gut rübergebracht. | ||
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