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Sätze: | 113 | |
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Nahezu lautlos öffnete Frodo das runde Fenster, lehnte sich vor und atmete durch. Die einströmende Luft tat ihm unendlich gut und er sog sie mit allen Kräften ein. Noch lag die Frische des jungen März, dem Winter auf der Schwelle zum Frühling, in ihr und unter dem schwarzen Mantel seiner müden Sinne regten sich wieder ein wenig seine Lebensgeister. Die Kälte kühlte wohltuend seine tintenbefleckten, verkrampften Hände. Seine vor Erschöpfung steifen Glieder entspannten sich und die pergamentblinden Augen, die seit Tagen und Nächten nichts gesehen hatten als Buchstaben und Tinte und den roten Ledereinband von Bilbos Buchs, das nun sein eigenes war, klärten sich. Sonnengelb, Himmelblau, Wolkenweis, Grasgrün und das Bunt der ersten Blüten im Garten, den Sam so sorgsam hegte, trat wieder in seinen Blick, der sich längst am Kerzenschein seines Arbeitszimmers sattgesehen hatte. Und doch…
Und doch, der frischen Prise und dem Keimen der Natur zum Trotz, blieb etwas in Frodo dunkel, kalt und unbewegt - ein toter Fleck in seiner Brust. Seufzend schloss er das Fenster und ergab sich der Schwere, sank zurück auf seinen Stuhl, zurück in das eintönige Grau seines Arbeitszimmers. Ja, es stimmte. Rein körperlich ging es ihm nach diesem Atemholen wieder besser. Keine Verspannung im Nacken, keine Schmerzen in den Fingern. Doch die Erholung erreichte sein Inneres nicht. Die Krankheit, die ihn befallen hatte, ließ sich nicht so leicht kurieren. Es war eine Krankheit an Seele und Geist, eine alles verzehrende Erschöpfung. Ich gehöre nicht mehr hier her, ich gehöre einfach nicht mehr hier her, dachte er, als er die Wände anblickte, die ihm nichts sagen. Doch wohin er stattdessen gehörte, wusste Frodo nicht.
Leergeschrieben, leergedacht schlug er das rote Buch zu. Irgendwo tiefer im einst so behaglichen Heim klapperte es wie von Eisen, das aufeinanderschlug. Für einen seltenen, wachen Augenblick bog Frodo die Mundwinkel zu einem leisen Lächeln und einen Herzschlag lang füllte die Leere sich mit Wärme. Sam machte sich in der Küche fürs Mittagessen zu schaffen. Seitdem Rosie sich kurz vor der Niederkunft stehend schonte, war er wieder in die Rolle des Junggesellen geschlüpft und betätigte sich nicht nur als Gärtner, sondern auch als Koch. Ach, der liebe Sam, die gute Seele von Beutelsend, was würde er nur ohne ihn tun? Manchmal wusste Frodo nicht, womit er solche Treue verdient hatte. Sam versorgte ihn nicht nur aufs Beste, er vergötterte ihn, immer bereit, seinen Ruhm, der Frodo im Grunde nichts bedeute, zu verteidigen, wenn die Hobbits einmal wieder nur Merry und Pippin bewunderten. Und dass er ihm bis ans Ende der Welt folgen, ja, jederzeit für ihn sterben würde, wusste Frodo nicht erst, seitdem Sam sich waghalsig in den Anduin gestürzt hatten, um zu verhindern, dass er sich mit dem Elbenboot davonstahl. Frodo liebte ihn über alles. Manchmal, wenn er mit ihm und Rosie am Abendtisch saß, kam er sich vor wie ein Patenonkel, der sich am jungen Glück seines Pflegesohns und seiner Schwiegertochter erfreute und vielleicht kam das Wirklichkeit sogar sehr nahe. Doch genau darum sorgte sich Frodo um ihn. Sam liebte ihn zu sehr. Und Frodo bemühte sich redlich, ihn seinen Kummer nicht spüren zu lassen, die Trübsal hinter einem Gaukelspiel aus Unbeschwertheit zu verbergen, auch wenn es ein Kraftakt war. Sam würde sich nur grässlich um ihn sorgen. Er würde einmal mehr selbstvergessen weit über seine Grenzen gehen, um ihn zu retten, und er brauchte doch all seine Kraft für sich und seine junge Familie. Frodo wollte und konnte es nicht zulassen, Sam mit in den Abgrund seiner Verzweiflung zu ziehen. Nie würde er sich verzeihen können, den treuesten Gefährten, den ein Hobbit sich nur wünschen kann, mit ins Unglück zu stürzen. Die Worte, in denen er seine Maske fallen ließ, waren nicht für Sams Ohren bestimmt. Sie fanden nur in heimlichen Federstrichen und hastig gefalteten Briefen ihren Weg nach Bruchtal, von wo aus er über Bilbo als Boten von hohen und weisen Herren rätselhafte Antwort enthielt, die von Ringen, Wartezeiten und einem letzten Aufbruch sprachen. Und so zog das Schweigen eine unsichtbare Mauer und mehrte die Einsamkeit in Beutelsend noch.
Was, was in aller Welt war nur geschehen? Frodo fragte sich das jeden Tag. Als er vor über einem Jahr nach Hobbingen zurückgekehrt war, dachte er, alles wäre wieder gut und die Sorgen lägen hinter ihm. Der Ring war vernichtet, der Krieg gewonnen, die Heimat befreit. Das Land erblühte in einem Frühling voller Glückseligkeit in einem Jahr, das ob seines Reichtums und seiner Wonnen in die Geschichte eingehen würde. Den Hobbits ging es gut. Alles könnte wieder so werden wie früher, dachte Frodo. Doch es wurde nicht wieder. Nichts war mehr so wie es einst gewesen war. Manche Reisen kannst du nicht antreten und als die gleiche Person wiederkehren, die du einst warst. Manchmal im Leben trittst du hinter einen Schleier und kannst nicht mehr vergessen, was du dort sahst. Dieses Auenland, das hatte Frodo schmerzlich lernen müssen, war nicht mehr seine Welt. Der Ort seiner Kindheit, seines ganzen Lebens bis vor kurzer Zeit, er war bedeutungslos für ihn geworden. Selbst auf dem Festplatz zu stehen, wo er schon so viele rauschende Feiern und ausgelassene Stunden verlebt hatte, erschien ihm heute nur noch bedrückend. Die schönen Stunden, die er hier verlebt hatte, waren blass und grau geworden wie die Erinnerungen eines anderen, an denen Frodo nur entfernt teilhatte. Und die Blüten des herrlichen Mallorns, von Sam gepflanzt und von aller Welt bestaunt, ein Sinnbild des Wunders, das über das Auenland gekommen war, erschien Frodo in seiner ganzen Pracht wie ein Hohn. Seine Nächte waren erfüllt von wirren Träumen, von der der Gier nach dem Ring, der nicht mehr war. Wenn er dann erwachte und sehnsüchtig nach dem Schmuck tastete, fühlte er nichts als einen Edelstein kalt auf seiner Brust, der im Sternenlicht kaum schimmerte. Und die Welt glich Mordor: Ein leeres, trostloses Land aus Asche und Staub, verloren das Fundament, das es zusammenhielt.
Was kommen würde, wohin er gehen sollte – Frodo wusste es nicht. Aus Gandalfs und Elronds Worten wurde er ebenso wenig schlau wie Bilbo, der sie ihm ausrichtete. Noch nicht vielleicht. Vielleicht auch niemals. Alles, was er wusste, war, dass er zu tief verwundet war, um hier Heilung zu finden, in seinem alten Leben. Die Dunkelheit fraß mehr und mehr von ihm. Bald würde sie alles ausfüllen. Schon spürte Frodo wieder, wie der schwarze Schleier sich auf ihn legte, wie die verzweifelte Gier nach dem verlorenen Schatz ihn übermannte und Bilder der Hoffnungslosigkeit sich seiner Gedanken bemächtigten. Er rieb sich die Schläfen, von jähem Kopfweh befallen und wollte sich träge und erschöpft zum Bett schleppen.
Da geschah es, ganz plötzlich.
Frodo fuhr im Reflex auf. Ein lauter Schlag wie von Metall ließ seine Ohren erzittern. Mit einem Strich war die Lethargie weggewischt. Sofort sprang er auf und hastete aus dem Arbeitszimmer, angestachelt von einem rasenden Puls. Ein Schwall weißgrauen Rußes wogte ihm entgegen und für einen Augenblick hatte Frodo ein seltsames Deja-vu. Ihm war, als stünde er wieder auf dem Festgelage zu seinem dreiunddreißigsten Geburtstag und Bilbos lang vergangenem Jubiläum und Gandalf führte sein Feuerwerk vor, malte einen Feuerball zwischen die Sterne ans samtene Firmament. Doch im selben Atemzug schaltete sein Verstand sich ein. Nein, das war kein Kunststück eines Zauberers. Hier war ein Unglück geschehen. Stand Beutelsend in Flammen? Frodos Herz trommelte in seiner Brust vor Schreck, als er seine Blicke schweifen ließ, um den Brandherd zu suchen. Der Rauch kam aus Richtung der Küche, stellte er in der nächsten Sekunde fest und sein Schreck steigerte sich zu rasender Angst. Sam! Du liebe Güte, Sam! Wenn ihm etwas zugestoßen war…. Nein, nein, das durfte nicht sein!
Keinen anderen Gedanken fassend rannte Frodo der Küche entgegen, auf das Schlimmste gefasst. Doch kaum hatte er die Schwelle übertreten, fiel mit einem Schlag die ganze Anspannung von ihm ab. Da war kein Feuer, keine Glut, die an den Schränken leckte. Nur eine eiserne Auflaufpfanne, die wie in Windeseile vom Herd gerissen und auf den
Bogen gepfeffert in der Mitte des Zimmers lag und in der etwas zu qualmender Asche zerfiel. Und darüber gebeugt stand ein junger Hobbit mit einem Glasdeckel in der Hand und beäugte das Schlamassel mit zusammengekniffenen Lippen und verdrießlicher Miene. Blinzelnd brauchte Frodo noch einen Moment, um zu verstehen, was geschehen war. Da trafen sich auf einmal ihre Blicke und Sam schien sich von einer Sekunde auf die andere zu verwandeln.
„Herr Frodo!“, stieß er aus und sprang auf, die Augen groß wie Unterteller und puterrot im Gesicht.
„Sam“, antwortete Frodo, noch immer ein wenig verwirrt, doch heilfroh, dass seinem Freund nichts geschehen war, „Na, du hast mir ja einen gehörigen Schrecken eingejagt!“
Der Angesprochene senkte sofort den Blick wie Frodo selbst damals, wenn er beim Klauen der Pilze erwischt worden war.
„Tut mir leid, Chef“, murmelte er betrübt, „Wollte uns Fische mit Knullen machen. Und der Ohm sagte doch immer: Nicht zu heiß anbraten. Sam, du bist ein Dummkopf, schür das Feuer nicht zu sehr, sagte ich mir, doch da war es schon zu spät. Es tut mir so leid, Herr Frodo, doch heute gibt es wohl nur Knullen.“
Sams Stimme war bitter vor Selbstanklage. Doch Frodo, der sich inzwischen wieder beruhigt hatte, konnte nicht mehr an sich halten. Mit einem Mal schüttelte ihn ein Lachen wie er seit Ewigkeiten nicht mehr gelacht hatte und selbst die Erinnerung an den Ring, die ihn sonst so sehr quälte, war für einen Augenblick nur noch Schall und Rauch.
„Ach, Sam!“, sprach er und drückte seinen Mitbewohner innig an sich, „Mein guter, lieber, treuer Sam. Unsere Speisekammern sind voll. Gibt es keinen Fisch, essen wir halt etwas Trockenfleisch dazu. Ich bin dir nicht böse. Im Gegenteil: Ich bin froh, dass dir nichts passiert. Ich hatte schon Befürchtungen“
„Wirklich?“, fragte Sam und ungläubig.
„Wirklich!“, erwiderte Frodo, „Und jetzt geh und schau nach, was wir in der Vorratskammer haben, ehe unser Magenknurren noch Rosie aufschreckt“.
Sam zögerte nicht und als Frodo ihm nachblickte, wusste er, dass er jedes Wort so gemeint hatte, wie er gesagt hatte. Eines war auf dem kurzen Weg zwischen Arbeitszimmer und Küche und mit der brennenden Sorge auf dem Herzen wieder bewusst geworden: War die Nacht auf seiner Seele auch noch so finster und die Wunde seines Geistes noch so tief, dass es im Auenland keine Erlösung für ihn geben konnte, so gab doch noch immer einen Anker, der ihn in Beutelsend aufrecht hielt und vor dem Schlimmsten bewahrte. Ein Sternenlicht, das ihm wie Galadriels Geschenk im Finsteren leuchtete. Und das war sein bester Freund und sein auserkorener Erbe: Samweis Gamdschie.
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Wintergeist • Am 28.11.2020 um 0:07 Uhr | |
Habe ich dir schon ein "Hach!" hier drunter geschrieben? Ich denke nicht, aber ich hätte es schon vor ner Weile tun sollen. Danke für den OS, er ist sehr wunderbar. Du hast die Charaktere und ihre Beziehung zueinander sehr gut getroffen - also so gut, wie ich es halt von Geschichten erwarten würde, die ich gut finde (und ich finde irgendwie wenige Geschichten gut). Du solltest häufiger in dem Fandom schreiben! ;) Also: Hach! |
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Elenyafinwe M • Am 29.05.2020 um 23:09 Uhr
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Aww! Hast du sehr schön geschrieben *-* Mir gefällt dein kleiner Einblick in Frodos Seelenleben und die Entfremdung, die er erlebt. Er leidet btw an einem Kriegstrauma und PTBS. Tolkien erlebte das nach den beiden Kriegen bei vielen Veteranen, Frodo ergeht es genauso. Knullen hat dich übrigens verraten, welche Übersetzung du liest ^^ Das Ende ist knuffig, so richtig typisch Frodo/Sam Bromance <3 LG Auctrix |
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