Storys > Romane > Fantasy > Leuchttürme im Wald

Leuchttürme im Wald

315
03.01.19 23:12
16 Ab 16 Jahren
In Arbeit

Autorennotiz

Warnung. Diese Geschichte beinhaltet Gewaltdarstellungen und graphische Darstellungen bezüglich Tod und Mord. Auch Alkoholkonsum ist Teil der Geschichte. Sollte einer dieser Aspekte triggernd sein oder euch einfach nicht gefallen, lest bitte nicht weiter, oder tut es auf eigenes Risiko. - Akonest

„Versetzung.“

„Ja, Versetzung. Die Nördliche Provinz Drei braucht einen neuen Zweigstellenleiter, der alte ist nämlich seit kurzem im Ruhestand, wie Sie sehr wohl wissen, Herr Baringhaus.“

„Eine Versetzung. In. Den. Norden“, fasste Elliot Baringhaus zusammen. Gefühle regten sich in seinem Inneren – Gefühle, die er sonst nur selten spürte. Abneigung. Hass. Ekel. Verwirrung. Der Norden war eine Strafe, nur wusste er nicht wofür. Eine Strafe, von den Göttern selbst auferlegt, so schien ihm.

„Richtig. Packen Sie ihre Sachen, nehmen Sie Abschied von Ihren Kollegen und Freunden, sofern Sie welche haben. Hier ist das Zugticket, die ausführliche Akte erhalten Sie bei Agnes. Der Zug fährt ...“, Graumann zog eine goldene Taschenuhr aus seinem Jackett, klappte sie auf und starrte lange auf die Zeiger, „in etwa vierzehn Minuten. Beeilung, verpassen Sie ihn, müssen Sie selbst Ihr Ticket zahlen.“

Elliot sprintete aus dem Büro seines Vorgesetzten, ergriff mit den Zähnen die Akte, die Agnes mit ausgestrecktem Arm bereithielt, nahm Mantel und Aktenkoffer, die er an der Tür deponiert hatte, und rannte, weil sein Kontostand auf dem Spiel stand. Rannte, einer Zukunft entgegen, die ihm zutiefst missfiel.

 

In letzter Sekunde sprang Elliot auf den Zug, der gerade losfuhr. Wie das nun eben so ist mit beweglichen Objekten und ihren Einfluss auf die Stabilität des Standes eines durchschnittlichen Menschen, stieß er sich umgehend den Kopf und er torkelte benommen in das Abteil. Es war leer. Wer sonst würde auch in die Nördliche Provinz Drei reisen wollen? Elliot zog den Umschlag mit dem Ticket aus seiner Mantelinnentasche. Er war schlicht, klein und mit dem Zeichen der Königlichen Agentur Für Eigenartiges – Kurz KAFE – versiegelt. Mit seinem Taschenmesser löste er das Wachssiegel. Einwegticket.

So saß er also mit einem Einwegticket in einem leeren Zug in Richtung Niemandsland mit einem Koffer voll Arbeit, ohne Kleidung oder persönlichen Gegenständen außer denen, die er bei sich trug und miserablen Kopfschmerzen. Baringhaus fluchte laut, dann drapierte er seinen Mantel zu einem Kissen und schlief ein. Erbarmungslos ratterte die Dampflokomotive über die Schienen und sie sollte nicht anhalten, bis sie elf Stunden später ihr Ziel erreichte – die Kleinstadt Faerhadow.

 

Wer noch nie in der Nördlichen Provinz Drei gewesen war, kannte Faerhadow nicht. Wer bereits in der Nördlichen Provinz Drei gewesen war, kannte Faerhadow trotzdem nicht. Es war schon ein Wunder, dass überhaupt jemals jemand außerhalb von Faerhadow selbst von Faerhadow gehört hatte. Dabei besaß die Kleinstadt einige Annehmlichkeiten, wie einen Bahnhof (der einmal im Monat angefahren wurde), eine eigene Schule (denn die nächste wäre zwei Tagesmärsche entfernt), ein Postamt neben dem Bahnhof und sogar einen eigenen Leuchtturm, für all die Schiffe.

„Moment, Schiffe?“, fragte Elliot überrascht, nachdem er die niedliche Willkommens-Broschüre durchgelesen hatte, die zugleich als Stadtkarte diente.

„Oh, ja, Herr Baringhaus. Schiffe brauchen einen Leuchtturm.“ Für Oskar war die Lage eindeutig und logisch.

„Wir sind Stunden vom nächstbesten See entfernt. Hier fahren keine Schiffe und der Fluss sorgt zwar für eine beständige Wasserquelle, aber der braucht doch keinen Leuchtturm.“

Auch in der Akte stand nichts von einem Leuchtturm. Aber in der Akte stand auch nichts von Oskar und der war ja ebenfalls anwesend.

Oskar war, so erklärte Oskar, der Assistent vom vorherigen Zweigstellenleiter Herr Eobart gewesen und ging nun mitsamt der Zweigstelle an Elliot über. Er war ein kleiner Mann – wenn man denn einen Jungen so zu nennen. Also, eher ein schmächtiger Junge als ein kleiner Mann. Auf jeden Fall bildete er einen Kontrast zu Elliot, der, wenngleich nicht wirklich trainiert, doch relativ groß und trainiert wirkte. Zudem trug Elliot den maßgeschneiderten Anzug der Agentur und Oskar … ein Hemd unter einer Latzhose.

„Die Schiffe brauchen den Leuchtturm. So ist das.“ Der Junge wirkte eingeschnappt, also beendete Elliot das Thema.

„Wie wäre es, wenn du mich jetzt endlich zur Zweigstelle bringst? Ich würde mich gerne ein wenig einrichten und mit der Arbeit beginnen.“

„Das geht nicht.“

„Wieso nicht?“

„Weil es nicht geht.“

„Nochmal, wieso nicht?“

Oskar stammelte und stotterte vor sich hin: „Weil … also. Das. Ich darf nicht und- und überhaupt!“

Frustriert drehte Elliot die Broschüre um, suchte die Adresse der Zweigstelle, nahm seinen Aktenkoffer und ging los. Oskar folgt widerstrebend.

 

Die Zweigstelle war ein mehrstöckiges Reihenhaus mit einer Freitreppe vor der Tür. Eine zweite, wesentlich schmalere Treppe führte links neben der ersten zur Kellertür. Elliot versuchte durch die Fenster zu linsen, sah aber nichts, also entschied er sich, das Haus zu betreten. Die smaragdgrün lackierte Tür setzte sich deutlich von der beigen Fassade ab, eingerahmt von einem Zierbogen und einem halbrunden Oberlicht, das stark an eine Blume erinnerte. Elliot drehte den Schlüssel im Schloss. Nichts passierte. Er drehte weiter. Nichts.

„Sie müssen den Mechanismus bedienen, Herr.“

„Welcher Mechanismus?“

„Den Schutzmechanismus.“

„Wie funktioniert er, meinte ich!“, sagte Elliot genervt.

„Sie müssen die Vollmacht in den Briefkasten werfen.“

Elliot erinnerte sich an das merkwürdige Schreiben, dass in der Akte lag, irgendwo zwischen der Seite 312 und dem Allgemeinen Anhang für Außendienstler der Agentur im Ausland. Es dauerte nur knapp zwölf Minuten um das gesuchte Schriftstück ausfindig zu machen und durch den Metallschlitz zu schieben. Erneut schob Elliot den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn. Nach einer Vierteldrehung blockierte er und Elliot ließ ihn los. Das gesamte Schloss drehte sich im Holz der Tür und statt aufzuschwingen, wie man es von einer durchschnittlichen Tür erwarten würde, schob sie sich etwa zwanzig Zentimeter nach Rechts in die Wand hinein und offenbarte vier ebenso lange Metallbarren, die verhinderten, dass die Tür sich um eine Achse bewegen konnte. Langsam sackten die Barren herab und Elliot konnte die Tür zur Gänze öffnen.

„Ein wenig extravagant, oder?“

„Aber sehr effektiv. Hat schon oft gute Dienste erwiesen.“

In der Akte war die Nördliche Provinz Drei als eine der sichersten Provinzen beschrieben. Wenig kriminelle Aktivität, wenig magische Aktivität, generell sehr wenig Aktivität. Elliot fragte sich, wogegen die Tür so gute Dienste erwiesen hatte.

 

Von der Tür aus führte ein breiter Flur ins Haus hinein. Sowohl links als rechts befanden sich je zwei Türen, am Ende des Flures führte eine Wendeltreppe in das über- und unterliegende Stockwerk. Elliot begann seine Erkundung mit der ersten Tür rechts, einer zweiflügeligen aus gefärbtem Glas. Das Zimmer wurde von einem geräumigen Esszimmer eingenommen. Der Tisch bot Platz für bis zu sechs Menschen, hintere Wand wurde von einem Kamin eingenommen, geziert von einem Naturszenerien-Gemälde. Erhellt wurde das Zimmer durch einen Kronleuchter. Links ans Esszimmer anschließend war die Küche, wesentlich weniger spektakulär, aber funktional.

Gegenüber von der Küche war ein Büro, gefüllt mit Bücherregalen, einem massiven Sekretär und einem großen Schrank zu dem der Schlüssel fehlte.

Das obere Stockwerk bestand bloß aus einem Schlafzimmer und einem Bad. Übrig blieben der Keller, der aber, so Oskar, nur als Stauraum genutzt wurde, und das Wohnzimmer im Erdgeschoss neben der Eingangstür. Elliot legte die Hand auf die Klinke, aber die erneut stand er vor einer Tür, die sich nicht öffnen ließ.

„Ist das wieder ein Schutzmechanismus?“

„Nein, es ist ein Türschloss, Herr.“

„Wieso ist die Tür abgeschlossen?“

„Ich sagte doch, Herr, er geht nicht. Es darf nicht, nein, Herr, darf nicht.“

„Oskar, wieso nicht?!“

Oskar murmelte unverständlich etwas vor sich hin, das sehr stark nach „Blut“ klang. Elliot ging einen Schritt zurück und trat knapp über dem Schloss gegen die Tür. Holz splitterte, die Tür flog auf.

Tatsächlich, da war Blut. Eine ganze Menge getrocknetes Blut. Auf dem Boden, an der Wand, an der Decke, zwischen den Dielen, in allen Ritzen, eigentlich überall. Ruhestand also. Das Wohnzimmer, das vormals von Herr Eobart bewohnt wurde, war komplett in seiner Gesamtheit vollständig rot gefärbt. Elliot schloss die Tür, öffnete sie ein wenig später erneut, um sicherzugehen nicht zu träumen, schloss sie dann doch wieder.

„Oskar. Was ist hier passiert?“

„Wir wissen es nicht.“ Oskar wirkte nervös. Seine Hände waren verschränkt, seine Daumen schoben sich abwechselnd übereinander, sodass die Nägel ein leises Klacken erzeugten. Etwas stimmte nicht – abgesehen von einem Raum voll Blut, natürlich.

„Der ehemalige Zweigstellenleiter, Eobart, der ist tot, richtig? Ist das sein Blut? Nur seins?“

„Wir- Wir denken schon.“ Oskar nickte sehr oft, sehr schnell.

„Ihr denkt schon. Ihr seid nicht sicher?“

„Es gab- gab eine Leiche. Nicht identifizierbar. Aber sie sah aus wie er. Irgendwie.“

„Gibt es hier irgendwo eine Herberge, ein Hotel, von mir aus eine Scheune?“, fragte Elliot blass, der Übelkeit nahe.

Den Rest des Tages verbrachte Elliot mit einer Flasche Alkohol in der rechten Hand, frustriert und geschockt auf dem billigen Sofa seiner viel zu teuren Unterkunft sitzend.

 

Am nächsten Morgen hatte Elliot seine erste Amtshandlung durchgeführt: Das Wohnzimmer war abgesperrt, verriegelt, vollkommen unzugänglich. Oskar putzte das Haus, er selbst richtete sich im Büro ein. Ein wenig mulmig war ihm schon mit dem Tatort im Zimmer nebenan, aber in der Herberge konnte er aus Kostengründen nicht bleiben und die Zweigstelle gehörte ihm. Zwar hatte er immer noch keine Wechselkleidung – er würde Oskar als nächstes einkaufen gehen lassen -, doch im Zug waren einige Kisten mitgeliefert worden auf seinen Namen. Eine enthielt eine Schreibmaschine, die er auf dem Sekretär platzierte. Er musste ein Telegramm verschicken an das KAFE und zwar dringend. Von einem Mord stand nichts im Vertrag und noch weniger in der Akte. Das würde Arbeit bedeuten, viel Arbeit.

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

Autor

Akonests Profilbild Akonest

Bewertung

Noch keine Bewertungen

Statistik

Sätze: 141
Wörter: 1.626
Zeichen: 9.900

Kurzbeschreibung

Elliot Baringhaus wird versetzt, ausgrechnet in die Nördliche Provinz Drei, für einen Schreibtischjob in der Zweigstelle, wie er annimmt. Doch in Faerhadow ist nicht alles wie es scheint und schon bald entdeckt Elliot den Tatort eines Mordes. Er ist sich sicher: Da ist Magie im Spiel. Nun liegt es an ihm und seinem Assistenten Oskar, den Mörder zu schnappen und die Rätsel des Dorfes zu lösen.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Fantasy auch in den Genres Krimi, Mystery und Humor gelistet.