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Kapitel: | 54 | |
Sätze: | 14.146 | |
Wörter: | 122.424 | |
Zeichen: | 701.725 |
Am Anfang der Geschicht' gab es Karten mit ganz viel Macht oder nicht. Wie auch immer das jetzt ist, die Texte im Kern begrüßen euch nicht. Seid unbesorgt, ich lass euch beginnen. Nur eins noch ein ''Happy End'' gibt es nicht.
Die Kneipe war noch verwüstet von letzter Nacht. Nur ein Mann lag noch sturzbetrunken unter einem Stuhl. Stöhnend griff er eine leere Bierflasche und trank daraus. In Anbetracht der Erfolglosigkeit warf er sie weg und befreite sich vom Stuhl.
Nun auf den Beinen klammerte er sich an den noch einzig stehenden Tisch. Hatte er nicht nur ein Bier getrunken? Das Scherbenmeer um ihn herum beschrieb so gut sein Leben, das er lachen musste.
Ein Bier noch. Was solls, dachte er sich und warf schwankend einen Blick zur Theke. Saß da noch jemand? Wenn ja, hatte diese Person weiße Kleidung an. Einen Schritt nach dem Anderen näherte er sich der Person, die ihm vor den Augen verschwamm.
Es war ein Kind! Ein Kind in der Kneipe? Unsanft nahm er den Platz neben ihm ein. Der Junge legte vier Karten von einem Deck in seiner Hand auf den Tisch. Pik zwei, Herz zwei, Karo zwei, Kreuz zwei.
Er lachte wieder. „Das war keine gute Wahl“, spottete er. Der Junge reagierte nicht auf seine Worte. Stattdessen drehte er die Karten um.
„Wenn du alle vier Karten umdrehst und jeweils ein Ass erhältst, hörst du dann auf zu trinken?“ „Jungchen, du hast die Karten nur umgedreht. Nichts wird besser, nur weil man es umdrehen kann.“
Er griff nach der ersten Karte. Dann wurden seine Augen groß. Es war ein Ass! Nach kurzem Zögern folgten die Karten zwei bis vier. Diese waren ebenfalls zu einem Ass geworden.
Halb auf der Theke liegend blickte er dem Jungen in die Augen. Was stimmte mit dem Jungen nicht? Seine Augen waren smaragdgrün.
„Was bist du?“ Der Junge lächelte und drehte sich zu ihm. Auf seinem Pulli stand in Großbuchstaben ''K I N D''. Stand das tatsächlich dort? Seine Trunkenheit war wie verflogen. Er sah den Jungen gestochen scharf. Nur war er sich nicht sicher, ob seine Augen immer noch das Selbe intensive grün hatten.
Der Junge wandte sich wieder der Theke zu und begann seine Karten ins Deck zurückzustecken. „Wie heißt du Junge?“ Er griff die letzte Karte auf dem Holz und strich mit ihr die Ablage entlang. ''Jamiro'' kam auf dem Tisch eingebrannt zum Vorschein. Er drehte die Karte wieder um. Darauf war ''Erkwin'' gekritzelt. Nachname und Vornamen legte er zueinander. „Du bist gut. Ein kleiner Zauberer, was?“
Nach einem kurzen näheren Blick auf die Schrift war der Junge plötzlich verschwunden. Das Kartendeck, dass er in der Hand gehalten hatte, lag zerstreut am Boden. Beim Versuch sich danach zu bücken fiel der Mann vom Stuhl.
Der Alkohol hatte ihm wohl den Verstand vernebelt. Ein Junge in der Kneipe? Karten, die zu einem Ass werden? Dennoch fühlte er sich verleitet die Karten aufzuheben.
Als er alle wieder in einem Deck hatte, starrte er auf die ''Erkwin'' Karte. Warum wusste er, dass der Junge sie nicht holen würde?
Er nahm die obersten fünf Karten und spreizte sie zu einem Fächer. Seine Wahl fiel auf die dritte Karte seines Fächers. ''Herz Bube'' Lachend legte er das Deck wieder ab. Herz Bube war eine gute Beschreibung für den Jungen. Wollte er doch einen fremden Mann vom Alkohol befreien.
Schließlich legte er auch diese Karte auf die Theke. Was war das schon wieder? Eine rote Flüssigkeit lief über seine Hand, in der er die Karte gehalten hatte. Hektisch überprüfte er die Karte. Zum Glück war sie unversehrt. Beim Blick zurück auf die Hand war auch da nichts mehr zu sehen.
Ohne das es ihm wirklich bewusst wurde, zog er sein Handy hervor und rief Krankenhäuser an. Nach erstmaligen Misserfolg fand er ein zwölfjähriges Kind mit dem Namen Jamiro Erkwin.
Umgehend stürzte er aus der Kneipe. Vom Alkohol spürte er nichts mehr. Dennoch ließ er das Auto stehen und eilte zu Fuß zum Krankenhaus.
Vor dem Zimmer kauerte ein Mann. Ein Herz König war auf seiner Hose über dem Knie eingestickt. Keine Frage, das war sein Vater!
„Herr Erkwin?“ Der Mann blickte auf. „Ich glaube, das gehört ihrem Sohn.“ Das ihm zu gestreckte Kartendeck hellte sein Gesicht auf.
Er griff nach den Karten und legte sie in zwei gleichgroße Stapel neben sich. Die unterste Karte im Deck zog er heraus und zeigte es ihm ohne es selbst zu sehen.
„Ein Ass! Jamiros Lieblingstrick ist es Karten in Asse zu verwandeln.“ Die Karte wanderte ohne seinen Blick ins Deck zurück. Nur sein Gegenüber wusste, dass es kein Ass gewesen war.
„Danke. Jamiro ohne diese Karten ist kein glückliches Kind.“ Mit den Karten wieder in der Hand begab sich der Vater ins Zimmer.
Seine Aufgabe hier war wohl erledigt. Jamiro hatte seine Karten zurück und für ihn hieß dass wohl seinen Scherbenhaufen zusammenzukehren.
Vorm Krankenhaus bleib er stehen. Hatte er gerade wirklich daran gedacht sein Leben zu kehren und wieso musste er darüber lachen? Der verwirrte Blick einer Frau, die seinen Weg kreuzte, ließ ihn vollends ausbrechen.
Heute ist er seit zwanzig Jahren trocken und sitzt mit seinen drei Enkelkindern in der Show ihres Lieblingsmagiers Erkwin. Die Show wurde gerade beendet, als er noch einmal heraustrat.
„Vor zwanzig Jahren gab es mal jemand, der mir meinen Glauben an die Magie zurückbrachte.“ Er zog etwas aus der Jackentasche. Es war das Kartendeck aus der Kneipe. „Mit diesem Trick möchte ich ihm Danke sagen.“
Er zog eine Karo sieben aus dem Deck. Diese legte er verdeckt auf den Tisch. Eine zweite Karte, die er zog und verdeckt ablegte war der Pik König. Die Karo sieben schob er darüber.
Anschließend als er es hoch hob war es nur noch eine Karte und zwar die Karo König. Er lächelte frech, während er sie in seiner Hand zusammenknüllte. Die Faust wieder geöffnet war auch diese verschwunden. „Schau in deine Tasche!“
Die Enkelkinder, die die Geschichte von Erzählungen her kannten, stießen ihn an. Kam es ihm nur so vor oder starrte er ihn wieder mit smaragdgrünen Augen an?
Paralysiert griff er in seine Tasche. Tatsächlich es befand sich der Karo König in seiner Tasche. Erkwin kam zu ihm. „Woher wissen sie, dass ich damals …“ Seine Frage klang halb erstickt. Er lächelte wieder. „Magie“, antwortete er und drehte die Karte in seiner Hand um. ''Danke'' stand plötzlich dort, wo zuvor nichts gewesen war.
Er stützte sich auf die Ablage bei den Zapfhähnen. Schweißperlen zeigten seinen Stress. Wieso nur hatte er niemanden erzählt, dass er trockener Alkoholiker war? Jetzt stand er da und vertrat seinen Sohn am Tresen. Einen von fünf Tagen hatte er durchgehalten. Der zweite zog sich in die Länge.
„Ein Bier noch", lallte ein Mann, der nicht einmal mehr den Kopf hochbekam. Das Glas nahm er herunter in die Spüle aber das Nachfüllen verweigerte er. Nur noch ein paar Stunden aber das sagte er sich bereits seit einer Ewigkeit. Unbewusst fokussierte sein Blick die Zapfsäule. Vielleicht doch einen Schluck? Schnell wandte er sich ab.
Seine Finger begannen nervös mit der Karo König in seiner Jackentasche zu spielen. „Hörst du dann auf zu trinken?“, hallte eine Kinderstimme in seinen Gedanken wieder. Er musste lächeln. Dann verstummte es plötzlich. Statt einer Karte hatte er urplötzlich zwei in der Tasche. Beim Herausnehmen bemerkte er schon, dass die zusätzliche Karte beschädigt war. Behutsam strich er den Herz König auf der Theke glatt. Dabei verschwanden die beiden oberen Herzen auf der Karte.
„Diese verfluchten Karten“, schimpfte der betrunkene Mann schwer verständlich. Erst jetzt bemerkte er, dass es Jamiros Vater war, der sturzbetrunken an seiner Theke saß. Als er nachfragen wollte, kam der Sohn zur Tür herein. „Verdammt Papa, so bekommst du gar nichts in den Griff. Entschuldigung. Wie viel?“ Da er bereits bei den Scheinen wühlte, schien er direkt von einer größeren Summe auszugehen. Er beschloss aber nichts zu verlangen. Jamiro schaute ihn an und lächelte. Sein Schmunzeln hatte immer noch etwas Freches. „Du bist häufig in meiner Show. Ich überleg mir was, okay?“
Seine Aufmerksamkeit wanderte auf den Vater, den er mit Mühe vom Tisch löste und auf die Beine zerrte. Dabei sah man, dass sein rechter Arm verbunden war „Fahren sie nicht ausschließlich Motorrad? Ich kann ein Taxi rufen.“ Der Magier hustete und setze seinen Vater wieder ab. „Vermutlich besser.“ Etwas Unverständliches ''wie nehm ich nicht'' wurde vom Vater erwidert. Keiner der anderen beiden interessierte sich dafür. Stattdessen nahm nun auch sein Sohn Platz und ließ sich ein Wasserglas geben.
„Ich hab ihn umgebracht“, entwischte dem Vater eine weinerlicher Aussage. „Blödsinn, ich sitze hier!“ Er blickte die beiden verwirrt an, während er am Telefon hing. „Ich hab dir schon einmal gesagt, dass es ein bedauerlicher Unfall war. Das passiert und hat absolut nichts mit den Karten zu tun.“
Die kaputte Karte erweckte seine Aufmerksamkeit. Er nahm sie von der Theke und legte sie zwischen seine Hände. Als er sie wieder öffnete war die Karte wieder komplett und unversehrt. Mit dem Gesicht nach unten legte er sie zurück. Dann legte er seine Handfläche darüber. Während er die Karte zur Seite verschob, blieb eine weitere liegen. Umgedreht hatte er nun eine Herz Dame und einen Herz König. Weiter kam er nicht, da er sich zum Husten wegdrehte.
„Wissen sie was? Ich fahr sie.“ Noch bevor der Magier etwas erwidern konnte, stützte er bereits seinen Vater. Er lächelte, als er merkte, dass er es ernst meinte. Sogar die Straße gab er preis und überreichte ihm den Hausschlüssel.
Am besagten Haus angekommen, war er erst mal überrascht. Es lag ja nur acht Häuser von seiner Wohnung entfernt. Mit verkrampften Fingern schloss er die Tür auf. Der Eingangsbereich war leer. Es gab keine Möbel oder persönliche Dinge. Alles, was dort stand, war ein Koffer. Als der Betrunkene es erblickte, rief er einen Frauennamen.
Kurz darauf kam auch eine Frau auf sie zu. Diese ignorierte sie jedoch. Zumindest so lange, bis sie die Jacke abgelegt hatte. „Und um was spielen sie?! Ein Shirt für fünf Euro?“ Sie war sehr sauer und genauso ging sie auch mit Jamiros Vater um. Grob riss sie ihn an sich. „Hier ist die Tür und kommen sie ja nicht wieder!“ Die Tür drückte sie noch weiter gegen die Wand und half nach, als er nicht selbst ging.
Vor der Tür war der Streit klar und deutlich zuhören. Er war also ein Spieler. Die Möbel, private Gegenstände und den Ehering hatte er verspielt. Einfach alles was er in die Finger bekommen hatte. So auch ein Kartendeck, das dem Sohn wohl sehr wichtig war. Er setzte sich etwas abseits, wo man das Gebrüll nicht mehr verstehen konnte und wartete. Vielleicht konnte er helfen. Nur wusste er noch nicht wie.
Ein Husten riss ihn kurze Zeit später aus den Gedanken. „Sie hätten nicht warten müssen.“ Jamiro stand vor ihm und hängte seinen Helm über den Zaun. „Ich wollte den Schlüssel persönlich zurückgeben.“ Er zog den Gegenstand hervor und reichte es ihm.
„Ihr Vater … hat er es mal mit einer Therapie versucht?“ „Ich befürchte, das wird er nicht tun, solange er denkt, er hätte mich umgebracht.“ Er hob sich den verbundenen Arm vor den Mund und hustete. Als er ihn herunternahm, war Blut daran zu sehen. „Vergessens sies. Die Erkwins sind seltsame Typen.“
Er nahm ihm den Schlüssel ab und drückte ihm stattdessen Geld in die Hand. Anstatt es anzunehmen steckte er es in eine Verstrebung des bei ihm stehenden Tisches. Danach stand er schwerfällig auf. „Werden sie einfach wieder gesund, das ist Preis genug.“
Um den Magier herum gelaufen, ging er zur Einfahrt hinaus. Von dort aus sagte er, ohne ihn anzuschauen: „Ich werde mir erlauben, in den nächsten Tagen eine Liste mit Therapeuten in den Briefkasten zu werfen.“ Nach seinem Angebot machte er sich auf den Heimweg.
Zwei Tage später wurde er von Frau Erkwin zu einer anderen Adresse eingeladen. Sie hatte deutlich netter geklungen, ihn aber dennoch charmant gezwungen zu kommen. Das Haus, vor dem er stand, war kleiner. Es gab keine Pflanzen und auch keine Rasenfläche. Markant stach nur Jamiros Motorrad hervor.
Er drückte die Klingel und las den Namen Erkwin daneben. Ob es ihm bereits schon besser ging? Frau Erkwin öffnete die Tür. Sie begann so schnell zu reden, dass er gar nichts verstand. Die Wangenküsse, die sie ihm gab, kamen auch völlig überraschend. Sie lächelte. „Kommen sie.“
Sie führte ihn durch den Flur zu einem gedeckten Kaffeetisch. „Nehmen sie Platz. Ich komme gleich zu ihnen“, sagte sie und zog ihm einen Stuhl zurück. Anschließend nahm sie sich einen Teller mit Torte und eine Tasse Kräutertee vom Tisch. Beides brachte sie in einen Raum, aus dem später eine krächzende Stimme zu hören war. Es ging ihm also schlechter.
Verträumt legte er die kaputte Karte aus der Kneipe auf den Tisch. Immer noch fragte er sich, wann er die guten Karten wieder umgetauscht hatte. Die Karten lagen noch auf der Theke, als er abgeschlossen hatte. Er schmunzelte, als er ihm zutraute durch geschlossene Türen zu gehen.
Die Mutter kam wieder. „Ist das eine von seinen Karten?“ Sie schaute es sich genauer an. Schlagartig war Enttäuschung in ihrem Gesicht zu sehen. „Trinken sie Kaffee?“ Ihre mit einem Lächeln aufgesetzte Frage war nicht für eine Antwort bestimmt. Der Kaffee lief bereits in die Tasse, bevor er hätte ''Ja'' sagen können.
„Sehen die Karten besonders aus, die er vermisst?“, fragte er und legte seine Hand auf die Tasse, damit er weder Zucker noch Milch bekam. „Eigentlich nicht. Die Geschichte dahinter macht sie so besonders.“ Tränen schimmerten in ihren Augen, als sie ihm ein Stück Torte auf den Teller packte. „Jamiro hat die Torte ''Pik Ass'' genannt. Ich musste sie ihm jedes Jahr backen. Dabei kann ich überhaupt nicht backen.“ Erst nach ihren gequälten Worten nahm sich auch ein Stück und setzte sich.
„Dafür schmeckt sie aber sehr gut.“ „Danke. Mein Mann mag sie bis heute nicht.“ Sie lächelte und füllte sich nun auch Kaffee ein. „Übrigens danke für ihre Mühe mit der Liste.“ „Das war nun wirklich keine Anstrengung. Ich hoffe, ihr Mann nutzt seine Chance.“ „Momentan scheint er eher mein Ex werden zu wollen!“ Die Wut war wieder da und zermalmte ihre Torte zu Brei.
Als ihr die Attacke bewusst wurde, schaute sie wieder auf und setzte ihr Lächeln in Szene. „Lassen sie uns über etwas anderes reden.“ Er nahm die letzte Gabel seiner Torte in den Mund und fragte anschließend: „Wieso nennt ihr Sohn diese Torte Pik Ass?“ „Er hat sie nach Pik Ass benannt. Also Pik Ass ist ein Mensch. Ein netter Mann, den Jamiro im Hospiz kennengelernt hat.“ „Im Hospiz?“, fragte er erschrocken nach.
„Er war schwer krank als Kind. Eine unerforschte aber tödliche Krankheit. Immer wenn Pik Ass es konnte, ermunterte er ihn zum Kartenspielen. Er brachte ihm auch den Trick mit den Assen bei. Leider verstarb er, als mein Kleiner auf wundersame Weise gesund entlassen werden konnte. Zum Abschied hatte er ihm das Kartendeck vermacht, womit sie immer gespielt hatten. Verstehen sie, warum ich so sauer auf meinem Mann bin? Jamiro würde es niemals zu geben aber das Kartendeck bedeutet ihm sehr viel.“
„Könntest du bitte keine Märchen erzählen?!“ Die Gesprächsperson stand in der Tür zu dem Raum, in dem sie das Essen gebracht hatte. „Weder bin ich Todkrank noch Tod. Ich bin lediglich erkältet.“ Nach einem Hustenanfall musste er sich setzen. „Es sind einfach nur Karten und Tricks. Sie bestimmen nicht durch weg sein, dass ich sterbe. Hört auf euch damit verrückt zu machen.“
Er kam an den Tisch heran und zog ein Kartendeck hervor, dass noch verschweißt war. Dieses öffnete er und warf die Kartenlieblos auf den Tisch. „Nimm fünf Karten deiner Wahl aber so, dass nur du sie siehst.“ Seine Mutter zögerte aber entschied sich dann doch mitzumachen.
„Jetzt ziehen sie fünf Karten, ohne dass es einer von uns beiden sieht.“ Er hatte sich schnell entschieden. „Kennen sie sich mit Karten aus?“ „Ich weiß, dass es einen Karo König gibt.“ Sein kurzes Lachen brachte ihn zum Husten. „Gibt es ihn doppelt?“, fragte er vom Husten angeschlagen. „Soweit ich weiß nicht.“ „Damit liegen sie richtig.“ Jamiro deckte den Großteil der Karten auf und zog fünf davon verdeckt zu sich. „Ich behaupte trotzdem, dass wir alle das selbe Deck haben.“ Mit diesen Wort lüftete er seine Wahl. Die dazugelegten Decks gaben ihm recht.
Mit etwas Zwang ließ sich seine Mutter darauf ein, auch die restlichen Karten umzudrehen. „Ich schenke ihnen die Karten. Ich möchte einen Trick von ihnen sehen.“ „Von mir? Ich fürchte, das ist Verschwendung.“ „Das sehen wir dann, wenn es so weit ist. Ich muss zurück ins Bett, gesund werden. Machens sies gut.“ Müde begab er sich in sein Zimmer zurück.
„Trotzdem, es ist doch seltsam. Nachdem er das Hospiz verlassen hatte, war er nie wieder krank. Dann gingen die Karten verloren und die Krankheit brach erneut aus. Kaum waren sie da und brachten die Karten zurück, ging es ihm wieder Stück für Stück besser. Kaum verspielt mein Mann die Karten, passiert ein Ungeschick bei einem neuen Trick und er erkältet sich. Ich fürchte, wir haben einfach nur Angst, dass wir wieder so machtlos sind.“ „Ich finde, ihr Sohn macht seinem Namen alle Ehre.“ „Wie meinen sie das?“ „Der Wundervolle. Sein Vorname bedeutet Wunder.“ Sie lachte.
Als er das Haus verließ, fragte er sich, warum er die Karten angenommen hatte. Ein Erkwin, würde in hundert Jahren nicht in ihm stecken. Das wollte er auch nicht. Der Magier war etwas besonders. Im selben Moment, wie er die Kartenschachtel in den Briefkasten werfen wollte, kam ihm eine bessere Idee.
Er fuhr zur anderen Adresse der Erkwins und knöpfte sich den Vater vor. Dieser hatte sich gerade mitten in einem Spiel befunden und war zunächst wenig begeistert. Doch er bekam aus ihm heraus, dass sein jetziger Gegner, der Gewinner des Eheringes und des Kartendecks war.
„Wir spielen!“, sagte er voller Zuversicht. Dabei hatte er noch nie Glücksspiel versucht. „Was setzt du? Denk nicht zu klein. Er ist schon ne Mitleidsnummer.“ „Meine Wohnung.“ Kurz kam er ins Stocken, denn das war wohl alles andere als gut durchdacht. „Und was willst du?“ „Die Karten, die er gesetzt hatte.“ Er lachte schrill, nur um das Wort ''Idiot'' noch dummer klingen zu lassen.
„Okay Anfänger, das Risiko gehe ich ein.“ Um überhaupt spielen zu können, ließ er sich die Regeln von Herr Erkwin erklären. Dann setzte er sich zu ihm und legte das geschenkte Kartendeck hin. „Wir spielen hiermit.“ Der Gegner schaute sich die Karten durch und stimmte dann schulterzuckend zu. Das Glück war auf seiner Seite. Er gewann und bekam die Karten zugeschmissen.
„Revanche“, brüllte er und legte die alten Karten hin. „Diese Karten, Wohnung gegen Ehering. Schlag ein oder bist du feige?“
„Lass uns eine Wette machen, Wohnung gegen Ehering.“ „Pferderennen?“ „Nein. Ich wette, du spielst heute noch einmal“ „Was? Das ist ja easy. Geht klar.“ Mit dem Handschlag besiegelte er seine eigene Dummheit, denn die Wette war ja ein erneutes Spiel. Als er erneut beginnen wollte sagte er: „Hören sie auf so lange sie noch können. Sonst sieht ihre Wohnung bald auch so aus.“ Er stand auf und begab sich zum betrübten Familienvater.
„Sie wollen ihrer Familie zurück, oder?“ Er nickte „Die Karten gebe ich ihrem Sohn zurück. Mit dem Ring machen wir beide ein letztes Spiel. Ich schweige über ihren heutigen Einsatz und sie lassen sich therapieren.“ Als Handschlag diente die Liste und sein Handy.
Seine Füße schlurften über den mattgrauen Boden. Er hatte es eilig, kam aber nicht besonders gut voran. Dies war wohl auch der Grund, warum die Krankenschwester zur Unterstützung kam. „Heute wieder ein guter Tag, Herr Kartenmeister?“, fragte sie. Er blieb stehen und schaute sie an. „Ich glaube gnädige Frau, die Karten meistern mich. Sie sind schon wieder verschwunden.“ „Sie haben auch ein sehr großes Loch in ihrer Tasche. Sehen sie? Meine ganze Hand passt da durch.“ „Na so was. Ich sollte meine Karten wohl besser füttern.“ Die Frau lachte und half dem Mann bei seiner Suche.
„Na sehen sie, da sind sie doch.“ Der Mann bückte sich mühsam nach einer durchsichtigen Verpackung mit klassischen Spielkarten. „Na kommt her, ihr kleinen Ausreißer“, schimpfte er selbst ein wenig belustigt. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, verharrte sein Blick am Fenster eines Raumes. „Unser Neuzugang.“ „Wie kann denn ein so kleines Kind schon im Hospiz landen? Er sieht ja furchtbar aus. Darf ich zu ihm?“ „Aber nur kurz. Er ist sehr schwach.“ „Ich muntere ihn nur etwas auf, versprochen. Ein Kind sollte nicht so traurig sein.“
Der Mann begab sich in den Raum. Schon während er sich dem kleinen Jungen näherte, bemerkte er sein Interesse an den Karten. „Kennst du so was?“ Sein erster Versuch zu antworten war komplett tonlos. Nach einer kurzen Pause war immerhin ganz leise ''Papa'' zu verstehen. „Dein Papa also.“ Er zog die Bettdecke über seine Schultern, damit es die dürre Gestallt schön warm hatte.
Im Anschluss ließ er sich von ihm in Ruhe begutachten. Anscheinend fand er ihn ganz okay aber die Karten waren dann wohl interessanter. Ganz langsam schlich sich seine kraftlose Hand zu der Verpackung hin. Ohne zu zögern gab er ihm seinen besonderen Schatz in die Finger. Allerdings war er so schwach, dass er ihm beim Heben helfen musste. Vorsichtig führte er seine Hand zum Bett zurück. Dabei hatte er furchtbar Angst, ihm den Arm zu brechen.
Das Wort, das er hauchte, ließ ein Danke erahnen. „Es ist alles neu für dich, stimms? Es macht dir Angst so alleine hier ohne etwas Vertrautem.“ Er nickte. „Weißt du, ich lass dir die Karten hier aber du musst gut auf sie aufpassen. Es sind magische Karten. Sie verschwinden manchmal.“ Eine Antwort kam nicht, da der kleine Junge einschlief. Der fremde Mann gab sich alle Mühe das Zimmer leise zu verlassen. Die Schwester, die außen gewartet hatte, brachte ihn dann in sein Zimmer zurück.
„Sie waren Erzieher“, wettete sie beim Aufhängen seiner Jacke. „Leider falsch, auch das war ich nicht, gnädige Frau. Wäre ich denn ein Guter gewesen?“ „So wie sie mit Jamiro umgegangen sind? Auf jeden Fall!“ „Schade, dann habe ich mein Talent wohl verschwendet.“ Er legte sich in sein Bett zurück. Bevor sie ihn alleine ließ, gab sie ihm noch seine Medikamente.
Am nächsten Tag quälte er sich mühsamer als das letzte Mal zum Zimmer des Jungen. Er hatte erfahren, dass der Kleine Blut gehustet hatte und wollte ihm beistehen. „Hallo Jamiro. Ich bins, der Kartenonkel.“ Er strich ihm über den knochigen Arm, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. „Magisch“, begann er einen Satz, der verstummte. Dabei schob er ihm die Karten zu. Der Mann setzte sich und öffnete die Verpackung.
Er wählte fünf Karten aus und steckte den Überrest in seine Jackentasche. „Na bleibt ihr hier!“ Er tat so, als müsste er die Karten am Boden wieder einfangen. Als er sie hatte, legte er sie dem Jungen wieder in die Hand.
„Halte sie gut fest.“ Die fünf Karten, die er herausgenommen hatte, spreizte er zu einem Fächer. Welche Karten er gezogen hatte, zeigte er ihm. Kreuz drei, Pik sechs, Kreuz Bube, Herz Bube und Kreuz acht. Er schob den Fächer mit dem Gesicht zum Kind wieder zusammen. Kurz wartete er. Anschließend bildete er einen neuen Fächer aber diesmal nur mit vier Karten.
„Ups. Da ist sie weg.“ Es sah so aus, als würde der kleine Junge ein klein wenig lächeln. Er steckte die Karten in die Verpackung und richtete sich auf. „Dann wollen wir sie mal suchen.“
Sein Weg führte ums Fußende herum zum Kopfteil des Bettes. Dabei bemerkte er eine Frau, die in der Tür lehnte. Sie war blass und wirkte wie jemand, der es auch nicht mehr lange hatte. Nur war sie keine der Bewohner, das hätte er gewusst.
„Deine Mama?“, fragte er und deutete zur Tür. Die Frau kam wortlos heran und strich ganz behutsam über den dünnen Arm. Als sich sein Kopf zu ihr drehte, lächelte sie verkrampft und strich ihm über die Wange. Sie nahm Platz und ließ die müden Augen nicht von ihm. „Ich komm später nochmal“, sagte er und quälte sich zur Tür. Eine Schwester sah es und kam ihm zur Hilfe.
„Überanstrengen sie sich nicht.“ „Ach gute Frau, wenn mich die Hölle haben will, dann soll sie mich holen. Es liegt ohnehin nicht in unserer Hand, wann jemand geht und vor allem wer und wie.“ „Aber Herr …“ Er lachte. „Rufen sie der Guten ein Taxi. Bestehen sie darauf! Nicht das sich der Sensenmann an der Tür irrt.“
In den nächsten acht Tagen gelang es dem Mann nicht Jamiro zu besuchen. Sein eigener Zustand ließ es nicht zu. Am achten Tag kümmerte sich die Schwester um ihn, die immer noch versuchte, seinen Beruf herauszufinden. „Ich glaube, sie flunkern mich an, Herr Kartenmeister. Sie müssen ein Magier sein. Der kleine Jamiro war begeistert von ihrem Trick.“ „Das freut mich. Wie geht’s ihm denn?“ „Ich seh gleich nach ihm aber es geht ihm deutlich besser im Vergleich zu seinem ersten Tag.“ „Schön.“ „Wünschen sie noch was, Herr Kartenmeister?“ „Wunschlos glücklich.“
Die Schwester verließ kaum den Raum, als der kleine Junge in den Raum getaumelt kam. „Hallo Kartenonkel. Ich bins, der Jamiro“, keuchte er immer noch recht leise. „Hey. Dir geht’s ja prächtig, Kleiner. Er richtete sich auf und reichte ihm die Hand, damit er seitlich ans Bett kam. Er brauchte einen Moment, saß dann aber auch schon an seiner Bettkante.
„Ich hab die Karte gefunden“, erzählte er beim zweiten Anlauf. „Was? Wo war sie denn?“ „Unterm Bett. Sie war zu müde.“ Er grinste, als habe er etwas ausgeheckt. Dann knurrte sein Magen. „Na da brüllt aber der Bär.“ Wie gerufen kam die Krankenschwester mit zwei Tellern herein. „Lasst es euch schmecken und du kleiner Kartenaufpasser machst bitte langsam. Es ist nicht schlimm, wenn du etwas zurückgeben musst.“ Er nickte und schlang schon den ersten Löffel voll hinunter.
„Langsam. Das gute Essen soll doch drin bleiben“, beruhigte ihn der Mann lachend. Als der Bauch gefüllt war, schlief Jamiro an der Bettkante ein. Man hörte, dass sein Magen arbeitete und es ihn sehr anstrengte. Dennoch wirkte er nach mehren Stunden Schlaf wieder munter.
„Und hat es dir geschmeckt?“ Der Mann schien selbst erst aufgewacht zu sein, da er so verschlafen klang. „Hm. Ich hatte noch nie so was. Ich konnte es nie essen, ohne dass es mir dann schlecht ging. Hast du ein Lieblingsessen, Kartenonkel?“ „Ein Lieblingsessen? Da muss ich überlegen. Ich habe schon ewig keine Torte mehr gegessen.“ „Was ist eine Torte?“ „Kennst du Kuchen?“ Er schüttelte den Kopf. „Süßigkeiten? Gummibären? Schokolade?“ Immer wieder schüttelte er den Kopf.
Die Schwester stand lächelnd in der Tür. „Das ist alles sehr ungesund Herr Kartenmeister. Obst, Gemüse, so was brauchst du Kleiner. Ein Apfel zum Beispiel.“ „Es gibt Torten mit Äpfel.“ „So, dann sind sie also Konditor.“ „Nein“, lachte er „Genauso wenig wie Bäcker.“ „Meine Mama ist Lehrerin und mein Papa Steuerberater.“ Er grinste und nahm der Schwester einen Plastikbecher ab. Der Blick der Schwester gab die zwei Berufe als Frage weiter aber auch die verneinte er.
„Ich würde ihm gerne zeigen, was eine Torte ist. Können sie uns eine bringen.“ „Na na, heute gabs genug zum Essen. Außerdem bleibt unser Aufpasser erst mal auf Schonkost.“ Kaum nachdem der kleine Junge den Inhalt des Bechers getrunken hatte, schien er Bauchkrämpfe zu bekommen. „Mir wird schlecht“, sagte er aber die Schwester hatte bereits schon reagiert.
„Wieder gut?“ Sie strich ihm über dem Arm, während sie auf einen möglichen Nachschlag wartete. „Du hast das ganz toll heute gemacht, Jamiro aber wir sollten es nicht übertreiben.“ „Bitte keine Angst um mich haben“, weinte er. Sie tröstete ihn und brachte ihn schließlich in sein Zimmer.
Etwas später kam sie zurück, um auch dem Kartenmeister seine Medikamente zu geben. „Er hat seine Mama zusammenbrechen sehen oder?“ „Das weiß ich nicht aber darüber sollten sie sich auch keine Gedanken machen. Ich hab eine ihrer Karten auf dem Parkplatz gefunden. Keine Ahnung, wie sie das immer machen aber sie ist zum Glück unversehrt. Die Schwester zeigte ihm die Kreuz sieben und steckte sie in die Verpackung. „Seien sie so lieb und bringen sie ihm die Karten?“ „Das machen sie morgen. Vielleicht ist dann auch wieder ein Zaubertrick für den Kleinen drin.“
Am folgenden Tag ging es dem Mann tatsächlich gut genug. Bevor er das Zimmer erreichte, übergab ihm die Schwester mit einem Lächeln ein paar Bilder. Er lächelte zurück und ließ sich den Rest des Weges helfen.
Jamiro wirkte fast so schwach wie am ersten Tag. „Schau mal, wen ich dir hier bringe.“ „Kartenonkel!“, hauchte er erfreut und versuchte sich aufzurichten. „Bleib ruhig liegen. Der alte Mann muss sich erst einmal setzen. Gut geschlafen?“ Ein Nicken folgte. „Schön. Ich nämlich auch. Obwohl ich mich frage, ob nicht schon wieder eine der Karten verschwunden ist. Willst du mal schauen?“ Die Frage hätte er gar nicht stellen müssen. Jamiro war sofort dabei die Karten zu durchsuchen.
„Die Pik fünf fehlt.“ „Na so was. Glaubst du, sie ist wieder Autos angucken gegangen?“ „Die kann doch gar nicht sehen.“ „Etwa genauso wenig wie sie verschwinden kann?“ Jamiro lachte.
„Weißt du …“ Er beugte sich zu ihm herunter, als wolle er ihm ein Geheimnis verraten. „Sie kann wirklich nicht sehen aber psst, wenn sie das weiß, verliert sie ihre Magie. Da ist sie ja.“ Er nahm eine Karte vom Nachttisch und reichte sie ihm. Jamiro fügte sie ins Kartendeck ein. Dann unterbrach sie ein leises Magenknurren. „Verzeihung, ich musste gerade an Torten denken.“ Beide lachten.
Der Kartenmeister nahm wieder Platz und zeigte ihm die Fotos, die ihm die Schwester gegeben hatte. „Das hier sind Torten. Sahne, Schoko, Bananen, Marzipan. Oh, die ist klasse. Die hab ich mal gegessen, da war ich so groß wie du.“ „Wie geht das?“ „Oh, wie das geht, weiß ich nicht. Sie bestand aus Schokobiskuit, dünn geschnittenen Apfelscheiben, einer Walnusscreme, heller Biskuit, Bananen, Sahne und nochmal Schokobiskuit. Das Weiße außen rum ist auch Sahne. Kennst du irgendwas davon?“ „Die Äpfel und Bananen.“ Seiner Antwort ging ein Gähnen voraus. „Entschuldigung, Kartenonkel.“ „Mach dir kein Kopf. Ich lass dich schlafen und komm ein anderes Mal wieder.“
Das andere Mal war leider nicht der nächste Tag. Am Abend jedoch ließ sich anderer Besuch bei dem Mann blicken. Wortlos stellte Jamiros Mutter die Torte auf seinen Nachttisch, von der er geschwärmt hatte. Ein Mann betrat nach ihr den Raum, der genauso verlebt wirkte wie sie.
„Wir wollten uns bedanken. Unser Sohn … er war noch nie so glücklich.“ Mühsam richtete sich der Mann auf. Mit dem gebrachten Messer teilte er die Torte großzügig. Danach legte er je ein Stück auf drei Teller. Einen für die Mutter, einen für den Vater und einen für sich. Die Torte war damit an alle verteilt.
„Sie haben einen ganz wunderbaren Sohn.“ Die Frau setzte sich schluchzend. „Ich weiß, dass es wahrscheinlich kein Trost für sie ist aber mit einem Lächeln zu gehen, ist doch immer noch besser, als die Welt weinend zu verlassen. Sie haben alles getan was sie konnten.“ „Es fühlt sich nicht so an. Ihn da liegen zu sehen. Die Schmerzen und wir können einfach nichts tun.“ „Spielen sie mit ihm Karten, reden sie mit ihm. Als was ablenkt, mindert Schmerz.“
Er hatte etwas in seiner Hosentasche bemerkt und zog es heraus. Es war die Pik Ass Karte. „Wer sind sie eigentlich?“, fragte der Vater beim Versuch, seine Frau wieder zu beruhigen. Daraufhin wandte er ihnen die Karte zu und antwortete. „Pik Ass.“ Ein Schmunzeln zog sich im Gesicht des Vaters. „Wir sind Herz Dame und Herz König.“ Er deutete auf das eingestickte Motiv oberhalb seines Knies. Nun schmunzelte auch die Mutter. „Haben sie schon sein freches Lachen gesehen? Wenn er könnte, würde er uns die Bude auseinandernehmen. Er ist so ein Energiebündel.“ Erleichtert stand sie auf. „Danke.“
Übereifernd stellte sie seinen Teller beiseite und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Sie sind ein Ass, ein Engel, die beste Karte im Deck.“ „Schatz, das ist das Ass.“ „Klappe, du spielst jetzt mit Jamiro Karten! Ich hol uns einen Kaffee.“ Und schon war sie weg. „Von mir auch Danke. Sie sind gerade offiziell Teil der Erkwin Familie geworden.“ Er lachte mit einem fast ähnlich frechen Grinsen wie sein Sohn. Beim Gehen übergab er die Teller einer Schwester und verschwand dann aus dem Sichtfeld.
Als Pik Ass am nächsten Morgen nach Jamiro sehen wollte, lagen seine Eltern eingeschlafen am Bett. Vater und Sohn hatten noch das Deck in der Hand, das Jamiro als Gewinner kennzeichnete. Er lächelte und ging ins Zimmer zurück.
Beim Aufwachen am folgenden Morgen blickte er in Jamiros erfreutes Gesicht. „Hallo Pik Ass. Ich bins der Jamiro.“ Er grinste frech und legte das Kartendeck auf ihn ab. „Na hattest du Spaß mit deinen Eltern?“ „Ich hab Papa viermal besiegt.“ „Von vier Runden?“ „Fünf. Ich will dir was zeigen Kartenonkel. Darf ich?“ „Natürlich aber Moment noch. Ich hab noch einen Ausreißer bei mir.“ Er steckte das Pik Ass zwischen die anderen Karten.
„Du bist doch ein Ass. Ein Ass muss natürlich auch ein Ass ziehen können. Schau mal kein Ass dabei, oder?“ Jamiro fielen die vier ausgewählten Karten aus den Händen. Hastig nahm er sie wieder auf. „Entschuldigung.“ Er zeigte sie ihm erneut in einem Fächer, hatte aber Mühe, sie so zuhalten. „Es ist kein Ass dabei, oder?“ „Nein, keines dabei.“ Nach der erfreuenden Antwort schob er die Karten zusammen und verlor sie wieder. Seine Mimik verriet, dass es nicht gewollt war.
Zitternd machte er einen neuen Fächer mit den vier Karten. „Du musst ziehen.“ Mit der Auswahl beeilte er sich, damit er sich nicht länger anstrengen musste. Die Karten fielen wieder und zeigten, dass es drei Asse waren. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Ihm war klar, das Pik Ass kein Ass gezogen hatte. „Das war doch gar nicht schlecht. Pik Ass hat es geschafft, von drei Assen das Herz zwei zu ziehen. Weißt du, was dass aussagt? Ich bin ein ziemlicher Pechvogel.“ Er lachte und legte den Arm um ihn.
„Kopf hoch. Mit etwas Übung zieht auch ein Pechvogel wie ich ein Ass.“ Das Kind wurde zu müde, um wirklich enttäuscht zu sein. Weshalb er auch nach kurzer Zeit in seinem Arm einschlief. Das Geräusch, das sein Magen machte, ließ darauf schließen, das er wieder etwas gegessen hatte. Ob es diesmal drin blieb? Der Mann versuchte wach zubleiben, um eben dies zu kontrollieren. Allerdings übermannte ihn seine körperliche Schwäche wenige Sekunden vor dessen Aufwachen.
Jamiro nahm sich die Karten und versuchte seinen Trick noch einmal. Weitere zehnmal übte er, bis der Kartenonkel wieder aufwachte. Er grinste wieder frech und hielt ihm die vier Karten einzeln hin. „Kein Ass dabei?“ „Nein.“ „Zieh eine Karte!“ Diesmal zog Pik Ass die gleichnamige Karte. „Zieh noch eine.“ Alle Vier entpuppten sich als Asse. „Klasse. Du könntest zur Optik am Anfang vielleicht immer nur ein Symbol verwenden. Herz, Kreuz, Pik und Karo, verstehst du?“
Die Freude war dem kleinen Jungen anzusehen, als er ihn ein zweites Mal um den Trick bat. Von diesem Tag an führte Jamiro ihm den Trick täglich zweimal vor. Bis zu dem Tag wo er seinem Freund erklären wollte, dass er wieder nach Hause konnte. Pik Ass wusste es schon längst und lächelte dem traurigen Jungen aufmunternd zu.
„Hier“, krächzte er schwach und drückte dem Jungen sein Kartendeck in die Hand. „Aber es sind deine.“ „Sie gehören in die Hände eines Magiers und der bist du, kleiner Mann.“ Er strich ihm über den Kopf und blickte zu den wartenden Eltern. „Geh nur. Sie warten auf dich.“ Er stieß ihn sanft in die Richtung. Ein zweiter sanfter Stoß setzte ihn schließlich in Gang. Als er zur Tür herausgetreten war, waren die Augen des Mannes geschlossen und seine Arme hingen schlapp zum Bett herunter.
Jamiro stieß ein Seufzen aus. Warum war er auf die Idee gekommen mit seinen Eltern Möbel einkaufen zu gehen? In allem konnten sich seine Eltern nach zwei drei Sätzen einigen aber bei Möbeln trennten sie Welten.
Er setzte sich an einen ausgestellten Esstisch und zog seine Karten hervor. Die vorderste Karte zeigte eine Kreuz drei. Auch diese hatte er als Kind einer Person gewidmet. Nur hatte er über die Jahre hinweg vergessen, wer es war. Zumindest wusste er noch, dass sie oder er einen kurzen Teil in seinem Leben einnahm.
„Blumen! Herr Gott, wie oft noch?! Das sind Blumen!“, brüllte eine Frau direkt hinter ihm ein Kind an. Damit fand sich seine Erinnerung wieder. Es fand im Garten vor dem Elternhaus statt. Er war gerade erst zehn geworden. Sein erstes Jahr in Freiheit. So hatte er es bezeichnet.
Die Ungeduld, die er beim Warten auf seinen Vater verspürt hatte, fühlte er wieder. Unbedingt wollte er ihm seinen neusten Trick zeigen aber er kam und kam nicht. Stattdessen rannte ein etwa gleichaltriges Mädchen wie von der Tarantel gestochen auf den Zaun zu. Sie sprang drüber, stieg auf den Tisch, überquerte ihn und landete im Rosenbusch.
Noch ehe er zum Hinterfragen kam, tauchte ein aggressiv schimpfender Mann auf. So schnell konnte er gar nicht reagieren, wie er ihn mit „Hey du Scheißkerl“ am Hals packte. „Wo ist das Mädchen?“ Ohne groß nachzudenken, deutete er die Straße weiter. Umgehend ließ er von ihm ab und folgte seiner Beschreibung.
Erst als er aus dem Sichtfeld war, fing er sich und reichte dem Mädchen im Rosenbusch seine Hand. Diese zögerte ängstlich. „Ich hab ein Baumhaus, worin du dich verstecken kannst“, sagte er mit seinem altbekannten frechen Grinsen. Sie nahm seine Hilfe an und ließ sich ins Versteck bringen. Er schleppte Decken, Kissen und etwas zum Verarzten ins Versteck. „Hast du es bequem so?“ Sie antwortete nicht, da sie noch unter Schock stand. Unbekümmert davon begann er die Dornen zu entfernen. Nachdem er die Wunden versorgt hatte, kletterte er wieder herunter, um ihr Essen und Trinken zu besorgen. Allerdings war sein Vater schon da, der sich über seine große Ausbeute natürlich wunderte.
„Ich hab jemand gefunden, der meine Zaubertricks sehen will“, log er ohne die Miene zu verziehen. „Wie wäre es, wenn du erst fragst, bevor du das alles nimmst?“ „Darf ich?“ Noch kam keine Erlaubnis. „Darf ich bitte das Essen nehmen?“ „Okay aber du isst nur so viel, wie du kannst und den Rest bringst du wieder mit. Außer dem hier.“ Drei Dinge nahm er herunter.
„So viel zu strenger Vater“, beschwerte sich dessen Frau, die ihren Jungen nur mit der Ausbeute an sich vorbeiflitzen sah. „Nach seiner langen Krankheit hat er es schwer genug Freunde in der Schule zu finden. Ich zwing ihn später zum Lernen.“
Wieder im Baumhaus angelangt, breitete er seine Ausbeute aus. „Nimm, was dir schmeckt. Wie heißt du eigentlich? Ich bin Jamiro Erkwin.“ Sie blickte ihn schweigend an. Offenbar hatte sie nicht vor zu antworten. Lediglich ihr Blick erklärte ihn für verrückt.
„Ich bin Magier. Willst du was sehen?“ Da sie vermutlich eh nicht antworten würde, zog er bereits seine Karten. Er hielt die Kreuz drei hoch. „Diese Karte … “, begann er und knüllte sie in seiner Hand zusammen. „Mache ich zu …“ Er öffnete seine Faust und hatte dreimal das Kreuzsymbol in der Hand.
„Blumen!“, unterbrach sie überrascht und nahm die Papierstücke, die nur etwas größer als die Kartensymbole waren. „Kreuze!“, verbesserte er sie unnötigerweise, da sie ihm eh nicht zuhörte. Eingeschnappt zog er sich damals zurück.
Eine begeistere Jungenstimme riss ihn aus den Gedanken. „Nochmal“, forderte ein Junge, der vermutlich erst zehn war. Erst jetzt begriff er, dass er gedankenverloren den Trick von damals gemacht hatte. Allerdings waren die Kreuze diesmal kleine Schlüssel.
„Nicht jetzt! Mama hats eilig.“ Die Frau im Anzug, die ihr Kind zuvor schon angeschrien hatte, schob ihn weiter. „Du hast es immer eilig!“ „Ja irgendwoher muss das Geld ja kommen oder meinst du die Dinge, die du ständig kaputt machst, reparieren sich von alleine?“ Das Gespräch ging am Handy weiter. „Endlich, es war 16:30 Uhr ausgemacht. Sie haben fünf Minuten!“ Sie legte sauer auf und in genau diesem Moment rannte der Kleine davon. Direkt in eine Frau, die Gläser transportiert hatte. „Na toll! Wie viel?“ Sie ging hin und zog ihren Sohn auf die Beine.
Jamiro mischte sich ein, in dem er der Frau mit den Gläsern deutete, dass er zahlte. Zunächst aber sorgte er sich um den kleinen Jungen. „So, ist doch nichts Großes passiert.“ „Nichts Großes?! Ich weiß langsam nicht mehr, wie ich seine Schandtaten finanzieren soll. Ja, natürlich sagen alle mal wieder Rabenmutter. Wie geht die mit ihrem Kind um. Sie können ja alles besser! Haben sie einen Vollzeitjob, ein hyperaktives Kind, ein Kindermädchen, das kommt, wie es gerade Lust hat? Hör auf zu flennen und komm jetzt!“
„Hören sie, ich wollte ihnen keinen Vorwurf machen. Ich wollte ihnen meine Hilfe anbieten. Kann ich ihnen zum Beispiel die Tüten abnehmen? Dann können sie sich erst einmal ganz in Ruhe um ihren Sohn kümmern.“ Er nahm der verblüfften Frau die Tüten ab.
Anschließend fragte er die Angestellte nach ein paar Pflastern. Diese wurden zu erst ihm angeboten aber er schob das Angebot an die Mutter weiter. Sie nahm es und kümmerte sich um ihren Sohn. „Entschuldige“, brach sie in Tränen aus. „Die Mama wollte nicht so gemein sein.“ „Versprich deiner Mama mal, dass du ab jetzt vorsichtiger bist, ja?“ Der Kleine nickte ihm eifrig zu und versprach es seiner Mutter. Diese lächelte sogar.
„Du kannst deine Mama auch entlasten, wenn du möchtest. Du kannst diese Tüte hier nehmen.“ Jamiro gab ihm die Kleinste der drei Tüten, aus dem ein Stofftierlöwe schaute. „Ich nehme ihnen die anderen Tüten, wenns recht ist?“ „Danke“, strahlte sie erleichtert und nahm ihren Sohn an die Hand. „Ich muss nur noch an die Kasse.“
An der Kasse musste Jamiro erneut verhindern, dass dem Jungen zu langweilig wurde. Während des Wartens zauberte er ihm einen Stressball herbei und brachte ihn mit einem Witz zum Lachen.
Auf dem Parkplatz wandte sich die Frau ihrem Helfer dankbar zu. „Sind sie Vater, Herr Erkwin? Sie sind sicher ein toller Daddy.“ „Danke für das Lob aber ich glaube, ich würde meine Kinder zu sehr verwöhnen, wenn ich denn welche hätte."
Er knickte die Kreuz drei Karte in seiner Hand und deckte sie mit dieser zu. Beim Öffnen lagen statt der Spielkarte zwei Eintrittskarten zu seiner Show darin. „Wenn sie etwas entspannen wollen“, sagte er und legte sie in den Kofferraum. Dann entfernte er sich.
„Ich finde es sieht eher nach einer Blume aus.“ Er schmunzelte und dachte an den Tag, nachdem er Kreuz drei kennengelernt hatte. Sie war einfach verschwunden ohne ein Wort. Überhaupt war ''Blume'' alles, was sie jemals in seiner Gegenwart gesagt hatte.
Der Flutregen hatte erst aufgehört. Dunkle Wolken bedeckten noch immer den Himmel. Es sah so aus, als würde es jeden Moment wieder von Neuem beginnen. Trotzdem musste Selina Herz die Trockenphase nutzen, wenn ihr Hund nicht in die Wohnung machen sollte. Sie streifte sich ihre Sachen über und leinte ihren Rüden an. Es brauchte Überzeugungsarbeit ihn hinauszubringen. Nachdem ihr das gelungen war, stürmte er jedoch munter voraus.
Nach einigen Metern fand sie eine Pik sechs Karte an der Straßenkante. Zwei Schritte nach der durchgeweichten Karte lag im gleichen Zustand eine Pik neun und eine Karo zehn da. Immer mehr Karten lagen durchgeweicht am Boden. Dem Weg der Karten gefolgt, stand sie mitten in einem Acker vor einem beschädigten Motorrad. Sie schaute sich um aber kein Fahrer oder eine Fahrerin war zu sehen. Überhaupt war gar niemand zu sehen.
Ihr Hund beschnüffelte eifrig die noch warme Maschine. Wäre der Krankenwagen oder die Polizei hier vorbeigekommen, hätte sie das Zuhause gehört. Sie suchte den Umkreis davon ab. Hoffentlich blutete er oder sie nicht. Sie konnte nämlich kein Blut sehen. Etwas Rotes im hohen Gras erschrak sie aber es war zum Glück kein Blut. Es war nur das Symbol des Karo Buben. Er oder sie waren also diesen Weg entlang gegangen. Zu blöd, dass dieser Weg zu einem großen Wald führte. Wenn sein Vorsprung zu groß war, würde es Tage dauern, ihn darin zu finden. Tage, die er möglicherweise schwer verletzt nicht hatte.
Während der Rüde mit Kraft den Weg verfolgte, versuchte sie den Notruf abzusetzen. „Ich hab ihn“, verkündete sie, nachdem sie eine taumelte schwarze Person in der Ferne erkannte. „Direkt am Waldrand.“ Sie wurde nun auch schneller, da sie die Person stürzen sah. „Stehen … liegen bleiben, meine ich“, rief sie, als die Person mit Helm wieder aufstehen wollte. Die Entfernung reichte schon, um zu erkennen, dass zumindest eins seiner Beine in Mitleidenschaft gezogen wurde. „Bein … Fuß … Sitz.“ Die Frau war völlig durcheinander. Sie legte die Leine über ihren Hund, für den das Kommando gedacht war. Dann eilte sie zu dem Mann.
„Alles gut“, stotterte sie und griff die Schultern des Mannes. „Reden sie mit mir! Bleiben sie ruhig liegen! Hilfe ist sofort da.“ Er antwortete aber nur in sinnlosen Silben. „Kriegen sie Blu … Luft?“ Während der Frage öffnete sie den Helm. „Wo … Wo bin ich?“, fragte er. „Blutend bleiben. Liegen! Liegen natürlich. Nicht weiter bluten. Reis dich zusammen! Reis dich zusammen! Im Wald, am Wald, in Trommdach. Trommdacher Wald.“ „Aha“, erwiderte er gefasst und blieb nun ruhig im Matsch liegen.
„Sind sie noch wach?“ „Nee Tod.“ „Was? … Idiot!“ „Ich spür mein Bein nicht.“ „Dafür konnten sie aber noch ziemlich gut laufen.“ „Nein, im ernst! Ich spür mein rechtes Bein nicht.“ „Ihr Linkes ist aber verletzt.“ „Das schmerzt auch verdammt aber mein Rechtes geht nicht. Ich kanns nicht anheben.“ „Jetzt werden sie hysterisch.“ Sie drehte sich zu den Beinen. „Blut!“ „Hey! Nicht ohnmächtig werden!“ Er stieß gegen ihr Knie, was ihm offenbar selbst schmerzte.
Seine Hände gingen zum Helm hoch, den er sich dann abnahm. Diese Bewegung bereitete ihm auch Schmerzen. „Ah! Verdammt. Was ist denn passiert?“ „Das wissen sie nicht?“ „Nein. Nein, das weiß ich nicht.“ Nach kurzem Überlegen fragte er unsicher „Sollte ich sie kennen?“ „Woher denn? Nein, wir kennen uns nicht. Sie sind definitiv kein Trommdacher.“ Er schwieg, als hätte ihm etwas die Stimmung verdorben.
„Haben sie noch etwas vergessen?“ „Ich weiß nicht, wer ich bin“, antwortete er kleinlaut. Sie schwieg besorgt. Dann verzog sich ihre Mine ins Ungläubige aber ehe sie in dieser Art etwas formulierte, sagte sie: „Kopf still halten, gar nichts mehr bewegen.“ Wieder verstrich Zeit des Schweigens. „Was mach ich eigentlich, wenn sie hier verbluten?“ Er hob wieder etwas den Kopf. „So stark ist es nicht.“ Hektisch drückte sie ihn wieder runter.
Seine Sorge galt wohl eher ihr, als er gelassen fragte: „Spielen sie Karten?“ Verwirrt blickte sie sich in die Hand. Wann hatte sie denn die Herz acht aufgehoben? Es war wohl auch die einzige Karte, die nicht beschädigt war. „Ich fürchte der Rest davon ist hinüber.“ Sie blickte wieder zu ihm auf. „Hören sie? Da kommt schon der Krankenwagen.“ Er antwortete nicht. „Hallo. Jetzt machen sie aber mal nicht schlapp auf den letzten Metern.“ „Ich bin doch da.“ „Sah aber gerade anders aus.“ So lang er untersucht wurde, ging Selina so weit weg, wie sie bis zum Verladen kam. Trotzdem bekam sie beim Einschieben in den Krankenwagen das Blut zu sehen und fiel doch noch in Ohnmacht.
Am nächsten Tag schaute sie bei ihm im Krankenzimmer vorbei. Anlass hierfür war, dass er bereits gehen wollte. Dies bestätigte sich, als sie ihn beim Schuheanziehen vorfand. „Sicher, dass sie gehen wollen?“, fragte sie und half ihm schließlich beim Binden der Schuhe. „Sie sind doch noch nicht fit.“ „Ich muss zur Unfallstelle.“ „Und was wollen sie da?“ „Mich erinnern natürlich.“
Mit Hilfe zweier Krücken stellte er sich auf. Es sah für seinen Besuch wohl ziemlich witzig aus. „Verzeihung. Mein Bruder würde ihrer Haltung eine Eins mit Genickbruch geben.“ „Komischer Kauz, ihr Bruder.“ „Das sind sie alle, glauben sie mir.“ Sie blockierte den Türknauf, damit er es sich vielleicht noch einmal überlegte. Doch es löste wieder einmal nur Schweigen aus.
„Ich fahr sie. Man kann sie wohl eh nicht aufhalten“, seufzte sie. „Richtig.“ Nachdem sie die Tür aufgezogen hatte, ging er voran und sie ihm nach. „Sie haben also Geschwister?“ „Sieben Brüder, um genau zu sein, alle älter. Einer davon repariert gerade ihr Motorrad. Ich konnte ihn nicht davon abhalten. Er ist halt ein Motorrad-Fan durch und durch.“
„Ich hoffe er hat Ahnung, nicht das ich meinem Unfall einen unbegabten Mechaniker zu verdanken habe.“ „Wohl eher dem Regen. Wie kommt man bei solch einem Regen überhaupt auf so eine dumme Idee?“ „Ich erinnere mich weder an den Regen noch das ich gefahren bin. Diese Frage müssen wir dann wohl verschieben.“
„Sie nehmen das alles auch noch mit Humor.“ „Wäre es ihnen lieber, ich würde wegen meiner Maschine heulen, von der ich nicht mal etwas weiß?“ „Das wäre ziemlich dreist und irgendwie komisch und absolut mein Bruder.“ Er lachte über ihre Überlegung. „Der Mechaniker nehm ich an?“, fragte er und quälte sich in ihr Auto. Sie übernahm seine Krücken, die sie in den Kofferraum warf. Danach setzte sie sich ans Steuer.
„Sie wollen also zur Wiese? Dann mal los.“ Während der Fahrt bemerkte er, dass sie zum Rasen neigte. An der Höhe angekommen, wo sie das Motorrad gefunden hatte, half sie ihm aus dem Auto heraus. Er stand einige Minuten da, ohne sich zu regen oder zu sprechen.
„Es kommt nichts oder?“, fragte sie vorsichtig und ging auf ihn zu. Sein Gesicht wirkte verkrampft und verzweifelt. „Das wird schon. Ganz sicher. Ich hab hier ganz in der Nähe eine leer stehende Wohnung. Die kann ich ihnen geben. Kommen sie. Was nicht will, wird schon kommen oder so.“ „Ich kann sie aber nicht bezahlen.“ „Das klären wir, wenn ihr Kopf wieder mitmacht. Steigen sie ein. Es ist nicht weit.“ Die Fahrt kam ihm wirklich so vor, als habe sie nur zwei Sekunden auf dem Gaspedal gestanden.
Im Hof vor dem Haus stand seine Maschine in Einzelteilen verlegt. Eigentlich nicht mehr wiederzuerkennen. „Wohnt noch jemand hier?“, fragte er Schmerz gekrümmt, während er sich aus dem Auto herausziehen lassen musste.
„Nein. Ich weiß auch nichts davon, dass mein Bruder ihre Maschine hier zusammen bauen wollte.“ „Meine Maschine? So sah sie doch hoffentlich nicht beim Unfall aus?“ „Mein Bruder hat die Reparatur wohl etwas zu genau genommen aber keine Sorge, ich werde dafür sorgen, dass er nur das in Rechnung stellt, was auch wirklich kaputt war. Die Tür ist ja offen!“ Sie ließ ihn so schnell los, dass er ins Auto zurückfiel. „Nächstes mal mit Vorwarnung bitte“, stöhnte er schmerzlich und versuchte sich erneut aus dem Auto zu stemmen.
Die Frau währenddessen nahm sich einen Stein am Eingang. „Sie sollten etwas nehmen, wovon sie nicht ihn Ohnmacht fallen“, rief er ihr zu und gab seinen kläglichen Versuch auf. Jedoch war sie schon so auf ihre Verteidigung eingestellt, dass sie es gar nicht mit bekam.
Im Inneren sah sie niemand. Das aber jemand hineingegangen war, sah sie am frischen Dreck. Sie ging weiter hinein. Der Stein zum Angriff bereit. „Suchst du was?“ Hektisch drehte sie sich um und ließ den Stein fallen. „Gregor!“ Ein unterdrückter Schmerzensschrei hinderte den Mann daran sofort zu antworten. „Wieso wirfst du mit Steinen um dich? Hast du eine Ahnung, wie das weh tut?“ „Ich dachte, du wärst ein Einbrecher! Idiot, wie kommst du überhaupt rein?“ „Mit dem Schüssel natürlich. Ich dachte, ich zieh ein paar Tage hier ein.“ „Und da hast du nicht die Idee zu fragen? Das ist meine Wohnung!“ „Sie ist leer, seit Jahren. Du wirst doch wohl nicht deinen Bruder vor die Tür setzen, nicht nachdem du mir den Stein auf den Fuß geworfen hast.“ „Erstens, selber Schuld, zweitens, woher hast du den Schlüssel und drittens, nein, du kannst hier nicht wohnen, trotz Stein.“
Diesem Gregor schien die aufgebrachte Schwester völlig kalt zu lassen. Er wandte sich ab und äffte ihr nach: „Erstens, brauche ich etwas zum Verarzten, zweitens, habe ich seit Ewigkeiten den Zweitschlüssel und drittens, wüsste ich nicht, was dagegen sprechen würde, dass du deinem armen Bruder mal eben unter die Arme greifst.“ „Deine dämliche Ignoranz! Verarzte deinen Fuß und verschwinde. Das Haus ist vermiedet.“
„An wenn? Er muss wohl unsichtbar sein.“ „Nein, das bin ich nicht.“ Auf seine Krücken gestützt hatte er es ins Haus geschafft. „Wenn meine Maschine bis morgen nicht wieder am Stück ist, zeige ich sie wegen Diebstahl und Sachbeschädigung an.“ „Hey ganz ruhig okay. Ihr Maschinchen wird besser aussehen, als jemals zu vor.“ „Ich hab weder eine Reparatur noch ein Tuning bestellt. Geben sie ihr den Schlüssel, bevor ich mir ihre Frist überdenke.“ Knirschend drückte er seiner verwirrten Schwester den Schlüssel in die Hand und drängte sich mit Gewalt an ihm vorbei.
„Danke“, stotterte sie, als er die Tür hinter ihm geschlossen hatte. „Sind alle ihre Brüder so?“ „Idioten sind sie alle aber er ist seit dem Flop mit seiner Werkstatt die Gehässigkeit in Person. Ich schulde ihnen was.“ Er lachte. „Nachdem sie mir die Wohnung schon bereitstellen? Lassen sie's gut sein.“ „Ich … Wie? … Verzeihung.“ „Was sind sie denn so durcheinander? Blute ich irgendwo.“ Die Absuche ergab nichts. „Verzeihung, Verzeihung … ich … ich bin einfach ein sehr verwirrter Mensch. Es ist irgendwie komisch … komisch sie ohne Namen anzusprechen.“ „So? Dann geben sie mir doch einfach einen.“ „Wie? Ich soll ihnen einen Namen geben? Ich … ähm.“
Er zog einen Stuhl vom Esstisch zurück. „Setzen sie sich, bevor sie mir noch umkippen.“ „Und sie?“ „Ich bleib lieber stehen, bevor ich wieder ein halbes Jahrhundert brauche um aufzustehen.“ „Ach so.“ Sie zögerte. Schließlich setzte sie sich dann doch auf den Stuhl.
„Zuerst sollten wir vielleicht klären, ob wir uns duzen oder siezen.“ „Duzen? Um Himmels willen, sie machen mich fertig. Ich kann ihnen doch nicht einfach einen Namen geben.“ „Es dient ja nur zur Kommunikation. Also, du ist für mich okay. Sie sind?“ „Selina, Selina Herz.“ „Schöner Name und passt zu ihrer Karte.“ Woher kam diese Herz acht schon wieder? Sie erinnerte sich nicht daran, es genommen zu haben. Das machte sie wahnsinnig. „Wenn ihnen nichts einfällt, auch okay. Ich lass mich überraschen. Wo ist denn das Bad?“
Am nächsten Tag brachte ihm Selina augenscheinlich beruhigt das Frühstück vorbei. „Ich … ich hab Frühstück mitgebracht. Entschuldigen sie, ich bin einfach reingekommen.“ „Bleiben sie ruhig. Ich bin sofort da.“ „Brauchen sie Hilfe?“ Sie legte die Bäckertüte auf den Tisch. „Nein, alles in Ordnung.“ Kurz darauf kam durch die Tür. „Sie haben aber mit einem großen Hunger gerechnet“, stellte er nach einem Blick auf die Tüte fest. „Ich wusste nicht, was sie mögen und dann dachte ich mir, wir könnten vielleicht zusammen essen.“ „Gute Idee. Setzen sie sich.“ Wie auf Kommando nahm sie am Tisch Platz. Über ihre steife Art lachte er noch aber er selbst konnte sich kaum graziler hinsetzen.
„Jamiro“, sagte sie plötzlich und schwieg. Es wirkte, als überdenke sie das Ganze nochmal. „Was meinen sie?“ Abwesend begutachtete er das mit gebrachte Essen, als ob er dies durch die Tüte hindurchsehen konnte. Dabei entging ihm ihre nervösen Blicke und das sie sich zur Ruhe zwingen wollte. „Jamiro wäre doch ein schöner Name“, wiederholte sie mit einem aufgesetzten Lächeln.
Seine Mimik blieb unbekümmert. Statt etwas zu erwidern, griff er in die Tüte. „Stopp! Was ist wenn sie eine Glutenunverträglichkeit haben?“ „Das wird sich zeigen“, sagte er und biss einfach ab. „Ich bin überrascht, wie kreativ sie sind. Gut dann bin ich also der Jamiro.“ „Ich notiere mir, dass sie lebensmüde oder dumm sind“, nuschelte sie in sich hinein.
„Bevor ich's vergesse“, sagte er und schob einen Hunderterschein über den Tisch. „Betrachten sie's als Vorauszahlung.“ „Wie … ich … ich dachte, sie könnten nicht zahlen.“ „Kann ich auch nicht. Das war alles, was ich bei mir hatte, zusammen mit dieser verbeulten Plastikschachtel.“ Er deutet auf eine durchsichtige Kartenschachtel, die im Deckel einen Knick mit winzigem Loch hatte.
„Daher also all die Karten.“ Abgelenkt holte sie die letzte noch darin liegende Karte heraus. Es war die Kreuz sieben. „Jetzt haben sie immerhin noch zwei heile Karten.“ Sie legte die Herz acht und die Kreuz sieben auf den Tisch. Beides schob sie ihm zu. „Schön aber ich hab keine Ahnung, was ich damit soll. Spielen geht damit wohl kaum noch.“ „Ein Zaubertrick vielleicht?“ „Sie denken, ich bin ein Zauberer?“ Mühsam stand er auf. „Ich glaube, ihnen geht die Fantasie durch“, sagte er so kühl, nachdem er an sich hinunter geschaut hatte.
Sie fluchte und sprang so schnell auf, dass der Stuhl kippte. „Sie sind Magier! Verdammt, ich kenn sie! Sie sind Jamiro Erkwin.“ „Sie kennen mich aber?“ „Ich hatte gehofft, ich könnte irgendwie Geld mit ihnen machen. Ich hab Schulden, hohe Schulden.“ „Sie wollten mich entführen?“ „Nein! Keine Ahnung. Ich hatte keinen Plan. Als sie das Krankenhaus unbedingt verlassen wollten, dachte ich, das ist meine Chance.“
Jamiro steckte sich die Karten in die Tasche und nahm den Helm vom Tisch. Eine Polizeisirene war in der Stille zu hören. „Sie haben … ?“ „Ihr Bruder hat meine Maschine gestohlen“, unterbrach er kühn und ging nach draußen. Als sie ihn mit einem Polizisten reden hörte, bekannte sie sich ihrer Schuld und ging ebenfalls hinaus. Schweigend wartete sie dort auf ihr Urteil.
Die Krücken lehnten außerhalb seines Sichtfelds. So war es ihm leichter gefallen, sie über die Show hinweg zu ignorieren. Allerdings ließen nun auch die Schmerzmedikamente nach. Weshalb er allmählich begriff, gut war das Ganze nicht. Zudem musste er sich aus seinem Schuh herausschneiden lassen, da sein schlimmeres Bein geschwollen war und er von alleine nicht mehr heraus kam.
„Wie kannst du nur so unvernünftig sein?!“, kreischte seine Mutter, die bislang eigentlich nur etwas vom Diebstahl seines Motorrads gewusst hatte. „Halb so schlimm.“ Ihr Blick zeigte deutlich, dass sie ihm für diese offensichtliche Lüge am allerliebsten ein Ohrfeige gegeben hätte.
„Hattest du eine OP im Urlaub?“, fragte sein Vater gelassen, nachdem er die Narbe am Schienbein entdeckt hatte. Zügig nahm er sein Bein herunter. „Nichts Ernstes.“ Unbedacht widerlegte er seine Aussage, indem er die vierte Schmerztablette zu sich nahm. Seine Mutter riss ihm die Schachtel aus der Hand. „Für nichts sind die aber ganz schön stark, mein Lieber! Was ist wirklich passiert, als du weg warst?“ Sie versuchte ruhig zu bleiben. Doch ihr lieber Herr Sohn zog es vor abwesend mit einer Karte herumzuhantieren.
„Schatz“, unterbrach sein Vater das brodelnde Schweigen und warf ihr einen Autoschlüssel zu. Im gleichen Moment griff er nach Jamiros Herz Buben Karte und entfernte sie aus seiner Hand. Er ließ es zu, sah dabei aber keinen an. Schließlich ging seine Mutter, laut und unmissverständlich verärgert.
„Wer ist Herz acht?“ Auf der abgenommenen Karte hatte sich das Motiv geändert. „Ich mach das nicht mehr“, erwiderte er und trank etwas. „Eine Frau also. Hübsch? Ich hoffe nicht so anstrengend wie deine Mutter.“ „Für das, dass sie so anstrengend sein soll, hängst du ganz schön an ihr.“ „Na, sie hat ihre positiven Seiten, wie jeder Mensch. Mein dickköpfiger Sohn hat die auch.“
Tatsächlich rang er sich durch seinem Vater zu erzählen, was passiert war. Nur was den Unfall ins Genauere betraf, konnte er ihm nach wie vor nicht erklären. „Und jetzt weißt du nicht, ob es richtig war?“ Jamiro schüttelte den Kopf und zog eine Karte vom Deck. Diese ließ er aber verdeckt vor sich liegen. „Ja das weiß ich tatsächlich auch nicht aber Reue ist bekanntlich der Weg zur Besserung. Ich schau mal, ob ich etwas auftreiben kann.“ „Meine Krücken reichen. Gib sie mir nur.“ „Mit den Beinen läufst du mir nirgends mehr hin. Wenn der hier mal nicht gebrochen ist.“ „Du willst dir bloß nicht den Kopf abreisen lassen. Okay aber dann beeil dich. Die Ungeduld hab ich definitiv von ihr.“
Sein Vater klopfte ihm auf die Schulter und behauptete, die gezogene Karte sei eine Kreuz sieben. Die Nachkontrolle gab ihm recht. War er nun der Magier? Schmunzelnd schob man es ins Deck zurück. Währenddessen startete die Suche nach einem improvisierten Rollstuhl.
Nach mindestens zwei Minuten tauchte plötzlich eine im Mantel gehüllte Person hinter ihm auf. „Jamiro Erkwin?“ Die Stimme war kratzig aber definitiv weiblich. Ihr Gesicht konnte er wegen ihrer gebückten Haltung und der Kapuze nicht erkennen. Dennoch hatte sie etwas Vertrautes. Mechanisch streckte sie ihren Arm in seine Richtung aus. „Sie haben etwas verloren, schätze ich.“ Der Ärmel rutschte zurück. Eine zierliche zerkratzte Hand hielt ihm eine Spielkarte entgegen. „Sie müssen zu mir kommen. Ich kann nicht aufstehen.“ Ihr Kopf bewegte sich. Anscheinend überprüfte sie, ob er log. Danach kam sie langsam näher.
Mit einem weiten Abstand, der ihm immer noch einen Blick verwehren sollte, reichte sie ihm erneut das wertlose Stück. Er grinste und umgriff mit beiden Händen die ihre. „Nein, die habe ich dir geschenkt, Selina.“ Er ließ ihre Hand wieder los. Die Herz acht Karte war nun mit "Jamiro" unterschrieben. „Das …“, kam sie ins Stottern, wurde aber von der aufgehenden Tür unterbrochen.
Der hektische Mann verrammelte sofort die Tür und richtete geschützt von seiner Maske eine Pistole auf die beiden. „Ach, was für ein hübsches Zusammentreffen. Dann kann ich euch gleich beide kalt machen.“ Er riss sich die Maske vom Kopf und wechselte sein Ziel zwischen ihnen hin und her. „Nur mit wem fange ich an?“ Selina wandte sich zum bewaffneten Bruder, stand aber immer noch so, das sie Jamiro hinter sich halber verbarg.
„Du kleine Schlange.“ Die Waffe verharrte auf ihr. Er setzte den Schalldämpfer auf und zielte erneut auf sie. Seine Mimik zeigte alle Gehässigkeit, die er hatte. „Nach allem, was ihre Schwester für sie getan hat?“ Der Lauf zielte wieder auf ihn. „Haben sie sich nie gefragt, weshalb ihre ersten Kunden sauer waren aber dennoch alles gezahlt haben? Warum haben ihre ersten Kunden Dinge gezahlt, die sie nicht haben wollten?“ Er begann zu überlegen. „Ich hab die Reste gezahlt“, gestand sie und nahm eine selbstbewusste Haltung ein.
„Ich wollte, das dein Traum sich erfüllt aber du wolltest ja nie aufhören, zu viel zu tun. Egal was ich auch sagte und irgendwann war mein Geld weg. Ich konnte dir nicht mehr helfen.“ Sie nahm die Kapuze herunter und schaute ihn bedauernd an. „Du lügst!“ Die Waffe schwenkte sich wieder auf sie. „Du sagtest ich und meine scheiß Firma sollten doch im Dreck versinken.“ „Ich war sauer! Mein ganzes Geld steckte da drin. Ich hab mir Drohung angehört weil ich deine Kunden beruhigen wollte. Ich hab so viel getan. Du hättest einfach nur weniger tun müssen.“
„Was war ihr Traum?“ Jamiro legte seine Hand auf ihre Schulter und richtete sich schwerfällig auf. „Tierärztin wollte sie werden“, spottete er herablassend und zielte wieder auf die andere Person. „Dabei kann sie kein Blut sehen. Angefleht hat sie mich, ich sollte ihr helfen. Keiner war so dumm und hat sich extra geschnitten, nur damit sie ihre Angst verliert.“
Seine Hände begannen zu zittern. „Was hat es gebracht? Nichts!“ Seine Waffe wechselte wieder das Ziel. „Es war nur ein Tropfen aber du bis sofort in Ohnmacht gefallen. Wie hätte das jemals funktionieren sollen?“ „Gar nicht. Ihre Schwester hat ihren Traum aufgegeben und sie unterstützt.“ „Woher wissen sie das alles?“ „Ich bin Magier.“ Als Beweis zauberte er sich grinsend eine Kreuz sieben in die leere Hand und ließ sie wieder verschwinden.
Der Bruder senkte seine Waffe. „Ihr seid zu zehnt, Mensch. Macht was draus, anstatt euch umzubringen. Übrigens habt ihr nicht mehr viel Zeit, um zu verschwinden.“ „Wie?“ Seine Waffe zielte wieder auf ihn. „Es kommt gleich jemand wegen meiner Verletzung. Ich gebe ihnen Zeit zu verschwinden.“ „Ich bleibe!“ „Bist du blöd?! Sie buchten dich ein.“ Er steckte seine Waffe weg und riss seine Schwester am Arm zu sich. „Keine Ahnung, was sie für ein schräger Vogel sind aber meine Schwester geht nicht in den Knast weil sie so dumm war, hier herzukommen.“ Jamiro ging unbekümmert vom Fenster weg und deutete, dass er gehen sollte. Zuerst schob er seine Schwester hinaus, die gar nicht so recht wollte. Dann stieg auch er hinaus, ohne unvorsichtig zu werden.
„Jamiro?“ Sein Vater klopfte an die Tür. „Moment, meine Krücke verkeilt die Tür.“ Er kam nicht einmal zum ersten Schritt, als sein Vater die Tür aufstieß. „Himmel! Jetzt dachte ich schon, hier wäre jemand.“ „Außer mir meinst du? Ich glaube, das solltest du in deinem Alter nicht mehr tun.“ „Werd nicht frech, du Chaot! Ich finde immer noch, dass du mehr für deine Sicherheit tun solltest.“ „Ach so bekannt bin ich nicht.“ Jamiro setzte sich in eine Art Rollstuhl und ließ sich von seinem Vater hinausschieben.
Noch mal neu :)
Die Aufführung war wirklich dumm gewesen, das wusste er. Vor allem, wenn er sich das dicke Bein ansah, welches er auf der Rückbank vom Auto seiner Eltern hochgelegt hatte. Zudem war es äußerst beunruhigend, dass seine Mutter überhaupt nicht sagte. Nur mal eben kurz wütend in den Rückspiegel geschaut hatte, als ihm sein Vater rein geholfen hatte.
„Herz Dame, wollen sie denn nicht fahren?“, überrannte sein Vater das mulmige Gefühl, welches ihn fast zu einer Entschuldigung getrieben hätte. Aber warum wollte er sich entschuldigen? Die Aktion war dumm aber er war kein kleines Kind mehr, dass sich dafür entschuldigen musste. „Du fährst“, hielt sie sich knapp. Natürlich wollte er sich entschuldigen weil sie schon genug mit ihm gelitten hatten aber das Wort machte alles nur schlimmer, brachten die Krankheit wieder in ihre Köpfe.
„Gut, dann fahre ich.“ Anteilslos sah er zwischen ihnen hin und her. Es war eine Kurzschluss-Reaktion, dass er sie hatte zu sich kommen lassen. „Bube!“ „Hmh?“ Seine Mutter reichte ihm ein Getränk nach hinten. „Du kannst echt nicht aus deiner Haut, was?“ „An wen ich das wohl vererbt habe.“ Drängelnd wackelte sie mit der Flasche, die er ihr dann zur Wiedergutmachung abnahm.
„Warum habe eigentlich ich nie eine Krone bekommen?“ Verwundert sah er seinen Vater an. „Du hast mir mal eine gemacht, aus Papier“, ergänzte seine Mutter und begann zu kichern. „Sah die so scheußlich aus?“ „Nee aber wir dachten, du bist farbenblind.“ „Ich?“ Er wurde immer verwirrter. An eine Krone konnte er sich überhaupt nicht mehr erinnern.
„Papa hat dich ins Krankenhaus gebracht. Mama gings nicht gut.“ „Und die Krone sollte dich aufheitern?“ „Ich denke eher, du wolltest meine Bestimmerei symbolisieren.“ Jamiro lachte auf. „Nie im Leben, ich war ein braves, gut erzogenes Kind.“ Alle lachten laut los. Seine Mutter wurde als Erste wieder ernst. „Ich verlass mich darauf, dass du jetzt groß genug bist.“ „Sollte ich eigentlich sein. Ich überrage dich, Herz Dame.“ Er grinste in den Spiegel. „Habe ich jetzt eine Karte?“ „Sieh nach.“ In der einen Tasche fand sie nichts aber aus der anderen zog sie ein buntes Tuch, dass dort wohl nicht sein sollte.
„Park mal eben.“ Man sah seinem Vater an, dass er etwas aus Sorge fragen wollte aber er ließ es sein und fuhr in eine Lücke. „So, jeder nimmt eine Hälfte“ Jamiro hatte das rotorangene Tuch zusammen gerollt und hielt es zwischen den Sitzen durch. „Na los, festhalten ihr zwei.“ Zuerst gab sein Vater nach, dann folgte auch seine Mutter. Jeder deckte genau die Hälfte des Tuches mit einer Hand ab. Der Magier nahm seine bloße Handkante und durchtrennte den Stoff auf magische Weise.
„Ihr habt doch gerade davon gesprochen, dass ich farbenblind war, richtig?“ „Wir dachten es weil du deiner Mutter eine rote Krone gebastelt hast und behauptet hattest es sei golden.“ „Du wolltest es grün ausmalen, um Gold zu symbolisieren, hattest aber kein grün und deshalb einfach rot genommen.“
„So bin ich also, ein kreatives Kerlchen. Bitte öffnet eure Hände.“ Das darin jeweils das halbierte Tuch lag, war wohl jedem klar aber das es dunkelblau sein würde, mit einer goldenen Krone überraschte.
„Na, welche Farbe ist das, du Herz Bube, du?“, scherzte seine Mutter aufgeheitert. „Grün natürlich.“ Sein Vater lachte mit und bog wieder auf die Straße hinaus. „Entschuldige, dass ich damals so harsch war“, richtete sie an ihren Mann. „Du bist immer harsch, eine Königin eben.“ Kurz sah er in den Rückspiegel zu seinem Sohn. „Bei Hausdrachen sollte man immer einen Wassereimer parat stehen haben.“ „Ich gebe dir gleich einen Hausdrachen!“ Sie lachte als Einzige.
„Oh, ihr bringt mich ja doch nach Hause. Ich dachte schon, ich bekomme Hausarrest.“ „Na ja, wir wissen ja, dass du groß bist.“ „Vielleicht können wir erwartet, dass du etwas Vernunft hast und dir selbst Hausarrest gibst.“ „Du kannst echt nie aus deiner Haut.“ Darauf entgegnete sie nichts. Was aber ihre Haltung dennoch nicht verschlang. „Ich werde mich bemühen. Das kann ich dir versprechen.“ „Gut, dann halt dich dran.“
Neue Version (ersetzt wahrscheinlich das Untere)
Das Bein sah schlimm aus nach seiner Tortur mit der Aufführung. Er hatte es auf die Rückbank hochgelegt, auf der er im Auto seiner Eltern saß. Sein Vater fuhr, während seine Mutter ihn besorgt immer wieder im Rückspiegel betrachtete.
„Weißt du noch, Herz Dame?“, nuschelte er schlaftrunken zusammen. Danach schlief er tatsächlich an die Tür angelehnt ein. „Die unverwüstliche Herz Dame“, machte sein Vater schmunzelnd mit. „Ihr meint wohl den Drachen Herz Dame.“ Ein gemischter Blick aus Wut und Freude huschte über ihr Gesicht.
Als Jamiro krank war, hatte sie eine Art an sich, die jeden von ihrem geschwächten Kind fernhalten sollte, auch ihren Ehemann. Sie machte keinen Unterschied aus Freund oder Feind.
„Eure Papierkrone müssten wir noch haben, Majestät.“ In Gedanken versunken hatte sie das Anhalten an der Ampel nicht bemerkt. Trösten legte ihr Mann seine Hand auf die Ihre, schaute jedoch weiter auf die Straße.
„Meine Krone, ja. Da wollte er mich auch schon aufmuntern.“ „Auch gesunde Kinder basteln für ihre Eltern“, entgegnete er leise, nachdem er sich über die Abwesenheit des Schlafendens sicher war. „Mir hat er nie eine gebastelt.“ „Weil er viel zu beschäftigt damit war, mit dir Karten spielen zu können. Vielleicht war ich doch etwas neidisch.“ Sie lächelte und strich ihm über die Schulter, bevor die Fahrt dann wieder losging. „Du und neidisch?“ Nun grinste auch er. „Schatz wirklich, du bist alles aber niemals neidisch.“ „Bist du dir sicher?“ Mit diesem Eingriff wirkte sie eher angriffslustig. „Ich bin dein Ehemann! So etwas weiß ich.“ „Und trotzdem klingst du gleich wie unser Sohn.“
Die Blödelei verstummte bald und Schweigen kehrte wieder ein. Nach einiger Zeit stand dann plötzlich eine Frage im Raum. Wie gut hatten sie alle jenen Moment weggesteckt, als die Mutter vor Überlastung zusammengebrochen war.
Keinem war es leichtgefallen, ihr einziges Kind im Hospiz zu wissen. Ihr Mann hatte es ertragen, dass sie sich wie eine Furie benahm. Erneut legte sich seine Hand auf die ihr. „Wir haben es gemeinsam geschafft und unser Sohn ist eben der Energiebündel, der er immer schon war.“ Sie lächelte mühsam.
„Du meinst diesen unvernünftig Jungen da hinten.“ Jamiro wachte gerade auf. „Unvernünftig ist wohl mein Stichwort. Oh, ich hatte schon fast erwartet, ihr bringt mich zu euch.“ „Nein Junge. Wir wissen ja, du bist groß.“ „Aber eben unvernünftig, weiß schon. Mam mach dir keine Sorgen. Wird schon wieder mit meinem Bein.“ „Ach Junge, du machst es einer Mutter schon schwer aber bitte wirklich keine Anstrengung für das Bein. Ich verzichte auch auf die Erklärung, mein Lieber.“
Alte Version (wird vielleicht durch das Obige ersetzt / nicht korrigiert)
Als Kind war er bei so vielen Ärzten gewesen, das er sie irgendwann nicht mehr zählen konnte. Mit sechs Jahren begannen seine schon immer dagewesenen Bauchkrämpfe stärker und häufiger zu werden. Immer häufiger fehlte er in der Schule. Ein Jahr darauf war sein Zustand bereits so ernst, dass sein Leben nur noch zwischen Bett und Toilette statt fand. Stets wurde er von Papa oder Mama zwischen diesen beiden Orten hin und hergetragen. Alles hatten sie versucht um ihm am Leben zu halten aber er hatte nur eine Sorge. „Ich will spielen. Bitte lass mich spielen.“ Diese Worte mussten seinen Eltern so unwahrscheinlich weh getan haben. Sie wollten ihm ja ein normales Leben bieten. Ihm fehlte jedoch das Verständnis dafür.
Einmal gab es in dieser Zeit einen Tag der beschwerdefrei war. Zumindest so weit, dass er sich zu anderen spielenden Kindern schleichen können. Die verschwommene Erinnerung zeigte noch, das er es geschafft hatte sie anzubetteln. Der nächste Fetzen legte ihm jedoch das ausgelaugte Gesicht seiner Mutter nahe, die ihn vom Boden aufhob. Sein kleiner Ausflug hatte einen sehr langen Krankenhausaufenthalt mit sich gezogen. Warum auch immer war das die Zeit, wo er verstand. Plötzlich hatte er Angst vor seinem Zustand. Gefühlt weinte er aus Verzweiflung mehr als jemals zuvor wegen des Spielens. Seine Eltern meisterten aber auch diese Phase. Sie waren mit solch einer Ruhe an seiner Seite, dass ihn das selbst heute noch überraschte.
Als er Gehen konnte war er im ersten Moment ziemlich munter. Er war sogar auf seine Mutter zu gestolpert, als diese ins Zimmer hereinkam. Sie lachte zum aller ersten Mal völlig unbeschwert und nahm ihn in die Arme. Dieser Moment hatte ihn damals zuerst ziemlich verwirrt aber dann furchtbar glücklich gemacht. Er wollte es wieder sehen, also nahm er sich felsenfest vor nie mehr wegen Spielen zu quengeln. Na ja es hielt für wenige Sekunden. Sein Vater hatte ein viel benutztes Kartendeck bei seinem letzten Besuch verloren. Er war neugierig und fragte was das sei. Allein das Wort ''Spiel'' in ''Spielkarten'' ließ seinen Schwur brechen. Zum Glück verhinderte das kleine Missgeschick nicht, das sie erneut lachte. „Wenn du Papa ganz lieb fragst“, war ihre Antwort, die besser hätte nicht klingen können. Völlig aufgeregt wartete er auf seinen Vater. Leider aber entschied sich sein Zustand für Schlaf kurz bevor er kam. Als er aufwachte waren die Karten weg.
Es frustrierte ihn so sehr, das er beschloss alles und jeden zu ignorieren. Allerdings scheiterte dieses Vorhaben daran, das sein Vater rein kam und ihm das Spielen mit den Karten selbst anbot. Glücklicher hätte man den kleinen Jungen damals nun wirklich nicht mehr machen können.
Nach dieser wunderschönen kurzen Phase ging es wieder sehr schnell Berg ab. So schlimm, das er die Anwesenheit seiner Eltern nur noch gedämmt wahrnehmen konnte. Das war auch ein Grund warum er die Reise zu diesem ausländischen Arzt gar nicht erst mitbekam. Nur ein paar wenige Fetzen vor Ort waren übrig geblieben. Zu einem die merkwürdige Sprache, die sein Vater erwidern konnte und dann noch die Gesichter nach der Untersuchung. Der Arzt wirkte, als würde er jemanden über eine Dummheit belehren. Während sein übermüdeter Vater überaus besorgt drein schaute. Nur um dann später völlig schockiert aufzuspringen und nein zu brüllen. Ja, sein Vater hatte erfahren, das es keine Hilfe mehr für ihn gab.
Das Leben nach dieser Diagnose war wie ein Scherbenhaufen. Er schlief viel und lag nur noch im Bett. Seine Eltern stritten sich, das hatte er dennoch mitbekommen. Warum das so war hatte er sich aus Wortfetzen zusammen gereimt. Seine Mutter wollte mit zu dieser Untersuchung. Sie hatte sich aber erholen sollen, wozu sie sein Vater gezwungen hatte. Das Ergebnis von ihm zu hören reichte ihr nicht. Das warf sie ihm vor. Sein Vater beharrte darauf, dass sie das nötig hatte, er es nur gut meinte und es eh nichts geändert hätte. Letztendlich schien er ihr bestmöglich aus dem Weg zu gehen. Er kam nicht mehr ins Zimmer herein, wo seine Mutter über ihn wachte wie ein Hund. Auch wenn er alles nur noch so halb mitbekam, der Hass in ihr war echt.
Irgendwann gab es dann aber einen Abend oder eine Nacht wo sein Vater herein geschlichen kam. Er hatte etwas für seine Frau gekocht und stellte es auf den Nachttisch. Sie schlief noch mit der Papierkrone auf den Kopf. „Deine Mutter Königin?“ Obwohl sie schlief kam ein protestierendes Räuspern. „Selbst wenn sie schläft, hat sie was zu meckern.“ Obwohl das ziemlich beleidigt klang zeigte sein Grinsen Freude. Selbstverständlich korrigierte er seine Frage und nahm am Bett platz.
„Die Karten“, stammelte er und griff unter der Bettdecke hervor. Grinsend packte er die Karten aus und legte den Stapel unter die dürre Hand. Sofort schob er die mit dem Rücken nach oben liegenden Karten Stück für Stück herunter. Dann tippte er auf eine, die sein Vater ziehen sollte. „Mama“, sagte er und versuchte zu lächeln. Sein Vater hatte die Herz Dame gezogen, ohne das er es sehen konnte. Wie erhofft, machte es ihn glücklich. „Und was ist der Papa?“ Sofort machte er sich daran ihn den Herz König ziehen zu lassen. Das klappte auch. Nur als er den Herz Buben wollte lag er daneben. Wie er später herausfand, hatte sein Vater nämlich eigentlich den Pik Buben gezogen und nur so getan als wäre er richtig gelegen. Nach dieser Aktion war er eingeschlafen, das wusste er noch. Nur ob sein furchtbarstes Erlebnis ein oder zwei Tage später folgte entging seinem Erinnerungsvermögen.
Seine Mutter hatte mit ihm noch einmal einen Arzt aufgesucht. Die Tabletten bekam er nun mal nicht ohne eine Verschreibung. Er döste auf dem Rücken seiner Mutter. Wachte aber urplötzlich auf als er gegen die Wand schlug. Seine Mutter lag am Boden und regte sich nicht mehr. „Mama“, rief er verzweifelt und versuchte sie zu wecken. Es brachte nichts. Schließlich kam er auf die Idee das Festnetztelefon zu benutzen, das allerdings außerhalb seiner Reichweite lag. Er nahm die verpackten Spielkarten seines Vater und warf sie so fest er nur konnte. Es klappte. Es fiel herunter und brachte gleich die Visitenkarte von der Arbeit seines Vaters mit. „Bitte ganz schnell meinen Papa schicken. Mama wacht nicht auf“, weinte er ins Telefon hinein als jemand geantwortet hatte. Blöderweise legte er sofort auf, weil er das Gleichgewicht nicht mehr halten konnte. Sein Vater war völlig überfordert mit der Situation. Sein kranker Sohn, nun auch noch seine Frau und irgendwie musste er auch noch Geld verdienen. So kam es, das Jamiro eines Tages anfing ihn darum zu bitten in ein Hospiz gehen zu dürfen. „Ich muss doch eh sterben, Papa. Mama braucht dich jetzt.“ Das aus dem Mund eines neunjährigen Kindes. Vermutlich hatte er noch nie Angst vorm Tod gehabt. Warum auch, wenn er so gesehen schon sein ganzes Leben lang sein Mitbewohner war?
Er dachte an die Herz acht und ihre sieben Brüder. Wie es ihr wohl ging? Obwohl er endlich mal daran denken sollte seine Beine zu schonen, lief er schon wieder den ganzen Tag in seiner Wohnung auf und ab. Als er es bemerkte, verbesserte er es nicht. Nein, er entschied, wegzufahren. Zuerst wusste er gar nicht so recht, wohin aber dann dachte er an Trommdach und eine gewisse Möglichkeit, sie dort zu treffen. Auf der noch nicht mal halben Strecke brach er dies jedoch ab.
Mit zorniger Mine quälte er sich stattdessen durch einen englischen Garten. Aus heiterem Himmel rannte ihn ein Junge um. „Entschuldigung“, stotterte er hektisch. Na den Wildfang kannte er doch schon. „Du solltest mal anfangen auf den Weg zu schauen, Kleiner.“
Mühsam stand er auf. „Wo ist denn Blume … ich meine deine Mutter?“ „Hier“, keuchte sie schwer außer Atem hinter ihm. „Alles okay? Haben sie sich verletzt?“ „Nein, nicht mehr also ohne hin schon kaputt war.“ „Entschuldigen sie vielmals. Sie wissen ja bereits, er ist etwas wild.“ Sie stieß ein Lachen aus, dass noch mehr verdeutlichte, wie sehr sie aus der Puste war.
„Wurden sie wieder vom Kindermädchen versetzt?“ „Nein. Das unfähige Ding habe ich gekündigt. Ich war mit ihm joggen oder besser gesagt rennen.“ Inbegriffen dieses Satzes fiel ihm auf, dass Blume drei sehr sportlich wirkte. Sie war eine sehr attraktive junge Frau geworden.
„Suchen sie zufälligerweise einen Job?“ „Ich hab zwei, danke.“ „Schade. Mein Kleiner hat morgen Geburtstag und sich einen Kartenmagier gewünscht.“ „Einen Kartenmagier?“ Wie gerufen schmiss er mit einer Bewegung versehentlich seine Karten aus der Tasche.
„Ja. Seit er diesen Trick von ihnen gesehen hat, versucht er ihn nachzumachen.“ Der Junge hob die Karten auf und überreichte sie ihm mit einem Funkeln in den Augen. „Gut. Dann sagen sie mir wann und wo.“ Er bedankte sich bei ihm und steckte sich die Karten wieder ein. „Sie machens? Danke.“ Dafür bekam er einen Kuss auf die Wange und im Anschluss die Daten.
Die Geburtstagsfeier fand in einem kleinen Haus mit Garten statt. Sechs Kinder und Blume drei schauten seinen Zaubertricks gebannt zu. Zum Schluss durfte das Geburtstagskind eine Karte ziehen. Es war die Karo drei. In seiner Bewegung verwandelte sich die Karte blitzschnell in einen Minibasketball auf seiner Handfläche. Erfreut wurde ihm das Geschenk abgenommen.
Die Bewegung rückwärts ließ die Karo zwei in seiner Hand erscheinen. Der Kleine verstand sofort, dass noch zwei weitere Geschenke erscheinen sollten. Zwei Eintrittskarten in einen Freizeitpark und seine Lieblingssüßigkeit. Alles kam verdammt gut bei dem Kleinen an und wurde umgehend ausgetestet.
Jamiro setzte sich zu der Mutter an den Tisch, die völlig entspannt die wilde Meute im Auge behielt. „Sie haben recht. Hätten sie Kinder, wären diese völlig verwöhnt.“ „Dabei sagt man, ein Lächeln sei unbezahlbar.“ Während er sprach, schnipste er eine Cent Münze in die Luft und fing ein Euro Stück wieder auf. „Das war aber kein Kartentrick“, warf sie ihm schon beinahe entsetzt vor. Er grinste und warf das Eurostück hoch, um eine Kreuz Ass wieder aufzufangen.
„Sind sie ganz allein mit ihm?“ „Er hat noch seine Großeltern.“ Mit einer erstaunlich guten Reaktion fing sie den Ball ab, der genau auf Jamiro zugeflogen kam. „Schuldige“, wurde ihm noch zugerufen, ehe das Spiel weiter ging. „Schön, dass sie nicht alleine mit ihm sind“, zeigte er sich unbekümmert und suchte eine Kreuz drei aus seinem Deck heraus.
Für den Abschied zauberte er ihr eine blaue Skabiosen-Blüte auf die Hand, die aus ihrer Karte entstanden war. Als sie ihm überrascht sagen wollte, dass es ihre Lieblingsblume sei, war er verschwunden. So als hätte er sich einfach in Luft aufgelöst oder wäre in Wirklichkeit nie da gewesen.
Ungeduldig trippelten Jamiros Finger auf der Lehne eines Stuhls herum. Er befand sich in einem kleinen dunklen Büroraum, das vor allem unaufgeräumt und dreckig war. Nach gefühlten Stunden kam endlich ein ölverschmierter Mann herein. „Lässt du deine Kundschaft immer so lang warten?!“ Seine Frage stellte er, ohne ihn anzuschauen.
„Ungeduldig wie eh und je. Du änderst dich nie Jam oder?“ „Du musst es ja wissen, nachdem wir uns wie lange nicht mehr gesehen haben?“ „Fünf Jahre, Freundchen. Du bist echt keine Bereicherung für mein Geschäft. Wieso kommst du überhaupt mit solch einer Lappalie zu mir in die Werkstatt?“
„Seh ich so aus, als könnte ich mich um meine Maschine kümmern? Ist sie in Ordnung?“ „Nicht mal ein Staubkörnchen. Ich weiß nicht, was du erwartet hast. Das musst du mir echt mal erklären.“ „Die Kurzform? Sie wurde mir gestohlen und wieder zurückgebracht. Dann kann ich sie also wieder mitnehmen?“
Sein Gegenüber zog ein breites Grinsen. „So etwas Bescheuertes kann auch wieder nur dir passieren aber ein Geldpaket hat der nette Dieb nicht auch noch dazugestellt?“ „Wie kommst du darauf, dass der Dieb sie mir zurückgebracht hat?“ „Ich kenn dich. Wenn du jemand anzeigst, dann nur weil er jemand anderes Schaden zufügt. Ehrlich, man könnte eine geladene Waffe auf dich richten und es juckt dich einfach nicht.“
„Muss ich mir Sorgen über deine Gedankengänge machen?“ „Siehst du, das meine ich. Es lässt dich absolut kalt. Du hast sie echt nicht mehr alle. Wo ist denn nur …“ Er durchwühlte das ganze Papier. „Du suchst nicht meinen Schlüssel, hab ich recht?“ Jamiro blickte auf den einzigen geordneten Platz im ganzen Büro, dem Schlüsselbrett.
„Denkst du, ich lass dich mit dem fetten Bein fahren.“ Er schaute an sich herunter. Sein Bein schmerzte aber man sah keine Schwellung. „Mein Vater war hier?“ „Hör mal, du kannst deine Maschine hier stehen lassen, bis du wieder fit bist. Hier ist sie sicher. ... Oh nein, nicht jetzt schon.“ Seine Aufmerksamkeit schwand aus dem kleinen Fenster zum in den Hof hinaus. Etwas sehr Übles schien auf ihn dort zu warten.
Wenige Sekunden später wurde die Tür aufgerissen. „Ich glaube, mich tritt ein Pferd! Haben sie noch alle Latten am Zaun?!“ Dem Werkstattbesitzer fehlten die Worte. Scheinbar wusste er genau, das man sich mit ihr besser nicht anlegen sollte. „Sie sollten meine Maschine reparieren und nicht zertrümmern sie …“ Mindestens drei Beleidigungen haften diesem Satz an.
„Entschuldigen sie.“ Ihr Blick fuhr wütend den Magier an. Uncharmant verbat sie ihm zu reden und verdeutlichte, dass sie auch zu Handgreiflichkeiten neigte. Doch wer Jamiro kannte, der wusste schon längst, dass er damit nicht zu beeindrucken war. „Er bringt ihre Maschine sofort in Ordnung“, erklärte er ruhig. Danach winkte er seinen Freund nach draußen und hielt die Frau am Handgelenk fest. „Was fällt ihnen ein?!“ „Ein Pik! Hat das eine Bedeutung?“ Das Symbol befand sich als kleines Tattoo an ihrem Handgelenk, das er hielt. „Ich wüsste nicht, was sie das angeht!“
Sie riss sich los und verpasste ihm eine Ohrfeige. „Fassen sie mich noch einmal an und sie liegen im Krankenhaus!“ „Meine Güte, sie haben aber einen Schlag.“ „Ja und den spüren sie gleich wieder, wenn sie das noch einmal tun!“ Folgend nahm sie einen größeren Abstand ein. Wodurch er auch ihr eigentliches Problem sah. In ihrem Gesicht war eine große Brandnarbe, die sie zu verdecken versuchte.
Ihr helfen wollend zog er seine Jacke aus und schob seine Ärmel hoch. Eine fünfzehn Zentimeter lange Narbe zog sich über seinen rechten Unterarm. „Geschnitten?“ „So in etwa. Verbrannt?“ Ein bisschen entspannter setzte sie sich zu ihm. „Sie haben was verloren.“ Am Boden lag eine Kartenverpackung, die sie ihm aufhob und auf den Tisch legte.
„Spieler?“ „Magier!“ Sie lehnte sich zurück. „Wie langweilig. Können sie auch was oder haben sie nur eine große Klappe?“ Damit gerechnet zog er grinsend sechs Karten, deren Gesicht er nicht sehen konnte.
„Denken sie an eine Zahl zwischen zwei und zehn.“ Er grinste und hob ihr den Fächer verdeckt hin. „Bei zwölf müssten sie zwei Karten ziehen.“ „Was?“ Ihr entsetztes Gesicht gab ihm recht, dass sie an eine zu hohe Zahl gedacht hatte.
„Okay und jetzt?“ „Ziehen sie die Pik zehn.“ „Was zum …“ Sie zog eine der Karten und starrte sie wortlos an. Er umgriff ihre Karte und drehte sie in ihrer Hand um. ''Greta Zehntel'' stand nun auf der Rückseite. „Mein Name? Ich … Sie sind so kurz davor, wieder eine zu fangen!“ Sauer schmiss sie die Karte auf den Tisch. Jamiro warf die restlich Karten dazu und schwieg.
„Echt jetzt! Wie geht dieser Scheiß?“ Hektisch schob sie die Karten zusammen und mischte alle. „Können sie immer noch die Karten ziehen an die ich denke?“ „Nein.“ „Wusste ich doch! Sie können nichts.“ „Die Pik Ass ist nicht auf ihrer Hand.“ „Zum Teufel!“ Sie warf das Deck auf den Tisch und offenbarte, dass sie die gewollte Karte zuvor gut versteckt hatte.
Ohne das Pik Ass nahm er wieder sechs Karten auf und hielt sie ihr hin. „Aber sie können sie ziehen.“ Ihr gehässiger Lacher verkündete ihre Freude an seinem Versagen. Doch der verstummte, als sie tatsächlich das Pik Ass in den Händen hielt. „Das ist doch Mist!", motzte sie und warf die Karte erneut vor. Anschließend kehrte sie ihm den Rücken zu.
„So, Frau Zehntel alles behoben. Überzeugen sie sich.“ „Wurde auch Zeit! Mein Schlüssel!“ Sie riss ihm den Gegenstand sofort aus der Hand und eilte mit großen Schritten hinaus. Kaum durch die Tür war auch schon das Davonfahren eines Motorrads zuhören.
„Himmel, sag bloß, du hast versucht, mit der Schlange Kartentricks zu machen. Der Letzte, der dieses Symbol auf dem Motorrad hatte, musste ins Krankenhaus.“ Sein Freund tippte auf das Symbol der Pik zehn Karte. „Auch Giftschlangen haben ihre Feinde.“ „Oh man. Wer dich gemacht hat, hat Vernunft und Selbstwert vergessen. Komm, ich fahr dich nach Hause. Das war die Letzte für heute.“
„Ist das eine Suppe“, bemerkte Jamiro, als er schwerfällig im Haus seiner Eltern das Fenster erreicht hatte. Durch den Nebel konnte man kaum einen Meter weit sehen. „Ist es so schwer sitzen zu bleiben?“ Ein Fluchen kam hinterher, da sein ungeschickter Vater mit dem Schraubendreher abrutschte und sich zum fünften Mal verletzte.
Kurz darauf war auch ein Rumpeln aus einem anderen Zimmer zuhören. Es folgte ein weiterer Knall und das Fluchen seiner Mutter. Sein handwerkliches Können stammt definitiv nicht von den beiden. Sie hatten in diesen Punkt zwei linke Hände.
„Lass mich mal. Sonst dauert das noch Jahre mit euch.“ „Von wegen!“ Sein Vater stand auf und drängte ihn zum Sofa. Dort nahm er ihm die Krücken ab und legte sein wieder geschwollenes Bein hoch.
„Wolltest du eigentlich etwas Bestimmtes?“ „Ich wollte mich nur beschweren. Ich bin erwachsen. Ihr müsst nicht mehr auf mich aufpassen.“ Lediglich die Augenbrauen zog er hoch, während er sich das Pflaster anklebte.
„Schatz, wir brauchen keinen Kleiderschrank. Wir machens wie bisher. Ging ja auch.“ „Ich hab die leichte Befürchtung, dass du den Schrank gerade halbiert hast.“ Im Hintergrund fiel das Regal auseinander, an dem sein Vater gebastelt hatte.
„Das liegt an der Beschreibung!“, knurrte er und versuchte seine erzürnte Mimik zu vertuschen. „An der Beschreibung also?“, spottete Jamiro und unterdrückte wenig erfolgreich sein Lachen. Sowohl seine Mutter als auch sein Vater verhinderten seinen Versuch vom Aufstehen.
„Mach lieber ein paar Tricks.“ Sein Vater warf ihm ein Kartendeck auf den Schoss und stand selbst auf. „Wie? Und keiner schaut zu?“ „Deine Mutter hat Zeit.“ Das Desinteresse lag nicht an ihm. Viel mehr an dem Schrank, der nicht so wollte wie er sollte.
„Also gut. Was mach ich mit dir?“ Er mischte die Karten und behielt seine Mutter im Auge. Obwohl seine Eltern viele der Kartentricks schon unzählige Male gesehen hatten, empfanden sie immer noch Begeisterung dafür.
Er zog zwei Karten, wovon er nur die Pik sieben sah. Beide Karten legte er Rücken an Rücken zusammen. Danach legte er sie flach in seiner Hand ab. Sein altbekanntes freches Grinsen verriet ihn mal wieder.
Er packte die Pik sieben und faltete sie so zur Seite, als wollte er ein Heft öffnen. Zwischen den beiden Karten entfaltete sich der Bauplan des Regals.
„Schatz. Das ist das Regalbrett“, rief sie ihm zu, als er gerade den Boden mit einem vermeintlichen Seitenteil zusammenbauen wollte. „Ach dieses verdammte Ding will mich doch verschaukeln. Wo ist denn jetzt die Schraube hin.“ Jamiro lachte und legte die Karten wieder zusammen. Dabei sah er erst, dass seine andere Karte die Kreuz zwei war.
Erschrocken schaute er zum Fenster auf. „Was hast du?“, fragte seine Mutter, nachdem sie seinem Blick gefolgt war aber nichts Außergewöhnliches entdeckte. „Ich dachte … Egal.“ Von der merkwürdigen Situation angelockt, setzte sich sein Vater wieder zu ihnen.
„Nimmst du das Zeug noch?“ „Ich hab es schon vor einer Weile abgesetzt. Alles in Ordnung.“ „Das waren ganz schöne Hemmer.“ „Beruhigt euch. Mir geht’s gut. Ich dachte nur, ich hätte wieder dieses Kind gesehen, dass mir seit Tagen hinterher schleicht.“
„Ein Kind?“, fragten beide entsetzt nach. Jamiro lachte. „Ja. Ist wohl schüchtern, der Kleine.“ Als hätte diese Aussage nach Gefahr geklungen, eilte sein Vater nach draußen. Man konnte ihn sogar am Fenster vorbei huschen sehen.
„Ihr seit doch verrückt! Es ist ein Kind. Was wird es schon von einem Magier wollen? Sicher bloß einen Trick. Wenn ich ihn das nächste Mal sehe, frag ich ihn einfach.“
Er wollte sein Bein herunternehmen, was seine Mutter aber zu verhindern wusste. „Dein Bein ist ja wieder furchtbar.“ „Es dauert halt.“ „Ja weil du dich nicht schonst, du Esel! Gehst du wenigstens zur Nachuntersuchung?“ „Mam!“ „Also nein. Manchmal könnte ich euch den Kopf abreisen.“
„Hey, ich bin zweiunddreißig okay.“ „Was nichts daran ändert, dass du absolut nicht auf deine Gesundheit achtest. Muss ich dich daran erinnern, wie schwer krank du einmal nein sogar zweimal warst?“
„Mam! Ich bin nicht krank. Das war ein Bruch und ich hab mir einen Nerv geklemmt.“ „Und dein Rücken? Ist der wenigstens wieder in Ordnung?“ „Schon lange. Das Bein will halt nicht.“ „Du bleibst heute Nacht hier und wenn ich dich fesseln muss.“ „Ich wollte eh fragen, ob ich eine Nacht bleiben kann. Meine Nachbarn haben mich vor einer lauten Party gewarnt.“ „Um so besser!“
Der Vater kam wieder rein. „Niemand“, sagte er und entledigte sich seiner Schuhe und Jacke. „Ehrlich, es ist etwas übertrieben, das ihr mich vor einem vermutlich Sechsjährigen beschützen wollt.“
„Wie hat er denn ausgesehen?“ „Ernsthaft? Oh man ihr habt sie nicht mehr alle.“ Jamiro legte sich nieder in der Hoffnung damit in Ruhe gelassen zu werden. Das jedoch dauerte noch etwas länger.
In der Nacht nutzte Jamiro die schlaflose Zeit, um das Regal aufzubauen. Als er damit fertig war, schaffte er es kaum auf die Beine. Von wegen der Rücken war wieder in Ordnung.
Nachdenklich stellte er sich ans Fenster. Der Nebel war noch viel dichter geworden. Ob der Junge sich immer noch hier aufhielt oder war das tatsächlich nur ein Hirngespinst? Irgendwie hatte er ihn auch bislang nur in der Verbindung zu seiner Karo zwei Karte gesehen.
Er nahm sein Deck hervor und durchsuchte es nach dieser. Doch er fand sie nicht. Als er wieder aufschaute, fiel er vor Schreck um. Der blonde Lockenkopf stand direkt am Fenster und starrte ihn mit seinen blauen Augen an.
„Jamiro“, folgte die entsetzte Stimme seines Vaters. Er half ihm wieder auf die Beine. Ziemlich verwirrt stammelte er eine Frage nach seinen Karten. Sein Vater hob den Stapel auf. Ganz obenauf lag die Kreuz zwei.
„Ist gut, Junge. Du legst dich jetzt hin und versuchst zu schlafen, ja?“ Die Sorge war ihm anzusehen, als er ihn zum Sofa brachte. Er blieb die ganze Nacht bei ihm sitzen.
Auch informierte er sich über die Tabletten, die sie bei ihm gesehen hatten. Halluzinationen waren eine der zahlreichen Nebenwirkung. Plus, dass sie sehr schnell abhängig machen sollten.
Als der Magier am nächsten Morgen aus dem Haus taumelte, wusste er nicht, dass seine Eltern seine Sachen nach diesem Medikament durchsucht hatten. Immerhin hatte er die Teufelstabletten nicht mehr bei sich. Das war wenigstens eine Sache, die nicht gelogen war.
Zu Hause angekommen setzte er sich auf sein Sofa. „So Kreuz zwei. Wenn ich mich dich nur einbilde, dann tauch jetzt am Tisch auf.“ Es passierte nichts, als er die Kreuz zwei hervorholte.
Schließlich schmunzelte er darüber, dass er langsam glaubte zu spinnen. Da das nun geklärt war, kümmerte er sich seelenruhig um den liegengelassenen Abwasch.
Später kam er jedoch wieder ins Grübeln. War vielleicht die Karte der Schlüssel? Er erinnerte sich aber nicht daran, sie an jemanden vergeben zu haben. Vielleicht war es aber auch so wie bei Blume drei. Er hatte ja auch ihre Begegnung vergessen. Obwohl er sich hierbei aber ganz genau erinnern konnte, die Karte vergeben zu haben.
„Finjas! Finjas wach auf!“ Jamiro schüttelte den Kopf. Das war die panische Stimme von seiner Mutter, die da in seinem Kopf dröhnte. Wer aber war Finjas? Er kannte niemand mit diesen Namen.
Er grübelte über den Namen so lange, bis ihm der Kopf höllisch schmerzte. Schemenhaft erkannte er den Jungen auf der Küchenablage wieder. „Du schon wieder! Wie kommst du hier rein und wie heißt du?“ Der Junge tat nichts weiter als ihn anzustarren.
„Mit wem redest du?“ Seine Mutter strich über seinen Arm und erhielt seine Aufmerksamkeit. Sah sie das Kind nicht? Jamiro blickte zurück und er war wieder verschwunden.
Er stieß ein Fluchen aus, das seinen Kopf noch mehr zu setzte. Fluchtartig drängte er sich an seiner Mutter vorbei und setzte sich auf Sofa.
„Ich weiß, du bist erwachsen, Jamiro aber du kannst mit uns reden. Nimmst du das Zeug wirklich nicht mehr? Jetzt lass dir doch helfen, du sturer Bock.“
„Ich bin okay!“ Auf Ex trank er sein Wasser aus, das noch auf dem Tisch stand und richtete sich wieder auf. Zumindest wollte er das aber es ging nicht. Sein gesundes Bein ließ sich nicht mehr bewegen und sein verletztes schmerzte zu stark. „Lass das! Ich hab nichts.“ Er konnte es nicht verhindern, dass seine Mutter den Krankenwagen rief. Auch weglaufen konnte er so nicht, so gern er es auch in diesem Moment getan hätte.
Einige Stunden später setzten sich seine Eltern an sein Krankenbett. Er war wieder entspannt. „Okay, ich hab die Tabletten noch genommen. Also zumindest bis ich zum ersten Mal Kreuz zwei oder Finjas gesehen habe.“ „Finjas?“ Die Stimme seiner Mutter zitterte und irgendwie regierte auch sein Vater seltsam.
„Genau deshalb wollte ich euch nichts sagen. Ich hasse es, wenn ihr euch Sorgen macht. Außerdem hasse ich Ärzte und Krankenhäuser. Davon hab ich wirklich schon genug gesehen.“
„Ich glaub, wir sollten dir was erklären. Finjas ist dein kleiner Bruder. Er ist gestorben, da warst du noch sehr klein. Wir hatten dir da gerade das Laufen beigebracht.“
Plötzlich hatte er ein Bild zu der besorgten Aussage. Er klammerte sich ziemlich wacklig auf den Beinen an der Hose seines Vaters fest. Richtig laufen schien er noch nicht zu können. Jedenfalls war das Hosenbein auch alles, was er zu den verzweifelten Schreien sehen konnte.
„Moment. Das Kind, das ich gesehen habe, war mindestens sechs. Das kann nicht ganz zutreffen.“ „Es war deine Interpretation. Deine Mutter und Finjas waren erst aus dem Krankenhaus gekommen. Als wir dich zu ihm bringen wollten, war er Tod. Du hast vermutlich nicht viel von ihm gesehen.“
Jamiro schaute weg, als er seine nächste Frage sich kaum zu stellen traute. „Hatte er auch …“ „Nein. Plötzlicher Kindstod. Da war nichts mehr zu machen.“
„Hier.“ Zitternd überreichte seine Mutter ein Babybild. Es war ein blondes, recht blasses Kind mit Locken. Er hatte auf dem Bild nur ein Auge geöffnet. So das man immerhin trotzdem das braun erkannte.
„Er passt ja sogar nicht zu euch. Ich meine, du bist brünett, Mama und Papa schwarzhaarig, wenn inzwischen auch schon etwas grau. Und er ist auch viel blasser als wir und eure blauen Augen hat er auch nicht.“
„Er hatte ein blaues und ein braunes Auge und außerdem sind fast alle in der Linie deiner Mutter blond. Von der Seite hast du auch deine Augenfarbe.“ Er schmunzelte. „Heißt das, Mama hat sich mal wieder durchgesetzt.“ „Na ja, der klügerer gibt halt nach.“ „So kann mans auch nennen.“ Sie stand auf.
„Wir holen dich, wenn du entlassen werden kannst. Und wehe du schonst dich jetzt nicht.“ „Ja Mama. Ich hab sicherlich keine Lust auf deinen Zorn.“ Er lachte und legte sich die Arme hinter den Kopf. Sein Vater legte vor dem Gehen sein Kartendeck auf den Tisch. Vermutlich als ''Beschäftigung''.
Liegen, liegen und nochmal liegen. Wie viel Zeit war vergangen? Noch nicht mal eine Minute. Also gut, dann noch einmal die Karten zählen. Ja, sie waren vollständig und was jetzt? Damit ging der Tag auch nicht vorbei.
Die Werte zusammengezählt und mit der Menge an Karten dupliziert. Was auch immer das bringen sollte? Gegen die Langeweile half es kein Stück. Vor allem machte es ihn noch unruhiger.
Vielleicht schaute er mal, welche Karte noch niemanden zugewiesen war. Das klang wenigstens halbwegs sinnvoll.
Pik Ass und die seiner Eltern, diese waren natürlich vergeben. Was war mit der Karo neun? Nein, die gehörte zu niemand. Also auf den anderen Stapel damit.
Als er den Herz Buben in der Hand hielt, stoppte er die Aktion. Was war eigentlich mit ihr? War er das? In Anbetracht der Karten seiner Eltern wäre das durchaus denkbar. Wieso jedoch sollte er diese Ehre haben? Nein, diese Karte war besitzlos.
Genervt legte er sie ab und schob seine Karten zusammen. Musste er es aussprechen, um glaubhaft zu verkünden, dass ihm die Decke auf den Kopf fiel und er wirklich kurz davor war, einen Nervenzusammenbruch zu bekommen.
Die Tür ging auf und eine Schwester kam herein. „Ich will gehen, sofort!“ Wie ferngesteuert kam dieser Satz aus ihm herausgeschossen und überraschte vor allem ihn. Er saß auch schon, ohne dass er es wahrgenommen hatte.
„Das wäre aber unverantwortlich, so kurz nach der Op.“ „Quatschen sie nicht! Holen sie den Arzt!“ Das geschah, auch wenn etwas zu langsam für seinen Geschmack. Er unterschrieb, obwohl er eigentlich nicht wollte. Dann hatte er aber auch schon das Krankenhaus verlassen.
Seinem steuernden Ich schien das noch nicht zu genügen. Purer Zorn führte ihn einfach ziellos weg. Solang, bis er wegen Schmerzen Halt suchen musste.
„Was tust du, verdammt nochmal? So schwer kann das doch nicht sein“, schimpfte er mit sich selbst. Mit der vor Anstrengung zitternden Hand griff er in seine Tasche.
Er hatte die Schachtel vergessen aber die Karten waren natürlich wie immer da. Er zog eine in der Hoffnung, sich wieder zu fangen. Der Karo König, lag nun in seiner Hand.
Jemand setzte sich neben ihn. „Sie sehen aus, als hätten sie eine Magierkrise.“ „Wohl eher eine Lebenskrise.“ Er blickte zu dem Mann auf, den er kannte.
„Ruf ich sie eigentlich irgendwie?“ „Wenn sie das Wetter und die Schule meiner Enkelkinder beeinflussen können.“ Er lachte. „Ich gehe immer mit meinen Enkeln hier her, wenn die Zeit und das Wetter passt.“
Ein kleines Mädchen kam auf ihn zugesprungen. „Vorsicht Mia, der Mann ist verletzt.“ Sein Nebenmann zog das Mädchen zu sich und nahm es auf den Schoss.
„Kannst du das nicht wegzaubern? Ist doch öde mit den Dingern rumzulaufen.“ Er wusste nicht, wie er reagieren sollte, also schmunzelte er. Es war ja auch nicht so, als hätte das Kind eine Antwort erwartet. Sie stellte bereits die nächsten Fragen. Schließlich gab sie sich mit den Antworten dazu zufrieden und rannte wieder zu den anderen Kindern.
„Dann war also das, was ich gelesen habe echt. Ganz schön heftig aber gut, dass ihnen nicht mehr passiert ist.“ „Was haben sie denn gelesen?“ „Das sie einen Unfall hatten, mit ihrem Motorrad. Den kompletten Artikel weiß ich nicht mehr aber wenn sie wirklich mit einem LKW kollidiert sind, bin ich froh, sie überhaupt noch antreffen zu können.“
„Von einem LKW wurde mir aber nichts gesagt.“ Der Mann lehnte sich zurück. „Ihre Lebenskrise … hängt die mit dem Unfall zusammen?“ Jamiro blickte auf sein verletztes Bein. „Irgendwie schon oder auch. Eigentlich steh ich mir momentan nur selbst im Weg. Schon gut. Irgendwie werde ich das schon hinbekommen.“ Jamiro stellte sich mühsam auf.
„Sie schätzen ihre Eltern sehr. Das ist schön aber auch ein Fluch, nicht?“ „Ich versteh nicht ganz.“ „Bei meinen Kindern fühle ich mich wie der Opa, bei dem man so eben die Kinder abschieben kann. Ich mach das gern keine Frage aber ich würde auch mal gern gefragt werden. Manchmal wäre es nur ein Satz.“
Er setzte sich wieder zu ihm. „Ehrlich gesagt, machen sie eher den Eindruck, als hätten sie zu wenig Kontakt. Lassen sie mich raten, die Kinder werden bei ihnen abgestellt wie Pakete.“ Er lachte. „Ihre Menschenkenntnis ist wirklich grandios.“
„Um so schlechter ist die Selbstkenntnis.“ Er lehnte sich zurück und starrte schweigend in den wolkenfreien Himmel. „Sie wissen nicht zufälligerweise, wie man seine eigene Sturheit bekämpft?“
„Freunde“, antwortete er knapp. Er drehte den Kopf zu dem Mann. „Das wird schwierig, glaube ich.“ „Sie haben keine?“ „Ich hab mich nicht wirklich darum gekümmert. Den, den ich Freund nenne, habe ich erst kürzlich wieder besucht. Ironie, selbst der kennt mich besser.“
Eine Weile herrschte Schweigen. Dann rief er die Kinder zu sich. „Ich weiß, was ihnen helfen könnte. Kommen sie.“
Ohne sein Wissen brachen sie zu seiner Wohnung auf. Diese erreicht rannten die Kinder zu einem Zimmer durch. Jamiro schaffte es kaum, das verletzten Bein über die Türschwelle zu heben.
„Sie sind mein Gast, bis ihr Bein vernünftig ausgeheilt ist.“ „Und sie glauben mir hilft ein Tapetenwechsel?“ „Ich habe eine Menge Zeit. Außerdem wirft mir mein Sohn heute noch vor, dass ich viel zu streng war.“
„Wie viele Kinder haben sie eigentlich?“ Mit dieser Frage ließ er sich auf das Sofa fallen, das zum Glück nicht mehr weit war. „Zwei. Eine Tochter und ein Sohn.“ „Haben sie von beiden die Kinder da?“ „Nein. Nur von meinem Sohn und seiner Frau.“
Es klingelte an der Tür. Eine finnisch sprechende Frau trat ein. Ihr wurde etwas gleichsprachig erwidert und der ältere Mann verschwand daraufhin im Zimmer der Kinder.
„Eure Mutter ist da.“ Die Frau wandte sich währenddessen zu Jamiro und grüßte in ihrer Sprache. Er grüßte mit einer Geste zurück, da er kein Finnisch konnte.
Sie nahm die zu ihr rennenden Kinder in Empfang und warf noch irgendetwas in den Raum, das vielleicht ein Tschüss oder so sein sollte. Danach ging sie.
„Sie können also Finnisch?“ „Es reicht für ein Hallo, Tschüss und Warte. Mehr kann ich mit dieser Frau nicht sprechen.“ „Oh. Sie sind wohl nicht begeistert von ihr.“ „Was soll ich auch schon von ihr halten, wenn ich sie nicht verstehe. Solange mein Sohn sein Glück in ihr gefunden hat.“ Er nahm bei ihm Platz.
„Machens sie sich ruhig bequem. Ich hab nichts dagegen, wenn sie den Tisch benutzen, um ihr Bein hochzulegen.“ Er legte selbst seine Beine hoch.
„Und sie sollen streng sein? Ihr Sohn wäre wohl am liebsten gar nicht erzogen worden.“ Er streifte sich seine Schuhe ab und legte das verletzte Bein hoch.
„Früher mussten die Kinder ihre Schuhe an der Tür lassen und Hausschuhe anziehen. Keine Füße auf den Tisch. Der Tisch wurde zusammen gedeckt und es wurde auch nur dort gegessen. Süßkram war verboten und jeden Abend wurde etwas gelesen. Es gab einige Regeln und auch Strafen, wenn sie gebrochen wurden.“
Jamiro zog ein Schmunzeln, wirkte dabei aber eher niedergeschlagen. „Bei ihnen war wohl auch nicht alles so einfach.“ „Na ja, die Krankheit eben. Sie stand irgendwie immer im Weg. Bei allem, selbst heute noch.“
„Sind sie denn immer noch krank?“ „Nein. Das hätte ich nicht überlebt. Es ist nur so, dass ich meinen Eltern keine Sicherheit geben kann. Wie sie bereits wissen, ist sie schon einmal zurückgekehrt. Sie kann es jederzeit wieder tun. Es ist nicht leicht für sie, das auszublenden, verstehen sie?“
„Für sie doch auch nicht.“ „Ich hab kein Problem damit. Ich lebe und wenn ich Tod bin, bin ich Tod. Ich hab keine Angst vorm Tod, anscheinend vor gar nicht. Das wird mir zumindest immer vorgeworfen.“ Nun legte er auch sein zweites Bein hoch.
Dann lachte er plötzlich auf. „Wissen sie was? Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass ich mich selbst nicht kenne. Ich bin gern so wie ich bin und wenn das eben ein Teil von mir ist, ist das so.“
Er zog seine Karten aus der Tasche und mischte sie. „Welche Karte würden sie mir geben?“ Während seiner Frage zog er für sie Beide sichtbar die Kreuz fünf. „Weil sie ein Mensch sind, der ein Herz für Andere hat, muss es eine Herz Karte sein.“
„Okay.“ Er ließ die Karte durch seine Finger wandern. Auf einmal war es die Herz zwei. Er griff die Karte um und bildete einen Fächer von Herz zwei bis Herz Ass.
Eine schnelle Bewegung führte den Fächer wieder zusammen zu einer einzelnen Karte. Hiervon sahen beide nur den Rücken. Ohne zu fragen, blickte er mit frechem Grinsen zu ihm herüber.
„Der Herz Bube natürlich. Ich bin enttäuscht, wenn sie das nicht schon längst erraten haben.“ Wie zu erwarten, ergab die gedrehte Karte den Herz Buben.
Er blieb zu Gast, bis er es tatsächlich geschafft hatte, sein Bein heilen zu lassen. Als er gehen wollte, traf er am Eingang den Sohn, der gerade geklingelt hatte und bereits am Gehen war.
„Wer sind sie denn?“, fragte er überrascht und stoppte gerade noch so seinen Treppensturz. „Man Papa, das ist Erkwin, der Magier. Ein Freund von Opa.“ „Erwin?“
Er blickte auf seine Armbanduhr und kam die Treppen wieder hochgeeilt. „Was auch immer sie von meinem Opa … Vater wollen, lassen sie sich hier nicht mehr blicken. Verstanden?! Haben sie was gestohlen?“ Jamiro schmunzelte. Zog es aber vor, nicht zu antworten. Nur mit einer Geste erlaubte er ihm das Absuchen.
Er kam noch weiter hoch. Schließlich war auch der ältere Mann an der Tür. „Was ist denn hier los?“ „Kennst du den Vogel? Wie war der Name nochmal? Ergier?“
Sein Vater verfiel in lautes Gelächter. „Erkwin, Jamiro Erkwin. Er war mein Gast.“ „Ein bisschen jung findest du nicht?“ Wieder blickte er gestresst auf seine Armbanduhr. „Ich hab deutlich jüngere Gäste. Geht schon mal rein, Kinder.“ Er drängte die Drei ins Innere.
„Das sind auch deine Enkel. Ist dir was gestohlen worden? Guck halt nach!“ „Mach dich nicht lächerlich. Ich hab dir doch mal von einem Magier erzählt.“ „Ja und?“ „Ja das ist er. Er war mich besuchen.“ „Der hieß doch irgendwas mit Erd.“ Nun lachte der Magier selbst.
„Ihr Namensgedächtnis ist wohl nicht so. Erkwin. Wie Erwin nur mit K dazwischen.“ Jamiro klopfte ihm auf die Schulter und ging an ihm vorbei. „Ihr Vater hat viel zu erzählen und sie sicherlich auch.“ Jamiro verließ die Wohnung.
„Erwin mit K? Wie auch immer. Es war diese komische Story hab ich recht? Erzähl's mir einfach heute Abend. Ich muss los. Ich hol sie später wieder ab. Danke, dass du auf sie aufpasst.“ Und schon war er unten.
„Heute Abend, ja“, rief er noch einmal hoch und riss die Tür auf. „Wird spät, glaub ich“, war seine letzte Bemerkung, bevor er hinaus verschwand.
Ganz traute er der Sache wohl nicht, da er Jamiro heimlich hinterher schlich. Nur war er nicht so gut darin. Man hatte ihn schon längst bemerkt. Der Verfolgte hatte aber wie immer die Ruhe weg.
Nach einer Weile war auf der anderen Straßenseite eine Person zusehen. Der Weg führte dort hinüber. Wie erhofft, sprach ihn diese Person direkt auf seine Magiershow an. Womit sich der Verfolger endlich zufriedengab.
Endlich wieder konnte der Magier auf seine Maschine steigen und dann war auch noch das Wetter ideal für eine Spritztour.
„Siehst du, alles tip top Jam. Am liebsten würde ich mitfahren aber ich hab ja keins mehr.“ „Das ließe sich ändern. Organisiere dir einen Helm. Ich übernehme das Motorrad.“ „Aber …“ Widerspruch war zwecklos. Außerdem fuhr er auch schon direkt los.
Als er mit Helm und Montur wieder im Hof stand, fuhr Jamiro und eine weitere Person vor. Die Unbekannte hielt an und stieg als Erste ab.
Nachdem auch der Magier stand, sagte sie: „Wenn meine Maschine einen Krätzer hat, dann Gnade ihnen Gott.“ Pik zehn nahm den Helm ab. „I … Ihr Motorrad. Jam also … Nein. Das kann ich nicht annehmen.“
„Anscheinend haben sie Ahnung“, schlichtete sie selbst ein bisschen sanfter. Schließlich nahm auch der Verantwortliche den Helm ab und legte seine Hand auf ihre Schulter. „Sie ist eine ganze Woche weg. Wir setzen sie am Flughafen ab. Dann fahren wir wohin auch immer.“ „S … sie fährt auch noch mit?“ „Bei mir natürlich. Sie schaut auch nicht nach hinten, hat sie versprochen.“
Pik zehn zog sich schmunzelnd den Helm wieder auf und scheuchte Jamiro wieder auf sein Motorrad. Da seine Maschine schon wieder lief, half kein Einwand mehr. Also stieg auch er auf und fuhr ihnen hinterher.
„Also erholen sie sich gut, Frau Zehntel“, sagte er, als sie den Eingang erreicht hatten. „Und du passt mir auf dich und meine Maschine auf. Ein Krätzer und auch du bist fällig. Verstanden?“ „Ehrenwort.“
Unerwartet tastete sie seinen linken Oberarm ab. „Du hast gut zugelegt.“ Er schmunzelte und stütze sich auf ihre Augenhöhe herunter. „Es steht ihnen beides. Das Schwarze und die blonde Zarte. Nur eins stört mich. Sie haben ihre Fröhlichkeit verloren.“ „Die Zeit heilt nun mal nicht alle Wunden.“ „Wenns die Zeit nicht tut …“ Jamiro legte ein leeres Stück Papier auf ihre Handfläche und drückte seine Hand darüber. „Dann eben die Magie.“
Das dünne Papier war verschwunden aber eine Pik zehn lag nun auf ihrer Hand. Sie lächelte und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann verabschiedete sie sich und eilte davon.
„Ola. Sag bloß bei euch hats gefunkt.“ Jamiro lächelte „Und wenn? Bist du dann neidisch?“ „Der Magier steht also auf bissige Frauen. Irgendwie wundert mich das auch nicht. Du und ein zartes schüchternes Ding. Obwohl …“ „Fahren wir weiter?“ Er zog sich den Helm auf und startete wieder seine Maschine.
Viele Kilometer legten sie zurück. Bis sie schließlich einen Platz zur Rast gefunden hatten. Am höchsten Punkt eines Berges ließen sie den Wald hinter ihren Rücken stehen und setzten sich in eine saftig grüne Wiese. Die Sonne war schon so weit untergegangen, dass sie nur noch halb so stark ihre Wärme verteilte, dennoch war es herrlich.
„Sag mal, ich hatte irgendwie den Eindruck, dass du den Trick mit der Zehntel abgebrochen hast.“ „Ich hatte mir kurz überlegt, etwas Größeres draus zu machen.“ „Ich versteh dich irgendwie nicht. Sie ist so biestig. Ja okay, du hast nicht gesehen, wie diese Frau zu schlagen kann.“ „Ich kanns mir vorstellen.“ In Erinnerung an seine Ohrfeige rieb er sich die Wange.
„Hey. Wieso zeigst du mir nicht, wie es weiterging?“ „Dir?“ „Ja warum nicht?“ Sein woanders hinfallender Blick verriet ihn, auch ohne dass er die andere Person sah. „Okay aber etwas anders. Moment.“ Er ging zu seinem Motorrad und kam mit einem Papier wieder.
„Ein ganz normales Papier.“ Jamiro drückte es ihm in die Hand. „Jupp, ganz normales Papier“, bestätigte er auffallend laut. Trotzdem reagierte die Person in der Ferne nicht.
„Das wird so was von nicht funktionieren“, spottete er wissend darüber, das sein Freund eh abgelenkt war.
Also änderte er seine Position so, dass die Angebetete es sehen würde. Jedenfalls wenn sie sich denn umdrehen würde. Um dem nachzuhelfen, hatte er einen kleinen etwas gemeineren Trick auf Lager, der auch tatsächlich klappte.
Als sie her schaute, packte seine freie Hand das untere Ende des Blattes. Es ging in Flammen auf und verschwand in der Sekunde, wo ein Origami Vogel erschien. Er ließ den kleinen Papiervogel über seiner Hand schweben und setzte ihn schließlich im Gras ab. So lange hatte die Frau zugesehen aber sie kam nicht her. Stattdessen ging sie in eine andere Richtung fort.
„War das Absicht?“ Sein Freund schlug rüber, da keine Antwort kam. „Hey! Du hast Miss Bissig, okay?“
„Hast du das nicht gesehen?“ „Was denn? Etwa das deine Tricks mal nicht funktioniert haben?“ „Ich sollte mich entschuldigen.“ Jamiro stand schon. „Moment was?“ „Mein Trick hat sie verletzt. Hast du das echt nicht gesehen? Egal. Ich muss sie noch erwischen.“
Er hatte sie schnell eingeholt. Sie versuchte ihm allerdings auszuweichen. „Entschuldigen sie vielmals. Es war nicht meine Absicht, sie damit zu verletzen.“ Bei der Suche auf Augenkontakt blieb er erfolglos.
„Sagen sie, wie ich es wieder gut machen kann.“ Ihre Antwort war eine abwehrende Geste und deutlichere Tränen. Sie setzte sich hinters Steuer eines kleinen Autos und verharrte. Hartnäckig blieb aber auch er an Ort und Stelle.
''Verschwinden sie'', stand auf einem Zettel, den sie nach einer Weile an die Scheibe hielt. „Ich verletze niemanden, ohne es wieder gut zu machen.“
Um ein mögliches Davonfahren zu verhindern, setzte er sich auf die kalte Motorhaube. „Wünschen sie sich etwas.“ Die Frau blickte ihn wütend an. Noch immer schimmerten die Tränen in ihren Augen. Trotzdem blieb er ruhig.
Es dauerte etwas länger, bis sie einen Zettel zeigte. ''Gehen sie BITTE'', stand dort mit einem großgeschriebenem Bitte. Schließlich nahm er sich auch einen Zettel zur Hilfe. Er schrieb seine Nachricht drauf und warf sie durch den Schlitz des Seitenfensters. Dann ging er wieder zu seinem Freund.
„Das war aber eine lange Entschuldigung. Hat sie dir wenigstens verziehen?“ Er klang beleidigt und gestikulierte auch so. „Nö.“ Als wäre nichts gewesen, nahm er wieder Platz. „Aber kann ja noch werden.“ Über die Mimik seines Freundes musste er lachen. „Was machst du dir Sorgen? Ich hab doch Miss Bissig.“ „Als wäre das etwas ernstes“, knurrte er und bestrafte ihn mit Missachtung.
Etwa drei Minuten später ertönte ein Handy. Jamiro griff in seine Tasche und starrte auf das Display. Danach tippte er etwas ein.
„Deine Chance. Sie steht unten am Berg und hat eine Panne“, informierte er ihn ohne große Umschweife. „Wie?“ „Na wozu bist du Mechaniker?“ „Mechatroniker bitte, ja!“ So vorwurfsvoll es auch sein sollte, es erstickte zum Teil an seiner Eile.
Um ihn den Vorteil zu lassen, fuhr er selbst gar nicht erst los. Er blieb, bis die Nachricht ''Danke'' auf dem Display erschien. Erst dann fuhr er ihm nach.
„Und?“ Sein Freund sah nicht nach jemand mit Erfolg aus. „Das hast du doch bestimmt auch schon wieder gewusst.“ „Was denn?“ „Tu nicht so, als wüsstest du das nicht schon längst. Sie ist vergeben.“
„Tut mir Leid aber woher soll ich das wissen, wenn sie keinen Ring trägt.“ „Natürlich hatte sie einen! Den Klunker hat sie mir doch sofort unter die Nase gehalten, als ich ankam und dann schweigt sie die ganze Zeit wie ein Grab. Hätte ja wenigstens Danke für die kostenlose Reparatur sagen können.“
Jamiro blickte grinsend zu Boden. „Was lachst du so blöd?“ „Sie ist nicht vergeben. Sie wollte nur nicht angeflirtet werden.“ „Ach und das weißt du wieder?! Keine Ahnung was du machst aber ich fahr jetzt nach Hause.“ „Kopf hoch, die Nächste kann besser sein.“ „Ist das eine Drohung?“ Er zog sich den Helm wieder auf.
„Wieso solltest du mir eigentlich einen Rat geben können. Ich hatte wenigstens schon eine Beziehung.“ „Für knapp einen Monat.“ Auch Jamiro setzte sich den Helm wieder auf. „Besser als deine Bilanz.“
Am frühen Morgen klingelte wieder sein Handy. Er lag noch im Bett, war aber schon seit einer guten Stunde wach.
''Der Magier Jamiro Erkwin?''
Die Nachricht stammt von der Frau.
''Ja''
, schrieb er zurück.
''Ich hab sie mal gesehen, da
haben sie noch Kartentricks
gemacht''
Er schmunzelte.
''Hats ihnen gefallen?''
Darauf kam keine Antwort. Er schaute immer wieder auf sein Handy, wenn er konnte aber bis zum nächsten Morgen kam nichts. Es war etwa zwei Stunden später, als beim vorherigen Verlauf.
''Sorry, das ich sie so früh
belästigt habe.''
''Ich freue mich über
ihre Nachrichten.''
Danach blieb der Chat wieder für Stunden regungslos. Erst bei hereinbrechender Dunkelheit folgte eine neue Nachricht.
''Könnten sie ihrem Freund
ein Danke ausrichten. Ich
wollte nicht unhöflich
sein aber für einen netten
Flirt bin ich die Falsche.''
''Richte ich ihm aus.
Er hat ihnen gern
geholfen.''
''Das denk ich mir.''
Wieder verstummte der Chat. Nach zwei Tagen ging er in der Nacht weiter.
''Verraten sie mir
etwas über sich?''
''Sie haben mich doch
gesehen.''
''Ihren Namen vielleicht?
Nur damit ich nicht
weiter an Unbekannt
schreibe.''
Eine kurze Zeitlang passierte nichts. Er wollte sogar schon etwas Neues schreiben, um den Kontakt nicht wieder zu verlieren.
Plötzlich veränderte sich der Profilname. Statt ''Unbekannt'' stand dort nun ''Rapunzel'' mit einem Lach-Smiley dahinter.
Über ihr Pseudonym wunderte er sich. Schließlich hatte sie kurze rotgefärbte Haare gehabt. Von der Länge vielleicht gerade Mal fünf Zentimeter lang.
''Ist Rapunzel ihr
Lieblingsmärchen?''
''Gute Nacht.''
Seine Rückwünsche wurden nicht mehr gelesen. Trotz der Abfuhr versuchte er es in der nächsten Nacht wieder. Geantwortet wurde in den Morgenstunden.
''Ich hatte nichts anderes
von ihnen erwartet.
Lach-Smiley''
Er hatte noch geschlafen, als die Nachricht kam, weshalb er die Zweite auch gleich lesen konnte.
''Vielleicht verrate ich
ihnen das noch''
Am Abend durchsuchte er das Internet nach einem Geistesblitz und hatte Erfolg. Stella Wilkens, bürgerlich Nelli Wang, vierunddreißig Jahre alt. Eine Magierin, die vor kurzem bei einem Unfall ihre Stimme verloren hatte.
Was ihr Pseudonym anging, dies erklärte sich nach einigen Bilden. Sie hatte einen Trick, bei dem sie ihre Haare absurd lang werden ließ.
Obwohl er nun einiges über sie wusste, tat er im Chat weiterhin so, als habe er keinen blassen Schimmer.
Eines Tages stand plötzlich ihr richtiger Name im Profil. Das hatte ihn überrascht. Völlig sprachlos war er erst, als er ihre Frage für ein Treffen las. Sie wollte ein Zaubertrick sehen. Vermutlich war dass das erste Mal, dass er nervös wurde.
Er hatte sich noch nie gefragt, ob er wirklich gut war. Er hatte sich auch nie Gedanken darüber gemacht, ob seine Tricks Gefallen finden konnten. Vor allem hatte er sich nie gefragt, wie ein anderer Magier das sehen könnte.
Jetzt tat er das alles und blockierte seine Gedanken. Wie sollte er so nur einen Trick für sie finden? Er hatte keinen einzigen im Kopf und wenn, dann waren sie für Stella Wilkens nicht gut genug.
Nach mehren Stunden Verzweiflung schrieb er ihr eine Absage. Mit einem merkwürdigen Gefühl blickte er danach zu seinen Karten.
Wieso machte er sich so verrückt? Stella Wilkens war doch nur Nelli Wang. Eine Frau, die das Zaubern genauso gerne mochte wie er. Eine einzelne Person. Er hatte schon weit aus mehr Menschen mit seinen Tricks begeistert. Zu blöd nur, dass er bereits abgesagt hatte.
Er blickte wieder auf das Display. Moment, wieso hatte sie ihm ein Datum, eine Uhrzeit und einen Ort geschickt? Er hatte zugesagt? Wie? Na das war dann wohl Magie. Er zog ein Grinsen über den Gedanken und steckte sich seine Karten ein.
Augenscheinlich war er tiefenentspannt, als er wie vereinbart zum Treffen kam. Dafür wirkte sie ziemlich nervös. ''Ich hoffe, sie haben kein Problem damit zu lesen. Ich bin stumm.'', stand auf dem Zettel, der ihm zitternd hin gehoben wurde.
Er umgriff ihre Hand. „Nein. Das ist vollkommen in Ordnung.“ Ihr nervöser Puls wurde allmählich ruhiger. Schließlich löste sie sich von ihm und nickte ihm zu.
Sein Start war ihr zu zeigen, dass seine Hände leer waren. Dann schloss er eine zur Faust. Die Karo neun kam zum Vorschein.
Sie sollte nun die Karte nehmen und schütteln. In dieser Bewegung wurde es zu einem weißen Tuch.
Jamiro zeigte erneut, dass seine Hände leer waren und ließ sich das Tuch zwischen die Hände stecken.
Er grinste frech. Ein weißer Taubenkopf lugte zwischen seinen Händen hervor. Sie flog raus und eine Zweite folgte. Beide Tauben setzten sich auf ihren Arm. Sie lächelte überglücklich. Dem zufolge schien der Bericht über ihre Vogelliebe zustimmen. Sie vergaß so gar, dass sie nicht reden konnte.
Er nahm ihr die beiden Vögel ab damit sie tippen konnte. Währenddessen nahmen beide Platz. In ihren Augen schimmerten wieder Tränen aber diesmal waren es Freudentränen.
''Sie haben meine
Vorstellungen
weit übertroffen'',
erschien im Chat. Sie schaute kurz auf und wischte sich die Tränen ab. Dann lachte sie und schrieb erneut etwas.
''Sie wissen, wer ich
bin?''
„Stella Wilkens. Ja. Es freut mich, dass es ihnen gefallen hat.“
''Waren sie nervös?''
„Zu Anfangs.“
''Man hat ihnen nichts
mehr angemerkt.''
Sie wischte sich erneut die Tränen weg und lachte.
''Sie haben ein ganz
besonderes Talent.''
„Danke.“ Sie legte das Handy nieder und schaute ihn an. Daraufhin gab er ihr die Vögel wieder. Die Tiere mochte sie so sehr, dass ihr Glück mit ihnen kaum abzustreiten war. Dennoch ging ihr Treffen rasch zu Ende.
„Ich kann ihnen leider nicht die Vögel schenken aber etwas, dass bestimmt genauso gut ist.“
Auf die gleiche Weise wie zuvor ließ er die Karo neun erscheinen. Die legte er mit dem Gesicht nach oben auf den Boden. Anschließend nahm er sich eine Taube und setzte sie auf das oberste Stück.
Über sie und die Karte legte er ein weißes Tuch. Fast zeitgleich lief eine dritte Taube hinter ihm hervor.
Er zog das Tuch wieder herunter und die Taube war verschwunden. Lediglich ein schwarzer Vogelfußabdruck war auf der Karte zu sehen.
Die Zweite flatterte herunter und zog mit dem Schnabel am frischen Abdruck eine weitere Zehe. Danach kehrte sie auf Jamiros Schulter zurück, als wäre nie etwas gewesen.
Sich über ihren Ausdruck amüsierend schob er ihr die Karte zu. „Eine Autogrammkarte von Jerry und Tarik.“ Wieder vergaß sie, dass sie nicht sprechen konnte. Sie konnte es selbst nicht fassen und verbarg lachend ihr Gesicht. Der Kontakt zu ihr hielt an. Auch wenn es nur genauso sporadisch verlief wie mit seinem Freund.
Jamiro saß irgendwo mitten in einer Stadt. Er grinste vor sich hin und schien in Gedanken versunken zu sein. Die letzten Tage zuvor hatte er an Blume drei gedacht. Heute war wohl Finjas dran. Sein komischer kleiner Bruder, bei dem man einen Geburtennachweis bräuchte um das zu glauben.
Wie würde er wohl als Erwachsener aussehen? Er stellte sich den blonden Lockenkopf etwas kleiner als sich selbst vor. Warum auch sollte er größer sein? Anschließend korrigierte er seine Augenfarbe. Das brachte ihn erneut zum Lachen. Der Charterzug Unentschlossen würde doch ganz gut passen.
Ein amerikanisches ''Sorry'' drang an sein Ohr. Irgendjemand hatte sich unsanft neben ihn gesetzt und war sofort wieder aufgestanden. Er glaubte seinen Augen kaum, als er einen Mann wie ein Spiegelbild vor sich stehen hatte. Diese Ähnlichkeit war verblüffend aber auf dem zweiten Blick dann doch wieder aufgehoben.
Seine Augenbrauen waren dicker, seine Nase vermutlich mal gebrochen und ein Eckzahn fehlte. Zudem wirkte er neben ihm etwas dicker. Er reichte ihm die Hand mit einem Grinsen. Auch das war komplett anders. „Sie sind Erkwin? Aiden Brown. Jetzt weiß ich, warum ich dauernd so angesprochen werde.“ Er hatte kurz versucht auf Deutsch zusprechen war aber dann ins Amerikanisch zurückgefallen. Noch etwas verwundert nahm er seine Hand an und antwortet auf englisch: „Man verwechselt uns?“ Aidens Händedruck war schmerzlich fest. Deshalb sah Jamiro zu sie wieder schnell zurückzubekommen. „Ja. Im Flugzeug nannte man mich dauernd Erkwin. Wenn ich gesagt habe, sie verwechseln mich, ich heiße Brown, dachten sie, ich scherze. Sie könnten mein Bruder sein.“ Bitte nicht, zeigte sein Grinsen darauf. Keine Ahnung wieso aber dieser Mann war ihm unsympathisch.
Aus heiterem Himmel knallte dem Fremden eine Handtasche ins Gesichts. „Hab ich sie sie …“ Eine unschöne Diebesbezeichnung wurde dem angehängt. Beim Zurücktaumeln fiel ihm ein Portmonee aus der Tasche. Als er begriff, das er als Taschendieb aufgeflogen war rannte er erstaunlich sportlich davon. Ohne zu denken hetzte Jamiro hinterher. Nur eines war ihm in dieser Sekunde klar geworden, er hatte die Frau bestohlen.
Die Verfolgungsjagd ging ewig durch Winkel und Gassen. So lange bis dem Magier die Kondition verließ. Keuchend blickte er den Weg weiter worin er ihn aus den Augen verloren hatten. Jamiro, du bist echt keine Sportskanone, erkannte er selbst.
„Hände hoch“, rief eine Polizistin. Meinte sie ihn? Außer ihm und den beiden Polizisten im Rücken befand sich niemand auf der Gasse. Also wen sonst? Sie wiederholte sich in einem Tonfall, als würde sie jeden Moment schießen. „Schon gut. Sie haben den Falschen.“ Jamiro nahm sich die Hände an den Hinterkopf und drehte sich zu ihnen um.
„Haben sie Waffen bei sich?“ „Nein. Wie gesagt, ich bins nicht.“ Der zweite Polizist tastete ihn ab. „Was ist das in ihrer Tasche?“ „Karten.“ Die Wiederholung klang als wollte er ihn deshalb für verrückt erklären. Er zog ihm die Karten aus der Tasche und gab sie seine näher getretenen Kollegin weiter. Bei der Übergabe ließ er die Karten fallen, bevor sie sie gegriffen hatte. „Könnten sie bitte vorsichtiger sein. Das ist ein Erbstück.“ Die kaltschnäuzig Art musste er in Anbetracht seiner Lage wohl erst einmal ertragen.
Im Revier ging es kaum besser für ihn weiter. Diese Ähnlichkeit machte ihm starke Probleme. Er hatte zwar weder Beute noch Motiv aber das zählte alles nichts. Eine Zeugenbeschreibung passte zu gut auf ihn. Vor allem konnte er sich nicht selbst ausweisen. Sein Portmonee war ebenfalls in den Händen des Diebes. Für die Kommissarin klang das allerdings wie eine Ausrede. Auch die Tatsache wie sie ihn aufgefunden hatten wurde gegen ihn ausgelegt.
Er war immer noch völlig fertig. Ihm fehlte die Kraft und die Geduld um sich gegen die Argumente zu wehren. „Ist ihnen nicht gut?“, diese Frage klang zur Abwechslung völlig normal. Die Luft war zum erwidern jedoch zu knapp. Ehe er sich versah riss ihn etwas zu Boden. Ihm wurde schwarz vor Augen aber Stimmen schallten weiter gegen seinen Kopf.
Als seine Sinne sich wieder geordnet hatte blickte er auf weiß. Nicht schon wieder, meldete sein Kopf nach kurzer Starre. Neben ihm piepste eine Maschine. Raus ihr, forderte der zweite Gedanke, der ihm so halb bei sich in den Kopf schoss. Seine Muskel reagierten verzögert auf seinen Befehl. Doch als er kaum einen Millimeter hochgekommen war donnerte ihm etwas auf die Brust. Eine Frau im viel zu langen Mantel. Wer hätte gedacht, das er Herz acht noch einmal sehen würde.
„Sie kennen keine Grenzen aber das macht sie nicht unverwundbar.“ Sie zog die Kapuze ab, schaute aber an ihn herab. Schließlich legte sie seine beschlagnahmten Karten in die Hand. „Diesmal sind alle heil geblieben.“ Sie strich über die Verpackung als sei ihr das selbst wichtig gewesen. „Ich entschuldige mich für meine verkorkste Familie aber dieses mal ist es gesühnt egal was sie tun.“ Er drehte den Kopf so, das er die oberste Karte in der Schachtel sehen konnte. Die Herz fünf lag oben auf.
„Welcher war ihr Bruder? Der Dieb oder dieser ungeschickte Polizist.“ Ihr Blick fiel auf sein Gesicht. Beide, sagte er ohne das sie Worte benutzte. „Geldsorgen ist wohl eine Familienkrankheit bei ihnen.“ Entspannt legte er sich die Arme hinter den Kopf. „Ein Hurrikan hat Aidens Farm in der USA zerstört. Er hatte gehofft uns um Hilfe bitten zu können aber er fand uns nicht. Um wenigstens zurückfliegen zu können dachte er, er könne die Leute bestehlen. Steven dachte er könne ihn beschützen, wenn er eure Ähnlichkeit verschweigt. Es tut mir wirklich sehr leid.“ „Vergessens sies. Keiner hat von mir verlangt, dass ich ihrem Bruder hinterher renne. Ich bin so. Ich bringe mich selbst immer in verrückte Situationen.“
„Da hast du recht.“ Was? Auf einmal war es die Stimme seiner Mutter und irgendjemand übte auch noch Kraft auf ihn aus. Moment die Mantelgestalt war gar nicht Selina. Das war seine Mutter und sie trug auch keinen Mantel. Nur ein Oberteil in der selben Farbe. Allmählich schärfte sich seine Sicht. „Könntest du bitte …“, knurrte er weil sie ihn sich nicht aufrichten ließ. „Nein kann ich nicht. Hörmal wird das jetzt zur Gewohnheit oder was?“ Auch wenn ihre Stimme sehr wütend war ihre Augen verrieten ihre Besorgnis. „Das war nicht geplant.“ Er gabs auf sich zu wehren, auch wenn er durchaus gegen seine Mutter angekommen wäre. „Bei dir ist nie etwas geplant!“ „Schatz, jetzt lass ihn bitte erst einmal wach werden.“ Sein Vater war also auch da. Er sah ihn nur nicht.
„Seit ihr schon lang hier?“ Die Frage brachte seine Mutter wieder auf die Palme aber sein Vater drängte sich ins Bild. „Erst seit ein paar Sekunden. Falls du jemand anders wahrgenommen hast, war das wohl diese Frau, die uns entgegen gekommen ist.“ „Frau?“ „Sie war ziemlich vermummt vielleicht wars auch ein Mann.“ Sein Vater war sich sicher, dass es eine Frau war und er schien auch etwas mehr zwischen ihnen zu vermuten. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
Jamiro blickte zu seiner Hand runter. Die Verpackung lag exakt so darin, wie sie ihm gegeben wurde. Ihr war es wichtig gewesen, kam ihm in den Sinn und verwirrte ihn wieder. „Ihr ward schon da?“ Sein Vater runzelte die Stirn. „Ruh dich aus“, sagte er und verließ wieder sein Sichtfeld. Seine Mutter blieb wie ein Leibwächter an seiner Seite stehen. Diesmal würden sie ihn wohl kaum aus dem Krankenhaus fliehen lassen aber zum Glück wurde er immerhin noch am selben Tag entlassen.
Jamiro stand am Fenster seines Hauses. Blume drei war vorbei gejoggt und hatte ihn irgendwie dort festgenagelt. Abwesend hatte er begonnen, sein Kartendeck zu mischen. Das ging schon gut drei Minuten so. Sie sah gar nicht aus wie eine Mutter. Andererseits wie hatte eine Mutter schon auszusehen? Was sprach denn dagegen? Während er in Abwesenheit versank, erschreckte ihn sein Handyklingelton zu Tode.
„Erwin“, stotterte er ins Telefon. „Was los ist? Nichts war … beschäftigt.“ Seine Mimik verzog sich ins Zornige. „Danke. Schönen Tag noch. Tschüss.“ Dem Geburtstagsglückwünscher konnte er nicht eilig genug wieder loswerden.
Er beugte sich zu Boden und sammelte sein Erbstück zusammen. Als er wieder aufschaute, sah er Kinder vor seinem Haus. Drei Ältere stießen einen deutlich Jüngeren hin und her, bis er zu Boden stürzte. „Hey!“, brüllte er aus seiner Eingangstür hinaus. Die Bande ergriff die Flucht. Ihr Opfer blieb jedoch wimmernd am Boden liegen. Er war verletzt. Offenbar hatten sie ihn auch noch getreten.
Bei ihm angekommen ging er in die Hocke. Er jedoch zuckte ängstlich zusammen. „Alles gut. Ich hol dir jemand gegen die Schmerzen. Es ist gleich wieder besser, okay?“ Sein Vertrauen zu gewinnen klappte nicht. Der Krankenwagen kam und Jamiro berichtete schnell, was er gesehen hatte. Anschließend wiederholte er dies vor den Polizisten.
Als er von jenen entlassen wurde, stoppte ihn der Notarzt. „Sind sie der Vater?“, fragte er noch bei seinem Tun. „Nein. Ich hab nur von meiner Wohnung aus gesehen, was ihm passiert ist.“ „Kennen sie die Familie, vielleicht?“ „Nein. Tut mir Leid. Sagt er ihnen auch nichts? Darf ich nochmal?“ Der Junge vermittelte den Eindruck, als wollte er ihm etwas sagen. Man ließ Jamiro hinein.
„Na. Willst du immer noch nicht sagen, wer du bist?“ Er schüttelte leicht den Kopf. Trotz seiner immer noch recht großen Angst schien er ganz froh über seine Nähe zu sein. Er startete noch einen zweiten Versuch, ihn zu entspannen, stieß aber immer noch auf Schweigen.
Schließlich beschloss der Notarzt loszufahren. Der Junge klammerte sich an seinem Handgelenk fest. „Bitte“, stotterte er ängstlich. „Ich kann nicht mitfahren.“ Eigentlich wollte etwas von ihm hart bleiben aber der größere Teil musste ihm wenigstens das Hinterherkommen versprechen. So ließ ihn der Junge etwas missmutig gehen.
Außerhalb des Krankenwagens stieß er mit seiner Mutter zusammen. „Jamiro! Was ist los? Was hast? Was fehlt dir?“ Die Polizei war schon weg. „Nichts Mama. Ich bin in Ordnung. Beruhige dich.“
Er schob seine Mutter von der Straße zu seinem Hauseingang. „Ich muss kurz in die Klinik, danach löse ich mein Versprechen ein. Du kannst so lange hierbleiben.“ „Blödsinn! Ich fahr dich natürlich.“ „Mit mir ist nichts, ehrlich. Ich hab nur einem kleinen Jungen versprochen, da zu sein. Okay, fahr mich, du gibst eh keine Ruhe.“ Er änderte seine Richtung zum Auto seiner Mutter.
Später setzte er sich an das Bett des noch immer namenlosen Jungens. „Tut dir noch was weh?“ Müde schüttelte er den Kopf. Von der Notoperation hatte er schon erfahren, Genaueres wusste er aber auch nicht. „Willst du nicht eine Mama oder einen Papa bei dir haben?“ Wieder schüttelte er den Kopf. „Eine Oma oder ein Opa vielleicht?“ Mit dieser Frage stieß er auch wieder gegen eine Wand. „Ich bin ja da hmh.“
Noch immer sah er seine Angst in den Augen. Irgendwas sagte ihm auch, dass er hier nicht mit einem Zaubertrick weiterkam. Er legte seine Hand auf das Bett, damit er die Option bekam, sie zunehmen, wenn er wollte. Ansonsten versuchte er mit Beobachtung weiter zu kommen.
Ein normal genährter Junge, normal groß auf den ersten Blick. „Wie alt bist du denn?“ Keine Antwort aber er nahm seine Hand. Sprechen konnte er aber vielleicht war was mit den Augen. Er schaute noch immer starr in eine Richtung. Nur das Zittern seiner Angst zeigte sich als Bewegung.
„Schau mich mal bitte an?“ Sein Blick huschte für eine Sekunde zu ihm rüber. Zu kurz um zu beurteilen, ob er ihn sehen konnte. So weit er wusste, war es Blinden aber nicht möglich, ihre Augen zu kontrollieren. Also fiel dieser Gedanke auch weg. Hören konnte er ihn auch, das hatte ja die Reaktion bewiesen. Ahnungslos kratze er sich an der Stirn. Wieso fand er bloß keinen Zugang zu diesem Jungen?
Seine Mutter schaute ins Zimmer herein. Trotz aller Mühe hatte sie ihm immer noch nicht abgenommen, dass er für ihn hier war. Sie glaubte, dass er Bauchkrämpfe verheimlichte und er hier war, um das abzuklären. Sie kannte ihn wirklich schlecht aber gut, das war eben ihre Art.
„Hast du einem komischen Namen?“, wurde eingeschüchtert gefragt. Er blickte wieder zum Kind, dass ihn noch immer verängstigt anschaute. „Einen sehr komischen. Erkwin. Ich heiße Jamiro Erkwin.“ Die Augen wurden groß. „Wie der Magier?“ Von Angst war nun gar nichts mehr zu sehen. Er grinste. „Findest ihn toll was?“ „Nee. Kenn ihn nicht aber er soll mit Stella Willkens bald auftreten. Dann weiß ich das.“ „Du hast also noch Karten bekommen?“ „Nö aber Papa hats ganz fest versprochen. Es ist Stellas letzter Auftritt, weißt du? Sie tritt nicht mehr auf.“ Anscheinend hatte er ihm schon viel versprochen und nicht gehalten. Jedenfalls vermittelte er den Eindruck, als wüsste er schon enttäuscht zu werden.
„Ich könnte vielleicht dafür sorgen, dass du Backstage darfst. Stella Willkens mal ganz nah. Wäre das was?“ „Das kannst du?“ „Ja. Ist gar nicht so schwer.“ „Oh bitte. Das wäre so cool.“ „Gut aber dein Papa muss einverstanden sein.“ „Das muss er! Ich …“ „Was ist los?“ „Lacht sie auch nicht über meinen Namen?“ „So was Unlustiges macht sie nicht. Findest du Namen denn lustig?“ Er schüttelte den Kopf. „Siehst du? Weißt du, Leute, die sich über Andere lustig machen, sind einfach nur unzufrieden mit sich selbst.“ Der Kleine blickte bedrückt weg. Da war sie wieder, die Angst.
„Das Ganze zu beenden ist nicht leicht aber es ist möglich.“ „Zuerst einmal musst du wissen, dass kein Mensch der Welt etwas Besseres ist. Jeder hat etwas, dass er gut und nicht gut kann. Was kannst du denn gut?“ Er zuckte mit den Schultern. „Selbsteinschätzung liegt mir auch nicht aber vielleicht gibt es etwas, was du zu Hause gern machst. Du magst Magier, oder?“ Er nickte. „Dann verrate ich dir was, damit machst du deinen Papa ganz Stolz.“ Er beugte sich zu ihm und flüsterte ihm etwas zu. Das munterte ihn sofort wieder auf.
„Verstanden?“ Er nickte eifrig. Danach legte ihm Jamiro seine Karten hin. Sofort durchsuchte er den Stapel und nahm sich die Karo zwei. „Die gefällt mir.“ „Dann nimmst du diese für den Trick. Jetzt brauchen wir nur noch deinen Papa.“ Er zog es vor ihm flüsternd zu antworten. „Okay. Dann ruf ich ihn an und du übst fleißig.“
Sein Handy fand den Weg in seine Hand, noch bevor er das Zimmer verlassen hatte. Telefonieren folgte aber erst außerhalb der Klinik. Seine Mutter kam hinzu, als er fertig war.„Geh ruhig nach Hause. Das dauert noch etwas.“ Schlechtes Gewissen plagte ihn, seine Mutter einfach so stehen zu lassen aber er wusste, dass er mit mehr Aufmerksamkeit nur noch mehr Sorge aufwühlte.
„Mach ich das gut so, Herr Erkwin?“ „Sieht schon sehr gut aus. Du kannst mich aber sehr gerne duzen.“ Er legte die Karten beiseite. „Was mach ich eigentlich, wenn sie mich wieder schlagen?“ „Du sagst es deinen Eltern, deinem Lehrer.“ „Und dann?“ „Kümmern die sich darum, dass sie bestraft werden.“ Jamiro setzte sich wieder.
„Lass dir nicht einreden, dass das feige ist. Das sagen sie nur weil sie nicht betraft werden wollen.“ „Aber ich hab schon dreimal die Schule gewechselt. Jedes mal beginnt es von vorn.“ „Dann war dieser Weg nicht die Lösung. Das wird schon. Vertrau mir.“ „Hmh.“
Schließlich trafen die besorgten Eltern ein. Jamiro hatte sie in aller Ruhe vor dem Raum abgefangen und ihnen alles erzählt. Unter anderem hatte er auch Vorschläge gemacht. Anschließend ermunterte er den Jungen erneut. Diesmal darum, den Kartentrick seinen Eltern zu zeigen.
Er zeigte etwas zittrig die Karo zwei. Dann drehte er sie zweimal bis er sich etwas beruhigt hatte. Nach zwei weiteren Umdrehung lag die Herz vier hinten auf. Er lächelte und drehte noch ein einziges Mal. Nun war der Kartenrücken wieder zu sehen. Eifrig, wie er war, bewies er auch gleich, dass er sie nicht in seinem Ärmel verschwinden lassen hat. Jamiro war erleichtert und ließ die kleine Familie alleine.
Er hatte ja immer noch das Problem mit seiner Mutter. Nur weil er es sagte, würde sie wohl keine ruhige Nacht bekommen. Er stellte sich vor den Eingang und holte tief Luft. Dann ging er wieder ins Innere und schleppte seine Mutter mit. Er ließ sich gezielt auf diese Krankheit untersuchen. Auch wenn er dadurch tatsächlich selbst bange bekam, sie könnte doch wieder da sein.
Zwei Tage später schaute Jamiro an der Schule des Jungen vorbei. Er kam wohl gerade recht. Wieder hatten ihn dieselben drei Jungs eingekesselt und wieder ergriffen sie du Flucht, als Jamiro kam. „Bist du okay?“ Schwer atmend versteckte er sich hinter ihm. „Jetzt ist Schluss damit. Wo ist der Direktor?“ Der Junge führte ihn ins Gebäude und wich allen anderen aus, die ihm gefährlich werden konnten.
Die hilflose Situation des Jungen reizte den Magier so sehr, dass er sich deutlicher im Ton vergriff. „Was sind das für Zustände hier? Muss man hier zu sehen, wie ein Kind verprügelt wird, obwohl sie von Mobbing wissen!“
Er war geladen genug, die Eltern auch beim Zusammentreffen deren Anderen zu unterstützen. Diese glaubten doch tatsächlich, es handelte sich hierbei nur um eine harmlose Jungskabbelei. Triftige Gegenargumente hatten sie aber wegen dem siebenjährigen Altersunterschied und der zahlmäßigen Überlegenheit nicht. Letztendlich standen die drei trotz Rückendeckung ihrer Eltern vor Gericht.
Auf der Bühne, im Rampenlicht, vor unzähligen begeisterten Leuten. Er liebte dieses Gefühl. Für einen Trick fuhr er ihr durch die kurzen roten Haare. Diese wurden länger. Als sie lang genug waren, band er sie zu seinem hohen Pferdeschwanz zusammen. Anschließend verlängerte er es noch weiter. Bei einer Länge etwas größer als sie selbst verlief die Farbe ins Weiß über.
„Oh die Farbe lässt etwas nach.“ Dem etwas peinlich berührten Spott zur Folge drehte sie sich hektisch um. Ihre Mimik zeichnete sich geschockt. Verärgert griff sie nach ihrer Haarpracht und schlang es um seinen Hals. Beim Versuch, ihn zu erwürgen, rissen ihre Haare ab und ein roter Wollschal mit weißen Enden baumelte um seinen Hals. Das war ihr letzter Trick zusammen.
Backstage kam der Karo zwei Junge auf ihn zu gerannt und umarmte ihn. „Du bist Erkwin. Wie toll. Du bist klasse.“ Jamiro erwiderte die Umarmung. „Denk immer daran, kein Mensch ist etwas Besseres.“ Er stupste sein Gesicht hoch.
Lächelnd tauchte Stella hinter ihm auf, die sofort auch umarmt wurde. „Ihr seid so toll. Du darfst nicht aufhören Stella, ja?“ Allmählich trat auch seine Begleitperson in Erscheinung. Der telefonierende Mann war niemand, den Jamiro bereits schon kennengelernt hatte.
Nach der Führung hatte Stella etwas auf dem Herzen. Er setzte sich zu ihr und nahm einen Zettel entgegen. ''Ist es eine Last oder etwas Gutes das Unheil in anderen Menschen sehen zu können?'' Jamiro lachte, als er den Zettel gelesen hatte. „Ihm wäre das jedenfalls unangenehm", antwortete.
''Dir?'' „Nein ihm, die Begleitung unseres Fans.“ Sie rückte ihm näher unter die Augen und starrte ihm ganz tief hinein. „Versuchst du jetzt über mich was rauszukriegen? Vergiss es.“ Sie lächelte. ''Würdest du die Magie für jemanden aufgeben?'' Er setzte ein Ja an, ließ es dann aber bleiben. Die Reaktion auf ihre Frage hatte sie offenbar unzufrieden gemacht. Sie schrieb wieder etwas auf und faltete das Papier zusammen. Dort schrieb sie weiter und zeigte ihm das.
''Wenn du jemals mit dem Gedanken spielst, deine Magie aufzugeben. Lies das!''
Er lächelte und wollte das Innere sofort lesen. Allerdings verhinderte sie das. Vielleicht sollte er es tatsächlich erst dann lesen, wenn der Fall eingetreten war. Sie lächelte stolz, als hatte sie so eben seinen Gedanken miterfasst. Jamiro steckte sich den Zettel in die Tasche zu seinen Karten. Lächelte zurück und löste damit ihr Gehen aus.
„Eine Frage, Nelli. Warum hörst du wirklich auf?“ Ohne sich zu ihm zu drehen, hielt sie die Karo neun hoch. Aus dieser einzelnen Karte schwang sie einen Fächer von insgesamt fünfzehn Karten. Hiervon sah er nur das Gesicht der ersten Karte im Fächer. Die Restlichen zeigten ihre Rückseiten.
Sie schloss den Fächer auf die einzelne Karo fünf und schnellte es wieder auseinander. Jetzt war es jedoch keine Kartenhand mehr, sondern ein richtiger Fächer, mit dem sie sich nun Wind zu fächerte. Dann ging sie komplett aus dem Raum.
Diesen ''Auftritt'' hatte sie also gesehen. Es war ein sehr heißer Sommer, der schon viele Jahre zurücklag. Wie alt er gewesen war, wusste er nicht mehr aber keinesfalls volljährig. Er hatte in seinem Baumhaus gesessen und Tricks für seine Eltern geübt. Nach einiger Zeit war ihm das zu langweilig geworden, weshalb er auf die Straße ging und einfach jemanden beanspruchte.
Ja, dem Mädchen hatte es damals nicht gefallen aber den Fächer hatte sie bis heute behalten.
Er blickte schmunzelnd zu Boden. „Ich hab dich also zur Zauberei gebracht“, stellte er ungehört fest.
Zwei Tage später saß Jamiro bei einem Interview. Im Hintergrund hatte er den Mann entdeckt, den er schon mal zur Voraussicht zum Karo fünf ernannt hatte.
„Sie sind doch die Begleitung von Karo zwei gewesen.“ „Oh Gott dieser Spitzname. Ja, ja, der war ich.“ Er lachte mal, wenn auch ziemlich seltsam.
„Der Junge liebt einfach alles, was irgendwie nicht ganz normal ist. Verzeihung ich meine natürlich was unmöglich erscheint.“ Eine weitere Person kam auf sie zu. „Hier ihr Wasser.“ „Vorsicht!“ Noch bevor er das Wasserglas annehmen konnte, kickte er eine Steckdose weg.
„Verzeihung“, wiederholte er sich beschämt über seine Panikattacke. „Mir ist etwas ganz Dummes passiert. Etwas sehr Dummes.“ Er wollte weglaufen. „Wenn ich helfen kann.“ „Schon gut. Ich muss telefonieren.“ Eilig verschwand er in einen der vielen Räume.
Währenddessen ließ sich Jamiro sehr viel Zeit, um zu gehen. Er wusste oder er hoffte, dass er etwas für ihn tun konnte.
„Warten sie bitte.“ Der Mann rannte ihn fast um. „Verzeihung. Ich … Sie … Also ich brauch ein Wunder. … Also ich glaub nicht dran. Das ist nicht mein Ding aber er mag das.“ „Ich soll also für jemanden … “ „Ja, ja, ja. Also zaubern natürlich. Das sind Tricks, das ist mir klar aber er muss das durchziehen. Ich zahle. Natürlich bezahle ich sie. I … Ich kann …“
„Erzählen sie mir doch erst einmal, um wen und was es hier eigentlich geht.“ „Mein Bruder … Ich wollte ihm einen Streich spielen, verdammt nochmal und dann war da diese Steckdose.“ „Er liegt also im Krankenhaus.“ „Heinz-Heilmann-Klinikum.“ Die Antwort dauerte aber er sagte zu.
Egal wie sehr er auch Krankenhäuser verabscheute, er konnte nicht ablehnen. So stand er tatsächlich zu seiner nächsten freien Zeit im Zimmer des Mannes.
Alleine seine Anwesenheit hätte ihn zum Aufmuntern gereicht aber natürlich gab er ihm trotzdem eine kleine private Show. Als er ging, öffnete er den Zettel von Nelli Wang. ''Tus nicht'', stand darin. Eigentlich hätte er sich das auch denken können.
Zum Hochzeitstag seiner Eltern hatte er etwas Besonderes geplant. Dieser Tag war seinem Vater besonders wichtig. Nur seine Mutter vergaß ihn jedes Jahr. Also half er wie immer etwas nach. Er stoppte den Motor seiner Maschine vor dem Haus seiner Eltern. Die Haustür ging bereits auf, während er sich den Helm abnahm.
„Bist du fertig?“, fragte er ungeduldig, obwohl er kaum gewartet hatte. „Hetzt mich nicht“, erwiderte sein Vater. Seine Kleidung erweckte den Eindruck, dass er mitfahren wollte. „Hab ich denn jetzt alles? Der Schlüssel!“ Er kehrte um und versuchte die zugefallene Tür zu öffnen. Erfolglos. „Ich hab den Zweitschlüssel. Spring hinten drauf.“ Genervt wandte er sich ihm wieder zu aber entspannte sich im nächsten Moment.
„Warum sind alle in dieser Familie so schrecklich ungeduldig?“ „Hast dich ja nicht durchgesetzt.“ Für diese Aussage bekam er eine Ohrfeige zum Spaß. Jamiro zog sich den Helm wieder über. „Wo geht’s denn hin?“, fragte er und schwang sich hinter ihn. „Erstmal Helm auf, alter Mann. Sicherheit geht vor. Sonst darf ich nicht fahren.“ Sie lachten, da dieser Satz damals so ähnlich gefallen war.
Er hatte sich mit seiner Volljährigkeit erlaubt, seinen Motorradführerschein heimlich zu machen. Bewusst dessen, dass es seine Eltern aus Sorge niemals erlauben würden. Allerdings konnte er es nicht ewig geheim halten. Woraufhin sie völlig sauer den Führerschein und das gekaufte Motorrad wegsperrten. Ganze drei Monate ließ ihn seine Mutter nicht mal mehr in die Nähe eines solchen Gefährts. Letztendlich hatte sein Vater mit diesem Satz und trotz dem Drachen im Nacken klein beigegeben. Inzwischen zum Glück fand seine Mutter das Ganze nicht mehr so schlimm. Sie fuhr sogar selbst gelegentlich mit seiner Maschine herum. Einfach so zum Spaß.
Als sein Vater den Helm aufgezogen hatte, startete er und rief Festhalten nach hinten. Die Strecke wirkte, als habe er sich kurzweilig verfahren. Dennoch endete es nach kurzer Zeit. Er führte ihn auf ein parkähnliches Gelände. Auf einer niedrigen Anhöhe blieb er zufrieden stehen. Der Blick fiel auf einen großen Seerosenteich mit vielen Blüten. Die Wiesen hier waren irgendwie besonders saftig grün. Nur der kahle Baum hinter ihm passte nicht so recht in das Üppige.
Nach einer Weile stellte sich sein Vater zu ihm. „Und? Hier ein Picknick mit deiner Lieben. Das passt doch zu eurem Hochzeitstag.“ Kein Kommentar folgte. Nur starres Schweigen erreichte ihn. „Hats dir die Sprache verschlagen?“ Noch immer ohne ein gefundenes Wort griff er in die Tasche. Er holte sein Kartendeck hervor. „Mir geht’s gut. Ich wollte nur nicht riskieren, sie auf der Tour zu verlieren.“ „Du hast abgenommen.“ „Ja aber nicht gesundheitlich. Hier schwarz auf weiß.“ Jamiro reichte ihm einen an diesem Tag ausgestellten Bericht, der genau das bestätigte.
„Papa! Es ist wirklich alles gut. Die Karten machen nichts. Glaubt mir doch endlich.“ „Es tut uns ja schrecklich Leid Jamiro aber diese Zufälle. … Wir fühlen uns einfach wohler, wenn du sie bei dir hast.“ Er nahm die Karten und setzte sich. Als auch sein Vater saß, öffnete er die Verpackung. Willkürlich legte er alle vor sich auf die Picknickdecke. Jede Einzelne zeigte hiervon den Rücken nach oben. Davon wählte er eine aus, die kein Gesicht hatte. „Bedrucktes Papier, eine Erinnerungsstütze aber nicht mein Leben.“
Er strich über das leere Bild und ließ die Kreuz vier erscheinen. Daraufhin griff er sie um. Durch eine schüttelnde Bewegung fiel eine Fotospeicherkarte auf seine leere Handfläche darunter. Über das Faustschließen verschwand es wieder. Woraufhin er mit seinen letzten Worten diese Hand wieder über die Karte legte. Beim Wegnehmen zeigte sich der Herz Bube. Immerhin erreichte der Trick ein leichtes Schmunzeln.
„Schon klar. Du bist ein großartiger Magier aber es ändert nichts daran, dass wir uns um dich sorgen.“ Seufzend schob er seine Karten zusammen und hielt sie über sich, als er sich abgelegt hatte. „Sagt mal Karten, warum schenkt ihr mir Leben anstatt Vernunft? Es wäre doch viel einfacher für euch.“ „Mach dich nur lustig.“ Mit einer lässigen Bewegung warf er die verpackten Karten in die Tasche seines Vaters.
„Im ernst, ihr macht euch nur kaputt damit. Diese Krankheit ist selten ja aber ich bin beide Male gesund geworden. Der Unfall mit diesem Trick ist mir wegen meinem Husten passiert. Das ist blöd gelaufen. Als ich bei der Polizei zusammengebrochen bin, lag das daran, dass ich mich überanstrengt hatte. Ich mache kaum Sport und vielleicht liege ich auch mit dem Muskelaufbau etwas wegen der Krankheit zurück. Was auch immer. Das Abnehmen ist ganz einfach durch meine schlechte Ernährung auf Tour passiert. Keine höhere Macht. Einfach nur dummes Zeug. Und jetzt mach dir gefälligst einen schönen Tag mit deiner Frau. Ich bin nicht das Einzige in eurem Leben und inzwischen kein Kind mehr.“
Jamiro stand auf und wurde von etwas am Himmel abgelenkt. Was auch immer das zappelnde Ding war es kam direkt auf sie zu. Es schrie und stellte sich schließlich als Frau heraus, die gerade mit einem gerissenen Fallschirm abstürzte. Mit einem letzten Fluchen verfing sie sich im kahlen Baum.
„Sind sie okay?“ „Wenn sie unter Okay das hier verstehen? Verdammt, mein Messer!“ Vor seinen Füßen landete ein Taschenmesser im Gras. „Entschuldigen sie … könnten sie mir vielleicht das Ding hier hoch …“ „Ich helfe ihnen Moment. Rufst du einen Krankenwagen?“ Die Erwiderung kam, in dem sein Vater sofort zum Motorrad rannte.
Währenddessen machte sich Jamiro an den Aufstieg. „Eh seien sie aber vorsichtig, ja? Der sieht etwas morsch aus.“ „Ja ja, keine Sorge, ich hab sie gleich. Halten sie sich nur fest da oben.“ „Ich befürchte eine bessere Wahl hab ich nicht, wenn ich mich nicht strangulieren will. Als Erstes brach er den Ast ab, der gegen ihren Bauch drückte. Dann kam er auch an das gefährliche Seil heran.
„Ihr Hobby?“ „Abstürzen nicht unbedingt aber irgendwie passieren mir immer so komische Dinge.“ Mit etwas Mühe hatte er ein weiteres Seilstück erreicht. „Sie sind also schon öfters in Bäume gekracht?“ „Nur mit dem Fallschirm noch nicht.“ Lachend setzte er sich einen Ast vor ihr ab. „So. Damit sind sie erst einmal gesichert, bis ich die anderen Seile habe.“ „Sie verstehen was von Rettung, wie ich sehe.“ „Improvisation.“ „Oh äh, das ist sehr beruhigend.“ „Wir habens ja gleich. Klettern können sie?“ „Potenziell schon.“ „Aber?“ „Ich hab noch ihr sehr professionell Sicherheitsgurt um.“ „Das kommt als Letztes weg. Achtung Ruckler.“ Und schon war das letzte Seil ab. Damit begab er sich wieder auf den Ast vor ihr zurück. „Alles klar so weit?“ „Ich fühle mich zumindest unverletzt.“ „Gut, dann klettern sie jetzt langsam runter.“
Er wartete so lange, bis die Frau unten angekommen war. Erst dann machte er sich selbst an den Abstieg. Allerdings war sein letzter Ast morsch. „Alles okay?“ „Ja. Elegant geht nur anders.“ Sie lachte. „Wem sagen sie das.“ Sie reichte ihm die Hand, als er stand. „Amelia Sommer.“ Nachdem Abstauben erwiderte er mit seinem Vornamen. In diesem Moment kam auch sein Vater wieder hinzu. „Der Krankenwagen ist sofort hier. Gehts ihnen gut so weit?“ „Alles bestens. Danke für die Rettung.“ Er schaute zwischen den beiden hin und her und ließ sie dann erneut mit einem Grinsen zurück.
Als der Krankenwagen eintraf, ließ er sich mit geringer Gegenwehr von einer Untersuchung überzeugen. Amelias überzeugende Worte: „Immerhin bist du auf den Rücken gefallen.“ Vielleicht war es aber auch ihr unschuldiges Lächeln.
Zur späteren Zeit, als die Sonne den Himmel verfärbte, saßen seine Eltern zusammen auf der Picknickdecke. Er hatte ein Sektglas in der Hand, während sie ihr Leeres bereits beiseitegestellt hatte. „Unser Sohn pflückt Frauen vom Baum.“ Mit dieser Bemerkung erklärte sie ihn für verrückt und nahm ihm lieber das halbvolle Glas ab.
Nach langer Zeit traf er sich mal wieder mit seinem Freund. Er war ziemlich hektisch zu Gange und man sprach mit ihm wie gegen eine Wand. Eigentlich nichts, was ihm hätte komisch vorkommen müssen. Verplant war er sowieso. Nach Stress hatte er auch früher schon genau diese Tücken. Wie zum Beispiel die, das er sein Motorrad nicht fand.
Weiter gings mit dem Führerschein und dem Helm. Eigentlich eine Tortur für einen ungeduldigen Menschen wie Jamiro aber er hatte die Ruhe weg. Untypisch war aber vor allem, dass der Mechatroniker vorausfuhr. Noch nie war das der Fall gewesen.
An einem Rastplatz angekommen, bat sich die Gelegenheit zu fragen. „Was ist los?“ Er lehnte sich an einen Baum an. „Was meinst du?“ Sein Freund begann unnütz seine Sachen zu untersuchen.
„Ich war auf einen deiner Auftritte. Ich dachte immer, das wäre voll … na ja eben für Kinder halt.“ Wieder schusterte er etwas an seinen Sachen herum.
„Eine Frau, ein Kunde? Wenn du mich wieder bitten willst, für dich zu imponieren, dann vergiss das gleich. Das klappt nicht.“ „Himmel, ich sage doch nur, dass mir deine Show gefallen hat.“ „Danke, das weiß ich natürlich zu schätzen aber ich seh, dass du Ärger hast. Also raus damit. Ich helf dir, wenn ich kann.“
„Ich hab da einen ziemlich speziellen Auftrag angenommen. Ich weiß nicht, ob du mir wirklich helfen kannst aber es wäre ideal für mich, wäre die Tochter nicht dabei.“ „Ich soll ein Mädchen ablenken, damit du bei der Mutter punkten kannst?“ „Hörst du mir nicht zu?! Es geht um einen blöden Auftrag, den ich erst angenommen habe, bevor ich dieses Biest kannte. Ihr Vater ist gehöriger als ein verschüchterter Hund. Ich habe ohnehin nur zwei Tage Zeit.“
„Ist es illegal?“ „Natürlich nicht verdammt. Was denkst du von mir? Ich kann dir die Pläne zeigen, wenn du willst. Das ist absolute oberklasse. Nur diese kleine miese Giftschlange. Sie könnten mein Geschäft ruinieren, wenn sie unzufrieden sind.“ Jamiro lachte.
„Zeig mir die Pläne und ich überlegs mir.“ „Gut. Dann komm. Sie liegen in meiner Werkstatt.“ Sein Freund schwang sich sofort zurück aufs Motorrad und düste los. Er kam ihm kaum noch hinter her.
Die Pläne entpuppten sich als komplex aber legal. Grund genug für ihn zuzusagen. Somit stand er am nächsten Tag bereit.
Zur Entspannung hatte er seinen Freund eine Karte für das Mädchen ziehen lassen. Die Pik Dame. Tatsächlich half ihm das ungemein. Obwohl er die Karte als sehr passend empfand.
Als sie eintrafen, schien sein Freund nicht übertrieben zu haben. Wie der persönliche Butler hetzte der Mann ums Auto herum und öffnete die Tür.
„Ginge das nicht etwas schneller“, motzte sie in höchstarrogantem Tonfall. Auch ihre Gangart strotzte nur vor Selbstliebe. Das war nun wirklich kein Kind. Alleine ihre Kleider, Schmuck und Make-up Wahl verband sämtliche skurrilen Modetrends, die sie wohl irgendwoher aufgeschnappt hatte.
An ihn heran stolziert, scannte sie ihn mit einem angewiderten Blick von oben bis unten. „Das da soll mit mir shoppen gehen? Das kann nicht dein Ernst sein.“
„Es macht kein gutes Bild, sich so auszudrücken, Annemarie von Altenfels.“ Alles schwieg nach Jamiros Aussage. Das Mädchen selbst war allerdings die Einzige, die darauf wütend wurde.
„Ist er wenigstens sauber?“, richtete sie die Frage direkt an einen der beiden Bodyguard im Hintergrund. Es antwortete jedoch ihr Vater darauf. Obwohl er schon fast damit gerechnet, dass er sie nun doch bei sich behalten wollte, überließ er sie in seiner Obhut.
Mit Annemarie und einem Bodyguard im Schlepptau ging es in die Stadt. Bis dahin hatte er sich noch geweigert, sie unsympathisch zu finden. Allerdings ging sie ihm dort noch deutlich mehr gegen den Strich. Sie behandelte jeden wie Dreck und scheuchte die Verkäufer mit Drohungen rum, als gäbe es keinen Morgen mehr. Hatte sie sich etwas ausgesucht, das unter hundert Euro das Stück lag, sollte es ihrer Meinung nach verbrannt werden.
Nach fünf Stunden hatte Jamiro vier Tüten Markenkleidung im Arm hängen und absolut keine Hoffnung mehr, in diesem Kind etwas Gutes zu sehen.
Die fünfte Tüte ließ er schließlich nachdem bezahlen an der Kasse stehen. „Hallo! Die Tüte!“ „Trag sie selber oder sie bleibt hier!“ Er sah den Bodyguard grinsen.
„Wie sprichst du mit mir? Nimm die Tüte sofort!“ „Nein!“ „Das wirst du bereuen! Wart nur ab. Du wirst dir wünschen, das nicht getan zu haben.“ Wütend riss sie die Tüte von der Theke und stampfte davon.
„Prinzessin von Altenfels“, murmelte der Bodyguard beim Folgen. Irgendwas fühlte sich an dieser Situation komisch an. Tat sie ihm Leid? Ihm blieb nichts anderes über, als ihnen weiter nachzugehen.
Der nächste Kostenpunkt war der teuerste Milchshake auf der Karte. Er nahm sich ebenfalls einen, der aber noch nicht einmal halb so viel kostete. Dann setzte er sich mit ihr an einen Tisch.
Sie schoss bereits schon wieder mit Gehässigkeiten um sich aber diesmal regte es ihn nicht einmal mehr innerlich auf. Sie zeigte sich so und war auch so kein Zweifel mehr.
Auf einmal kippte sie sein Getränk gegen ihn. „Jetzt musst du wohl mit jemanden herumlaufen, der ein versautes Hemd hat“, sagte er, ohne auch nur den kleinsten Funken von Ärger. Dafür regte sie sich auf. Sie verlangte, dass er sich sofort etwas anderes anziehen sollte. Doch Jamiro hatte darauf nur ein klares Nein.
Sie kochte vor Wut. Was sollte sie auch schon dagegen unternehmen? Bockig sitzen bleiben brachte nichts, da er seelenruhig in ihre Nähe blieb. Selbst wenn sie nun einfach weitergehen würde, hätte sie wohl keine Chance.
Sie entdeckte ein Werbeplakat von seiner Tour mit Stella. „Magier“, lachte sie abfällig. „Klar.“ Sie ging weiter aber etwas war nun anders an ihr.
Beim nächsten Plakat erkannte er, das es Unruhe war. Sie sprach auch urplötzlich kein Wort mehr. Beim Dritten war sie wieder wütend. „Das hätten sie ruhig auch mal erwähnen können“, knurrte der Bodyguard in sich hinein. „Weshalb?“ Er schwieg und folgte ihnen mit größerer Anspannung.
„So! Du bist also irgend so was prominentes?“ Er hatte gar nicht mitbekommen, dass sie sich direkt vor ihn gestellt hatte. „Muss ja irgendwie ziemlich schief laufen, wenn du hier den Sitter spielst.“ „Es gibt Leute, die tun etwas für Andere. Selbst wenn sie so arrogant daherkommen.“ „Für Geld.“ „Nein. Einfach weil es nett, hilfsbereit und eine Entlastung ist.“
„Eine Last?“ „Meinst du, es ist leicht für deinen Vater dich zufrieden zustellen? Das Geld, das du hier so sorglos ausgibst, hat er und deine Mutter erarbeitet. Sag mir mal, was sie davon haben, dass du dir das alles hier kaufen kannst. Vermutlich bekommen sie nicht einmal ein Lächeln geschenkt.“ „Ändert das was?“
„Stell dich vor einen Spiegel und lächle. Dann lernst du vielleicht was Wert ist.“ „Hallo! Ich glaub, du willst unbedingt Probleme.“ „Versuch es!“ Zuerst lief sie weg aber dann probierte sie es tatsächlich an einer Scheibe.
Erfolglos beleidigte sie ihn daraufhin. „Das war kein Lächeln, das war eine Qual. Hier die beiden. Sie sind glücklich.“ „Toll. Bin ich auch.“
Wieder stapfte sie in einen Laden hinein. Ein Kartendeck für 4,46 € landete in ihren Besitz. „Das benutzen doch Magier oder? Ich will was sehen. Also mach mal.“ Jamiro fing die Verpackung und steckte sie ein. „Nein.“
„Wie? Sag bloß, du willst auch noch Geld dafür. Du kannst doch eh nichts.“ Sie versuchte desinteressiert wegzugehen aber letztendlich siegte doch die Neugier.
„Gut. Ein Fünfer mehr bist du mir nicht wert.“ „Nein.“ „Zum … Dann …“ Wieder versuchte sie sich desinteressiert davon zu machen aber es scheiterte ein weiteres Mal.
„Gut. Zweihundert Euro aber wenn du nicht gut bist, verklagt dich mein Vater.“ „Nein“, lachte er nun. „Auch nicht für tausend Euro und millionenfacher Anzeige. Glück ist nicht käuflich. Genauso wenig erpressbar.“
„Was willst du stattdessen?“, fragte sie völlig genervt. „Ein Bitte.“ „Was?! Vergiss es!“ Damit verzog sie sich schmollend auf die Rückbank des Autos.
Nach sechseinhalb Stunden Shoppingwahn war es an der Zeit, sie zurückzubringen. Der Vater und der zweite Bodyguard standen bereits schon in der Einfahrt. Nur sein Freund fehlte. Nachdem er kurz nachgeschaut hatte, verließ er den Hof, ohne etwas zu sagen.
Zwei Tage später jedoch stand er wieder bereit. Die Abgabe dieses oberklassen Dings stand bevor und sein Freund brauchte wieder den Schutz.
Der Bodyguard, der sie in der Stadt begleitet hatte, war als Erstes von dem Besuch da. „Es ist so, mit mehr Leuten wäre die Sache neulich sicherer gewesen. Unter anderem waren sie mir eine unbekannte Gefahrenquelle für das Mädchen. Nicht alle können Leute mit Erfolg ausstehen, glauben sie mir. Es ist besser für sie und Andere, dass der Schutz reibungslos funktioniert.“ „Machen sie gerade Werbung?“ „Man sagte mir bereits, dass sie in dieser Hinsicht taub sein.“ Damit kehrte Schweigen ein, bis der Rest ankam.
Wieder lief der Vater ums Auto herum und öffnete seiner Tochter die Tür. Sie trug etwas der neuen Sachen aber war diesmal entweder gar nicht geschminkt oder nur dezent. Der Gang war noch immer der Selbstverliebte wie vor zwei Tagen und wieder kam sie mit skeptischen Blick auf ihn zu.
Sie hielt ihm das Kartendeck hin, das sie im Auto wieder zurückgefordert hatte. „Bitte“, sagte sie. Es wirkte, als habe sie das besonders lang auf nette Art geübt. Jamiro lächelte. Es mochte künstlich sein, hatte aber doch schon mehr, als er erwartet hatte. Also erfüllte er ihr den Wunsch, solange ihr Vater und sein Freund verschwanden.
Er kontrollierte, ob die Karten vollständig und in Ordnung waren. Dann zeigte er auch ihr die einzelnen Gesichter. Er mischte und hielt ihr den Stapel hin. „Sag Stopp bei der Karte, die du haben willst.“ Getan wie gesagt stoppte es bei einer Karte.
„Du möchtest also die Pik Dame haben“, sagte er, noch bevor er das Gesicht aufgedeckt hatte. Es war die Pik Dame. Diese Karte behielt er, während die Anderen wieder in die Verpackung kamen.
„So kleine Karten sind öde, das kennt ja jeder, nicht?“ Er legte sie mit dem Gesicht nach oben auf einen Tisch. Seine Hand wischte zu allen Seiten einmal. Die Karte formte sich mit.
Als er die Hand herunternahm, war sie größer. Das Motiv war unbeschadet angepasst. Er ließ sie die Karte nehmen, um die Echtheit zu beweisen. Auch hatte es keine sichtbaren Knickstellen.
Nach der Prüfung legte er sie mit dem Rücken nach oben wieder hin. „Jetzt muss sie natürlich wieder kleiner werden, damit sie wieder zu den Anderen passt."
Er zog mit dem Finger eine Linie über die Karte und löste das erste Stück ab. Dasselbe tat er auch an der Seite. Das Kartenstück drehte er um. Es war die Pik Dame in der ursprünglichen Größe, wie das daneben halten der Schachtel bewies.
Das Abgeschnittene knüllte er in seiner Hand zusammen. „Das brauchen wir nicht mehr. Obwohl, die hier schon. Er ließ das gesamte Deck Stück für Stück aus seiner Hand fallen. Danach zeigte er, dass die Schachtel leer war.
Seine Mutter lief vor ihm auf und ab. Sie war schon wieder besorgt aber weshalb hatte er noch nicht herausgefunden. „Wenn du nicht mit mir redest, dann lass mich wenigstens in Ruhe essen!“ Warum hatten seine Eltern bloß einen Zweitschlüssel? Es passte ihm gar nicht, dass sie einfach hereingeplatzt war. Ohnehin hatte er einen schlechten Tag.
Er war lange aufgeblieben, um an einem Trick zu arbeiten. Als er schlafen wollte, fing ein Gewitter an. Man konnte meinen, die Welt geht unter. Zudem Ganzen hatte er auch noch Durst bekommen. Es wäre ganz leicht, eine Flasche zu holen, wenn seine Mutter nicht wäre.
Schnaubend legte er sein Besteck ab. „Setzt dich, geh oder rede bitte mit mir aber hör auf hier rum zu rennen!“ Immerhin blieb sie stehen aber die ermahnende Haltung am Tisch war kaum besser. Er fluchte und schob den vollen Teller bei Seite.
„Was ist los?!“ „Fünfzehnter Oktober“, warf sie in den Raum, als müsste er daran sofort ihr Problem erkennen. „Euer Hochzeitstag.“ Mehr war ihm auf Anhieb nicht eingefallen aber langsam roch er, worin das Enden sollte. Entweder wusste sie bereits von seiner Abnahme oder sie riet wegen seiner schlechten Laune herum.
„Mam komm auf den Punkt!“ Garantiert gehe er nicht ins Krankenhaus, nur weil sie selbst mit einem zwei Wochen alten Arztbericht nicht zu beruhigen wäre. „Dein Vater“, warf sie ihm als Nächstes an den Kopf. Schon klar, sie spielte mit seiner Ungeduld. Das konnte sie gut aber sie war ungeduldiger als er. Er musste einfach nur länger durchhalten.
„Ich habe keine Ahnung, was du willst. Sag mir einfach, was los ist.“ Sie entfernte sich vom Tisch und blieb wieder stehen. „Bist du wieder krank?“ „Was? Nein! Man bitte vergesst das doch einmal.“
Es klopfte an der Tür. Fast wäre er aufgestanden. „Lässt du Papa rein?“ Ihr Blick wirkte tödlich. „Mam es ist nichts! Bitte, es regnet wie Sau.“ Sie ließ sich nicht länger bitten.
„Schatz …“ Er stoppte seine Argumentation, um seine durchgeweichten Sachen auszuziehen. „Ich sagte dir doch, das es mein Einfall war. Eine Überraschung. Ich hab ihm gesagt, dass er dich nicht erinnern muss.“ Zu keiner Sekunde nahm sie ihm das ab.
„Bekomm ich ein Handtuch?“, bremste er ihre aggressive Erwiderung aus. Ihr Blick schob die Frage an den Sohn weiter, der sich aber nicht rührte. Also ging sie selbst.
„Sie denkt, weil du sie nicht wie jedes Jahr erinnert hast, dass du uns etwas verheimlichst.“ „Das denk ich nicht nur, dass weiß ich!“ Sie schmiss ihm grob das Handtuch um den Hals. „Also?“ „Wie er gesagt hat, er wollte dich überraschen. Ich mach doch keine Überraschung kaputt.“ Er schob sich das Essen wieder hin.
„Wo sind deine Karten?“ Mit vollem Mund deutete er in eine Richtung. Ein kleines neues Wandregal, in dem drei Kartendecks aufrecht standen und ein Weiteres in einer durchsichtigen Verpackung abseits der Anderen lag. Dieses Einzelne nahm seine Mutter und kam an den Tisch heran.
„Ich weiß, ich bin hysterisch aber ich kenn euch doch.“ Kaum die Karten abgelegt, schob sie es ihm zu. „Ist es was schlimmes?“ Er schüttelte leicht den Kopf und lächelte.
„Es tut mir Leid.“ Gekränkt nahm sie platz. „Du bist immer so unvernünftig.“ „Ihr seid halt gute Eltern.“ Er aß seelenruhig weiter. Als er fertig war, schob er den Teller erneut zur Seite und packte die Karten aus. Dabei musste er gähnen.
Sein bislang unbesorgter Vater kam näher heran. „Alles okay. Nur etwas wenig geschlafen letzte Nacht.“ Er setzte ein falsches Grinsen auf, das bewusst einen Hintergedanken auslösen sollte. Ob es klappte, verriet die Mimik nicht aber er schaute zumindest weniger besorgt.
Anschließend legte er den Kartenstapel ab. Allerdings so ungeschickt, dass ihm die obersten Karten herunterrutschten. Alle samt legte er wieder oben auf, ehe er bemerkte, dass er die Karo König falsch herum aufgelegt hatte. Er gähnte wieder.
„Entschuldige, ich bin wohl zu müde, um zu zaubern.“ Tatsächlich schien er es damit beenden zu wollen. Doch er grinste und wischte mit der Hand über die wieder verpackten Karten. Eine zweite Gleichaussehende tauchte daneben auf.
Das Erbstück nahm er auf und packte es erneut aus. Diesen Stapel gab er seiner Mutter. Das andere ausgepackte Deck reichte er an seinen Vater weiter. „Mischt es und ich ziehe aus beiden Decks jeweils den Karo König.“
Wie gesagt, begann er zu aller erst bei seiner Mutter. Dort passte es. Bei seinem Vater zog er allerdings die Pik vier. Obwohl es für einen Moment ungewollt wirkte, schien er es doch absichtlich gemacht zu haben. Er grinste und schob den Karo König über die falsche Karte. Dann wartete er einen Augenblick und schob sie wieder auseinander. Die Zweite zeigte schließlich auch das erwünschte Ergebnis.
„Du Verrückter!“ Die mahnenden Worte seiner Mutter verfielen so gleich ins Gelächter. Es hatte wirklich besser geklappt als gedacht. Seine Mutter lachte viel zu selten.
Als er ein weiteres Mal gähnte, bemühte sich sein Vater, seine Mutter vom Tisch wegzulotsen. Erst nachdem das geklappt hatte, huschte Jamiro in sein Zimmer. Er war todmüde. Nicht einmal mehr das heftige Gewitter konnte ihn vom Schlafen abhalten.
Es verging etwas mehr wie zwei Stunden, als er von einem grellen Licht geweckt wurde. Maulend kroch er aus dem Bett und verzog sich ins Bad, wo es noch finster war.
Er döste kurzfristig ein, ehe er sich an das Lachen seiner Mutter erinnerte. Er stellte sich vor den Spiegel und schaute hinein. Wieso nur mussten sie sich die ganze Zeit Sorgen machen? Er war doch gesund. Inzwischen sogar schon seit einundzwanzig Jahren. Das klang ziemlich lang für das, dass es gefühlt eher nicht der Fall war.
Gekränkt senkte er seinen Blick. Es wäre so viel einfacher, könnte er ihnen beweisen, dass er nie wieder erkranken würde.
„Hättest du es besser gekonnt?“ Hinter ihm war Finjas erschienen, der etwas unzufrieden an seinen weißen Pulli herum zerrte. Jamiro schüttelte den Kopf und hielt sich mit zusammengekniffenen Augen an der Nase. Damit verschwand er wieder.
Wütend packte er etwas Gläsernes und warf es an die Wand. Seine Stimmung änderte sich aber wieder, als er dabei eine Karte am Boden liegen sah. Genau dort, wo er sich Finjas eingebildet hatte, nahm er den Karo König auf.
Er verharrte eine Weile, ehe es ihn schweigend zum Tisch führte, an dem er gestern den Trick gemacht hatte. Alles lag noch so, wie er es verlassen hatte. Nur der Karo König des Erbstücks war verschwunden.
Er blickte verwundert auf die Karte in seiner Hand und lächelte anschließend. „Auch wenn ich dich vermutlich aus Gewohnheit rumgeschleppt habe, es kann nicht schaden, ihn mal wieder zu besuchen.“ Alleine dieser Entschluss machte ihn wieder zum Alten.
Er schnappte sich sein Motorrad und fuhr zu ihm. Seltsamerweise stand nun Meyer am Klingelschild. Hatte Karo König etwa doch nochmal geheiratet? Er klingelte einfachmal. Eine Frauenstimme meldete sich.
„Verzeihen sie die Störung. Ist Josef Pfleiner da.“ Er wollte noch seinen Namen anhängen, als die mit einer Kette gesicherte Tür einen Spalt weit aufging.
Eine ältere Frau blickte heraus. „Der nette Herr ist vor zwei Wochen verstorben, junger Mann. Wenn sie mehr wissen wollen, wenden sie sich an seinen ungehobelten Sohn, den finden sie vermutlich in der Kneipe an der Teichgartenstraße.“ Damit knallte die Tür auch wieder ins Schloss.
Verstorben vor zwei Wochen? Jamiro war geschockt und irgendwie machte es ihn auch betroffen. Dennoch schaffte er es, sich irgendwann loszureißen und zur besagten Kneipe zu gehen.
Es war komisch, es zu betreten, nachdem er ihn hier kennengelernt hatte. Sein Sohn stand hinter dem Tresen und polierte Gläser. Er wirkte, als stand er neben sich aber das war in Anbetracht der Situation eigentlich verständlich.
Jamiro setzte sich neben einen schnarchenden Gast. „Heute nur …“ Offenbar fiel ihm die Biersorte nicht ein, da er es erst nach langer Denkpause benannte.
„Gibs auch ein Wasser?“ Er ließ das Glas fallen, das schon mehr als sauber gewesen war. „Sicher“, stotterte er und befüllte das Falsche. „Nur aus dem Hahn“, sagte er und stellte das eingefüllte Getränk weit von sich.
Er nahm ein frisches Glas, füllte aber wieder das Falsche ab. „Ich nehm das“, sagte er schließlich und nahm es ihm ab, bevor er weitermachen konnte.
Er tauchte das Handtuch ins Wasser und begann das volle Glas wie ein Leeres zu spülen. „Sie sollten Schluss für heute machen.“ Seine Erwiderung kam auf Finnisch, weshalb er keinen blassen Schimmer hatte, wovon er gesprochen hatte. Erst danach folgte auf Deutsch: „In einer Stunde.“
Während er das sagte, senkte er seinen Blick und bemerkte den Irrtum mit seinem Handtuch. Überkreuzt stellte er das Glas beiseite und legte das Handtuch gegen gesetzt ab. Dann schreckte ihn ein Hupen auf.
Im ersten Moment noch völlig erstarrt, begann er anschließend den Mann zu wecken. Er hatte ihm ein Taxi gerufen. Damit er es in seinem Zustand nicht übernehmen musste, hängte sich Jamiro den wildfremden Mann um und schleifte ihn nach draußen.
Als er wieder rein kam, hielt er ihm ein Wasser hin. „Verzeihung, Herr Erwin. Das war doch ihr Name oder?“ „Erkwin aber egal.“ Es brachte nichts, ihn zu verbessern, da er mit dem Kopf schon längst wieder woanders war. In aller Ruhe trank er deshalb sein Glas aus.
„Sie haben meinem Vater echt gutgetan.“ Er vermisste seinen Vater sehr, was nun auch die schimmernden Tränen zeigten.
„Bislang hat er eher mir geholfen. Er war wirklich ein toller Mann, ihr Vater. Mein Beileid.“ „Ja, das war er schon irgendwie aber auch eine Mauer. Wissen sie, ich hab es früher immer gehasst. Er war kaum da und wenn er da war, übernahm er meistens die Strafen oder legte alles immer so kalt ab. So weit ich mich erinnern kann, war sein höchstes Lob jemals ''weiter üben''.“ „Klingt schon recht kühl.“ „Er hat halt auf dem Bau gearbeitet aber er hat uns auch wirklich fast alle Wünsche erfüllt. Egal wie viele Überstunden er dafür schuften musste.“ Er verstummte und stieß dann ein Lachen aus.
„Na ja, ich regte mich damals über seine Abwesenheit auf und mache es heute als Papa selbst nicht besser. Mia, meine Kleinste kennt mich ja kaum. Meine Frau sagt immer, wenn ich nach Hause komme, bin ich eigentlich immer noch auf der Arbeit.“ Er verstummte wieder.
Sein Blick begutachtete dabei die Scherben am Boden. Erst nach einer ganzen Weile beugte er sich danach und begann sie aufzuheben.
„Mein Vater erzählte immer gern von ihrer Begegnung. Er sagte neulich, jetzt seien sie da, wo sie hingehören. Keine Ahnung, was er meinte aber vermutlich wissen sie das.“
Mit schmerzlichem Gesichtsausdruck kam er wieder hoch. Er hatte sich an einer Scherbe verletzt. Als er die blutigen Scherben in den Müll schmiss, zeigte sich, dass dies nicht sein erstes verbrochenes Glas war. „Sie bluten recht stark.“ „Geht schon“, sagte er und verband sich die Wunde.
„Sagen sie mal, was macht sie eigentlich so gut? Ich meine, meine Kinder zu begeistern ist vermutlich nicht allzu schwer aber meinen Vater für etwas unnützliches, also für reine Unterhaltung zu begeistern war immer so erfolgreich, wie einem Stein das Reden beizubringen.“
„Haben sie das etwa versucht?“ „Zumindest hab ich ihnen immer Gesichter aufgemalt.“ Er lachte. „Er fand das immer doof. Mutter erzählte dann immer etwas von Steingeistern, die ich damit erschaffen hatte.
Er trat hinter dem Tresen hervor und setzte sich neben ihn. „Ich weiß bis heute nicht, was die Beiden so lange verbunden hatte. Er war zehn Jahre älter als sie, sesshaft, konsequent und direkt. Er macht es sofort. Sie vielleicht erst morgen. Sie kannte alle Leute beim Vornamen. Er verblieb lieber unter sich. Sie träumte immer vom Reisen. Er hatte immer seinen routinierten Spaziergang. Er die Routine. Sie das neue Unbekannte.“ „Vermutlich das Alter.“ „Nein er war schon immer so.“ Lächelnd blickte er sich im Raum um.
„Können sie sich vorstellen, dass das hier das letzte Haus ist, an dem mein Vater gearbeitet hat. Er hat mir nie erzählt, warum er nach diesem Bau aufgehört hat und zum Kneipenbesitzer wurde.“ „Vielleicht hatte er die Hoffnung, mit dem anderen Job mehr Zeit für die Familie zu haben.“ „Möglich. Sagen sie ... können sie vielleicht … also nur wenn sie wollen, mir auch so einen Trick zeigen?“ „Sicher.“
Das Erbstück hervorgeholt, meinte er: „Ihr Vater hatte einen ganz persönlichen Trick.“ Jamiro legte die ersten vier Karten mit dem Gesicht nach oben auf den Tisch. Es waren die Pik zwei, Herz zwei, Karo zwei und die Kreuz zwei.
„Für einen Spieler wäre das ein eher schlechtes Deck“, lachte er schon begeistert, ohne dass der eigentliche Trick schon geschehen war. „Sie kennen ihn schon?“ Schmunzelnd drehte er die Karten um. „Was ist aber wenn die Karten plötzlich keine Gesichter mehr haben?“ Jamiro drehte jede Einzelne um. Die Vorderseite sah bei allen genauso aus wie die Rückseite. Selbst das Überprüfen bewies, das es keine zusammengeklebten Karten waren.
Von Magierhand wieder platziert, ließ er nun seinen Zuschauer ran. Bei ihm wurde jede Einzelne zu einem Ass. „Ich fass es nicht. Ich hab doch gesehen, dass sie die Karten nicht ausgetauscht haben.“ „Ja“, erwiderte er schadenfroh und trippelte mit den Fingern auf einer Karte vor sich herum.
Er zog seine Jacke aus, unter dem ein weißer Pulli zum Vorschein kam. ''E R W A C H S E N E R'' stand in Großbuchstaben von seiner Schulter abwärts den Ärmel herunter. Wieder folgte ein Lachen, nachdem er das Wort erst einmal verstanden hatte.
„Und damit sie endlich wissen, wie ich heiße.“ Er schob die vor ihm liegende Karte zur Seite. ''Jamiro'' stand nun eingebrannt auf dem Tisch. Im nächsten Schritt drehte er die Karte um, auf der sein Nachname gekritzelt war. „Was zum … mein Tisch … ich … ich bin verwirrt.“ Er grinste und entfernte das Eingebrannte mit einer kaum aufliegenden Wischbewegung.
Ein seltsames Lachgeräusch folgte. „Klasse“, keuchte er, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen. „Ich bin maßlos verwirrt aber klasse.“ Jamiro packte lachend seine Karten wieder ein.
„Sie sind oft ziemlich verwirrt.“ Eine Einzelne legte er wieder zurück. „Das hat mir meine Frau auch schon vorgeworfen. Ich arbeite zu viel und schalte nicht ab. Noch ein Wasser, Herr Erwin?“ „Nein danke.“
Er zog sich die Jacke wieder an und schob die Karte etwas herunter. Eine Zweite lag darunter. Er schob sie wieder darüber und unterschrieb auf der Oberen. Seine Mine berührte dabei das Blatt nicht. Es erschien auch kein Text. Was er geschrieben hatte, zeigte sich erst auf der unteren Karte.
„Wenn man das so sieht, scheint alles möglich“, sagte er und trank die letzte Hälfte seines Biers. Als er sich wieder zu Jamiro wandte, war dieser gegangen. Nur eine unterschriebene Pik vier Karte lag noch an seinem Platz.
Irgendetwas fühlte sich komisch an. Wie leer. Als könne sein Kopf keine Gedanken mehr fassen. Trotzdem schienen Gedanken da zu sein. So als wären sie in einer unkenntlichen Schrift geschrieben. Ohne das Gefühl von verstreichender Zeit starrte Jamiro eine weiße Wand an.
Was war das? War das Schmerz? Er hatte das Verlangen; den Kopf zu schütteln. Doch alleine das Wollen gab ihm ein Schwindelgefühl.
Benommen taumelte er auf eine Sitzgelegenheit zurück. Schmerz fühlte sich anders an. Das konnte es nicht sein. Trotzdem fühlte er sich gar nicht gut. Irgendwie krank. Krank!
Das Türklingeln fuhr ihm bis ins Rückenmark. Seine Eltern waren da und dafür musste er nicht einmal nachsehen.
Hektisch aber wie ein Betrunkener verzog er sich in sein Schlafzimmer. Noch ein weiteres Mal klingelte es, bevor er wieder seine Ruhe hatte.
Nein, krank war er auch nicht. Es war mehr etwas Bedrückendes. So ein Gefühl, wie er es hatte, wenn er an Finjas dachte. Trauer aber er kannte seinen kleinen Bruder ja gar nicht. Dafür aber Josef. Er war so etwas wie der zweite Pik Ass für ihn. Ein Freund eben. Ein guter Freund.
Unruhig begann er im Schlafzimmer auf und ab zu laufen. Dann blieb er abrupt stehen. Er ist Tod. Er ist nicht mehr da. Diese beiden Sätze waren in seinem Unterbewusstsein erschienen, als hätte er das nicht schon lange gewusst.
Es ließ ihn erstarren. Als er sich wieder gefangen hatte, machte er sich auf dem Weg zum Friedhof. Dabei verwandelte sich das ungute Gefühl in Magenkrämpfe. Ein Teil von ihm schien umkehren zu wollen aber trotzdem ging er bis zum Grab.
Ein Holzkreuz mit seinem Namen darauf steckte hinter der aufgehäuften Erde. Auf dem Hügel oben auf lag ein verwelkter Blumenkranz in weiß mit etwas blau. „Ich hätte dich vielleicht mal häufiger besuchen sollen.“ Er grinste, schien sich aber nicht wirklich darüber lustig zu machen.
„Sag mal hat es eigentlich noch geklappt mit deiner Tochter? Ich bin deinen Enkelkindern begegnet und sie haben mir erzählt, dass du möglicherweise eine Telefonnummer herausgefunden hast. Es war gerade mal zwei Tage vor deinem Tod.“
Während er gedanklich laut gesprochen hatte, setzte er sich auf den Brunnenrand. Die Karten, die er zuvor rausgeholt hatte, mischte er eher weniger effektiv. Dennoch mit dem Hintergedanken, sich selbst zuordnen.
„Ich hoffe, du hast dich getraut. Ich weiß zwar nicht, worum es damals ging aber es war dir wirklich wichtig.“
Eine schwarzhaarige Frau in einem leuchtend roten Kleid setzte sich neben ihn. „Alkohol und seine Art“, sagte sie und blickte ebenfalls zum Grab. „Sie kannten ihn?“ Ihr Blick musterte ihn. Was er ihr für eine Sekunde gleich tat und daraufhin nickte. Seine Finger stoppten zeitgleich an der Karo König Karte.
„Ich verdanke ihm viel.“ „Mein kleiner Bruder hat mir schon erzählt, dass er sich wohl verändert haben soll. Ich hab lang mit mir gehabter zu kommen. Wohl etwas zu lange.“ Sie blickte wieder auf das Grab.
Es schien so, als wisse sie nicht, ob sie das nun traurig oder froh stimmen sollte. „Ich kannte ihn als zuvorkommend, hilfsbereit. Er war ein guter Gesprächspartner und begeistert von Magie.“ „So“, kam wenig überzeugt aber sie blickte auf seine Karten.
„Ich kenn ein Kartentrick aber ob ich den noch kann nach fast dreißig Jahren?“ Ohne zu zögern reichte er ihr die Karten. „Oh nein. Das bekomm ich sicher nicht mehr hin.“ „Probieren sies einfach.“ „Okay.“
Sie schaute sich die Karten an und meinte dabei: „Damit hab ich früher immer meinen Bruder geärgert. Er hasste es immer, wenn er nicht recht hatte.“ Sie mischte das Deck blitzschnell und mit einer Leichtigkeit, dass man sich fragte, warum ihr keine Karte herunterfiel.
„So. Ich möchte das sie eine Karte ziehen aber nicht die Kreuz zehn.“ Er zog die Kreuz zehn. Immer und immer wieder, bis sie es ihm lachend wieder zurückgab. „Das hat Spaß gemacht.“
„Sie waren gut.“ „Blödsinn, sie Schmeichler. Sie haben meinen Patzer bemerkt. Wenn sie den Trick nicht sogar schon selbst kannten.“ „Zugegeben den Trick kannte ich schon und ein kleiner Fehler war auch drin aber ihre Mischtechnik war Show reif.“ „So lang das Mischen klappt. Entschuldigen sie mich. Ich muss meinen Flieger zurück bekommen.“ Sie stand wieder auf und entfernte sich. Jamiro ließ sie zunächst auch gehen, stoppte sie aber dann doch noch.
„Darf ich sie fragen, warum sie trotz aller Gründe doch noch gekommen sind?“ „Ehrlich gesagt, weiß ich das selbst nicht.“ Vermutlich war es Schmerz, was er in ihren Augen schimmern sah aber es wirkte anderes wie das, was er sonst bei anderen Menschen bemerkt hatte.
„Was hätten sie getan, wenn sie ihm begegnet wären?“ „Keine Ahnung. Umgedreht wahrscheinlich. Ich wäre sofort wieder gegangen.“ „Sie wären den ganzen Weg gekommen, nur um gleich wieder zu gehen?“ „Ziemlich sicher sogar. Wissen sie, wir haben uns noch nie verstanden. Das hat mit Sicherheit auch die lange Zeit nicht verändert.“ „Er hat sich verändert und sie. Sie waren noch ein Kind, als sie gegangen sind, oder?“ „Vierzehn.“ Er streckte ihr die Hand hin.
„Sie müssen nicht wirklich gehen, hab ich recht? Ich war mit ihrem Vater befreundet. Ich könnte versuchen, ihnen etwas zu erzählen.“ „Das ist wirklich nett Herr …“ „Jamiro. Duzen sie mich.“ „Das ist wirklich lieb gemeint von ihnen … dir aber ich traure nicht. Ich fühle überhaupt nichts.“ „Dennoch sind sie gekommen. Etwas von ihnen möchte die Versöhnung. Sonst wären sie nicht hier.“ „Dafür ist es ohnehin zu spät. Mein Kapitel mit ihm hat sich vor zwanzig Jahren geschlossen.“ „Ein Buch bekommt solange neue Kapitel, solange man dran schreibt. Sie haben die Wahl, wie es endet.“ Jamiro zog sich zurück.
Er wusste, dass sie ihm nach etwas Bedenkzeit folgen würde. Also wartete er an der Mauer lehnend neben dem Friedhof, bis sie tatsächlich kam. Mit einem Lächeln stellte er sich an seine Maschine. „Ein Kaffee?“ „Hey aber kein Date, okay?“ „Ihr Vater würde mich vermutlich köpfen, wenn ich das täte.“ „So, ich dachte, sie seien Freunde?“ Sie kam näher.
„Er ist also zu einem Beschützer-Daddy geworden.“ „Es wäre schwierig, etwas wieder gut zu machen, wenn der Freund im Mittelpunkt steht.“ „Das wäre ein Argument. Ich hab nur ein Problem.“ „Ja?“ „Ich fahr nicht gern mit so was und vor allem lass ich mich nicht gern fahren.“
„Gut. Wissen sie, wo das Domenico ist?“ „Woher denn? Ich war vor zwanzig Jahren das letzte Mal hier. Sichern sie ihr Motorrad, ich sammle sie ein.“ Sie entfernte sich bereits, ohne auf einen Widerspruch zu warten.
Etwas später hielt sie mit einem roten Auto neben ihm. „Lassen sie mich raten, ihre Lieblingsfarbe ist rot.“ „Falsch, es ist grau aber ich mag keine grauen oder weißen Autos.“ „Grau, das ist aber eine ungewöhnliche Farbe.“ Er stieg in das tiefergelegte Auto ein.
„Gewöhnlich kann jeder.“ Die Fahrt ging noch nicht los weil sie eine Brille an ihrem Kleid abputzte. „Leichte angeborene Fehlstellung der Augen. Nicht mal etwas Sinnvolles hat man von ihm vererbt bekommen.“ Ein gehässiges Lachen folgte mit dem Aufsetzen der Brille. „So, wo geht’s hin?“ „Einfach gerade aus.“ Damit ging die Fahrt los.
„Gratulation. Sie sind der erste Mann, der sich nicht ins Hemd macht, wenn er das mit der Brille sieht.“ „Sie sind dafür die erste Frau, die nicht rast.“ „Och das kann ich ändern aber ich mag mein Leben, wissen sie?“ „Ich auch. Nächste links.“ Sie lachte und folgte seiner Anweisung.
„Sie haben einen geilen Charakter. Nicht zu glauben, dass sie mit meinem Vater befreundet waren. Übrigens interessiert sie nicht, wie ich heiße?“ „Ich nehme an, sie heißen noch Pfleiner.“ „Sie glauben also, dass ich single bin? Wenn sie sich da mal nicht täuschen.“ „Ich bin mir ziemlich sicher. Sie tragen keinen Ring und irgendwie bezweifle ich, dass ein Mann leichte Karten bei ihnen hat.“ „So, glauben sie das?“
„Es hat ja was Gutes. So bekommen sie gewiss keinen Langweiler ab.“ Sie lachte wieder. „Ja es gibt tatsächlich niemanden in meinem Leben. Gewissermaßen ist das Reisen meine Ehe, wenn man es denn so sehen will. Ich bin mehr über den Wolken als am Boden aber ich liebe es.“
Kurz herrschte Schweigen bis auf die Wegbeschreibung. „Wenn sie den Anfangsbuchstaben meines Vornamens erraten, dürfen sie mich duzen. Sie haben aber nur einen Versuch.“ „E.“ „Wussten sie das?“ „Nein aber meine Mutter heißt Erika mit Vornamen.“ „Ihre Mutter? Das ist uncharmant.“ „Ich könnte auch meine Tante nehmen Elisabeth oder die Ex meines Freundes Elona.“ „Ihr Kreis ist wohl sehr E-lastig. Gut ich will nicht so sein. Eleonora, einfach Elli.“
Die Fahrt endete auf einem kleinen Parkplatz, wo sonst niemand stand. „Mich interessiert am meisten, wieso sie einen so alten Mann als Freund haben.“ „Alter ist vermutlich kein Ausschlusspunkt jemanden zu mögen. Ihr Vater hat mir ziemlich geholfen.“ „Ja sie sagten bereits, dass er auf hilfsbereit umgeschult hat.“ Sie legte stöhnend ihre Brille ab und stieg aus.
„Ach das Eck kenn ich noch. Mein verpeilter Bruder hat sich hier mal verlaufen. Drei Stunden haben wir gesucht. Ich glaube, damals war hier noch eine Baustelle.“ „Na die ist mittlerweile weg.“ Sie lachte wieder und hackte bei ihm unter. „Wäre auch schlimm nach zwanzig Jahren. Führen sie mich mal dahin, wo wir hin wollten.“ „Gern.“
Nach einem Fußmarsch erreichten sie ein Café. Sie setzten sich an einen Fensterplatz und suchten sich etwas aus. Als sie bestellt hatten, fragte sie nach den Hintergründen der Hilfsbereitschaft. Diese erklärte er, ohne ein weiteres Mal zu zögern.
„Das tut mir schrecklich Leid.“ Sie bedauerte ihn wirklich. „Das klingt schlimmer, als es für mich war aber ich bin ihm sehr dankbar dafür.“ Sie hielt seine Hand fest und sagte überhaupt nichts mehr. „Dafür sind wir aber nicht hier hergekommen.“ Jamiro zog seine Hand zurück.
„Sie hatten wenigstens Menschen, die sich um sie sorgten. Schätzen sie das.“ Da war er wieder dieser Schmerz in ihren Augen. Viel deutlicher als zuvor.
„Sie nicht?“ Diesmal umgriff er ihre Hände. „Nein. Josef hatte seine Arbeit, mein Bruder nervte und unsere Mutter träumte von ihren Reisen.“ Sie begann wieder zu Schweigen.
Nach einer Weile lächelte sie ihn wieder an. „Ich bin gern allein. Vor allem reise ich gerne allein. So muss man sich niemanden anpassen und kann es so genießen, wie man es selbst möchte.“ „Ihr Zuhause ist über den Wolken hm?“ „Genau.“ Ihre Bestellung kam an den Tisch. Bevor die Unterhaltung weiterging, nahm sich Jamiro einen Bissen von seiner Torte.
„Darf ich fragen, wo sie schon überall waren?“ „Ich denke, da wäre es einfacher zu sagen, wo ich noch nicht war. Chile zum Beispiel, mein nächstes Ziel.“ Sie hatte tatsächlich Spaß am Reisen, denn das war es, was er mit dieser Frage hatte herausfinden wollen.
„Chile wäre mir zu Erdbeben gefährdet.“ „Sie sind also ein Reisemuffel.“ Sie lachte wieder. „Ehrlich gesagt, habe ich mir bislang noch nicht den Kopf über irgendwelche Reisen zerbrochen aber wenn ich sie so höre, sollte ich das wohl mal tun.“ „Kann es sein, dass sie sich allgemein eher weniger um das scheren, was sie wollen?“ Sie nahm sich ein Stück von seiner Torte.
„Also bislang gefallen sie mir. Sie haben irgendetwas komisches.“ „Komisches? Das war jetzt aber auch nicht gerade charmant, Elli.“ Sie lachte erneut.
Jamiro grinste und nahm seinen Kaffee zu sich. Eleonora tat es ihm gleich. „Josef konnte also zuhören im Alter.“ Er nickte. „Hm. Konnte er noch etwas Besonderes? Sie sprachen von Enkeln.“ „Er hat sich um die Kinder ihres Bruders gekümmert.“ „Er?“ Ihre Überraschung war nicht zu überhören.
„Mein Gott die armen Dinger.“ „Sie waren ganz glücklich mit ihrem Opa.“ „So, dann sind sie wohl auch nicht klüger als mein Bruder. Ich meine, trotz aller Intrigen klebte er an unserem Vater wie … keine Ahnung geklebt mit Sekundenkleber halt.“ Er lachte. „Sekundenkleber also.“ „Ich hab was auf dem Flug hier her zusammengeklebt, okay? Deshalb!“, erwiderte sie trotzig aber lachte dann wieder.
„Sagen sie mal, macht es ihnen etwas aus, wenn ich ihnen von den unschönen Seiten ihres Freundes berichte?“ „Nein. Ich bin überzeugt davon, dass ein Mensch immer unschöne aber auch schöne Seiten hat.“
„Hey wie philosophisch. Und schon etwas Unschönes an mir entdeckt?“ „Sie klauen mir meine Torte, obwohl sie dieselbe haben.“ Er lehnte sich frech grinsend zurück und bestellte sich bei der vorbeihuschenden Kellnerin einen Kaffee nach. „Und ich fragte mich schon, ob sie erst meckern, wenn ich sie komplett aufgegessen habe.“ Sie tauschte die Teller um.
Ihre gerade noch erheiterte Mine verstummte. Dann holte sie eine Lederbandhalskette mit einem weiß braun schwarzbemusterten Edelstein heraus. Der Stein in Form eines Elefanten war an vielen Stellen geflickt. Es war ein Herzensstück von ihr.
„Kennen sie sich mit Edelsteinen aus? Das ist ein Dendritenquarz. Ist auch nicht so wichtig. Es sollte damals ein Geschenk an meine Mutter sein. Ich wollte unbedingt, dass sie mich, wenn es jemals klappen sollte, mit auf eine Reise nahm aber …“ Für einem Moment verstummte sie.
„Wir hatten das Geld fast zusammen. Er nahm sich das Geld und besoff sich, kaufte schließlich diese Kneipe davon. Reisen seinen sinnlos, hat er gesagt. Arbeit ist wichtiger. Was für eine blöde Arbeit?! Er hat doch nur noch seine Verletzung weggesoffen. Wussten sie, dass er beim Bau dieser Kneipe vom Gerüst gestürzt ist. Er konnte kaum noch laufen. Das hat er nie jemanden erzählt.“ „Nein, das wusste ich tatsächlich nicht aber woher wissen sie das?“ „Im Rausch hatte er einmal darüber geflucht.“ Sie steckte die Kette wieder ein.
„Die Kette hat er kaputtgemacht, als er sie beim Bestrafen von meinem Bruder entdeckt hatte. Wir durften nichts kaufen, das in seinen Augen sinnlos war.“ Nachdem sie ausgesprochen hatte, erhob sie sich leicht vom Stuhl. „Entschuldigen sie. Ich weiß nicht, warum ich ihnen das erzähle.“ Sie legte den Geldbetrag ihres Anteils auf den Tisch und richtete sich dann erst vollständig auf. „Es tut mir Leid“, sagte sie noch ehe sie mit eiligen Schritten davon lief.
Die Eile hatte Jamiro nicht. Er trank seinen Kaffee und nahm die Torte nachdem bezahlen einfach mit. Eleonora stand neben der Tür.
„Sie haben ja doch gewartet.“ „Kann sie ja schlecht stehen lassen. Ich hätte ihnen gleich sagen soll, dass man mir unseren Vater nicht schön reden kann.“ Sie pausierte und starrte in den Sonnenschein. „Er hatte ja gewissermaßen recht. Ohne Arbeit lassen sich Träume schlecht leben. Trotzdem, ich hatte eine miese Kindheit und das werde ich ihm niemals verzeihen.“
Sein Lächeln bemerkte sie, obwohl sie ihm bereits den Rücken zugedreht hatte. „Warum lachen sie?“ „Nichts. Ich ergänze nur, dass sie sehr nachtragend sind.“ „So? Ja, das bin ich wohl also passen sie besser auf, was über ihre Zunge kommt.“ Schweigen herrschte, bis sie ihn am Friedhof absetzte.
„Wissen sie, was ich ihm noch übel nehme? Kleiner Tipp, eigentlich kann er gar nicht für.“ „Ihre Mutter?“ „Ich mag sie, sie sind klüger als alle Anderen, die ich schon getroffen habe. Ja, sie haben wieder recht. Unsere Mutter hat mich bis heute in Dubai am Flughafen vergessen. Daher hätten sie auch die Möglichkeit gehabt, auf M zu tippen. Dort heiße ich heute noch Mina.“
„Hätte ich noch mehr Möglichkeiten gehabt?“ „Ertappt mir gehört quasi das gesamte Alphabet. Es fehlt vermutlich nur noch das J.“ Er beugte sich grinsend ans Fenster herunter. „Wie wäre es mit Jamira.“ „Sie benennen mich nach ihnen?“ „Warum nicht? Ohne mich wären sie gar nicht hiergeblieben.“ „So, dann bin ich ganz speziell für sie Jamira. Auch schön. Hey, machen sies gut und passen sie auf sich auf, okay? Sie sind viel zu gut für diese verkorkste Menschheit.“ Damit war sie auf und davon.
Für Jamiro war das Ganze allerdings noch nicht abgehakt. Er fuhr zu seinen Eltern und sprach mit ihnen ganz offen über den Tod. Was er wollte, wenn er sterben sollte und was sie wollten. Es war irgendwie als hätte man einen Fels von ihm heruntergenommen.
Am Start seiner eigenen großen Tour traf er nach einem Auftritt Nelli. Sie sah aus wie ein komplett anderer Mensch. Er hätte sie nicht wiedererkannt, hätte sie keinen Zettel zur Begrüßung benutzt. ''Hat der große Magier Zeit für einen Plausch? ☺'' „Sicher.“ Er kam nicht sofort an sie heran, da sie von den Sicherheitsleuten durchsucht wurde.
„Entschuldige“, reagierte er peinlich berührt auf diese Aktion. Sie tippte etwas in ihr Handy. Daraufhin erklang folgender Text aus dem Lautsprecher: „Das muss so. Schön, dass du sturer Esel das eingesehen hast. Ich hätte es mir nicht verziehen, wenn dir was wegen den Shows passiert wäre.“ Als der Text durch war, umarmte sie ihn. Sie hatte ihn wohl vermisst.
Als Nächstes wühlte sie in ihrer Handtasche. Offenbar fand sie nicht gleich, was sie suchte. Das Ergebnis war jedenfalls der Flyer eines Hotels, auf dessen Restaurant Erwähnung sie tippte.
„Unter Plausch verstehst du also ein Essen?“ Die Verwunderung überdeckte nur, dass ihm der Name des Hotels bekannt vor kam. Sein Vater steckte also hinter dem Angebot. Er grinste und verhinderte ihren Ansatz, etwas Neues über ihr Handy auszusprechen.
„Gern.“ Ein weiterer Hinweis war der reservierte Tisch auf Wang und Erkwin. Die Hotelleitung hatte es fälschlicherweise für einen Doppelnamen gehalten. Nellis Grinsen verriet, dass ihr das Aufliegen bewusst geworden war aber keiner der beiden sprach darüber.
Nach einer belanglosen Unterhaltung überreichte sie ihm einen Brief. In einer bemüht schönen Schrift war der verzierte Brief an den Weihnachtsmann gerichtet.
''ich weiß, ich bin früh dran aber vielleicht gibt es dir genügen Zeit, mir diesen wirklich wichtigen Wunsch zu erfüllen.
Ich bin Josefine Reckenbach fast 7 Jahre alt, die, die sich gewünscht hat, dass du Aron Hartenhoff ein Zuhause gibst.
Das mit dem Zuhause hat ja sehr gut geklappt. Er sagt, er fühlt sich sehr wohl dort und es geht ihm gut. Er kommt auch immer zum Spielen vorbei. Ich mag ihn. Deshalb wünsche ich mir irgendetwas, dass ihn aufheitert.
Er ist seit Kurzem nun vollständig erblindet. Ich weiß, dass er nur so tut, als mache ihm das nichts aus. Also bitte lieber Weihnachtsmann, schenk ihm irgendwas, dass ihn glücklich macht.
Deine ganz brave Josefine''
„Bist du zum Weihnachtsmann geworden oder wie kommst du an den Brief?“ Der Brieftext hatte ihn irgendwie betroffen gemacht. ''Er kam mir entgegen geweht'', stand auf Zettel Nummer eins.
Zettel Nummer zwei enthielt beide Adressen. „Moment, du willst doch nicht …“ Sie packte seine Hand. „Wie stellst du dir das vor? Ich kann nicht einfach bei ihnen klingeln und selbst wenn … was soll ich machen? Zaubertricks funktionieren nur bei Sehenden.“ Sie hob schmunzelnd den Kopf schief. Es war offensichtlich, dass sein Kopf sich bereits für eine Lösung anstrengte.
Ein dritter Zettel rutschte vor ihn. ''Die kleine Josefine hat ihm Karten für deine Tour gekauft. Ein Geburtstagsgeschenk für ihren Aron.'' „Das war dann wohl, bevor er nichts mehr sehen konnte.“ Sie nickte traurig. „Woher weißt du das?“ Sie schob einen weiteren Zettel rüber, den sie wie die Anderen scheinbar in Voraussicht geschrieben hatte. ''Ich hab Josefines Eltern getroffen.'' „Okay“, kam er nachdenklich ihrem erwartungsvollen Blick entgegen.
„Was weißt du über den Jungen?“ Die Zettel mit den Informationen kamen ihm auf einem kleinen Block entgegen. ''Schaukel repariert'', ''Geht, seit sie sich kennen, immer denselben Schulweg'', ''Orientiert sich über Klick-Geräusche'', ''Begleitet sie zum Reiten'', ''Hat ihr ein Rätsel-Spielzeug gebastelt'', ''Er betätigt sich gern handwerklich.'', ''Er tut alles für Josefine'' und ''Er ist 17'' „Hm handwerklich … Da ließe sich sicherlich was machen“, nuschelte er in sich hinein. „Aber so lang ich auf Tour bin, ist das schwierig.“
Sie griff über den Tisch zum Block und schlug auf die nächste Seite um. Dort stand ein Datum. Unter dieses setzte sie den Vierundzwanzigsten Zwölften. Er lachte. „Also entweder soll ich das Geburtstagsgeschenk spielen oder den Weihnachtsmann. Interessante Wahl.“ Währenddessen stand er auf. „Wenn mir was einfällt, kümmere ich mich darum.“ Ihm war etwas eingefallen. Nur hatte er keine Zeit, die Idee groß auszuarbeiten.
Einige Wochen später befand er sich während einer Tourpause vor einem Reiterhof. Am Tor wartete er darauf, die beiden Kinder zusehen. Es war etwas suboptimal, dass er bei den vielen Kindern nur wusste, dass sie mit einem Schimmel unterwegs sein sollten.
Was war bloß ein Schimmel? Sicherlich kein Fleck an der Wand. Nach einer Weile kam ein Pärchen, das passen könnte. Ein kleines Mädchen saß auf einem weißen etwas dick wirkendem Pony. An der Trense hielt sich ein Teenager fest, der eine tiefschwarze Sonnenbrille trug. Seine Gangweise verkörperte Unsicherheit und es schien so, als würde ihn das Pony führen.
„Reckenbach und Hartenhoff?“, fragte er zum Test. Beide reagierten. „Wer sind sie?“ Der Junge stellte sich nun frei vom Pferd ab und strahlte Selbstsicherheit aus. „Erkwin, Jamiro Erkwin.“ Das Mädchen beugte sich zu ihrer Begleitung und flüsterte. Daraufhin schien er es nicht mehr für notwendig zu halten, sich bedrohlich aufzubauen. „Magier also?“, fragte er mit skeptischem Ton, als er das Pony zu einem Anbindeplatz brachte.
Seine Hände tasteten die Wand ab und nahmen ein angebundenes Halfter auf. Zeitgleich stieg sie ab und nahm die Trense herunter. Anschließend zog er das Halfter über. Ein eingespieltes Team, wie sich auch am Sattel zeigte. Sie öffnete den Gurt und er nahm den Sattel herunter.
Während er aufräumte, gab sie dem Pony eine Möhre. „Sie machen Aron also wieder glücklich?“ „Ich versuch es zumindest.“ Sie lachte. „Aron ist manchmal etwas unfreundlich. Er mag es nicht, wenn jemand denkt, dass er nicht alleine klar kommt.“ „Für mich macht er eigentlich den Eindruck, dass er das sehr wohl kann.“ Sie lachte wieder. „Ja, das kann er.“
Er kam mit einer Pferdedecke wieder. „Was wollen sie eigentlich von uns?“, knurrte er und legte die Decke auf. Josefine übernahm wieder die Gurte. „Meine Geburtstagsüberraschung. Etwas spät aber dafür wirst du ganz viel Spaß haben.“ „Ich sagte doch, dass du mir nichts schenken sollst.“ „Komm schon. Du hast mir schon so viele Sachen geschenkt und ich hatte noch nicht mal Geburtstag.“ „Und?“ „Komm schon, großer Bruder. Nur ein Geschenk.“ „Als wäre das, das letzte Mal.“
Er schob sie seitlich ans Pferd und setzte sie wieder auf. „Das war ein ja“, rief sie erfreut Jamiro zu. Er jedoch maulte: „Hoffentlich bereue ich das nicht.“ Schließlich löste er den Strick und führte das Pony wieder direkt am Halfter weg.
Es dauerte nicht lange, bis er von Josefine gezogen wieder zurückkehrte. Sie lachte wieder. „Du wirst sicher ganz viel Spaß haben.“ „Erst bring ich dich nach Hause.“ „Musst du nicht.“ „Doch! Ich habs deinen Eltern so versprochen.“ „Aber dein Geschenk?“ „Das kann warten!“ „Soll ich euch fahren?“ „Nein. Das mach ich schon selbst.“ „Der Weg war nicht weit, weshalb Jamiro beim ausgeliehenen Auto blieb.
Als er ihn kommen sah, ging er auf ihn zu. „Josie dieses verrückte Huhn“, nuschelte er ein wenig freundlicher als zuvor. „Falls sie vorhatten, mir Zaubertricks vorzuführen, muss ich sie enttäuschen. Ich sehe absolut gar nichts.“ Ein seltsames Geräusch folgte am Schluss seines Satzes und er blieb in seiner Richtung hin stehen.
„Macht ja nichts. Alles hat man so wieso nie. Könnten sie mir vielleicht eine Autogrammkarte für Josefine geben? Sie freut sich bestimmt.“ „Das kann ich später gern tun …“ „Aber zuerst müssen sie das Versprechen mit Josefine halten, schon klar. Es ist schwer bei ihr Nein zu sagen. Wohin?“ Während der Frage zog er einen Blindenstock hervor.
„Überrascht? Na ja, es ist sicherer, ich benutze den Stock, wenn ich meinen gewohnten Weg verlasse. Meine Klicktechnik ist noch nicht perfekt.“ „Dieses Klicken, wie funktioniert das?“ „Einfach, wenn man das Geräusch richtig macht. Wenn nicht, dann sagt ihnen das der nächste Gegenstand.“ Auch wenn er es humorvoll meinte, hatte es doch den leichten Nebengeschmack von sich selbst Aufmuntern. Jamiro lachte trotzdem. Der Junge grinste und folgte ihm zum Auto.
Ihr Ziel war eine kleine Werkstatt, die sie nur für sich hatten. Der Nachteil war nur, dass sie nicht allzu ordentlich und doch mit recht vielen Stolperfallen versehen war. Dabei dachte er sich noch bei der Begutachtung, dass es okay sei.
Einige Male überlegte er sich einzugreifen, tat es aber dann doch nicht. „Eine Werkstatt. Müssen sie den Trick noch bauen?“ Seine Hand hatte einen Schraubstock ertastet. Erneut stieß er einen dieser Ortungslaute aus und korrigierte seine Richtung um ein paar Zentimeter. „Wir bauen ihn.“ Er ging auf ihn zu und stellte sich neben ihn an den Tisch. Dieser Bewegung war der blinde Junge gefolgt.
„Wir? Haben sie vergessen, dass bei mir immer Nacht ist.“ „Nein aber sie können auch mit Pferden und Kindern umgehen. Wieso dann nicht auch mit Holz?“ Ein Grinsen erschien.
„Okay aber sie erklären das meinen Pflegeeltern, wenn ich mich verletze.“ Ein paarmal folgten die Geräusche, ehe seine Hände ein Holzbrett zu sich holten. „Brauchen wir das?“ „Ja aber zuerst möchte ich wissen, ob ich dich an der Maschine sägen lassen kann.“
„Als ich das letzte Mal an einer großen Säge gearbeitet habe, konnte ich noch fünfundsechzig Prozent sehen. Ich bin unverletzt geblieben, wenn sie das interessiert.“ „Gut, dann hast du also Erfahrung.“ „Und Können! Geben sie mir ein Abfallstück, Schutzbrille und Kopfhörer. Ach ja und was zum Markieren wäre nicht schlecht.“ All das bekam er.
„Ich will weder Dreck in den Augen noch einen Gehörsturz“, erklärte er beim Aufsetzen der Dinge. Anschließend kümmerte er sich um die Markierung auf dem Brett. Zum Gehen schob er sich die Kopfhörer noch einmal herunter und bahnte sich über die Geräusche seinen Weg zur Säge.
„Ist die Sicherung drin? Ich möchte beim Abtasten nicht versehentlich an den Einschaltknopf kommen.“ „Ist drin.“ Während er sich das Wissen über die Säge abtastete, behielt seine andere Hand die Markierung fest.
„Kopfhörer auf und Sicherung raus bitte.“ Er zog ihm die Kopfhörer wieder hoch und kümmerte sich um die Sicherung. Als er ihm das Zeichen seiner Anwesenheit gab, begann er.
Können, war nicht gelogen. Er sägte exakt an der Linie und nie waren seine Finger oder etwas anderes in Gefahr. „Besser als viele Sehende.“ „Sag ich doch. Jetzt das Original. Kommen sie.“ Er hatte endgültig Feuer gefangen. Trotzdem beließ er ihn auch bei dem richtigen Werkstück zu keiner Sekunde aus den Augen. Beim Schleifen mit Papier war er dann nicht mehr ganz so umsichtig.
Während er eifrig schlief, unterschrieb er schon mal zwei Autogrammkarte. Danach half er ihm auch. Zu guter Letzt wurden die einzelnen Teile zu einem würfelförmigen Kasten zusammengesetzt.
„Okay Magier, wo ist der Trick?“ „Den bekommst du. Zuerst überprüfe doch mal diesen Würfel.“ Jamiro drückte ihm einen fünf Zentimeter großen schwarzen Spielwürfel in die Hand. „Ein großer Plastikwürfel.“ „Ist er normal für dich?“ „Sofern ein fünf Zentimeter großer Würfel aus Plastik ohne irgendwelche Öffnungen normal ist. Ich weiß nicht, was daran ungewöhnlich sein soll.“
„Okay. Dann überprüfe noch einmal die Box. Innen und außen. Damit ich ja nichts manipuliert habe.“ „Ja auch alles wie zuvor Holz.“ „Gut, dann leg den Würfel hinein und schüttle die Box.“ Getan wie gesagt, folgte als Nächstes wieder das Hineingreifen.
„Das hat ja Fell. Der Würfel hat Fell. Also ich hab ja beim Schütteln gehört, dass sich was verändert hat aber bei der ersten Bewegung war definitiv nicht anderes als der Würfel drin.“ „An die Öffnung bin ich auch nicht ran gekommen, die war die ganze Zeit bei dir“, ergänzte Jamiro schmunzelnd.
„Ja und es gab keine Teile, die du hättest für eine doppelte Wand nutzen können. Das hätte ich alles gehört. Selbst wenn der Würfel gegen eine Hohlwand geschlagen hätte.“ „Magie ist für alle möglich. Er setzte sich. Genauso wie Autogrammkarten.“ Er hob ihm ein dünnes Brett hin, auf dem er seinen Namen eingeritzt hatte. „Und die hier ist für Josefine?“ Er reichte dem völlig verblüfften Jungen eine normale Autogrammkarte dazu. Mindestens dreimal las sein Finger die Unterschrift.
„Sag bloß ich hab mich bei meinem eigenen Namen verschrieben.“ „Nein, Danke. Josefine wird sich freuen. Tolle Idee, das hier, glaub ich.“ Seine Finger strichen bereits schon über das gesamte Holz.
„Glauben sie, irgendjemand würde einen Blinden zum Schreiner ausbilden? Nur wegen dem Holz und so.“ „Ich würde einen gewissen Aron Hartenhoff immer weiter empfehlen. Ich bin beeindruckt von deinem Können.“ „Danke“, folgte etwas verlegen. „Versuch es einfach. Gern kannst du meinen Namen verwenden, wenn sie sich blöd stellen.“ Ein weiteres Schmunzeln folgte.
Damit stand Jamiro wieder auf. Er musste den Jungen nach Hause bringen. Es war Zeit dafür. Am Haus angekommen rannte Josefine ans Seitenfenster. „Und? Hattest du ganz viel Spaß?“ Sie war anscheinend ein sehr positiv eingestellter Mensch, so wie sie strahlte.
„Warum bist du nicht zu Hause? Du wartest doch nicht schon die ganze Zeit hier?“ „Hey großer Bruder, sag schon.“ „Ja. Es war ein toller Tag.“ Sie grinste noch mehr, soweit das überhaupt noch möglich war.
„Danke“, wandte sie sich schließlich Jamiro zu. „Ich habe gelesen, dass sie manchen Leuten eine Karte geben. Darf ich mir eine Karte für Aron aussuchen?“ Schmunzelnd reichte er ihr sein Kartendeck. Allerdings stellte sich der Junge dazwischen.
„Ich hatte genug für heute“, knurrte er wieder genauso unfreundlich wie auf dem Reiterhof. Damit sie gar nicht erst quengeln konnte, drängte er sie zum Nachbarhaus. Allerdings war Jamiro so frei und hielt ihr die Pik König hoch. Sie nickte und behelligte ihn sofort mit dem Namen der Karte.
Er konnte sich kaum das Lachen verkneifen, als er seinen Freund zufällig sichtete. Herausgeputzt wie für eine Gala stand er in einer Einfahrt. Die orangefarbene Rose, die er von sich hielt bewegte sich als einzige.
„Hey. Bist du unter die Straßenkünstler gegangen?“, scherzte er. Außer einem breiten Grinsen geschah nichts. Er war gänzlich in seinen Gedanken versunken. „Wenn du auf deine Angebetete wartest, solltest du vielleicht anwesend sein.“ Den etwas gröbere Stoß gegen seine Schulter nahm er anscheinend endlich wahr. Es dauerte allerdings einige Zeit, bis sich seine Gesichtszüge für eine entgeisterte Reaktion entschieden hatten. „Hau bloß ab“, hauchte er jedes Wort einzeln betont. „Bin schon weg.“
Höchstens zwei Schritte entfernt erklang eine ihm irgendwie bekannte Frauenstimme. „Ist das deine Überraschung, Bärchen? Wie süß.“ „Äh … ähm das ist Jamiro. Nur ein zufällig vorbei gekommener Freund, nicht wahr?“ „Ich weiß wer das ist, du Dummerchen. Wir haben uns auf seinem Konzert getroffen. Cornelia Zipper.“ Sie reichte Jamiro die Hand, der noch zu überlegen schien. Dann lächelte er und nahm ihre Hand. „Jamiro aber ich glaube sie verwechseln mich. Ich bin kein Musiker.“ „Das hat doch auch keiner gesagt.“ Er schien ein weiteres Mal über sie zu grübeln.
„Du wolltest gehen“, zischte sein Freund genervt. Doch er gehorchte nicht. „Wie war gleich ihr Name?“ „Cornelia. C O R N E L I A.“ Mit ihrem Grinsen schien sie die Nachfrage irgendwie erwartet zu haben. „Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Ich hab sie nicht mal irgendwie aus einer prekären Lage befreit?“ „Jam! Such dir ein anderes Date.“ „Sie haben auch ein Date? Wie schön.“ Anscheinend wollte sie ihn auch einladen, was jedoch verhindert wurde.
„Er muss jetzt los!“, meinte er und schob sie einige Meter weg von ihm. Jamiro war sich aber sicher, Cornelia unter einem anderen Namen zu kennen. Nur fehlte ihm die entscheidende Erinnerung dafür.
Er wandte sich um und stieß fast mit einer anderen Frau zusammen. „Ich brauch ein Scheindate“, formte er seinen Blitzgedanken laut. „Na ich bin auch schon charmanter eingeladen worden.“ Pik zehn war die Frau mit der er fast kollidiert war. „Hallo Frau Zehntel.“ „Wir waren beim Du, vergessen?“ Sie gab ihm einen Stoß. Daraufhin grinste er. „Darf ich dich ausführen um rauszukriegen, ob mein Freund verarscht wird?“ „Bin ich eingeladen?“ „Sicher. Ich schenk dir auch einen Zaubertrick.“ Das Argument ließ sie bei ihm einhaken.
„Dann verlieren wir Bärchen und Honigblume mal nicht aus den Augen.“ Sichtkontakt war gar nicht nötig, um ihnen zu folgen. Ihr Gesülze war noch Meilen weit zuhören. Was war bloß schlimmer? Ihre Schmachterei oder die Ahnungslosigkeit, wie er ihm helfen sollte?
Mit drei Tischen Abstand setzten sie sich in ein nicht gerade billiges Restaurant. Ein weiteres Problem war ihm so eben bewusst geworden. Er konnte nicht so unhöflich sein und seiner Begleitung keine Beachtung schenken. „Wie geht’s dir?“ „Nicht so steif Schätzchen, wenn sie herschauen kapiert das dein Freund sofort. Dein wie vieles Date ist das hier?“ Zwischen der Antwort kam der Kellner und gab ihnen die Karten. „Mein erstes“, antwortete er etwas verunsichert, da er ihren Schauspielkünsten nicht ganz traute.
„Schlechte Bedienungen um eins vorzutäuschen. Schau zu mir. Sie dreht sich zum Kellner.“ Entspannung folgte als er ihre Unterstützung feststellte. Sie hatte tatsächlich Spaß an dieser Sache. „Und das wievielte Date hast du?“ „Bei zwanzig hab ich aufgehört zu zählen.“ „Weil der Richtige kam?“ „Nein weil ich Spaß am Flirten hatte.“
Seine Aufmerksamkeit wollte sich wieder seinem Freund widmen. „Du musst schon bei mir bleiben, wenn du nicht wie ein Lauscher aussehen willst.“ Die Hände, die ihn eigentlich festhielten wirkten eher wie ein zärtliches betätscheln. „Du musst jetzt ganz dringend zur Toilette und schau auf keinenfall zum Tisch.“ Er grinste und tat beim Aufstehen so als entschuldigte er sich bei ihr.
Als er weg war kam sein Freund an den Tisch. „Sie und Jam?“ „Ach der Herr Nerenz. Passen sie etwa auf ihren Freund auf? Keine Sorge ich beiße nur Idioten.“ Er wich zurück als habe er tatsächlich mit einem Biss gerechnet. „Bärchen, jetzt lass sie doch.“ Ihre Art wie sie an seinem Ärmel zog erinnerte irgendwie an ein quengelndes Kind. Nur widerwillig schien er mit ihr an den Tisch zurückkehren zu wollen.
Per Handy zitierte sie ihre Begleitung zurück. „Und?“ Seine Gestik wirkte als wollte er sich ein weiteres Mal entschuldigen. „Langsam kommst du rein ins Spiel hm.“ Nach etwas Zärtlichkeit kam der Kellner und nahm ihnen die Bestellung auf.
„Was genau ist eigentlich dein Problem zwischen Bärchen und Honigblume?“ Sie formte sich als hätte sie gerade eine Anmache ausgesprochen. „Ich kenn sie unter einem anderen Namen. Amelia, glaube ich.“ „Und?“ „Vor ihm sagt sie, sie sei Cornelia.“ „Cornelia und Amelia. Ziemlich ähnlich.“ „Eben! Ich weiß nicht wen sie verarscht aber mein Freund ist ein ziemlicher Pechvogel was Frauen betrifft.“
„Dann solltest du ihm das sagen.“ Sie grinste und kam ihm wieder etwas näher. „Oder bist du eigentlich eifersüchtig?“ Er lachte. „Ich gönne ihm das. Ich habe eine viel hübschere Begleitung.“ „Na na. Nicht den Schein mit der Realität verwechseln.“ „Welchen Schein denn?“ Jamiro strich ihr die Haare aus dem Gesicht, die so halb ihre Narbe verdeckten. Sie schwiegen als würden sie sich anhimmeln bis das Essen kam.
„Man man, Honigblume weiß auch nicht wann sie aufzuhören hat. Nicht drehen, er guckt.“ „Was macht sie denn?“ „Alles noch im Rahmen aber sie geht ihm wohl langsam auf den Zeiger.“ „Ich glaube eher, das er sich von uns belästige fühlt. Meinen sie … du natürlich ich bekomme so etwas über sie heraus?“ „Na ja. Wir wissen, das sie klammert und das sie von unsere Anwesenheit nicht gestört ist."
"Nochmal zur Frage, wieso sagst du ihm nicht von dem falschen Namen?“ „Weil ich ihm schon einmal mit einer Frau verletzt habe. Das muss ich irgendwie anders machen.“ „Du hast ihm also eine weggeschnappt?“ „Nein. Nicht ganz so. Ich kannte ihn da noch nicht direkt. Ich wollte seine Maschine abkaufen, konnte sie aber nicht mitnehmen also stand sie immer noch bei ihm, komplizierte Geschichte. Jedenfalls war er einmal mit seiner Freundin verabredet, als ich kam. Sie verknallte sich in mich und trennte sich, Ende.“
„Ende weil dann ihr ein Paar wart oder Ende weil sie bei dir keine Chance hatte?“ „Ich hab sie zwei dreimal abgewiesen. Irgendwann ist sie dann komplett verschwunden.“ „Und wenn … Verrat dich nicht. Vielleicht möchte dein Kumpel verarscht werden.“ „Warum sollte man das wollen?“ „Ich kenn ihn nicht aber vielleicht fällt es ihm leichter mit einer eingeredeten Liebe zu leben als mit einer verlorenen.“ „Das ist ja viel komplizierte als ich dachte aber ich erinnre mich nicht an diese Elona. Das weiß er.“ „Bleib in deiner Rolle! Vielleicht sehen wir noch was er weiß.“
Sie hatte überhaupt keine Probleme damit. Für ihn aber war es noch deutlich mühsamer geworden. Nach der bezahlten Rechnung wollte sie gehen, obwohl die anderen beiden noch saßen. Da sie vermutlich einen Plan verfolgte ging er mit. „Entschuldige, dass ich dich mit reingezogen habe“, meinte er etwas erleichtert außerhalb des Restaurants und zog seine Karten hervor. „Glaub mir, wenn es mir etwas ausgemacht hätte, wäre ich gegangen.“ Sie warf einen Blick zurück. Sein Freund sah etwas entspannter aus aber irgendwie auch gelangweilt. Amelia, Cornelia oder Elona tat immer noch alles wie zuvor.
„Lebt er noch?“ Sie grinste. „Weißt du manche Leute schießen sich von ganz allein ins Aus.“ Ihre Aufmerksamkeit kehrte zu ihm zurück. „Schön das es dir wenigstens so prächtig geht.“ Wenn sie unter ''prächtig'' ''zu viel gegessen'' verstand, stimmte das wohl. Zum Abschied strich sie ihm wieder über die Arme und ging. Kurz drauf rannte Honigblume weinend an ihm vorbei. „Danke“, seufzte sein Freund neben ihm und steckte seine Hände in die Tasche. „Sie ist vielleicht ganz nett aber es soll wohl nicht sein. Bier?“ Jamiro nickte und ging mit ihm mit.
Statt eines Biers hatte er aber in der unordentlichen Einzimmerwohnung einen Kartenfächer in der Hand. „Was war der Grund?“ Abwesend zog er lieber die Kreuz sechs aus seinem Deck als auf seinen Freund zu achten. „Du versaust doch nicht ernsthaft ein Date ohne Hintergedanken.“ „Ich hab dein Date versaut?“ Eine andere Karte zog er heraus und steckte stattdessen die Kreuz sechs mit dem Rücken nach oben hinein. Die Gezogene legte er sich aufs Knie.
„Lass mich raten, Kreuz sechs.“ Es war tatsächlich diese Karte, wie von seinem Freund vermutet. Nachdem Ansehen legte er sie aber wieder auf sein Knie zurück. „Ich sollte schwul werden.“ Eine weitere Karte aus dem Fächer wanderte ungesehen auf die seines Knies. „Warum? Glaubst du da läuft es besser?“ Er grinste. „Was ist eigentlich mit dir?“ „Frag mich nicht ob ich mit dir gehe. Du ahnst die Antwort.“ „Nein mal im Ernst. So viele Frauen himmeln dich an und trotzdem versuchst du nicht einmal sie zu daten.“ „Vielleicht war einfach noch nicht das Richtige dabei.“
Für einen Moment schien er zu Überlegen bevor er die zwei Karten aufnahm. Wann auch immer das geschehen war zeigte sich das die Oberste eigentlich die Unterste Karte war. „Hey Herr Magier. Was ist dein Problem?“ „Vielleicht das, dass ich dir deine Frage nicht beantworten kann. Ich weiß es nicht.“ Die Karten landeten wieder in ihrer Verpackung. Den ernsten Blick seinen Freundes bevorzugte er nicht zu erwidern aber Ruhe bekam er deshalb noch lange nicht.
„Woran denkst du als erstes bei Frauen?“ „Karten.“ „Bei mir?“ „Du könntest hier mal aufräumen.“ „Das ist hoffnungslos mit dir“, schmollte er nach so wenigen Versuchen. „Frau Zehntel?“ „Kotze.“ „Was? Himmel lass sie das bloß nicht hören.“ „Ich kenn sie von früher wo ich krank war.“ „Sag mir nicht sie ist auch von den Toten auferstanden.“ „Nein sie war eine der Pflegerinnen. Die Sympathischste, so weit ich mich noch erinnern kann.“ „Moment dann ist sie ja viel älter.“ „Problem?“ „Nein aber ich hätte sie ja fast nicht auf dreißig geschätzt. Diese Frau ist unheimlich.“ „Ach man muss sie nur etwas kennen. Ich geh nach Hause. Besaufe dich nicht okay. Single sein ist gar nicht so übel. Alleine was deine Unordnung betrifft.“ Jamiro ging aber irgendwie schien ihm nicht ganz wohl zu sein.
Die Nacht war vorüber aber noch immer hatte er Magenkrämpfe vom gestrigen Essen. Mühsam schleppte er sich aus dem Bett heraus. Die Hoffnung ein Tee könnte ihm Linderung verschaffen, hatte ihn schon vor einer ganzen Weile geweckt. Nur hatte ihm genau dieser Punkt, das ihm beim Gehen auch noch übel wurde zurückgehalten.
Seine Küche erreicht versuchte er sich irgendwie mental abzulenken. Es reichte immerhin dafür, das Wasser aufzusetzen. Der Schmerz wurde stärker. Zusammengekrampft hauchte er, komm schon. Zitternd griff er nach dem Wasserkocher und goss die Flüssigkeit über seine Teebeutel. Nachdem er es wieder abgestellt hatte war der Schmerz plötzlich weg. Als hätte er auf einmal den Ausschaltknopf gefunden.
Eine Schmerzattacke so wie er sie von früher her noch kannte, als diese Krankheit noch nicht so schlimm gewesen war. Er seufzte. Wurde er auch schon so paranoid wie seine Eltern? Jetzt jedenfalls genoss er erst einmal den Tee.
Also das hatte er zumindest vor bis er seine nur angelehnte Eingangstür bemerkte. Er konnte sich nicht daran erinnern, es selbst verschuldet zu haben. Deshalb stellte er den Tee zur Seite und durchsuchte das Haus. Das Ergebnis war, er war alleine hier und nichts fehlte. Die Eingangstür wies auch keine Einbruchsspuren auf. Es war alles gut. Er war wohl etwas neben sich gestanden. Den Motorradschlüssel samt Hausschlüssel fand er nämlich kurz darauf unter seinem Kopfkissen. Ohne sich weiterhin um diesen Zwischenfall zu kümmern setzte er sich an den Tisch und trank seinen Tee.
Wieder bekam er dieses Völlegefühl, obwohl er kaum die halbe Tasse getrunken hatte. Es legte sich aber auch wieder, als er sich dran machte einen neuen Trick auszuarbeiten. Nach fünf Stunden passierte es wieder und gleich so stark, dass es ihn in die Knie zwang. Sie war zurück kein Zweifel. Er packte nach etwas das außerhalb seiner Sichtweite lag und zerrte sich daran auf die Beine. Komm schon Jam, das ist verrückt, zweiundzwanzig Jahre.
Mühsam erreichte er seine Küche wieder. Der Schmerz milderte sich etwas. Trotzdem blieb er für knapp eine Stunde. Inzwischen hatte er sich hingelegt. Was sollte er jetzt machen? Seinen Eltern Bescheid geben oder in die Klinik fahren. Wenn dann wollte er es ihnen keinenfalls am Telefon sagen. Anderseits bestünde auch die Möglichkeit eines Fehlalarms und das wollte er seinen besorgten Eltern gewiss nicht zumuten.
Geschwächt von der Schmerzattacke richtete er sich etwas auf. Ein schwarzer Labrador saß an seinem Bett und hielt einen Schraubenschlüssel im Maul. „Wer bist du denn?“ Der Hund hob den Kopf schief und gab einen Laut von sich, als wollte er seine Frage erwidern. „Gibst du mir das?“ Erfreut streckte sich der Hund und legte ihm seinen Fund aufs Bett. Es war noch ein nicht ganz ausgewachsener Hund. Jung und augenscheinlich sehr verspielt. Er lobte ihn und schaute sich den Gegenstand an. „Den vermisse ich schon seit fast einem Jahr.“ Begierig folgte der Blick des Hundes dem Gegenstand. „Du willst spielen hm.“ An der Bettkante sitzenden streichelte er ihm wieder über den Kopf. „Wir sollten dein Herrchen suchen gehen … oder dein Frauchen.“ Seine Benennung war umgeschwenkt, als er das pinkfarbige Halsband mit Swarovski-Steinen sah.
Er stand auf und verließ das Schlafzimmer. Der Hund sprang aufgeregt neben ihm her. Dabei hatte er ''sein Spielzeug'' gar nicht mitgenommen. „Kannst du auch was?“, fragte er an seiner seltsamerweise schon wieder offenstehenden Tür. Der Hund setzte sich, wenn auch nicht gerade still. Plötzlich spannte sich Aufmerksamkeit in seinem Gesicht und er schoss los. Wieder kam er mit einem verfusselten Socken im Maul. „Na so was. Gibst du mir das auch?“ Das war wohl ein Nein. Wie eine Rakete schoss er durch das Zimmer. Damit hörte er erst auf als er die Kurve am Tisch nicht bekam. Er schüttelte sich und legte ganz brav den Socken vor seinen Füßen ab.
„Ne Leine wäre auch nicht schlecht. Sonst geht’s du mir auch noch verloren.“ Da er selbst keinen Hund besaß hatte er auch keine Leine parat also musste ein Schal dran glauben. Der etwas überdrehte Hund sprang neben ihm her wie ein Känguru als er die Nachbarschaft abklapperte. Keiner kannte den Kleinen. Alles was er erfuhr, das er eine sie war.
„Was mach ich jetzt mit dir?“, fragte er in der Hocke den Hund. Eine neue Schmerzattacke kündigte sich an „Am besten wir gehen zurück.“ Er erlaubte sich nicht dem Schmerz nach zu geben. Erst in der Wohnung konnte er nicht mehr. Er setzte sich auf den Boden und lehnte sich an die Wand. Der Welpe stupste ihn sanft mit der Nase an und jammerte. „Schon gut.“ krächzte er. „Nur'n Krampf.“ Sein Versuch wieder aufzustehen gelang nicht. Beim zweiten Versuch öffnete er eine Schublade. Es dauerte mehrere Anläufe, bis er eine Medikamentenschachtel herausgeholt hatte. Beim Öffnen jedoch drängte sich der Hund dazwischen. Egal wie oft er den Hund zur Seite drängte, es war ihm nicht möglich. Als er es sein ließ, gab auch der Hund auf. „Du willst nicht das ich sie nehme?“ fragte er als es wieder nachzulassen begann. Er war völlig fertig. „Ich weiß, Teufelszeug.“ Daraufhin schlief er ein.
Später als er wach wurde lag der Hund auf ihn. „Hey. Du bist noch da, kleine Heldin.“ Verschlafen lächelte er den Labrador an. „Du musst langsam Hunger und Durst haben. Lass mich mal schauen.“ Vor dem mühsamen Aufstehen setzte er die Hündin neben sich. „Wasser ist nicht schwer“, nuschelte er während er eine Schüssel am Hahnen füllte. Diese wurde auch sofort angenommen als sie auf dem Boden stand. „Futter?“, grübelte er und schwankte zum Tisch hinüber. „Dein Frauchen freut sich sicherlich nicht, wenn ich dich mit rohem Fleisch füttere. Mal davon abgesehen, das es gewürzt ist.“ Er griff nach seinem Handy, das auf dem Tisch lag und wählte eine eingespeicherte Nummer aus. „Hast du Zeit? … Gut dann besorg mir bitte Hundefutter … Erklär ich dir später und denk an die Rechnung, ja. Tschüss.“ Nachdem Telefonat setzte er sich an den Tisch. „Du musst noch etwas warten.“
An seinem Handy öffnete er die Kamera App und zielte auf den Hund. Dieser rannte sofort aus dem Bild. „Du bist ganz schön aktiv, Kleine. Komm her ich brauch ein Foto.“ Sie setzte sich wieder auf ihren Platz sprang aber genau im Abdrückmoment gegen die Linse. Lediglich ihre Nasenlöcher waren zu erkennen. Er lachte. „So wird das nicht. Wir brauchen deine Schokoladenseite.“ Sie setzte sich wieder und hob den Kopf schief. „Das ist doch was.“ Das wäre es gewesen, wenn der Hund still sitzen könnte. Diesmal war lediglich eine verschwommene Hüfte zu sehen. Anlauf Nummer drei war ein Hundegesicht zur Hälfte mit einer äußerst schmackhaften Socke bedeckt.
„Hey du Wildfang. Was hast du jetzt vor?“ Sie saß vor seiner Schafzimmertür und schien Anlauf zu nehmen. Auf einmal sprang sie zum Türgriff und blieb so lange hängen bis die Tür offen war. Sie ließ sich wieder fallen und wischte ins Zimmer. Als er hinterherkam lag sie zusammen gerollt auf dem Bett. „Na so was. Das ist mein Bett, du …“ Er krampfte wieder zusammen. Diesmal schien es aber nur kurz angehalten zu haben. Er setzte sich zu ihr auf Bett und streichelte sie. Sie gähnte und legte ihre Schnauze auf seinen Oberschenkel. „Blume drei hat recht. Ich könnte keine Kinder erziehen aber wehe du verpetzt mich bei deinem Frauchen.“ Durch die Streicheleinheit rutschte sie immer weiter auf seinen Schoss.
Ein paar Minuten später klingelte es. „Deine Lieferung ist da“, nuschelte er verschlafen. Er war erst mit dem Klingeln aufgewacht. Die Hundedame schlief aber noch. So leise es ging schlich er aus dem Raum und öffnete die Tür. „Nächstes mal sagst du dazu wie viel und was du willst und wieso ich mir für so einen Mist meinen freien Tag versauen muss.“ Für eine Sekunde wollte er ihm den Sack zu werfen hielt aber dann inne. „Jam du siehst aus wie eine Leiche.“ „Danke für das Kompliment.“ Jamiro griff nach dem Sack. Sein Freund zog ihn aber weg. „Muss ich was wissen?“ Damit war er auch schon in der Wohnung drin.
Knurrend näherte sich der Labrador. „A … Ach du … Wie … Wieso sagst du nichts?“ Den Sack fest umklammert flüchtete er auf den Tisch. „Du hast Hundefutter gekauft. Sie tut nichts komm runter.“ „He he … Sie will nur spielen hä.“ „Komm her Daisy.“ Völlig erfreut sprang die Hündin in die Arme des in die Hocke gegangenen Magiers. „D … Daisy.“ „Ich such einen Namen für sie aber ich glaube sie hört auf alles.“ „Auch auf beiß mich nicht?“ Sie begann wieder zu knurren. „Komm das ist ein Welpe. Ich halt sie auch fest.“ „I … Ich bleib hier oben. Mit den Viechern bin ich durch.“ „Dann gib ihr wenigstens etwas zu fressen. Die Kleine hat sicher schon Kohldampf.“ „So lang sie mich nicht frisst.“ Er stieg vom Tisch und füllte eine Schüssel mit dem Trockenfutter.
Danach setzte sich Jamiro mit ihr zu Boden. Neugierig wühlte sie mit ihrer Nase im Fressen. Anscheinend kannte sie das nicht. Das nächste was sie nämlich tat war mit einem der Stücke zu spielen. „Eigentlich ist sie ganz süß.“ Für dieses Argument wurde der Freund wieder zum Spielzeug auserkoren. „Wo … Wolltest du die Bestie nicht festhalten?“ Seine Panik wurde ausgelacht. „Ich wünsch dir echt, dass du mal eine Frau findest, mit der du klar kommst.“
Schweigend setzte er sich mit angezogenen Beinen nieder. Hauptsache die ''Bestie'' kam nicht an ihn heran. „Wie lang hast du noch?“ „Ich geh dir schon noch eine Weile auf die Nerven. Keine Sorgen.“ „So schlimm? Neulich auch schon?“ „Nein. Ich war noch nicht Mal beim Arzt also geh noch nicht vom Schlimmsten aus.“ „Aber du weißt es auch so schon. Hast du denn schon selbst was gegessen oder gilt deine Fürsorge wieder nur den Anderen?“ Warum auch immer fiel ihm nicht gleich eine Antwort ein, weshalb sein Freund sogar mutig genug wurde um ihm etwas herzurichten.
„Und du willst jetzt auch aufpassen, das ich aufesse.“ „Vergiss dein Stolz. Ich kann mir denken, dass das Scheiße ist.“ Wieder herrschte Schweigen bis er aß. Während dem Essen selbst wirkte es so als würde er mitleiden. „Alles gut?“ „Geht schon“, unterdrückte er den Krampf. „Ich finde Daisy passt nicht zu einem Labrador.“ „Ich ehrlich gesagt auch nicht. Gib du ihr einen Namen.“ „Ich? … Du weißt doch, ich kann nicht mit Hunden und sie mag mich nicht.“ „Vielleicht mag sie dich mit einem Namen. Komm mal her.“ Es fiel ihm schwer sich zum Hund zu beugen, dennoch nahm er sie auf den Schoss. „Probiers.“ Er dachte nach und schaute sie sich an. Von ihrer Seite kam kein Knurren. Sie schaute einfach zurück und wedelte mit dem Schwanz. „Luna.“ Sie hob den Kopf schief. „Gefällt dir das? Möchtest du Luna heißen?“ Ein Bellen ertönte und sie sprang auf seinen Schoss. Liebevoll rieb sie sich an ihn und forderte Streicheleinheit ein.
„Siehst du. Geht doch.“ Jamiro wollte aufstehen aber es ging noch nicht. „Soll ich dir was holen?“ „Nein. Schon okay aber du kannst mir helfen Lunas Besitzer zu finden.“ „Jetzt wo ich sie am liebsten behalten würde. Jam, du kannst echt gemein sein.“ Er grinste. Die beiden verstanden sich gerade ziemlich gut. „Okay. Du das Foto, ich diese äußerst gefährliche Bestie.“ Luna attackierte inzwischen ein abgeschnittenes Stück des Futtersackes. So sehr sich die beiden auch anstrengten, es kam nur ungeeignetes Material heraus. Nachdem vermutlich zwanzigsten Bild warfen sie hin.
„Zeig mal her“, forderte sein Freund und entriss ihm sogleich das Handy. Bei einem der letzten Bilder verharrte er länger. In einer Überlegung schob er kurz weiter aber dann wieder auf dieses eine zurück. „Das hier ist doch gut.“ Er zeigte Jamiro ein leicht unscharfes Bild. Sitzend blickte sie darauf nach rechts aus dem Bild. Während des Hecheln hatte sie ihre rechte Vorderpfote leicht angehoben. Fast so als renne sie jeden Moment los.
In der Realität stemmte sie sich gegen seine Schienbeine und bettelte um ein Hochnehmen. Es war einfach zu süß um ihr das abzuschlagen. Auf seinem Schoss rollte sie sich zusammen und schlief ein. „Schaffst du dir jetzt auch einen Hund an?“ „Nein. Luna bleibt die Ausnahme. Jam, du sagst mir, wenn du was brauchst!“ „Hey. Noch bin ich nicht im Hospiz.“ „Du weißt schon wie ich das meine. Du bist echt ein toller Kumpel.“ „Aber?“ „Aber du bist einfach zu blöd mal etwas für dich zu tun.“ „Danke für die Blumen“, lachte er und drückte sich auf die Beine.
„Willst du einen Zaubertrick sehen?“ „Warum nicht? Dann überrasche mich mal.“ Jamiro ging zu seinem Kartenregal und nahm ein in Pappe verpacktes Deck an sich. „Zieh eine Karte“, verlangte er noch bevor er sich gesetzt hatte. „Darfst dus sehen?“ Die Karte hatte er sich schon herausgesucht aber noch nicht gezogen. „Nur du darfst sie sehen.“ Daraufhin zog er sie. Im nächsten Schritt nahm er ein Feuerzeug und führte es mit offener Flamme über ein Teil des Tisches. Das Kreuz Ass brannte sich in den Tisch ein. „Das ist meine Karte.“ Ein Grinsen huschte etwas beschwerlich in das Gesicht des Magiers. Noch war er aber nicht fertig. Er schlug auf das Motiv und eine Karte fiel darunter zu Boden. Als er sich danach bückte merkte man, das er noch mit den Folgen der Schmerzen zu kämpfen hatte. Für sie beide sichtbar legte er die Karte auf den Tisch. Es war wie das Motiv selbst ein Kreuz Ass.
„Druckst du so deine Karten?“, scherzte er. Jamiros Mimik blieb aber ernst. „Ist es ein Problem für dich?“ „Was genau?“ „Das du mir die Suche abnehmen musst.“ „Hey. Ich mach das gern. Außerdem muss ich nicht sondern will ich das machen. Glaubst du, ich würde dich das so machen lassen?“ „In dem Punkt bist du wie meine Eltern.“ „Ein Danke würde schon reichen.“ „Danke.“
In den nächsten Tagen versuchte sein Freund alles erdenkliche. Doch es blieb erfolglos. Weder hatte er jemanden gefunden noch hatte sich irgendjemand gemeldet. Trotzdem hielt er es für notwendig nach seinem Freund zu sehen. Als er ankam ging er gerade mit Luna aus dem Haus. „Hey Jam. Siehst ja erstaunlich munter aus.“ „Wie gesagt, ich bin noch nicht Reif. Was neues?“ „Nein leider. Hy Luna, du Rabauke.“ Etwas unerwartet hielt er den überglücklichen Welpen im Arm. „Jetzt musst du wohl mitkommen.“ Nach dem Absetzen sprang die Hündin wieder zurück in seine Arme. „Ist ja gut. Ich freu mich auch.“
„Du musst sie ablenken. Sonst macht sie das noch ewig.“ „Muss man das bei dir?“ Beim erneuten absetzen schnappte er sich einen Ast. Kaum in Sichtweite biss sie hinein und stolzierte eilig davon. „Irgendwelche neuen Eigenschaften, die mir bei der Suche helfen?“ „Sie liebt Wasser. Wenn ich nicht einmal mit ihr zum See gehe wirft sie ihr Wasser um und wälzt sich darin.“ „Ich sollte wohl übermütiger Frechdachs ergänzen. Frist sie denn mittlerweile?“ „Nur wenn ich ihr das Fressen Stück für Stück ins Maul lege. Wenn sie satt ist versteckt sie es irgendwo in der Wohnung.“
Lunas Interesse wechselte auf ein vom Wind umher gewehtes Blatt. „Sie geniest das Leben“, lachte er und verstummte. Es war wohl nicht angebracht so etwas vor jemanden zu sagen, der eine tödliche Krankheit hatte. „Sorry.“ kam mit einem verlegenen Hinterkopf kratzen. „Wieso entschuldigst du dich?“ Tatsächlich schien er keinen Grund dafür zu sehen. „Jam …“ „Du kennst mich doch“, war seine letzte Erwiderung zu diesem Thema. Irgendwie sah er müder aus als zu Beginn des Spaziergangs. „Du muss unbedingt noch etwas machen.“ „Ich ahne schlimmes.“ „Hey keine voreiligen Schlüsse. Ich mach das.“ Er entriss ihm den Leinen-Schal und hängte ihn mit Luna etwas ab.
„Ruh dich aus wir sind gleich zurück.“ Platz zwei der Dinge die er hasste waren wohl, Schwäche zuzugeben. Es gefiel ihm nicht sich hinzusetzen und auf die beiden zu warten. Überraschenderweise tat er es dennoch. Wäre er ihnen eigentlich nicht hinter hergegangen? Seis drum, dachte er und griff in seine Tasche. Na so was, er hatte doch glatt schon wieder vergessen die Karten einzuschieben. Noch viel besser, er hatte auch gleich den Hausschlüssel dort gelassen. Er lehnte sich zurück und grinste in den grellen Sonnenschein.
Etwas später wurde ihm das Licht genommen. Nerenz und Luna waren zurück. Luna war sofort wieder auf seinen Schoss gesprungen und drängte nach Nähe. „Na ausgepowert ihr Zwei?“ Die Hündin war zumindest nicht mehr so unruhig und sein Freund keuchte wie nach einem Marathon. Als er wieder Luft bekam forderte er den Rückweg an. Dieser war allerdings von einer Frau mit ihrem Zähnefletschenden Rottweiler versperrt. Nicht nur der Hund wirkte bedrohlich. Das Wissen über ihre aufsteigende Boxer-Kariere verschärfte das erzürnte Gesicht. Auch das sie einen Maulkorb in der Hand hielt machte das ganze nicht besser.
„Lene Fuß!“ Sofort reagierte ihr Welpe. „Was tun sie mit meinem Hund?“ „Er ist mir zugelaufen“, übernahm Jamiro das Wort. Sein Freund war in Schockstarre gefallen. „Zugelaufen?“ „Ja vor ein paar Tagen.“ Er riss ein Suchplakat von der Wand und ging auf sie zu. Allerdings stoppte sie ihn. Anscheinend nur um dem Rottweiler den Maulkorb aufzusetzen, denn dann ließ sie ihn näher kommen. Skeptisch wanderte ihr Blick über das Papier. „Hat sie Probleme gemacht?“ Ihre Augen zeigte deutlich, das nun irgendjemand gewaltigen Ärger am Hals hatte. „Nein. Du wirst mir fehlen Kleine.“ Zum Abschied knuddelte er seinen vierbeinigen Schützling noch einmal durch.
Die ganze Nacht hatte er in seiner Werkstatt verbracht. Endlich war der Trick vollbracht, an dem er gearbeitet hatte. Warum aber kam kein Gefühl, das ihm eine Bewertung seiner Arbeit abgab? Es könnte ihm doch wenigstens sagen, das es umsonst gewesen war. Vielleicht brauchte das Ganze auch nur noch etwas Feinschliff?
Er setzte sich und starrte es minutenlang an. Nichts! So sehr er sich auch bemühte, er konnte sich das Ding auch nicht auf einer Bühne vorstellen. Dabei hatte er es bis zum letzten Teil für eine gute Idee gehalten.
Gut, stöhnte er beim Aufstehen. Enttäuscht wirkend begab er sich an seinen Computer, wo noch einige andere Ideen abgespeichert waren. Verdammt! Jede einzelne löste überhaupt nichts bei ihm aus. Weder ''Verwerf den Schwachsinn'' noch ''Das muss ich unbedingt machen''. Wenigstens ein ''Probiers mal'' könnte doch kommen.
Seine Mimik huschte von Verzweiflung auf Überraschung um. Er hatte ein Finjas auf seinem Computer abgespeichert. Sein blöder Bruder trug wieder den weißen Pulli, den ihn noch blasser aussehen ließ als er ohnehin schon war. Es nervte ihn so sehr, das er es abändern musste. Statt weiß hatte er nun einen braun überkritzelten Pulli. Nach der Aktion löschte er das Bild.
Er stütze sich über die Tastatur und überlegte seine Ideen ebenso zu löschen. Allerdings waren diese nicht schlecht, irgendwie aber auch nicht gut, scheinbar nicht Mal einen Versuch wert. Ehe er sich zu etwas entschließen konnte erklang eine Nachricht auf seinem Handy. ''Bist du fit?'' Lustlos legte er die Chatnachricht seines Freundes beiseite. Eine Zweite kam dennoch hinter. ''Komm vorbei'' Das las sich wie eine Drohung. Trotzdem musste er schmunzeln. ''Bist du aufzuhalten?“ schrieb er etwas verzögert zurück, damit er sich keine Sorgen machte. ''Nein'', antwortete er mit einem lilanen Teufelskopf begründet.
Wenige Minuten später klingelte es an seiner Tür. Er hatte es gehört, setzte sich aber nicht in Bewegung. Erst beim zweiten Klingeln machte er ihm auf. „Lust etwas zu unternehmen?“ „Ich schätze, das ist keine Frage.“ Er drängte sich grinsend ins Innere. „Du wirst schon sehen.“ Er setzte sich an den Tisch und scannte ihn etwas skeptisch. „Hast du auch was schickeres?“ „Hey, was hast du an meinem Style auszusetzen?“ „Er ist nichts für Nobelresturans.“ „So ein Nobelrestaurant also.“ „Du hast es doch bestimmt eh geahnt, das ich dich auf ein Date schicken will.“ „Seit du meintest, ich müsse unbedingt noch etwas erleben. Bei dir kann das nichts anderes heißen.“ „Was soll das den heißen?“ Mit einem Grinsen begab er sich in sein Schlafzimmer.
„Besser?“, fragte er als er wiederkam. „Ehrlich gesagt steht dir das überhaupt nicht aber für so etwas ist es wohl genau das Richtige.“ „Ich frag mich echt nicht warum bei dir keine Dates klappen.“ „Was?“ Entweder hatte sein Freund nicht hingehört oder nicht hören wollen. Jedenfalls ging es danach los.
Eine rosarote Blüte im Haar hatte sein Freund als einziges verraten. Obwohl angeblich mochte sie Kartentricks ganz besonders aber dies sollte er wohl besser selbst herausfinden. Etwas schüchtern wirkte sie, als sie ihm zur Begrüßung die Hand reichte. „Hallo Herr Erkwin.“ „Jamiro bitte“, korrigierte er mit einem Grinsen. Das machte sie laut dem Puls den er nun spüren konnte wohl nervös. „O … Okay“, kam sie ins stottern und nahm ihre Hand zurück. „Sie sind ein wirklich toller Magier.“ Ihr Grinsen wirkte genauso verklemmt. „Ich bin nur ein Mensch, wie viele anderen auch. Nehmen wir Platz?“ „O sicher. Gern.“
„Sie kennen also Tobias?“ „Tobias wer? Ach so, er ist mein Halbbruder.“ „Dann heißen sie also auch Nerenz?“ „Hab ich mich noch nicht vorgestellt? Entschuldigen sie. Hannelore Leswinger. Tobias und ich haben die gleiche Mutter.“ Ziemlich deutlich hinterfragte sie sich warum sie letzteres erwähnt hatte. „I .. Ich kann das nicht.“ Jamiros Reaktion war lediglich ein einzeln hochgezogene Augenbraue. „I .. Ich sollte mich vermutlich richtig ausdrücken. Das Restaurant …“ „Ist ihnen ein Spaziergang lieber?“ Sie wirkte überrascht. „Sie stehen wohl auch nicht so auf Nobel?“ „Nein kein Stück.“ Die aufgetauchte Erleichterung war wohl das Zeichen für ein dickes Plus bei ihr. „Gehen wir“, sagte sie schließlich und reichte ihm die Hand. Er grinste und nahm ihr Angebot an.
Vor der Tür kam sie ihm plötzlich flüsternd ganz nah. „Verzeihung.“ Dann kam ein Kuss. Sie ging zurück und blickte ihn fragend an. Er grinste. Dies tat sie dann auch. Sie hakte wieder bei ihm unter. „Wo hin?“ „Es wird ihnen gefallen.“
Etliche Stunden später saß er auf einem Steg. Seine Beine bummelten im Wasser. Er wirkte etwas verstimmt. Sie ein wenig besorgt, als sie es ihm mit Getränken gleich tat. „Hilft es etwas?“ Jamiro hielt sich ein Kissen gegen den Bauch. Mit einem schwachen Nicken gab er seine Bestätigung etwas abwesend weiter. „Ich hätte nie gedacht, das mir ein Abend mit ihnen gefallen könnte. Ich weiß nicht, ich habe sie für arrogant gehalten.“ Er zog ein schwerfälliges Grinsen. „Suchen sie keine Gründe. Sie sollten so etwas nicht tun. Egal ob dieser Mensch, sagt er sei furchtbar krank. Sie haben etwas ehrliches verdient.“ Schweigend lehnte sie sich an ihn. „Sie wissen wohl gar nicht wie ehrlich sie sind“, ergänzte sie etwas später. „Sie wollen genauso wenig wie ich.“
Sie reichte ihm das Getränk und blickte in den Sternenhimmel. „Ich glaube jeder Stern dort oben ist eine Seele. Ein kleines Licht, das in der Dunkelheit für jeden scheint.“ „Bitten sie mich für sie zu scheinen, wenn ich dort oben bin?“ Er lachte. „Für sie mach ich auch gern dem Polarstern Kongruenz.“ „Ein Licht nur für mich, heller als der Polarstern? Wenn sie das tun, blenden sie mich bitte nicht.“ Sie lachte. „Es ist ein wunderschöner Abend.“ Jamiro zog es vor zu schweigen aber sein Grinsen verriet, das es zumindest kein schlechter Abend für ihn war.
Am folgenden Morgen textete ihn sein Freund zu. Die anfänglichen Fragen über das Date hatte er gelesen aber alle samt ignoriert. Seine Laune war im absoluten Tiefpunkt angelangt. Er wollte niemanden sehen, noch hören. Schon gar nicht seinem Freund. Dem wollte er so liebend gern eine reinhauen, dass es für ihn besser wäre gar nicht zu kommen. Zwangsläufig würde es aber irgendwann so weit kommen, wenn er nicht antwortete. Also packte er sein Handy und schrieb ihm so unfreundlich wie er es in Kürze konnte, das er unerwünscht war.
Kaum den Absendeknopf betätigt klingelte es an der Tür. Bewusst zog es vor nicht zu öffnen. ''Date nicht gut?'', schrieb er noch immer vor der Tür lauernd. Um endgültig klarzustellen, das nicht das Date sondern er das Problem war vergriff er sich weiterhin im Wort. Es verging noch einige Zeit in dem keiner schrieb aber noch immer verharrte er vor der Tür.
Schließlich riss Jamiro sie auf. Seine Wut erstickte in Gestammel. „Also bin ich doch nicht das Problem.“ An ihm vorbei gedrängt blieb er mitten im Raum stehen. „Bleibt nur noch A, dir geht’s gerade richtig kacke oder B ich hab etwas verbockt von dem ich noch keine Ahnung habe.“ „B!“ „Okay, dann musst du mir auf die Sprünge helfen. Du hast die kreative Ader von uns beiden.“ Da die Schmerzen plötzlich kamen bekam er nur ''Hanne'' raus. „Hannelore, gut dann sind wir schon etwas weiter“, überspielte er seine Besorgnis während er ihn zu einem Stuhl drängte. Solange es akut war, ließ er ihn in Ruhe aber zum Glück hielt es nicht allzu lange an.
„Wie kannst du jemanden bitten mit mir ins Bett zu gehen. Ich brauch das nicht okay.“ „Du willst mir doch nicht sagen, dass du sie abgelehnt hast.“ „Doch!“ Der kurze Wutausbruch hatte weh getan. „Natürlich hab ich abgelehnt.“ „Jam. Es war nur gut gemeint.“ „Für wenn? Ich brauche niemanden. Man du kannst doch keinen emotional unter Druck setzen. Mir ist das egal, das solltest du eigentlich wissen, als mein Freund.“ „Es war vielleicht nicht ganz der richtige Weg aber sie war einverstanden.“ „Trotzdem das ist nicht okay.“ „Ich machs nicht wieder.“ „Will ich hoffen!
„Ist noch was Jam?“ Er packte mitfühlend seine Hand. Etwas später entriss er sich. „Sags dus mir“, erwiderte er nach einer weiteren Pause. Diesmal stand er an einer Wand. „Ich weiß es nicht.“ „Du wirkst verzweifelt.“ „Verzweifelt? Gerade eben wollte ich dir noch an die Gurgel und jetzt hätte ich große Lust etwas zusammenzuschlagen.“ „Danke für diese Ehrlichkeit“, reagierte er schockiert und kratzte sich am Hals.
„Hannelore?“ „Ich bring dich um wenn du so etwas noch einmal tust!“ „Magst du sie?“ „Was fragst du mich jetzt?“ „Anders Thema.“ Sein zurück rücken mit dem Stuhl beutete wohl, dass er seinen gefährlichen Pfad bemerkt hatte. „Schmerzen?“ Keine Antwort folgte. Es schien so als habe Jamiro alle Mühe sich im Zaum zu halten. Schließlich schloss er sich in seinem Schlafzimmer ein. Die Aussicht zu sterben war wohl doch nicht so leicht zu ertragen, wie er immer sagte.
Ein Grinsen huschte über das mitfühlende Gesicht. Ihm war eine Idee gekommen, wie er ihn aufheitern konnte. Er nahm sich ein in Pappe verpacktes Deck und setzte sich vor die Tür. „Welche Karte glaubst du ziehe ich?“ Dabei zog er das Deck aus der Verpackung. „Ich hab eins falls du denkst, ich schummle.“ „Ne natürlich nicht aber du bist wahrscheinlich blöd genug, das zunehmen wovon die Hälfte irgendwo in meiner Werkstatt liegt.“ Tatsächlich war der Stapel ungewöhnlich dünn. „Und wenn?“ Schweigen herrschte. „Sag einfach eine Karte.“
Bewegung war zu hören aber die Aufforderung kam erst um einiges später. „Herz sechs.“ „Gut dann zieh ich mal.“ Seltsam, das er hierfür den Stapel ablegte und ein anderes Deck im Regal durchsuchte. Es war ungewöhnlicherweise sortiert. Jedes Symbol war beieinander, begann bei einem Ass, ging über die zwei zum König hinauf. Zu erst hatte er das Karo, dann das Pik, das Kreuz und schließlich das gesuchte Herz. An Stelle eines Sechsers fand er allerdings einen Joker. „Willst du mich …?“ Er tastete das Regalbrett ab und fand eine einzelne Karte. Es war die fehlende Herz sechs. Erfreut eilte er zur Tür zurück und schob sie verdeckt durch die Tür.
„Steht das Haus noch?“ Seine Laune schien wieder besser zu sein. „Es ist also richtig?“ „Für wie blöd hälst du mich, das ich nachschaue?“ „Komm schon Jam. Ich hab mir Mühe gegeben.“ Wieder blieb es eine Weile still. „Wow“, sagte er schließlich mit wenig Begeisterung an der Tür. „Wie magisch, sie hat sich wie von Geisterhand unterschrieben und wandert jetzt wieder unter der Tür durch ohne das ich etwas tue.“ Als die Karte bei ihm erschienen war ergänzte er: „Gibs deiner Schwester weiter. Sie freut sich bestimmt.“
„Jam bist du bereit für eine Überraschung, die ausnahmsweise nichts mit Frauen zu tun hat?“ Seine Fürsorge ging ihm ziemlich auf die Nerven. Ihn inzwischen täglich in der Wohnung zu haben grenzte an eine Geduldsprobe. Dauernd räumte er ihm hinter her. Er mochte keine Unordentlichkeit obwohl er selbst nicht so ganz der Ordentlichste war. Tobias schien aber irgendwie die Begabung zu haben eine Spur hinter sich herzuziehen.
Vor dem Magier lagen auf dem Tisch drei umgedrehte Karten und die Karo Dame. Darüber lag die leere Verpackung und der Rest des Decks. Anstatt seinem Freund zu antworten drehte er die Karo Dame um. Mit weiterer Missachtung tauschte er entspannt die Plätze der beiden nebeneinander liegenden Karten. Dies tat er mit den anderen beiden gleich. Sein Freund tippte auf die noch verdeckte Karo Dame. Vermutlich einfach nur um endlich Aufmerksamkeit zubekommen. Die bekam er aber nur soweit, das Jamiro die besagte Karte umdrehte. Es war ein Kreuz Ass. Als sei sein Freund nicht hier, schob er die mit der Karo Dame getauschte Karte nach oben. Diesmal wandte er sie. Karo Dame, natürlich.
„Bist du fertig mit deiner Meditation? Ich hab Null Frauen aber garantierten Spaß komplett auf meine Kosten für dich.“ „Du willst also mit mir verreisen?“ Die Begeisterung seiner Enthüllung fiel zweifelsohne ernüchternd aus. „Warum weißt du das schon wieder?“ Wenigstens erheiterte die beleidigte Frage seine Mimik. „Ich frag ja schon gar nicht mehr. Zieh einfach eins der drei Fotos.“ Lustlos knallte er drei verdeckte Fotos auf den Tisch und drängte sie ihm anschließend auf.
Die Wahl fiel auf das Mittlere. Zusehen war ein Meer mit felsigen Beginn. In der Ferne sah man Häuser. Während im Meer sich Schwimmer und zwei Jetskis tummelten. „Fuerteventura, genau meine Wahl“, freute er sich. „Das sollte es, wenn du mir eine Vorauswahl gibst“, knurrte er und nahm die Teller zum Spültisch mit. „Gehört das zu deiner Krankheit dazu, das du alles miss machen musst? Was ist das für ein Brief? … Von ner Klinik!“ Ein zusammengefaltetes Schreiben ohne Umschlag lag unheilvoll an einem Platz, wo zuvor die Teller gestanden hatten.
„Hab ich dir erlaubt zu lesen?!“ „Entschuldige. Ich … Jam was ist los und wieso streichst du all deine geplanten Touren?“ „Ich lebe nächstes Jahr vielleicht nicht mehr. Ich hab mich testen lassen. Der gleiche Scheiß, wie vor über zwanzig Jahren. Jetzt hab ichs schwarz auf weiß.“ „A … Aber das heißt doch noch nichts.“ „Wunder sind begrenzt, genauso wie Karrieren.“ „Du willst doch nicht einfach aufgeben?“ „Blödmann, natürlich gebe ich nicht einfach so auf.“
Jamiro stützte sich auf seine Ablage ab. „Aber?“ „Du weißt wie ungeduldig ich bin und du weißt wohin das Ganze führt. Die Krankheit ist vermutlich das kleinere Übel. Außerdem muss ich es immer noch meinen Eltern sagen. Du glaubst nicht wie schwer mir das fällt.“ „Oh doch. Ich kenn sie ja schließlich. Ich erwähne nur diese Karten, die du immer mit dir rumschleppst.“ Jamiro lachte. „Irgendwie wünschte ich, ich könnte auch an diesen Quatsch glauben.“ „Tus doch einfach, wen jucks.“
Er wandte der Ablage den Rücken zu und lehnte sich dagegen. „Fuerteventura also?“ „So haben es deine Hände entschieden.“ „Gut, wenn du es mit einem Griesgram wie mir aushältst.“ „Ach das wir schon besser dort, du wirst schon sehen.“
Ausgerechnet am kurzfristigen Abreisetag hatte Jamiro einen wahrlich schlechten Tag. Die Schmerzen wollten einfach nicht aufhören, obwohl er bereits seine verschriebenen Medikamente genommen hatte. „Jam wir können es auch verschieben“, meinte sein Freund bestimmt schon das vierte Mal. Zurecht, da er ihn anscheinend auch schon stützen musste. „Ich pack das schon. Ich penn etwas im Flieger und alles ist wieder in Ordnung.“ Als hätte er es gewusst, schlief er kaum im Inneren sitzend ein.
Erst bei der Landung wurde er allmählich fitter. Trotzdem behaarte sein Freund erstaunlich hartnäckig darauf den angebrochenen Tag im Hotel zu verbringen. „Ich soll mir also ein Zimmer mit dir teilen?“ Wenig begeistert wendete er die Landkarte, die er genauso interessiert auf dem Bett liegend las. „Ich bin nicht so dicke, okay.“ „Ich hätte mein Zimmer auch selbst zahlen können.“ „Du wirst es schon überleben.“ Tobias legte sich zurück und textete mit jemanden an seinem Handy. Anscheinend war auch er müde, da er nach kurzer Zeit eingeschlafen war.
Als hätte er auf diesen Moment gewartet zerrte sich der Magier auf die Beine. Schwerfällig ging er zu ihm und nahm ihm das bald zu Boden fallende Handy ab. Danach verließ er das Zimmer. Eine kleine Terrasse zwischen Anderen befand sich vor dem Zimmer. Den gelben und roten Hibiskus in der weißen Umrandung hatte er zu Beginn gar nicht bemerkt. Roch Hibiskus eigentlich? Er roch daran und verneinte es sich innerlich. Seine trägen Beinen zum Gehen zu bewegen war schon recht mühsam. Vielleicht hätte er doch noch liegen bleiben sollen? Ein Grinsen erschien. Wann war er denn schon vernünftig gewesen? Bedacht drauf nicht der Welt seinen Zustand mitzuteilen schlug er gemächlich zum Empfang auf.
Costa Calma war der Fleckenerde, an den er sich hatte entführen lassen. Das Hotel befand sich direkt am Meer. Dort aber war mehr Trubel als den er hätte gerade ertragen können. Also zog es ihn vom Strand weg. Erschöpft lehnte er sich nach kurzer Zeit gegen einen Felsen mitten auf dem Weg. Es war nicht gerade schlau, angeschlagen bei zwanzig Grad die Gegend zu erkunden. Müde blinzelte er ein paar mal. Fuerteventura musste eine ganz schön trockene Insel sein. Überall am Wegesrand lagen schwarze Bewässerungsschläuche. Wie auch immer, dachte er sich und hielt sein Gesicht in die Sonne.
„Brauchen sie Hilfe?“ Die Frau, die auf ihm zu kam war ganz klar jemand vom Hotelpersonal. „Nein, nur eine Pause,“ Sie lächelte künstlich und verblieb schweigen in seiner Nähe. „Leben sie hier?“, fragte er als sie ihn fast eine Minute lang umkreist hatte. „Den Großteil.“ Schon wieder folgte ein künstliches Grinsen. Dann legte sie eine Decke auf den Boden. „Setzen sie sich doch zu mir.“ Sie saß schon. Eigentlich wäre er jetzt gern wütend geworden aber er konnte es nicht. Stattdessen setzte er sich zu ihr.
Sie packte ein Brot aus und begann neben ihm zu essen. „Verbringen sie immer ihre Pause so?“ Er wusste genau, das sein Freund hinter dieser Aktion steckte. „Nö aber ich mag den Platz hier.“ Eigentlich hatte er auf ein unkompliziertes Ja gehofft. Die ehrlich Antwort konnte er ihr schließlich auch wieder nicht verdrehen. Er reckte sich wieder schweigend in die Sonne.
Respekt, dachte er sich nach einer Weile. Offenbar wusste sie seine Ablehnung von Hilfsangeboten zu umgehen. Nach einer halben Stunde stand sie auf. Mit einmal wirkte sie gestresst. Etwa so als habe sie gerade bemerkt ihre Pause überzogen zu haben. „Entschuldigen sie mich, ich muss wieder an die Arbeit.“ Jamiro hatte alle Mühe von der Decke hoch zu kommen. Um so froher war er, dass sie ihm keine Beachtung schenkte. Mein Gott war er eitel, spottete ein Gedanke. Dabei kämpfte er noch gegen Schwindel.
Hatte ihm der Arzt auch nicht gesagt, das er nach den Einnahmen der Medikamente nichts anstrengendes unternehmen sollte? Er sprach von möglichen Schwindel. Als wäre es so schon nicht schwer genug standhaft zu bleiben. „Sagen sie, macht es ihnen etwas aus mich zurückzubegleiten?“ Es wirkte sicherlich arrogant, das er nicht in ihre Richtung fragte. „Gern“, hörte er ihre Stimme strahlen. Fast so als habe er sie um etwas Begeisterndes gebeten. Sie hakte ihn bei sich ein und brachte ihn unversehrt zur Hotelanlage zurück.
„Kann man dich eigentlich einmal aus den Augen lassen?“ „Nein.“ „Immerhin hat es deiner Laune geholfen.“ Kaum berührte er das Bett schlief er wie ein Murmeltier. Anscheinend auch eine ganze Weile. Es war dunkel als er wieder aufwachte. Sein Freund stellte ihm gähnend etwas zu Essen auf Bett. „Hab dir was mitgebracht, ja.“ „Danke.“ „Wie geht’s dir?“ „Besser.“ Wie immer versuchte er sich beim Essen nichts anmerken zu lassen. „Ich hab Lust mir Morgen den Strand anzusehen. Vielleicht geh ich auch schwimmen, mal sehen.“ „Wenn du meinst, Jam. Ich hau mich jetzt aufs Ohr.“
Am Morgen saßen sie im Frühstücksraum. Jamiro hatte fast das komplette Angebot vom Buffet auf dem Teller. Sein Freund gab sich mit einem Berg Rührei und vier Speckstreifen zufrieden. „Deine Probierlaune entdeckt?“ „Ich hab mich wohl eher locken lassen.“ Er lachte, „Ich habs wohl auch etwas übertrieben.“ Nachdem Essen gönnte sich Jamiro ohne Zwang etwas Ruhe. Anschließend gingen sie wie geplant zum Strand. Dort entlang zu laufen schien ihm gut zu tun. Er wirkte glücklich.
Ohne seine Karten schien er aber auch hier nicht auszukommen. Während sein Freund sich nachdem Spaziergang ins Wasser verabschiedete trickste er mit seinen Karten herum. „Cool.“ Die Frau von gestern stand hinter ihm. „Haben sie wieder Pause?“ „Nein. Ich wollte ihrem Freund sein Handy bringen. Wo finde ich ihn denn?“ „Im Wasser momentan. Gebens sies mir. Ich gebe es ihm später weiter.“ „Sagen sie ihm er kann es an der Rezeption abholen. Nicht falsch verstehen bitte aber ich darf es nur dem Eigentümer aushändigen.“ Sie war bereits am Gehen als Jamiro fragte: „Stehen sie auf ihn?“ Entweder bekam sie es nicht mit oder sie wollte es nicht mitbekommen. Vielleicht war sie aber auch vor Tobias geflohen, der gerade aus dem Wasser kam.
„Herrlich. Ist was?“ „Nö. Du kannst nur dein Handy an der Rezeption abholen.“ „Wann hab ich das denn verloren?“ „Wahrscheinlich hast du es heute Morgen mit deinem anderen Müll in den Eimer geworfen.“ „Und du sagst nichts? Toller Freund bist du“ „Ich sagte wahrscheinlich, Tobias. Was weiß ich schon über deinen chaotischen Kopf. Wie zum Teufel schaffst du es überhaupt in so kurzer Zeit so viel Müll zu produzieren?“ „Ich verwöhn mich halt gern, na und.“ Er legte sich neben ihm auf sein Handtuch nieder.
„Hast du mal Sandburgen gebaut?“ „Wann denn? Ich war nie an einem Strand.“ „Dann hols nach. Ich wette ich bin besser.“ „Von wegen.“ Nach zwei eingestürzten ''möglicherweise'' Burgen hatten die beiden wohl vergessen was sie eigentlich machen wollten. „Was ist denn das?“, kicherte Tobias über das schnelle Ergebnis von seinem Gegner. „Luna oder auch Lene wie sie ja eigentlich heißt. Keine Ahnung. Ich musste gerade an sie denken. Und was ist das?“ Als wüsste er das selbst nicht blickte er auf das herausgegrabene und aufgehäufte Herz vor sich. Peinlich berührt entfernte er die Kieselsteine, die den Namen ''Lola'' darauf ergaben. „Nichts“, log er mit verdächtig roten Kopf.
„Keine Frauen also.“ Jamiro stand auf und streifte sich den Sand von den Beinen. Dann begann er plötzlich zu lachen. „Weißt du warum bei dir das mit der Liebe nicht klappt. Komm mal hier her.“ Obwohl er sich zu ihm stellte und seinem Blick folgte, fiel ihm absolut nichts witziges auf. „Das sieht aus wie ein Hintern, im Ernst siehst du das denn nicht?“ Er grinste auch. „Ich bin wohl einfach zum Single verdammt, was? Gut es hätte eh nie funktioniert.“ Tobias trat gegen das Herz somit es auseinanderfiel.
„Dir geht’s doch gut grade, oder? Warum gehst du nicht schwimmen?“ „Ein Krampf im Wasser ist etwas unpraktisch. Ich geh lieber nochmal spazieren. Du kannst ja dein Handy abholen.“ Offenbar wollte er ein Mitgehen seines Freundes vermeiden, da er schon los ging. Nach ein paar Stunden kam er wieder zurück. Beinahe hätte er seinem verträumten Freund mit der Tür getroffen.
„Hast du ihre Nummer bekommen?“ „Hä?“ Er steckte sein Handy weg. „Ich bin fertig. Wir können gehen.“ „So bist du das?“ „Was soll die blöde Anspielung jetzt? Keine Frauen, das hab ich gesagt.“ „Red mit ihr. Du könntest vielleicht die Richtige gefunden haben.“ „Unsinn. Ich hab Hunger. Lass uns gehen.“ Stur marschierte er voran. Jamiro holte auf als er bereits mit Essen am Tisch saß. „Was wird bloß aus dir ohne mich?“ Sein Grinsen über diese Worte zog sich breit. „Hör auf was zu planen. Im ernst, ich möchte das nicht.“ Keine Erwiderung kam. Nur das Grinsen blieb.
Am nächsten Morgen weckte ihn Tobias für einen Ausflug nach La Lajita. Es wirkte wie eine Flucht und anscheinend war der Magier alles andere als überrascht davon. Schweigsam genoss er die Fahrt und den Aufenthalt in einem Zoo. Er streichelte eine Giraffe am Kopf, marschierte durch ein Lemurengehege und amüsierte sich göttlich als ein Emu versuchte seinen Freund zu zwicken. Bestimmt ein Weibchen, war ihm schadenfroh in den Sinn gekommen.
Zurück im Hotel stellte sich Jamiro an die Rezeption. Angeblich musste er etwas wegen seiner Krankheit organisieren. Tatsächlich hatte er es aber auf die schon bekannte Hotelangestellte abgesehen. „Was kann ich für sie tun?“ „Lola stimms?“ „Weshalb wollen sie das wissen?“ Sie setzte wieder ihr fast perfektes falsches Lächeln auf. „Wann haben sie denn das nächste Mal frei?“ „Es ist mir nicht gestattet mit Gästen zu flirten. Kann ich sonst noch etwas für sie tun?“ „Wenn sie so fragen, gibt es einen Service, der meinen Kumpel für ein paar Stunden beschäftigt.“ Trotz aller Mühe sah man ihm allmählich die aufkommenden Schmerzen an. „Eigentlich nicht aber ich seh gern was ich tun kann.“ Sie holte per Geste eine Kollegin her und kam dann zu ihm. „Ich kann ihrem Freund vielleicht einen Vorschlag machen. Soll ich sie mitnehmen?“ Er schmunzelte. „Das wäre nett. Danke.“
„Jam!“ Sein Freund kam ihnen entgegen. „Ich hau mich hin“, knurrte er und verzog sich. „Haben sie schon die Stadt gesehen?“ „Hm? Noch nicht. Nein.“ „Ich kann sie ihnen zeigen wenn sie wollen aber erst in einer Stunde.“ „Gern … Also …“ Ihr Lächeln ließ ihn komplett verstummen. „Ich hol sie dann am Pool ab.“ „Okay. Ich ähm … Ich warte dann auf sie.“ Mit einem Winken eilte sie dann davon.
„Jam, du Idiot!“, fauchte er als er ins Zimmer kam. „Was mach ich denn jetzt?“ „Die Klappe halten!“ „Hä?“ „Man verstell dich einfach nicht auf eurem Treffen, das wird schon.“ „Du meinst so wie immer? Das geht doch in die Hose. Brauchst du deine Medikamente? Du siehst furchtbar aus.“ „Schon genommen. Setzt dich und bring meine Karte mit.“ „Willst du meditieren?“ „Nein. Ich zeig dir den Trick mit den Karten, die den Platz tauschen aber trotzdem noch wie zuvor liegen.“ „Ich dachte Magier verraten ihrer Tricks nicht.“ „Verkacks einfach nicht.“ Offenbar war der Abend mit ihr gelungen, da er ihn auch am nächsten Tag komplett los hatte.
Zufrieden setzte er sich auf einen Stein am Strand und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. „Wenn haben wir denn da? Rate doch mal wer ich bin.“ Jemand hielt ihm aus heiterem Himmel die Augen zu. „Hm vielleicht jemand mit vielen Namen. Schön dich zu sehen Eleonora oder viel mehr zu hören.“ Lachend setzte sie sich neben ihn. „Du hast dich also anstecken lassen? Und wie ist das Reisen?“ „Kann mich nicht beschweren.“ „So. Hey, wenn du schon hier bist, wie wärs mit einem kleinen Date? Ich lade dich ein.“ Sein Blick verharrte schweigend auf dem Meer. „Komm schon. Man sagt einer Lady nicht ab.“ „Okay.“ Sie freute sich riesig und zerrte ihn mit sich.
Das sie ordentlichen Redebedarf hatte merkte er erst vor einem Restaurant. „Und auf was stehst du mehr? Kalt oder warm?“ „Du redest nicht vom Essen oder?“ „Nee von deinen Reisezielen, du Dummerchen. Von was soll ich den sonst reden, Herr Magier, der alte Männer als Freunde hat? Hast du eigentlich eine Freundin?“ „Nö.“ „Aber du bist Single?“ „Willst du mich heiraten?“ Er grinste. „Auf keinen Fall würde ich … Moment! Du ahnst doch, das ich niemals jemanden heiraten würde.“ „Du bist ein Freigeist. Man kann dich nicht binden.“ „So, glaubst du das? Vielleicht würde ich ja bei dir eine Ausnahme machen.“ „Du würdest dich mit mir zu Tode langweilen.“ Sie lachte laut auf obwohl er eigentlich mit ihrem obligatorischen ''So'' gerechnet hatte.
„Etwas müde heute, was.“ Sie packte ihm am Arm und zerrte ihn an einen freien Tisch. „Es gibt vermutlich nur einen Menschen, für den ich tatsächlich über meinen Schatten springen würde. Er ist charmant, hilfsbereit, vielleicht etwas sonderbar.“ „Vermutlich macht er auch noch gerne Rätselspiele mit, deren Antworten er eigentlich schon kennt.“ Sie grinste und kam ihm näher. „Weißt du was ich noch an ihm mag? Seine Direktheit und sein offenes Ohr.“ Sie ging wieder zurück.
„Ich hab meine Mutter gefunden.“ „Schön.“ „Ich weiß jetzt, das ich meine Eltern weder liebe noch hasse. Sind mir einfach egal.“ „Na ja. Das ist wohl besser als sie hassen zu müssen. Hattest du Gelegenheit mit ihr zu sprechen?“ „Nein. Genauso wie bei meinem Vater war es auch hierfür zu spät.“ „Das tut mir Leid. Es hätte sicher noch einiges verändern können.“ „Glaube ich nicht. Diese Bekannte erzählte mir, das sie sich am Flughafen stundenlang übergeben hatte. Flugangst. Nur deshalb hatte sie mich letztendlich vergessen.“
„Es scheint ihnen wirklich nichts auszumachen.“ „Wozu auch? Ich wäre nie zum reisen gekommen wäre ich beim Vater geblieben. Hätte mich Mutter nicht vergessen, säße ich vermutlich in Dubai und hätte Angst zu fliegen. Egal wie es anders gekommen wäre. Ich mag dieses Leben so wie es ist.“ „Ja. Alles was schlecht ist hat irgendwann sein Gutes.“ „War das taktlos von mir? Wegen ihrer Krankheit damals?“ „Nein ohne sie wäre ich auch nicht der der ich heute bin. Ich stimme ihnen da voll zu.“ Jamiro lehnte sich entspannt zurück.
„Stimmt es das man sich auf einer Reise neu erfindet?“ „Kommt natürlich darauf an, ob man es annimmt aber es wäre schade um sie.“ „So?“ Sie lächelte und stand auf. „Ein Tanz, Herr Erkwin?“ Er hatte noch nie in seinem Leben getanzt aber darin sah er keinen Hinderungsgrund. Immerhin tanzte Eleonora genauso schlecht wie er. Erschöpft aber irgendwie auch noch total erheitert ließ er sich nachdem Tag auf seinem Hotelbett fallen.
„Hey! Lang genug geschlafen.“ Tobias saß mit Frühstück am Bett. „Schon wieder Bedienung?“ „Du hast selbst mal erzählt, dass man dich bei deiner Krankheit zum Essen zwingen muss. Also bedien dich.“ „Danke. Wie liefs mit Lola?“ „Was soll da laufen? Keine Frauen hab ich gesagt und daran halt ich mich.“ „Du bist bescheuert.“ „Danke und jetzt iss.“ „Im Ernst“, schmatzte er mit vollem Mund und schluckte bevor er weitersprach. „Ich halte mich doch auch nicht dran.“ „Wers glaubt. Wieso bist du eigentlich so gut drauf heute? Du siehst nicht beschwerdefrei aus.“ „Ich hatte eine nette Begegnung.“ „Aha und ist da mehr?“ „Weiß ich nicht aber ich hab mir für den Fall mal ihre Nummer geben lassen.“ „Und worauf wartest du noch?“ „Ich will nicht.“ „Hä. Das ist doch bescheuert. Wie willst du denn hier im Bett herausfinden, ob da mehr ist?“ „Ich will es noch nicht herausfinden. Wenn da mehr ist, möchte ich auch Zeit für sie haben. Verstehst du?“ „Aber wenn du stirbst.“ „Bin ich eben Tod. Ein Mensch weniger den ich damit verletze.“ „Komm schon. Wenn sie etwas für dich empfindet, ist das eh schon der Fall.“
„Komisch. Da versuche ich dir die ganze Zeit einzureden dein Glück mit Lola zu versuchen und jetzt versuchst du das Gleiche mit mir.“ „Okay. Dann sind die Bedingung dieses Urlaubs eben anders. Wenn du dich mit deiner einlässt finde ich raus, ob das mit Lola und mir klappt.“ „Du machst dein Glück von mir abhängig? Okay ich ruf sie an und frag nach einem Date.“ „Aber laut. Ich lass mich nicht verarschen.“ Wie besprochen rief er bei Eleonora an. Diese war hellauf begeistert von einem erneuten Treffen.
„Jetzt zu dir“, stöhnte er beim Aufstehen. „Jetzt?“ „Jetzt oder ich mach es.“ „O … Okay.“ Als sein Freund mit Lola redete blieb er so weit entfernt, das er von alle dem nichts verstand. „Hey bist du in Ordnung?“ Er war wieder zurück. „Brauchen sie einen Arzt?“ Lola stand an seiner Seite. „Ein Bett genügt schon.“ Mit müden Schritten entfernte er sich. Lola hielt seinen Freund zurück.
Am Abend gestellten sich die beiden Freunde wieder am Meer zusammen. „Und?“, fragte Jamiro uninteressiert. „Sie hat was aber ich erfülle wohl ihr größtes no Go.“ „Das wäre?“ „Als wir Essen waren, hat sie ziemlich genau auf die Rechtwinklichkeit ihres Bestecks geachtet.“ „Berufskrankheit wahrscheinlich. Eleonora kennt Lola aus einem deutschen fünf Sterne Hotel.“ „Du informierst dich über sie?“ „Das war Zufall. Wir kamen irgendwie aufs Hotelpersonal zu sprechen.“ „Das klingt nicht als hättest du ein Date gehabt.“ „Ich dachte ich könnte mich ums Essen drücken, wenn ich ihr shoppen vorschlage. Es war nett mit ihr aber ich hab Morgen aller Wahrscheinlichkeit nach Muskelkater.“ „Ja hättest du mich gefragt, hätte ich dir sagen können, das man das einer Frau niemals vorschlägt.“ Jamiro legte sich stöhnend zurück. „Ich leb ja noch und es war tausendmal besser als ein Essen für heute.“
„Hast du immer noch so starke Schmerzen? Kann ich irgendwas tun?“ „Nein und nein. Danke. Eben weil ich heute sogar beim Essen schmerzfrei war wollte ich es bei diesem Date nicht ausreizen.“ „Schwindel nicht.“ Jamiros Aufmerksamkeit blieb an einer fliegenden Möwe hängen. „Also wenn dich es nicht erwischt hat weiß ich auch nicht. Eleonora war ihr Name?“ „Eleonora Pfleiner ja.“ „Woran denkst du gerade?“ „An nichts. Ich schau einfach der Möwe zu.“ „Oh backe.“ „Was? Es ist gut mal eine Pause zu haben.“ „Ach komm schon plötzlich hören deine Schmerzen auf und du schaust einer Möwe zu. Du warst heute morgen noch fix und fertig.“ „Weil ich gefühlt acht Stunden mit ihr getanzt habe.“ „Oh und getanzt habt ihr auch noch. Woran denkst du bei Eleonora?“ „Vogel.“ „Siehst du keine Karten. Auch wenn du ihr Vogel vermutlich nicht sagen solltest.“ „Nein“, lachte er herzlich.
„Willst du wissen warum?“ „Keine Details bitte.“ „Als sie mich zum Abschied küssen wollte hat eine Möwe auf mich geschissen. Genau ins Gesicht.“ „Wäh widerlich.“ „Wenn es etwas übernatürlich gibt dann war das sicher ein Zeichen von ihrem Vater.“ „Hä. Also Tod kapier ich aber wieso Zeichen?“ „Es ist so, als ich dich mit Lola reden lassen hab, habe ich die ganze Zeit versucht ihre Karte zu ziehen aber jedesmal nur den Karo König bekommen, den ich ihrem Vater zugewiesen habe. Wie auch immer. Er würde mich umbringen, wenn er das hier mit seiner Tochter wüsste.“
„Und wie wäre es wenn du einfach zu müde warst.“ „Das ist natürlich auch das was ich glaube.“ „Aber?“ „Der Gedanke gefällt mir. Einfluss zu haben obwohl man Tod ist.“ „Lass mich raten, du würdest mich so lange quälen, bis das mit ner Frau klappt?“ Es folgte nur ein Grinsen zur Antwort. „Ich lass dich mit deinem Vögelchen mal alleine. Vielleicht gibt er dir ja noch den Segen, dieser König.“ Tobias ging ohne das er noch irgendeine Beachtung geschenkt bekam.
Etwas später wollte auch Jamiro ins Hotelzimmer zurück. Daran hinderte ihn aber die reglos bei ihm stehende Lola. „Ich fühle mich langsam verfolgt, wenn sie ihre Pause immer bei mir verbringen.“ „Hm. Oh Entschuldigung ich hab sie gar nicht gesehen.“ Sie trat zurück und fiel fast vom Stein. Jamiro hielt sie jedoch.
„Weinen sie? Ich hoffe doch nicht wegen Tobias?“ „Nein.“ Ihr Lächeln hierbei wirkte diesemal auch für ihn echt. „Er ist ein netter Kerl, ihr Freund.“ Er brachte sie dazu sich mit ihm zu setzen. „Wie lange bleiben sie denn noch?“ Die Frage klang schüchtern. „Geplant waren noch zwei Tage.“ Bedrückt schaute sie weg und schwieg. Sie hatte ihn also doch zumindest etwas gern. „Wir hatten vielleicht auch vor zu verlängern.“ Sie grinste wieder blickte aber noch immer schweigend weg. „Mögen sie ihn?“ „Ich hab ihn schon ein zweimal in Deutschland gesehen. Er ist ein Aufreißer oder?“ „Ich würde ihn eher als Pechvogel beschreiben.“ Ein kurzer Lacher folgte bei dem sie sich eine Träne wegwischte.
„Also einer der sich häufiger ernsthaft verliebt?“ „Sagen wir so bislang gab es nicht die Richtige für ihn.“ „Gibt es das überhaupt? Die oder den Richtigen und wenn ja kann man Mehrere haben?“ „Sind sie etwa in einer Beziehung?“ „Ich war. Marcel und ich waren ein Paar seit neunzehn Jahren. Heute wären es zwanzig.“ „Mein Beileid.“ „Er war schwer krank. Das wusste ich schon als ich ihn kennenlernte. Manchmal glaube ich, er wurde nur so gehässig weil er glaubte, ich könne so schneller wieder glücklich werden.“ „Aber in Wirklichkeit tat er sich schwer ihre Hilfe anzunehmen. So wie ich.“ Jamiro starrte aufs Meer hinaus und es wurde wieder still.
„Tobias ist gesund“, versuchte er die Stimmung zu heben. „Ja aber ich bin hier hergekommen weil ich es dort nicht mehr ausgehalten habe.“ Ihre Haltung strahlte deutlich den Verlustschmerz aus. Natürlich wollte er seinem Freund helfen aber ohne Gewissensprobleme würde er an dieser Stelle nicht mehr weiter kommen. Deshalb schwieg er nun wieder. Nach einer Weile stand sie auf. „Passiert ihnen wohl häufiger, was?“ Sie lächelte. „Es hat gut getan mal darüber zu reden. Danke.“
Am nächsten Tag tat Jamiro nichts was seinen Freund in Lolas Nähe gebracht hätte. Er wollte das entweder sie selbst oder das Schicksal entschied. Auf dem Rückflug bereute er diese Entscheidung. Liebeskummer kannte er ja nur zu gut von ihm aber so stark war es noch nie zu sehen gewesen.
Heute wollte er es ihnen sagen. Nur wie? Mama, Papa ich bin wieder krank. Wie er es auch drehte und wendete es wurde nicht einfacher.
Bei seiner Ankunft Zuhause beseitigte er erst einmal die Zeitungen vor seinem überfüllten Briefkasten. Was er dabei erblickte schockte ihn für einen Moment. Das Auto seiner Mutter stand so gut versteckt, dass er es nur durch das Aufheben der Zeitungen entdecken konnte. Sie würde ihn köpfen dafür, das er ohne ein Wort verreist war. Hätte er sich mal lieber Gedanken drum gemacht, wie er sie wieder beruhigen konnte.
Am Fenster sah er sie vorbei huschen. Sie hatte ihn nicht bemerkt aber sie war definitiv sauer. Wenn es ihn in diesem kurzen Augenblick nicht getäuscht hatte weinte sie sogar. Mit zügigen Schritten ging er an die Haustüre und schloss auf.
„Endlich! Wie geht’s dir? Wo warst du? Stimmt das?“ Er blickte verwirrt drein ehe er zu einer Erwiderung kam. „Was stimmt?“ Auch wenn er eine Ahnung hatte was sie meinte, fragte er lieber nach. Als Antwort hielt sie ihm eine Zeitung hin. Der aufgeschlagene Artikel enthielt seinen Namen und den Titel ''Erschütternde Diagnose''. Vorsichtig drückte er den Bericht runter. Eigentlich wollte er es hinter sich bringen aber ihr trauriges Gesicht ließen ihn etwas völlig anderes formulieren. „Sie sprechen von der Vergangenheit. Woher sie das auch immer wissen.“
„Sieht das aus wie ein T-shirt!“ Sie hielt ihm den Arztbericht aus der Klinik vor. „Mam, nimms mir nicht übel, okay? Ich wollte einen besseren Moment finden.“ „Dafür gibt es keinen Moment. Ich fahr dich in die Klinik.“ „Mam!“ Es gelang ihm sie zu stoppen. Was er ihr aber sagen sollte fiel ihm nicht ein. Also schloss er sie einfach in die Arme, bis sie sich zumindest halbwegs wieder beruhigt hatte.
„Wo ist Papa?“ fragte er. „In der Klinik. Ihr seit solche Tölpel!“ „Beruhige dich. Was ist passiert?“ „Er ist auf einer Eisplatte ausgerutscht.“ „Ich dachte schon wegen mir?“ „Wegen dir? Weshalb warst du überhaupt fort? Wie schlimm ist es schon? Nimmst du deine Tabletten? Die Floragitom. Sie haben dir damals auch etwas geholfen.“ Er lächelte. „Wie geht’s Papa?“ „Er wird noch behandelt. Lenk nicht ab!“ „Ich bin noch nicht so krass auf sie angewiesen.“ Er zog drei Packungen aus der Tasche, von der eine das besagte Medikament war. „Das verträgt sich auch alles? Wie geht’s dir gerade?“ „Schmerzfrei Mama und wenn mir der Arzt das so verschreibt wird es schon passen. Mach dich nicht verrückt. Lass uns zu Papa fahren okay.“ Seinem Versuch den Autoschlüssel zu greifen kam sie ihm zuvor.
„Du fährst nicht! Nicht mit diesen Krämpfen. Dein Schlüssel!“ Er zögerte, gab ihr dann aber doch den Motorradschlüssel. Alleine, das er schon vor hatte damit zu seinen Eltern zu fahren, gab ihr wohl recht. „Danke.“ Sie entspannte sich. „Wärt ihr mir doch nur etwas vernünftiger.“
Mit einem Blick auf die Uhr wirkte sie wieder verspannter. „Papa müsste gleich fertig sein. Fahren wir.“ So ganz war ihm nicht klar, ob es so viel vernünftiger war sie fahren zu lassen. Trotzdem stieg er ein und verschwendete während der Fahrt keinen Gedanken mehr daran. Viel mehr plagte es ihn, nicht sofort über sein Krankheit gesprochen zu haben. So hätte es nun wirklich nicht rauskommen müssen. Sein Vater wusste von dem Ganzen möglicherweise noch nichts. Promiklatsch war nicht unbedingt das Seine.
Jamiro verzog das Gesicht. Weshalb seine Mutter sofort etwas zum Halten aufsuchte. „Gehts wieder?“ „War nichts. Ich dachte nur gerade an Papa und es tut mir Leid. Das mit der Zeitung.“ „Vergiss es. Was zählt ist das du wieder gesund wirst und lass dir helfen ja.“ Sie gab sich wirklich Mühe aber die Verzweiflung war ihr anzusehen. Ein verklemmtes Lächeln hoffte darauf ihr Linderung zu verschaffen. „Du schaffst das. Schließlich bist du ein Sturkopf und was Papa angeht, der hat einfach nur die Eisplatte nicht gesehen. In Ordnung?“ Irgendwie wurde seine Schuldgefühle davon stärker. Per Gestik bat er seine Mutter weiterzufahren.
Sollte er sie vielleicht bitten, es ihm selbst sagen zu dürfen oder war das in der Hinsicht wie sie es erfahren hatte unverschämt? „Willst du es Papa alleine sagen?“, fragte sie als hätte sie seinen Gedanken mitbekommen. „Was sagen?“ Es blieb eine Weile still zwischen den beiden. „Wenn wir zu Hause sind.“
Den Rest der Fahrt starrte er zum Seitenfenster hinaus. Was dafür sorgte, dass er einen Teenager über einen Zaun springen sah. „Bitte halt mal an.“ „Ist dir schlecht?“ „Nein ich muss nur kurz mal was nachschauen.“
Kaum war das Auto zum Stehen gekommen sprang Jamiro hinaus. Er folgte dem Jungen, bevorzugte aber das Tor. „Baust du wieder Scheiße?“ Gemeint war der Junge in wenig auffallenden Brauntönen samt Rucksack. Markant an ihm waren jedoch die Neongrünen Schuhe mit blauen Schnürsenkeln. „Sie schon wieder“, bäffte er zurück und lief wieder weiter. Allerdings nervte es ihn das der Magier stehen blieb.
„Was willst du?“ Er zündete sich etwas Selbstgedrehtes an und verharrte provokativ. Jamiro ging auf ihn zu und entriss ihm die Droge. „Hey!“ Er stieß ihn an den Schultern zurück. „Was ist los?“ „Was geht dich das an?!“ Seinem Geschrei folgte ein Lachen. „Hä was willst du?“ Er schubste ihn erneut. „Damit wird nichts besser Leon.“ Die nachgiebigen Worte waren auf das Nasenbluten seines Gegenübers eingegangen.
„Komm“, befahl er und zerrte ihn mit sich. Es brauchte wesentlich weniger Druck ihn auf die Rückbank zu zwängen. „Das ist Leon Brotsch. Ein Junge aus der Nachbarschaft.“ Umgehend reichte seine Mutter ein Paket Taschentücher nach hinten. „Wir bringen dich in die Klinik, verstanden?“ Es hatte keinen Zweck. Jamiro aber blieb ruhig und setzte sich zu ihm.
Bei der Ankunft auf dem Klinik-Parkplatz ging seine Mutter voran und meldete den Jungen an. Leon und Jamiro kamen wegen einem Monster nicht weiter. „Das bildest du dir ein.“ Es klang genervt aber er tat nichts was ihn in diese Richtung zwang. Alles was er verhinderte war, das er die Fluch ergriff. „Komm“, meinte er nachdem er sich an ihn gedrückt hatte. Sein Kopf lag auf seiner Schulter auf als sie hineingingen. Drin gab er ihn dann in andere Hände.
„Unser Samariter“, scherzte sein Vater. Er saß kaum drei Schritte von ihm entfernt mit seiner Frau zusammen, die allerdings telefonierte. „Blödsinn. Wie geht’s dir?“ Mit mulmigem Gefühl ging er auf ihn zu. „Hast du dich verletzt?“, fragte er und stand hektisch auf. Er hatte das Blut auf seiner Schulter bemerkt. Bis dahin hatte er selbst davon keine Ahnung. „Von Leon. Er hatte Nasenbluten.“ Hiermit hoffte er sei die Sache abgehackt. Allerdings griff sein Vater in seine Tasche und zog sein Kartendeck heraus. Zunächst war er erleichtert.
„Jamiro!“ zischte er ihm streng zu. Etwas leiser ergänzte er: „Wo sind deine Karten.“ Er wollte auf die Karten in seiner Hand hinweisen aber er wusste selbst das sie es nicht waren. „Das du weg warst … So lang. Du bist wieder krank stimms?“ Was blieb ihm anderes übrig als zu Nicken. Die Mimik seines Vater verriet, das er gerne etwas erwidert hätte und das es ihn verletzte.
„Ich hab die Pik Buben Karte noch.“ Hektisch durchsuchte er sein Kartendeck. „Ist gut Junge. Du schaffst das auch ohne sie.“ Jamiro stoppte an einer Stelle mit zwei dieser Sorte. Eine davon drückte er hoch, somit sie sein Vater zog.
„Wo war sie?“ „Zwischen den Zeitungen, die ich in meiner Abwesenheit nicht eingesammelt habe.“ „Seltsam.“ „Was erwartest du? Es sind magische Karten. Pik Ass hat sie auch immer verloren und wieder gefunden.“ „Hmh. Pik Ass war ein komischer Vogel.“ Ein Lachen lockte nun auch seine Mutter her. „Was ist denn jetzt mit dem Jungen? Seine Eltern erreiche ich nicht.“ Er überlegte kurz. „Findest du raus wo eine Frau Zängel arbeitet.“ „Kenn ich. Verwandte?“ „Ich glaube sie ist eine Großtante.“ Zum Telefonieren entfernte sie sich wieder.
„Was hat dieser Junge?“ Sein Vater setzte sich. „Keine Ahnung. Ich sehe ihn zu selten um das zu beurteilen.“ „Ach komm schon als hättest du keine Ahnung.“ Sicherlich versuchte er mit dem Gespräch nur seine Sorge zu verdrängen. „Ich weiß nur das er schon einmal Drogenabhängig war. Deshalb gibt es bei den Brotsch ständig Streit.“ „War er clean?“ Als er die drei Tage bei mir verbracht hatte, hatte er weder Entzugserscheinung, noch irgendwas eingenommen.“
Seine Mutter kam wieder auf sie zu. „Frau Zängel sagt sie brauche zwei Stunden um zu kommen.“ „Kein Problem. Ich bleibe so lange bei ihm.“ „Ich hab ihr gesagt, das du mal nach horchen willst was den Rückfall ausgelöst hat. Sie meinte, er wäre gestern noch so stolz auf seinen inzwischen dreijährigen Erfolg gewesen.“ „Mach ich.“ Seine Eltern hatten wohl eine längere Antwort erwartet. „Was ist? Wollt ihr nicht nach Hause?“ Seine Mutter setzte an aber ihr Mann kam ihr zu vor. „Wir schicken dir Tobias vorbei.“ Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Bis heute glaubten sie Kreuz drei wäre Tobias. „Macht das. Er wird begeistert sein.“ Damit begab er sich zum Empfang.
Als er sich nachdem Gespräch zurückwandte waren sie fort. Es blieb ihm kaum etwas anderes übrig, als sich die Zeit des Schweigens mit seinen Karten zu verbringen. Nach gefühlten Jahren kam eine Schwester. Sie bat die inzwischen Schichten gewechselte Frau am Empfang eine Telefonnummer ausfindig zu machen. Sein Name fiel dabei. Er ging hin und meinte. „Nicht notwendig. Ich bin noch hier. Will Leon mich sehen?“ Die Krankenschwester schaute ihn von oben bis unten skeptisch an. Dann schaute sie ihm mit einer mahnenden Silbe ins Gesicht und verstummte wieder. Wie bei einem Rollentausch veränderte sich ihre Mimik komplett. „Kommen sie.“ Jamiro folgte ihr in ein Zimmer.
Leon lag verheult und blass auf einem Bett. „Hey.“ Er zog sich ein Stuhl ans Bett heran und setzte sich zu ihm. „Was war los?“ Nachdem die Schwester auf Bitten hin gegangen war vertraute er sich ihm an. „Du musst mir helfen. Meine Eltern verstehen das nicht. Sie würden mir nicht zuhören.“ „Worum geht es denn?“ „Ich hab was genommen aber ich verstehe nicht warum ich plötzlich Entzugserscheinung hatte. Ich bin schwach geworden. Einfach so.“ „Hattest du bevor oder nachdem du etwas genommen hattest Entzugserscheinung?“ „Du glaubst mir nicht oder?“ „Ich muss es doch erst einmal verstehen. Beginn mit dem Anfang. Damit ich dir folgen kann.“
„Warum ich mit dem Scheiß erst angefangen habe? Ich wollte besser als alle Anderen sein. Marathon laufen. Meine absolute Leidenschaft aber immer wieder wurde ich nur Zweiter. Mir fehlte nie viel aber ich schaffte es auch nie und irgendwann bat er mir dieses Zeug an. Ich hab es genommen und erste Preise ermogelt. Es dauerte nicht lange bis ich kaum noch die Hälfte von dem schaffte was ich konnte und ja anstatt aufzuhören nahm ich noch mehr. Es ist vorbei. Ich kann keinen Marathon mehr laufen. Ich nehme auch keinen Drogen mehr. Ich will das nicht mehr.“
„Hattest du vielleicht Schmerzen, irgendetwas wo du Medikamente zu dir nehmen musstest?“ „Nein. Das geht nicht. Ich werde sofort wieder abhängig. Außerdem wirkt das Meiste bei mir gar nicht mehr.“ „Du klingst mir vernünftig. Hast du von dem Zeug noch irgendwas bei dir?“ „Ich hab alles was ich hatte der Schwester gegeben. Schau nach.“ Zunächst zögerte er weil er ihm bereits glaubte. Letztendlich entschied er aber das Kontrolle in diesem Fall besser war. Er fand nichts.
„Ein guter Anfang Leon“, lobte er und setzte sich näher zu seinem Kopf. „Wie geht’s dir gerade?“ „Beschissen. Wissen sie es schon?“ „Nein aber verheimlichen kannst du es ihnen auch nicht.“ „Ja das weiß ich. Ich sollte gleich meine Koffer packen.“ „Wieso packen?“ „Na weil die Neue von meinem Vater mich los werden will. Sie erinnert ihn täglich dran, dass er mich sofort vor die Tür setzen soll, wenn ich einen Rückfall bekomme.“ Als höre er noch zu obwohl er nicht mehr weiter erzählte starrte Jamiro ins Leere. Der Junge begann daraufhin zu lachen.
„Wie zum Teufel konnten sie jemals Magier werden?“ Irgendetwas erschreckte ihn. „Was ist los?“ Er schien etwas nicht sehen zu wollen. Obwohl er sich ein Einbildung schon dachte, schaute er sich um. Dann setzte er sich zu ihm auf die Liege. „Was ist es?“ „Hau ab! Verschwinde!“ Ein panischer Schlag traf ihn in die Seite. Schmerzlich wich er zurück. Der hatte gesessen. Dennoch begab er sich zurück. Sei es nun absolut bescheuert oder auch nicht, er schaffte es irgendwie ihn wieder zu beruhigen.
Eine ältere Frau stand nun in der Nähe der Tür und lächelte. Das Schweigen unterbrach sie mit erstaunlich klare Worte. „Morgen hast du einen Platz in einer Entzugsklinik. Fürs Erste kommst du zu mir.“ „Und mein Vater?“ „Der ist einverstanden.“ „Ich kanns mir schon denken.“ „Frau Zängel, könnte ich mit ihnen kurz sprechen?“ Offensichtlich schmerzte der Schlag beim Aufstehen immer noch. Trotzdem gab er sich die größte Mühe nichts zu zeigen.
Außerhalb des Raumes blickte ihn die Frau erwartungsvoll an. Jamiro kam jedoch nicht sofort auf den Punkt. „Was halten sie von seinen Eltern?“, fragte er stattdessen. „Ich denke sie haben zu wenig Zeit für ein Kind.“ Diese Antwort überraschte ihn obwohl er sie auch irgendwie geahnt hatte. „Hartmut ist ein Arbeitstier. Ehrgeizig wie so ziemlich jeder in dieser Familie. Da sind auch schon ein paar Beziehung drauf gegangen.“ Ihre Pause schien fragen zu wollen, ob das alle gesuchten Informationen waren. „Die Jetzige kenn ich kaum. Sie scheint mir allerdings auch etwas mehr von ihm zu erhoffen.“ „Das heißt, er könnte durchaus recht haben“, unterbrach er ihr erneutes Warten gedankenversunken.
„Was ist also sein Problem? Zeit?“ „Nein. Ich denke sein Rückfall hat mit dieser Frau zu tun. Entweder fühlt er sich von ihr unter Druck gesetzt, sei es nun beabsichtigt oder nicht oder aber es geht hier tatsächlich um Zeit.“ „Verneinten sie es nicht gerade?“ „Sie dachten daran, das Leon sich vernachlässigt fühlt. So wie er eben gesprochen hat ist das nicht der Fall. Er hatte viel mehr Angst davor, sein Vater könnte sich von dieser Frau manipulieren lassen.“ Wie er zuvor schien sie auf eine Fortsetzung zu warten. Allerdings konnte sie nicht lange still halten.
„Schön. Dann haben wir also eine Ursache aber wie lösen wir das Problem? Ich kann ihm ja schlecht raten sich zu trennen.“ „Das wäre auch etwas zu viel verlangt. Ich möchte auch keinen zu unrecht beschuldigen. Schließlich könnte auch seine Leidenschaft an allem Schuld haben.“ Noch immer schien der Magier über das Gespräch nachzudenken. Allerdings schien letzteres Problem seine geringste Aufmerksamkeit zu bekommen.
„Wenn ich an den kleinen frechen Jungen denke …“ Dieser abgebrochen Satz zog seine verwirrten Blicke auf sie. Sie meinte nicht den Teenager. „Gesichter konntest du dir früher schon nicht merken aber okay es ist schon eine Weile her. Außerdem warst du ziemlich faul, mein Lieber. Dinge anfangen konntest du gut aber neunzig Prozent blieb gern unbeendet.“ „Ich befürchte, wenn sie mir nicht auf die Sprünge helfe komm ich nicht drauf.“ „Frau Zängel. Ihre Lehrerin aus der ersten Klasse.“ „Verzeihung aber daran erinnere ich mich wirklich nicht mehr.“ „Wer könnte das auch.“ Sie grinste. „Sie anscheinend. Ich hoffe ich war nicht all zu schlimm.“ „Schlimm? Also wenn sie nicht gerade Krank waren haben sie schon ganz schön Radau gemacht.“
„Wer macht Radau?“ Leons Vater war völlig verschwitzt hinter Jamiro aufgetaucht. „Ich dachte du kommst nicht?“ „Ich muss ja wenigstens mit ihm reden.“ Er drängte sich zwischen ihnen durch zur Tür. Dort blieb er wieder stehen. „Danke“, seufzte er erleichtert und trat ein. Das nächste was man hörte war ein heftiger Streit.
„Ist das eigentlich wahr, was man über sie liest? Diese Krankheit, die sie hatten ist wieder zurück?“ „Reden wir nicht davon!“ So wütend ihn auch dieser Artikel machte, er wollte es nun wirklich nicht an irgendwelchen Unbeteiligten auslassen. „Wissen sie, ob seine Frau mitgekommen ist?“ „Nein aber da sie den Tag zusammen verbringen wollten ist sie vermutlich mit hergefahren. Sie hat keinen Führerschein.“ „Ich such sie mal. Vielleicht finden wir dann heraus wie wir sein Problem lösen.“ „Dann helf ich mal suchen, oder?“ „Dann geht es schneller“, antwortete er wieder beruhigt.
Tatsächlich dauerte es eine ganze Weile bis sie das Auto mit besagter Frau gefunden hatten. Sie war richtig sauer und aus wessen Gründen auch immer mit einem Bademantel bekleidet. „Frau Brotsch?“ „Verschwinden sie!“ Sie schlug die Tür zu und warf ihm noch immer keinen Blick zu. Da sie eben so verschwitzt war riet er das die beiden wohl gerade eben noch in einer Sauna waren.
Mit einem Klopfen an der Scheibe bekam er endlich ihre Aufmerksamkeit. „Ich heiße nicht Brotsch? Wenn sie etwas von ihm wollen suchen sie ihn drin.“ Ein Ausdruck fiel statt dem Ihm. Jamiro konnte nur Hass in ihr sehen. Es würde wohl einige Zeit brauchen den heutigen Tag wieder gut zu machen. „Ich suche seine Frau, Freundin.“ Sie lachte. „Ich bin grauhaarig bevor er mir jemals einen Heiratsantrag machen würde.“ „Wollten sie nicht mit reinkommen anstatt hier im Auto zuwarten? Das dauert sicherlich etwas.“ „Schon klar.“ Er blieb still bis sie wieder zu reden begann.
„Wissen sie wie lang ich warten musste bis er mal wieder Zeit für mich hatte? Ich bin es mir Leid immer nur das sechste Rad am Wagen zu sein.“ „Fünfte.“ „Was?!“ Jamiro mied es lieber sich zu wiederholen. „Haben sie ein Auto?“ „Nein aber ich bin auch hergefahren worden. Warten sie einen Moment.“ Jamiro lief in die Klinik zurück und kam dann nach einem Gespräch zurück.
„Kommen sie.“ „Warum?!“ „Wenn ich sie so lasse holen sie sich noch den Tod.“ Ihre zornige Mine wurde überrascht. „Sie haben doch etwas zum umziehen?“ Sie nickte und griff zur Rückbank nach einer Tasche. „Na bitte. Ich zeige ihnen wo sie sich umziehen und frisch machen können.“ Er ging schon voran während sie noch zögerte.
Kurz bevor er die Gelegenheit hatte in Ruhe mit ihr zu sprechen tauchte ihr Freund auf. Gereizt hielt er ihm die Pik Buben Karte hin. „Er ist unberechenbar wenn er unter Drogen steht. Ich hoffe die Karte zu stehlen war seine einzige Dummheit.“ „Ich hab sie vermutlich nur verloren.“ „Ja klar. Das ist natürlich das Einzige! Er ist der Einzige!“ „Stell dich nicht so an, okay? Wir holen es nach.“ „Wann? In einem Jahr, wenn dir einfällt, dass es mich auch noch gibt.“ „Du tust so als hätte ich nie Zeit für dich.“ „Hast du auch nicht. Wann haben wir das letzte mal etwas unternommen.“ „Letzte Woche, Wandern.“ „Ein Scheiß nach einem halben Meter bist du wegen deinem Sohn zurück gefahren. Deshalb wolltest du heute mit mir ins Wellness Hotel und du bist wieder zurück gefahren. Du hast mich nicht mal umziehen lassen.“ „Mein Gott. Ich bin halt Vater. Ich muss mich um den Jungen kümmern, damit genau so was hier nicht passiert.“ „Du verwöhnst ihn viel zu sehr. Das macht er nur weil er mich nicht akzeptieren will. Ich hab die Schnauze so voll. Hätte ich gewusst, dass sich nichts ändert hätte ich ihm mehr gegeben.“ „Was hast du?!“ In seiner Wut wollte er zuschlagen. Jamiro jedoch stellte sich ohne mit der Wimper zu zucken in den Weg und begann zu telefonieren.
Da sie so eben ein Geständnis abgelegt hatte holte er die Polizei hinzu. Bis zu ihrem Eintreffen blieb er in der Schusslinie stehen um eine Eskalation zu verhindern.
Jamiro nahm wieder platz im Wartebereich des Krankenhauses. Es galt zwei Stunden Tod zuschlagen bis er Leon in kümmernde Hände abgeben konnte. Womit ging das besser als mit seinen Karten? Beim Auspacken der Karten wirkten seine Finger seltsam ungeschickt. Auch die Art wie er die Hülle zur Seite schaffte war untypisch für ihn.
Den Stapel legte er sich auf sein Knie. Davon zog er sich eine. Diese war prompt die Pik Buben Karte aus seinem wertvollen Deck. Er grinste. War er denn nicht langsam zu alt um irgendwelchen Karten einer Person zu zuordnen? Er hatte es trotzdem wieder getan. Zu dieser zog er eine Zweite. Eine Herz drei. Beide legte er aufeinander aber so das man den Pik Buben darunter noch erkannte. Dann schien er zu überlegen. Als wüsste er den Trick nicht mehr, den er vor hatte zu machen.
Nach kurzer Denkpause schob er die beiden Karten exakt aufeinander. Bei allem was er tat wirkte er nicht hundert Prozent konzentriert. Lustigerweise hielt er die Karten auch so, als würde ihm jemand zu sehen. Da war aber niemand. Mit dem Daumen schob er die oberste Karte mehrmals hin und her. Beim Drittenmal war unterhalb der Trennlinie ein Teil der Herz drei Karte. Darüber war es noch immer der Pik Bube. Die obere Karte legte er beiseite. Mit vorsichtigen Fingern strich er über die Zweierlei. Es war ohne Zweifel eine einzige Karte. Er griff wieder nach der Anderen und legte sie auf. Gleich darauf ließ er die Unterste auf seinen Schoss fallen. Welch Überraschung, sie war wieder normal.
Während er die Karten wieder aufeinander legte und die Oberste auf ihr einmal drehte tauchte vor ihm eine im Mantel verhüllte Person auf. „Ich liebe ihre Tricks.“ Die leise kratzige Stimme hörte sich viel kränklicher an als bei der letzten Begegnung. „Sie sind doch hoffentlich keine Patientin?“ Sie kicherte als sei seine Frage völlig unmöglich.
Jamiro steckte seine Karten ein und stand auf. „Es wäre nett, wenn ich ihr Gesicht sehen könnte.“ Dem Versuch ihr die Kapuze herunterzunehmen wich sie ängstlich zurück. „Sie machen sich doch hoffentlich nicht immer noch Vorwürfe wegen ihrer Gedanken. Ich bin nicht sehr nachtragend.“ „Können sie das überhaupt? Ich meine mein Bruder hat eine geladene Waffe auf sie gerichtet und ich … ich habe sie entführt.“ „Letztendlich haben sie mir und meinem Sturkopf nur Obdach geboten. Wollen sie noch einen Trick sehen?“ „Schon aber ich sollte zu meinem Bruder.“ „Kann ich helfen?“ „Besser nicht. Danke.“ Eilig suchte sie nach diesem Satz das Weite.
Für einen Moment setzte sich Jamiro zurück aber es ließ ihm keine Ruhe. So ging er kaum er sich gesetzt hatte nach. „Das geht nicht, okay! Will der Vogel was von dir?“ Ohne sich umzudrehen riss sie sich die Kapuze wieder auf den Kopf. Sie drehte sich zu ihm. „Habe ich nicht gesagt, dass ich keine Hilfe brauche?“ „Ich verzieh mich. Hast ja besseres zu tun.“ „Nein! Jetzt warte.“ „Vergiss es.“
„Lassen sie mich raten. Sein Problem ist es das Laufen wieder zu versuchen“, riet er nachdem ihr Bruder in einem Zimmer verschwunden war. „Er hat Angst, dass es wieder umsonst sein wird. Beim letzten Mal konnte ihm Aiden Mut machen aber der sitzt im Gefängnis.“ „Ich rede mal mit ihm.“ „Bitte. Das sind unsere Probleme, Herr Erkwin.“ Die knochige Hand die ihn zurückhielt hatte kaum Kraft und sah furchtbar aus.
„Gehts ihnen wirklich gut, Frau Herz?“ Sie ließ ihn los und zog ihre Hand wieder unter den Mantel. „Sie haben Wichtigeres zu tun.“ Sein Name fiel am Empfang. Wichtiger würde er es ungern nennen aber Leons Problem war zu Erst da. „Reden wir später“, sagte er und eilte zum Empfang.
Als Leon versorgt war setze er sich seufzend neben seinen Freund in den Wartebereich. „Wie lang wartest du schon?“ Entgeistert blickte er auf sein Handy. „Zwölf Minuten“, murmelte er und steckte es wieder ein. „Und du hast noch keinen Müll produziert? Komm du findest deine Traumfrau noch.“ „Spars dir. Fahrn wir?“ Mit der Frage stand er bereits auf und ging schlurfend voraus. Wieder fragte er sich, ob er vielleicht doch etwas hätte machen können. Der Liebeskummer führte zum bedrückten Schweigen während der Fahrt.
„Kommst du noch mit rein?“ Tobias schüttelte zwar den Kopf, stieg aber dann doch noch mit aus. Ohne ein Wort ließ er sich auf die nächst bequemste Möglichkeit fallen. Reden brachte gerade nicht viel also verzog sich Jamiro fürs Erste in die Küche.
Als er wieder nach ihm sah saß er noch immer wie ein Häufchen Elend in seiner Ecke. Er seufzte und nahm neben ihm platz. Eine ganze Weile tat er nichts. Nur um dann kurz darauf wieder seine Karten zu Rate zu ziehen.
„Wenn die Karten mich am Leben halten können, dann können sie doch sicher auch deiner Liebe auf den Sprung helfen. Welche Karte hatte Lola nochmal?“ Seine Finger gingen die Karten durch. „Karo Dame.“ Exakt mit seiner Aussage blieb sein Finger auf besagter Karte liegen. Es schien den Magier erst einmal selbst zu erstaunen. Dann aber schob er alle Karten wieder zusammen und drückte seinem Freund den Stapel in die Hände.
„Misch es und denk an deine Traumfrau.“ „Was soll den der Quatsch?“, fragte er begann aber dennoch zügig zu mischen. Anschließend nahm er es wieder zurück und hielt sie ihm entgegen. „Ziehst du ihre Karte, ruft sie an.“ „Wie willst du das denn anstellen?“ Alleine das hatte schon seine Laune gehoben. Er zog die Karo Dame und kaum darauf schon klingelte sein Handy. Lola Matschikoneck stand auf dem Display. Erstaunt stotterte Tobias nur noch herum. Bis es schließlich abgebrochen war.
„Matschikoneck, wirklich?“ Jamiro grinste. „Mir ist im Krankenhaus ne ziemlich seltsame Frau begegnet. Ich solle gut auf einen gewissen Jamiro Erkwin achten. Er wäre manchmal etwas unvorsichtig.“ „Verdammt! Sie habe ich ja total vergessen. Ich muss sofort in die Klinik zurück.“ Hektisch griff er nach einer Stelle, wo er für gewöhnlich seinen Motorradschlüssel ablegte. „Ich fahr dich, du Held. Komm.“
Zurück in der Klinik traf er nur noch ihren Bruder an. „Meine Güte sind sie eine Klette!“ Genervt aber irgendwie doch nicht so unzufrieden empfing er ihn. Einen silbernen offenbar selbst gebauten Spielzeugroboter stellte er beim Näherkommen zur Seite.
„Kindheitserinnerung?“ „Meine Tochter stand auf diese Dinger. Sie hat bestimmt achtzig Stück davon.“ „Stand?“ „Na ja sie ist jetzt erwachsen und baut jetzt Größere, eindrucksvoller Maschinen. Ein richtiges Naturtalent. Das hier ist ihr Erster laufender Roboter. Seltsamerweise kippt das Dinge mittlerweile nachdem ersten Schritt immer um. Früher lief der wie ein echter Mensch.“ „Darf ich.“ Mit der Erlaubnis begann er den kleinen Roboter zu untersuchen. Schnell hatte er das Problem gefunden.
„Sehen sie das. Das Bein ist etwas locker. Wenn sie das hier nachziehen läuft er wieder wie eine eins.“ Das Reparieren übernahm er gleich. Nachdem Aufziehen ließ er ihn am Boden starten. Tatsächlich lief er einwandfrei bis zur anderen Zimmerwand. Somit war alle schlechte Laune verflogen.
„Wissen sie wie furchtbar ähnlich sie meinem Bruder Aiden sehen.“ „Ich bin ihm schon begegnet, ja. Wollen sies auch versuchen.“ „Ich weiß nicht. Meine Beine sind wie eingeschlafen. Das wird nichts.“ „Vertrauen sie mir. Den Roboter habe ich auch hinbekommen.“ Seine Gesten wurde nicht sofort angenommen aber er überzeugte dann doch noch.
„Sehen sie. Geht doch.“ „Jetzt sitzt ich knapp ein Jahr in dem Ding und es klappt diesmal beim ersten Versuch. Sind sie irgendwie verflucht oder so?“ „Ein Fluch? Das habe ich tatsächlich noch nicht zu hören bekommen.“ Vorsichtig setzte er ihn auf dem Bett ab. „Mit etwas Übung, bin ich mir sicher brauchen sie nicht lange.“ Obwohl dies eine Grund positive Zukunft war schaute er sehr betrübt.
„Kann ich noch etwas für sie tun?“ „Wie lange kennen sie Selina schon?“ „Eine Weile würde ich sagen.“ „Vertraut sie sich ihnen an? Irgendetwas stimmt mit ihr nicht. Bevor ich hier hergekommen bin fand ich sie unter einer Brücke schlafend.“ „Sie ist obdachlos?“ „Ich kann es mir nicht vorstellen aber wenn sie Hilfe braucht, dann sagen sie ihr doch bitte das wir für sie da sind. Wir finden eine Lösung.“
„Ist Selina eigentlich die Jüngste von ihnen?“ „Die Jüngste und auch die einzige Frau. Aiden ist der Älteste. Gregor und Selina sind die Jüngsten. Ich komme direkt nach Steve. Also der Drittälteste.“ „Dann kenne ich also nur Drei, Vier und Fünf noch nicht.“ Er grinste und zog seine Beine zurecht. „So weit ich weiß ist Selina noch zu haben aber denken sie daran. Ihre Brüder werden immer zu ihr halten und der Ein oder Andere wird sie durch ne Prüfung jagen.“ „Ich …“ Warum verstummte er bei dem Versuch zu erklären, das er er keine Beziehung anstrebte?
„Ich geh sie suchen“, sagte er schließlich und kam sich selten dämlich dabei vor. Außerhalb des Zimmer überrumpelte er seinen Freund mit seiner plötzlichen Eile. „Was bist du denn so nervös?“ fragte er nach zwei Metern Fahrt. „Würde ich es erkennen, wenn ich mich verknallt hätte?“ „Denkst du gerade an eine bestimmte Frau?“ „Das ist es ja. Bei dieser Frage denke ich an Fünf“ „Was?!“ „Selina Herz, Eleonora Pfleiner, Greta Zehntel, Nelli Wang und Blume drei.“
„Blume drei war doch die, die du damals gerettet hast. Also die die nur Blume gesagt hat.“ „Ja. Ich bin ihr vor längerem mal wieder begegnet.“ „Krass. Sie ist daraus die Einzige mit einer Karte wie mir scheint.“ „Nein. Sie haben alle Eine. Herz acht, Kreuz zehn, Pik zehn, Karo neun und Kreuz drei.“ „Oh aber nur eine Herz Karte. Passt doch zu Herz Bube.“ „Was sagt das schon. Du kannst genauso gut darauf gehen das Kreuz drei die niedrigste Zahl hat oder weil das Kreuz doppelt vorkommt und die anderen nicht.“ „Damit hast du wohl recht. Ich lass mir was einfallen. Schau mal nach links. Ist sie das?“ Die gemeinte Gestalt lief über eine Wiese aus Schneematsch. „Ja das könnte sie sein.“
Sofort sprang er aus dem Auto heraus und rief ihren Namen. Kaum darauf sank die Mantelgestalt in die Knie. „Hey. Alles in Ordnung?“ Er war zu ihr geeilt. Selina war mittlerweile eine völlig abgemagerte kränkliche Gestalt. „Entschuldige. Komm wir bringen dich sofort in die Klinik.“ Weshalb sich der Magier entschuldigte, war sein geschocktes Starren über ihren erbärmlichen Zustand.
Er versuchte ihr aufzuhelfen, doch sie wehrte sich weinend. „Sie werden mich dort nicht behandeln. Ich kann mir nicht einmal mehr ein Essen leisten.“ „Sie müssen. Sie sterben sonst.“ „Lassen sie mich in Ruhe, verdammt! Ich habe ihnen schon genug angetan.“ „Sie reden Unsinn.“ „Wenn sie seinem Helfersyndrom nicht nach kommen, fügen sie ihm einen viel größeren Schmerz zu.“ rief Tobias von Weitem. „Das ist allerdings wahr. Kommen sie. Sie können sich erstmal aufwärmen.“ Er musste schon noch etwas zerren als er sie zum Auto brachte. Im Inneren nutzte er Tobias Unordnung aus. Alles was sie wärmen konnte packte er um sie herum. Dann setzte er sich neben sie.
Irgendein Gedanke brachte ihn dazu die Kindersicherung zu betätigen, die bei der Karre vermutlich wie so viele Kleinigkeiten nicht funktionierte. „Sollen wir heizen?“ Er versuchte ihr ins Gesicht zu sehen. Sie verkroch sich allerdings wieder. „Geht nicht. Ist kaputt. Fünf Lagen sollten aber reichen.“ Die Fahrt zum Haus des Magiers verfiel in bedrücktes Schweigen. Man sah ihm immer mehr an, das ihn gerade das zu schaffen machte.
„Komm“, bat er mit verzweifelter Stimme am Ziel. Nach kurzem Zögern nahm sie seine Hilfe an und ließ sich ins Haus führen. Innen löste sie sich und setzte sich an die Heizung. Als Jamiro sie erneut bitten wollte weiter zu gehen drängte sich sein Freund dazwischen. „Lass uns etwas zu Essen machen.“ Er schob ihn einfach zur Küche weiter.
Dort bereiteten beide etwas zu. Allerdings legte der Eine auf möglichst viel wert und der Andere auf leichte Kost. Kurz vor der Fertigstellung schien Jamiro seine kommenden Schmerzen unterdrücke zu wollen. „Leg dich hin. Ich kümmer mich um sie.“ „Achte aber drauf, das sie auch wirklich auf isst, ja!“ „Natürlich Jam. Hau schon ab bevor dus nicht mehr verstecken kannst.“ Man hörte wie Jamiro hinter der Schlafzimmertür den Schmerzen nicht mehr stand hielt. „Alles in Ordnung?“, fragte er zur Sicherheit nach. „Mach schon“, kam gequält zurück.
Bedrückt wandte sich Tobias ab und reichte sein zubereitetes Essen an die Frau. „Tun sie mir den Gefallen und lassen ihn helfen. Er kann einfach nicht anders.“ Zögerlich nahm sie ihm den Teller ab. „Gehts ihm nicht gut?“ Sie stellte den Teller zur Seite. „Ich wusste, dass er das hier nicht sehen soll aber ich habe es verdient.“ „Warum?“ Ohne auch nur zu zögern erzählte sie was damals geschehen war.
„Ich hätte ihnen die Aktion übel genommen aber Jam hats nicht so mit sich selbst. Er hat ihnen längst verziehen.“ „Hat er es mir denn jemals übelgenommen? Ich kann mir nicht verzeihen, das ich jemanden … für Geld … das ist einfach nur widerlich. Ich wider mich an!“ „Finden sie nicht, das sie etwas zu hart zu sich sind? Ich meine, es kommt einer Todesstrafe gleich, was sie hier tun.“ „Und wenn schon.“ Sie zog sich wieder in ihrem Mantel zurück und mied es auch nur ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln. Deshalb nannte er ihr wohl irgendwann Jamiros Krankheit.
„Er wird mich köpfen, das ich das hier gerade gesagt habe aber wenn sie wirklich bereuen dann kümmern sie sich um ihn.“ Weder blickte sie ihn an noch kam sie unter ihrem Mantel hervor. Dennoch aß sie endlich.
Einige Zeit später kam Jamiro geschwächt aus seinem Zimmer heraus. „Hey, du hast ihr das Falsche gegeben!“ „Absicht! So abgemagert wie sie ist kann sie wahrscheinlich keine riesen Mengen essen. Ich muss noch einkaufen. Was kann ich dir mitbringen?“ „Irgendwas, das du glaubst, was sie essen kann die nächsten Tage.“ „Kann ich dich alleine lassen?“ „Fragst du das wirklich?“ „Okay. Ich nehm einfach was ich finde.“ Damit verließ sein Freund die Wohnung. Am Besten er stelle sich auf einen Großeinkauf ein, dachte er sich schmunzelnd. Mit Sicherheit kaufe er für ihn die doppelte Menge ein als die er für gewöhnlich essen würde.
Mühsam setzte er sich zu Selina. „Hat es dir geschmeckt?“ Die Frage wurde nicht erwidert. Sie war eingeschlafen. Träge schleppte er ein paar Kissen und Decken zu ihr. Wenigstens sollte sie es halbwegs gemütlich haben, wenn er sie schon nicht tragen konnte. Die Nacht verbrachte er mehr wach als schlafend auf dem Sofa.
Als er frühstückte überfiel ihn eine weitere heftige Schmerzattacke. „Darf ich etwas versuchen?“ fragte sie kaum hörbar. „Sicher bedien dich.“ Mit leichten Druck zwängte sie ihn zum Sofa. „Ich dachte du meinst das Essen.“ Der Versuch witzig zu sein machte nur noch deutlicher wie schlimm der diesmalige Krampf war. Ein etwas stärkerer Druck befahl ihm das hinlegen. Es war nicht gerade leicht. Der Schmerz ließ ihn zusammenkrampfen.
Mit sanften Berührung versuchte sie ihn zu entspannen. „Ich habe Masseurin gelernt und sieben Jahre Erfahrung“, erwähnte sie das was er sich mittlerweile schon dachte. Als sie vor hatte seinen Bauch aufzudecken aber sich dann doch nicht traute übernahm er das. „Versuchs.“ Sie rieb sich ihre Hände warm und setzte an. Kaum hatte sie seinen Bauch berührt fuhr er schmerzlich zusammen.
„Waren meine Hände zu kalt?“ Ihre Stimme war voller Angst. „Nein.“ „Ich versuch es nochmal. Merkst du keine Besserung oder wird es schlimmer stopp mich sofort.“ Diesmal fuhr er nicht zusammen als sie vorsichtig begann. Bereits nach geringer Dauer wirkte er schon deutlich entspannter. Irgendwann dann lies sie es mit einem schwachen Lächeln sein. „Schon viel besser. Bleib die nächste halbe Stunde auf jedenfalls noch liegen. Besser länger, okay?“ Sie schaute zu seinem Gesicht auf. „Blut!“ „Es ist gut. Nichts ernstes.“ Seine Trägheit gab ihm kaum Spielraum zu helfen weshalb sie dennoch für einen Moment ohnmächtig wurde.
„Ruh dich auch etwas aus, okay“, bat er als sie wieder wach wurde. „E … E … Entschuldigung.“ Aus Verlegenheit lief sie rot an. Sie war auf ihn gefallen. „Wofür? Weißt du denn nicht das jede Macke auch etwas Gutes hat? Wenn ich helfe, hat Jede eine andere Art zu Lächeln.“ Er grinste. „So wie man zu mir immer sagt meines wäre frech.“ „Ohnmächtig werden hat also etwas Gutes?“ Bei Weitem war sie nicht mehr so unsicher wie zuvor.
„Wären sie damals nicht so nervös gewesen, hätte ich Panik wegen meinen Beinen bekommen. Mal davon abgesehen, das ich kein Handy dabei hatte.“ „Das sagen sie jetzt bloß so.“ „Nein das ist die Wahrheit. Ich hatte es im Hotel vergessen.“ Sie streichelte sanft über seinen Arm. Weinte sie?
„Mir geht’s gut, danke.“ Ein Schmunzeln zog sich über das knochige Gesicht. „Du bist ein so guter Mensch. Das hast du nicht verdient.“ Ihr Zärtlichkeit ging allmählich in eine weiter Massage über. „Tobias hat also mal wieder zu viel geredet.“ Beim Versuch sich etwas aufzurichten scheiterte er. „Du bist also in Stufe sechs.“ „Zwischen Drei und Vier. Kennst du die Krankheit?“ „Ich habe von ihr gehört. Ich dachte immer, das man mit ihr höchsten sieben Jahre alt werden kann.“ „Ich bin so weit ich weiß auch die Ausnahme.“ Schwerfällig gelang es ihm sich minimal aufzurichten. Er packte ihren Arm. Somit sie die Massage beenden musste.
„Nimm dir was vom Frühstück.“ „Warum hast du aus dem Mund geblutet, wenn du wirklich noch nicht so weit bist?“ „Ich hab mich gebissen.“ „Wegen der Massage?“ „Spielt das eine Rolle? Der Krampf ist vorbei. Das zählt.“ Sein dritter Versuch sich aufzurichten unterbrach sie. „Ruh dich aus. Ich nehm mir was.“ Sie gab nicht nach bis er es tat und holte sich dann etwas vom Tisch.
„Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte sie wieder bei ihm zurück. „Natürlich.“ Krampfhaft versuchte er hoch zu kommen aber da hatte Selina schon auf dem Boden platz genommen und aß. „Mochtest du deinen Job?“ Sie nickte, schien es aber nicht so zu meinen. „Wie auch immer, du bist die Einzige bei der das funktioniert hat.“ Beim Warten auf eine Regung schlief er ein. Als er wieder wach wurde war er zugedeckt. Endlich war er auch wieder kräftig genug sich hinzusetzen. Ein anderer Grund hielt ihn dann aber ab aufzustehen. Es war Selina, die am Boden vor dem Sofa friedlich schlief. „Wir kriegen dich schon wieder ihn“, nuschelte er und zog ihr vorsichtig die Kapuze vom Kopf.
„Da fällt mir ein ich sollte deinem Bruder Bescheid geben. Hätte ich mal nach dem Namen gefragt.“ „Matthias.“ Vor ihm richtete sich nun sein Gast auf. Sie wollte sich die Kapuze wieder überziehen aber er lies sie nicht. „Matthias Reikel.“ Sie trat etwas zurück und setzte sich trotz seiner Bemühung die Kapuze auf. „Denkst du immer laut?“ „Manchmal.“ Am Aufstehen und beim Laufen selbst merkte man noch immer leicht, das er geschwächt war. „Jeder hat seine Macken.“
„Du solltest noch liegen bleiben.“ Trotzig hatte sie sich ihm in den Weg gestellt aber es fehlte ihr an Selbstvertrauen um das durchzuhalten. Daraufhin lachte er. „Ich telefoniere nur. Du kannst solange mein Bad benutzen.“ „Wie?“ „Ach und so lange deine Sachen in der Maschine sind kannst du natürlich was von mir nehmen.“ „Ich …“ „Du bleibst natürlich. Ich kann eine Masseurin gebrauchen.“ Als er sich an den Wort ''gebrauchen'' fast verschluckte musste sie lachen. Die aufgelockerte Stimmung lies sie dann tatsächlich gehen.
Raus kam sie nach einiger Zeit wieder. Sie trug einen für sie viel zu weiten grauen Pulli und eine hochgekrempelte Jeans. „Das war das Einzige im Bad. Ich hoffe das ist in Ordnung.“ „Natürlich ist das in Ordnung. Sonst würde ich es ja nicht anbieten. Setzt dich zu mir.“ „Ich hab die hier im Bad gefunden. Dir gehen deine Karten oft verloren.“
Während sie Platz nahm reichte sie ihm die Herz drei Karte. „Verloren oder verschwunden.“ Er knickte die Karte in der Hälfte und lies sie noch im selben Moment verschwinden. Danach lies er sie mit der selben Bewegung rückwärts in seiner anderen Hand erscheinen. „Sie tauchen immer wieder auf.“ Er reichte ihr die Karte. Es war die unbeschädigte Herz drei. Als sie danach greifen wollte lies er sie erneut verschwinden. „Und weg sind sie. Wo könnte sie jetzt sein?“ „In meiner Tasche vielleicht.“ Völlig begeistert durchsuchte sie ihre Vermutung und wurde fündig. Sie lachte.
„Waschen sie ihre Karten mit oder wie funktioniert das?“ Zu einer Antwort kam er gar nicht erst. „Sagens sie bloß nichts. Das macht es nur kaputt.“ Sie merkte wohl gar nicht, dass sie sich an ihn anzuschmiegen begann. Jamiro machte einfach nichts. Plötzlich klingelte es an der Tür und sie erschreckte. So schnell sie konnte verschwand sie in Richtung Bad.
„Das ist wahrscheinlich nur dein Bruder. Ich hab ihm gesagt, wo du bist.“ Das Öffnen der Tür gab ihm recht. Schlechter als der Versuch im Krankenhaus quälte er sich aus dem Rollstuhl heraus und schwankte unbeholfen auf Krücken in die Wohnung. „Selina!“, schrie er während Jamiro seinen Rollstuhl nachholte. Heilfroh war er als er sich wieder setzen konnte. „Wo ist sie denn?“ „Im Bad. Ich lass sie mal alleine.“
Als er rausgegangen war lies sie sich blicken. „Ein guter Kerl dieser Erkwin. Du magst ihn, stimms? Hast dir sogar die Haare geschnitten.“ „Sie waren kaputt.“ Er grinste. „Sorry wegen damals.“ „Du hast deine Rechnung bekommen.“ „Wehren kannst du dich, keine Frage. Komm mal her. Hier.“ Er drückte ihr Geld in die Hand. „Ich …“ „Nimm das. Du bist wieder Masseurin, hab ich gehört?“ Sie schüttelte den Kopf. „Werd das wieder. Du hast Talent. Ich helf dir auch zu einem eigenen Laden so gut ich kann.“ „Nein Matthias! Ich bin keine Masseurin. Geh jetzt bitte.“ Sie schmiss ihm das Geld auf den Schoss und verschwand.
Als er notgedrungen nach außen kam lehnte Jamiro an der Hauswand. „Nicht gut gelaufen?“ „Ich habe das Gefühl um so kürzer ihre Haare sind des so sturer wird sie. Kann sie bei ihnen bleiben?“ „So lange wie sie es braucht.“ „Nette Maschine haben sie da?“ „Fahrn sie?“ „Nein. Ich bevorzuge andere zweirädrige Geräte.“ Er lachte.
„Was ist eigentlich mit ihnen?“ „Man weiß es nicht. Ich dachte ehrlich gesagt es sei ein einmaliges Ding gewesen. Na ja hoff ich mal das ich diesmal länger als ein halbes Jahr durchhalte.“ „Ich wünsche ihnen viel Glück.“ „Oh das hab ich wohl. Schließlich bin ich weder beim ersten noch beim zweiten Versuch gestürzt. Ich verlass mich drauf, dass sie das mit meiner Schwester hinbiegen. Kommt ja sonst keiner an sie ran.“ „Sie wird es gut haben.“ „Das hoff ich für sie.“ Jamiro grinste und begab sich wieder ins Haus.
Sein Gast saß wieder zusammengekauert in einer Ecke. Vor ihr ging er in die Hocke und wusste nicht so recht was er jetzt tun sollte. „Ich bin also ein toller Mensch, hm? Finde ich nicht.“ Fast wäre sie drauf eingegangen.
„Wie kann ich ein Guter sein wenn ich Menschen ein schlechtes Gewissen mache.“ Er setzte sich und hatte schließlich Erfolg. „Aber es hat doch nichts mit dir zu tun. Ich habe etwas schreckliches gemacht und wenn du deshalb nun auch noch ein schlechtes Gewissen haben musst … Nur weil du nicht nachtragend bist, kann ich doch nicht straffrei bleiben.“ „Ich finde du hast dich schon viel zu lange und viel zu hart bestraft. Du hattest doch noch nicht mal einen Plan. Ich kenn mich zu schlecht aber was glaubst du hätte ich gemacht, wenn du mich nicht aus dem Krankenhaus begleitet hättest. Gegangen wäre ich mit meinen Sturschädel trotzdem.“ „Es hätte dich jemand Netteres aufgenommen.“ „Sicher? Auf der Fahrt und am Acker gab es niemanden außer dir. Ich verdanke dir mein Leben.“ „Ich konnte ihnen doch gar nicht helfen.“ „Blödsinn.“ Seine Worten verstummt als er die Sinnlosigkeit darin bemerkte. Eigentlich war ihm schon längst klar, wie er sie von ihrem Schuldleiden erlösen konnte aber dazu musste er über seinen eigenen Schatten springen.
„Du arbeitest als Masseurin für mich.“ „Aber.“ „Wenn du dir nur vergeben kannst, wenn du etwas für mich tust dann so. Ich werde dich als meine Masseurin einstellen.“ „Ich bin doch aber keine mehr.“ „Du bist die Einzige, die es nicht schlimmer gemacht hat und glaub mir ich war schon bei so vielen Ärzten, Therapeuten und Masseuren. Ich kann sie gar nicht mehr zählen. Du musst allerdings akzeptieren, das ich dich nicht schwarz arbeiten lasse und das du hier wohnen musst weil ich diese Schübe nur zufällig bekomme und verdammt nochmal stimm einfach nur zu. Ich hasse es über meine Krankheit zusprechen.“
„Das kling eher nach einer Strafe für dich.“ „Ich halte es nicht für richtig, dir etwas aufzuzwingen. Das ist nicht meine Art. Ich sollte es auch überhaupt nicht versuchen. Vergiss was ich gesagt habe.“ „Du hast recht. Ich sollte für dich arbeiten um wenigstens teilweise wieder etwas gut zu machen aber bitte gefährde deine Gesundheit nicht nur weil du dann denkst mir helfen zu müssen. Versprich mir das.“ Er lächelte schwach. „Versprochen.“ In den nächsten Tagen entstand der Vertrag und ein Zimmer für sie.
Irgendwie hatte er sich auch rasch an ihre Anwesenheit gewöhnt. Sie massierte wirklich gut und gerne. Somit er ein weiteres mal auf die Frage zurück kam, warum sie das eben alles nicht mehr machen wollte. „Es gab Ärger.“ hielt sie sich zu nächst bedeckt. Ein paar weitere Tage später deckte sie dann auf.
Ihre Chefin war Matthias Affäre. Sie hatten sich wegen irgendeiner Sache gestritten, die sie bis heute nicht kannte. Sie diente so wohl ihrer Chefin als auch ihrem Bruder als Blitzableiter. Bis zu dem Tag, an dem sie sich diese Schikanen nicht mehr gefallen lies. In einem Wutausbruch hatte sie etwas nach ihrem Bruder geworfen aber den Versöhner Aiden getroffen. Wie ja bereits bekannt war konnte sie kein Blut sehen und fiel daher in Ohnmacht als sie ihm seine Nase gebrochen hatte.
„Ich sagte doch unsere Familie ist verkorkst.“ Ein kaum gelingen wollendes Lächeln erschien. „War nach dem Ganzen wieder alles gut?“ „Matthias hat von Aiden eine rein bekommen damals. Frag mich nicht aber so haben sie sich immer versöhnt.“ „Und du?“ „Gott sei Dank nicht so. Aiden hat lediglich eine Entschuldigung verlangt. Na ja und gemeint ich müsse härter werden, die Welt wäre hart.“ „Ich nehme an. Er wollte auch, das du deine Probleme nicht mehr anstaust.“ „Wahrscheinlich.“ Sie zog sich wieder zurück.
„Willst du Aiden mal besuchen?“ Obwohl sie nicht antwortete wusste er das sie ja sagen wollte. „Dann könnte ich vielleicht mitfahren. Ich müsste ein paar Sachen kaufen.“ „Du hast doch Tobias losgeschickt.“ „Magiersache.“ „So.“ „Ich vermiss es ein bisschen an Tricks zu arbeiten.“ „Du wolltest doch auch noch beim Arzt vorbeischauen, war das nicht heute?“ „Ich hab kein Termin bekommen“, knurrte er in einem Laut, der ihn verriet. „Du hast gar keinen gemacht? Ich hab mich eh schon gewundert warum das so schnell ging.“ „Die Krankheit ist so gut wie unerforscht also was nützt es nachzufragen?“ „Weil in zwanzig Jahren viel passieren kann. Du musst doch nur fragen, ob du die Tabletten gegen eine Massage eintauschen kannst. Also die Einen zumindest.“ „Ich komm noch früh genug ins Krankenhaus. Also möchtest du zu deinem Bruder?“ „Du bist ein Esel“, kicherte sie und lehnte sich zurück.
Wieder ein paar Tage später fuhr sie ihn mit dem Auto seiner Mutter. Die ganze Fahrt über fragte er sich, warum es ihm so unangenehm war vor seinen Eltern zu stehen und um das Auto zu bitten. Seine Mutter hatte natürlich nur ausdrücklich ihr den Schlüssel übergeben. Wahrscheinlich war er nur eingeschnappt, weil sie ihm mal wieder voraus war.
„Und drückt dich nicht. Es ist nur zu deinem Besten und wenn es nichts Neues gibt weißt du immer hin das du keine Erleichterung verpasst.“ Das sein Hirn nur ''Scheiße'' dachte brachte ihm im nächsten Moment selbst zum Lachen. „Was ist?“, fragte sie verunsichert. „Du bist die erste Person, die mich hiermit wirklich überrascht.“ Es handelte sich übrigens um eine Praxis. „Ich bereue es zwar gerade aber ich glaube eine bessere Aufpasserin hätte ich mir nicht holen können.“ „Wie?“ „Unternimm ruhig was mit deinem Bruder, wenn er heut schon frei kommt.“
„Moment“, stoppte sie ihn als er die Tür zu schlagen wollte. „Wann soll ich dich denn holen?“ „Ich geb dir meine Nummer. Dann ruft du einfach an, wenn du die Nase voll hast von deinem Bruder.“ „Ähm … Ich besitze kein Handy. Das hab ich für Essen verkauft.“ „Ach ja.“ Noch in der Suche einer Lösung tauchte eine bekannte Person auf. „Kein Problem, der Tobias ist ja da.“ Er drückte ihr sein Handy in die Hand.“ „Was ist den mit deiner Backe passiert?“ „Zahnschmerzen. Hey kannst du mich vielleicht mitnehmen?“ „Natürlich. Taxi Herz heute. Jede Fahrt kostenlos.“ „Das nehm ich doch gerne an.“ Damit schwang er sich erfreut auf den Beifahrersitz und los ging die Fahrt. Jamiro blieb nur grinsend zurück.
Es vergingen ein paar Stunden bis Selina bei Jamiro anrief aber er ging nicht ran. Sie versuchte es zwei weitere male dann übernahm besorgt Tobias aber immer noch nichts. „Suchen!“, brachte er lediglich in seiner Besorgnis hervor. „Ist dieser Erkwin nicht erwachsen?“, mischte sich Aiden ein. „Erwachsen aber schwer krank und ein ziemlicher Sturkopf.“ „Die Sturheit zieht nach Hause. So lange wie wir unterwegs waren.“ Er entfernte sich. „Wo willst du hin?“ „Zu Steve.“ „Aber?“ „Ich habe genug Probleme um die ich mich kümmern muss.“ Die Sache juckte ihn wirklich kein bisschen als er weg ging. „Vor allem um deine Hilfebreitschaft solltest du dich kümmer“, schrie ihm Selina sauer nach und stieß Tobias ins Auto.
Deutlich über dem erlaubten Limit raste sie zum Haus. Der Gesuchte war am Bauen in der Werkstatt aufzufinden. „Du Depp, du Blöder!“ schrie sie sauer aber fand dann keine Beschimpfungen mehr. Damit verfiel ihr Zorn auch gleich wieder ins Verunsicherte. „Schon da?“ „Schon?! … ähm du … du hast sie doch nicht mehr alle.“ „Okay. Du kannst nicht wirklich gut sauer sein oder?“ „Nee aber wenn mir der Kragen platzt fliegen Gegenstände und ich habe überhaupt keine Ahnung warum ich das sage.“ „Brüllst. Also was genau regt dich auf?“ „Du gehst nicht ans Telefon, wir erreichen dich nicht. Man wir dachten …“ „Das ich Tod bin? Soweit bin ich nicht. Weinst du?“ „Du sagst es ja, ich kann nicht gut sauer sein. Hättest du nicht wenigstens ran gehen können?“ „Verzeihung, ich hatte es nicht gehört.“ Er nahm sie in den Arm.
„Du musst nicht für mich arbeiten, wenn dir meine Krankheit so nahe geht.“ „Sei bitte einfach nur etwas vernünftiger.“ „Ich versuchs.“ „Ist denn wenigstens etwas rausgekommen?“ „Nur das ich diese Tablette eigentlich überhaupt nicht vertrage.“ „Alle?“ „Nein nur die, die wir durch die Massagen ersetzen wollten. Ich solls jetzt einfachmal einen Monat mit der Massagen probieren und dann wieder kommen.“ „Warum hast du die Unverträglichkeit nicht bemerkt?“ „Ich habs einfach für die Krankheit selbst gehalten. Ist da wer in meinem Bad?“ „Ich bin wohl etwas zu schnell gefahren.“ Sie gingen zur Tür aus der nun Tobias stolperte. „Man eh irgendwann bringt ihr Frauen mich noch um. Alles in Ordnung Jam?“ „Besser als bei dir gerade.“ Er drängte ihn zum Sofa.
„Ach übrigens auf deinem Handy hat eine unbekannte Nummer angerufen. Ich dachte es wäre vielleicht Jamiro und bin ran gegangen. Keine Sorge ich hab so getan, als hätte ich dein Handy gefunden. Du solltest besser zurückrufen.“ „Ach wahrscheinlich nur ein Kunde für die Werkstatt. Geb schon her. Als die Person abnahm zog sich Überraschung in seinem Gesicht. „Lola“, stotterte er. Der Rest was von ihm kam ergab nur noch wenig Sinn. Umso mehr explodierte seine Aussage nach dem Telefonat.
„Lola kommt nach Deutschland! Sie hat mich gefragt, ob wir uns vielleicht treffen könnten. Woher wusstest du eigentlich … Welches Flugzeug haben wir heute?“ „Den 31. Montag.“ „Ah es ist Dienstag.“ Selina versuchte zu korrigieren. „Er meint, das sie nächste Woche kommt.“ „Nächste Woche?! Ich muss … Ich sollte sie abholen. Nee ich sollte erst … verdammt meine Zahnschmerzen räumen.“ „Was zum Teufel“, kicherte Selina über seine Verwirrtheit. „Vielleicht beginnst du damit zu atmen.“ Jamiro klang hingegen stark konzentriert.
„Wie wärs wenn wir ihm etwas unter die Arme greifen. Mit dem Müllberg im Auto kann er ja schlecht Eindruck schinden.“ „Da hast du allerdings recht“, stimmte er schadenfroh ein. Gemeinsam richteten sie das Auto her während Tobias seinen Verstand wieder zu ordnen versuchte. „Ist das meine Karre?“ fragte er als er hinzu kam. „Geputzt, ausgeräumt und so gar die Klimaanlage wieder repariert.“ „Aber wäre es nicht besser gewesen ich hätte einen schickeren Leihwagen genommen?“ „Sie soll dich kennenlernen, oder?“ „Ich vertrau dir Jam. Trug Lola eigentlich ein Namensschild?“ „Nein wieso?“ „Matschikoneck, ich dachte du machst nur Blödsinn.“ „Hab ich auch.“ „Wers glaubt.“ „Heißt sie denn tatsächlich so?“ Die Frage ging beim Test der Klimaanlage unter.
„Und wo sind die Sachen?“ Selina öffnete den Kofferraum. „Brauchbares dort. Müll in der Tonne.“ „Das ist ja überraschend viel nicht Müll.“ „Du willst nicht wissen was wir außerdem noch gefunden haben.“ Nach diesem Satz zog sich Jamiro ins Haus zurück. „Ich glaube er braucht wieder eine Masseurin.“ „Schon hinterher.“ Weg waren alle beide.
Am nächsten Tag lies sich wieder Matthias blicken. Dieser aber war sehr launisch. Weshalb Jamiro schon nach kurzer Zeit Selina wegschickte. „Sind sie nur hergekommen um an ihrer Schwester ihren Frust auszulassen?“ „Was mischen sie sich eigentlich ein verdammt? Ich werd ja wohl noch mit meiner Schwester reden dürfen.“ „Wenn es Reden wäre! Alles was sie bislang ''geredet'' haben diente lediglich dazu ihre Schwester als dumm und unfähig hinzustellen. Stehen sie auf!“ „Sie haben nen Vogel.“ „Stehen sie auf! Und kommen sie mir nicht wieder damit, das es nicht geht.“ „Haben sie schonmal gesehen wie ich laufe?“ „Beschissen aber wenn sie lieber Andre deshalb fertig machen werden sie nichts daran ändern. Glauben sie mir, diesen verdammten Frust kenne ich zu Gut. Stehen sie jetzt auf oder ich werfe sie aus meiner Wohnung.“ „Wie bitte?!“ „Der Fluch, erinnern sie sich?“ Damit brachte er ihn tatsächlich dazu seine Hilfe anzunehmen.
„Sie sind kein Fluch sie sind eine Plage. Warum zum Teufel kann ich mit ihnen fast so gut laufen als wäre nichts?“ „Weil die Plage nervig ist. Ich kann erwarten, dass sie sich bei ihrer Schwester entschuldigen.“ „Man sie sind Aiden ähnlicher als wir alle Brüder zusammen. Natürlich entschuldige ich mich bei ihr. Sie hat früher schon immer jeden Scheiß abgekriegt. Der Umgang unter Jungs ist halt einfach etwas rauer. Zumindest bei uns. Selina!“
Das Versöhnungsgespräch verließ Jamiro um mit Tobias zu Telefonieren. Er hatte schließlich selbst noch eine Entschuldigung offenstehen.
„Du hast jetzt seit drei Monaten keinen heftigen Krampf mehr gehabt“, begann Selina plötzlich das Gespräch. Daraufhin schob Jamiro seinen halbvollen Teller zurück. „Das Essen reicht vollkommen“, knurrte er unter Schmerzen. „Lehn dich zurück.“ Selina rückte hinter ihn und begann eine Massage. „Willst du es wirklich nicht mit einem anderen Medikament versuchen?“ „Alles braucht seine Zeit zu wirken.“ „Ich mein ja nur. Wird es besser?“ „Danke geht schon.“ Sie zog ihn zurück als er sich wieder vorbeugen wollte. „Gibst du mir wenigstens die Zeitung?“ Wortlos griff sie nach der Zeitung und warf sie ihm auf den Schoss. Schmunzelnd nahm er sie auf.
Plötzlich brach er in Gelächter aus. Selina blickte ihn nur verwirrt an. „Hast du Lust auf eine Eselwanderung?“ Er tippte auf den passenden Artikel. „Weil ich den Esel dazu schon habe, meinst du?“ Ihr Lächeln lies ihn erstarren. „Warum eigentlich nicht? Lass uns doch Tobias und deine Eltern mitnehmen.“ „Wenn mein Vater schon kann.“ Sofort kümmerte er sich um die Antwort. Sowohl seine Eltern als auch Tobias sagten begeistert zu. Als sie sich trafen war auch Lola dabei.
Die Stimmung war so gut, das keiner der Beteiligten mehr an Jamiros Krankheit denken musste. Vielleicht war auch das der Grund, warum er am Ende der langen Wanderung eine völlig normale Portion essen konnte. „Boh war das gut.“
Die Hand seiner Mutter streifte über seine Schulter. Sie wollte was von ihm. Als er sie fragend anblickte lächelte sie. „Sie tut dir gut, deine Masseurin.“ Auf dem Stuhl neben ihm nahm sie Platz. Zuvor hatte dort noch Selina gesessen. „Willst du sie etwa abwerben?“, scherzte er und verstummte wieder bei ihrem Lächeln. „Du benimmst dich seltsam.“ „Ich bin einfach nur glücklich gerade. Hast du einen Trick für mich?“ „Sicher.“
Es schien ihn zu verwirren, wie sich seine Mutter benahm. Dennoch lies er sie ihr Handy auf den Tisch legen. „Denk an eine Karte. Egal welche.“ Während er das befahl deckte er den Display mit leerer Hand ab. „Ja.“ „Ach komm schon. Herz Bube ist etwas langweilig, Mama.“ Sie grinste. „Papa zum Beispiel denkt an diese hier.“ Auf dem Display war die Herz sieben zu sehen. „Na das werd ich mal prüfen.“ Eigentlich klang sie noch immer ganz vergnügt aber er merkte deutlich aufkommenden Ärger.
Sie stand auf und ging an den Tisch wo sich auch Selina aufhielt. Ihr Bruder Aiden und Jamiros Vater saßen zusammen als gebe es einen Wettkampf zu gewinnen. Erika räusperte sich. „An welche Karte denkst du, Schatz.“ Der Kosename hatte irgendwas ermahnendes an sich. Zunächst schaute er sie nur verdutzt an nannte dann aber mit einer Entschuldigung an seinem Gegenüber die Herz sieben Karte. Damit ging er mit seiner Frau an den Tisch zurück.
„Lass mich raten, unser Sohn wusste natürlich das ich an die Herz Dame denke.“ Schadenfroh stemmte sich sein Vater auf die Lehne. „Schau in deine Tasche.“ Es schien ihn nicht wirklich zu jucken, dass er anscheinend falsch lag. Stöhnend griff sein Vater zu nächst in die falsche Tasche. Aus der Richtige zog er dann zwei Karten heraus. Er sah zuerst die Rückseiten. Die eine davon war mit ''Lügner'' beschriftet und enthielt das Motiv der Herz Dame. Karte Nr. Zwei war als ''die Wahrheit'' gekennzeichnet und enthüllte die Herz sieben. „Stimmt“, gab sein Vater erfreut zu.
Nun kamen auch Aiden und Selina an den Tisch. „Ich hab meinen Bruder Aiden mit zu uns eingeladen. Ist doch in Ordnung?“ „Natürlich. Wir brauchen nur noch einen Stuhl.“ Ohne wenn und aber entschied sich der neue Gast für Selinas Stuhl. Seine Aura strahlte Krieg aus, den wohl nur Jamiro wahrnahm. Die Anderen waren wohl von der Ähnlichkeit abgelenkt. Sie hatte es gelassen genommen und stellte sich einfach einen neuen Stuhl zwischen die beiden. Auch das war dem großen Bruder nicht recht aber er konnte auch nicht wirklich etwas unternehmen.
Viele Unterhaltungen später ging es auf den Weg zurück. Aiden, der diesesmal auch dabei war zog Jamiro ans Ende der ganzen Gruppe. „Finger weg von meiner Schwester“, zischte er sauer. „Sie verdient etwas Besseres. Nicht so einen schwächlichen Hokusbockus Lappen.“ In dieser Aussage steckte kein bisschen mehr von seiner amerikanischen Aussprache. Daraus schloss er, das er richtig sauer war und es ernst meinte.
„Keine Sorge, ich will nichts von ihr. Sie arbeitet nur für mich.“ „Ich warne sie.“ „Aiden!“ Selina hatte seine Aussage mitbekommen. „Ich bleib dabei“, knurrte er und setzte sich wieder an die Spitze der Gruppe ab. „Entschuldigung, warum habe ich nur solche Brüder?“ „Er meint es ja nur gut.“ Er legte ohne groß nachzudenken den Arm um sie. „Du nimmst nie etwas übel.“ Glücklich schmiegte sie sich an ihn. Es war inzwischen kalt und spät geworden. Daher glaubte er wohl, die Annäherung sei deshalb.
Zuhause angekommen passierte nicht mehr viel. Jamiro war erledigt und verzog sich so gleich im Schlafzimmer. Allerdings wurde er am Morgen mit einem Streit in seinem Wohnzimmer geweckt. Noch nicht ganz wach schaute er nach. Aiden stapfte auf ihn zu und stieß ihn zwei Schritte zurück. „Hör auf“, fauchte sie und versuchte ihn ebenfalls wegzustoßen. Allerdings blieb er stehen wie ein Fels.
„Kann mir mal irgendjemand erklären, was hier vor sich geht.“ „Ich hab mich gestern wohl nicht klar genug ausgedrückt.“ Der erneute Stoß ließ ihn gegen die Wand fallen. „Aiden verdammt nochmal! Hör endlich auf! Ich arbeite für ihn. Er ist mein Chef.“ Diesmal schaffte sie es tatsächlich ihn zumindest halbwegs zum wanken zu bringen. „Ich arbeite gern für ihn. Du hast mir gar nichts zu befehlen! Es geht dich auch überhaupt nichts an was ich tue!“ „Du findest etwas Besseres.“ Ihr Faustschlag sorgte dafür das er endlich von Jamiro abließ.
„Hör auf, hab ich gesagt! Wir können auch die Polizei rufen.“ Irgendwie hatte Jamiro den Verdacht, das jede Einmischung für ihn nicht ganz so gut ausgehen könnte. Weshalb er erst einmal in die Küche weiter ging. Etwa fünf Minuten später baute sich Aiden wieder hinter ihm auf. Es stand zweifelsohne fest, das er seinem Doppelgänger haushoch unterlegen war. Dennoch blieb er unbekümmert und wandte sich ihm zu.
Es machte den Eindruck, das er gerade etwas sagen wollte als ihm Selina zuvor kam. „Aiden kennt einen der deine Krankheit seit zwanzig Jahren erforscht.“ Ihre Augen funkelten vor lauter Freude. „Das ist ein Witz oder?“, blieb er unbekümmert. Aiden aber eben so „Sasori Ichigawa hat bereits bei einer anderen Krankheit ein Heilmittel entwickelt. Es war zwar für Rinder aber das ist ja kein Widerspruch.“ „Komm schon, der weiß bestimmt was.“ Ihr Versuch ihn mit Vorfreude anzustecken gelang kein Stück.
„Bedienungen?“ „Sie kennen meine Bedingung.“ „Was für Bedingungen? Aiden! Ob ich hier kündige ist meine Sache!“ „Wenn dieser Ichigawa tatsächlich etwas weiß, ist es ihrer Schwester nach wie vor frei zu gehen.“ Damit wirkte er mit viel Fantasie zufrieden. Selina aber kochte vor Wut. Um einen weiteren Streit mit wahrscheinlich fliegenden Gegenständen zu verhindern fragte er nach Ichigawas Nummer.
„Ich hab schon angerufen“, gestand Selina verlegen. „Entschuldige aber du hättest doch nur wieder gewartet. Wer weiß was er herausgefunden hat. Vielleicht gibs schon ein Heilmittel.“ „Das wäre vermutlich schon auf den Markt aber was solls. Ich nehme an er nimmt den schnellsten Flug?“ „Ich hab ihm aber nicht die Adresse gegeben. I ... Ich wusste nicht, ob dir das recht ist.“ Er grinste. Anstatt etwas zu erwidern trank er aber zu aller erst sein Wasserglas aus.
Als es fast leer war klingelte Aidens Handy. „Ichigawa“, sagte er bei einem Blick darauf und reichte es an seine Schwester weiter. Diese nahm an und hetzte in einen anderen Raum. „Ich sags ihnen noch einmal, wenn sie meiner Schwester zu Nahe kommen lernen sie mich richtig kennen.“ „Ihrer Schwester zu Liebe sollten sie besser nicht wieder im Gefängnis landen.“ „Soll mir das Angst machen? Wie lächerlich.“ „Wie gesagt, sie ist als Masseurin angestellt.“ Jamiro reichte ihm den Vertrag. So wie er es las schien er auch nur den kleinsten Fehler finden zu wollen. Offenbar aber konnte ihn der Text zufrieden stellen. Er legte das Schreiben hinter Jamiro auf die Küchenablage.
Selina kam wieder her geeilt. „Also Herr Ichigawa hat sich eine Praxis mit Labor angemietet für ein paar Tagen. Ich fahr dich dann Morgen Mittag hin, früher ist er nicht da aber du kannst mit ihm jederzeit telefonisch sprechen.“ „Verstehe ich diesen Herrn überhaupt?“ „Potenziell schon“, lachte Aiden „Das heißt?“ „Er meint das er deine Sprache beherrscht aber unfassbar schnell reden kann. Vor allem wenn er aufgeregt ist.“ Letzteres klang irgendwie genervt.
Am nächsten Tag war es dann so weit. Jamiro saß alleine im Warteraum einer gänzlich unbesetzten Praxis. Nach einer gefühlten Ewigkeit schoss ein Mann auf ihn zu. Trotz seiner weißen zerzausten Haare schätze er ihn nicht älter als sich selbst ein. „Ichigwa“, schoss er eine Begrüßung los, von der er nur das verstanden hatte. „Wir sollten es kurz halten. Können sie was dagegen machen oder nicht?“ Er hielt die Luft an und schien nachzudenken. „Irgendwas ist an ihnen anders, das steht fest.“ Nach dieser Aktion mit dem Luft anhalten klang diese Aussage erstickt. „Also im Klartext sind sie auch nicht viel klüger in dieser Sache wie all die anderen Ärzte.“ „Das kann ich nicht beurteilen aber ich behaupte schon das wir an ihnen etwas finden werden was mir noch unbekannt ist.“ Jamiro stieß einen gehässigen Lacher aus. „Wenn sie meinen.“
„Wann hatten sie ihre ersten Symptome?“ „Seit ich existiere. Das wissen sie doch schon.“ Er spielte auf eine dicke Akte an, die er beim Näherkommen weggelegt hatte. Ein paar Runden später fragte er plötzlich: „Haben beide ihrer Eltern eine unerklärliche Lähmung?“ „Was? Nein warum sollten sie?“ „Ihre Krankheit ist vererblich. Gering aber sie kann nur vererbt werden.“ „Das heißt meine Eltern kriegen das auch?“ „Nein. Wer die Krankheit hat, hat auch Symptome von Beginn an. Die aggressive Form endet immer tödlich, nur ihre nicht. Die unausgeprägte Form kann auch nur hin und wieder ein eingeschlafenes Gefühl der Beine sein.“
Sofort musste Jamiro telefonieren. Es war ein Schock für ihn, das seine Eltern die selbe Krankheit haben sollten. Deshalb bat er sie auch recht unfreundlich her. „Was ist los?“ fragte seine Mutter altbekannt panisch und rannte sofort auf ihn zu. Sein Vater kam hinkend hinter her. „Ist es schon schlimm?“ „Ich … Nein. … Ihr müsst euch sofort untersuchen lassen, ja?“ „Uns geht’s gut.“ „Was ist mit deinem Bein, Papa?“ „Ich werd alt, das ist alles.“ „Dumm, leichtsinnig wirst du!“ „Schatz!“ „Ist doch wahr!“ „Was ist passiert zum Donner?!“ Seine Mutter wich von dem Ausbruch erschrocken zurück, genauso auch sein Vater.
„Ich hab ein Hund mit einer Kartenschachtel weglaufen sehen.“ „Und? Bist du gestürzt wegen dem Mist?“ „Nein. Er hat mir ins Bein gebissen als ich ihm die Schachtel wegnehmen wollte. Sag mal alles in Ordnung mit dir?“ „Ichigawa meinte, ich kann die Krankheit nur vererbt bekommen. Diese Information ist wohl falsch.“ „Um das auszuschließen würde ich sie gern untersuchen. Ich habe alle bekannten Fälle aufgesucht und untersucht. Nur ihren noch nicht.“ „Wenns ihm hilft, natürlich alles.“ Sein Vater begann als Erstes.
„Diese verfluchten Karten! Vergesst sie!“ „Jamiro wir …“ „Ihr klammert euch an eine Hoffnung, die es nicht gibt. Tut euch das nicht an. Ich gebe nicht einfach auf. Ich kämpfe solange ich kann weil ich leben will und ich bin stur das wisst ihr.“ „Ja das bist du wirklich.“ Sie holte ein Kartendeck hervor.
„Wir dachten uns du suchst dir einen Trick aus.“ Die Hand, die das Deck hielt zitterte etwas. „Wir müssen einfach irgendwas tun. Deshalb dachten wir uns, wir versuchen einen Trick zu lernen, den wir dir dann zeigen können wenn …“ „Mam.“ „Nein … Hör bitte zu. Ich weiß du hast Angst, das es uns wieder zu viel wird. Du bist unser Kind, natürlich fällt es uns nicht leicht.“
Jamiro griff nach den Karten und holte sie aus der Verpackung. Er zog eine Karte und legte sie offen auf sein Knie. Es war die Herz sieben. „Nimm sie“, befahl er und legte sich eine zweite Karte auf dem anderen Knie ab. Als sie sie greifen wollte flog sie wie von einem Windhauch herunter. Jamiro grinste. Also lächelte sie auch etwas. Er legte sich die Herz Dame aufs Knie und krampfte plötzlich zusammen. „Jamiro!“ So gern würde sie helfen aber sie konnte nichts tun.
„Wird es besser?“ fragte sie stattdessen als es so zu sein schien. Beim Versuch sich auf die Beine zu quälen fielen ihm die restlich Karten herunter. „Leg dich lieber hin.“ Mit wenig Druck erreichte sie was sie wollte. Der Schmerz hielt noch immer an. Sein Vater kam aus den Raum und gab seiner Frau das Zeichen zu gehen. Danach setze er sich zu ihm.
„Du hast wohl doch was von mir“, erzählte er ihm völlig banal. „Mich hat noch nichts gebissen.“ Jedes Wort schien ihm nur unter Schmerzen über die Lippen zu kommen. „Nein aber das du in allem immer unvorsichtig bist. Als ich die Karten im Maul dieses Hundes gesehen hatte hab …“ „Ich passe nicht in das Maul eines Hundes.“ Jamiro lachte etwas beschwerlich und richtete sich auf. „Könnt ihr die Tage mal vorbei kommen. Ich glaub, ich hab was für euch. Bevor eine Antwort fiel blickte Ichigawa aus dem anderen Raum.
„Die Ergebnisse werden natürlich etwas dauern“, sagte er als seine Mutter an ihm vorbei gelaufen war. „Hatten sie eine Schmerzattacke? Mussten sie sich übergeben?“ „Nein.“ Jamiro verzog das Gesicht. „Sollen wir Frau Herz rufen? Sie war doch neben an oder?“ Sein Vater wollte nach der Frage losgehen aber seine Frau übernahm es dann eilig.
„Lassen sie mich mal sehen.“ Er drückte ihn leicht an den Schultern zurück. „Verändert das schon was?“ Jamiro schüttelte den Kopf. Es schien eher schlimmer zu werden. „Okay. Wo genau sitzt der Schmerz?“ Kaum hatte er seinen Bauch leicht berührt fuhr Jamiro zusammen. „Lassen sie mich hin.“ Selina rannte zu ihnen und stieß Ichigawa zur Seite. Auch bei ihrer Berührung schien es höllisch zu Schmerzen. Trotzdem schafft sie es mal wieder.
„Das war ganz schön heftig.“ „Das heißt also seine Schübe variieren?“ Ichigawa schien sich nicht so recht wieder neben Selina stellen zu wollen. Diese aber übernahm dann die Beschreibung seiner ''Anfälle''. „Interessant. Alle Fälle, die ich kenne hatten die Schmerzattacke in gleicher Stärke. Das Essen war nur unangenehm weil der Magen oft durch die Krämpfe verspannt war.“ „Nehmt ihr Selin mit raus. Kann kein Blut sehen.“ „Sie bluten?“ Ichigawa hatte bereits während dem Fragen seine Position zum Nachschauen gewechselt. Seine Eltern verließen dann den Raum mit Selina.
„Sie haben sich nur auf die Zunge gebissen“, verkündete er ihm erleichtert. „Sie haben diesen Mist also auch.“ Er tat so als habe er es nicht gehört und nahm ihm Blut ab. „Die schwache Form, stimms?“ Er nickte schwach. „Ihre Untersuchung ist wahrscheinlich die letzte Chance meiner Tochter. In acht Monaten wird sie sieben.“ „Dann kann ich ja sicher sein, das sie nicht unversucht lassen.“ „Natürlich. Wissen sie seit mein Vater diese Krankheit entdeckt hat, ist schon eine Menge passiert. Zwar immer noch keine Heilung aber wir können sie viel leichter diagnostizieren und es gibt dank ihnen immerhin ein Medikament, das zumindest etwas mildert.“ „Dank mir?“ Er lachte. „Ja sie waren damals bei meinem Vater und durften als erster seine Floragitom testen.“ „Dann gebührt der Dank wohl eher ihrem Vater.“ „Na dann. Ich verabschiede mich ins Labor. Bleiben sie Minimum zehn Minuten liegen. Wenn ihnen das Aufstehen noch schwer fällt länger.“
Ichigawa beugte sich zu Boden und hob sein Kartendeck auf. Das und etwas zu Trinken legte er auf einen Tisch, den er näher schieben konnte. Wie auch immer es Ichigawa gelungen war blieb Jamiro ganze zwanzig Minuten liegen ehe er sich nach außen gab.
„Und?“, schossen ihm drei Stimmen entgegen ohne das er alle Drei gesehen hatte. „Ichigawa gibt alles. Wir müssen uns gedulden.“ Er lehnte sich ans Auto ran. „Hast du was gefunden?“ Selina wusste offenbar, das sie gemeint war aber nicht was sie finden sollte. Er stieß ein Lachen aus und lud die Drei dann zu einem Essen ein.
Am nächsten Tag nahm er seinen Vater mit zu Ichigawa und schickte seine Mutter mit Selina zusammen zum Einkaufen. Unruhig lief er von Beginn an auf und ab. Nur sein Vater saß still schweigend dran. „Wenn ihr das auch habt …“ „Wir hatten nie Probleme mit unseren Beinen.“ „Auch nie Eingeschlafene?“ „Nicht das es irgendwie sonderbar gewesen wäre.“ „Wie geht’s deiner Wunde?“ „Sie verheilt.“ „Das mit dem Hund war echt dumm.“ „Weiß ich.“ „Hast du eigentlich gerade auf alles eine Antwort?“ „Vermutlich.“ „Hörst du überhaupt zu?“ „Könnte ich sonst antworten? Hey, es ist alles in Ordnung, wir haben sie nichts. Sicher.“ „Wirklich? Du hast der Untersuchung zugestimmt.“ „Natürlich. Es geht ja schließlich auch drum etwas über die Krankheit herauszufinden.“
„Warum bist du dir dann so sicher, das ihr sie nicht habt?“ „Deine Mutter und ich haben früher Rock 'n Roll getanzt.“ „Was?“ „Ja. Wir waren auch mal jung.“ „Und jetzt tanzt ihr überhaupt nicht mehr?“ „Irgendwann keine Zeit mehr gehabt.“ „Wegen mir?“ „Uns hats nie gefehlt.“ Er nahm wieder bei ihm Platz. „Was lachst du?“ „Du hast mal ein Tanzvideo von uns gesehen und bist wie ein Affe durch die Wohnung gesprungen. Ein Wunder das nichts kaputt gegangen ist.“ „Daran erinnere ich mich überhaupt nicht mehr und Mama war nicht sauer?“ „Nein. Wir hatten unsere Freude dran.“
Jamiro stand mit einem Stöhnen wieder auf. Unruhig lief er erneut hin und her. Dies war wohl der Grund warum sein Vater auf die Uhr schaute. „Wir sind vier Minuten zu früh“, sagte er und blieb nach wie vor entspannt. „Warum wolltest du eigentlich das ich mitkomme?“ „Mam hat sich Sorgen gemacht.“ „Sie kennt uns halt.“ Dabei blickte er aus dem Fenster. Fast so als gäbe es auf den leeren Straße etwas besonderes zu sehen. „Papa! Das ist eine dumme Idee.“ Ahnungslos blickte er ihn an. „Diese Karten sind das nicht wert, okay? Vergiss es. Schlimm genug das ein bissiger Hund frei herum läuft.“ Ohne zu antworten verblieb sein Blick innerhalb des Raumes.
Nach kurzem Zögern ging Jamiro auf ihn zu und zog die Herz sieben Karte aus der Jackentasche seines Vaters. „Nicht dein Ernst!“ „Ich hab sie nur gefunden. Ich wollte sie dir später nach Ichigawa geben.“ „Du wolltest sie mir später geben weil du wusstest, wie ich das finde.“ In seiner Wut wollte er die Karte zerreißen aber ein stechender Schmerz kam ihm zuvor. Sofort sprang sein Vater auf um nach dem Rechten zu sehen.
„Das meine ich mit Zufällen. Komm.“ Er zog ihn aufrecht und zerrte ihn zu den Stühlen. „Ein Scheißdreck! … Wenn ich mich aufrege ist doch klar, das ich eher Schmerzen bekomme. Bitte … Lasst es einfach gut sein. Glaubt doch einfach an mich.“ Langsam legte es sich wieder. „Versprich mir, das du nicht weiter suchst.“ Es ließ auf sich warten aber ein Nicken folgte.
„Ichigawa braucht ganz schön lang.“ Er wollte wieder aufstehen aber sein Vater stoppte ihn mit einer Geste. „Mir Vernunft einreden aber selber keine haben“, spottete er und lehnte sich zurück. „Darum weiß ich, das es nicht immer einfach ist.“ Mit diesem Satz kehrte Schweigen ein. Ein paar Minuten später stellte Jamiro fest, das er eingeschlafen war. Allerdings nicht alleine. Sein Vater schlief so gar noch. Leise stand er auf und sah sich bei den Türen im hinteren Bereich der Praxis um. An einer Tür mit dem Schild ''Labor'' klopfte er an.
„Helfen sie mir, schnell“, befahl eine hektische verzweifelte Stimme. Jamiro stieß die Tür auf, dachte aber gerade noch so daran, das er hinter der Türe sitzen konnte. Ichigawa saß mit ausgestreckten Beinen am Boden, die er offensichtlich nicht bewegen konnte. „Mein Telefon.“ Nach den Anstalten zum Tisch hoch zugreifen versuchte er seine Beine wach zu reiben.
„Kommen sie erst einmal hoch“, sagte er während er ihn bereits auf einen Stuhl hievte. Eilig ergriff er das dort unter Papier vergrabene Handy. ''P'' war eine Nachricht von einer Maiko. Völlig aufgelöst und kurz vor dem Weinen versuchte er erneut seine Beine zu wecken. „Ist ihre Tochter hier?“ „Meine Meiko. Wacht schon auf, verdammt.“ „Ich bring sie zu ihrer Tochter.“ Entschlossen huschte Jamiro hinter die Lehne des Stuhles kaum er den Satz begonnen hatte. Er schob ihn mit dem Drehstuhl zum Auto. „Ich hol noch den Schlüssel.“
Zunächst nahm er den Autoschlüssel einfach aus der Tasche. Dann entschied er sich aber doch noch seinen Vater aufzuwecken. „Kannst du uns fahren? Ichigawa muss zu seiner Tochter.“ „Natürlich.“ Verschlafen brauchte er etwas länger um nach Draußen zu folgen. Zwischenzeitlich hatte Jamiro dem Forscher auf die Rückbank geholfen. Auf dem Weg zum Hotel schienen seine Beine wieder kontrollierbar zu werden. Jedenfalls wollte er sofort aus dem Auto springen. Allerdings waren seine Beine noch zu schwach und er musste sich an der Tür festklammern. „Sie kommen zu ihrer Tochter. Ich helfe ihnen.“ Jamiro löste ihn ab und diente ihm als Stütze.
Am Zimmer angekommen trug gerade eine Frau ein völlig mageres Mädchen umher. „Meiko, Yukina.“ Seine Aussprache wurde zu schnell um sie zu verstehen aber vermutlich sprach er ohne hin kein Deutsch mehr. Die Frau antwortete jedenfalls auf Japanisch. So ging es eine kurze Weile hin und her. Als Jamiro jedoch gehen wollte kam das Mädchen zu Wort und alles wurde still. Wieder gefangen nannte ihr Vater Jamiros vollständigen Namen. Das Mädchen grinste. Warum verstand er nicht aber er nahm an, das es vermutlich keine große Bedeutung in ihrem Zustand hatte.
„Herr Ichigawa, sie sollten bei ihrer Familie sein.“ Noch leiser als zuvor erklang Meikos Stimme. „Sie mag ihre Stimme.“ Übersetzte die Mutter. Sie fragte etwas auf Japanisch und das kleine Mädchen nickte. „Herr Erkwin wären sie so nett ihr einen Wunsch zu erfüllen?“ „Wenn ich ihn erfüllen kann, gerne.“ „Lesen sie ihr eine Geschichte vor.“ „Ich kann allerdings nur Deutsch und Englisch.“ „Das stört sie nicht. Kommen sie.“ Ihr Mann hielt sie beim Gehen zurück.
Ohne das ein Wort gefallen war schlug Jamiro des Friedens wegen vor die beiden mit in die Praxis zu nehmen. Irgendwie hob das die Stimmung deutlich. „Steigen sie bei meinem Vater ein. Ich laufe zur Praxis. Vielleicht fällt mir dann eine Geschichte für sie ein. Was die kleine Meiko noch murmelte konnte der Magier auf Grund seines schnellen Gehens nicht mehr verstehen.
Als er in der Praxis ankam hatte man seinem Vater offenbar noch einmal untersucht und Blut abgenommen. „Es tut mir schrecklich leid aber bei meinem Sturz sind ihre und die Blutprobe ihres Vaters vermischt worden. Ich war wohl etwas zu hektisch zu Gange und habe meine Anzeichen nicht bemerkt.“ „In Ordnung. Ihnen ist ja zum Glück nichts passiert.“
Er nahm auf einem Stuhl gegenüber der beiden weiblichen Personen platz. „Was wäre dein Lieblingsort für die Geschichte?“, fragte er die kleine Meiko, die aussah als habe sie lächelnd geschlafen. Ihre Mutter strich ihr ebenfalls lächelnd über die Wange und übersetzte das Ganze. Die Antwort war so schwach, das es vermutlich noch nicht einmal ein ganzes Wort war. „Meiko wünscht sich Berge.“ „Damit lässt sich doch etwas anfangen.“ Er richtete sich so halb auf und drückte der Tochter einen rauen Kieselstein mit tiefer Mulde in die Hand. Während sie es inspizierte nahm Ichigawa bei ihm Blut ab.
Seine Geschichte mit erfühlbaren Gegenständen brachten allen Zuhörern gute Laune. Nur Jamiro selbst wirkte danach ziemlich betrübt. „Was ist los, Junge?“, fragte sein Vater als er ihn Zuhause abgeliefert hatte. „Bin ich unfair? Ich will nur, das ihr euch keine Sorgen machen müsst.“ „Das mit Maiko ging dir Nah, verständlich.“ „Nein das mein ich nicht. Ich verlang von euch meine Krankheit zu akzeptieren … ich … ich will das schaffen okay.“ „Das weiß ich doch.“ Verwirrt lief er zur Küche und zu seiner Werkstatt. „Hier.“ Er drückte seinem Vater ein dickes Buch in die Hand. „Und bitte nehmt meinen Sturkopf nicht so ernst. Ihr seit die besten Eltern, die ich hätte haben können.“
Er saß wieder in der Praxis aber diesmal alleine. In seinem Kopf schwirrte die Geschichte herum die er für Maiko Ichigawa erfunden hatte. Das kleine Mädchen tat ihm Leid. So begann er sich irgendwie selbst die Geschichte zu erzählen.
Als ich in deinem Alter war, Maiko, gingen wir in die Berge. Keine gewöhnlichen Berge, wie wir eigentlich dachten. In der Höhle fand ich ein seltsamen Stein. Der sah aus, wie ein Hühnerei aber es war kein Ei.
Ich nahm es mit, um unsere Hühner zu ärgern. Ganz besonders die hackende Henne Henna. Die hackte mir immer in die Finger oder ins Schienbein. Die war echt gemein.
In der Nacht schlich ich ganz leise in den Stall und legte das falsche Ei in ihr Nest. Ich stellte mir vor, wie Henna es für ein echtes Ei hielt und ging zu Bett.
Am nächstens Morgen gackerten die Hühner ganz aufregt. Etwas war passiert im Stall. Ob Henna bemerkt hatte, dass ich ihr ein falsches Ei gegeben hatte? Ich wusste es nicht und sah nach.
Was ich sah, fühlte sich so an, als hätte ich mir den Streich selbst gespielt. Das steinerne Ei war tatsächlich ein Ei und nun saß im Stall ein Wesen, wie ein kleiner Dino.
Welche Farbe hatte es denn gleich? War es grün, wie Gras oder orange, wie eine Orange? Ich meine, es war blau wie das Meer.
Ich kletterte hinein und holte den kleinen Dino heraus. Na nu, dachte ich. Unser kleiner Dino hatte winzige Flügel. Da war bestimmt die Hühner-Mama Schuld dran.
Ich setzte ihn in die Wiese und er begann ganz aufregt mit seinen Flügeln zu schlagen. Mein erster Gedanke war, das er fliegen wollte. Sein Blick sah so aus, als wollte er mich fragen, wie das gehe aber ich dachte mir nur, was fragst du mich. Du bist derjenige mit Flügeln.
Die Tage verbrachte ich damit eine Lösung zu finden. Seine hilflosen Versuche konnten ja nicht so bleiben. Nach drei Tagen etwa waren seine Flügel etwas gewachsen. Nicht nur das. Er hatte jetzt auch ganz weiches Fell. Es fühlte sich beim Streicheln wie Schafwolle an.
Nach langem Überlegen setzte ich mir den Drachen im Schafspelz auf den Kopf. Ich hatte an ein Flugzeug gedacht. Diese fuhren auch ganz lange am Boden ehe sie am Himmel zu fliegen begannen.
Also rannte ich über die Wiese. Hin und her, zurück und wieder nach vorn aber unser kleiner Freund saß noch immer auf meinem Kopf und schien ahnungslos vom Fliegen zu sein.
Was half da nun? Ich dachte an unsere Hühner. Sie konnten zwar nicht fliegen kamen aber doch erstaunlich hoch, wenn sie mit ihren Flügel um sich schlugen. Also rannte ich erneut los und versuchte es mit meinen Armen nachzustellen. Ich hob nicht ab, wie die Hühner aber unser Drache tat es und das viel höher und eleganter, als es ein Huhn ihm hätte nachmachen können.
Als er ganz oben kaum noch zu sehen war, drehte er sich um und leuchtete mir mit seinen grünen Augen ein Tschüss und Danke zu.
„Hy.“ Jamiro schaute auf. Selina stand in ungewohnt heller Kleidung vor ihm. „Schön.“ „Na ja. Gewöhnungsbedürftig.“ Sie setzte sich neben ihn. Schwieg aber anstatt das loszuwerden was sie anscheinend beschäftigte.
„Was ist los?“ „Ich dachte ich leiste dir etwas Gesellschaft. Ist vielleicht angenehmer, da du Kliniken und Praxen nicht leiden kannst.“ Er lachte. „Das ist nett, danke.“ „Wie geht’s dir heute?“ „Um ehrlich zu sein nicht so gut. Mir ist irgendwie übel ohne richtig übel zu sein. Ein bisschen blöd zu beschreiben.“ „Ich glaube ich versteh schon wie du das meinst.“ Ein Seufzen seiner Seits folgte und er legte sich schließlich hin.
„Ist ja nicht so, das ich mich sonst verstehen würde aber heute? Weißt du, gestern bin ich noch fast durchgedreht an dem Gedanken, das meine Eltern Krank sind. Heute bin ich mir absolut sicher, dass sie nichts haben.“ „Vielleicht hat dein Vater irgendwas gesagt oder getan, was dich beruhigt hat.“ „Möglich aber trotzdem hab ich irgendwie das Gefühl, dass heute noch irgendwas passiert. Ach Blödsinn.“ Etwas genervt richtete er sich wieder auf. „Heute ist einfach nicht mein Tag. Kein warm Wasser, meine Teekanne zerspring vom gekochtem Wasser und über die dämlich Türschwelle bin ich auch gestolpert und hab einen Teller zerdeppert.“ Selina schmunzelte.
„Ich dachte mir schon, dass es dich amüsiert“, erwiderte er beleidigt lehnte sich dann aber ebenfalls aufgeheitert zurück. „Ich hab mir eine kleine Überraschung ausgedacht. Ich hoffe, das verbessert deinen Tag. Was ist? Keine gute Idee? Ich kann es auch noch rückgängig machen.“ „Nein bloß nicht. Es ist nur, du bist die Erste, der es gelingt mich zu überraschen. Ich bin überrascht.“ Sie kicherte und rückte näher. „Idiot.“ „Gern, wenn es dich zum Lachen bringt.“
Jamiro musste noch ganze zwölf Minuten auf Ichigawa warten aber es machte ihm überhaupt nichts aus. Der niedergeschlagene Mann blieb vor ihm stehen. „Ich möchte keine falschen Diagnosen stellen. Vermutlich bin ich nicht bei der Sache. Es tut mir Leid.“ „Herr Ichigawa …“ Jamiro stand auf und nahm seine Hand. „Gehen sie mit ihrer Frau nach Hause.“ „Aber Jamiro.“ „Gehen sie. Ihre Familie braucht sie jetzt.“ Ichigawa nickte und verließ das Gebäude.
„Was soll das?! Er ist deine Chance Jamiro. Ich dachte du willst … Ich hol ihn sofort zurück.“ „Nein.“ Jamiro hielt sie fest ohne seine Position zu ändern. „Er kann mir nicht helfen. Seine Tochter hats nicht geschafft.“ „Seine Tochter? … Jam …“ Anscheinend erkannte sie nun das Problem. „Trotzdem.“ „Hör zu. Ich hab sie zweimal geschafft und ich werde es wieder. Ich brauch euch. Bitte bleib stark. Es wird noch komplizierter als das.“ Er nahm sie in den Arm.
„Du klingst als könntest du hellsehen.“ „Ich kenn diese Krankheit. Außerdem hab ich die kleine Maiko kennengelernt.“ „Hatte sie das Gleiche?“ Nur ein trauriges Nicken antwortete ihr. Nach einer größeren Pause sagte er: „Darf ich dir etwas zeigen aber sags niemanden?“ „Okay.“
Jamiro führte sie schnurstracks ins Labor. Er schlug die dicke Akte auf die dort lag. Vier Papiere holte er hervor und legte sie für Selina offen auf. Zwei der Bögen enthielten das Ergebnis eines Vaterschaftstestes. Es passte nicht. Das Andere überprüfte die Mutter. Diese passte auch nicht. „Deine Eltern?“, fragte sie vorsichtig und er nickte nur. „Warum wusstet du das?“ „Ich habe es zufällig gelesen, als ich Ichgawa helfen musste. Ich wollte es nur nicht wahr haben.“
„Heißt das dann … du bist adoptiert.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich kenne sogar ein Foto direkt nach der Geburt. Meine Mutter hat definitiv ein Kind bekommen.“ „Du glaubst du bist vertauscht worden.“ „Ziemlich sicher sogar.“ „Was machst du jetzt?“ „Keine Ahnung. Ich behalte es wohl erst einmal für mich. Vielleicht irrt sich Ichigawa auch.“ „Na ja ganz stimmt es ja nicht. Also das nur du das weißt.“ Schweigend beobachtete sie eine Weile seine Reaktion. Es belastete ihn obwohl er es scheinbar nicht an sich heranlassen wollte. Irgendwie wirkte es auch so als würde er bald eine Schmerzattacke bekommen.
„Ich finde, du solltest jetzt erst einmal deine Überraschung bekommen, den Kopf frei kriegen.“ „Du überrascht mich schon wieder aber ich glaube, ich weiß jetzt was deine Überraschung ist.“ „Ja? Na dann bin ich vielleicht doch nicht so gut.“ Sie grinste. Damit steckte sie ihn an. Die Überraschung war eine Fahrt im Cabrio weil sie dachte ihm fehle vielleicht das Motorrad fahren.
„Nett.“ sagte er wieder entspannt nach einigen Kilometern. „Ich dachte schon du stehst mit dem Motorrad da.“ „Na ja dafür hab ich keinen Schein. Nicht gut?“ „Von weg. So gut hab ich mich noch nie gefühlt. Lass uns noch ein bisschen fahren, ja?“ „Gerne.“ Offenbar gab ihr die gelungene Überraschung sogar etwas Selbstvertrauen. Jedenfalls raste sie alt bekannt.
Nach weiterer Fahrt hatte Jamiro die Idee mit ihr zu Picknicken. Selina kicherte, als sie seinen Vorschlag hörte. „Was ist denn?“ „Die Idee hatte ich auch aber ich fand dann die Idee mit dem Cabrio besser.“ „Langsam wirst du mir unheimlich mit deinen Überraschungen.“ „Lass uns einkaufen, eine Decke hätte ich im Auto.“ Während dem Satz fuhr sie auf den Parkplatz eines Supermarktes.
„Und ich hätte einen schönen Platz.“ „Na dann. Kann ja nichts mehr schief gehen.“ Über diesen Satz konnten sie am Zielort nur noch lachen. Genau bei ihrem Eintreffen hatte es zu Hageln begonnen. Jamiro, der zuvor noch ausgestiegen war hatte sogar noch Hagelkörner auf dem Kopf liegen. „Du bist schon etwas verrückt.“ „Ein Picknick ohne Essen ist rumhocken. Hier lass es dir schmecken.“ Er begann bereits schon seinen Anteil zu essen während er ihres rüber reichte. „Du dir auch“, sagte sie und beeilte sich.
„Hey. Mach langsam oder willst du ein Wettessen mit mir machen?“ Die richtige Antwort drauf wäre gewesen, dass er es nicht leiden konnte wenn sie ihr Essen abbrechen musste um ihm wegen seinen Krämpfen zu helfen. „Vielleicht.“ Ab hier entschied sie sich langsam zu essen behielt ihn aber recht auffällig im Auge. Die Schmerzen hatten schon begonnen aber sie machte nichts. Erst als sie aufgegessen hatte kletterte sie zu ihm herüber.
„Es ist nicht so stark heute. Hm?“ Er schwieg regungslos. „Alles …“ Plötzlich als sie aufschauen wollte küsste er sie. „E … Entschuldigung.“ Peinlich berührt schaute er weg. Selina wirkte von dem Kuss entsetzt. Trotzdem drehte sie nach einer Weile seinen Kopf wieder zu sich und küsste ihn dann selbst. „Ich …“ „Ich auch.“ Sie grinste und Schweigen fiel wieder ein.
Am nächsten Tag schien Jamiro der Sache keine Beachtung mehr zu schenken. Selina jedoch versuchte ihn ziemlich nervös aus dem Weg zu gehen. „Was bist du denn so komisch?“ fragte er scherzhaft über eine Zeitung hinweg. „Ich … keine Ahnung. Bin ich das? … Ich … Ich räum das noch auf.“ „Setzt dich zu mir.“ Während den Worten zog er ein Kartendeck hervor. Dazu konnte sie nicht nein sagen, obwohl sie es anscheinend wollte.
„Ich wollte den Trick schon mit meiner Mutter machen aber da kam etwas dazwischen.“ Er legte sich die Herz acht Karte aufs Knie. „Meine Karte“, flüsterte sie mit zitternder Stimme. „Nimm sie.“ Das tat sie nicht. Jamiro forderte sie noch einmal auf. Dann machte sie es endlich. Die Karte glitt völlig von alleine wie eine Feder im Wind zu Boden.
„Weg“, stellte sie so perplex fest das er sich darüber amüsierte. „Nimm diese“, schlug er mit dem Auflegen der Kreuz acht vor. Diesmal versuchte sie es so schnell wie möglich. Der Zufall sollte es wohl auch nicht wieder weg pusten. „Hast du sie jetzt?“ Sein freches Grinsen ließ ihr Scheitern schon erraten. Die Karte ließ sich einfach nicht von seinem Knie lösen.
„Geht nicht“, erwiderte sie genervt. „Wieso nicht?“ Er griff ein Stück der Karte und zog sie mühelos in die Luft. „Ist doch Tuch leicht.“ Die Kreuz acht war tatsächlich zu einem Tuch geworden. „Du bist heute nicht zum Aufzuheitern.“ Enttäuscht legte er seine Sachen zur Seite. „Oder bin ich einfach so schlecht geworden?“ „Nein!“ Hektisch griff sie nach den Karten.
„Ich … das gestern …“ „Du meinst den Kuss?“ Jamiro kratzte sich verlegen. „Vergiss es einfach.“ „Nein! … Ich … Es dreht sich alles. Mein Kopf ist so durcheinander. … Ich …“ „Mach einen Spaziergang. Ich komm schon klar.“ „Ich muss aber auch noch das Auto zurückbringen.“ „Das mach ich. So kann ich dich nicht fahren lassen.“ „Aber deine Krämpfe?“ „Du hast doch sicher eine Nummer. Ich frag einfach, ob sie eine Möglichkeit haben, das Auto abzuholen.“ Sie rückte von ihm weg. „Aber nicht selbst fahren. Bitte.“ Lächelnd versprach er ihr das. Daran halten wollte er sich aber nicht.
Als sie gegangen war packte er den Autoschlüssel und ging zur Tür. Dort blieb er aber etwas genervt stehen. Verärgert kehrte er zum Tisch um und rief dann doch diesen Hektor Herz an. Ein lange Begrüßung einer Firma erklang, die anscheinend alles ein und verkaufte. „Frau Selina Herz hat bei ihnen gestern ein Cabrio geliehen. Ist es möglich, dass es jemand abholen kann? … Ja, das ist mir bewusst aber ich bin gesundheitlich angeschlagen und kann gerade nicht fahren … Nein, leider ist sie selbst verhindert, weshalb ich das auch übernehmen wollte. … Das ist kein Scherz nein. Hier die Nummer.“ Jamiro nannte das Kennzeichen. Die Leitung blieb danach erst einmal still.
„Ja auf Selina Herz genau.“ Nachdem er gebeten wurde zu warten kam eine andere Stimme an den Hörer. „Wer sind sie? Woher kennen sie meine Schwester und was tun sie mit meinem Auto?“ „Es steht in der Gräfin-Straße 48.“ „Wenn es beschädigt ist zeige ich sie an.“ Der Hörer knallte so heftig auf, dass er es noch in der Leitung hörte.
Einige Minuten später hielt ein Raser vor seiner Wohnung. Ein Mann in einem grünen Anzug mit Hut stieg aus und begutachtete das Cabrio. „Kann ich helfen?“ Der Mann wirkte erschrocken über sein Erscheinen. „Herr Herz, nehm ich an.“ Jamiro ging auf ihn zu und reichte ihm den Autoschlüssel. „Selina hat nen Partner?“ „Sie arbeitet und wohnt hier.“ „Als was?“ „Masseurin.“ „Für sie?!“ Das klang schon übertrieben entsetzt.
„Ihre Brüder interessieren sich ja sehr stark dafür was Selina macht.“ „Ach Aiden kennen sie also auch schon. Gut gut, der wird sich schon kümmern. Wo ist sie überhaupt?“ „Unterwegs aber sie können gern auf sie warten, wenn sie sich versichern wollen.“ „Und ob ich das werde. Hat sie das Cabrio etwa wegen ihnen gewollt?“ „Fragen sie sie, wenn sie zurück ist.“ Damit wollte Jamiro ihn links liegen lassen aber er hielt ihn zurück. „Ich breche ihnen die Finger, wenn sie sie anfassen.“ „Keine Sorge. Es ist eher anders herum.“ Grinsend entkam er noch bevor sein Gegenüber seine Aussage vollständig kapiert hatte.
Zu Fuß machte er sich dann auf den Weg zu Tobias. „Scheiße!“, fauchte er als ihm die Wohnungstür geöffnet wurde. „Jam? Ist das deine neue Taktik gegen Liebeskummer?“ Hektisch wurde er ins Innere gezogen. Vermutlich dachte er auf Grund seiner verspannten Haltung, das er Schmerzen hatte. „Liebeskummer? Sag bloß, das mit Lola klappt nicht.“ „Doch schon aber eine Fernbeziehung ist echt anstrengend. Ich würde sie gern bitten herzuziehen aber soweit sind wir vermutlich noch nicht.“
„Ich seh schon, du bemühst dich um Ordentlichkeit.“ „Bin ja kein Schwein. Was soll sie von mir denken, wenn Bierflaschen von mehreren Wochen im Hintergrund liegen? Das sieht aus als wäre ich ein Alkoholiker. Dabei trinke ich wenns hoch kommt ein Bier wenn überhaupt in der Woche. Stimmt was nicht?“ „Ich sitzt in der Scheiße glaub ich.“ „Du? Was ist los?“ „Ich hab mich verknallt und ich bin nicht der, der ich glaubte zu sein.“ „Okay. Wer ist denn die Glückliche überhaupt?“ „Selina.“ „Ne ganz Nette. Ja passt zu dir.“
„Nur das sie sieben Brüder hat, die das nicht so sehen und ich wohl möglich auch ein Bruder bin weshalb sie heute auch so durcheinander war. Sie mag mich schon die ganze Zeit.“ „Moment, das scheint mir ein Roman zu werden. Setzen!“ Er schob Jamiro zu einem Sofa und entfernte ein paar Dinge bevor er sich setzen konnte. „So. Ich bin Ohr.“ „Herr Ichigawa, ein Forscher hat herausgefunden, das meine Eltern nicht meine Eltern sind. Das hab ich ihr gezeigt. Ich mag sie.“ „Ja aber das ist doch gut, Jam. Dann mögt ihr euch. Wieso machst du das so verwirrend?“ „Ihre Eltern sind vielleicht meine. Du hast Aiden ihren Bruder gesehen. Matthias, auch einer ihrer Brüder hat diese rätselhafte Lähmung, die eine schwächere Form meiner Krankheit sein kann.“
„Okay, das ist krass und dieser Typ kann was er tut, ja?“ „Nehm ich an. Er hatte Gründe es ordentlich zu machen.“ „OH. Ich weiß da auch nicht was du tun kannst. Vielleicht mit Aiden selbst sprechen?“ Daraufhin ergriff Jamiro sofort sein Handy. „Was tust du?“ „Das was du gerade gesagt hast.“ „Am Telefon?“ „Nein persönlich aber ich muss wissen wo er ist.“
„Wissen deine Eltern das schon?“ „Nein und ich bitte dich auch nichts zu sagen. Die Krankheit ist schon schlimm. Wenn meine Eltern auch noch erfahren, dass ihr Kind nichts ihrs ist. Ich will nicht wissen was sie dann tun.“ „Okay aber tu nichts Dummes, ja. Du kannst dich nicht durch ein anderes Kind austauschen, falls das noch eine Hoffnung dahinter ist.“
„Kannst du mich fahren?“ „Bevor du es machst.“ Tobias machte sich sofort bereit. Aiden stand vor dem Haus als sie an der herausgefundenen Adresse parkten. Er kam sofort mit mahnendem Gang auf ihn zu. „Ich bin nicht begeistert davon was meine Schwester ihnen schenkt.“ „Sind wir verwandt?“ „Was?“ Er lachte bösartig. „Wir sehen vielleicht aus wie Zwillinge, aber ich bin um die zwanzig Jahre älter. Woher dieser Schwachsinn?“ Jamiro erzählte ausführlich was ihn zu diesem Verdacht bewegte.
„Matthias hat sich schwere Verletzungen am Rücken zugezogen. Es sind Phantom-Schmerzen, die bei einer falschen Bewegung seine Beine lahm legen. Er sagt nur er wisse es nicht. Aber wenn sie ganz sicher gehen wollen.“ Kompromisslos riss er sich ein Haar vom Kopf. „Prüfen sie das.“ Damit wollte er auch kein weiteres Wort mehr an ihn verschwenden. Er ging sofort wieder seine Wege. Zu nächst zögerte Jamiro noch was die Haarprobe an ging. Dann aber wollte er es tatsächlich für sich wissen.
Sein nächster Schritt, war dann sein Elternhaus. „Du siehst blass aus.“ entgegnete sein Vater, der ihm geöffnet hatte. „Kann ich rein kommen? Ich glaub, das solltet ihr von mir hören. Irgendwie wirkte die überrascht hochgezogene Augenbraue geschauspielert. „Schlechte oder gute Nachrichten.“ Warum fragte er eigentlich, wenn er sich dessen schon bewusst war? „Ich glaube es sind eine Gute und eine Schlechte.“
Jamiro blieb vor dem Tisch stehen, an dem seiner Mutter saß. „Du erzählst uns vermutlich nur eine.“ Stöhnend nahm sein Vater platz. An den Augen seiner Mutter sah er, dass sie sich bemühte nicht hysterisch zu werden.
„Ichigawa hat nen Test gemacht.“ Dummer Anfang, spottete ein Gedanke über ihn. „Ich …“ Er bekam einfach keinen Ton mehr raus. „Wir wissen, das du diesen Forscher weggeschickt hast.“ Die Stimme hielt noch ihren Zorn zurück. „Seine Tochter ist gestorben.“ „Seine Tochter!“ Seine Mutter schlug auf den Tisch und sprang auf. „Immer die Anderen nie du! Denk doch einmal an dich. Dieser Forscher hätte dir vielleicht helfen können. Willst du unbedingt sterben? Das war deine Chance. Verstehst du denn nicht?“ Sein Vater stand auf und drängte sich zwischen die beiden.
„Wir wollten Ruhe bewahren. Das bringt so nichts und du setzt dich, du siehst echt nicht gut aus. Hast du gegessen und getrunken?“ Genau in dem Moment wo er antworten wollte schien ihm der Schmerz dazwischen zu kommen. „Wo ist deine Masseurin?“ „Ist das überhaupt deine Krankheit?“ Sein Vater brachte ihn mühsam zum Sofa.
„Schatz beruhige dich. Seine Schmerzen sind nicht so schlimm wie es gerade ausgesehen hat.“ Seine Mutter stellte sich zu seinem Kopf. „Hast du deine Tabletten genommen?“ Er nickte. „Du darfst dich doch nicht anstrengen, wenn du sie nimmst. Benutze doch deinen Kopf.“ Die mahnenden Worte klangen eher weinerlich. Mehr denn je konnte er spüren, wie sehr sie Angst hatten ihn zu verlieren aber er musste es ihnen sagen. Vielleicht war es ja irgendwie gut, dass es einen Anderen gab.
„Ichigawas Untersuchung war ein Elterntest.“ Beim Aufrichten stoppte ihn sein Vater ruppig. Dabei fiel ihm sein Kartendeck so ungünstig heraus, das es mit dem Aufstehen seines Vaters unters Sofa rutschte. „Er glaubt er war nicht bei der Sache aber er hat den Test wiederholt und er war negativ. Bei euch beiden.“ „Du redest Unsinn. Natürlich bist du unser Kind.“
Sein Vater erwiderte überhaupt nichts. Stattdessen suchte er die Verpackung. Ein Lachen folgte. Natürlich glaubten sie ihm nicht. Wie dumm überhaupt war der Gedanke, das seine Eltern ihn so einfach ersetzen konnten. Es gab bestimmt keine Eltern, die ihr Kind mit solch einer Liebe erzogen hatten wie sie.
„Vergesst es, okay? Das Zeug mach mich ganz wirr im Kopf.“ Vor Müdigkeit verschwamm ihm bereits die Sicht. Dennoch sah er, dass er seinen Vater verletzt hatte. „Ruh dich aus.“ Das musste er ihm nicht wirklich sagen. Rasch war er weggetreten.
„Was ist los?“, hörte er seine Mutter dennoch. „Erinnerst du dich als uns die Hebamme das Kind brachte?“ „Er hat geschrienen als wollten sie ihm etwas böses. Wie könnte ich das vergessen?“ „Als er da war hatten sie kein Ton aus ihm raus gebracht.“ „Das heißt doch nichts. Sie hatten uns ihn nichtmal gezeigt.“ „Das ist es ja. Die Krankheit ist erblich und wenn wir sie nicht haben dann …“ Entweder fiel hier nach kein weiteres Wort mehr oder aber Jamiro war tiefer eingeschlafen.
Als er wieder zu sich kam blickte er auf Selinas Rücken. Sie hatte sich vermutlich ohne groß nachzudenken zu ihm gesetzt. Nach einer kurzen Überlegung strich er ihr behutsam über die Seite. Sie erschrak aber irgendwie nicht so als wäre sie komplett überrascht. „Du bist wach. Schön.“ Das hingegen klang überhaupt nicht so wie sie das sagte. Er schmunzelte nur angestrengt.
„Wie geht’s dir? Hast du Schmerzen?“ Er schüttelte mit einem erneuten Lächeln den Kopf. Dann wollte er sich aufrichten, das aber wie fast schon üblich gestoppt wurde. „Ich …“ Er ließ sich stoppen und wartete geduldig auf ihre Fortsetzung. „Ich zieh für ein oder zwei Tage zu Hektor. I … i … ich meine, ich nehme mir Urlaub. Ich hab Tobias gebeten ein Auge auf dich zu haben.“ „Ein Aufpasser?“ „Du bist nunmal kein Stück vernünftig, auch wenn dus versuchst. Außerdem finde ich du solltest wieder an Tricks arbeiten. Wie auch immer, im Notfall könnt ihr mich erreichen.“
Für einem Moment wollte sie ihm wieder näher kommen, hielt sich dann aber selbst zurück. „Okay. Nimm dir zwei Tage.“ „Danke. Dein Vater fährt dich dann nach Hause, wenn du wieder zu Kräften gekommen bist.“ Nachdem er einige Stunden zu Hause war schaute Tobias vorbei. „Na klappt wohl auch nicht so wie.“ Tobias starrte auf den Tisch, den sein Freund aus der Gewohnheit heraus für Zwei gedeckt hatte. „Krass wie schnell einem jemanden fehlen kann. Ich mag sie wohl echt ziemlich.“
„Deine Werkstatt ist ja auch wieder offen.“ „Ich hab versucht ihrem Rat zu folgen aber es ist schwierig an etwas zu arbeiten, wenn man den Zweck dahinter nicht mehr sieht.“ „Ist die Freude denn nicht auch ein Grund? Schließlich hast du genau deshalb mal damit angefangen.“ „Stimmt aber irgendwie fühl ich mich da drin als könnte ich keine Schraube von einem Hammer unterscheiden.“ „Spätestens wenn du deinen Finger triffst wirst dus merken. Der Hammer quetscht die Schraube sticht.“ Er lachte stumpf über seinen Witz.
„Isst du mit?“ „Ja sicher.“ Wie üblich verbarg Jamiro, das ihm jeder Bissen schmerzte. „Lass uns ein Film gucken“, sagte er später nachdem er ein Bier für seinen Freund geholt hatte. Tobias mied es zu erwidern. Lieber sorgte er dafür, das sein Freund schnell wieder platz nahm. Er knipste den Fernseher an und setzte sich zu ihm. Zwischen zwei Schlucken Bier schlug er vor, ihm eine Ersatzmasseurin zu suchen. Jamiro lehnte dankend ab. „Ich halt das schon aus die zwei Tage.“ Das schien gelogen nachdem er geschwächt schon bei einem viertel des Filmes neben ihm einschlief.
Am nächsten Tag schleppt ihn sein Freund noch vor dem Essen aus dem Haus. Natürlich wusste er bereits, das er ihn zu einem Massagesalon brachte. „Du bist so nachdenklich heute“, stellte er fest als sie Warteten. „Ich glaube Selina kommt nicht wieder.“ „Blödsinn, das denkst du nur weil du verknallt bist.“ „Es ist ja nicht nur das ich potenziell ihr Bruder bin.“ „Nicht?“ „Sie wollte hauptsächlich weg, weil sie sich nicht erlauben möchte sich in mich zu verlieben.“ „Ja gut als Geschwister, wäre das ja sogar strafbar. Echt so ein Mist kann nur dir passieren. Wo willst du hin?“ „Weg hier. Kannst ja mitkommen.“ „Aber …“ „Ich hab ohnehin gerade keine Schmerzen. Ich will einfach nur an die frische Luft.“ Vermutlich konnte er ihn eh nicht aufhalten also ging er ihm nach.
„Hast du deine Tabletten genommen?“ Stur lief er weiter voran aber hätte er ein Ja antworten müssen, wäre er sicherlich schneller gelaufen. Tobias hetzte neben ihn. „Kann ich dich um etwas bitten?“ „Klar. Was willst du?“ „Ich hab das Gefühl, das Selina nicht bei ihrem Bruder sein sollte. Kannst du vielleicht schauen, wies ihr geht?“ „Klar wenn du mir sagst wo sie ist.“ „Weiß ich nicht.“ „Ich finds raus Jam, kein Problem.“ „Danke.“ „Kein Ding.“ Nach einigen weiteren Schritten setzte sich Jamiro hin.
„Sorry aber irgendwie bist du seit zwei Tagen wirklich kaum fit. Du sagst uns doch wenn es schlimmer wird.“ „Ich bemüh mich.“ Er grinste verschlafen. Damit setzte sich Tobias seufzend neben ihn. Warum auch immer brachte es den Magier zum Lachen. „Was ist?“ „Ach nur das ich gerade an meine Psyche gedacht habe.“ „Und das ist witzig?“ „Schon. Es ist meine und ich verstehe es sogar irgendwie.“ „Na dann klär mich mal auf du Psychologe.“
„Ich beschäftige mich unterbewusst die ganze Zeit damit wer ich bin und eigentlich bewusst irgendwie damit was ich machen soll wenn sie tatsächlich meine Schwester ist. Selina würde sagen mein Kopf ist durcheinander.“ Er lachte erneut. „Und was machen sie jetzt Herr Psychologe.“ „Ich denke, ich sollte aufhören zu denken, dass tut mir nicht gut, wie man sieht. Vielleicht sollte ich mir Morgen meine Eltern schnappen und mit ihnen einen Trick aus meinem Computer bauen. Ich hätte Lust dazu auch wenn ich es vermutlich bereuen werde.“
Wie gesagt fragte er am nächsten Tag bei seinen Eltern nach. „Seit wann darf denn jemand in deine geheime Werkstatt?“ „Heute. Für meine Blödheit neulich und ein bisschen vielleicht auch das ich mir nicht mehr so arrogant vor komme.“ Seine Mutter umarmte ihn strahlend. „Das du es aber später nicht bereust. Viermal linke Hände ergeben immer noch kein rechts.“ Die aufgeheiterte Stimmung tat allen wirklich gut. Insbesondere Jamiro hatte danach vier Tage lang keine Schmerzen oder Schwächeanzeichen.
Am vierten Tag hielt er den Brief von dem Labor in der Hand wohin er die Haarprobe geschickte hatte. „Soll ich?“, fragte Tobias, der ihm heute lieber eine Suppe gebracht hatte. „Ich muss was testen.“ Was auch immer Jamiro vor hatte er reichte den Brief an seinen Freund und stapft zu seinem Kartenregal. Er entnahm drei lose Karten und ein komplettes Deck. Damit setzte er sich zurück.
Aus dem Deck entfernte er die Herz drei, die Herz sieben und den Pik Buben. Dafür schob er die drei losen Karten rein, die genau diese Symbole auch hatten. Er mischte es und reichte den Stapel an Tobias. „Was soll ich damit?“ „Mischen.“ „Okay und was ist dein Test.“ „Die Karten die ich gerade eingetauscht habe werde ich ziehen.“ „Ich verstehe es immer noch nicht aber hier.“ Tobias legte ihm den Stapel auf den Tisch und nahm die halbvoll Bierflasche vom Boden auf. Dort stand bereits eine Leere. „Dann mach mal“, spornte er ihn an ehe er schließlich trank.
Jamiro nahm den Stapel an sich. Die erste die er auf den Tisch legte war der Pik Buben. Als Zweites folgte die Herz drei. Die letzte Karte wollte er nicht ziehen. „Jam … Ich … ähm.“ Tobias klang seltsam. Irgendwie so als hätte er etwas unheimliches gesehen. Nach längerem Zögern zog er die letzte Karte ohne auf seinen erschrockenen Freund zu reagieren. Die Herz sieben. Zornig riss er danach sofort den Brief an sich. Es war nicht gerade verwunderlich, das er versehentlich auch gleich ein Drittel des Schreibens mit abriss.
Nachdem er es gelesen hatte knallte er alles samt auf den Tisch und sprang auf. „Was hast du vor?“, fragte sein Freund noch völlig perplex von dem was er für einen Augenblick noch gesehen hatte. „Selina holen! Ich hol sie zurück und wenn ich mich dafür prügeln muss.“ „Du?“ Damit schien er wieder beim Alten zu sein. „Ich werd mich auch mit Aiden prügeln wenn sein muss.“ „Ach du scheiße.“
Dem Magier gingen offensichtlich gerade alle Gäule durch. Zu Fuß durchquerte er die halbe Stadt und schlug diesem Hektor Herz beinahe die Tür ein. „Hey!“ schrie Aiden sehr laut und riss ihn zurück. „Du willst Ärger?“ Jamiro stürzte in den Baustellendreck, stand aber sofort wieder auf. „Wenns nicht anders geht?“ „Leute, Entspannung bitte ja.“ „Was willst du Wurm? Bist du sein Bodyguard oder was?“ Jamiro nutze die Ablegung um ihn einen Seitenhieb zu verpassen. Sein Gegner zuckte nicht einmal schleuderte ihn aber beinahe mühelos in Richtung des Hauses.
„Hau ab!“ Während sich der Magier mühsam wieder aufrappelte erklang entfernt Selinas Stimme. Sie hatte offenbar Aiden gehört. „Deshalb!“ Er riss ihn wieder auf die Beine. „Aiden, Hektor hat mich eingesperrt. Ich komm nicht raus.“ „Was?! Absichtlich oder was?“ Er stieß Jamiro wieder in den Dreck.“ „Ich wollte zurück zu meiner Arbeitsstelle. Da hat er mich eingesperrt der Depp. Hol mich bitte raus ja. Ich bin im Badezimmer.“
Jamiro stand wieder neben ihm und reichte ihm ein Stein. Dieser flog aber auch fast sofort durch ein Fenster. Im Anbetracht seiner Muskel kam der dünnere Arm besser durch das Loch und öffnete ihnen den Zugang. Es war auch er, der als erstes hineinstieg und sich auf die Suche machte.
„Hier?“ „Jamiro du aber ich hab doch Aiden gehört.“ „Ja er ist auch hier.“ Kaum hatte er die Tür aufgeschlossen flog ihm Selina um den Hals. „Entschuldige. Ich wollte wieder kommen, ehrlich. Wie geht’s dir? Das war bescheuert von mir. Ich hab dir nicht mal Ersatz besorgt. Du hattest doch hoffentlich nicht so viele Schmerzattacken in meiner Abwesenheit? Ich frage später besser Tobias aber dir geht’s gut ja.“ Schmunzelnd meinte er nur dazu: „Das wollte ich eigentlich dich fragen.“ Beschämt wich sie von ihrer Umarmung zurück.
„Wir sind keine Geschwister.“ „Woher?“ „Ich bin immer noch Magier. Ich weiß was du denkst.“ „Unheimlich.“ Jamiro hielt sie fest und ging wieder näher. Er küsste sie obwohl Aiden ihm im Hintergrund dafür wohl umbringen wollte.
Mit Selina an seiner Seite ging es Jamiro wieder erstaunlich gut. Eigentlich zu gut aber das Vernunft bei ihm nicht wirklich existierte ist wohl inzwischen mehr als bekannt. „Komm runter da oder mach es wenigstens wenn ich da bin, du Esel.“ Er lachte und schraubte einfach weiter an der Birne.
„Wie wars beim Arzt?“ „Wie schon? Der denkt auch nur, ich wäre Magersüchtig und dafür bin ich jetzt zwei Stunden in dem blöden Wartezimmer gesessen. Blöder Besserwisser.“ Selina nahm verärgert auf dem Sofa platz. Was nun auch Jamiro herunterkommen ließ.
„Entschuldigung. Das nächste Mal geh ich als Bestrafung mit, ja?“ „Ich sollte dich mitnehmen. Du bist schon wieder leichtsinnig.“ „Ich lass mir ungern alles verbieten. Was ist also mit dir bist du aus dem gefährlichen Bereich?“ „Du lenkst ab!“ „Ich interessiere mich nur.“ Damit drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn.
Als er sie wieder ansah klingelte es. Seine Eltern standen vor der Tür. „Du humpelst mal nicht, was?“, scherzte er als sein Vater voran in die Wohnung kam. „Wir haben mit der Hebamme von damals gesprochen. Sie ist dement aber wir haben zumindest etwas herausbekommen.“ Seine Mutter stellte sich neben ihn. „Willst du es hören? Es ist etwas verworren durch ihre Demenz.“ Jamiro nickte zögerlich. Er hatte es wieder ganz verdrängt was er bei Ichigawa erfahren hatte.
Seine Mutter lies eine Tonaufnahme abspielen. Zuerst kam ein unrelevantes Gespräch. Wobei sie einigemale irgendwas von ihrer Arbeit einwarf.
„Was ist das?“ fragte sie dann woraufhin sein Vater antwortete, das es ein Tongerät sei. Sie wollten das Gespräch für ihren Sohn aufnehmen. „Oh Kinder sind etwas wunderbares. Sie erinnern mich an ein junges Pärchen.“ Sie begann ein Kinderlied zu summen. „Dieses junge Pärchen, sieht uns ähnlich?“, fragte seine Mutter versucht wegen ihrer Ungeduld nicht bösartig zu wirken. „Aber ja doch. Ein wirklich bezauberndes Paar. Wer sind sie?“ „Erika und Kiran Erkwin.“ Daraufhin ließ die Frau drei Jahreszahlen fallen. Das Zweite war Jamiros Geburtsjahr.
Sie wiederholte es und hängte die Bezeichnung ''kleines Teufelsengelchen'' an. Sie lachte, lies es aber etwas verwirrt wieder sein. „Ein Kind wie ein Teufelsengelchen?“ „Ja, Jamiro nannten sie ihn. Er ist ein bisschen zu früh gekommen. Zu früh und auf dem Flur im Krankenhaus.“ „Das bin ich nicht! Ich …“ „Hör zu Junge.“
„Dieser Jamiro ist auf dem Flur zur Welt gekommen?“, fragte seine Mutter nach längere Stille. „Es war nicht meine erste Sturzgeburt. Das Würmchen hat mir Leid getan.“ Diesmal stimmte sie ein anderes Kinderlied an. Es wirkte etwas düster im Vergleich zu dem Ersten.
„Was machen sie in meinem Zimmer?“ „Entschuldigen sie bitte, wir besuchen sie wegen einem Jamiro.“ „Schöner Name. Erinnert mich an ein Pärchen. Sie wollten so gerne ein Kind. Es sollte auch Jamiro heißen. Zwei Totgeburten und ein Kindstod, ihre Liebe war wirklich stark. Ich wünsche ihnen alles Gute.“ „Ich hatte zwei Totgeburten“, rief seine Mutter entsetzt. „Das tut mir Leid. Sie wären gute Eltern geworden. Das sehe ich.“
„Was ist denn mit Jamiros Eltern geschehen?“ „Die Hassbrechts? Nein Moment, das war falsch. Erkwin, sie hießen Erkwin. Warum fragen sie?“ Sein Vater stoppte die Aufnahme. „Bei Hassbrechts erzählte sie leider nichts brauchbares.“ „Warum tut ihr euch das an?“ „Natürlich willst du es wissen. Wir verstehen das doch. Hmh. Wir werden sie auch finden, versprochen.“ „Mam!“ Sie schüttelte mit wässrigen Augen den Kopf. „Egal ob leiblich oder nicht. Du bleibst unser Kind. Wir haben dich schließlich erzogen oder vielleicht auch verzogen.“ Jamiro sah, das er sich das selbst einreden wollte aber auch das beide wirklich die Hoffnung darin legten. „Natürlich bleib ich das. Wer sollte denn besser sein als ihr.“
„Schön dich wiederzusehen.“ Seine Mutter ging auf Selina zu und umarmte sie. „Das du mir ihm auf die Finger haust wenn er wieder etwas Dummes macht.“ „Hey.“ „Das werd ich schon.“ Selina grinste.
„Seit ihr eigentlich nur deswegen hier?“ „Wir dachten wir unternehmen was.“ „Also du und dein Vater. Ich muss noch was erledigen und komme dann nach.“ „Ein Männerausflug also?“ Sein Grinsen verriet, das er mehr vermutete. „Nicht ganz“, warf Selina ein. „Na dann.“ Jamiro stellte die Leiter beiseite und machte sich fertig.
„Kommt ihr?“ „Ungeduldig wie eh und je.“ Lachend folgte sein Vater zusammen mit Selina. „Kannst du abschließen? Der Schlüssel liegt noch auf dem Esstisch“, rief er seiner Mutter zu.“ Diese beeilte sich dabei die Bitte zu erfüllen und warf ihm den Schlüssel zu. „Danke.“ Wieder hatte er ein Grinsen, das ihn irgendetwas vermuten lies. „Dann kommt“, befahl er und drang die anderen beiden vor sich her. Seine Mutter lief gemächlich zum Auto aber sie schien nicht wirklich in diese Richtung zu wollen.
„Und jetzt?“, fragte Jamiro erheitert an einem dreigeteilten Weg. Ein Schotterweg führte an einem Hang hoch, ein weiter verlief daran vorbei, während der Dritte in ein Tal führte. „Du hast den ganzen Weg noch nichts getrunken und sie auch nicht.“ Selina drängte den beiden Männern eine Wasserflasche auf. Ihre war schon zur Hälfte leer.
Kommentarlos wollte sein Vater wohl ein gutes Beispiel sein und trank es gleich komplett. Jamiro befolgte es ebenfalls schmunzelnd. Währenddessen hob Selina einen Regenwurm vom Boden auf und setzte ihn in die Wiese.
„Hier, bevor du noch zertrampelt wirst.“ „Deine Lieblingstiere?“ „Nein, das erinnert mich an eine Methode, die sich Aiden einfallen lies, um Hektor einen Streich heimzuzahlen. Er hat heute noch Angst vor Schlangen.“ „Weil er einen Wurm für eine gefährlich monströse Schlange hält?“ „So nicht ganz aber auch nicht schlecht. Aiden hat ihn eines Nachts eine Blindschleiche auf den Kopf gelegt. Er hatte stundenlang geschrienen, bis er sich erbarmte und die ''Schlange'' entfernte. Das war echt lustig.“ „Glaub ich aber es waren wohl auch alle wach.“ „Ja. Unser Vater fand das überhaupt nicht witzig.“
Jamiros Vater steuerte den Hang an. „Du und dein Bruder Aiden seit weit auseinander vom Alter“, warf sein Vater mal einfach so in die Runde „Achtzehn Jahre.“ „Bestimmt hat man ihn häufig für deinen Vater gehalten.“ „Ja schon aber die meiste Zeit war er in Amerika. Da wussten es die Leute lustigerweise.“
„Du warst viel bei ihm? Dann wundere ich mich nicht, das er denn besseren Bezug hat.“ „Nur wegen Sallys black fire.“ „Wer ist das denn?“ „Ein Pferd. Ein Quarter-Horse um genau zu sein. Ich bin früher sogar Turniere mit ihm gelaufen.“ „Ich nehme an, es war schwarz und Selly steht für Selina.“ „Fast. Also das mit Black hab ich nie verstanden. Er war eigentlich ein Palomino also blond so zusagen und Selly steht tatsächlich für mich. Aiden hat immer behauptet, das er bei keinem besser laufe als bei mir. Ich muss dir das mal zeigen.“
Den Aufstieg hinter sich gebracht fanden sie eine Bühne und eine Menge Stühle vor. „Eine Überraschung. Wer hätte das gedacht?“ Kreuz drei tauchte auf. „Wenn der Magier nicht mehr zu uns kommt holen wir ihn uns einfach. Als sie ihn umarmte bemerkte er, das sie einen Ring trug.
„In deinem Leben gibt es wohl auch wieder jemanden. Schön.“ Sie lächelte aber da hielt ihm auch schon jemand von hinten die Augen zu. „Und wer bin ich?“ „Ich dachte, du kommst nur selten wieder, Eleonora.“ „Ach so lang ich fliegen kann komm ich auch mehrmals in ein Land.“
„Bist ja ganz schön umzingelt“, meldete sich der Nachbarsjunge zu Wort. Bei ihm saßen Aron und Josefine. Als Jamiro etwas sagen wollte stellte sich Pik zehn zu ihm. „Na“, mehr sagte sie nicht und strich über seinen Arm.
„Ich …“ Beim vorbei huschen der Enkelkinder von Karo König und dem Karo zwei Jungen verstummte er. Der Blick, der sie verfolgte, führte ihn zu Aiden und seinem Nachbar. Zu ihnen gesellten sich Vater und Onkel des Karo zwei Jungens. „Hey nicht so wild ja“, rief der Vater der anderen Kinder. An seiner Seite stand seine Frau.
„Das ist unser Grundstück, ich hoffe sie sind es wert.“ Diese Aussage stammt von Annemarie von Altenfels, die von ihrem Vater und drei Bodyguards begleitet wurde.
„So viele.“ „Na bin ich wohl doch nicht die Einzige, die dich überraschen kann. Dein Freund ist auch irgendwo hier mit seiner Schwester. Lola konnte leider nicht.“ Während Selina das erzählte bekam er eine Nachricht aufs Handy. „Hallo“, stand dort im Chat mit einer Nelli. „Bereit für eine spontane Show für uns.“ Nelli kam ebenfalls in den Ring an Frauen. Sie grinste.
„Meine Güte ich hab schon ganz vergessen, das ich bekannt war.“ Etwas verlegen kratzte er sich am Hinterkopf. Selina regte sich und flüsterte dem Magier etwas zu. Er lachte und kündigte schließlich an, das die Show gleich beginnen würde. „Nelli, möchtest du mir mit deinen beiden Kakadus assistieren?“
Auf ihren Schultern kamen ein schwarzer und ein weißer Kakadu unter den Haaren hervor. „Kartentricks, Kartentricks“, begann der Schwarze ganz aufgeregt zu sprechen. Der Weiße stellte lediglich sein Kamm auf. „Kartentricks, Kartentricks“, krächzte er noch viel aufgedrehter und flog davon.
„Ich hol ihn dir“, meinte Jamiro hastig und lief los. Allerdings schien sich die Besitzerin selbst keine Sorgen über ein Verschwinden zu machen.
Der schwarze Kakadu setzte sich auf einen Ast, hoch oben in einem Baum. Schwafelnd sorgte er dafür, das ihn Jamiro schnell ausmachen konnte. „Wenn ich meine Karten auspacke stiehlst du sie. Hab ich recht?“ „Stehlen?“ Er flatterte auf einen Busch in Jamiros Nähe herunter. „Blacky keine Elster.“
Ganz langsam pirschte er sich an den Vogel heran. Er hatte ihn fast. Doch dann ein Husten. Von ihm kam es nicht aber wer dann? Der Vogel flog hoch und landete auf seiner Schulter.
Schließlich fand er eine Frau hinter ein paar Büschen. Sie hustete und vor allem stach ihm der Geruch von kalten Zigarettenrauch in die Nase. „Sie sollten nicht rauchen“, meinte er und reichte der erschrockenen Frau die Hand. Zögerlich kam sie ihm entgegen. Ihr Arm war überseht mit blauen Flecken.
„Sind sie gestürzt? Wieder erschrak die Frau. Fast so als hätte sie einen Schlag erwartet. Schließlich packte sie dann doch relativ entschlossen seine Hand und ließ sich aufhelfen. Dabei sah der Magier nun ein dickes Buch gefüllt mit allerlei gepressten Blättern. „Schönes Hobby. Darf ich sie zu meiner Show einladen?“ Sie hob ihr Buch auf, dass sie sehr offensichtlich mit niemanden teilen wollte. Dann ging sie ein paar Schritte voran und warf ihm einen fragenden Blick zu. Er lächelte sie bestätigend an und führte sie zu den Anderen.
Gern hätte er sie vorgestellt aber sie platzierte sich sofort auf dem erstbesten Stuhl. Damit entschied er sich sie erst einmal in Ruhe zu lassen.
„Hier hast du deinen Blacky wieder.“ Er ließ den Ausreißer auf ihre Schulter hüpfen. „Du hättest ihn nicht suchen müssen. Er kommt immer zurück“, erklang eine mechanische Stimme. „So. Na ja jetzt ist er aufjedenfall wieder da. Dann lass uns mal beginnen.“ Eleonora begann hinter ihm zu kichern ehe sie dann Selina mit auf einen Platz zerrte. Nach den Beiden suchten auch die Anderen ihre Plätze auf.
„Also …“ begann er sich ein Programm auszudenken. Mit Feuereifer unterhielt er die Gruppe fast zwei Stunden lang. Eigentlich wollte er noch lange nicht aufhören aber Nelli zwang ihn hinter der Bühne dazu. Sie setzte ihm ihre beiden Kakadus auf die Schultern, von dem der Weiße ein paar Karten im Schnabel hielt. „Ihr seit wahrlich die Vögel einer Magierin“, lachte er als ihm der schwarze Kakadu insgesamt vier Zweieuromünzen und zwei Eineuromünzen auf den Schoss schmiss.
„Gut wenn ihr auch ein Trick wollt lasst mich mal überlegen. „Was haltet ihr hier von?“ Er nahm dem Weißen seine Karten ab. „Hierbei ist keine Herz neun, richtig? Überhaupt eine düstere Auswahl du hast ja nur schwarze Kartensymbole genommen.“ Der Schwarze krächzte und antwortete schließlich. „Keine Herz neun. Keine Herz neun.“
„Was meinst du Boris? Ist unter diesen Karten eine Herz neun?“ „Nicht Eine auch nicht Mehrere, lach. Bin ein Philosoph, ein Kuss erlöst mich aber nicht.“ „Das ist Schade Boris aber ich kann dir sagen, das du magische Kräfte hast. Denn du wirst aus diesen Karten die Herz neun zum fliegen bringen.“ Wie so oft stellte Boris seinen Kamm auf. Damit hob auch schon kurz eine der Karten leicht ab.
Das reizte den Vogel offenbar um mit den Flügeln zu schlagen. Diesmal hob die gleiche Karte etwas höher ab und blieb auch so lange oben wie er schlug. So bald er schwächer wurde sank die Karte wieder ab.
Blacky fühlte sich wohl benachteilige, da er mitzumachen begann. Hiervon flog die Karte nun fast bis oben an die Decke. Das Symbol war tatsächlich die Herz neun.
„Schluss jetzt!“, ertönte die mechanische Stimme. So wie die Vögel aufhörten zu schlagen, fiel auch die Karte wieder herunter. Selbst Jamiro sackte kurz zur Seite. ''Alles gut'', fragte ihr besorgter Blick. „Nur etwas müde.“ ''Ich hol dir jemand'' stand auf ihrem Handy, das sie ihm hin hielt. „Nicht nötig“, nuschelte er aber sie war schon fortgeeilt.
Als sie mit seinen Eltern und Selina zurückkehrte lag er am Boden. Selina wollte sofort helfen, doch sein Vater bremste sie aus. „Ihm geht’s gut. Er ist nur erschöpft. Lassen wir ihn schlafen, damit er später mit uns zurücklaufen kann.“ „Wir sollten ihn lieber fahren“, warf die Mutter besorgt ein. „Das sagt er schon.“ Nelli, die kurz ein weiteres mal weggeeilt war legte dem Magier nun zwei Sitzkissen unter den Kopf.
„Ich muss leider los“, ertönte Nellis Text. „Mach nur. Der Sturkopf komm schon gut nach Hause“, antwortete Selina, die sich auch sofort zu ihm setzte. Nach Nelli entschlossen auch die Eltern sich abzuwenden. So saß nur noch Selina da als er aufwachte.
„Hey. Bin wohl eingeschlafen, was?“ „Ja, du hast es etwas übertrieben. Wie geht’s dir?“ „Müde aber das ist alles.“ Dem schwerfälligen Aufrichten zur Folge waren ihm wohl die Beine eingeschlafen. „Ich helf dir mal. Warte.“ „Habt ihr es genießen können?“ „Du weiß wie gern ich dir bei deinen Tricks zusehe. Du machst das mit so viel Leidenschaft.“ „Das freut mich.“
Anscheinend nickte er noch einmal kurz ein. „Entschuldige.“ „Schon gut. Ich hätte dir vielleicht nicht sagen sollen, das du auch immer noch einen Fan-Club hast.“ Sie lächelte. „Trotzdem. Ich bereue es nicht. Du hast uns eine wirklich schöne Show geliefert und schau mal.“ Selina hob ihren Worten widersprechend überrascht eine Herz neun Karte vom Boden auf. Etwas träge nahm er es ihr ab. „Eine von Pik Ass Karten. Es wäre schön sie alle wieder zu haben. Allein der Erinnerung wegen.“ Mit dem Anziehen seiner Beine gab er die Karte wieder an sie zurück.
„Gehen wir?“, fragte er als er stand. Sie nickte und hackte bei ihm unter. „Danke für die Überraschung.“ „Ach du hast es doch schon wieder geahnt, stimms?“ Seine Mutter umarmte ihn schluchzend. „Schon aber die Ausmaße hatte ich wohl unterschätzt.“ Er blickte zu seinem Vater der irgendwie mahnend drein schaute. „Machen wir uns auf den Rückweg.“ Genau das wollte keiner von ihnen hören und er wusste es. Zumindest zog er Selina schnell mit sich.
Kurz vor dem Hang brachte sie ihn wieder zum stehen. „Hast ja recht“, knurrte er ohne das sie etwas gesagt hatte. „Kannst du fragen, ob sie herfahren?“ Sie lächelte und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Während sie zu seinen Eltern lief ging seine Mutter zu ihm. „Deine Show war wirklich schön“, meinte sie und nahm auf einem Stuhl in seiner Nähe platz. Mit Sicherheit sagte sie das nur, um ihn unterschwellig für seine gerade noch so Vernunft zu danken.
Seufzend wandte er sich ihr zu. Sie lächelte. Seltsam er sah ihr keinerlei Sorge mehr an. Etwas zögerlich lächelte er zurück und ging mit ihr an die Stelle, wo sie zuvor gestanden hatten. „Die Frau!“ „Meinst du die, die du zusammen mit dem Kakadu gefunden hast? Sie ist irgendwann aufgesprungen und davon gelaufen. Es war ihr wohl unangenehm, das sie so schlimm Husten musste. Was hat sie denn?“ „Ich weiß es nicht. Ich kann nicht sagen, ob da überhaupt was war.“ Grübelnd kratzte sich Jamiro an der Stirn.
„Du solltest dich ausruhen, dann weißt du vielleicht was es war. Hmh?“, meinte Selina und versuchte ihn gleich auf aufzumuntern. „Meine Vernunft schlägt wieder zu.“ Er lachte laut. „Schon gut. Ich leg mich zu Hause schön brav ins Bett.“ Ohne zu denken küsste er sie. Es war ihm dann etwas unangenehm als ihm wieder einfiel, das seine Mutter noch bei ihnen stand. „Kommt ein paar Schritte müssen wir dem Auto entgegen gehen“, beendete sie die Situation.
„War das blöd von mir?“ Beschämt fragte er das als er mit Selina alleine Zuhause war. „Du bist komisch und manchmal etwas unheimlich mit deiner Gabe aber sie versagt auch schon mal hmh.“ Sie gab ihm einen Kuss zurück und schob ihn dann zum Sofa. „Ich mach uns Essen.“ Kaum hatte sie mit dem Kochen begonnen war Jamiro wieder eingeschlafen. Das bekam sie erst mit als er zum gerichteten Tisch nicht aufstand.
„Na.“ Sie setzte sich zu ihm. Als sie beschloss ihn vorsichtig zu wecken zögerte sie. Dann ließ sie es lächelt sein. Nach etwas Zeit zog sie seine Karten hervor. „Was machst du? Willst du mir einen Trick zeigen?“ „Warum nicht?“ Sie hob ihm den Kartenstapel hin. „Zieh eine.“ „Irgendeine oder von oben?“ „Eine egal wo aus dem Stapel.“ Verschlafen zog er eine etwas über der Mitte heraus. Er sah sie an und grinste. Es war die Herz neun, die er heute zurück bekommen hatte.
„Und dein Trick?“ Selina drehte die Karte um. Ein getrocknetes Blatt klebte auf der Rückseite. „Zufall?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ein Magier verrät seine Tricks nicht aber ich weiß das die Karte jemand gehört. Dieser jemand ist die Frau heute auf deiner Show.“ Er lächelte. „Richtig. Ich kann es scheinbar nicht lassen Karten zu verteilen.“
Er setzte sich hin und zeigte ihr, das seine Hände leer waren. Anschließend legte er beide Handflächen aufeinander. Beim Öffnen präsentierte sich die Herz acht Karte. Selina stoppte sein weiteres Tun in dem sie nun die Hand auf die Karte legte. „Lass uns essen okay. Es wird sonst noch kalt.“ Während sie aufstand lag ihre Hand noch auf. Erst, wo sie sich umdrehen wollte um zu gehen, ließ sie davon ab. Die Karte hatte sich nun zum Herz Buben gewandelt. Es schien den Magier irgendwie selbst zu überraschen.
„Ach tu nicht so“, kicherte Selina. Irgendwann schien sie ihm dann doch zu glauben. Er lachte und nahm mit der freien Hand die Karte herunter. Umgedreht führte er sie während dem Aufstehen zum Tisch. Dort legte er sie wieder mit dem Motiv nach oben ab. Wie zu Beginn zeigte es die Herz acht.
„Man“, schmollte sie mit verschränkten Armen. „Ach komm schon, es hat dir doch gefallen.“ „Nö. Ich hätte gern eine Rose gehabt. Eine weiße oder ne bunte.“ „So. Hm.“ „Oh nein. Vergiss es. Das war keine Bitte sofort wieder was zu machen. Du isst jetzt und dann ruhst du dich aus.“ „Punkt?“ „Ja Punkt.“ Er lachte über ihren Versuch so ernst zu bleiben und legte den Arm um sie.
„Gut dann essen wir. Was hast du denn gemacht?“ „Nichts besonders.“ Erstaunlicherweise bekam er wieder einmal keine Schmerzen beim Essen. Trotzdem oder gerade deshalb verdeutlichte Selina noch einmal das er sich ausruhen sollte. Gelangweilt starte er die Decke von seinem Schlafzimmer an. Er hörte das Selina telefonierte. Sie bat Tobias zum Detektiv zu werden. Er schmunzelte und dachte an die Begegnung mit Herz neun.
Brauchte sie Hilfe? Der Husten wäre nichts wobei er ihr helfen könnte. Ihre Erscheinung war auch zu gepflegt um eine Obdachlose zu sein. Das Einzige was ihm einfiel, waren ihre blauen Flecken. Nicht gerade wenige aber sie war auch etwas tollpatschig beim Laufen. Fast so als könne sie das Gleichgewicht nur mühsam halten. Er sollte es überprüfen, sobald er die Schnauze voll davon hatte auf seine Vernunft zu hören.
„Na überlegst du gerade unvernünftig zu werden?“ Selina spickte grinsend ins Zimmer herein. „Das ist mein Job Gedanken zu lesen. Bekomme ich Gesellschaft?“ „Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass ich die Herz neun deinem Freund beschrieben habe. Er wird sich mal umsehen.“ „Ich beschäftige ihn wohl mehr für so was als er noch in seiner Werkstatt ist.“ „Mach dir nichts draus. Er macht das gern für dich.“ „Schon gut aber dann drück ihm Geld in die Hand wenn er hier aufkreuzt.“ „Meinst du das nimmt er?“ „Wenn nicht sorg ich schon dafür.“
Schweigsam setzte sie sich zu ihm. Jamiro sah so leidsam aus wie er die Decke anstarrte. Noch immer ohne ein Wort legte sie sich neben ihn. Kein Wort fiel für Stunden. Für die nächsten Tage ließ er sich nicht ganz ruhig stellen aber immerhin beließ er es bei Kleinigkeiten. Vier Tage später stand Tobias völlig aufgedreht vor ihm. „Ich hab sie. Das war überhaupt nicht einfach aber ich hab sie und ich hab noch mehr und ihre Adresse und …“ „Vergiss nicht zu atmen. Sie heißt also Hassbrecht.“ „Hä. Warum weißt du das? Warum frag ich eigentlich?“ Mürrisch verschränkte er die Arme. „Keine Sorge ich habe es nicht zuvor gewusst. Ich kenn dich halt.“
Er nahm platz. „Was mach ich jetzt?“ „Na sie kennenlernen. Sie ist immerhin deine Schwester.“ „Was macht dich sicher?“ Er wollte es nicht sagen und setzte sich lieber zu ihm. „Meine Krankheit also.“ „Es kann kein Zufall sein oder? Sie heißen Hassbrecht, sie hatten eine Totgeburt genau in deinem Geburtsjahr und alle samt leiden an einer rätselhaften immer wiederkehrenden Lähmung. Wenn du willst … ich … nun ja ich habe auch das Grab ihres Kindes gefunden.“ „Es existiert noch?“, murmelte er leise. Die Antwort blieb aus, da er auch keine wollte.
„Ich weiß überhaupt nicht, ob ich sie kennenlernen möchte.“ „Jam ich kenn dich auch. Vergiss deine Krankheit.“ Mit einem Schmunzeln wandte er sich seinen Karten zu, die auf dem Tisch lagen. Selina kam im selben Moment aus dem Bad. Ohne hinzusehen sagte sie: „Ich gebe hundert Prozent, das diese Karte eben nicht in meiner Hosentasche war. Mit dem Gesicht nach oben legte sie es neben ihn.
„Vernunft?“ „Ja?“ „Ich muss was erledigen.“ Mit skeptischen Blick schaute sie kurz zu seinem Freund. „Nur zu. Ich bin so wie so gleich bei Steve.“ Sie lächelte für einen Moment blickte dann aber verwirrt auf ihre hergebrachte Karte.
„Du kannst dir freinehmen.“ „Nein. Die zwei Stunden reichen.“ Sie packte seine Karten in eine Schachtel und schob sie ihm zu. Sie grinste als sie die Hand wieder herunternahm. Unter dem Deckel lag ein abgerissenes Stück Papier mit einer Handynummer. „Notfallnummer auch für banale Schmerzen. Ich hab vergessen mein Handy aufzuladen. Da erreichst du mich aber trotzdem.“ Kommentarlos stand er auf und schob seinen Freund zur Tür raus.
„Ich komm auf deine Tricks nicht klar.“ „Welche Tricks?“ „Komm schon, warum willst du auf einmal?“ Keine Antwort fiel aber ihm war klar was er dachte und das es auch irgendwie stimmte.
Nach einer dreiviertels Stunde Fahrt ließ der Magier wieder etwas von sich hören. „Ich will zum Grab!“ Besorgt drein schauend fuhr Tobias zuerst noch an einer Straße vorbei, die zum Friedhof ausgezeichnet war. Diese nahm er dann doch als er gewendet hatte. „Ich weiß nicht Jam. Es tut dir sicherlich nicht gut.“ „Meine Mutter hatte recht. Ich will Antworten und wenn ich länger warte, dann … dann bringt mich die Wahrheit wirklich um.“ Hiermit stieg er aus und knallte die Tür zu.
Etwas verdattert folgte ihm Tobias. Es war ein sehr ordentlicher, kleiner Friedhof. Dennoch landeten sie schließlich in einer Ecke, dessen Grab völlig aus der Reihe tanzte. Zaghaft schob Jamiro das Gestrüpp am Stein beiseite. ''Hassbrecht Karl-Peter'' und sein Geburtsjahr standen völlig verdreckt darauf. Er atmete schwer. Doch noch zögerte Tobias etwas zu unternehmen. Erst als es ihm zu lang vorkam fragte er vorsichtig nach.
Er wand sich vom Grab ab. „Ich weiß auch nicht. Das fühlst sich nicht an wie ich. Trotzdem fühl ich mich irgendwie Tod.“ Er entfernte sich ein paar Schritte. „Überhaupt … Wieso ist der Name so verletzend für mich?“ Ratlos ließ sein Freund den Erklärungsversuch verstummen. Ohnehin drängte Jamiro bereits zum Ausgang.
Als er ihn wieder einholte saß er bereits im Auto. „Jam …“ „Ich bleib wer ich bin und wenn ich Arschloch heiße.“ Jamiro erstickte fast an den Ausdruck, den er wählte. „Richtig“, bekam er beinahe lautlos bestätigt. In der Hoffnung Jamiro könnte ihn bitten nach Hause zu fahren blieb er noch eine ganze Weile stehen. Das tat er aber nicht und irgendwas sagte Tobias selbst, das er es jetzt hinter sich bringen musste. „Okay“, stammelte er immer noch versucht ihm letzteres zu ersparen. „Ich fahr dich dann.“
Ohne Erwiderung ging es noch etwa zehn Minuten auswärts. Das sie am Ziel waren bemerkte er, als sie die Frau vor einem Haus gebückt stehen sahen. „Ich ruf dich an, wenn ich fertig bin.“ Er stieg aus und näherte sich ihr zögerlich. Sein Freund fuhr derweil davon.
„Hy.“ Vorlauter Schreck fiel sie um. Als sie allerdings lag schien wohl eher ihr linkes Bein versagt zu haben. „Verzeihung ich wollte dich … sie nicht erschrecken.“ Er reichte ihr die Hand aber sie wich erschrocken aus. „Dein Bein?“ Mit dieser Frage wirkte sie etwas verwirrt. „Entschuldige. Ich bin Jamiro Erkwin, dieser Magier von neulich. Erinnern sie sich? Ich hab sie hinter Büschen aufgegabelt und in meine Show eingeladen.“ Er grinste unbeholfen um zu verbergen wie seltsam das alles für ihn selbst klang.
Von ihr folgte keine Veränderung der Mimik. Stattdessen nahm sie nun doch seine Unterstützung an. Wobei er dann ihr blaues Auge bemerkte, das sich weiter über ihre Wange zog. „Sie verletzen sich häufig?“ Sie wich mit einem Laut zurück als er es sich näher an sehen wollte. „Verzeihung. Ich … Das ist ziemlich kompliziert. Ich sollte wieder gehen, was?“ Sie hinkte wieder auf ihn zu. Dabei kam sie ihm aber viel zu nah. Er wollte zurückweichen aber irgendwas ließ ihn nicht so recht.
Sie blickte ihn an und deutete bei ihm auf eine Stelle am linken Schlüsselbein. „Muttermahl“, antwortete er, nachdem er verstand worauf sie hinaus wollte. An selber Stelle zog sie ihr Shirt herunter und zeigte ihm ein identisches Muttermahl nur fünf Millimeter groß. Es sah aus wie ein zerzaustes M. Genau wie seins. Er lachte. „Sie wussten es vor mir, das wir Geschwister sind.“
Die Eingangstür zu seinem Rücken öffnete sich. „Evelin! Wie lang soll ich noch warten?!“ Die erboste männliche Stimme näherte sich von hinten und stieß Jamiro bei Seite. „Die Kippen, sofort!“ Während sich Jamiro wieder aufrichtete, übergab seine Schwester diesem Mann eine verbeulte Zigarettenpackung. „Nur eine?! Wo ist der Rest?!“ Zitternd hob sie ihm fünfzehn Cent entgegen. Seine Reaktion drauf war eine knallende Ohrfeige.
„Hey!“ schrie Jamiro und stellte sich sofort vor sie. „Was wollen sie denn?! Hauen sie ab! Und du …“ Er zerrte sie am Arm heran. „Hol mir Kippen oder willst du nicht hören?“ Bevor ihr was passieren konnte wehrte es Jamiro ab. Allerdings merkte er, das seine Gesundheit nicht mit machen wollte. Er musste schnell etwas unternehmen. Irgendwie. „Geh!“, forderte er aber sie blieb hinter ihm.
Mit starken Schmerzen und einem Black out kam er im Krankenhaus zu sich. Selina und Tobias waren bei ihm. „Er wacht auf! Man was machst du für Sachen? Ich hätte dich nicht allein lassen sollen.“ „Evelin!“, krächzte er mit aller Kraft, merkte aber wie ihm davon übel wurde. „Halt jetzt bloß die Klappe, okay! Das war schon wieder viel zu viel.“ Selinas Stimme war ohne das er sie scharf sehen konnte voll mit Tränen und Hysterie.
Er versuchte noch etwas weiteres zu sagen, musste es jedoch dann lassen. Sein Bewusstsein schwand. „Jam?“ Ihre Hände legten sich um seinen Arm. „Die Medikamente wirken wohl noch“, meinte Tobias, der anscheinend die Seite gewechselt hatte. „Jam, ich lass sie dir hier. Ich seh nach Evelin.“ Er entfernte sich bereits.
Als er das Öffnen und Schließen der Tür wahrgenommen hatte, begann Selina über seinen Arm zu streichen. „Hilft es wenigstens?“ Sein Zustand war zu sehr eingetrübt an dass er sie hätte wirklich gut anlügen können. Deshalb unternahm er gar nicht erst einen Versuch.
„Sie haben dir eine ziemlich hohe Dosis gegeben. Ich …“ Ihre Stimme versagte unter den Tränen. „Du hattest solche starken Schmerzen … Ich … Ich hatte Angst es noch schlimmer zu machen. Ich hätte mitgehen sollen. Ich …“ Er hielt ihre Hand fest und sie schwieg. „Es tut mir Leid. Ich weiß du magst es nicht wenn ich so denke aber … Versprich mir einfach das du dein Bestes gibst.“ Mit der zweiten Hand umgriff sie seine, die noch immer ihre Rechte festhielt.
Sie blieb ziemlich lange bei ihm. Bis sie dann wegen etwas wichtigem den Raum verließ. Ausgerechnet da bekam der Magier die Kraft wach zu werden. Träge gelang es ihm sogar sich hinzusetzen. Nach dieser gesamten Zeit hatte das Medikament immer noch nicht angeschlagen. Für einen Anfall ging der Schmerz aber auch schon viel zu lang.
Seine Füße berührten den Boden. Wie ein Signal darauf wurde ihm plötzlich wieder schlecht. Er zog sich langsam wieder zurück. Er hielt es für besser vernünftig zu sein. Während er hoffte endlich Linderung zu bekommen ging die Tür auf. „Evelin. Wie schön. Ich muss dich nicht suchen lassen.“ Die Frau zögerte kam dann aber rasch zu ihm ans Bett. Sie hatte das Buch bei welches die gepressten Pflanzen enthielt.
„Hy. Setzt dich ruhig zu mir.“ Die Erlaubnis hätte er nicht wirklich aussprechen müssen. Sie fiel von selbst auf den Stuhl, der am Bett stand. „Bist du eigentlich älter als ich?“ Zögerlich schob sie das Buch unter das Bett. Irgendwie schien sie seine Fragen nicht beantworten zu wollen. Nachdem das Buch lag stemmte sie sich auf und untersuchte vorsichtig seinen Arm. Als ob sie seine Echtheit überprüfen wollte. Grinsend lies er sich das gefallen. Sicherlich war es für sie genau so verwirrend einen lebendigen toten Bruder zu haben.
„Du warst viel am Grab, nicht?“ Sie stockte kurz als habe sie sich vor seiner Stimme erschrocken. Dann nickte sie gekränkt. Sie begann einen Satz, erschrak und versteckte sich dann. Erst danach hörte er auch diese Frauenstimme auf dem Gang. Jamiro erkannte sie und quälte sich aus dem Bett.
„Hier, versteck dich dort.“ Mit dem Anheben der Bettdecke hoffte er sie davon überzeugen zu können. Doch die Angst war sehr groß. „Ich werd verhindern, das sie dich finden“, meinte er angespannt und drückte den Knopf an seinem Bett. Innerhalb kürzester Zeit kam eine Pflegerin ins Zimmer gelaufen. „Rufen sie die Polizei“, ächzte er. „Die Polizei? Weshalb?“ Ruhig bleibend schob sie Jamiro auf das Bett. „Diese Frau auf dem Gang … Ich hoffe ich muss mir nicht noch einmal von ihr in den Bauch schlagen lassen. „Im Gang?“ fragte sie verwirrt nachdem sie seine Schwester entdeckt hatte.
„Sind sie ein Kakadu?“ Verärgert drängte er sie zur Seite und schleppte sich zur Tür. „Legen sie sich wieder hin, Herr Erkwin.“ Durch die offene Tür konnte er seine leiblich Mutter sehen. Sie suchte offenbar etwas. „Evelin, bleib hier und versteck dich unter der Decke! Ich versuch sie wegzulocken.“ Fest entschlossen wartete er bis sie ihn nicht sehen konnte und verließ das Zimmer. Als er ihre Aufmerksamkeit hatte versuchte er möglichst schnell zum Ausgang zu gelangen. Dort bekam sie ihn dann zu fassen.
„Sie! Wo ist Evelin, dieses Mistvieh?“ „Nicht hier wie sie sehen.“ Ein kräftiger Ruck befreite ihn von der groben Umklammerung. Was sie aber nicht abhielt zur weiter Gewalt zu greifen. Während er schmerzlich zu Boden sackte bestahl sie ihn auch noch. Zufrieden über ihre Ausbeute wandte sie sich ab. Allerdings stand ihr nun Aiden im Weg.
„Das Geld!“ Sie wollte ihn ebenfalls angreifen. Doch er konnte sich durch aus wehren. „Muss ich deutlicher werden!“ Steve und zwei Polizisten kamen hinzu. Unter heftiger Gegenwehr nahm er sie fest und überlies sie seinen uniformierten Kollegen. Dann half er Jamiro auf, der dies bereits versuchte.
„Wo ich her komm? Denken sie bloß nicht ich rette sie noch einmal!“ Er hängte sich seinen Arm um und schleppte ihn ins Zimmer zurück. Dort saß Selina auf seinem Bett mit Evelin im Arm. „Kennt ihr euch“, keuchte Jamiro und suchte sich Halt am Bett „Erzählen wir dir sofort.“
Selina stand auf und half ihm ins Bett zurück. „Ist jetzt alles geklärt?“ Aiden war gemeint aber außer einem verzogenen Mundwinkel tat er nichts zur Antwort. Sie verstand draus aber wohl ein ja, da sie sich nun wieder um ihren Freund kümmerte. „Du hast es nicht mitbekommen oder?“ Sie lächelte warum auch immer. Aiden verzog sich daraufhin brummend.
„Ich habe Steve geschrieben, das irgendetwas nicht stimmt. Einfach so ein Gefühl halt. Es war nicht leicht die Beiden zu überzeugen mit der Polizei aufzukreuzen.“ Sie lachte. „Gut das es funktioniert hat hmh. Gehts langsam wieder? Du ruhst dich noch schön aus ja.“ Ein verschlafenes Lächeln kam ihr entgegen.
„Ach ja und Evelin …“ Sie riss sie an sich. „Wir waren Freundinnen. Wir haben immer zusammen gespielt als Kinder. Stimms?“ Das bestätigende Nicken wirkte nicht gerade begeistert. „Na ja. Nach der Einschulung ging irgendetwas daneben. Sie kam entweder nicht oder war zu kraftlos um teilzunehmen. Dann hieß es plötzlich sie sei verstorben.“ „Ich hab Haushalt gemacht.“ Evelins Stimme zitterte. Überhaupt begann sie vor Angst nervös mit ihren Händen zu spielen.
„Jetzt ist es vorbei. Du kommst erst einmal zu mir.“ Sie schüttelte hektisch den Kopf. „Nein? Du möchtest nicht? Aber du musst doch irgendwo wohnen.“ Selina strich ihr über den Arm. „Dein Bruder ist ganz nett. Er tut dir nicht.“ Noch hektischer als zu vor schüttelte sie wieder den Kopf. „Nicht mein Bruder.“ Verwirrt richtete er sich etwas auf. „Okay“, meinte er nach kurzer Zeit. „Ich möchte dir dennoch eine Unterkunft suchen.“ Sie nickte und schien sich nun irgendwie für ihre Panik zu schämen. Nach einigen Ratschlägen gab er seine Schwester in eine Betreuung, die ihr helfen sollte irgendwann normal leben zu können.
„Selin?“ Jamiro stand für die Außenwelt perfekt gekleidet an der Tür. „Hetz mich nicht. Was ist denn das für eine Überraschung, wenn sie weglaufen kann?“
Grinsend lehnte er sich an die Wand an. „Glaubst du ich verrate mich noch?“ „Aber ich muss doch wissen wohin ich fahren soll, oder? Verrätst du mir das?“
Während er seine Karten aus der Tasche zog kam sie auf ihn zu. Deshalb steckte er sie wohl auch wieder zurück. „Was ist jetzt?“ „Das Navi erklärt dir alles.“
„Du hast Augenringe des Todes. War die Planung so lang oder warst du in der Werkstatt die ganze Nacht?“ „Ich verrats dir nicht. Bist du nun fertig?“ „Hab ich vielleicht schon Schuhe an?“ Während sie das sagte änderte sie dies.
„Kleiner Tipp“ ergänzte sie im Anschluss. „Wenn du schon so ungeduldig bist solltest du dich nicht zuerst fertig machen bevor du was sagst.“ „Das Nächstemal.“
Die Fahrt ging, wie sie bald herausfand zum Flughafen. „USA?“, fragte sie überrascht und irgendwie besorgt. „Drei Tage. Die wirst du genießen.“
„Und du?“ „Ich werd sie brauchen um mich zu erholen. Abgesehen davon treffe ich mich mit Ichigawa.“ „Dort hin also?“ „Ja.“ Jamiro nahm stöhnend platz.
„Du bekommst Urlaub.“ „Ey und wenn ich keinen will?“ „Pech, das ist schon so eingetragen.“ „Esel!“ knurrte sie und setzte sich angeblich verärgert neben ihn. Jamiro legte nur schmunzelnd den Arm um sie.
An ihn gelehnt kam Selina wieder ins Gespräch. „Ich hab übrigens gelesen, dass du einen Job suchst.“ „Es stört mich so nutzlos zu sein.“ „Versteh ich ja aber das ist alles zu schwer. Du musst schon gegen diese Krankheit kämpfen. Es ist das Geld, oder?“
Auch wenn er es vermied zu antworten erklärte seine Reaktion alles. „Jam. Ich such mir was, okay?“ „Nein!“ „Sei nicht stur, okay! Du tust so viel für mich. Ich bin deine Freundin. So eine einseitige Beziehung will ich nicht.“
„Du arbeitest schon.“ „Schon aber ich koste dich Geld. Ich kündige.“ „Das ist Schwachsinn.“ „Nein ist es nicht und du diskutierst nicht. Du weiß, das du davon Schmerzen bekommst.“ „Als hätte ich die sonst nicht. Ich hab schon was. Also ist das Ganze nicht nötig.“
„Warum reicht das Krankengeld nicht?“ „Ich bekomm keins.“ „Bist du da auch zu Stolz für?“ „Ich bekomm keins weil diese Krankheit super selten ist. Nur sieben bekannte Fälle gibt es hier von und eigentlich wird man nicht alt.“
„Jam!“ „Ja ich bin jetzt pessimistisch weil mich das nervt. Ich hab nen Nachweis und trotzdem bringt es nichts.“ „Entschuldige.“ „Vergiss es, vom jammern wird es auch nicht besser. Lass uns ein paar schöne Tage machen und den Scheiß einfach vergessen.“
„Lass mich aber bitte was dazu betragen, ja? Ich fühl mich sonst als würde ich dich ausnutzen. Das wölltest du auch nicht.“ Sie lehnte sich wieder zurück an ihn.
„Die Reise wurde mir geschenkt. Ich muss nur auf dem Geburtstag eines Mädchens zaubern.“ „Das … Egal aber übertreibs nicht, okay.“ „Ich bemüh mich. Ich vergess mich nur gern beim Zaubern.“ „Du bist so ein Esel.“ „Danke.“
Im Flugzeug schlief Jamiro ein. „Etwas zu trinken?“, fragte die Stewardess. „Nein danke … Oh Eleonora, neuer Job?“ „Frag mich nicht, warum ich das nicht schon längst getan habe.“ Als hätte sie das eben dienstlich gesagt ging sie weiter.
Ohne den Wagen kam sie nochmal zurück. „Trefft ihr den Forscher?“ „Welchen Forscher? … Ichigawa? Woher kennst du den?“ „Ich komm ganz schön rum, weißt du? Ich hab ihn was für unseren Patienten dagelassen. Frag ihn einfach mal.“ Sie lachte und zog weiter.
„Ist was?“ Jamiro kam zu sich. „Die Stewardess hat nur gefragt, ob wir was trinken möchten.“ „Und das ist witzig? Klangst ja fast wie Eleonora. Abpropo Eleonora, kennst du sie?“ „Nö, wieso?“ „Na weil ihr euch gut verstanden habt. Wie auch immer. Ich will dich nicht zu irgendetwas zwingen.“
„Was?“ „Wegen dem Job eben.“ „Ach so. Jam, ich will dich unterstützen. Du musst mich nur lassen. Vielleicht nehmen sie mich ja in dem neuen Massagesalon.“ Er lächelte. „Du weißt was du sagen musst um mich zu kriegen.“ „Vielleicht?“
Mit einem Lachen lehnte sie sich an ihn. „Ich möchte dir helfen, du Sturkopf.“ Sie hatte zwar nicht hingesehen aber offenbar dennoch bemerkt, das ihm diese Jobsache noch immer nicht behagte.
Als sie den Flughafen verließen drängte Jamiro sie in ein Taxi. Er selbst stieg nicht ein und gab lediglich noch dem Fahrer die Adresse.
„Aidens Farm aber …“ Es brachte nichts zu fragen, da er bereits zu einem zweiten allerdings privatem Pkw hetzte.
„Jetzt schon?“ fragte sie sich leise und rief ihm noch hinter her. Doch ungehört fuhr das Auto, in das er gestiegen war davon. „Du musst dich ausruhen!“
Beim wieder Einsteigen fiel ihr eine Tablettenverpackung auf. Sie seufzte und überprüfte den Inhalt. Es fehlten bereits welche. Irgendwie machte sie das sauer, enttäuscht und besorgt zu gleich.
Allem zu trotz gab sie der Versuchung nicht nach ihn noch aufzuhalten. Sie ließ sich zur Farm bringen, die überraschenderweise im Top Zustand war.
Ein paar Amerikaner kamen auf sie zu. „Schön dich zu sehen, kleines Cowgirl.“ „Du weißt schon, das ich mehr Preise gewonnen habe, als du dir erträumen könntest.“ Er lachte. „Oh ja. Wie könnte ich das vergessen.“ Sein Hut landete auf ihrem Kopf.
„Was ist denn mit der Farm passiert?“ „Wir haben sie wieder aufgebaut.“ „Hat ein Jamiro Erkwin etwas damit zu tun?“ Der Mann lachte, gab aber hierzu keine nähere Antwort.
„Gefällt es deinem Bruder?“ „Das fragt ihr mich? Es ist seine Farm aber er wird sich ganz sicher freuen. Nur einfach so wird er euch das nicht abkaufen.“ „Oh kleines Cowgirl, deswegen bist du hier.“ Verwirrt blieb sie zurück während er sich telefonierend entfernte.
Ein Zweiter kam daraufhin auf die Idee sie rumzuführen. Es gab noch keine Tiere aber ansonsten sah es nach einer Urlauberfarm aus.
Nach einer Weile setzte sie sich mit ihm an einem Tisch. Er schob ihr ein Root Beer entgegen und nahm sich selbst eins. Als sie Anstoßen wollten fügte sich der Mann ein, der Selina anscheinend von früher her kannte.
Nach leeren Gläsern setzte sich das Gespräch fort. „Wie finanziert er das hier später? Ich meine, er hat nichts mehr. Für den Flug hier her wird er sich schon Geld leihen müssen.“
„Ich wollte ihm vorschlagen, eine Westernshow auf der Koppel dort zu machen. Rind und Pferd könnte ich ihm leihen.“
„Ich werd das Gefühl nicht los, das ich teil dieser Show bin.“ Ihre Gedanken schweiften zu Jamiro ab. „Er kommt sicher gleich.“ Sie blickte ihn verwirrt an. Mit Gleich konnte er nicht ihren Bruder meinen. Nie im Leben hätte er so schnell einen Flug bekommen.
„Also doch“, grinste sie schadenfroh. Er lachte nur und nahm sich seinen Hut zurück. Genau in diesem Moment fuhr ein Taxi auf den Hof. Jamiro stieg aus.
„Jam, du Dummkopf!“ Sie rannte ihm augenblicklich entgegen. „Nette Begrüßung.“ Halb wieder rückwärts stolpernd nahm er sie in den Arm.
„Sag bloß du hast dir die ganze Zeit Sorgen gemacht.“ „Natürlich! Du sagst ja nichts und fährst einfach davon.“ „Entschuldige aber ich war spät dran. Mir geht’s gut. Ich war nur etwas weg von den Tabletten. Führst du mich rum.“ „Willst du dich nicht lieber hinlegen?“ Er lächelte. „Gut dann weck mich aber in zwei Stunden. Da bin ich mit Ichigawa verabredet.“
Selina führte ihn zu einem Gästezimmer. Dort ließ sie ihn aber nicht alleine. Sie massierte ihn eine ganze Weile ehe sie dann selbst einschlief.
Ein paar Stunden später wurde Jamiro von einem brüllendem Laut geweckt. Behutsam ersetze er sich bei Selina durch ein Kissen und schlich aus dem Raum.
Aiden drückte den Mann, der ihn angerufen hatte gegen die Wand. „Du wagst es allen ernstes meine Schwester zu benutzen?!“
„Genau genommen machen Selin und ich Urlaub.“ Aiden ließ von ihm ab und stampfte auf den Magier zu. „Sie! … Ich hätte es wissen müssen.“ „Wissen sie eigentlich wo sie sind?“ Er zog eine Augenbraue hoch und schien es jetzt erst zu realisieren.
„Sie können mich nicht ausstehen, ich weiß“, konterte er den nächsten Ausraster. Damit ging er ihm aus dem Weg und sah nach dem Anderen. „Okay?“ Er nickte. Knurrend verzog sich Aiden.
„Was war los?“ „Ach ich hab wohl etwas zu dick aufgetragen.“ Seufzend nahm er platz. Jamiro tat es ihm auf dem benachbarten Stuhl gleich. „Sie und Aiden waren Kindheitsfreunde.“ Der Mann lachte über seine Feststellung.
„Richtig. Richtig gut.“ Schweigen kehrte ein, wobei Jamiro hoffte mehr zu erfahren. „Gewesen oder nur gedacht trifft es eigentlich gut.“
Mit den Karten in der Hand, die er zu mischen begonnen hatte blickte er zu Boden. „Das versteh ich nicht.“ Sein Sitznachbar hob kurz seinen Hut und meinte dann spöttisch lachend: „Ich auch nicht.“
Als er ebenfalls zu den Karten hinsah, fiel ihm die Karo sechs auf den Boden. Er sagte kein Wort. Dennoch spürte er seine Erwartung für einen Trick. So stellte der Magier nur zu gerne seinen linken Fuß auf die Karte und lächelte.
Es folgte seine Hand, die er auf das Knie auflegt. Allerdings nahm er es nochmal weg, um ihn zu zeigen, das er nichts versteckt hatte. Als er die Hand ein weiteresmal wegnahm lag die Karo sechs auf seinem Knie.
Der Mann lachte aber fertig war Jamiro noch lange nicht. Sowohl die Karte als auch die Hand des Mannes platzierte er übereinander auf dem Tisch. Seine Eigene landete wieder auf dem selben Knie.
„Jam!“ Selina kam eilig aus dem Haus und erstarrte neben ihn für einem Moment. „Wir … Wir haben deinen Termin verpasst.“ Sie war ziemlich aufgelöst während Jamiro es kaum zu interessieren schien.
Er nahm seine Hand vom Knie auf der nun wieder eine Karo sechs zu sehen war. Der Mann sah daraufhin unter seiner nach, die aber keine Karte mehr verdeckte.
Ein lauthalses Lachen erklang und verwirrte die Anderen. „Gut“, meinte er noch immer amüsiert. Als er stand beruhigte er sich erst einmal. Dann lud er sie ein, sie zu fahren.
„Erinnerst du dich an deinen ersten Englisch-Unterricht?“ „Oh Gott. Das reinste Chaos. Weißt du, ich hab als Kind meist den Soff gelernt bevor er dran kam. Wollte ja schließlich später eine richtig gute Tierärztin werden. Na ja hätte ich das bei Englisch nicht getan. Ich hab ausgenutzt, das Steve und Aiden in Amerika aufgewachsen sind aber nicht bedacht das Amerikanisch-Englisch und Schul-Englisch unterschiedlich sind. Ich musste stundenlang mit Aiden üben aber bis heute hat mein Englisch nen amerikanischen Akzent.“
Jamiro lachte darüber. Sein Englisch hatte in früherer Zeit denselben Akzent, weil ein Lehrer ihm das so beigebracht hatte. Es war nicht einfach, das wieder mit Hilfe seiner ungeduldigen Mutter loszuwerden.
Schweigsam schlang er seinen Arm um sie. „Was ist?“ „Was soll sein?“ „Du bist so still? Hast du Schmerzen?“ „Nein. Mir geht’s gut. Ich grüble nur ein bisschen vor mich hin.“
„Geld? Wolltest du es nicht verdrängen, so lang wir hier sind?“ „Ja das wollte ich. Ich muss trotzdem noch schauen, ob ich Evelins Unterbringung noch zahlen kann.“
„Das war ganz schön teuer aber einen schönen Park hatten sie.“ „Ich dachte, dass ist das Beste für sie, da sie doch so gerne Blätter sammelt.“ Selina lachte und schmiegte sich an ihn.
„Wir gehen zu erst zu Ichigawa und dann machen wir das. Es wird uns schon eine Lösung einfallen. Vielleicht rücken wir einfach nur enger zusammen. So oder so.“ Sie drückte ihn lachend in die Enge. Damit heiterte sie ihn auch auf.
„Man, was wär ich nur ohne dich?“ „Unvernünftig!“ In guter Stimmung ging es weiter. Doch während dem Magier die Karo sechs Karte ein weiteres mal zu Boden fiel passierte ein Unfall.
Jamiro verlor zwar nicht das Bewusstsein, als er sich den Kopf anschlug, doch zog er sich eine Wunde an der Stirn zu. „Selin?“, fragte er nachdem er das Blut realisiert hatte.
Zu ihr konnte er sich nicht drehen, falls sie den bei Bewusstsein war. Ohne die Antwort aber konnte er nicht anders. Als er im Augenwinkel schon sah das sie unter Schock stand versuchte er sich groß zu machen. So das sie ihm hoffentlich nicht ins Gesicht sehen konnte.
„Alles gut. Ist dir was passiert? Lass deinen Kopf so.“ Mühsam angelte er sich an ihren Knien vorbei zum Fahrer.
„Hörn sie mich?“ Schmerzliches Gestammel kam ihm entgegen. „Atmen sie ruhig. Ich hol uns Hilfe. Jamiro vermied es seinen Kopf viel zu bewegen, weshalb er blind nach dem Handy von Selina griff.
„Schauen sie nicht hin. Schauen sie zu mir. Okay, sie können Deutsch. Das ist gut.“ Im Anschluss seiner Aufforderung wandte er sich dem Notruf zu.
„Selin! Komm du muss mir kurz helfen. Die Straße … Wo sind wir genau?“ Der Fahrer versuchte zu antworten, doch er konnte nicht.
Nach etwas Zeit kam Selinas Antwort leise. Hektisch gab es Jamiro weiter und versuchte bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes beide bei sich zu behalten.
Nach seiner Untersuchung kam Aiden mit seiner Schwester herein. „Wie geht’s ihnen?“ „Ich fühl mich vermutlich besser als ich sollte. Und ihr?“
Aiden drängte sie ans Bett heran. Was sie betraf, schien sie lieber wieder gehen zu wollen. „Sie stand unter Schock. Sie macht sich Vorwürfe, weil sie nicht helfen konnte.“
„Das ist doch Blödsinn. Du hast doch geholfen. Ich hätte nicht sagen können wo wir sind.“ Er wollte ihr über den Arm streichen kam aber nicht ran. „Man selbst dafür bin ich zu vernünftig.“
Sie blickte auf ihn als er das beleidigt sagte. „Geh dann“, knurrte Aiden, der irgendwie eine Mischung aus zögerlichem und schnellen Gehen anwendete.
„Selbst dein Bruder bringt dich dafür her. Also solltest du uns glauben. Du warst nicht Unnütz, ganz im Gegenteil.“ „Du bist so blöd.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Du warst verletzt und ich … ich sitzt nur rum, wie der letzte Depp.“ „Ein Schock, dafür kannst du nichts. Ich hab mich weg gebückt als es geschah. Außerdem …“ Er lächelte und wurde doch unvernünftig um ihr wenigstens über die Wange zu streichen.
„Außerdem bist du nicht ohnmächtig geworden.“ „Ich …“ Es lenkte sie ab, das Jamiro sich genervt an der Halskrause scharrte. „Tut dir der Nacken weh?“ „Ich hab es zumindest zur Vorsicht dran.“ „Und dein Kopf?“ Sie griff hin, als könnte sie dort etwas für ihn tun.
„Wenn der keine Gehirnerschütterung hat sollte ich mich fragen, ob da auch was drin ist.“ Wie erwünscht lachte Selina endlich.
„Ich wünschte ich wäre bloß ein kleines bisschen so mutig wie du.“ „Ich denke Mut ist überbewertet. Siehst ja wohin mich das führt. Na ja ist ja noch alles dran soweit. Wie geht’s dem Freund deines Bruder?“
„Keine Ahnung. Außer das Aiden zu seiner Frau meinte, das es vermutlich noch dauern würde hab ich nichts mitbekommen.“ „Dein Bruder hat ne Frau?“ „Ich meinte eigentlich Karo sechs Frau.“ „Ach so. Doch ein bisschen was durcheinander da oben.“
„Aiden ist aber auch verheiratet, irgendwie.“ „Irgendwie?“ „Das erzähl ich dir ein anderes mal.“ Ein Arzt kam ins Zimmer herein. Jamiro hatte verdammt viel Glück. Außer der Wunde und einer leichten Gehirnerschütterung kam er doch wesentlich besser davon als der Fahrer.
Diesen besuchte er, als er nach stundenlanger Op und Frauenbesuch frei war. „Alles dran?“ Lachend drehte sich der Kopf des Mannes zu ihm. „Sie meinen wohl, was nicht mehr drin ist? Danke. Sie sind ein guter Kerl.“ Jamiro nahm platz.
„Sie haben es also geschafft die kleine Selly zu erobern?“ „Ich wette sie sagen mir auch, das mich Aiden dafür eigentlich umbringen würde.“ „Er will nur, das es ihr gut geht und recht machen kann man es ihm sowieso nicht. Vermutlich lernt man unter sieben Raufbolden irgendwann alles abzublocken.“
Ein prüfender Blick fiel auf ihn und wieder verfiel er dem Lachen. „Sie kennen seine Brüder und sie haben es ihnen wohl auch nicht einfach gemacht.“ Jamiro schmunzelte. „Ich bin mit ihr zusammen und schein nicht gerade den besten Zuspruch zu bekommen.“
„Wenn Aiden nichts unternimmt, dann haben sie sein okay.“ Selina kam mit einem sauren Gesichtsausdruck rein. „Ich such dich!“ „Und du hast mich.“ Er lächelte ihr zu aber das hob nicht wirklich etwas an ihrer Stimmung. „Erholen sie sich gut.“ Damit stand er auf und begab sich zu Selina, die leicht zitterte.
„Fährt uns dein Bruder?“ Ihr Zittern wurde stärker aber sie bestätigte seine Frage. Er nahm sie in den Arm und brachte sie zum Auto. Aiden wartete bereits ungeduldig.
Hat eigentlich irgendjemand behauptet, Jamiro könne sich immer bedingungslos an seine Versprechen halten? Na ja. Es kommt vermutlich auf den Inhalt an.
Während Selina ihrem Bruder bei der Organisation für ein Western-Turnier half, schlich sich der Magier klammheimlich seiner Bettruhe davon.
Er war gerade noch so außer Hörweite gekommen als sein Handy zu klingeln begann. „Was zum Teufel ist so schwer daran, Ruhe zu geben?! Ich zieh dir die Ohren lang.“
Vor Schreck musste er sein Handy erst wieder auffangen. „Mam ich bin nur …“ „Amerika! Du verträgst die Fliegerei nicht.“ „Mam!“ „Ich weiß, dass du verflucht nochmal einen Job angenommen hast, dort drüben. Wir haben dir extra eine Show organisiert und trotzdem gibst du einfach keine Ruhe.“
„Mam!“ „Nichts Mam! Und deiner Masseurin gibst du auch frei.“ „Schnüffelst du eigentlich in meinen Sachen rum?“ „Ich bin gekommen weil ich eine Karte gefunden habe. Ich wollte sie dir geben.“ „Welche denn?“ Auf Grund der Stille schloss er das sie nachsah.
„Ist doch egal jetzt! Gehts dir gut?“ „Ja.“ „Glaub ja nicht, dass ich dir das glaube!“ „Warum fragst du dann?“ Seine Laune verschlechterte sich noch weiter als er noch schön in einen Kuhfladen trat.
„Fluch nicht so!“ „Sag mal bin ich noch zehn?“ „Nee aber du benimmst dich leider so, vor allem wenn du verdammt nochmal im Bett bleiben sollst.“ „Wer flucht hier?“
„Bleibst du noch länger?“ „Zwei Tage. Ich hab meine Tabletten dabei.“ „Du weißt, was ich von dieser Aktion halte und was soll das eigentlich mit der Zeitung?“
„Könntest du das bitte lassen.“ „Du suchst dir also einen Job.“ „Mam, bitte lass das jetzt. Ich will nicht das du in meinen Sachen wühlst.“ „Ich wühle nicht! Die Zeitung habe ich gesehen, als ich etwas in den Müll schmeißen wollte. Du bist mein Kind, ich mach mir Sorgen.“ „Zu unrecht! Mam, ich pass schon auf mich auf.“
Jamiro wurde von irgendwas kräftig angestoßen. Kurz drauf beugte sich auch schon ein Pferdekopf über ihn drüber. „Hey, wenn du fressen willst dann nicht hier. Du bist nicht gemeint. Sorry, kleines tierisches Problem. Geh schon.“
Er versuchte einigemale den aufdringlichen Rappen beiseite zu schieben. Doch irgendwie hatte der junge Hengst einen Narren an ihn gefressen.
„Jetzt geh doch darüber. Mam, du hörst jetzt bitte auf in meinen Sachen rumzusuchen. Ichigawa, das sagt dir doch was. Er hat Neuigkeiten, was meine Krankheit betrifft.“ „Wirklich?“ „Ja. Man ich bin nichts zum fressen!“
„Du klingst nicht als wärst du in einer Praxis.“ „Bin ich auch nicht. Ich sitzt nur irgendwo doof rum. Geh jetzt weg verdammt nochmal!“ Jamiro stand auf um den Stößen auszuweichen. Doch der Hengst stellte sich ihm abrupt in den Weg.
„Was willst du?“ In seiner Wut legte er auf. Provokativ trat das Pferd auf ihn zu. „Willst du was bestimmtes?“ fragte er skeptisch.
Das Tier schien Schmerzen zu haben. Zumindest bildete er sich das ein. Sein Sinn für Probleme hatte noch nie bei Tieren funktioniert.
Das Pferd schnaubte und schob ihn mit den Kopf zurück. Sollte er etwa in eine bestimmte Richtung gehen? Irgendetwas wollte das Tier doch von ihm.
Bei dem erneuten Gang auf ihn zu schien er sich vertreten zu haben und schreckte daraufhin etwas zurück.
Durch das Zurückspringen sah Jamiro schließlich was los war. Am linken Vorderbein steckten Holzsplitter und auch ältere Verletzungen zeichneten das Bein.
„Ich weiß wer dir helfen kann. Komm.“ Dem Rücken zu ihm gewandt lief Jamiro zur Farm zurück. Der Hengst folgte ihm bereitwillig. Wobei er aber scheinbar gern die Führung übernehmen würde.
Aiden stand inzwischen alleine auf der Koppel. „Ich hab da was gefunden.“ Der Hengst schnaubte und warf das Fass um hinter dem Aiden irgendetwas getan hatte.
„Das gibs nicht“, reagierte Aiden überrascht und spannte sofort das Maul des Pferdes auf. Nachdem er die Zähne angesehen hatte fuhr er über dessen Fell.
„Ich denke ich hab wohl nen Bekannten gefunden.“ Während er das zynisch meinte eilte Selina zu ihnen. „Dachte ichs mir doch. Hab ich dich wohl zu lang alleine gelassen. Wer ist das?“
„Namenlos“, knurrte Aiden. Absichtlich schob er das Pferd rückwärts zwischen die beiden und inspirierte unschuldig die Zähne erneut.
„Namenlos? Du nimmst mich doch auf den Arm.“ „Sallys Black Fires Enkel. Leider bei weitem nicht so begabt und die Muskeln waren auch schon besser.“ Als wollte sich der Hengst beschweren, nieste er seinen Bewerter an.
„Da ist wohl jemand nicht einverstanden“, kicherte Selina. „Na. Du Hübscher, du brauchst unbedingt einen Namen.“ Sie streichelte ihn, was dem jungen Hengst sehr gut gefiel.
Während sie abgelenkt war, lenkt der Eine die Aufmerksamkeit des Anderen auf die Sache mit dem Fuß.
Danach mogelte sich der Magier zu seiner Freundin. „Wie wärs denn mit irgendwas Goldenem? Das Gegenstück zu Black Fire, der Blonde.“ „Find ich witzig“, grätschte sie ihrem Bruder dazwischen.
„Golden seal?“ „Du möchtest ihn Goldenes Siegel nennen?“ Selina lachte über den verwirrten Blick. „Wenn ihr schon Sellys Black Fires Namen nehmen müsst, dann fehlt noch was.“ „Nee Sellys Golden seal gefällt mir nicht.“ „Golden seal heart.“ „Das find ich gut. Das nehmen wir.“ Aidens Laut verkündete, dass er nicht zustimmte. Desto trotz schrieb er sich den Vorschlag auf.
„Jam …“ „Schon gut. Ich leg mich in die Langeweile.“ Sofort sprang ihm der Hengst in den Weg, als er sich abwandte. Jedesmal wenn er versuchte vorbei zu kommen, stellte er sich wieder vor ihn. Aiden begann laut zu lachen.
„Er hält dich für ein Rind.“ „Sein Bein!“ „Farbe“, vertuschten beide die Verletzung. Es brachte nur nicht viel. „Ich bring sie ins Haus.“ Als er dabei war es zu tun stieß ihn Aiden noch ungewöhnlich sanft zur Seite und übernahm es selbst.
Ein paar Minuten später kam sie schon wieder zu sich. „Gehts wieder?“ Er strich ihr besorgt über die Wange. „Hey, so schlimm war es auch nicht“, erwiderte er ihre Träne.
„Das ist scheiße. Es tut mir Leid.“ „Ich fühl mich auch immer mies wenn ich mir wegen meiner Krankheit helfen lassen muss aber jetzt hab ich wenigstens ein Argument liegen zu bleiben.“ Sie lachte. „Hör auf immer alles zu verdrehen.“ „Tu ich doch überhaupt nicht.“ „Nö gar nicht.“
Nach zwei Stunden klopfte eindeutig Aiden gegen die Tür. „Geh schon“, meinte sie und drückte ihn an der Schulter wieder runter. „Was gibs?“ Ichigawa trat hinter Aiden hervor. Blitzschnell gab er einen halben Roman von sich, wovon man altbekannt kein Wort verstand.
„Hy“, grüße Jamiro verschlafen. Auch ihm warf er einen ähnlich schnellen Text zu. „Es geht um die Entdeckung oder?“, fragte er überfordert nach. Sein Gegenüber wurde aber noch immer nicht langsamer.
Er drängte sich in die Wohnung und stellte eine Tasche auf den Tisch. „Tut mir Leid Herr Ichigawa aber ich verstehe nur Bahnhof.“ Selina zog die Tür zu und stellte sich zu ihnen. „Tief durchatmen, Herr Ichigawa.“
Nach einer Pause setzte der Forscher nur noch leicht beschleunigt einen neuen Versuch an. „Eine Frau Pfleiner hat mir eine Pflanze gebracht, mit der Information, dass die Einheimischen sie auftragen um schneller Laufen zu können.“
„Und?“ „Ich hab eine Salbe hergestellt und getestet. Seit drei Monaten habe ich mit nur einer einzigen Anwendung kein Problem mehr.“ „Und nun soll ich es testen?“
„Ich will ehrlich sein. Ich vermute die Salbe wird ihnen nicht viel bringen. Ich arbeite an eine Tabletten-Form für sie. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, das sie auf mich zu kommen. Na ja, ich dachte bevor ich überhaupt nichts versuche gebe ich ihnen die Salbe.“ „Und warum genau funktioniert eine Salbe aber keine Tablette?“ „Ich weiß nicht, ob der Wirkstoff durch die Magensäure kommt und so weiter.“ Er holte eine Dose hervor.
„Halten sie die Dosis gering und nehmen sie nichts anderes ein und hören sie bei der kleinsten Veränderung sofort auf.“ „Ich trag das einfach nur auf.“ „Am besten, da ihre Schübe unregelmäßig sind wenn sie gerade eine Schmerzattacke haben und vielleicht auch erst wenn sie sich von dem Unfall erholt haben. Ich wünsche ihnen das es wirkt.“ „Das wird es!“
Jamiro bemerkte, das er an seine Tochter denken musste. „Sie würde sich wünschen, das ihre Eltern einander wissen.“ Ein Schmunzeln kehrte in die traurige Mine. „Man kämpft zusammen aber verschieden, wirft man sich Dinge an den Kopf, die verletzen. Verliert man, versteht man, wie fern man sich geworden ist.“ Ichigawa ging.
„Ich versteh nicht, wie man sich nach so einer Sache hassen kann. Jam … Gehts dir gut?“ Er ließ sich aufs Bett fallen. „Wie man sich nach so etwas hassen kann? Sie sind verschiedene Wege gegangen um ihrer Tochter zu retten. Er hat versucht ein Medikament herzustellen, sie hat versucht ihr Kind seelisch stark zu machen. Da beide Wege nicht klappten suchen sie wohl die Fehler aneinander.“
„Jam.“ „Selin?“ „Ja.“ „Wenn ich es nicht schaffen sollte …“ „Ich versuchs, Jam aber jetzt wird gekämpft, okay?“ Sie stieß ihn an. Er lächelte schwach.
Um dann der bedrückenden Stimmung zu entfliehen, schlug er vor nach Golden seal heart zu sehen. Der Rappe kam sofort an den Zaun galoppiert, als sie das Haus verließen.
Er wieherte lautstark und scharrte mit den Hufen. „Was hat er denn mit mir?“, fragte der Magier sichtlich verwirrt über den Hengst. „Er mag dich eben. Vielleicht tut ihm etwas striegeln gut.“ Lachend drängte sie ihn auf einen Baumstumpf nahe der Koppel und Pferdenase.
Der Hengst schnupperte aufgeregt an ihm. „Ich bin immer noch nichts zum Fressen“, erwiderter er seine Anknabberversuche. Selina kam mit einer verdreckten Box zurückgeeilt. „Ich hab mir was geliehen!“, rief sie ihm zu, ohne das er gleich wusste was sie meinte.
Bei ihnen angekommen stellte sie die Box ab und stieg zu ihm auf die Koppel. „Na.“ Der Hengst senkte seinen Kopf herab. Den er vor ihr dann nach einer Weile etwas schief hob. „Spricht er mit dir?“ „Ja. Er fragt, ob er sich anschließen darf.“ „Anschließen woran?“ „An eine Herde. Pferde sind Herdentiere. Das er sich klein macht heißt, das er sich mir, meinem Rang unterordnet.“
„Wow.“ „Das wundert mich, nachdem ich auf der Koppel zusammen geklappt bin aber okay. Wenn er mich akzeptieren will.“ Selina begann ihn zu bürsten.
Nach einer Weile kam Aiden hergelaufen, vermutlich angelockt von dem ganzen Staub. „Selly?“ „Ja.“ Weshalb auch immer wartete ihr Bruder eine Weile ehe er etwas sagte. „Hilft du mit den Rindern?“ „Gern.“ Sie klopfte ihre Bürste aus und drückte Jamiro bevor sie ging einen feuchten Schwamm in die Hand. „Nase und Augen!“ rief sie lachend schon fast außer Sichtweite.
Golden seal heart war auf einmal nervös und lief laut wiehernd hin und her. „Hey, das ist meine Freundin, klar!“ Das Pferd blieb angespannt stehen. Mit einer heftig nickenden Kopfbewegung kam er zu ihm. Schnaubend fügt er seinen Kopf in seine Arme ein.
„Du bist schon seltsam, Golden seal.“ Behutsam entfernte er den Dreck um den Augen. Dazu hatte er wohl lange gebraucht, da sich Selina und ihr Bruder wieder zu ihm fanden.
Aiden stieg durch den Zaun und kümmerte sich um die Hufe. „Unser Golden seal heart ist noch ein Baby. Zweieinhalb Jahre alt.“ „Braucht er noch eine Mutter?“ Aiden richtete sich brummend auf. „Kind trieft es besser.“
„In einem halben Jahr reitet ihn Aiden an.“ Selinas Freude erinnerte irgendwie an ein Kind, das etwas richtig tolles geschenkt bekam. „Dann solltest du unbedingt dabei sein." „Ein gutes Pferd trainiert man nicht an einem Tag!“ Diese Aggression übertraf alles was er bisher von ihm kannte.
„Kein Problem, ihre Schwester ist ein freier Mensch. Sie kann sich freinehmen wann immer sie möchte.“ „Nicht schon wieder dieses Thema!“ Golden seal heart wieherte dazwischen. „Entschuldige, ich wollte nicht schreien aber gewisse Leute sollten endlich begreifen, dass ich nach meiner eigenen Pfeife tanze.“
Es blieb still danach. Aiden widmete sich wieder den Hufen während Jamiro begann sich seine Karten durch zu sehen. „Was wird das?“, fragte sie leicht nervös. Sie hatte sich lieber eilig weggedreht als Aiden am verletzen Bein zu arbeiten begonnen hatte.
„Eigentlich wollte ich nur wissen, ob eine fehlt aber …“ Er legte alle Karten mit dem Rücken zu seiner Handfläche in die Linke. Diese hob er dann hoch über seine andere Hand. Während er den Stapel Karte für Karte fallen ließ ergänzte er „Aber irgendwie fehlt die Hälfte.“
Tatsächlich lagen auf seiner unteren Hand nicht einmal mehr annähernd so viele Karten wie er zuvor noch gehalten hatte. Eine, die Karo vier hielt er noch oben. Selina lachte. „Hat schon was für sich, einen Magier zu haben.“ Das sie zu ihm ging störte ihren Bruder extrem.
„Selina!“ Er zog sie wieder zu sich auf die Koppel. Augenblicklich lies er sie wieder los und versuchte sich offenbar zu beruhigen. „Reden, später!“ knirschte er und wollte sich abwenden. „Ich lauf ein bisschen. Nicht weit, keine Sorge.“ Während er ging protestierte der Hengst so laut er konnte. Aiden stöhnte.
„Warten!“, befahl er nicht all zu streng und führte den aufgebrachten Hengst zu ihm. Augenblicklich wurde das Pferd wieder ganz ruhig. Sogar so ruhig das er neben ihm graste.
„Was ist mit ausruhen?“ „Ein bisschen Bewegen muss ich mich schon.“ „Okay aber nicht übertreiben und …“ Selina schob ihn seitlich ans Pferd heran. „Nicht direkt vor dem Pferd laufen und niemals hinten vorbei. Es sieht dort nichts.“
„Sie kommen schon klar“, knurrte Aiden bevor er ging. Golden seal heart folgte ihm brav auf Kommando. Überhaupt blieb er sehr gelassen auf dem Spaziergang. Aufdringlich wurde er erst wieder nachdem sie ein paar Meter hinter sich gelassen hatte.
„Hey, lass das! Ist dieses Rumgeschubse auch eine Pferdemanier? Sehr nervig muss ich sagen.“ Ein paar weitere Schritte mehr bog er zu einer Sitzmöglichkeit mit Wasser ab. Als hätte das Pferd genau das gewollte, begann es dort zu trinken.
Jamiro telefonierte lieber. „Jam! Was ist los? Ist was passiert?“ „Nein. Ich ruf an weil ich einfach aufgelegt habe. Ich weiß nicht, warum ich es dir nicht gleich gesagt habe aber Selina ist auch hier und Ichigawa … na ja der hat mir etwas Neues gegen die Krankheit gegeben. Vielleicht hilft es.“
„Karo vier. Das war die Karte, die ich gefunden habe.“ „Machst du dir jetzt weniger Sorgen?“ „Ehrlich gesagt hab ich so ein ungutes Gefühl …“ Sie pausierte. „Mam?“ „Nichts schon gut.“ Sein Vater riss ihr wohl das Handy aus der Hand. „Du lügst uns jetzt nicht an! Hattest du einen Autounfall?“
In Gedanken sagte alles akribisch nein. Doch er brachte nichts der Gleichen vertont. Stattdessen blickte er auf sein Kartendeck. Es fehlte genau eine Karte und das war eben diese, die er eben noch in seinem Trick oben hielt.
„Ein Laster mit einem Gerüst“, gestand er abwesend. Die Leitung blieb beunruhigend still. „Mam … Dad … Mir ist nichts passiert. Okay? Macht euch keine Sorgen.“
Golden seal heart kam heran und schnaubte neben ihm. „Was war das?“ „Ein Pferd. Ich weiß endlich was sein Problem mit mir ist.“ „Rede Junge.“ „Ich rieche nach Kuhscheiße. Ich hab mal irgendwo gelesen, das sie die Jungpferde oft zu Rindern stellen um sie später zum Treiben einsetzen zu können, dass sie keine Angst haben. Golden seal hat weder Herde noch die gewohnten Rinder. Der Geruch war etwas Vertrautes. Meine Güte vielleicht ist es ein Rind aus seiner damaligen Herde. Mam, Dad … ich bin beschäftigt.“
Eilig führte Jamiro den Hengst an die Stelle ihrer Begegnung. Er wurde ganz aufmerksam, als wisse er, dass sein menschlicher Kontakt etwas plante. „Hier war der Fladen. Probieren wir es dort …“
Golden seal heart sprang vor ihn. Seine Körperspannung sagte, das er ihn auf keinenfall in diese Richtung lassen wollte. Allerdings erkannte Jamiro auch, das er verwirrt war.
„Hey. Ich suche ein Rind. Vielleicht einen Freund von dir. Verstehst du?“ Nein, er blieb dabei. Aus Ungeduld band er den Hengst an einen kräftigen Ast in seiner Nähe an. „Ich bin gleich zurück.“ Ein weiteres mal versuchte das Pferd ihn zu behindern, doch der Strick bremste ihn aus.
Gründlich sah er sich um. Er sah weder Rinder noch roch er ihre Anwesenheit. Alles was er hörte waren die verzweifelten Schreie seines Hengstes.
Nach einigen kleineren Sturmschäden auf den Weg kam er nun an einem größeren Hindernis nicht mehr weiter. Er kehrte um und wurde knapp von einem Ast verfehlt.
Golden seal heart stand hektisch atmend vor ihm. Sein Stick war noch immer um den Ast, an dem er befestigt war. Allerdings hatte er diesen wohl abgerissen bekommen. Er löste ihn ohne etwas zu sagen. Danach versuchte er ihn zu beruhigen.
Er hatte Angst vor diesem Ort. „Es ist wohl vernünftiger, die Anderen zu informieren.“ Der Hengst hatte es sehr eilig von dort wegzukommen. Mit kleinen Sprüngen und schnellen Schritt riss er Jamiro fast um.
An der Farm stoppte ihn schließlich Selina. „Alle okay?“ „Ich weiß was sein Problem ist.“ „Er hat Angst vor etwas.“ Sie begann ihn behutsam zu entspannen. „Auch aber er stand früher mit Rindern zusammen oder?“ „Das macht man so für das Cutting. Seit ihr auf Rinder getroffen? Ich sollte Aiden sagen, das er Angst vor Rindern hat.“
„Das glaub ich nicht. Ich glaube Rinder sind der Grund, dass er so an mir hängt.“ „Weil du in Scheiße getreten bist. … Möglich. Vor was hat er sich denn erschreckt?“
„Vor einem Ort oder die Art wie er aussah.“ „Wir sollten zurück gehen. Kannst du mir zeigen wo es war?“ „Natürlich.“ Für das erneute Hingehen übernahm Selina den Strick.
Bis zu diesem Baum, wo ihn Jamiro angebunden hatte blieb er brav. Dann aber zeigte er wieder dieses Muster, das er sie wegtreiben wollte. „Ich erinnere mich glaube ich. Diese Wiesen da hinten waren immer tabu. Vielleicht hat eher sein Cutting Gen." Selina lachte, nachdem, der Clown es wohl bestätigen wollte.
„Oder es ist einfach nur sein Cutting Gen", lachte sie und wies scherzhaft daraufhin, das Jamiro ja seine Kuh sei.
„Oh Mist das Turnier. Willst du Reining sehen. Ich reite.“ „Du trainierst nichtmal?“ „Ich kenn das Pferd nicht mal.“ Sie lachte. „Aiden behauptet ich hätte es im Blut. Wenn er lügt wird’s ne Clownsnummer.“ Sie überreichte ihm das Pferd und ging voran.
Es fiel ihm jetzt erst auf, das die andere Kleidung, die sie trug sehr an Cowboy erinnerte. Er führte Golden seal heart auf die Koppel und ging dann zur Show. Dabei ahnte er nichtmal das der junge Hengst viel gescheiter war als er.
Gekonnt öffnete er das Tor und trottete ihm gemütlich zum Turnier hinter her. Trotzdem bemerkte er ihn erst als ihm sein Cutting-Horse wieder durch ging und er versuchte ihn zurück zu seiner Koppel zu treiben.
Für alle war er doch eine recht große Belustigung. Bald hatte er fast jeden Zweibeiner zu seiner Herde auserkoren und hielt sie eisern zusammen. Bis eben Aiden, die gutankommende Unterhaltung unterbrach.
Völlig verpennt taumelte der Magier aus seiner Werkstatt heraus. „Schwachsinn“, nuschelte er. Auf halben Weg in die Küche kehrte er wieder um. Er nahm sein Handy auf, das er hatte liegen lassen.
„Natürlich fliegst du zu ihr.“ Er wunderte sich warum kein Widerspruch kam. „Hallo?“ Lautstark schepperte der Klingelton in sein Ohr. Genervt nahm er den Anruf von seinem Freund Tobias an.
„Verzeihung. Ich bin weg verpennt.“ „Ja das merkt man. Jam, bitte sei ehrlich, kommst du klar allein?“ „Wann bin ich denn bitte allein?“ „Jetzt zum Beispiel.“ „Warum denken eigentlich alle, dass sie auf mich Rücksicht nehmen müssen oder noch schlimmer aufpassen?“
„Du bist eben eine Katastrophe, Jam.“ „Sagt der, dem man an Hand einer Müllspur folgen kann.“ Tobias lachte. „Hey es ist schon besser geworden.“ „Um Fünf Prozent etwa? Im Ernst, geh zu ihr. Ich halte dich nicht.“ „Meld dich aber ab und an, okay?“ Tobias war also zu seiner Lola nach Fuerteventura ausgewandert.
Ironie, das er am selben Tag überlegt hatte, mit Selina in die USA zu gehen. Es gab ja einige Punkte die durchaus positiv waren. Nur eine gewisse Person hätte da wohl etwas dagegen. Vielleicht auch ein zwei Personen mehr.
Kaum zurück ins Bett gekrochen, hörte er Selina durch die Eingangstür kommen „Was? Du bist noch nicht aufgestanden? Das ist neu.“ Er blickte zu Selina auf, die genauso überrascht aussah wie sie klang.
„Ich sagte doch, das ich mich bemühe. Seit ihr um den Stau gekommen?“ „Nein und ich hab einen Abstecher gemacht.“ Sie sprang neben ihn aufs Bett.
„Rate mal was ich bekommen habe.“ „Den Job in dem Massagesalon?“ Seine Stimme hatte den leichten Unterton von nicht Recht sein. „Klar aber nur halbtags. Zieh nicht so ein Gesicht. Das renkt sich alles wieder ein. Ganz sicher. Außerdem kümmerst du dich ja jetzt um deine Schwester.“ „Die auch arbeitet. Nur ich lieg euch auf den Taschen“, brummte er und stand schließlich auf.
„Na ja umgekehrt wars ja jetzt lang genug. Jetzt nimms doch nicht so schwer, Schatz.“ "Schatz? Kosenamen klingen verdammt seltsam. Vor allem wenn sie einen erpressen sollen.“ Mit einem leichten Schmunzeln legte er den Arm um sie und schob sie voran aus dem Raum.
Evelin stand verängstigt an der Eingangstür und umklammerte ihr Buch. „Hy.“ Sie zuckte zusammen. „Ich … ähm … ich zeig dir dein Zimmer.“ „Ihr macht das schon. Dieser Therapeut kommt sicher auch bald.“
„Willst du weg?“ „Sorry aber ich glaube, einer meiner Brüder ist dabei großen Mist zu bauen.“ Selina schob Evelin zu ihm. „Gregor?“ „Wie kommst du darauf? Hättest wenigstens auf Matthias tippen können.“
„Immer noch doof?“ Evelins Stimme ging fast unter vor Angst. „Ich hoffe ja, er macht als Vater weniger dumme Aktionen als früher. Was ich kaum glaube. Nun gut. Ich bin zurück so bald es geklärt ist.“ Damit ging sie.
„Also ähm Evelin … Du ist okay, oder?“ Anstatt eine Antwort zu geben sah sie sich um. Sie wirkte, als habe sie plötzlich die Scheu verloren.
Da er eh nichts machen konnte setzte er sich hin. Fast zeitgleich stand sie wieder bei ihm. „Muss ich sie mit Herr Erkwin ansprechen oder Hassbercht?“ „Jamiro.“ „Okay.“ Sie wandte sich zögerlich ab, wobei sie etwas an der Decke ablenkte.
„Möchtest du …“ Sein Versuch, die Unterhaltung weiterzuführen erschreckte sie wieder. „Hast du dich verletzt?“ fragte er besorgt nachdem sie deshalb umgeknickt war.
Sie zog eilig ihre Beine zurück und versuchte einige male aufzustehen. „Ich bin so ein Tölpel. Entschuldige.“ Er griff ihr unter die Arme und setzte sie auf einen Stuhl.
„Ich mach uns was zu Essen. Bleib sitzen, bis deine Beine wieder funktionieren, ja?“ Aus Besorgnis wollte er eigentlich bleiben aber das war ja eben wegen ihm passiert. Hilflos zog er sich in die Küche zurück.
Ein bisschen später konnte er hören, wie sie sich wieder umsah. Sie fand auch das ehemalige Zimmer von Selina, das jetzt auf ihre Bedürfnisse eingerichtet war.
Ohne ihr Buch kam sie zu ihm in die Küche. Irgendwie kams auch dazu, dass sie Jamiro vom Kochen ablöste. „Evelin … Wie erschrecke ich dich eigentlich jedesmal? Ist es meine Stimme, meine Art? Ich möchte dir wirklich keine Angst machen.“ Ehe sie ihm antworten wollte versetzte sie die Türklingel in Panik.
„Alles gut … Es ist nur … also die Klingel. Besuch. Wahrscheinlich dein Therapeut. Möchtest du in dein Zimmer? Komm, ich bring dich.“ Während er sie hinbrachte versuchte er die Situation, nicht als etwas unnormal zu sehen. Warum er das tat, war ihm selbst nicht klar.
„Ich schau nach, wer das ist. Wenn es für dich in Ordnung ist kannst du gern zu uns kommen. Wenn nicht dann ist es völlig okay, wenn du hier bleiben möchtest.“ Bevor er ging wartete er auf eine Bestätigung, die allerdings nicht kam.
Vor der Eingangstür stand Leon Brotsch mit Gepäck. „Was hast du denn vor?“ „Abhauen. Also eigentlich. Ich brauch was zum Pennen. Hast du ein Zimmer?“ „Nur wenn ich erfahre was los ist.“ „Was los ist?! Mein Alter hat schon wieder ne Neue. Kann mir echt gestohlen bleiben. Ich hab kein Bock mehr auf den Scheiß.“
„Weiß dein Vater was du vor hast?“ „Natürlich nicht. Obwohl … Ich hab ihm oft genug gesagt, dass ich verschwinde, wenn er eine Neue hat.“ Leon drängt sich ins Innere und nahm mürrisch platz. Noch bevor er ihm folgte stellte er sein Gepäck ins Innere.
„Wohnt sie schon bei euch?“ „Nein. Weiß nicht. Ist mir auch egal, ob er sie nur zu Hause trifft.“ „Nicht Jede wird dir gleich aus Eifersucht etwas unterjubeln.“ „Wer weiß, seiner Letzten hätte ich das auch nicht zugetraut. Ich fand sie eigentlich echt okay. Die davor hat Zwanghaft versucht meine Mutter zu sein und die da davor … reden wir nicht drüber.“ Er musste wohl über dass nicht erzählte lachen.
„Ich wollte meine Großtante fragen, ob ich vielleicht bei ihr pennen kann aber ich glaube kaum, dass sie das macht ohne ihn antanzen zu lassen.“ „Ja. Du bist Minderjährig und dein Vater ist nun mal der Erziehungsberechtigte. Er wird sich Sorgen machen, wenn du dich nicht meldest.“
„Sorgen“, wiederholte er genervt und griff sich an die Nase. „Wenn ich mich verspäte, kontrolliert er mich. Wenn ich pünktlich bin ermahnt er mich, bloß nicht wieder anzufangen. Wenn ich etwas kaufe, muss ich ihm auf den Cent genau alles beweisen. Ich hab Hausarrest bekommen, weil mir die verdammte Kassiererin zwei Cent zu viel rausgegeben hat. Ich werd niemals clean bleiben. Nicht so und nicht mit der. Du hilft mir nicht? Schon klar ich such mir was anderes. Was hab ich auch erwartet?“
„Du kannst auf dem Sofa pennen aber du rufst deinem Vater an und sagst ihm, dass du bei einem Freund pennst und Morgen sprecht ihr euch aus.“ „Was soll das bringen?“ „Verständnis bestenfalls. Ich weiß, dass du das durchhalten kannst.“
„Warum ist bei dir immer alles so in Ordnung? Ich hätte jetzt echt Bock auf nen Trick.“ Als hätte er es geahnt legte er seine leere Handfläche auf den Tisch. Kaum lag sie, ließ er ein Kartendeck unter seiner Hand erscheinen.
Davon hob er eine Karte ab und legte sie verdeckt auf den Tisch. Mit einer wischenden Bewegung ließ er eine Karte darüber und vier nach links erscheinen. Er fügte eine nach unten hinzu und ergänzte drei Karten nach rechts. Im Anschluss schob er die obere Reihe zusammen und auseinander. Die Farbe der Kartenrücken hatte sich verändert.
Das Selbe machte er mit der unteren Reihe. Allerdings schien er sie mit dem Überstreifen gewendet zu haben. Sie zeigten ihre Gesichter.
Leon durfte die obersten Karten umdrehen. Es waren die selben Abbildungen inklusive der selben Reihenfolge. Aus der obersten Reihe sollte er nun eine Karte wählen. Er sah nur für einen Sekundenbruchteil auf Diese. Als er die Anderen wieder sah, waren diese alle samt das Symbol seiner gewählten Karte.
„Es ist schade, dass du nicht mehr auftreten kannst“, meinte Leon und schob seine Kreuz neun zu den Anderen.
„Träume sind halt bloß was für Idioten.“ „Glaub mir, manchmal ist es besser Träume bleiben Träume. Ich wollte als Kind immer einen echten Tyrannosaurus Rex als Haustier haben.“ Leon lachte. „Okay, okay. Ich sollte mit ihm reden. Kann ich noch zwei Stunden bleiben?“ „So lang wie du willst aber gib deinen Vater Bescheid.“
Schwerfällig stand Jamiro vom Tisch auf. Auf dem Weg zum Schlafzimmer begegnete er seiner Schwester. Offenbar hatte sie wieder Mühe zustehen.
Zuerst wollte er noch mit ihr reden, entschied sich dann aber ohne Kommentar sie ins Zimmer zubringen. Schnell eilte er in sein Zimmer und kam wieder zurück. ''Für deine Beine'' stand auf dem Zettel über der Dose, die er ihr reichte.
Sie nahm es ihm ab und stellte es zur Seite. „Ich …“ Sie unterbrach ängstlich. Mut fand sie erst wieder als er saß. „Das Buch … Öffne es.“ Nachdem er es gefunden hatte kam er ihrer Bitte nach.
Im Inneren fand er zwischen allerlei Blätter und Blüten die Kreuz neun Karte aus dem Deck von Pik Ass. „Ich hab das alles für meinen Bruder gesammelt.“ „Eine schöne Idee“, nuschelte er auf die Seiten konzentriert.
Bei fast allen Pflanzen stand ein Spielplatz beschrieben. „Deinem Bruder gefällt das.“ Sie lächelte. Als er aber umblätterte verfiel sie wieder in Panik. Die offene und folgenden Seiten waren voll mit Blut. Er schloss das Buch und legte es schnell zur Seite.
„Es ist vorbei“, flüsterte er ihr zu, nachdem er sie mehr umklammerte, als sie sanft zu trösten. „Alles wird gut, versprochen. Keiner wird dir was tun.“ Es ging einige Minuten ehe er es wirklich schaffte sie zu beruhigen.
„Ich wünschte, ich hätte früher von dir erfahren.“ „Hätte nichts geändert.“ „Warum nicht?“ „Ich wäre nicht mitgekommen.“ „Echt nicht?“ Sie schüttelte niedergeschlagen den Kopf. Von der erneut läutenden Türklingel fuhr sie wieder zusammen. „Das wird vermutlich dein Therapeut sein. Wie heißt er denn?“ „Prof. Dr. Grünstein.“ „So. Na dann. Ich mach ihm mal die Tür auf. Du weißt ja, komm wenn du willst.“
Als er dort ankam war es nicht dieser gedachte Therapeut. Ein erzürnter und besorgter Mann traf es eher. Leons Vater stand vor der Tür. „Leon ist bei ihnen“, fragte er eher wie eine Feststellung. Im Hintergrund türmte sein Sohn schnell.
„Was nimmt er diesmal?“ Er zählte verschiedene Drogen auf. „Sie trauen ihm nicht wirklich zu clean zu bleiben?“ „Allzu lang ist es ja nicht her, wie sie wissen“, knurrte er. „Ich kann sie beruhigen, deshalb ist er nicht hier. Ich glaube er möchte ihnen etwas erzählen, was ihn belastet.“ Letzteres ließ ihn ungehobelt eindringen.
„Entschuldigung“, grummelte er hinterher. „Ich höre.“ Leon war nicht im Sichtfeld aber anscheinend auch nicht weit gekommen. „Deine Alte schon wieder. Muss das sein?“ „Welche Alte? Und gewöhne dir diese Ausdrucksweise ab.“
„Kann ich einmal mit dir reden ohne das alles falsch ist was ich tue? Ich interessiere dich doch nen Scheißdreck.“ „Ja sicher!“
„Setzt euch“, mischte sich Jamiro ein. Das er den Eindruck erweckte, nicht ganz fit zu sein, stimmt die beiden milde. „Hier habt ihr was zu trinken. Bedient euch wenn ihr mehr braucht.“ Mit diesen Worten verzog er sich.
„Ich hab gesehen, wie du diese Frau geküsst hast. Ich zieh aus, wenn du sie zu uns holst.“ „Du warst bei meiner Arbeit?“ „Scheiße man, ich dachte ich kann dir beweisen, das ich clean bin wenn ich nen Job hab. Dein Boss hat mir schließlich eine zweite Chance angeboten.“
„Leon, du sollst dich auf die Schule konzentrieren. Deine Noten sind furchtbar … Du sollst eine Zukunft haben, mehr verlange ich nicht.“ Schweigen herrschte.
„Du bemühst dich.“ „Natürlich bemüh ich mich!“ „Gut.“ „Gut!“ Das ''Gut'' wiederholte sich in abgeschwächter Version. Wie eine Art ''jetzt ist es abgehackt''.
„Was ist mit der Frau?“, fragte Leon, als sein Vater zur Tür gegangen war. „Ich mag sie nicht.“ „Aber der Kuss?“ „Kam von ihr. Verabschiede dich bei ihm und komm rüber.“ „Warum?“ „Darum.“ Als sein Vater gegangen war machte er dies wirklich und ging dann selbst.
Zwei Minuten später kam Selina durch die Tür. Sie schien nicht besonders gut gelaunt zu sein. „Na nu Essen und keiner da?“, staunte sie, als sie niemanden in der Küche vor fand.
„Na so was Jam. Deine Vernunft wird mir langsam unheimlich. Brauchst du eine Massage?“ „Ich bin nur schlapp. Wahrscheinlich schon wieder zu viel.“ „Ey Trübsal blasen ist aber keine Ruhe geben. Das wird schon. Du bist doch ein Dickkopf.“ „Ja ist nur die Frage, ob das gut ist.“ Er grinste und wendet sich dann ab.
„Hast du die Salbe benutzt?“ Keine Antwort kam. „Jam, du Esel.“ „Sie waren weg nachdem ich mit Evelin gesprochen habe. Es war schon zu spät, es zu testen.“ Sie seufzte.
Schließlich wandte er sich ihr wieder zu. „Seltsam, diese Karten.“ „Was meinst du?“ „Ach nichts. Nur Blödsinn.“ „Ich will es trotzdem wissen.“ „Na ja ich hab die Karte im Buch berührt und auf einmal waren meine Schmerzen weg, nur ein blöder Zufall. Ich meine das ist Papier und ich hab halt den Mist. Das kommt nicht von den Karten.“ „Wie du meinst, Jam.“
Selina und Jamiro saßen beieinander am Esstisch. Seine Schwester eilte zwischen Küche und Esstisch hin und her. Beim Achtenmal kam sie nur noch stolpernd an. Woraufhin er endlich eingriff und sie auf seinen Stuhl zog.
Danach machte er sich auf dem Weg, das Essen zu holen. „Evelin, dein Bruder möchte fragen, warum du so aufgedreht bist und wahrscheinlich auch, warum du unbedingt kochen wolltest.“ Sie reagierte nicht. Stattdessen rieb sie sich nervös die Beine.
„Hast du Schmerzen? Ich kann dir versuchen zu helfen.“ Das war noch ein Problem. Evelin erschrak nicht nur vor Jamiros Stimme. Es war ihr auch unangenehm, wenn ihr irgendjemand näher kam. Also schüttelte sie hektisch den Kopf.
Als Ablenkung deckte sie ungeschickt den Tisch neu. „Okay“, wich sie der Sache ratlos zurück. Schließlich kehrte auch Jamiro wieder an den Tisch zurück. Er setzte sich und begann kommentarlos zu essen.
„Stimmt was nicht?“ Es dauerte eine Weile, bis Jamiro leiser als gewöhnlich antwortete. „Ich will nur nicht, dass sie erschreckt.“ Erst jetzt erkannte sie, was er seiner Schwester zugeschoben hatte.
Ein kleiner roter Zettel auf dem ''Redebedarf'' stand. Sie lachte. „Klappt doch schon ganz gut mit euch beiden.“ Nach ein paar Bissen blickte sie zwischen ihnen hin und her.
„Wie geht’s denn deinen Beinen, Evelin?“ „Es … Es hilft.“ „Ich … Also ich hab ihr doch die Salbe geben.“ Dummerweise vergaß er, die abgemachte Vorwarnung zu geben. Wodurch seine Schwester wieder erschreckte.
„Und du Jam, hilft sie dir?“ Diesmal schob sie den Zettel zu ihr hin. „Ich wollte es nachdem Essen ausprobieren.“ „Ich versteh nicht, warum du dass vor dir herschiebst aber bitte machs endlich.“ Es blieb stumm am Tisch für wenige Minuten. Dann meinte Selina nachsichtig: „Deiner Schwester und Ichigawa hat es auch geholfen.“ Brummend stimmte Jamiro zu und aß weiter.
Anschließend legte er sich ins Bett. Die beiden Frauen kümmerten sich noch um den Abwasch. „Was ist falsch?“, überfiel Evelin sie mit einer Frage. „Was meinst du?“ „Wie merke ich, wenn ich etwas falsch mache?“ „Ach keine Sorge, er nimmt nie etwas krumm.“ „Nichts?“ Obwohl es sie ja eigentlich beruhigen sollte, geschah genau das Gegenteil.
„Okay, vielleicht kann man doch nicht alles bei ihm richtig machen.“ Schweigend dachte sie drüber nach, wie er das mit dem Abwasch einfach hingenommen hatte.
„Ich befürchte, wir verstärken sein Nutzlosigkeitsgefühl.“ „Will er vielleicht die Orte von meinem Buch sehen?“ „Das wäre eine gute Idee. Frag ihn später mal. Das freut ihn bestimmt.“
Als der Abwasch erledigt war, schlich sie in das dunkle Schlafzimmer. „Ich hab das dumpfe Gefühl, dass du nur so tust, als ob du schläfst.“ „Ich hatte nicht vor, so zu tun.“ Es schien ihm überhaupt nicht gut zu gehen.
Sie stieg neben ihn auf Bett. „Hilft es nicht?“, fragte sie besorgt. „Keine Ahnung“, knurrte er zurück. „Warten wir ein paar Minuten.“ Damit legte sie sich an seine Seite. Leider wurde es in den folgenden Minuten überhaupt nicht besser. Um ihm endlich zu erlösen, brach Selina den Test mit einer Massage ab.
„Was machst du denn?“, fragte er schwach, als er wieder halbwegs zu sich gefunden hatte. „Es tut mir Leid.“ „Du weißt, ich nehm es dir nicht übel.“ Er strich ihr träge über die Wange. „Kann ich dich um was bitten.“ „Nur raus damit.“ Er zögerte.
„Evelin hat Spielplätze beschrieben. Vielleicht macht es ihr Freude, wenn sie einen zeigen darf. Kannst du ihr vorschlagen, zum Spielplatz in Echtheim zu gehen.“ Selina lachte.
„Ach. Du bist echt unmöglich.“ In der Hoffnung, es ginge ihm bald gut, wartete sie zunächst noch ab. Allerdings bemerkte sie, dass es ihm leichter fiel, sie Beide wegzuschicken.
„Okay. Ich frag deine Schwester, ob sie Lust hat.“ Ein angestrengtes Schmunzeln erschien. „Aber Morgen … wenn du fit bist, fragst du sie.“ Er nickte schwach und damit ging sie.
Lustigerweise suchte Evelin genau denselben Spielplatz aus wie Jamiro. „Ich … Ich bin froh, dass ich es zuerst dir zeige.“ „Ja? Warum denn?“ „Ich versteh nicht, wann ich etwas falsch mache. zu Hause war das klar. Kochen, Zigaretten holen und Putzen.“
„Gehörte Jamiros Grab zu deinen Aufgaben?“ „Nein, ich hatte es durch Zufall erfahren, als ich wegen des Qualms vor die Tür musste.“ „Nicht im Ernst? Sie verdreschen dich, zwingen dich den Haushalt zu machen und dann sind sie so kollegial und schicken dich für den Rauch nach draußen?“ „Mein Husten hatte sie gestört. Weißt du, als ich das Grab gesehen habe, da … da ist was in mir passiert. Ich kanns nicht beschreiben aber ich musste ihm einfach die Welt zeigen. Blöd oder?“ „Nein überhaupt nicht.“
Als sie den Spielplatz erreichten, dämmerte es bereits. Genauso wie die hereinbrechende Dunkelheit steigerte sich wieder ihre Nervosität. „Mein … also Jamiro … ich … ich habe hier etwas gefunden.“ Sie bückte sich in der Nähe eines Gebüsches. „Hier.“ Ein Tippen noch näher an der Hecke machte es deutlicher.
„Ein Grashalm?“ Selina lachte. „Musstest du an Hektor denken?“ „W … Wieso?“ „Ach komm. Hektors Masche. Er dachte, es macht ihn cool, wenn er sich einen Grashalm in den Mund steckt und irgendwelchen Müll quatscht.“ Evelin grinste.
„Ich hab eine Karte hier gefunden. So was wie mein Bruder hatte.“ „Hier?“ Selina sah sich die Stelle genauer an. Nichts Besonderes.
Als sie aufsah, erkannte sie etwas schockiert, einen Mann, der einen Baum hochkletterte. Mit zornigen Schritten ging sie hin.
Eine Schachtel mit Spielkarten fiel herunter. Ihr lag schon einiges auf der Zunge, um ihn zusammenzustauchen. Doch ließ sie es sein, bis er vor ihr auf den Boden stand.
„Jamiro!“ Vor Besorgnis klang dies kaum wütend. „Vogel hat mir angerufen, dass da ein Vogel eine Karte ins Nest fliegt. Ob das ein Witz sei.“ Den letzten Satz fand er wohl selbst amüsant. Dabei steckte er auch noch die Karo acht in seine Kartenschachtel.
Seine Schwester, die ihm die Schachtel aufgehoben hatte, hielt sich an ihm fest. Sie war bislang nicht einmal erschrocken. „Ich wusste ja nicht, das Vögel telefonieren können“, scherzte sie ohne Emotion. Um so witziger fand er es.
„Jam, du bittest mich, etwas mit deiner Schwester zu unternehmen weil es dir nicht gut geht und dann seh ich dich hier auf Bäumen rumkraxeln.“ „Ich wollte dich anrufen aber dein Handy liegt auf der Arbeit.“ Selina verschränkte die Arme.
„Sag mal hörst du das auch?“ „Lenk nicht ab!“ Evelin löste sich ab und lief unbeholfen in eine bestimmte Richtung. Etwas ratlos folgten ihr die anderen Beiden.
Nach einigen Schritten war ein Schluchzen zu hören. Evelin, die weit vorangegangen war, setzte sich neben einen kleinen verweinten Jungen. „Was hast du?“, fragte sie mitfühlend. „Ich will nach Hause.“
„Hast du dir wehgetan?“ Vorsichtig schaute sie sich das Bein an, dessen Knöchel schon ganz blau war. Nun ging auch Jamiro vor ihm in die Hocke.
„Wie heißt du?“, fragte er. Der Junge wischte sich die Tränen ab. „Erkwin“, antwortete er. Daraufhin schaut die Frauen verdutzt drein. Den Magier ließ es unbekümmert.
„Waren deine Eltern mit dir auf dem Spielplatz?“ Er schüttelte den Kopf und weinte wieder. „Mama hat gesagt, ich soll warten. Mein Fuß tut so weh.“ „Weißt du was? Wir bringen dich vor auf den Spielplatz. Dann finden wir deine Mama schon.“ Der Kleine war sofort einverstanden und weil er nicht laufen konnte, saß er auf Jamiros Schultern, der gleichzeitig seine Schwester stützte.
„Jam!“, drohte Selina, die genau von seinem fit sein Getue wusste. Vielleicht war das folgende Hinsetzen etwas Einsicht. Desto trotz ließ sie Evelin bei ihm, um nach der Mutter des Kindes zu suchen.
„So, Herr Erkwin, also?“ Der Junge kicherte. Hörte aber rasch wieder auf weil sein Fuß so sehr schmerzte. Zwischenzeitlich hatte Jamiro nicht widerstehen können, seine Karten hervorzuholen.
„Wollen wir mal sehen, ob du mich anflunkerst.“ Als würde es irgendetwas ändern, schrieb er seinen Namen auf die Karo acht Karte. „Das kann man ja gar nicht lesen“, kritisierte der Junge. Evelin lachte.
„Er weiß wahrscheinlich gar nicht, wie man das schreibt.“ So als ob ihn das kränken würde, reichte er dem Kind die Karte. „Okay, dann schreibst du den Namen drauf.“
Erfreut nahm ihm der Junge alles ab und bemühte sich schön zu schreiben. „Hey viel besser als meine.“ Wieder lachte der Kleine. „Okay, dann schau nochmal. Das ist deine Karte ja?“ Eifrig nickte er. Er drehte sie um und pustete dagegen.
„Ist sie es immer noch.“ Der Junge nahm sie ihm ab, um sie anzusehen. Es war ein Foto, auf dem Jamiro in Kartengröße komplett zu sehen war. „Das bin ja ich. Hast du mich denn angeflunkert?“ Zunächst grinste er breit. Dann aber nickte er sich keiner Schuld bewusst.
„Weißt du was? Wenn du mir deinen richtigen Namen verrätst, hat der Jamiro eine Überraschung für dich.“ Er tippte auf das Bild. „Elio Ramos“, schoss aus dem Jungen geradezu heraus.
Anscheinend war er ein sehr fröhliches Kind. Ein Kichern folgte wieder. „Und du flunkerst mich nicht wieder an?“ So deutlich es nur ging, verneinte er. „Okay, dann schau mal, was der Jamiro für dich hat.“ Er legte zwei Finger auf die Stelle im Foto, wo die Hände waren.
Als er sie wegnahm, hielt er ein übergroßes Gummibärchen in der Hand. „Magst du Gummibären?“ Genauso eindeutig wie das Kopfschütteln nickte er nun.
„Dann holen wir dir das mal raus.“ Jamiro legte sich die Karte auf die flache Hand mit dem Bild nach oben. Dann bat er den Jungen, mit seiner Hand das Bild abzudecken und sich ganz fest das Gummibärchen zu wünschen.
Es erfreute Jamiro, wie sehr sich der kleine Junge darum bemühte. „Und hier ist es.“ Da war es. Kaum hatte Jamiro den erwünschten Gegenstand gezeigt, verschwand er auch schon im Mund des überglücklichen Jungen.
Evelin lachte. „Ich such auch mal. Bleibst du hier mit ihm?“ „Mir wärs lieber ein Arzt würde sich das mal ansehen.“ „Ich glaub, ich weiß, wo ich die Eltern finde.“ Damit verschwand nun auch Evelin.
„Ich bin nicht abgehauen. Ich wollte warten, ehrlich. Bekomme ich jetzt Ärger?“ In der Mimik des Jungen erschien etwas sehr Bedauernswertes. „Weiß ich nicht. Vielleicht schaust du sie auch so an.“
Längst hatte er bemerkt, dass der Kleine sich um ein weiteres Gummibärchen bereichert hatte. Ehe er ihn allerdings belehren konnte, falls er es denn überhaupt vor hatte, tauchte eine Frau auf.
„Finger weg von meinem Sohn!“, schrie sie und riss den Jungen an sich. „Aua Mama.“ „Wie oft soll ich dir sagen, geh nicht mit Fremden mit!“ „Aber Mama.“ „Das geht nicht, verstanden?“ Sie wurde etwas sanfter im Ton.
„Putz dir die Nase, dann geht’s nach Hause.“ „Aber.“ „Mach schon.“ Ein Mann kam angerannt, der den Namen des Jungen rief. Er blickte verwirrt zwischen den Personen hin und her.
Dann schrie er voller Wut: „Was haben sie mit meinem Sohn gemacht?!“ „Nichts“, erwiderte der Magier gelassen. Dies brachte den Vater aber nur noch mehr auf die Palme. So gar so weit, dass er die Polizei verständigte. Seine Worte waren allerdings so gewählt, als wüssten sie schon Bescheid.
Jamiro blieb gelassen, auch als er alles der Polizei zweimal erklären musste und geduldig die Aussage seiner Schwester und seiner Freundin abwarten musste.
„Warum sagst du nicht?“, brüllte ihn eine hysterische Stimme an. Jamiro saß am Esstisch mit seinen Eltern und zeigte überhaupt keine Regung.
„Warum redest du nicht mit uns? Wir unterstützen dich doch. Du brauchst Selina als deine Masseurin. Das ist keine Lösung für dich.“
Sein Vater, der bislang nur zugehört hatte, schob ihm einen Brief zu. „Wir haben dir ein bisschen was überwiesen. Das ist nicht viel aber wichtiger ist jetzt, dass du durchhältst. Kommst du noch ohne Übergeben aus?“ Wenigstens reagierte er überhaupt mal.
„Okay.“ Bedrückende Stille kehrte ein. Unterbrochen wurde es erst, als seine Mutter ihn schluchzend umarmte. „Du schaffst das! Vielleicht auch bevor es so schlimm wird. Tu dir was Gutes und denk nicht daran, wie es ist, wenn es so weit ist.“ Sein Vater grinste nur.
„Ich denke viel nach, wenn ich nichts zu tun habe.“ Jamiros Blick huschte zum Schlafzimmer ab. Seine Freundin lag mit einer kleinen Kopfverletzung im Bett. Was passiert war, wollte sie ihm nicht erzählen. Er wollte sie aber auch nicht weiter reizen.
„Ihr Tag war ziemlich mies.“ „Hmh“, machte sein Vater abwesend und bremste seine Frau aus. „Was kann ich denn machen?“ „Ich denke, ein nicht anstrengender Spaziergang wäre eine Möglichkeit.“ Sein Vater klang immer noch nicht so, als sei er bei der Sache.
„Und, dass wir das mit dem Geld richtig verstehen. Wir haben einen Magier gebucht.“ Seine Frau funkelte böse herüber. „Schatz?“ Es blieb kurz, still ehe die Mutter ihren Sohn wieder etwas fester umschlang. „Natürlich.“
Nachdem Besuch seiner Eltern ging er ins Schlafzimmer. Selina hatte bereits ihre Wut ausgelassen und schlief. Er wollte sie nicht wecken, also schrieb er ihr einen Zettel und nahm sich sein Handy mit. Ohnehin hatte der Vorschlag seines Vaters ihm gegolten.
Gemächlich lief er die Straße entlang, an der er wohnte. Man hatte er diese Krankheit satt. Er hatte keine Lust mehr, dass alles durchzustehen.
Immer und immer wieder und was war danach? Weshalb sollte es nicht wieder und wieder ausbrechen?
Als er sich gerade irgendwo hinsetzen wollte, knallte ihm aus heiterem Himmel einen Kuss auf die Wange. „Na Schatz. Warum versteckst du dich denn?“ Das war irgendjemand aber nicht seine eigene Freundin.
„Ähm ich …“ „Jetzt tu nicht so Karl-Peter.“ Was zur Hölle geschah hier gerade? Warum kannte sie seinen richtigen Namen. Den, den ihm seine leiblichen Eltern gegeben hatten.
„Jetzt komm schon“, meinte sie hektisch und zerrte an seinem Handgelenk. „Entschuldigen sie!“ Jamrio riss sich los. „Sie verwechseln mich.“ „Schatz, was ist denn dein Problem?“ Dem erneuten Kuss wich Jamiro aus.
„Was sind sie denn für ein Arsch?!“, brüllte ein Mann, der aus einem Gebüsch kroch. Als wäre die Situation nicht schon prekär genug, war es natürlich einer von Selinas Brüdern, Gregor.
„Betrügen sie meine Schwester mit der da?“ „Also hören sie mal!“ Gregor wich gerade noch ihrer Handtasche aus.
„Nein! Ich kenne diese Frau nicht.“ „Aber Schatz, was redest du da. Wir sind seit zwei Jahren verheiratet. Schau, ist der nicht schön?“ Sie präsentierte einen Diamantring.
„Ich glaub mein Gaul pfeift!“ Gregor schubste Jamiro über eine niedrige Mauer drüber. „Was fällt ihnen ein?“
Ruck zuck stand er bei ihm und wollte ihn treten. Allerdings wich Jamiro aus und schubste ihn selbst zurück.
„Jetzt reichs mir aber! Ich lass mir doch diese Scheiße nicht anhängen.“ „Sie betrügen meine Schwester!“ „Tu ich nicht.“ Der Streit verblieb nicht nur bei Wortgefechten.
Als sie schon etwas ramponiert aussahen, brüllte eine Stimme „Stopp!“ dazwischen. Es war Selina. „Er betrügt dich!“ „Halt sofort die Klappe und geht auseinander, augenblicklich!“
„Aber … ich.“ „Ich will nichts hören! Ich verdanke dir das und du glaubst, ich brauch dich zu meinem Schutz?! Bei euch wäre ich unter einer Säge sicherer.“
„Aber!“ „Halt die Klappe! Und du?“ Sie wand sich der Frau zu. „Scherst dich dort hin, wo der Pfeffer wächst. Das ist mein Freund!“ Die Fremde wich zurück, zog aber inbegriffen dessen ein Messer.
Ehe sich irgendjemand versah, war sie bereit zuzustechen. Doch es war Jamiro, der die Klinge im Eifer des Gefechts abbekam. Er wollte nur seine Freundin schützen.
Als er zu sich kam ''erfreute'' er sich an ein bekanntes Weiß. „Sie sind Lebensmüde oder?“, fragte etwas später Steve, der ihn Dienstuniform eingetreten war.
„Wie geht’s Selina?“ „So weit okay. Sie wissen ja, dass sie kein Blut sehen kann.“ Missmutig stimmte er zu.
„Ich wollte sie eigentlich nur vorwarnen, dass Aiden auf den Weg hier her ist.“ „Gut, dann geben sie ihm meinen Schlüssel.“ „Ihren Schlüssel?“ „Damit er sich um Selina kümmern kann. Ich lieg wahrscheinlich noch etwas.“
Der vierzehnjährige Jamiro saß auf einem Bürostuhl vor dem Chef seines Vaters.
„Sie? … Warum ist Umherlaufen hier verboten?“ „Weil du im Weg bist, Knirps! Lass mich arbeiten, verstanden?“ „Hmh.“
Der kleine neugierige Bengel senkte seine Aufmerksamkeit auf ein seltsames Teil, in dem vier Kugeln aufgehängt waren.
Eine Weile starrte er es nur an, als würde jeden Moment etwas absolut Außergewöhnliches passieren.
Als nichts passierte, stupste er die Kugeln an. Was ihm schon mehr Spaß machte. Irgendwann fand er dann heraus, was es tatsächlich machen sollte und war begeistert. Der Chef eher weniger. Wütend nahm er es ihm ab.
„Verzeihung für die Unterbrechung, Herr Lopell. Wie lange braucht mein Papa noch?“ „Woher soll ich das wissen? Hättest ihn halt gefragt, ob er Zeit hat für einen Überraschungsbesuch.“
„Ich wollte ihn nur abholen aber die Frau Menzenländer sagte, ich solle nicht draußen warten.“ „So. Jetzt hab ich dich dafür auf der Pelle.“ „Aber sie wollten doch, das ich hier auf diesem Stuhl warte, Herr Lopell.“ „Ja aber ich wollte auch das du mich nicht dauernd unterbrichst.“ „Verzeihung, Herr Lopell.“
Schweigen brach aus. Wobei die Stille von ächzenden Stuhlbeinen unterbrochen wurde „Kannst du nicht still sitzen, Junge! Ich muss hier arbeiten.“ „Ja, Herr Lopell.“ Krampfhaft versuchte sich Jamiro ruhig zu halten. Doch kaum berührte die Mine des Stiftes wieder das Blatt sprang das unruhige Kind auf.
„Was ist denn jetzt schon wieder?“ „Ich glaube, ich warte doch lieber draußen auf meinen Papa. Sonst verpass ich ihn vielleicht noch. Danke fürs Aufpassen, Herr Lopell.“
Der Mann stieß ein Seufzen aus. „Setzt dich hin. Es kann ja nicht mehr lang dauern. Hier.“ Er zerrte Papiere aus dem Drucker und legte es ihm mit einem Kugelschreiber hin. „Farbe gibt’s keine. Musst eben kreativ werden.“ „Kreativ kann ich.“ Das wollte Jamiro unbedingt beweisen.
Gemalt hatte er, wie sollte es anders sein, eine Spielkarte, um genau zu sein den Karo Buben. Skeptisch zog der Chef die Augenbrauen hoch.
„Sag mal ist dein Papa ein Spieler?“ „Nö. Ich bin Zauberer. Schauen sie mal, Herr Lopell. Ich lege nur meine Hand auf. Sehen sie, ist nichts dran oder?“ In seiner Aufregung zeigte er es nur kurz und erwartete auch keine Antwort.
Er wischte über die Zeichnung und hatte gleich mehrere und verschiedene handgezeichnete Karten.
„A ha“, machte sein Zuschauer nur wenig begeistert. „Ich kann noch mehr. Guck.“
Voll in seinem Element wählte er eine Karte aus, worauf er eine Zweite legte. Dann schien ihm noch etwas einzufallen. Jedenfalls kramte er ein Schleifenband aus seiner Tasche hervor, dass er dann um diese beiden Karten band.
„Und wupp, ist es ein Geschenk für Herz König, meinem Papa.“ Jamiro lachte. „Jetzt ist es wohl für dich Karo Bube.“ „Bube?“
Sein Vater kam in den Raum gestolpert. „Verzeihung Herr … ähm … Kommt nicht wieder vor.“ Verlegen wuschelte er durch Jamiros Haare.
„Vergessens sies“, erwiderte der Chef und zerriss in diesem Augenblick ein Papier mit der Aufschrift ''Kündigung''.
„Ihr Sohn hat ein Geschenk für sie. Öffnen sie es, falls etwas drin sein sollte.“ „Natürlich! Magischer Schokokuchen. Ganz lecker.“ Tatsächlich befand sich im Inneren ein Kuchen.
„Haben sie ein Messer?“ „Ja weil jetzt muss geteilt werden. Sonst ist das unfair.“ Vater und Chef lachten über die Argumentation.
Das Erste, was Jamiro beim nach Hause kommen sah, war Aiden. Er lag auf seinem Sofa und reagierte nicht. Vermutlich schlief er, auch wenn das nicht wirklich so aussah. Er eilte so rasch es mit seiner Verletzung ging zur Küche und grüßte nur beiläufig.
Dort allerdings hatte er ein neues Problem. Mit zwei bandagierten Händen konnte er schlecht die Tablette nehmen, die er brauchte.
Aiden kam wie gerufen in die Küche. Blickte ihn an und drückte ihm die Tablette heraus. Er half ihm sogar weit aus mehr, obwohl er dafür sicher über seinen Schatten springen musste.
„Danke.“ „Mein Flug geht in zwei Tagen“, knurrte er und begab sich wieder zum Sofa. „Wenn es ihnen nichts ausmacht, können sie auf dem Sofa schlafen.“ Kaum hatte er ihm das Angebot gestellt, fragte er sich, warum eigentlich. Selinas großer Bruder wäre eh nicht gegangen.
Die Tür ging auf und Evelin trat ein. Für einen Moment war Jamiro etwas enttäuscht. Er hatte auf seine Freundin gehofft.
Seine Schwester machte einen auffallenden Bogen um Aiden und landete bei ihm. Ihr Blick verriet schon, dass sie sich Sorgen um ihn gemacht hatte. Er grinste. „Alles gut?“ Obwohl er sich sicher war, dass sie es als Frage verstanden hatte, wandte sie sich ab und ging in ihr Zimmer.
„Unser Gast verwirrt dich“, stellte er fest, als er am Türrahmen zu ihrem Zimmer lehnte. „Ich weiß, dass es Selinas Bruder ist.“ „Ja aber deshalb weiß man ja nicht, ob jemand gut ist.“ Damit nahm er an ihrer Seite platz.
Sie lachte schwach. „Ich wusste immer, dass du anders bist.“ „So. Ja gut Tod zu sein ist schon etwas anders.“ Ein Grinsen folgte seinem Spott.
„Nein anders als das mit meinen Eltern, meinte ich. Klingt seltsam.“ Bemüht versuchte auch sie zu schmunzeln aber dazu schien es ihr viel zu wichtig.
„Das Grab hat dir Halt gegeben all die Zeit. Wolltest du deshalb nie weg, weil du mich also deinen Bruder nicht mitnehmen konntest?“ „Nicht direkt aber vermutlich schon.“ Sie schwieg bedrückt. Es war ihr unangenehm.
„Was hältst du davon, wenn wir hingehen?“ „Zu Fuß ist das ganz schön weit.“ „Fragen wir eben meine Eltern.“ Das war einfacher gesagt als getan, da er immer noch nicht seine Hände benutzen konnte.
„Selina sagte, du solltest nicht übertreiben, wenn du nach Hause kommst.“ „Ruhe geben ist nichts zwangsläufig Bettruhe.“ „Ich mach dir Essen.“ Sie stand auf und schien im ersten Moment nicht so recht ihre Beine unter Kontrolle zu haben.
„Wie geht’s deinen Beinen?“ „Die Salbe hilft.“ Skeptisch zog er die Augenbrauen hoch. „Wirklich“, rechtfertigte sie zurückweichend. „Ich möchte nur nicht, dass du dir wehtust.“ „Tu ich nicht. Mit der Salbe habe ich nur Probleme, wenn ich aufstehe. Der Arzt meinte, dass meine Krankheit fast weg ist. Was ich jetzt noch habe, sind die Verletzungen von den Stürzen.“
Mit Mühe zerrte sich auch Jamiro auf die Beine. „Ich sollte Ichigawa mal berichten.“ „Möchtest du, das ich dir die Nummer wähle?“ „Das wäre nett.“ „Okay.“ Eilig ging seine Schwester voran. Sie wusste genau, wo sein Handy lag und wollte seine Bitte schnellstmöglich erfüllen. Als er bei ihr ankam, hielt sie es bereits in der Hand aber sie fragte lieber nochmal nach. Schmunzelnd gab er ihr einfach den PIN.
Nachdem sie gewählt hatte, lief er mit dem Handy auf der Bandage balancierend ins Schlafzimmer.
Irgendwann bewegte sich auch Aiden wieder vom Sofa herunter. „Lässt sich also der feine Herr auch noch bekochen.“ Erschrocken wich Evelin zurück und verbrannte sich. „Nicht so schreckhaft, Mädchen. Ich beiße nicht.“ Er zog sie unter den Wasserhahn und kühlte die Stelle.
„Bleib, ich mach das.“ Damit kümmerte er sich um das Essen. „Du bist also eine Schwester von ihm?“ Sie nickte zögerlich. Dann wurde es wieder still. „Ich …“ Aiden machte keine Anstalten, sie zu ermutigen. Dennoch fand sie recht schnell die Kraft allein dazu.
„Ich kenne alle ihre Brüder bis auf Steve und sie.“ „Ach meine Schwester kennen sie also auch gut.“ Irgendwie betonte er das sie seltsam. „Wir waren … wir sind Freundinnen. Allerdings haben wir uns als Kinder aus den Augen verloren.“ „Ah, doch ich kann mich an sie erinnern.“ Anscheinend versank er in trübe Gedanken.
„Wie hat Selina eigentlich von meinem Tod erfahren?“ „Von ihren Brüdern.“ Evelin wich nervös zurück. „Was haben sie denn?“ „Ich hätte nicht fragen dürfen. Entschuldigung.“ „Sie tun ja gerade so, als würde ich alles kurz und klein schlagen, was nicht meiner Meinung ist.“ „Tun sies?“ Er verfiel in Gelächter. „Nein.“ Das schien sie ihm glauben zu wollen.
Als später Selina Jamiro aus dem Schlafzimmer holen wollte, fand sie nur noch einen Zettel vor. ''Bin am Hassbrecht Grab'' „Jam, du verfluchter Idiot“, schimpfte sie, als sie wieder heraus eilte.
Sie und Evelin fuhren umgehend zum Friedhof. Dort stand der Gesuchte an der Mauer gelehnt seitlich vom Grab. „Ihr habt mir ja ganz schön Zeit gelassen.“ Der Versuch zu verschleiern, wies ihm ging, war erbärmlich.
„Warum machst du das?“, knickte Selina ein, die schon alles vorbereitet hatte. „Na ja … Irgendwie bin ich ihm ja was schuldig oder?“ „Das ist nicht wahr. Du kannst nichts dafür, vertauscht worden zu sein.“ „Ich bin mutwillig vertauscht worden und das Schlimmste … ich bin ihr auch noch dankbar. Nur er hier versauert unter falschen Namen ohne jemand, der ihn jemals gern gehabt hätte. Er, der anstatt mir hier liegt.“
Sein Blick wanderte auf seine Schwester. Die hatte nämlich einfach mal begonnen, das Grab zu richten. „Außer sie irgendwie. Sie liebt ihn abgöttisch.“ „Warum auch nicht? Sie hat ja irgendwie zwei Brüder. Wahnsinnig verwirrend aber ich glaube, keiner kann klagen.“ „Meinst du? Ich dachte dran, etwas Derartiges wie Evelin als Entschädigung zu machen aber na ja und ne Kerze na ja wohl das gleiche Problem. Vor allem keine Kerze und Feuer.“ Bei beiden Gründen hatte er seine Bandagen bedauert.
„Na da komm ich wohl gelegen, junger Mann.“ Ein Mann kam auf sie zu, der einen Gehwagen vor sich herschob. Sein langer schneeweißer Bart lag oben auf. Im Grund sah der Fremde aus wie ein Mann im Zaubererkostüm.
„Bedienen sie sich. Dürfte ich sie vielleicht um einen Gegengefallen bitten.“ „Natürlich.“ „Ach du meine Güte dieser Elan. Als ich noch jung war … Ach vergessen sies, das will doch keiner hören.“ Er lachte.
„Erzählen sie nur. Ich hab ganz schön viel Zeit momentan.“ „Mehr Zeit, als ihnen wohl lieb ist. Ich wollte sie nur bitten, für mich eine Kerze für dieses Grab hinzustellen. Ich komm nicht so gut hin.“ „Gern. Ich mach das für sie mit, ja?“, drängte sich Selina dazwischen. Natürlich wollte sie nur verhindernd, dass der Magier das irgendwie versuchte. Seltsamerweise grinste er nur gelassen.
„Ein Verwandter?“ „Nein, ein sehr guter Freund. Das ist schon so lange her. Verzeihen sie die Frage, wie alt sind sie?“ Jamiro nannte sein Alter, woraufhin sein Gegenüber blitzschnell sein Geburtsjahr entgegnete. „Ja das stimmt.“
„Ich bin furchtbar schlecht, was Namen betrifft aber ich suche einen jungen Mann in ihrem Alter.“ „Vielleicht kann ich helfen.“ Der Mann lachte und blickte zu ihm auf. Seine Augen stachen smaragdgrün hervor. „Ach Menschen wie sie sind so selten geworden. Ich wünschte, ich hätte mehr als das, was ich bereits gesagt habe.“
Jamiro löste sich von seinem Platz und ging zu dem Fremden, der irgendwie vertraut wirkte. „Gehen wir zu der Bank dort? Vielleicht fällt ihnen mehr zu der Person ein, wenn sie mir ein bisschen was erzählen.“ „Eine gute Idee. Wissen sie, mein Freund hat diesem Jungen damals etwas gegeben, das ich nur in guten Händen wissen möchte.“ „Einen Gegenstand? Das ist doch schon mal was.“
An der Sitzbank angekommen wartete er, bis der ältere Herr saß. Dann nahm er neben ihm platz. „Sie sprachen von einem Jungen. Wie sah er denn aus?“ „Das weiß ich leider nicht. Ich war nicht dabei und mein Freund starb, bevor ich ihn sehen konnte.“ „Das tut mir Leid mit ihrem Freund.“ „Ach wissen sie, er hat schon so lang gelitten. Es war Zeit für ihn.“ „War er in einem Hospiz?“ „Ja.“ Beim Aufblicken dieses Mannes fiel wieder seine sonderbare Augenfarbe auf.
In hektischen Schritten kam Selina auf sie zu. „Auf dem Grab …“ Ihre Stimme war ganz heißer vor Aufregung. „Der Jungen, den sie suchen, machte ihn nicht zufällig zu Pik Ass oder? Und das Geschenk … Es war ein Kartendeck, stimms?“ Der Mann senkte lachend den Kopf herab.
„Wer hätte gedacht, dass ich ihn tatsächlich finde.“ „Wollen sie die Karten zurück?“ „Nein. In ihren Hände sind sie aufgehoben.“ „Vielleicht sollten sie wissen …“ „Das sie krank sind? Ich habe das Gefühl, meine Karten gehen ihren Weg.“ „Ihre?“ „Die Karten sind ganz schön alt, junger Mann. Wollen sie raten?“ „Fünfundsiebzig!“ Keine Ahnung, warum er gerade dies antwortete. Es brachte den Mann jedenfalls zum Lachen. „Hundertdrei.“ „Das ist lang.“ Selina blickte verwirrt hin und her.
„Wieso sprechen sie von ihren Karten, wenn sie Pik Ass gehört haben? Wenn sie nämlich der Macher wären, sind sie doch auch über Hundert.“ Der Mann lächelte. „Wollen sie die Geschichte hören?“ „Warum eigentlich nicht?“, ergriff wieder Jamiro das Wort. Noch immer wirkte er überwältigt von dem, was hier gerade passierte.
„Gut aber ich erzähle ihnen zwei Geschichten. Es war ein kleiner Bettlerjunge, der diese Karten erschuf. Warum? Nun ja, er war in Not. Hatte er dem Wirt ein Laib Brot gestohlen.
Dieser bös und voller Zorn drohte dem Jungen die Hand abzutrennen. So war das mal. Doch nun seit dem Wirt nicht bös. Denn auch er hat kaum mehr als dieses eine Brot.
Lässt er den Jungen ziehen, so kämen mehr. Ja, ein Brot könnte er vielleicht entbehren. Doch ein Zweites nimmer mehr.
Im Inneren ein gutes Herz, schlug er dem Jungen vor, seine Schuld zu bezahlen. Finde er einen Gast mit origineller Bitte, so erfülle er diese und verschwinde.
Sofort machte sich der Junge ans Werk. Ich sag euch, das war schwer. Hatte der Wirt nur drei Gäste da. Zwei der Männer selbst nicht reich, dem Jungen sein erstes Ziel.
Doch die Herrn gar nicht erfreut. Lassen den Jungen kaum beginnen vor Wut. Verdreschen ihn und jagen ihn vom Tisch. Der Wirt nun voller Sorge im Gesicht.
Hält den Jungen zurück, als er sein Glück beim Letzten hofft. Dieser jedoch steht auf. Ist ziemlich betrunken. Kann kaum gehen. Dennoch sinkt er vor dem Jungen in die Knie.
„Besorge mir ein neues Spiel. Morgen bin ich wieder hier. Dann will ich es sehen.“ So kam es, dass der Junge diese Karten schuf.“
Lachend sah sich der Erzähler zwischen den Zuhörern um. Dann fing er die Zweite an.
„Verzaubert von der schönsten Frau der Stadt verfiel der Tag in die Nacht. Papier rollte über den Tisch, wurde von Farbe ertränkt. Entstehen sollte, was die Worte nicht sagten. Ein Weg sollte sich ebnen, ohne zu bereden. Doch gewann er die Mut, um sie zu verlieren im richtigen Moment. Als Gast zum Spiel war er nun gekommen. Saß am Tisch und spielte nur mit. Zureden zur rechten Zeit macht es schwer, wenn der Mut nicht greift. Gegeben hab ich dem, der den Grund nicht kannt.“
Hier beendete der ältere Mann seine Geschichten.
„Jam?“ Selina ging besorgt auf ihren Freund zu. Er schwitzte und glühte, als sie seine Stirn berührte.
„Du solltest nach Hause ins Bett.“ „Das sollte ich wohl“, gab er angeschlagen zu. Als er sich verabschieden wollte, war dieser eigenartige Fremde weg. Neben ihm lag nur noch eine Pik sieben Karte, die ohne jeden Zweifel aus Pik Ass Deck stammt.
Verstimmt holperte der einst so geschickte Magier zu seiner Zimmertür. Irgendwie hatte er allgemein leichte Koordinationsprobleme.
„Sie wissen schon, was sie meiner Schwester versprochen haben!“, erinnerte ihn Aiden, der sich auf seinem Sofa sehr wohlzufühlen schien.
„Ich dachte, ihr Flieger ging vor einer Stunde.“ „Dachten sie!“ Der mehr oder weniger erwünschte Gast stand auf und baute sich bedrohlich vor seinem Gegner auf.
„Ich schätze, in meinem eigenen Haus muss ich nicht auf den Ältesten hören.“ War das Geräusch von Aiden ein kurzes Lachen? Was auch immer es war er blieb wie eine Mauer stehen.
Vorbei gehen ging nicht, da Jamiro noch mitten in der Tür stand. „Könnten sie bitte zur Seite gehen?“ Spöttisch verschanzte er die Arme. „Hören sie, ich brauche kein Kindermädchen.“ „Seh ich vielleicht so aus?!“ „Was tun sie dann da gerade?“ „Was glauben sie wohl?“ Ein genervtes Stöhnen entwischte.
„Lassen sie mich vorbei.“ „Fehlen ihnen schon die Argumente?“ „Vielleicht aber prügeln können sie sich ja schlecht mit mir.“ „Glauben sie?“ „Ich hab was zu tun, also lassen sie mich.“ „Außer Bettruhe tun sie hier gar nichts.“ „Das ist jetzt wohl ein Scherz?“ „Wenn sie lachen wollen, ja bitte. Raus kommen sie hier nicht!“
„Tun sie immer, was ihre kleine Schwester sagt?“ Obwohl er sich sicher war, hier irgendwo einen wunden Punkt zutreffen, geschah bei Aiden überhaupt nichts.
„Sie gehen mir auf den Zeiger“, gab er schließlich den Kampf mit dem Muskelprotz auf. Fröhlich summend kam Selina zur Tür rein. Eigentlich viel zu früh heute.
„Wie geht’s dir heute, Schatz?“ Wie dämlich dieses unterschwellige ermahnende ''Schatz'' immer war. „Beschissen!“, knurrte er und verzog sich ins Zimmer zurück.
Mit einer Tüte in der Hand huschte Selina vor Aiden und überreichte es ihm mit einem geflüsterten Danke. Damit gab Aiden die Tür frei.
„Sorry für den Bodyguard“, kicherte sie und umschwärmte ihn. „Sorry aber mir stehts nicht ganz nach Beschwichtigung.“ „Vielleicht fragst du mal lieber, warum ich so gute Laune habe.“ Das war nun wirklich nicht zu übersehen. Dennoch hatte er keine Lust nachzufragen.
Selina warf sich aufs Bett nieder. Konnte es sein, dass sie ihn nur immer bekam weil sie nicht versuchte, gegen ihn anzukommen? Er rümpfte die Nase über diesen nicht akzeptablen Gedanken.
„Na mach schon! Frag! Ich platz bald vor Neuigkeiten.“ Irgendwie versuchte er dem offensichtlichen Spiel nicht nachzugeben aber es gelang ihm nicht. „Und?", fragte er minimal interessiert. „Es ist vermutlich nur einmal der Fall, dass du einer Frau fürs dicker werden beglückwünschen darfst. Noch nicht ganz Normalgewicht aber okay.“
„Schön.“ „Hey, ich wollte beglückwünscht werden.“ Ein Kissen flog gegen ihn. „Ich freu mich wirklich für dich.“ „Oh Gott war das emotionslos. Vielleicht übst du das nächste Mal.“ „Ich hatte ja gesagt, dass ich heute keine gute Laune habe.“ „Das ändern wir schon noch.“ Murrend setzte er sich neben sie. Das war ja das Ziel dieses Gespräch und genau deshalb widerstrebte ihm das alles.
„Ich hab dir doch was versprochen, wenn du die zwei Tage durchhältst. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob das so eine gute Idee war.“ Natürlich wusste er wieder einmal Bescheid. Er zog seine Karten aus der Tasche und hob sie ihr hin.
„Überrasche mich.“ „Okay.“ Zögerlich öffnete sie die Schachtel. Die durchsichtige Kartenschachtel war aber leer. „Hey, das war doch … wie … Ich meine, die war doch gerade noch voll.“ Vermutlich wäre Jamiro eigentlich hier wieder eingesprungen. Doch irgendwie tat er das nicht.
„Jam?“ Ihr Blick wanderte besorgt auf ihn. Er wirkte angespannt aber nicht so, als hätte ihn seine Krankheit unterbrochen. „Was ist los?“ „Nichts. Die Karten liegen dort.“
„Du denkst an den Mann vom Friedhof, stimms?“ „Was ich alles denke in letzter Zeit. Mach dein Trick. Ich seh zu.“ „Ich glaub, wir machen lieber etwas anderes.“ Sie rappelte sich auf und suchte seine Nähe.
„Ich bin so froh, dass das Fieber nur so kurz war.“ „Weil ich gerade sonst nichts Schlimmeres habe?“ Sein Lachen war so was von ironisch. „Nein aber ich dachte, das kommt von der Wunde. Weißt du, du hast so viel Pech in letzter Zeit. Du musst doch durchhalten.“ Zornig zog er es vor zu schweigen.
„Ach Jam. Lass dich nicht runterziehen. Du weißt, es wird wieder besser.“ „Ja sicher!“ Er stand auf und ging zur Tür. Dort wollte ihn Aiden erneut stoppen. Doch Selina bat ihn, ihn einfach durchzulassen. So zog Jamiro ab.
Aiden allerdings setzte sich zu seiner Schwester. „Ich wünschte, ich könnte ihm irgendwie helfen.“ „Das tust du mehr als genug.“ „Das sagst du so.“ „Das ist so!“ Etwas ruppig nahm er sie in den Arm und wischte ihr eine Träne weg. „Lass dich nicht wieder als Blitzableiter benutzen, okay.“ „Das macht er nicht.“
Währenddessen war Jamiro zwar eilig gelaufen aber noch nicht allzu weit gekommen. Er stand vor einer Bank. Anscheinend hatte er sich wieder etwas abgeregt, da er entschloss, für Selina etwas zu kaufen und seine Schwester hatte auch bald Geburtstag. Es könnte nicht schaden, ihr auch etwas zu besorgen.
Versunken blieb er aber an der Ecke eines Automaten stehen. Was machte er sich eigentlich vor? Solche Dinge konnte er sich im besten Willen nicht leisten. Ohne das Geld seiner Eltern hätte er neulich nicht einmal die Stromrechnung bezahlen können, die eigentlich sogar geringer war als sonst.
Murrend nahm er einen Gedanken wahr, den er sich gerade in den letzten zwei Tagen sehr häufig gesagt hatte: ''Keine Zeit für Stolz''. Damit setzte er sich wieder in Bewegung. Auch wenns überhaupt nichts bringen würde, wollte er nun seinen Kontostand überprüfen. Eigentlich wusste er ja, was beim letzten Mal drauf war und vor allem das er das nächste Mal darauf angewiesen war, alle Rechnung an Selina abzugeben.
Während die Auszüge gedruckt, wurden kam seine Schwester rein. Ihre eingeschüchterte Art auf ihn zu zukommen, zeigte ihm, dass sie etwas von ihm wollte. „Hast du den Streit mitangehört?“, fragte er noch immer angespannt. Sie zögerte und gab keine Antwort. Stattdessen nahm sie ihn plötzlich in den Arm.
Jamiro war davon überrumpelt. Er dachte nicht, dass sie schon so weit ihre Ängste überwunden hatte. „Es tut mir Leid.“ Jemand kam rein und mischte sich grob in die Umarmung ein. „Geh mal kurz weg, Mädchen!“ Mit diesen Worten wurden sie getrennt und er an die Wand gedrückt.
Aidens Mimik war zornig. Natürlich ging er auf ihn los, nachdem er sich erlaubt hatte, vor seinen Augen seine Schwester nicht gut zu behandeln. Er grinste, was nicht die beste Lösung in seiner Lage war. Doch Evelin wusste zu handeln. Sie traute sich Aiden, diesen Felsen zu stoßen.
„War das alles?“ Es hatte tatsächlich eher nur wie ein Tätscheln gewirkt aber es erzielte seinen Zweck. „Komm schon, Mädchen. Mach es richtig!“ Als Jamiro merkte, dass sie zu viel Angst hatte, stellte er sich zwischen die beiden.
„Wir gehen jetzt!“, befahl er und drängte Evelin voran. Ein paar Meter in Richtung des Hauses schloss Aiden wieder auf. Besser gesagt, fand er sie alleine vor. Er reichte ihr ohne Kommentar die Dinge, die der Magier in der Bank vergessen hatte.
„Hast du reingeschaut?“ „Es interessiert mich nicht“, knurrte er und zog wieder ab. Als er außer Sichtweite war, kam Jamiro zurück. „Alles klar?“, fragte er, als sie das eigentlich ansetzen wollte. Sie lächelte schief und überreichte ihm sein Zeug.
„Danke. Sag mal, mit was könnte man dir eine Freude machen?“ Sie verstand wohl nicht ganz den Hintergrund seiner Frage. „Du machst tolle Fortschritte. Ich finde, du hast dir eine Kleinigkeit verdient. Außerdem bist du extra wegen mir zurückgelaufen und Rücksicht habe ich auf euch Beide nicht genommen.“
Das Erwähnen des Geburtstages verhinderte Evelin, in dem sie meinte: „Du suchst nur Gründe.“ „Vielleicht wären das aber gute Gründe.“ Sie schmunzelte aber den erneuten Versuch ließ sie dennoch unbeantwortet.
Stattdessen begann sie etwas in ihrer Tasche zu suchen. „Ich hab etwas für dich auf der Arbeit gemacht.“ Die Aussage ließ ihn etwas verwirrt dreinschauen. Trotzdem reichte sie ihm eine kleine Box. Irgendwie schien das Geschenk bei ihm nicht gut anzukommen.
„Du solltest sie fragen.“ „Hmh“, machte er nur entgeistert. „Du liebst sie doch, oder?“ „Schon aber ich möchte ihr kein Antrag machen, solange ich krank bin.“ „Meinst du etwa, sie liebt dich später mehr weil du gesund bist?“ „Nee aber meinem Ego würde es leichter fallen.“ Schweigen kehrte ein.
Anstatt weiterzusprechen, hakte sie bei ihm ein. Ihre Beine machten wieder Probleme, wie man an ihrem Gehen gut sehen konnte.
Ein paar Meter später brach Jamiro das Schweigen. „Du hast schon recht. Selina geht mit mir da durch, ob ich nun will oder nicht. Vermutlich würde sie sich auch sehr freuen.“ Sie musste eine Pause einlegen. Somit zog er sie zur Seite. Dort sah er sich auch die Ringe an.
Der schlichtere und größerer Ring war wohl seiner. Eine bläuliche Linie zierte es zwischen silbernem Material. Selinas Ring fasste einen blauen Edelstein ein und war ringsherum mit durchsichtigen kleineren Edelsteinen bedeckt. „Die sind schön geworden.“ Das Kompliment brachte Evelin richtig zum Strahlen.
„Ich werde dich fragen, wenn es um die Eheringe geht.“ „Unbedingt! Ich habe … Ich meine, habe ich natürlich noch nicht aber … aber sie wären so schön so und … ich meine, die wären … ich.“ Sie musste anscheinend schwer dagegen ankämpfen, nicht ihre Vorstellung zu verraten. „Ich werde dir Bescheid geben.“ Jamiro platzierte sich neben sie.
„Magst du schon mal alleine vorgehen?“ Sofort sprang sie auf, was sie fast zu Fall gebracht hätte. „Mach langsam. Vielleicht geh ich doch lieber mit.“ Sie schüttelte hektisch den Kopf. Schließlich hatte sie bereits verstanden, warum sie vorangehen sollte. Sie eilte so gut es ihre Beine zu ließen nach Hause, um dort Selina zu holen.
Als sie bei ihm ankamen, war er tatsächlich unerwartet sitzen geblieben. „Lässt du mich helfen, du Esel?“ Sie drängte sich auch ohne Antwort hinter ihn. Seine Schwester blieb im Auto.
„Dieser Mann ist doch verrückt“, begann Jamiro ein Gespräch, als es ihm wieder etwas besser ging. „Wen meinst du?“ Es hatte etwas mit den Auszügen in seiner Hand zu tun. „Sag schon.“ „Pik Ass Freund. Er hat mir Geld überwiesen.“ Damit reichte er die Dinger nach hinten. Selinas Mimik schockte.
„Er weiß, dass ich die Karten verloren habe und dennoch … Es ist unmöglich, alle Karten wiederzufinden, nachdem ich weiß, dass sie vereinzelt irgendwo dem Wetter ausgesetzt sind.“
„Hier steht Kartenlockmittel. Meinst du, er schickt dir noch ein Paket oder soll das ein Witz sein?“ „Was auch immer, ich lass es sofort zurückgehen. Das kann ich nicht annehmen.“ „Wie auch immer, Jam. Jetzt bist erst einmal du an der Reihe. Deine Überraschung steht noch aus.“ Eigentlich wollte er ablehnen aber nachdem er ihre erste Überraschung schon versaut hatte, konnte er das nicht.
Mühsam und nicht so richtig wollend quälte er sich ins Auto. „Es kostet auch nichts, Schatz“, strahlte sie stolz und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
Wie gewohnt stand seine Freundin etwas zu sehr auf dem Gaspedal. Ein Wunder, dass sie den Führerschein immer noch hatte aber irgendwie hob genau das seine Laune.
„Ich ahne, was du planst“, begann er nahe am Ziel zu behaupten. „Das ist einfach wenn du die Schilder liest“, kam zurück. Bei Evelin herrschte Stille. Ihr Ziel war ein riesiges Wellnesscenter. Dort, wo Selina im Massagebereich arbeitet. „Ganz schön gewachsen das Ding.“ „Ja. Meine Chefin steckte da alles rein, was sie hat. Sie sagt, so was aufzubauen sei immer schon ihr größter Wunsch gewesen.“ Bevor es Jamiro tun konnte, half sie seiner Schwester und führte die Beiden rein.
„Schönen Tag zusammen“, grüßte eine Frau, die ihnen entgegenkam. „Danke nochmal, dass ich meinen Freund und seine Schwester hier verwöhnen darf.“ „Du bist meine beste Masseurin. Da konnte ich nicht Nein sagen.“ Sie lachte und verwickelte sie in ein kurzes Gespräch.
Im Anschluss wurde Evelin von ihr in Obhut genommen, während Jamiro von Selina behandelt wurde. Es dauerte nicht lange, bis er vor Entspannung eingeschlafen war.
„Und wenn du aufwachst …“, flüsterte sie fröhlich beim Hinlegen einer Spielkarte. „Hab ich was Nettes für dich gefunden.“ Vermutlich war es nicht nötig heraus zu schleichen aber sie ging lieber auf Nummer sicher. Eine halbe Stunde lang schlief er dort tief, ehe ihn etwas weckte.
Im Moment des zu sich Kommens hörte er mindestens drei ihm gänzlich unbekannte schrille Lachen. Als er sich die Personen ansehen wollte, blitzte ihm ein Licht in die Augen. Toll, damit war seine Laune wieder hinüber.
„Was wollt ihr!“, knurrte er und rieb sich in den Augen. „Das ist der Typ. Ich sags doch“, ignorierte ihn eine erheiterte Stimme. Eine Zweite folgte fast ohrenbetäubend hoch. „Hey!“, fuhr er nun dazwischen, ehe er sich auch noch die Dritte antun musste. Falls sie denn überhaupt etwas sagen wollte.
„Lösch das Foto!“ „A … Aber?“ „Ich erkläre nicht, warum ich nicht ungefragt fotografiert werden möchte.“ „Der ist ja unfreundlich.“ „Ach und ihr seid nett oder was?! Soll ich euch einfach so fotografieren?“ „Ja voll geil.“ „Nee, das kann ich ja nicht bringen. Ich hab ja zuerst gefragt. Das macht man ja heut zu Tage nicht mehr.“ „Der spinnt doch.“ Die Frauen wollten verschwinden. Doch Jamiro stellte sich in den Weg.
„Das Foto!“ „Schon gut man.“ Eine löschte an ihrem Handy etwas aber um Gehen zu dürfen, musste sie es ihm erst zeigen. Auch die anderen Beiden mussten das. Kaum waren sie durch die Tür, bemerkte er die Chefin etwas abseits stehen.
„Verzeihung … Das kommt nicht wieder vor. Ich kümmer mich sofort darum.“ „Wie lang stehen sie eigentlich schon hier?“ „Ich bin gerade erst reingekommen. Ich … Warten sie einen Augenblick.“ Während sie verschwand, nahm Jamiro wieder auf der Liege platz.
Seine Hand landete eher per Zufall auf den beiden Karten, die dort gelegen hatten. Die Herz Buben Karte und oben auf die Pik acht. Er musste schmunzeln, obwohl es ihn auch irgendwie traurig machte, die Karten von Pik Ass zu sehen.
In der Ferne lag am Boden eine weitere Pik acht Karte. Diese war aber irgendwie verschmutzt. Er ging näher und erkannte, dass der schwarze Schmutz in Wirklichkeit seine Unterschrift war. ''Petunia'' kam ihm aus heiterem Himmel in den Kopf.
Die Chefin war Petunia Schwibbogen oder wie sie jetzt zu heißen schien Petunia Maru. Von dieser Frau hatte er zum allerersten Mal Geld für einen Auftritt bekommen. Überhaupt hatte er in seiner Anfangszeit nur sie als Auftraggeberin. Es war ihm schon etwas peinlich, sie nicht erkannt zu haben, wo er ihr doch einiges verdankte. Er entschied sich daraufhin, ihr hinterherzugehen.
Als er wiederkam, stand seine Freundin an der Liege. Sie hielt die Box mit den Ringen in der Hand. Vermutlich waren sie ihm aus der Tasche gefallen, als das eben mit den ''Fans'' war. Irgendwie versuchte er es noch zu berichtigen. Doch sein hilfloses Gestotter führte erst recht dazu, das sie ja sagte.
Vor ihm lag eine imposante Aussicht. Warum auch immer, dachte er hier an Trommdach, wo ja seine bald Ehefrau herkam. „Das ist ein Witz oder?“, brüllte Tobias aus dem Handy heraus. „Ich glaube nicht“, schmunzelte der Magier selbst über sein Missgeschick.
„Da will ich dich anrufen, weil ich mich mit Lola verlobt habe und dann bist du selbst plötzlich verlobt, also ich meine Du! Komm ehrlich, sie hat dir den Antrag gemacht.“ „Indirekt schon aber mal zu dir. Du und Heirat? Das ging wohl auch nicht mit rechten Dingen zu.“ „Wenn du meinst das Milchpackungsringe verboten sind?“ Tobias lachte.
„Das wars dann wohl mit Singleleben.“ Tobias wurde seltsam still. Sein Gegenüber unterbrach es unbeholfen. „Wir lieben sie eben unsere Frauen.“ „Ja. Lola ist echt klasse. Du bist natürlich eingeladen.“ „Andersrum gleichfalls und bring sie mit deine Frau.“ „Du natürlich auch aber ohne Schwageranhang bitte. Was machst du eigentlich mit dem, der dich überhaupt nicht leiden kann?“
„Momentan fahr ich ganz gut damit, ihm nicht zu begegnen. Allerdings fände ich es gut, er würde ihr Trauzeuge werden.“ „Oh ha.“ „Ich weiß schon aber eigentlich beschützt er sie ja nur.“ „Ich glaube, du denkst etwas weit.“ Jamiro starrte seinen Ring an, ehe er wieder zu reden begann.
„Weißt du was verrückter ist als das ich mich verlobt habe? Ich habe Geld von einem Mann bekommen, der kaum danach gestorben sein muss.“ „Ich weiß nicht, ob mich das bei dir wundert.“ Unberührt von der Bemerkung erzählte er von dem Mann.
„Jam! Du bist so unvernünftig. Du sollst doch Ruhe geben, wenn du die Tabletten nimmst.“ „Ich tu nie, was ich soll. Das weißt du doch“, erwiderte Jamiro nachdem er Tobias verabschiedet hatte.
„Mir war langweilig.“ „Das dachte ich mir.“ Währenddessen ging Jamiro vor ihr in die Knie. „Also eigentlich hast du es mir ja schon vorab genommen. Willst du meine Frau werden?“ Selina ging ebenfalls in die Knie und küsste ihn. „Was hälst du davon, wenn du mein Mann wirst?“ „Unbedingt.“ „Na dann.“ Sie zwang ihn mit auf die Beine.
„Ich befürchte da eine kleine Bedingung?“ „Ja, die hab ich.“ Sie lächelte verlegen. „Ein kleines bisschen Vernunft, ja.“ „Ich versuchs. Beginnen wir damit.“ Am Boden lag eine Decke.
„Ein Picknick? Jam, das ist doch so gar nicht das, was ich meinte, du Schwindler.“ „Wieso? Ich ruh mich aus, genieße die Sonne und meine baldige Frau passt auf.“ Man hörte raus, dass er nur schön redete.
„Schon gut, Schatz. Du hast mich.“ Bevor er zum Überdenken kam, zerrte sie ihn mit auf die Decke und packte den beistehenden Korb aus. „Ach Jam, das sind ja nur meine Lieblingssachen.“ „Es ist ja auch deine Überraschung.“ „Die ich aber gerne teilen würde.“ „Weiß ich doch.“
Er grinste, während er den leeren Korb wieder verschloss. Beim Öffnen war er wieder prall gefüllt. „Der Korb war nur etwas klein.“ Über ihren verwirrten Blick lachte er. Damit sie aber trotzdem nicht zu essen vergaß, bediente er sich selbst.
Nach einem Bissen legte er sich nieder und starrte in den Himmel. Das er Schmerzen hatte, sah sie sofort. Doch wie geahnt wehrte er sie ab und lenkte noch zusätzlich mit dem Sonnenuntergang ab. Vielleicht war sie einfach zu weich aber sie ließ es zu.
„Willst du mir nichts erzählen?“ „Was denn Schatz?“ Ihr Verlobter schaute sie ahnungslos an. Sie hatte auf dem Weg hier her einen Suchaufruf gesehen. Das Bild sei am Computer gemacht worden und zeige eine Person, die heute so aussehen könnte wie er. Darüber lachte er nur. Warum auch sollte er das sein?
„Jetzt lach nicht! Es sah wirklich so aus wie du. Die Haare nicht ganz aber ehrlich, wenn du es gesehen hättest. Gesehen! Natürlich, Aiden hat es doch abfotografiert.“ „Dein Bruder?“ „Ja, ich habe ihn überredet, dich zu suchen. Du bist ja einfach nur abgehauen.“ „Bin ich das?“ „Tu nicht so.“ Währenddessen hatte sie ihren Bruder erreicht.
„Siehst du“, meinte sie aufdringlich und überreichte ihm ihr Handy. „Das könnte ich schon sein aber ich war kurzzeitig berühmt, vielleicht sollte ich vorsichtig sein.“ Am Ende seines Satzes grinste er.
„Also doch! Du hast es gewusst.“ „Ich mach mich eigentlich nur lustig.“ Betrübt schaute sie zu Boden. „Ich mache mich lustig darüber, das ich wohl nicht fähig bin, dir einen richtigen Antrag zu machen. Einen, den du wirklich verdient hättest.“ „Du lenkst nur ab.“
Schwerfällig richtete er sich auf. „Vielleicht bist du aber einfach nur besser darin, meine Vernunft zu sein. Iss aber wenigsten die Trauben da, sonst habe ich mich um sonst hergeschleppt."
„Lass es mich Steve melden. Der kümmert sich darum.“ „Ich wette, dein Bruder tut es schon längst.“ „Warum sollte er?“ „Weil er für dich auch die Erde auf den Mond schießen würde.“ „Du etwa nicht?“ „Ich scheitere ja schon daran, über meinen Schatten zu springen.“ Plötzlich drückte sie ihm einen Kuss auf.
„Mach doch deinen Antrag einfach nochmal.“ „Und die Gefahr eingehen, dass du nun Nein sagst, zu diesem unvernünftigen Sturkopf?“ Sie lächelte und er tat es ihr dann gleich.
Zwei Minuten später ging er vor ihr in die Knie aber auch das sollte kein gelungener Antrag werden. Eine ältere Frau kam auf sie zu gerannt.
„Ist es war? Bist du es wirklich und du bist wirklich Magier geworden?“ Entgeistert wagte Jamiro einen Blick und wirkte dann überrascht. „Frau Dame ... Entschuldige Frau Wolak.“ „Du erinnerst dich? Wie schön. Dieser kleine starke Junge.“ Gerührt brach sie in Tränen aus. Jamiro stand schließlich auf und nahm sie tröstend in den Arm.
„Das Leben geht weiter, Frau Wolak“, sagte er mitfühlend und löste sich von ihr. Sie nickte und wischte sich die Tränen ab. „Ich bin so froh, dass du lebst. Ich hab nach dir gesucht. Ich wusste nicht, ob du es wirklich geschafft hast.“ „Habe ich.“ Kurz vorm Abschied legte er ihr eine Karte in die Hände.
Jamiro saß unterhalb seines Kartenregals, als seine Schwester aus dem Zimmer kam. „Kommst du?“ Im Gegensatz zu ihm schien Evelin nicht geplant zu haben aus dem Haus zu gehen. Seine etwas strenge Formulierung verunsicherte sie auch.
„Wie wärs mit einem Ausflug an deinem freien Tag?“ Zögerlich kam sie einen Schritt näher. „Tabletten?“ Er lächelte zurückhaltend. „Keine genommen aber dabei.“ Damit stand er auf und ging zur Tür. „Wenn du Lust hast, ich warte noch einen Augenblick.“ Er zog die Tür auf und verließ das Haus.
Evelin zog sich schnell um und eilte ihm anschließend hinter her. „Deine Arbeit macht dir Spaß, ja?“ Sie nickte war aber immer noch von der Situation eben angespannt. „Du warst noch gar nicht richtig aus dem Haus. Heute ist es warm. Möchtest du ein Eis?“ Sicherlich war es bei Jamiros Tatendrang zwecklos aber sie schüttelte den Kopf und versuchte ihn auszubremsen.
Trotz ihrer Mühe landeten sie in einem Nachbarort. „Du hast zu viel Energie“, meinte sie und zerrte so kräftig sie konnte an seinem Arm. Er lachte und tat ihr endlich den Gefallen stehen zu bleiben.
„Was erwartest du, wenn ich zwei Tage rumliegen muss? Was will eigentlich Aiden die ganze Zeit von dir?“ „Er meinte, dass er als großer Bruder der Trauzeuge von seiner Schwester sein müsse.“ „Aja?“ „Wir haben schon deine Eltern und deinen Freund eingeladen. Wir haben schon Tische.“ „Ich wusste nichtmal das ich schon einen Hochzeitstermin habe.“
In der Ferne wurde ein Streit hörbar, welcher auch Jamiros Aufmerksamkeit abzog. „Du willst hin?“, fragte Evelin schon halb hinter ihrem Bruder versteckt. „Ich seh mal nach. Du kannst auf mich hier warten.“
Die Streitenden waren Aron Hartenhoff und ein Gleichaltriger in Dienstkleidung. „Gibs Probleme?“ „Kein Stück!“, knirschte Aron und lief sauer davon. Auch der Zweite suchte rasch das Weite, nur entgegengesetzt. Jamiro musste sich für eine Richtung entscheiden. Ohne lange zu überlegen fiel die Wahl auf Aron, der ohnehin noch ein Versprechen bei ihm offen hatte.
Er musste ihm auch nicht besonders lange folgen. „Was wollen sie, verdammt?! Können sie sich nicht um ihren eigenen Scheiß kümmern?“ „Für gewöhnlich nicht.“ Offenbar erwartete er nicht, dass Aron einfach weiter ging, da er sich auf eine Bank in der Nähe setzte.
„Man vergisst sie langsam. Ist ihnen wohl bewusst oder wenn sie nicht mehr auftreten?“ „Es gibt Dinge, die kann man nicht ändern.“ „Kenn ich … irgendwie.“ Aron versuchte seine verloren gegangene Haltung wiederzuerlangen. Schließlich räusperte er sich und setzte sich neben ihn.
„Ich hasse das! Ich weiß ich, kann etwas und von allen Seiten kommt immer nur nein. Du bist ja blind. Ja verdammt ich bin blind und? … Darf ich deshalb auch nicht laufen?“ Die Verzweiflung war kaum zu verleugnen. „Ein Freund, ein Mechaniker, hat sich mal beim Reinschieben eines Motorrades den Finger so eingeklemmt, das er komplett blau war. Eigentlich war genug Platz für einen Pkw.“ In Arons Mimik tat sich nichts. Dennoch wusste Jamiro, dass er genau das Richtige erzählt hatte.
Schließlich hob der Junge den Kopf wieder. „Sehen sie das?“ Er zeigte ihm seinen verbundenen Finger. „Ich bin blind, daher glaubt mir niemand, dass ich geschubst wurde.“ „Hast du einen Verdacht?“ Die Frage beantwortete sich bereits über seine Ausstrahlung mit Ja.
„Ich kann mir nur Sobald vorstellen. Wissen sie, es gibt nur eine Stelle und wir beide arbeiten dafür Probe. Er war es ganz sicher. Schließlich versucht er mich schon die ganze Zeit schlecht zu machen.“ „Inwiefern?“ „Er hat mein Werkzeug weggenommen, damit ich nach anderem fragen musste. Mich quasi als hilflos hinzustellen oder hackt er die ganz Zeit auf meiner Blindheit rum. Dem Motto nach, was soll ein Blinder hier. Sie verstehen schon.“
„Schreinerei Mohr, nehm ich an.“ Dies bestätigte er mit einem Lächeln. Offenbar hatte es ihm gutgetan über diese Vorkommnisse zu sprechen. „Ich erreiche dich vermutlich zu Hause?“ „Hauptstraße 28.“ „Gut dann komm ich vorbei.“
Ohne eine richtige Verabschiedung machte er sich auf den Rückweg. Hoffentlich fand er den Anderen noch. Dummerweise hatte er sich nicht gemerkt, wohin er gegangen war. Grübelnd blieb er den Platz stehen, wo er die Beiden aufgefunden hatte.
Am Boden, direkt vor seinem Fuß lag eine Spielkarte. Es war das Herz Ass aber keine aus seinem ''Wunder'' Deck. Er musste sie wohl beim Herlaufen aus der Jackentasche geworfen haben. Dorthin steckte er sie auch zurück, während er sich auch gleich für einen Weg entschied.
Dieser war dann auch die richtige Entscheidung. An der Eingangstreppe eines renovierungsbedürftigen Hauses saß der junge Mann. „Haben sie eigentlich kein eigenes Leben, um das sie sich kümmern müssen?“ „Ich finde immer Platz.“ Kaum den Satz beendet, saß er auch schon neben ihm.
Mit dem Gespräch hatte er es nicht so eilig. Dafür aber Herr Sobald. „Typisch! Dem Blinden hilft man natürlich sofort. Er kann ja nichts für aber ich oder was?“ „Mich interessiert nur, was sie zu sagen haben.“ „Ach ja? Sie glauben doch eh dem. Er sollte lieber mal seine eignen Grenzen kennen. Im Ernst, wie will der denn nach Maß arbeiten? Ich musste drei Jahre nach einem Betrieb suchen. Er hat ihn mit Sicherheit auf dem Silbertablett serviert bekommen.“ Ein Niesen unterbrach ihn.
Nachdem er nicht wieder aufsehen wollte, bemerkte Jamiro, dass er Nasenbluten bekommen hatte. „Ihnen geht’s wohl auch nicht so gut“, sagte er und reichte ihm ein einzelnes Taschentuch und das Paket.
„Was ist den genau vorgefallen?“ „Ich wollte das nicht, okay? Ich wollte nen guten Eindruck machen, mir ist aber so ein blödes Holzstück runtergefallen. Ich bin gestolpert und hab versehentlich Hartenhoff gestoßen, der sich dann in den Finger gesägt hat. Das war keine Absicht, man. Ich wollte das nicht.“ „Wenn ich ihnen einen Rat geben darf, gehen sie mit Aron zu ihrem Chef und klären sie das.“ „Spinnen sie? Dann kann ich den Job ja gleich vergessen.“ „Sie wollten auch einen Gegner haben, der ehrlich spielt und diese Sache war letztlich ein Unfall.“ „Trotzdem! Was hab ich von der Dreckswahrheit. Ich hab doch gesehen, dass er ihn bevorzugt. Wahrscheinlich geben seine Eltern auch noch Geld, dass er das bekommt.“ „Sie spekulieren.“ Dieser kühne Satz zog einen verwirrten Blick auf sich.
„Was sagt ihnen, das ihr Kollege nicht eben so lange gesucht hat, um etwas zu finden?“ Ratlosigkeit wechselte in Sobalds Gesicht. „Er ist blind“, warf er kleinlaut vor. Jamiro warf nichts ein. Schließlich hatte er bemerkt, wie er über die Arbeit nachdachte.
„Ich schätze, er stellt sich gar nicht so dumm an“, nahm er dann doch wieder das Gespräch auf. Ein Murren kam ihm entgegen. „Ich lass mich doch nicht manipulieren!“ Plötzlich sprang er auf. „Lassen sie mich gefälligst in Ruhe.“ Obwohl die Situation nicht besser geworden war, blieb Jamiro ganz ruhig. Er ging ihm auch nicht nach oder versuchte ihn aufzuhalten. Er blieb einfach sitzen bis seine Schwester mit Essen ankam.
„Du hast die letzten Tage kaum gegessen“, sagte sie zögerlich und überreichte es ihm. „Nicht ganz ohne Grund“, klagte er und eilte zur Seite.
„Entschuldige. Mir wird einfach schon vom Anblick eines Essens übel. Liegt nicht an dir.“ „Ich weiß, dass es an deiner Krankheit liegt.“ Sie hielt das Essen hinter ihren Rücken und reichte ihm die Hand. „Ich möchte, dass wir nach Hause gehen“, sagte sie auf eine Weise, die irgendwie geübt herüber kam.
„Eigentlich müsste ich noch kurz …“ Zwei Dinge bremsten seinen Satz aus. Zu einem versuchte er das Wort ''müssen'' vor seiner Schwester zu unterlassen. Denn das verband sie nach wie vor noch mit den Schlägen aus ihrer Vergangenheit. Als Zweites war ihm aufgefallen, dass es für Öffnungszeiten bereits zu spät war. Er musste ja zu Fuß gehen.
„Lass uns gehen“, knurrte er unüberhörbar entgeistert. Seine Schwester drang er dann mehr oder weniger in die richtige Richtung.
Zu Hause angekommen, standen seine Eltern in der Wohnung. Was sie wollten, konnte er nicht so wirklich erkennen. Seine Mutter wirkte auf den ersten Blick sauer. Andererseits freute sie sich auch über irgendetwas.
„Glückwunsch“, drängte sich sein Vater unüberlegt auf. Alleine nur um seine Frau auszubremsen. Es war unglaublich, wie schnell damit die Mimik seiner Mutter umschwenkte. Total erheitert ging sie dann auf seine geplante Hochzeit ein, die er im Moment schon wieder ganz vergessen hatte. Obwohl es ihn sehr freute, dass sie mal an etwas anderes denken konnten, schlief er im Laufe des Gesprächs auf dem Sofa ein.
Er wurde erst wieder wach, als er die Eingangstür hörte. „Moment noch“, nuschelte er kaum wach. „Ich muss dich um was bitten. Du kennst doch den Mohr ganz gut? Könntest du mal mit ihm reden?“ Sein Vater kam zu ihm zurück. „Wenn ich weiß worüber.“ „Er hat zwei Lehrlinge … nicht ganz, die sind noch auf Probe aber egal er versteht schon was ich will.“
„Du, ich kann mit ihm reden aber er wird trotzdem nicht beide nehmen können. Er hat schon einen.“ „Es ist kompliziert aber keine Ahnung irgendwie auch simpel. Nimm auf jeden Fall die Jungs.“ Im Glauben den Satz so beendet zu haben, wie er eigentlich in seinem Kopf war döste er guten Gewissens wieder ein.
Am Morgen wurde er von seiner Schwester geweckt. „Was gibs?“ „Es … Es wartet jemand auf dich.“ „Ich komme.“ Seine Schwester hatte wohl noch eine Neuigkeit, die er erst mit einem eindringlichen Blick erfuhr.
„Am Telefon war auch jemand. Ich dachte, es wäre meins. Entschuldige.“ „Du darfst an mein Handy gehen. Wer wars denn?“ „Hab den Namen nicht verstanden. Hat auch wieder aufgelegt. Ich hab dir die Nummer aufgeschrieben.“ „Okay. Ich seh es mir dann an. Noch etwas?“ Sie schüttelte den Kopf und verließ den Raum, in dem Jamiro noch seine Orientierung suchte.
„Der Kartenjunge, na sieh doch mal einer an. Ein Schreiner war er ja nie.“ Der ältere Herr stand mit Hilfe eines kunstvollen Holzgehstockes vom Tisch auf. „Herr Mohr. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich extra her bemühen.“ Er lachte laut.
„Ein Schreiner schreinert so lang, wie das Lager voller Holzbretter steht.“ Mit einem kurzen Lächeln nahm Jamiro am Esstisch platz. „Gutes Stück.“ Herr Mohr strich über den Tisch. „Die Stühle weniger, die Beine sind nicht exakt gearbeitet. Hier, das vordere Bein ist viel weiter außen als die anderen.“ Er drehte den Stuhl um, der neben ihm gestanden hatte, als er saß.
„Und locker sind sie auch. Schlechte Arbeit, absolut schlechte Arbeit.“ „Ich sehe, sie lieben ihren Job nach wie vor.“ Damit ließ es sich nicht verhindern, dass auch der andere Stuhl einer Kontrolle unterzogen wurde. Nur diesmal schweigsam. Schließlich nahm er platz.
„Ihr Vater sagte mir, dass sie die zwei Praktikanten betreuen. Es ist so Herr Erkwin, wir haben schon seit Jahren nur die Kapazität für zwei Lehrlinge. Eine ist bereits besetzt und um ehrlich zu sein, bin ich mir auch nicht sicher, ob Herr Sobald belastbar ist. Was Herr Hartenhoff betrifft, sollten sie wissen, dass er sich an der Säge verletzt hat.“
„Bevor wir darauf eingehen würde mich interessieren, weshalb beide die Chance bekommen haben. Ich liege nicht falsch damit, dass sie die Eindrücke von belastbar und blind zuvor schon hatten.“ „Genau genommen ist das von meiner Meinung nicht abhängig. Mein Sohn ist der, der sie unter seine Fittiche nimmt. Desto trotz hatte ich in beiden eine Leidenschaft gesehen. Beide wären gute Schreiner, wenn sie könnten.“ „Sie können, Herr Mohr.“
Schweigend beobachtete der Mann ihn. Dann brach er es um Folgendes loszuwerden: „Es tut mir Leid. Wir werden keinen von Beiden in die Lehre nehmen.“ „Mit Hartenhoff hatte ich schon gearbeitet. Ich weiß, dass er Potenzial hat. In Sobald sehe ich ebenfalls die notwendige Leidenschaft. Ich könnte ihnen beweisen, dass sie es wert sind ihre Meinung zu überdenken. Ich lasse Beide hier in meiner kleinen Werkstatt zwei Stühle bauen.“ „Ihren Ehrgeiz in Ehren, Herr Erkwin aber es ist eine Tatsache, das der eine junge Mann blind ist. Seine Verletzung sollte Warnung genug sein.“ Herr Mohr stand vom Tisch auf. „Ich verabschiede mich“, sagte er und reichte Jamiro die Hand.
Als der Mann gegangen war, huschte Evelin aus ihrem Versteck. „Willst du den Jungs nicht helfen?“ „Ich versuch es aber ein Job bleibt ein Job. Es werden nicht zwei nur weil ich ein Magier bin.“ Er grinste träge. „Gestern sagtest du noch etwas von simpel.“ „Ja weil ich dachte, einer von Beiden könne ein Jahr später beginnen. Dann wäre nämlich die belegte Stelle frei.“
Mit fragendem Gesicht nahm sie vor ihm Platz. „Ich glaube, dass Herr Sobald die Stelle bekommt ist dir nicht ganz recht.“ „Das liegt daran, dass er jemanden schadet um das zu kriegen, was ihm wichtig ist.“ „Es widerspricht dir so jemanden zu helfen.“ „Ja, wenn er denn auch tatsächlich so wäre. Ich könnte ihm dem Job vielleicht bringen.“ Er verfiel dem Schweigen.
„Darf ich mir die ausleihen?“ Evelin meinte die Herz Ass Karte, die er unbewusst aus seiner Tasche gekramt hatte. „Nur zu.“ Er schob sie ihr zu, wurde aber plötzlich zögerlich. Wieso war diese Karte aufeinmal aus Pik Ass Deck? Gestern war es sie zu hundert Prozent nicht gewesen.
„Ich schnapp mir die beiden Jungs und zerr sie selbst zum Chef“, schoss ihm die Lösung gerade zu heraus. „Bitte iss zuerst.“ Evelin zitterte, als sie ihm das Essen an den Tisch brachte.
„Hey!“, knurrte Aiden in abgeschwächter Form seiner üblichen Laune. Sie fuhr zusammen und wollte ausweichen. Doch wehrte ihre eigene Erfahrung dies ab. „Zieh dir was an!“ Bevor er zur Tür hinaus marschierte, warf er dem Magier einen bösen Blick zu. Mit weniger Eile als sie es bei Jamiro getan hatte, ging sie dem Befehl nach. Im Gegensatz zu ihm würde Aiden auch tatsächlich warten.
„Was kann ich tun?“ „Das was du eben vor hattest.“ Nervös klammerten sich ihre Finger um die Ass Karte in ihrer Hand. Seltsamerweise hielt sie gar nicht mehr jene fest, die sie von ihrem Bruder erhalten hatte. Sie wies Wetterschäden auf und war damit dieselbe, die er an diesem Platz aufgehoben hatte. Schließlich nickte sie entschlossen und ging voran.
Am Platz, wo sich die beiden Jungs gestritten hatte, stand plötzlich Jamiro, der mit Beiden diskutierte. Wie das möglich war, wusste keiner. Ohne sie gesehen zu haben, drängte Jamiro die Beiden in eine Richtung. Aiden und Evelin folgten ihnen. Wie eigentlich schon vermutet, schob er die Beiden in die Schreinerei. Dort gestand Sobald endlich was die Wahrheit gewesen war. Was des Weiteren diskutiert wurde, blieb den beiden Verfolgern verwehrt.
Sie warteten ab, bis die beiden Praktikanten das Haus wieder verließen. Aiden ging dann auf sie zu. „Ja, er ist vor uns gegangen.“ Nie im Leben war er vor ihnen gegangen. Er und seine Schwester hatten die ganze Zeit dagesessen und den Eingang gesehen. Ohne sich weiter damit befassen zu wollen, ging er zu Evelin zurück.
„Schau nach, ob dein Bruder noch drin ist.“ Eine Option selbst zu gehen stellte er nicht. Sie brauchte einen Moment nickte aber dann und ging. Jedoch kam sie ohne ihn wieder zurück. „Er ist schon gegangen. Wir haben ihn anscheinend nicht gesehen.“
„Vermutlich“, entgegnete er und reichte ihr eine Herz Ass Karte. „Hab ich die verloren? Das wird ihn aber nicht freuen.“ „Sie kam mit dem Wind her. Er sollte mal lieber selbst besser auf sein Zeug aufpassen.“ Evelin war verwundert, dass die Karte die sie jetzt hielt unbeschädigt und etwas anders aussah. Allerdings nahm sie das so hin und lief mit Aiden nach Hause zurück.
Als sie dort ankamen sahen sie das Ichigawa bei Jamiro am Tisch saß. Jamiro selbst hingegen hing zur Hälfte regungslos über den Tisch. Unter dem Arm, der schlapp herunterfiel lag jenes Herz Ass, dass sich eigentlich in der Obhut seiner Schwester befand.
„Ist er …“ Ichigawa antwortete zu hektisch. „Nein“, kam dafür von Aiden zurück. Im gleichen Moment ging er Ichigawa assistieren. „Geh in dein Zimmer. Es geht nur um ein neues Medikament“, sagte er und begann damit, es bequemer zu machen. Nach einer Minute kam wieder Bewegung in den regungslosen Körper.
„Hörn sie mich?“ „Schon die ganze Zeit.“ Etwas ruppig beförderte ihn Aiden an die Rückenlehne des Stuhles. Selbstständig halten konnte er sich immer noch nicht. „Ihr Medikament ist etwas zu stark, schätze ich.“ Ichigawa reagierte nicht. Er war eifrig am Notieren. Allmählich war er auch wieder in der Lage sich selbst im Stuhl zu halten.
„Schmerzen?“ „Etwas, bevor ich zusammengesackt bin waren sie weg.“ Sein Blick auf das angerührte Essen ließ ihn inne halten. „Ich hab Hunger, riesen Hunger um ehrlich zu sein.“ „Warten sie bis die Lähmung abgeklungen ist.“ „Dachte ich mir schon.“ „Wo hat die Lähmung begonnen?“ „Weiß nicht, in den Beinen glaub ich.“ Ichigawa sah überrascht aus.
„Das wäre gut oder?“ „Kommt drauf an. Immerhin ist die schwächere Form ihrer Krankheit eine Lähmung in den Beinen. Ist ihnen noch irgendetwas aufgefallen?“ „Ich konnte die Tablette kaum schlucken. Jemand in meinem Stadium könnte sich schwertun. Es brennt auch ziemlich stark so lange man sie nicht runter bekommt.“ „Ich nehm ihnen Blut ab. Jetzt und wenn sie wieder fit sind.“ „Nur zu. Noch kann ich mich nicht wirklich wehren.“
Die Lähmung im Oberkörper verschwand deutlich schneller als dieselbe in den Beinen. Was den Hunger betraf so kochte ihm Selina später sogar noch eine Extraportion um ihn endgültig zu sättigen.
In einem Mint grünem Kleid schritt Selina die Treppen herunter. An ihrer Seite war Jamiro kaum wiederzuerkennen. Er trug ein Mint grünes Hemd mit dunkelblauem Jackett und gleichfarbiger Hose. An ihren Fingern steckten die Eheringe. Golden mit einem Lapis Lazuli dazwischen, der geflochten wirkte. Auf ihrem waren lauter kleine weiße Edelsteinen aufgesetzt wie ein Sternenhimmel. Im Inneren des Ringes verborgen stand die jeweilige Karte des Anderen.
„Hey“, grüßte jemand sehr erfreut und schlug dem Bräutigam auf die Schultern. „Du lebst ja noch und bist ja sogar am Stück man.“ Es war Tobias, der diesmal seine Wortwahl nicht unpassend empfand. Ein Grinsen kam zurück. „Was noch nicht ist, kann ja noch werden.“ Ein Blick deutete in Aidens Richtung. Bei ihm standen alle Brüder versammelt. Auch jene, die er bislang noch nicht gekannt hatte. „Gott sei dank hab ich nicht so viele Schwager.“ „Deine Schwiegermutter wird reichen.“
Jamiro schob ihn zur Seite. „Tust du mir einen Gefallen?“, fragte er nach. Währenddessen tauchte Lola auf. Ihre Finger trippelten nervös auf ihrem Oberarm herum. Dennoch wartete sie ab, bis sie ihre Aufmerksamkeit hatte. „Glückwunsch. Ihr seid ein wirklich schönes Paar.“ Zu Beginn klang sie recht angespannt. „Das sind wir auch, Sonnenschein. Wir vier ganz bestimmt.“ Er legte eilig, wenn nicht so gar etwas zu eilig den Arm um sie und führte sie weg.
Dennoch bekam Jamiro mit, dass zwischen den beiden wohl dicke Luft herrschte. „Ich hab sie zu uns eingeladen. Sie kommen morgen vorbei“, sagte Selina, die sich irgendwie herangeschlichen hatte. Ein ''oh'' entzog jedoch ihre Anwesenheit. Die paar Schritte, die seine Frau weggegangen war folgte er.
„Was hast du?“ Es erübrigte sich, als er die Katze mit einem Jungtier im Maul sah. „Sind sie nicht süß?“ Alles was Jamiro sah war, dass die Mutter der Kätzchen an der Seite verletzt war. „Komm mal her“, startete er den Versuch sie anzulocken. „Ich glaube nicht, dass sie herkommen wird mit dem Kitten.“ Die Skepsis in ihrer Stimme löste sich. „Ich hol den Karton aus Tobias Auto.“ Schon war sie fortgeeilt.
In kürzester Zeit war sie aber zurück. Mittlerweile hatte die fauchende Katze ihr unbeholfenes Baby abgelegt. Jamiro hatte auch schon ein paar Blessuren an den Armen. „Sie kommt nicht.“ „Lass mich mal versuchen, ja.“ Bei ihr klappte es auf Anhieb. „Und die Babys?“ „Schnapp dir jemand. Ich suche nach den Katzen.“ Selina schnappte sich den erst besten Bruder, der ihr über den Weg kam und fuhr los.
„Gibs Krach?“ Einer der unbekannten Brüder hatte Jamiro am Kragen. „Willst Ärger, was?“ „Leander!“ Aiden klang, als pfeife er einen ungehorsamen Hund zurück. „Du hast gesagt, man darf nicht wehtun.“ „Komm!“ „Aber Leander versteht das nicht!“ Als er es wagte in Aidens Richtung auszuschlagen nahm er ihn in den Schwitzkasten. Erst als er sich zu wehren aufhörte ließ er ihn wieder frei.
„Alles in Ordnung mit ihm?“ „Bleib weg von ihm!“ Gregor kam hinzu. „Lass ihn doch zu schlagen.“ Wie auch immer das hier weitergegangen wäre Leander zog die Aufmerksamkeit auf sich, als er ein Katzenbaby fand.
„Setz das ab!“, knurrte Aiden. Schnellstmöglich nahm er ihm das hilflose Geschöpf ab. „Herkommen“, fauchte er zu Jamiro, der das Katzenbaby auch gleich in die Hände gedrückt bekam. „Sechs Junge, das ist der Durchschnitt.“ Das Kleine begann zu maunzen. Überhaupt schien es nicht ganz so träge wie das Erste. „Zwei haben wir immer hin schon.“ Dort wo Jamiro eben noch gestanden hatte, hob Leander das vorherige Kätzchen auf. „Meine!“, fauchte er sofort. Der Blick an Gregor reichte um ihn das Kätzchen abnehmen zu lassen.
Nun standen die beiden leicht verwirrt da. Aiden war abgezogen und Leander mit ihm. Schließlich wollte er noch immer wissen, warum er nicht durfte. Das fiel anscheinend auch auf die Katzen zurück. Wieder gefangen drückte ihm Gregor die Katze auf. „Bald bist du so Matsch im Hirn wie er“, drohte er und stampfte davon.
Natürlich ließ er sich nicht beeindrucken und suchte weiter. Seine Schwester, er und sein Vater hatten dann insgesamt fünf Katzenkinder ausfindig gemacht und brachten sie zum Tierarzt nach. Die Untersuchung der Kleinen verging schneller als die Behandlung der Mutter. So nahm sie Jamiro schon mal mit.
Als später Selina folgte, schlief er auf dem Sofa. Zwei der Kitten lagen schlafend auf seinem Bauch und schnurrten leise. Die restlichen drei lag neben ihm zwischen Lehne und ihm verborgen. Der Anblick gefiel ihr. Sie musste schmunzeln. Dennoch hielt sie es für nötig, die Kitten von ihm runter zunehmen. Beim Ersten wachte er allerdings auf. „Was tut ihr denn hier? Hey, wie geht’s der Katze?“ „Noch nicht ganz munter aber das gibt sich.“ Sie beugte sich zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf, als er aufstehen wollte.
„Brauchen die Kätzchen irgendwas?“ „Dich, als warmes Bettchen anscheinend.“ Sie lächelte weil ihr selbst bewusst wurde, dass sie ihn gerade überzeugen wollte. „Am liebsten würde ich sie behalten.“ „So viele? Du hast auch ein Pferd bekommen, das weißt du?“ „Ach Golden seal heart steht in Amerika.“ „Und da wirst du hinfliegen!“ „Ach Jam, ich reis nicht gern.“ „So kannst dus auch nennen.“ Gequält schaffte er es auf die Beine.
Auf dem Weg in Richtung Küche kam ihm Evelin entgegen. „Streitet ihr?“ „Nein“, erwiderte er und hielt an der Wand neben ihr an. „Magst du Katzen?“ „In dem Park dieser Wohnung ging mir immer eine Katze nach. Wenn ich gefallen bin, hat sie sich zu mir gesetzt.“ Ihr leichtes Schmunzeln verriet den Rest. „Dann gehören euch die Katzen.“ Selina lächelte. „Kann es sein, dass du auch nicht diskutieren kannst?“ „Um perfekt zu sein, muss man nicht alles können. Evelin, könntest du mir bitte die Tabletten holen.“ Sie nickte und schob ihm bereits mit dem Fuß einen Eimer hin.
Während sie in die Küche verschwand, kam seine Frau auf ihn zu. „Verbrich dir nicht den Kopf. Ich glaube, die Kätzchen mögen dich.“ „Alles nur Ablenkung. Du fliegst morgen zu deinem Geschenk!“ „Morgen kommen Lola und Tobias.“ „Dann überrede ich sie länger zu bleiben.“ Evelin reichte ihm zitternd die Tabletten. „Dank dir.“ Sie nickte beklommen und drängte Selina etwas von ihm weg.
„Ich will was für die Katzen holen.“ Ihre Gestik bat sie mitzukommen. Vor der Tür fragte sie dann deutlich nervöser, warum sie denn so angespannt waren. „Ich weiß nicht. Irgendwas ist komisch. Keine Angst es ist nichts ernstes.“ Evelin schien es nicht zu glauben. „Heute Morgen wart ihr wie immer.“ „Langweilig“, scherzte sie zurück. Die Anspannung war verflogen. „Nein so wie jetzt gerade.“ Trübsinnig holte sie danach ein Kartendeck aus ihrer Tasche.
„Was machst du?“ „Ich dachte, vielleicht hilft es mir. Mein Bruder schaut einfach nur drauf und hat dann eine Antwort.“ Grinsend steckte sie es wieder weg. „Geht wohl nur bei ihm.“ Selina nahm ihr das Deck ab und schlang den Arm um sie. „Weißt du, dass du ihn zum ersten Mal wirklich Bruder genannt hast?“ „Hab ich das?“ Sie bestätigte das still. Zeitgleich hatte sie die Verpackung geöffnet.
„Zieh mal eine Karte.“ „Warum denn?“ „Na weil es ein Trick ist. So wie es dein Bruder immer macht.“ „Okay aber wie macht man das? Diese hier?“ „Nimm die, die dir zu sagt. Du kannst auch eine blind ziehen, völlig egal.“ „Ich tu mir schwer mit völlig egal. Ich nehme diese, okay?“ Selina nickte ihr aufmunternd zu. „Es ist die … lass mich überlegen … ja ich bin mir sicher, es ist die Herz neun.“ Evelin wandte die Karte. Sie lag falsch damit. Eigentlich war es die Karo Ass Karte. „Oh das sollte ich wohl noch üben bevor ich Jamiro überrasche.“ „Darf ich mal?“ Sorgfältig hatte sie bereits das Deck wieder zusammengeschoben. Mit der Hand oben aufliegend wartete sie die Erlaubnis ab. „Ja gerne doch.“
Damit zog sie die oberste Karte herunter, welche die Karo Ass war und schob sie irgendwo in die Mitte des Stapels. „Welche Karte glaubst du ist die Oberste?“ „Hm … Ich weiß nicht vielleicht die Karo Ass.“ Sie lachte, weil es nur Blödsinn sein sollte. Evelin hatte es aber wohl nicht so verstanden und sah nach. Gegen alles Denkbares hatte sie aber recht. „Glückwunsch, das hat funktioniert.“ „Sieh mal nach, ob es doppelt ist. Das machen Magier so.“ „Ja aber … Ach so. Warte ich seh nach.“ Natürlich war keine Karte doppelt.
Sie lächelte. „Wer hat denn jetzt eigentlich gezaubert?“ Es schien ironisch gemeint zu sein, auch wenn man das Evelin nicht so gut ansehen konnte. „Na du natürlich. Jam würd sich freuen.“ Plötzlich kippte die Stimmung wieder um. „Du machst dir Sorgen um ihn oder? Er hat zwei Tabletten genommen und trotzdem hatte er noch Schmerzen.“ „Er hat mich ja sogar angelogen, Evelin. Ich weiß es war nicht so stark wie sonst aber warum quält er sich denn unnötig?“ „Ich glaube, er möchte nicht, dass du so bist wie er, so aufopferungsvoll.“ Sie lächelte und strich mit ihrer Hand über die oberste Karte drüber.
„Schau, er ist es, der zaubert.“ Die oberste Karte hatte ein Symbol plötzlich auf dem Rücken. Das leicht durchsichtige schwarze Symbol könnte Jamiors und Evelins Muttermal oder Engelsflügel darstellen. „Wow. Das solltest du ihm zeigen. Das ist wirklich gut. Evelin?“ Selina stolperte erschrocken zurück, als sie ihr ins Gesicht sah. Kurz darauf stand schon Jamiro bei ihnen.
„Nehmt ihr einen Idioten mit?“, fragte er. Selina war noch zu perplex um zu reagieren, also tat es seine Schwester. „Bringst du mir ein paar Kartentricks bei?“ „Ich glaube, du bist schon viel besser als ich.“ Er grinste, so wie er es immer gemacht hatte. „Tut mir Leid, dass ich so blöd war. Ich hab mich etwas verbissen darin mit dir zu Golden seal heart zu fliegen.“ „Du weißt doch, dass ich das nicht brauche. Gib mir ein Wunsch frei.“ „Ich ahne, was er bedeutet aber gut ich lass mich massieren aber später.“ „Jam!“ „Ich besteh darauf. Außerdem haben endlich mal die Tabletten Wirkung gefunden.“ Er lief los und ließ sich von keinen der beiden Frauen ausbremsen.
Während er vor sie trat, bemerkte seine Frau, das Jamiro ohne je zum Kartendeck gegriffen zu haben, die Karo Ass mit dem Muttermal Symbol umher spielte. „Kannst du dich eigentlich Teleportieren?“ Die Stimmung war wieder aufgeheitert und Jamiro wurde etwas langsamer. „Wer weiß. Es sind magische Karten.“ Mit dieser Aussage holte er sie hervor. Seltsamerweise befand sich das Symbol diesmal auf der Vorderseite.
„Du hast heute Nacht sehr schlecht geschlafen.“ „Ich war aufgeregt. Du bist heute schließlich mein Mann geworden.“ Irgendwas geschah kurz in seinem Gesicht. „Ich hab eigentlich erwartet, dass du mich anflunkerst“, gestand er kurz danach. „Warum? Ist es etwa etwas Schlimmes nervös zu sein?“ „Nein. Ich dachte nur, ich hätte dich mit meiner Schmerzattacke geweckt und wach gehalten.“ „Ich bin dran aufgewacht aber glaub mir das es nicht schlimm für mich ist. Ich sag dir doch so oft, dass du mich wecken sollst.“ Er schwieg beklommen.
„Ehrlich, ich wöllte dich auch nicht wecken“, gab sie klein bei und schnappte sich seine Hand. „Du solltest bei mir niemals versuchen, sturköpfiger zu sein. Ich neige dazu, noch dickköpfiger zu werden und das ist wirklich schon schwer zu übertreffen.“ Sie kicherte. „Esel bleibt Esel.“ Nun kicherte auch Evelin. „Selbst wenn man ihm Hasenohren aufsetzt.“ „Nein besser“, grätschte Selina erheitert an Jamiro vorbei. „Wenn man ihm Engelsflügel tätowiert.“ „Wie kommt ihr denn auf Engelsflügel und überhaupt, was ist das denn für ein armer Esel mit Hasenohren und Tattoos?“
Durch das Gelächter kam die Antwort erst, als sie etwas weiter gekommen waren. „Dein Muttermal. Es sieht aus wie Engelsflügel.“ „Das winzige Ding. Ihr habt zu viel Fantasie.“ „Sagt der, der Kunst mit der Fantasie macht. Evelin zeig mir mal dein Deck.“ „Ja aber warum?“ Sie gab es sofort rüber. Beim Durchsehen bestand es nur noch aus Karo Ass Karten die dieses Symbol vorne auf hatten. „Was ist denn mit den Karten passiert.“ Evelin klang ängstlich. „Das ist ein Tick. Wie dein Bruder schon sagte es sind ''magische'' Karten.“ Hierauf grinste er nur ertappt.
„Hast du das richtige Deck?“, fragte Evelin noch immer etwas schockiert. „Such mich ab, dann weißt dus.“ Jamiro hatte keines bei sich. „Wie geht das?“ „Mit Zauberei.“ Inzwischen hatten sie ein Zoogeschäft erreicht. „Ich warte hier auf der Bank auf euch.“ „Willst du nicht mit?“ „Vielleicht komm ich nach.“ „Brauchst du …“ „Später.“ Er wandte sich ab und nahm Platz. Ungeduldig verharrte er dort ohne nochmal zu ihnen rüber zu schauen. „Komm. Lassen wir ihn nicht zu lange warten.“ Evelin zog sie mit sich.
Im Inneren wurde sie aber noch immer nicht abgelenkt. „Was ist?“ „Na ich überlege, warum er eine Pause einsieht. Hat er Schmerzen, ist ihm schwindlig?“ „Ich denke er ist müde.“ „Kann auch sein aber du weiß ja er darf sich nicht anstrengen mit den Tabletten. Warum sag ich den auch nichts.“ „Ihr seid heute echt komisch.“ Damit suchte Evelin Katzenfutter aus.
„Ist es in Ordnung, wenn die Katzen Mutter Mika heißt?“ „Mika? Find ich schön. Wie kommst du darauf?“ „Ich nannte den Streuner so. Sieht genauso aus wie sie. Sie hatte auch dieses Zeichen auf dem Kopf, das aussieht wie unser Muttermal nur größer.“ „Ah ja. Könnte es vielleicht dieselbe sein?“ Kurz überlegte sie. „Möglich. Sie sah genauso aus und sie hat dieselben Lieblingskraulstellen. Sie lässt sich sogar auch nur kurz streicheln. Lange Streicheleinheiten hasst sie. Genau wie sie.“ Die Augen von Evelin hatten wieder dieses begeisterte Funkeln erhalten.
„Der Tierarzt sagte, sie habe keinen Chip. Dem Fell nach war sie ein Streuner.“ „Vielleicht sollten wir sie dennoch als Fundkatze ausschreiben.“ Offensichtlich gefiel ihr der Gedanke selbst nicht, so schnell, wie sie nun alles zusammen suchte. „Ich schau kurz raus zu ihm, ja?“, meinte Selina hektisch noch bevor sie mit allem die Kasse erreicht hatten. „Wegen deinen Bruder?“ Das schien es nicht gewesen zu sein aber es machte es auch nicht besser. Sofort rannte sie nach draußen.
„Du bist der, der meiner Schwester wehtut.“ Exakt im richtigen Augenblick stoppte sie die Faust. „Wag es nicht, Leander!“ Sie stieß ihn an den Schultern zurück und er fiel hin. „Schwester sauer auf mich?“ „Ja, verdammt! Du schlägst ihn nicht verstanden?!“ „Aber Leander versteht das nicht.“ Als er sie schlagen wollte riss ihm Steve die Hände auf den Rücken. „Beruhige dich, okay?!“ Er war her gerannt und etwas außer Atem aber sein Griff erwies sich dennoch als ausbruchssicher. Schließlich gab er Ruhe.
„Gehts euch gut. Sie sind blass.“ „Meine Krankheit“, stöhnte er schwach. Im selben Moment fiel ihm auch das Kartendeck aus der Hand, dass er zur Ablenkung genutzt hatte. Die oberste Karte davon war mit hellem Blut befleckt. „Jam! Steve bitte …“ „Ich ruf ein Krankenwagen.“ Während er das recht gelassen tat, hielt er den flüchten wollenden Leander an den Hosenträgern fest.
„Das wird wieder ja. Halt durch.“ Unsicher ob sie ihn nun massieren sollte, schwenkte sie schließlich auf seine Schultern um. Sie hatten aber Glück, der Krankenwagen war ziemlich schnell da. Eine halbe Stunde später folgte Selina mit Evelin ins Krankenhaus. Jamiro lag schon auf seinem Zimmer. Er war nur sehr schläfrig.
„Du hast was zur Beruhigung bekommen. Gehts dir damit schon besser?“ „Ich hätte dich heiraten sollen wenn ich gesund bin.“ Er lachte kurz. Noch immer betrübt nahm Selina an seinem Bett platz. „Evelin, tu mir den Gefallen und nimm sie für mich in den Arm.“ Sie gehorchte ihm.
„Kann es sein, dass es eigentlich deine Brüder waren, die dich so kirre gemacht haben? Vielleicht hättest du dir einen Mann suchen sollen, der sich besser prügeln kann.“ „Blödsinn! Ich brauch keinen Idioten, ich …“ Die Tränen ließen sich nicht mehr unterdrücken. „Ich weiß schon. Nur ein sturer Esel mit Hasenohren und Tattoos.“ Jamiro schlief ein, als er dies sagte.
„Weißt du, wie lange er bleibt?“ „Auf jeden Fall über Nacht. Der Arzt meinte seine Werte seien alle ziemlich im Keller. Wie sollte es auch anders sein nachdem er kaum noch etwas essen kann.“ Zwischen ihren Tränen lächelte sie plötzlich „Schau mal Evelin.“ Selina drehte ihre leere Handfläche nach oben. „Ich glaube dir das Jamiro gezaubert hat. Schau, meine ist leer. Seine auch.“ Sie drehte auch seine leere Handfläche nach oben. Dann legte sie ihre drauf. Als sie es wegnahm lag die Karo Ass auf seiner. „Siehst du. Er ist es. Und wenn du sie nimmst ist auch wieder das Symbol drauf.“ Selina reichte sie ihr mit dem Rücken voraus. Als sie sich die Vorderseite wieder herdrehte war plötzlich das Symbol drauf.
„Dieses Spiel versaut mir die Karten“, scherzte der wohl doch nicht so tief eingeschlafene Magier. „Wir müssen nach den Katzen sehen, Jam. Sei brav ja.“ Selina lachte und verschwand nach ihrem Kuss. Seine Schwester hinterließ ihm noch seine Beschäftigung und eilte ihr hinterher.
„Hallo Mitzekätzchen.“ Die Kleinen kamen hergelaufen. Die Mutter thronte allerdings wie ein Raubtier auf den Überresten von Jamiros Hemd. Das im Übrigen überhaupt nicht mehr so aussah. Evelin versuchte es einzusammeln. Allerdings akzeptierte sie das auch nicht von ihr. „Aua.“ „Alles okay?“ „Mika hat mich gekratzt aber nicht so schlimm.“
Aiden platzte unüberhörbar mit seinem Gepäck zur Tür rein. „Flugstreik!“, knurrte er und nahm das Sofa ohne Weiteres ein. Die Katze fauchte. Doch ihn beeindruckte das nicht. Schließlich gab die Katze ihren Posten auf.
„Verletzt?“, fragte er und zog sich den Arm von ihr her. Seine Schwester kam nun auch her. „Du bist doch nur hier, um meinen Mann zu kontrollieren.“ Für das sie es für wahr hielt war sie ziemlich gelassen. „Kein Hotel frei“, knurrte er zurück und stand wieder auf.
„Hier! Sprüh das drauf.“ Er warf ihr ein Desinfektionsspray aus Jamiros Sachen zu. „Du solltest hier nicht rumstehen.“ „Ich steh nicht rum. Ich wollte die Katze füttern.“ „Dann mach das.“ Als sie weg war entsorgte Aiden die Überreste eines Hemdes und eines Jacketts. Danach ließ er sich wieder nieder.
„Warum durfte ich die Sachen nicht wegräumen?“ „Du bist zu zaghaft, Mädchen.“ „Ach hör nicht auf ihn.“ Sie setzte ihrem Bruder ein Kitten auf den Schoss. „Auch große Jungs haben ein weiches Herz.“ Aiden zog es vor, den beiden zu erklären, wie man eine widerspenstige Katze zähmte.
Jamiro stieg aus dem Auto seiner Mutter aus. Irgendwie hatte er es geschafft, nur eine Nacht im Krankenhaus bleiben zu müssen. „Danke fürs Abholen.“ „Danke, dass du gefragt hast.“ Seine Mutter reichte ihm ein Geschenk. „Ihr habt doch schon.“ „Es ist nichts besonderes.“ Ihr Lächeln widersprach dem. Aus Neugierde machte er es sofort auf. Ein neues Kartendeck befand sich darin. „Wie gesagt, es ist nur eine Kleinigkeit. Eine Kleinigkeit für deine Geduld.“ „Das ist wirklich schön von euch. Danke.“ Er lächelte ihr zu und drückte die Autotür zu.
Anschließend begab er sich zur Haustür. Dort sah er sich die einzelnen Karten genauer an. Die meisten von ihnen waren unterschrieben. An ein paar waren kleine Fotos hinten angeheftet. Eine war sogar mit einer Hundepfote gestempelt.
Die Pik Ass Karte mit der Pik Ass Torte hielt er etwas länger fest, ehe er sich dann entschied, damit ins Haus einzutreten. Dort wurde er sofort mit einer Umarmung überfallen. „Ich bin wohl unverbesserlich.“ „Wieso? Bist du doch abgehauen?“ „Nein. Man hat mich sogar gefragt, ob ich nicht gehen wolle.“
„Ihre Werte sind nicht die Besten aber sie stabilisieren sich schnell.“ Ichigawa saß hinter Papier, Schachtel und Dosen versteckt. „Ein neuer Erfolg, Herr Ichigawa?“ An Selina war die Positivität spielend abzulesen. Lächelnd umschlang er ihren Arm, um sie etwas zu beruhigen.
Selbst Ichigawa strahlte übers ganze Gesicht. „Ich hab es geschafft ihre Krankheit auffindbar zu machen. Man kann sie nun sehen. Das macht es mir leichter zu sehen, ob die Medikamente tatsächlich anschlagen oder die Symptome nur lindern. Das Medikament, das ich das letzte Mal getestet habe, wirkt bei ihnen nicht nur gegen die Symptome aber sie ist noch viel zu gering dosiert.“
„Ich muss nur mehr nehmen?“ „Nicht ganz eine Überdosis wird ihre Krankheit erheblich schüren.“ „Das ist verwirrend aber ich bin auch kein Mediziner.“ Jamiro nahm entspannt am Tisch platz.
„Das neue Präparat können sie sich spritzen. Es heilt sie noch nicht aber es nimmt ihnen die Reize.“ „Dann können sie also schon tatsächlich die Anfangsstadien heilen.“ „Ich arbeite daran, auch die Fortgeschrittene in den Griff zu kriegen.“ Damit bekam er den Schachtelstapel zugeschoben.
„Braucht Evelin das Medikament auch?“ „Das wäre für ihre Version der Krankheit viel zu stark. Außerdem ist ihre Schwester restlos gesund.“ Evelin setzte sich zu ihm. „Ich sagte dir doch, dass ich nur noch falle und stolpere weil meine Bänder von den Stürzen überdehnt und gerissen sind. Schön das du auch wieder gesund werden wirst.“ „Ich habe schließlich nie gesagt, dass ich abdanken will. Sie machen wirklich richtig gute Arbeit, Herr Ichigawa.“ „Sasori. Duzen sie mich.“ Er reichte ihm die Hand und packte danach blitzschnell seine Sachen.
„Sie sehen glücklich aus Sasori“, meinte Jamiro, als er zur Tür gehetzt war. Ein unscheinbares Grinsen erwiderte es, ehe er dann kommentarlos zur Türe hinaus verschwand. „Ist er etwa wieder mit seiner Frau zusammen?“ Auch Jamiro selbst beantwortete dies nicht aber irgendwie war es damit auch schon klar.
„Weißt du worauf ich gerade richtig Lust hätte?", fragte er mit spielerischer Laune. „Ein Picknick!“ Überrascht blickte er sie an. „Was? Deine Fähigkeiten sind ansteckend. Wusstest du das nicht?“ „Nur kein Essen bitte.“ „Wir sonnen uns ein bisschen. Das tut dir auch gut.“ Selina zerrte ihn fast vom Stuhl. „Na los. Kommt.“ „War da nicht noch was mit Tobias und Lola?“ „Ach die laden wir mit ein.“
Aus diesem ''Picknick'' wurde eine halbe Feier. Sie waren auf Kreuz drei mit ihrem Partner gestoßen, der wiederum zwei weitere Kumpels mitbrachte. Vor Ort schlossen sich dann auch noch drei weitere Fremde an, die wohl eine ähnliche Idee hatten.
Die meiste Zeit hatte sich Jamiro in der Mitte aller aufgehalten und mit fast jedem gesprochen. Als es ruhiger wurde, zog er sich mit seiner Frau an den Rand zurück. „Du siehst glücklich aus, Schatz.“ „Hmh meine Frau ist ja da.“
Die Sonne war am Untergehen, als er sich auf eine Decke setzte. Selina tat es im gleich. „Ich dachte echt, ich seh nicht recht, als du kurz vor Mitternacht in meinem Zimmer standst, nur um mich zu massieren.“ „Du hattest es aber bitternötig. Dreh mir daraus keinen Strick.“ Schweigend legte er sich nieder. Auch sie tat das und sah sich den Himmel an.
„Ich vergess manchmal, dass du deinen Job echt gern machst.“ „Es ist kein …“ Sein Finger bremste sie aus. „Für mich ist das so. Ich bemühe mich nicht mehr so abstoßend zu sein aber trotzdem möchte ich, dass du dir freinehmen kannst. Ja ich weiß, du willst das nicht aber ich hab ein ziemlich großes Ego und das akzeptiert das nicht. Versteh es bitte. Ich weiß, es ist viel verlangt. Wie überhaupt das, was du dir mit mir antust.“ „Ich tus gern.“ „Weiß ich.“ Als er zu ihr blickte, entdeckte er im Hintergrund Lola, die als Einzige nicht so begeistert war.
„Na los. Tu, was du eh nicht lassen kannst.“ „Was meinst du?“ Sie grinste in den Himmel hoch. „Esel habe große Ohren weil sie zuhören können.“ Jamiro richtete sich auf. „Und trotzdem hören sie nur das was sie wollen“, ergänzte er und stand dann auf.
„Brauchst du ein offenes Ohr?“ Es war mehr ein Reflex, als das er die Karten gerade wirklich hervorholen wollte. Sie lächelte kurz. „Einmal Magier immer Magier, hmh.“ Seine Karten verschwanden wieder in seiner Tasche. Danach lehnte er sich neben sie.
„Probleme mit Tobias?“ „Eigentlich liegt es an der Tagesordnung, dass wir uns streiten.“ „So schlimm?“ „Na ja. Es geht.“ So richtig darüber reden wollte sie nicht. Zumindest schlenderte sie gemächlich davon. An eine Stelle, wo es niemand mehr zuhören war, blieb sie wieder stehen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Kann ich vielleicht helfen?“ „Tobias ist ein Chaot. Ich wusste ja schon immer, dass ich zu ordentlich bin aber Tobias … mir fehlen die Worte.“ Plötzlich begann sie zu lachen. „Er baut unser Haus um. Kindersicher. Weißt du, er fliegt nie aber auch wirklich nie über seinen ganzen Schrott. Kartons, überall stehen Kartons rum.“ So langsam war sich selbst Jamiro nicht mehr sicher, ob sie denn jetzt wütend traurig oder belustigt darüber war. Jedenfalls sah er beim Zuhören irgendwie angestrengt aus.
„Neulich schafft er es, sich in einem Kabel zu verwickeln und Treppen herunterzufliegen und dass war das einzige Dinge, dass er mal nicht irgendwo auf dem Boden herumliegen lassen hat.“ Da stach wieder gewaltiger Zorn heraus.
„Ich hab das Gefühl, wenn er sich bemüht, wird es noch schlimmer. Kannst du das glauben? Ich kann nur hoffen, dass nicht eines unserer Kinder das von ihm erbt. Ehrlich meine Nerven machen das nicht mit.“
Als habe Tobias Wind von dem Gespräch bekommen, kam er hergeeilt. „Sonnenschein, ich bin kurz weg, ja. Einer hat sich gerade verletzt. Deine Frau Jam, sie ruht sich im Auto aus.“ Geschockt machte er sich sofort auf den Weg zu ihr.
„Wie ich das hasse“, meinte Selina, während sie sich an der Nase hielt. Sie war sehr zornig auf sich selbst. „Du bist schon viel unempfindlicher geworden, was das betrifft.“ Aufmunternd rieb er über ihre Knie. „Sagst du und trotzdem bin ich in Ohnmacht gefallen.“ „Sei nicht so hart zu dir“, tröstete er und kroch zu ihr auf die Rückbank. „Weißt du noch, wo ich mein Gedächtnis verloren habe?“ „Komm schon, ich konnte dir überhaupt nicht helfen. Jeder Andere hätte das besser gekonnt.“ „Vielleicht aber genau an diesem Tag warst du mein Schutzengel. Wer hätte mich dort finden sollen und was hätte mich besser bei Bewusstsein gehalten, als dich von meinen Wunden abzulenken?“ „Du lenkst ab!“ „So wie du damals.“ „Hör auf Jam, das ist kein Stück wahr.“ „Findest du?“ Er drückte sie an sich. „Ich liebe dich, Selina.“ Sie erwiderte nichts darauf aber es tat ihr wohl gut in den Arm genommen zu werden.
Eine Weile blieben sie so. Dann setzte bei Jamiro das schlechte Gewissen ein. Die arme Lola hatte er einfach stehen lassen. Seine Frau bemerkte den Gedankengang und schmunzelte. „Sie ist schwanger, Jam. Es sollte wirklich jemand nach ihr sehen.“ Die Erlaubnis seiner Frau nahm er gern an. Er beeilte sich, zügelte sich aber darin gehetzt zu wirken.
Als er ankam, stand Lola leicht gebeugt da und drückte sich die Hände gegen die Schenkel. „Alles in Ordnung?“ „Nichts ist in Ordnung! Sie kommen. Die Kinder, das ist doch zu früh.“ „Ganz ruhig Lola, wir bringen dich ins Krankenhaus.“ So ruhig, wie er selbst sein wollte, blieb er gar nicht. Eilig nahm er ihren Arm und führte sie stützend zum Auto hin. Dort war niemand mehr. Überhaupt war auf dem ganzen Weg dahin plötzlich niemand mehr.
„Selina!“ Niemand reagierte. Nur die Tür zur Rückbank stand noch offen. „Setzt dich, einen Moment.“ Während er sie dabei unterstützte sah er den Autoschlüssel auf den Boden. Wahrscheinlich war es seiner Frau aus der Tasche gefallen.
„Ich suche sie kurz.“ „Beeil dich. Die Kleinen habens eilig.“ „Natürlich! Ich bin sofort zurück.“ Zum Suchen ging er nicht besonders weit weg. Er hatte Sorge, dass die Kinder tatsächlich jetzt im Auto kamen. So aber fand er sie auch nicht. Er ging wieder zurück und setzte sich selbst hinters Steuer.
„Was tust du?“ „Ein Notfall. Anschnallen, bitte.“ „Warum musste auch unbedingt Tobias fahren?!“ Sie zog die Tür zu und schon ging die Fahrt los. Allerdings nicht besonders weit. Der älteste Bruder von Selina stand einfach auf der Straße. Ohne große Eile schritt er an die Fahrertür.
„Wir müssen!“, schnauzte Jamiro ein wenig gestresst. „Rutsch!“ Damit griff er durchs Fenster und öffnete sich selbst die Tür. Jamiro gehorchte ihm dann auch. „Versuchen sie gleichmäßig und ruhig zu atmen“, forderte Aiden gelassen, während er sich um das Losfahren kümmerte. „So. Wir fahren das Höchste, was erlaubt ist. Sollen wir ihren Mann anrufen?“ Jamiro holte sein Handy hervor, noch bevor sie eine Antwort hatten. „Ja bitte. Er soll sich beeilen.“ Jamiro übernahm den Anruf. Danach gab ihm Aiden sein Handy rüber.
„Steve.“ In Aidens Handy waren unglaublich viele Nummern abgespeichert. Deshalb dauerte es. Unter den Einträgen Schatz und Selina Herz wurde er fündig und stellte es auf laut. Auf altbekannte Art befahl er seinem Bruder, Selina abzuholen und beendete das Gespräch, noch bevor es zu lang werden konnte. Hypnotisiert starrte der Magier auf das Hintergrundbild im Handy. Aiden, in jüngeren Jahren hielt ein kleines, sich hellaufbegeistertes Mädchen im Arm. Knurrend knipste man das Bild aus.
„Wir sind gleich da. Gehts noch?“ „Muss ja.“ Jamiro wandte sich zu ihr um. „Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut.“ Sie nickte nur. Am Krankenhaus angekommen holte er Lola eilig einen Rollstuhl herbei. Die Geburt dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Zumindest fühlte sich das so an. Er hatte ja keine Ahnung davon. Tobias kam mit einem Wörtersalat angerannt und nahm sie mit. Etwas planlos wartete Jamiro außerhalb der Klinik.
Nach einiger Zeit hob man ihm eine Kartenschachtel unter die Nase. „Du wolltest fahren?!“ Der Vorwurf, wie auch die Karten kamen von Selina. Sie war bleich im Gesicht. Der Gedanke, er hätte sich damit in Gefahr bringen können machte ihre mehr als offensichtlich Sorge.
„Ich schätze ich wollte nicht groß weiterdenken und einfach handeln.“ „Trotzdem!“ Sie bremste sich und setzte sich zu ihm. „Wie geht’s Lola?“ „Keine Ahnung. Sie hat es auf jeden Fall in den Kreißsaal geschafft.“ Unweigerlich musste er daran denken, dass er im Krankenhausgang zur Welt gekommen war. Das es eigentlich der richtige Jamiro war kam ihm erst später in den Sinn.
Er stand auf und lief nervös hin und her. „Wie geht’s dir?“ Er suchte Ablenkung ohne es zu verbergen. „Hmh lass mal überlegen.“ „Du musst überlegen?“ Warum auch immer stellte er sich auf die andere Seite um das zu fragen. „Hey lass uns ein Spiel machen.“ „Ein Spiel, jetzt?“ „Setzt dich.“ Selina wartete nicht. Lieber packte sie schon mal die Karten aus. Als er saß drückte sie ihm die Pik drei in die Hand.
„Meintest du einen Trick?“ Grinsend nickte sie. Eigentlich hatte sie nur erreichen wollen, dass er sich entspannte. „Kannst du auch diese Gedankenlesetricks?“ „Klar. Du wirst mich fragen, was Lola und Tobias bekommen werden.“ „Du kennst mich, das zählt nicht.“ Sie tat eingeschnappt, war es aber nicht wirklich. „Kinder.“ Er grinste so überheblich, dass er sich selbst damit zum Lachen brachte.
„Was glaubst du, Engelchen?“ „Engelchen?“ Durch den Spitznamen hatte sie komplett den Faden verloren. Er drängte ihr die Hand auf, auf der noch die Karte lag. „Ein Junge? Es wird ein Junge.“ Selina nahm die Karte herunter und lächelte mühsam über ihre Verwirrtheit hinweg. „Du weißt schon …“ Er holte ein Feuerzeug aus seiner Tasche und knipste es neben der Karte an. „ ... dass Zwillinge zwei Menschen ergeben.“ Kurz bevor die Flammen ihre Finger erreichten löschte er es mit seinen eigenen Händen ab. Den Überrest der Karte schloss er in seinen Händen ein.
„Und jetzt?“ „Es werden zwei quicklebendige Jungen.“ Aus dem Überrest zauberte er zwei unversehrte Pik drei Karten. Selina lächelte, während Jamiro diesmal ernst blieb. „Wünschst du dir Kinder?“ „Wir haben Katzenkinder. Das ist genug Trubel.“ „Ich mein nur. Ich kann nämlich keine bekommen. Nicht nur wegen der Krankheit.“ „Ich brauch nur dich.“ Sie lehnte sich an ihn. Da sie ziemlich lange warten mussten gingen sie irgendwann nach Hause.
Ein paar Tage später wurden sie dann von ihnen ins Krankenhaus eingeladen. Tobias hielt bereits eines der beiden Kinder im Arm. Das Zweite schlief auf der Mama. „Und, wie heißen die Kleinen?“, fragte Selina neugierig. Jamiro selbst hielt sich zurück. „Das ist Arijon und Nilas liegt bei seiner Mutter.“ „Matschikoneck, nehm ich an“, mischte sich nun doch Jamiro ein. Sein Freund nickte strahlend.
„Wenn wir ersteinmal verheiratet sind, nehme ich ihren Namen an. Nicht so wie bei dir.“ „Sie bestand darauf. Könnte ich ihr denn einen Wunsch abschlagen.“ Mühsam hinkte er neben seine Frau. „Sag bloß du hast dich verletzt auf deiner Hochzeitsparty.“ Tobias kam wohl gerade nicht mehr aus dem Necken heraus. Seine Verlobte warf ihm deshalb schon böse Blicke zu.
„Weder das Eine noch das Andere. Trotzdem, es ist harmlos.“ „Bei dir? Na da mach ich nen Stempel in den Kalender.“ „Jungs, warum geht ihr nicht etwas raus.“ Selina setzte sich bereits an Lolas Bett heran. Im Gegensatz zum verdatterten Vater hatte Jamiro gleich die Hintergründe verstanden und nahm ihn mit. Seinen Sohn legte er noch ab.
„Hab ich übertrieben? Tut mir Leid, wenn ja.“ „Du kennst mich. Ich schätze unseren Frauen ist es gerade nur etwas auf den Keks gegangen. Abgesehen davon, dass sie wohl Frauendinge zu besprechen haben.“ „Ey sag nicht da du jetzt auch Vater wirst.“ „Nein.“ Ungewohnt vernünftig suchte er eine Bank auf.
„Und wie ist es als Papa?“ „Schön außer sie haben Hunger. Nilas macht mir etwas Sorgen. Er schläft viel mehr als Arijon.“ „Haben die Ärzte was gesagt?“ „Naja er ist halt etwas kleiner und leichter als sein großer Bruder. Wobei sie zu Arijon gesagt haben, das er schon recht aktiv ist. Ich hoffe einfach nur, dass es allen Dreien gut geht. Ich hätte gern so etwas wie deine Wunderkarten.“
Als er das Wort ''Wunderkarten'' erwähnte, kam eine bekannte Frau auf sie zu. „Kann es sein, dass sie die hier verloren haben?“ Es war die Boxerin dessen Hund er mal gefunden hatte und diese reichte ihm gerade ohne den Wert zu kennen eine ganz besondere Pik drei Karte. Er lächelte. „Danke.“
„Also was deine Karten betrifft, stehst du diesem Pik Ass in nichts nach. Hast du sie schon wieder alle?“ „Ein paar davon.“ Mit einem kurzen Zögern hob er Tobias die Karte hin. „Ich denke, du solltest sie nehmen für eine Weile.“ „Spinnst du? Nie im Leben mach ich das.“ „Bring sie mir einfach wieder zurück.“ Damit legte er es bei ihm ab und hinkte deutlich schlimmer als zuvor in Richtung des Parkplatzes.
„Was ist jetzt eigentlich mit deinem Bein?“ „Halb so schlimm. Das sind harmlose Nebenwirkungen von dem neuen Medikament.“ „Harmlos?!“ Tobias eilte ihm rasch nach. „Hörmal, keiner verlangt von dir, dass du mit der Krankheit alleine klar kommst. Sag wenn wir was für dich tun können. Immer verstanden?“ „Du bist erst einmal genug beschäftige. Außerdem werde ich bereits bemuttert.“ „Weißt du was, wenn meine Liebste einverstanden ist, kommen wir nach dem Krankenhaus für ein paar Tage vorbei. Du bist ein Trubeltyp. Ruhe macht dich unruhig.“ „Ich werd mich nie daran gewöhnen, dass du deinen Frauen immer so seltsame Kosenamen gibst.“ „Habt ihr auch ein?“ „Wenn Esel zählt.“ Jamiro blieb stehen und schien zu grübeln.
„Du hast doch was?“ „Ich frag mich nur, ob ich richtig damit liege, das meine Frau keine Kinder möchte.“ „Was willst du?“ „Die Frage stellt sich für mich nicht.“ „Stimmt ja, die Krankheit ist erblich aber was wäre ohne diese Sache?“ „Es würde sich immer noch nichts ändern. Sie kann keine Kinder von mir bekommen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie das gestern auch wirklich aufgenommen hat.“ Tobias schwieg eine Weile.
„Sag bloß du hast ein Problem damit.“ „Nein natürlich nicht, Herr Gott. Ich finds für dich raus, was sie denkt. Ich meine, wenn sie unbedingt eins will, gibt es Methoden, adoptieren zum Beispiel.“ „Wenn sie so denkt, tu ich ihr das erst an, wenn ich genesen bin. Ich mach mir schon genug Gedanken, was mit ihr und meiner Schwester wird falls ich es nicht schaffe. Sorry meine Gedanken schweifen ab.“
Dass ihn Letzteres schon länger beschäftigte, war ihm deutlich anzusehen. „Wenn du es nicht schaffst, was wir nicht hoffen wollen, garantiere ich dir, dass sie nicht alleine sind. Selina hat ihre Brüder. Evelin deine Eltern und natürlich sind uns die beiden auch immer willkommen. Außerdem hast du mal erwähnt, dass du glaubst, Evelin könnte sich ganz gut mit Aiden verstehen.“ „Ja irgendwie irrsinnig. Sie hat Angst vor ihm aber trotzdem kommt sie mit ihm besser zurecht, als mit so manch Anderem.“ Er seufzte.
„Wüsste ich doch nur, wie man seine Launen einschätzen kann.“ „Versteh ich nicht.“ „Ihm sieht man nur an, dass er alles scheiße findet aber wenn er etwas gut findet sieht es genauso aus.“ Er seufzte erneut. „Lass gut sein. Freu dich auf dein Vaterglück.“ „N … nein Moment. Jam, hör mal diese Dinge solltest du nicht allein mit dir ausmachen. Es ist schließlich die Zukunft von zwei anderen Personen. Du solltest sie mit einbinden. Sag ihnen dass dich das beschäftigt.“ „Ich will niemanden belasten. Lass uns jetzt bitte das Thema wechseln. Du hast was zu feiern.“ „Hör auf dich schlecht zu fühlen. Ehrlich, natürlich hat die Krankheit nichts Gutes. Wenn du stirbst, verliere ich meinen besten Freund. Das fällt mir nicht leicht aber du hast es auch nicht leicht damit. Ich nicht, sie nicht, deine Schwester nicht, du nicht aber wenn du sie alle raushalten willst, machst du es noch viel schlimmer. Keiner will dir einfach nur zu sehen und ich für meine Verhältnisse bin froh, wenn ich dir durch zuhören wenigstens ein bisschen helfen kann.“ „Mein Gott bist du theatralisch heute.“ „Sagt der, der mit dem Thema angefangen hat.“ Tobias grinste. Er dann schließlich auch.
„Zisch ab zu deiner Frau und richte meiner bitte aus, dass ich mir die Beine vertrete. Ich bin nicht weit weg.“ „Wie du meinst, Jam.“ Damit wandte sich sein Freund ab. Dieses ''Wie du meinst'' hatte den Magier wohl umgestimmt. Nach zwei Schritten saß er wieder und wartete darauf, dass Selina aus dem Krankenhaus kam.
Währenddessen kam Gregor auf ihn zu. „Ich hab keine Ahnung, warum Aiden das zu lässt aber eins sag ich ihnen, erlauben sie sich nur einen kleinen Fehler sind sie toter als Tod.“ „Genau genommen können sie Tod nicht steigern.“ „Was willst du?!“
Selina zog ihm im rechten Augenblick zurück. „Ich bin mir meine Brüder echt leid.“ Alleine dass sie bei dieser Aussage so ruhig blieb machte die Anspannung deutlich. „Selly ich … “ „Scher dich zum Teufel.“ Sie reichte Jamiro die Hand zum Gehen. Das taten sie dann auch.
„Es ist nichts passiert.“ Wütend warf Selina etwas in die Mitte des Autos. Sie wollte seine Verharmlosungen in diesem Punkt nicht hören. „Ich möchte nicht, dass du wegen mir Streit mit deinen Brüdern bekommst.“ Immer noch ignorierte sie ihn. Unsicher suchte er mit seinem Blick das Auto ab. Vielleicht fand er etwas, dass sie wieder beruhigte.
Aus einem Fach zwischen den Sitzen holte er ein Handy hervor. „Ich glaube, das gehört deinem Bruder … “ Bevor er den Namen sagen konnte, entriss sie ihm das Teil und machte es an. Ihr genervter Laut daraufhin hätte beinahe von Aiden selbst stammen können. Die Ähnlichkeit brachte ihn zum Schmunzeln.
Jedoch hatte er auf der Fahrt zum Flughafen dann nur noch wenig zum Lachen. Seine Frau fuhr ungewohnt aggressiv und fluchte jeden an, ob er nun richtig oder falsch fuhr. Kein Wort würde etwas zählen, also schwieg er in seinen Sitz hineingepresst.
Endlich angekommen wollte er aussteigen. Doch hielt sie ihn zurück. „Ich mach das!“ „Zusammen …“ „Ich! Versteh das!“ Sie ließ ihn los und stieg aus. „Ich kann doch …“ „Lass es! Ich such ihn und bring ihm sein Handy.“ Er ließ seine Frau gehen, doch hielt er sich nicht dran beim Auto zu bleiben. Recht schnell fand er ihn alleine vor. Offenbar hatte sie ihn noch nicht gefunden gehabt. „Sie haben ihr Handy vergessen, Herr Brown.“ Bevor man auf ihn gelassen reagierte, warf Aiden noch seinen Kaugummi weg.
„Wo ist es?“ „Bei ihrer Schwester. Augenblick.“ Er kramte sein eigenes Handy hervor und schrieb ihr eine Nachricht. „Sie sollten ihre Schwester mal boxen lassen.“ „Aja warum eigentlich nicht?“ Aiden zog verwirrt eine Augenbraue hoch. „Sie wollen was von mir?“ „Ja. … Eigentlich ja.“ „Reden sie kein wirres Zeug!“ „Es geht um Selina, um Selina und Evelin. Ichigawa ist schon sehr weit mit seiner Forschung aber es kann immer noch sein, dass ich das heilende Medikament nicht rechtzeitig bekomme.“ „Sie denken daran.“ Ob dies eine Frage war, wurde ihm nicht ganz offensichtlich. Trotzdem kam er nun auf dem Punkt. „Ich hoffe, sie könnten beide aufnehmen, falls ich es diesmal nicht schaffen sollte.“ „Ich?“ „Ich denke, das niemand besser wäre.“ „Hmh.“ Selina, die angelaufen kam zog die Aufmerksamkeit auf sich.
„Was machst du hier?“ „Ich wollte dir helfen.“ „Warum hörst du denn nicht einmal zu! Hier!“ Sie drückte das Handy in Aidens Händen. „Versuch nicht immer alles zu ändern. Das funktioniert nicht!“ „Ich muss los, Selly und danke fürs Bringen.“ „Grüße alle.“ „Klar.“ Er reichte Jamiro die Hand. „Danke.“ Auf Grund des damaligen festen Händedrucks zögerte er kurz bevor er annahm.
„Die Gästewohnungen stehen euch frei.“ „Das ist nett Aiden aber vorerst fliegt mein Mann nirgends hin.“ Irgendwie funkelte seine Frau böse zu ihm rüber. Sie musste wirklich sauer sein, denn für gewöhnlich konnte sie das nicht. „Ich geh, bevor ich in die Genugtuung eines Streites komme.“ Dies waren die letzten Worte, bevor er zu seinem Flugzeug marschierte.
„Hättest wohl gerne!“, bäffte Selina. „Wie wäre …“ „Beweg dich! Fällt dir ja sonst nicht schwer.“ „Vielleicht reagierst du dich …“ „Ich reagiere mich nicht ab! Komm jetzt oder willst du hier Wurzeln schlagen?“ „Himmel.“ Er folgte ihr zum Auto, doch hatte es nun auch seine Laune verhagelt.
Als sie das Auto anlassen wollte, zog er den Schlüssel ab. „Hey!“ „Du fährst nicht! Nicht so!“ „Und das bestimmst du jetzt?!“ „Ja weil du so verdammt nochmal einen Unfall baust. Die Aktion von deinem Bruder war dumm aber alle wollen nur das Beste für dich und ehrlich, das bin ich nicht. Du hast einen Todkranken geheiratet. Egal, ob ich das will oder nicht oder ob das meinem Charakter entspricht. Ich tu dir weh“ „Du tust mir weh weil du mich abblockst, seit Tagen. Jam.“ Sie brach in Tränen aus.
„Ich kann dir nicht zusehen, wenn du Schmerzen hast.“ „Dann sieh nicht hin!“ „Du bist dumm und verbohrt. Was würdest du tun, wäre ich krank? Würdest du weglaufen?“ Sie schnappte sich den Schlüssel zurück und startete den Motor. Jamiros Härte verlor sich.
Es verging ein Tag bis sich zwischen Selina und Jamiro alles beruhigt hatte. Zumindest ließ er sich grundlos massieren. Und Selina wusste, dass es eine Art Friedensangebot sein sollte, welches sie akzeptierte.
Tobias kam mit den übelsten Augenringen ins Haus gestürmt. „Alles in Ordnung?“ Man konnte ihm nicht ansehen, was los war. „Hier, deine Karte, Jam.“ „Stimmt was mit Nilas nicht?“ „Nein, nein. Mit ihm war nie was. Er ist jetzt genauso munter wie sein Bruder. Sieht man mir an oder? Die schlafen überhaupt nicht. Ach übrigens Überraschung ihr lieben Paten. Wir wohnen in eurer Nachbarschaft. Lola hat die Wohnung geerbt. Toll für die Kleinen. So hat jeder später sein eigenes Zimmer.“ „Toll. Wenn ihr wollt sitten wir mal für euch.“ „Echt klasse. Ähm, vielleicht heute schon? Wir könnten wirklich mal Schlaf gebrauchen.“ „Klar“, preschte Jamiro vor, bevor sie wegen ihm ablehnen konnte. Sie lächelte. „Er braucht ne Aufgabe. Sieht man, oder?"
Es war verdächtig still, als Selina von ihrer Arbeit zurückkam. Eigentlich wollte Jamiro doch die Kinder hüten aber überhaupt sah sie nur Evelin, die mit den Katzen spielte. „Wo ist denn dein Bruder?“, fragte sie leise, für den Fall, dass jemand schlief. „Er hat die beiden Kinder ins Schlafzimmer gebracht.“ „Keine Schmerzen?“ „Ich denke nicht. Er hat auch gut gegessen heute.“ Mit dieser Bemerkung beeilte sich die Schwester in die Küche.
„Alles in Ordnung?“ „Nein. Ich … ähm … ich mach dir nur etwas.“ „Danke, sehr nett von dir.“ „Gern.“ Derweil ging Selina zum Schlafzimmer weiter. „Bist du wach, Schatz?“, flüsterte sie in den dunklen Raum. „Ja aber die Kleinen schlafen. Lass uns rausgehen.“ Seinem Stimmklang nach ging es ihm tatsächlich gut.
„Wie wärs ihr unternehmt etwas zusammen?“ „Irgendwie hör ich da nicht raus, dass du Teil davon bist.“ So wie sie beide am Tisch Platz nahmen, bekam sie etwas hingestellt. „Willst du nichts, Evelin? Komm setzt dich zu uns“, forderte sie sie auf. „Ich hab schon mit ihm gegessen. Tut mir Leid.“ Damit ging sie zurück zu den Katzen.
Jamiro kam auf den Punkt zurück. „Ich hüte die Kinder. Habt ein bisschen Spaß, auch wenn es ohne mich ist.“ Grinsend lehnte er sich zurück und schaute zu seiner Schwester. „Ist heute irgendetwas besonderes passiert?“ „Eigentlich nicht. Die Kleinen halten nur einen ganz schön auf Trab. Kann schon verstehen, dass Lola kaum zu Schlaf kommt.“ „Wenn du eine Pause brauchst …“ „Ich mach das schon!“ Beinahe schon gierig zog er sich eine Obstschale her und pickte sich einen Apfel heraus.
„Ich wollte noch mit Ichigawa telefonieren.“ „Ja? Warum denn?“ „Dieses Medikament macht ganz schön hungrig. Ich esse beinahe dreimal so viel wie früher.“ „Das ist doch gut. Ich meine, dann nimmst du mal wieder etwas zu.“ „Das wollte ich ihm auch noch sagen.“ Nach seinem Apfel folgte eine Banane. Diese biss er aber nur an weil dann auch eines der Kinder wieder nach Aufmerksamkeit verlangte. Selina ging ihm nach.
„Ich bin beschäftigt, wie du siehst.“ „Darum sorge ich mich nicht. Ich hätte nur gern etwas zu Dritt gemacht.“ „Morgen wirklich gerne. Ich bin froh, dass ich für Lola eine Entlastung sein kann.“ „Für Tobias nicht?“, alberte sie. „Na ja so fern ich Lola verstanden habe, bekommt er nachts nichts mit und tagsüber arbeitet er ja.“ „Lass mich raten, sie haben Zoff.“ „Haben sie das nicht beinahe täglich?“ Er grinste. Danach wurde er wieder ernst.
„Lola ist übermüdet. Sie kann auch nicht wirklich entspannen, wenn sie die Kleinen hierlässt. Mal sehen, ob ich sie überreden kann, eine Massage bei dir zu nehmen.“ „Gern, wann immer sie möchte, wenn sich mein Schatz schon nicht mehr massieren lässt.“ „Mir ist wichtig, dass du auch mal Feierabend hast.“ Nach dieser Bemerkung schob sie ihm ein Plan zu. „Was ist das?“ „Masseur-Termine von Ichigawa verordnet.“ „Das ist die ganze Woche!“ „Ja alles mit Ichigawa abgesprochen. Morgen 14:00 Uhr Schatz, vergiss es nicht.“
Selina aß eilig zu Ende, bevor sie beim Aufspringen auf die Unternehmung zu sprechen kam. Als Antwort schob er ihr einen Flyer zu. „Ein Boxclub? Bist du sicher? … Findest du nicht, dass deine Schwester genug Gewalt in ihrem Leben erfahren hat?“ Auch sie zeigte offensichtlich kein Interesse daran. Nach kurzer Überlegung wollte er seinen Vorschlag wieder zurückziehen. Doch seine Frau fand, dass er sich wohl etwas dabei gedacht hatte. Jedenfalls würgte sie all seine Änderungsversuche ab und ging schließlich mit Evelin.
Sein Entschluss ihnen nachzugehen wurde diesmal von Nielas unterbrochen. Er durfte ihn nicht so lange schreien lassen, denn dann würde er Arijon wieder wecken und beide gleichzeitig zu beruhigen war so gut wie unmöglich. Wenigstens war Nielas sofort zufrieden, als er ihn auf den Arm genommen hatte.
Während er mit dem Kleinen umherlief und ihn ein wenig bespaßte, wurde ein weiteresmal die Haustür aufgeschlossen. An der Art erkannte er schon, dass es nicht seine Frau war oder dachte er es sich vielleicht auch nur. Jedenfalls grüßte er Lola, ohne sie gesehen zu haben. „Schreien sie viel? Entschuldige.“ Sofort nahm sie ihm Nielas ab. „Ach sie benehmen sich. Sofern man das bei Jungs sagen kann.“ Seine Bemerkung erwiderte sie mit einem müden Lachen. Offensichtlich war sie immer noch nicht zu Schlaf gekommen. Vorallem schien sie aber gerade etwas zu verärgern.
Als er fragen wollte, meinte sie, dass er sie daran erinnern solle, ihren Verlobten umzubringen. „Oh. Lass mich raten, er hat genau dann angerufen, wo du hättest endlich einschlafen können.“ „Weißt du davon?! Was genau will er? Dass ich keine gute Mutter bin oder was?!“ Gekonnt verpackte sie ihr Wut in leise Töne, die den Kleinen in ihren Armen trotzdem einschlafen ließen.
„Das …“ „Ich weiß, dass er ein Depp ist und Timing haben höchsten seine verdammten Hemden, die er versprochen hat wegzuräumen.“ „Möchtest du dich setzten, Lola? Ich hol noch Arijon aus seinem Bett.“ „Lass mich das machen! Ich geb dir Nielas.“ Er wollte ihr nicht widersprechen und setzte sich mit der kleinen Schlafmütze hin.
„Na du? Hast du überhaupt mitbekommen, dass deine Mama hier ist?“ Lola kam aus dem Zimmer und setzte sich neben ihn. Sie ließ sich Nielas auch noch geben und sagte erst einmal nichts mehr.
Nachdem sie sich selbst wieder beruhigt hatte, sah sie ihn erleichtert an. „Ich weiß deine großartige Unterstützung echt zu schätzen aber in erster Linie sollst du gesund werden.“ „Es macht mir keine Umstände.“ Sein Magen knurrte unüberhörbar laut und vermittelte den Eindruck, dass er vorlauter Fürsorge gar nicht zum Essen gekommen sei.
„Ich mach uns eine Kleinigkeit.“ „Musst du nicht!“ Er konnte nicht aufstehen, da sie ihm die Kinder reichte. „Keine Ausflüchte! Meine Söhne wollen ihren Patenonkel kennenlernen. Denk daran, dass du versprochen hast, mit ihnen Fußball zu spielen.“ „Wann hab ich das denn?“ „Und sie ab und an von der Schule abzuholen.“ „Daran kann ich mich schon eher erinnern.“ Anscheinend alberten sie herum. Sie sahen nicht ernst dabei aus und die Brüder waren ja auch noch nicht einmal zwei Monate alt.
Während sich der Essensgeruch im Zimmer verteilte, erschallte die Türklingeln. „Bist du heute ausgebucht?“ Verwundert ging sie voran und machte die Tür auf. „Hallo, Herr ... Erkwin?“ „Was gibs, Aron?“ Beim nach vorne drängen nahm ihm Lola eins der beiden Kinder ab, die sie ihm vor dem Kochen gegeben hatte. Anschließend kehrte sie in die Küche zurück.
„Sie sind Vater? Glückwunsch. Hätte ich irgendwie nicht von ihnen erwartet. Ich wollte mich bei ihnen bedanken. Sie haben uns sehr geholfen und wissen sie was, wenn ich die Lehre fertig habe, machen ich und Sobald eine Werkstatt auf.“ „Schön. Das ist eine wunderbare Idee.“ Jamiro wollte ihn reinlassen, hatte aber verplant, dass er sein bloßes beiseite Gehen ja nicht sehen konnte.
„Ich hätte was im Auto für sie“, schmiss er in den Raum, bevor Jamiro seine Bitte nachholen konnte. „Vielleicht gefällt ihrer Frau auch etwas.“ Eine Berichtigung ließ er sein und ging dem Tatendrang des Jungen einfach nach.
Aus dem Firmenauto stieg der Junior Chef. Er war augenscheinlich sehr begeistert von seinem Lehrling. Sofort machte er ihm das Kunstwerk auf seinem Hänger schmackhaft, welches wohl von seinem Schützling war.
Es war aus einem dunkleren Holz gearbeitet, zeigte im Kern einen dünnen Baum, dessen Krone man an abgesägte Stumpfen erkennen konnte. Um den Stamm selbst wickelte sich etwas, dass an einen Schlangenkörper erinnerte, nur ohne Kopf und Schwanz aber mit Schuppenmuster. An ein paar Stellen zwischen dem Schlangengebilde ragten Hände heraus, die immer ein Kartendeck mit einem anderen Kartensymbol oben auf festhielten.
„Gefällt es ihnen?“ Aron war sich sicher, dass es das tat. Tat es ja auch! Er wollte es selbst ins Haus tragen, doch kam ihm der Junior Chef zuvor. „Es ist übrigens von Sobald und mir. Er wäre gern mitgekommen aber wie immer Familienprobleme.“ „Wenn ich helfen kann.“ „Ich glaube nicht.“ Aron lachte.
„Übrigens noch ein kleiner Scherz von ihrer Frau.“ Man drückte ihm eine Holzmedaille mit rotem Band in die Hand. Das Motiv spielte auf sein Helfersyndrom an. „Ich werd heute so beschenkt, als hätte ich Geburtstag.“ Wieder machte sich sein Hunger deutlich. Arijon, der davon aufwachte, begann sofort lauthals zu schreien. Sein Bruder folgte.
„Wir gehen dann mal“, meinten die Gäste, ehe sie vor dem Lärm flohen. Es dauerte ewig, die beiden Brüder zu beruhigen. Jamiro war schließlich einfach nur noch zum Umfallen müde. Sogar so sehr, dass er es auch nicht mehr wirklich verbergen konnte. „Jam, herzlichen Dank für deine Unterstützung heute.“ Sie überlegte, wie sie es sagen konnte. Direkt ging es wohl am besten. „Ich nehm die Kleinen wieder mit rüber.“ „Wolltest du nicht schlafen?“ Natürlich war ihm klar, warum sie sie mitnehmen wollte und ja ein Teil von ihm weigerte sich weil er seine Geste nicht erfüllt hatte.
„Iss noch was! Sonst komm ich später noch einmal rüber.“ Sie grinste und ging dann. Er unternahm nichts. Einzig deswegen weil ihm der andere Teil einredete, er wäre jetzt schlecht für die Kleinen. Irgendetwas nuschelnd zog er sich auf das Sofa zurück, wo er auch gleich einschlief.
Einige Zeit später sprang er erschrocken auf. Wieso hatte er geträumt, dass Selina von einem ihrer Brüder angegriffen wurde? Das war doch Irrsinn! Aufgrund von Nebenwirkungen kam er nur schlecht auf die Beine. Leichter wurde es auch durch seine Hektik nicht. Irgendwie erreichte er den Tisch. Sein Handy lag darauf aber für einen Moment schien er vergessen zu haben, wie man es bediente. Jedenfalls versuchte er Selina anzurufen, die aber erst beim zweiten Mal ran ging.
„Entschuldige, ich habe es nicht gehört. Ich beeile mich, mein Schatz. Drei Minuten ja. Leg dich hin!“ „Nein!“ „Nein? Ist was passiert? Du musst es nicht verharmlosen. Wir waren eh fertig.“ „Gehts dir gut?“ „Wieso sollte es mir schlecht gehen? Bitte Schatz, wir sind gleich Zuhause.“ „Es ist bescheuert aber seh dich bitte mal um.“ „Okay.“ Obwohl sie sichtlich verwirrt war, tat sie es anscheinend.
Die Leitung blieb eine ganze Weile still. Ehe sie „Hey“, brüllte und für ihn nicht mehr zu sprechen war. Lediglich einen riesigen Auffuhr bekam er mit, bevor er dann selbst auflegte, um aufzubrechen. Er kam nicht besonders weit. Schließlich gabelte ihn Tobias auf. „Willst du nen Marathon laufen?“, scherzte er und öffnete die Tür. „Biederstraße“, sagte er nur.
Als sie dort ankam, schien nichts zu sein. Jamiro suchte sie. Nach kurzer Zeit hörte er Evelin, die ihn wahrgenommen hatte und stieß zu ihnen. „Alles in Ordnung?“ Rein optisch war es das. „Ich wusste doch, dass du früher oder später nachkommen würdest.“ Sie lächelte, als wär nichts. Evelin hingegen wirkte viel eingeschüchterte als sonst.
„Evelin?“ „Jemand hat dieser Frau dort drüben die Handtasche geklaut.“ Selina stieg ein. „Und zwar genau in dem Moment, in dem mein Mann wollte, dass ich mich umschaue. Wenn du mich beeindrucken wolltest …“ „So jedenfalls nicht. Nächstes Mal sagst du was, ja?“ „Wie denn, du hast ja schon aufgelegt gehabt.“ Die Frau die Evelin gemeint hatte kam rüber. Ihre Handtasche hatte sie wohl wieder zurück. „Danke“, sagte sie und rückte den Beatmungsschlauch an ihrer Nase zurecht. „Bedanken sie sich bei ihm. Hätte mein Mann nicht gewollt, dass ich mich umsehe, hätte ich von dem Diebstahl gar nichts mitbekommen.“ „Dann sind sie heute einer meiner Engel. Danke.“
Darauffolgend reichte sie ihm die Hand. Selina fiel dabei auf, dass sie in ihrer freien Hand eine Spielkarte beinahe zerknickte. „Das gibs ja nicht, wo haben sie die her?“, überfiel sie sie sogleich mit ihrer brennenden Frage. „Meinen sie diese Spielkarte? Die habe ich dort hinten gefunden. Gehört sie ihnen, Herr Erkwin?“ Sie lächelte und hob ihm nun anstelle der Hand die Karte hin. Es war eine ganz besondere Herz zehn. So besonders, dass sie an seinem Gesicht die Antwort ablesen konnte.
„Ich wollte immer auf eine ihrer Shows gehen. Es freut mich, dass ich ihnen etwas zurückgeben konnte.“ Damit ging die Unbekannte. Der perplexe Jamiro bemerkte es zu spät, sonst hätte er sie noch zu einer privaten Show eingeladen. Plötzlich grinste er. „Was grinst du so? Weißt du etwa, warum du nicht ihr einziger Engel heute bist?“ „Sie hat einen ganz anderen Engel.“ Mehr sagte er nicht und küsste sie einfach.
In ihrem wunderschönen Brautkleid war Selina von Lola zu einem traumhaft schönen Ort eingeladen worden. Auch sie trug ein prachtvolles weißes Kleid. Es sollte wohl ihr eigenes Hochzeitkleid sein.
„Was sagst du?“, fragte sie aufgelöst. „Dass ich nicht ganz verstehe, warum ich zu deiner Hochzeitplanung mein Kleid anziehen sollte aber zu dem Ort muss ich sagen, hast du wirklich etwas sehr Traumhaftes ausgewählt.“ „Das hab ich gar nicht.“ „Ach nicht?“ „Tobias ist der Schleimer. Es war seine Idee.“
Sie atmete tief ein, um ruhiger zu werden. „Was sagst du zu der Blumendeko? Ich wusste nicht, ob ich weiße Rosen oder rote nehmen soll.“ „Die sind klasse, Lola, ehrlich. Das ist ein Traum. Okay, deine Schuhe aber noch nicht. Die passen nicht zum Kleid und ich denke, ihr bräuchtet noch mehr Stühle. Würde Tobias Halbschwester auch kommen?“ „Sicher. Ja, das sind wirklich viel zu wenig Stühle! Vielleicht nehm ich doch lieber ein anderes Kleid.“ „Nein, das Kleid ist super.“
„Mein Anzug auch?“ Jamiro war wie aus dem Nichts aufgetaucht. „Habt ihr mich angelogen?“, brach die Verwirrung geradezu aus ihr heraus. Währenddessen ging ihr Mann vor ihr auf die Knie. „Möchtest du zum zweiten Mal meine Frau werden?“ Lola stieß sie an. Im ersten Moment hielt Selina es nämlich noch für einen Scherz. Erfreut gab sie ihm das Ja. Sogar mit Pfarrer und Trauzeugen in Form von Lola fand die zweite Trauung statt.
„Dein Plan? Du bist doch sonst nicht so romantisch“, alberte sie mit ihrem Mann herum, als sie es hinter sich hatten. „Ich heirate dich auch gern jeden zweiten Tag.“ „Ach ja? Und warum nur jeden Zweiten?“ „Weil etwas Besonderes etwas Besonderes bekommen soll.“ Ein Feuerwerk ging los. Schweigend sahen sie dem Schauspiel zu.
Sparsam war er eindeutig nicht gewesen. „Du bist einfach unmöglich.“ „Unmöglich ist nichts, nicht für mich.“ Er zauberte ihr einen bunten Blumenstrauß herbei. „Aber du übertreibst schon ein bisschen.“ Sie küsste ihn und hielt ihn akribisch von weiteren Ideen ab. Schließlich wollte sie ihn fit mit nach Hause nehmen.
Auch für den Heimweg hatte sie ihn etwas zwingen müssen, hatte es aber so charmant gelöst, dass er gar nicht meckern wollte. Am Haus angekommen versuchte sich ein Fremder zu verstecken, der offensichtlich nicht wirklich etwas Geeignetes gefunden hatte. Jamiro schickte seine Frau rein und sah nach.
„Kann man helfen?“ „Ja … nein … ähm … nein … nein ich suche nichts. Ich bin nur auf der Suche nach … ähm einer Wohnung. Ein Freund meinte, die hier stünde frei.“ „Nein sie ist bewohnt, wie sie sehen.“ „Ja … Ja entschuldigen sie. Ich gehe dann. Der Mann griff auf eine blutige Stelle auf seiner Hose und hinkte davon. „Ihre Verletzung sieht schlimm aus.“ „Das ist nicht so schlimm.“ Er lief etwas weiter. „Wenn sie nicht zum Arzt wollen, machen sie sich wenigstens einen Verband rum. Kommen sie!“
Im Bad verarzte sich der Mann, während Jamiro seine Tasche in den Eingang stellte. „Er ist mir unheimlich“, flüsterte seine Schwester und zog sich zurück. Er traute wohl dem Fremden auch nicht so ganz. Zumindest schaute er recht streng zur Tür hinüber und bewachte diese, bis er wieder hinauskam.
„Was für ein Segen.“ Sein Bein nachziehend ließ er sich aufs Sofa fallen und legte es hoch. Durch das Blut getränkte Loch sah man den frischen Verband. „Mal Klartext. Wieso sucht jemand schwer verletzt eine Wohnung?“ Jamiros Stimmklang duldete keine Ausflüchte. „Genau genommen suche ich die Wohnung meiner verstorbenen Großtante, Estella Malwena Sollotera de Marledefabelia.“ Bei dem langen Namen holte er erst einmal wieder tief Luft.
„Ich heiße übrigens Schneider, Tim Schneider.“ Anscheinend war er noch außer Atem. Er pausierte noch für einen Moment, ehe er die Blutung simpel mit einer Brombeerhecke und einem Bluter-Dasein erklärte. Als Beweis holte er ein Medikament aus der Tasche, wovon Jamiro aber keine Ahnung hatte, was es tatsächlich brachte.
„Das klingt jetzt vielleicht etwas doof aber kennen sie vielleicht eine Bleibe für wenig Geld?“ Skeptisch musterte er den Fremden. „Die Hotels in der Nähe sind nicht besonders billig. Das Einzige, was ich gerade für günstig halte, ist das Wigwam-Event am Stadtende.“ „Klingt klasse! Ehrlich, ich habe auch schon in einem Iglu geschlafen.“ Dass er weder scherzte, noch die Wahrheit sagte war dem Magier ohne große Mühe klar. Es war offensichtlich.
„Ja. Ich kann sie höchstens noch zu einer billigen Gelegenheit im Nachbarort fahren. Minimum zu einem Arzt.“ „Ach, die Wigwams klingen schon ganz in Ordnung, machen sie sich keine Umstände.“ „Zum Stadtende müsste ich sie auch fahren.“ Jamiro schnappte sich die Autoschlüssel, die so herumlagen. „Kommen sie!“ Er ließ den Mann voran das Haus verlassen und schloss die Eingangstür hinter sich ab.
„Na nu, hat er uns vergessen oder warum schließt er uns ein?“ Selina wandte sich an Evelin, die sich im Zimmer versteckt hatte. „Er bringt den bösen Mann weg.“ „Zu Fuß? Und wieso böse? Wollte er etwas von dir?“ Sie schüttelte den Kopf, doch ihre Furcht war schon etwas widersprüchlich. „Jam hat sicher Hunger, wenn er zurückkommt. Machen wir was zusammen?“ Selina nickte und folgte ihr deutlich entspannter in die Küche.
„Bevor er gegangen ist, hatte er etwas Krämpfe. Wir sollten ihm etwas Leichtes machen.“ Selina schwieg und begann einfach. Wie sehr sie es hasste, dass er ihr nie etwas sagen wollte. In der Nacht auch schon. Ob das Medikament vielleicht nicht mehr ausreichte? Vielleicht war es aber auch wieder nur die ganze Planung. Anderseits fand sie, dass er trotz Nebenwirkung viel zu gut laufen konnte.
Hastig fluchte sie. Ausversehen hatte sie sich in den Finger geschnitten. „Entschuldige“, meinte Evelin völlig nervös und klebte ihr ein Pflaster drauf. „Für das, dass ich mich schneide, kannst du nichts. Ich sollte besser aufpassen.“
Kurz bevor das Essen fertig geworden war, kam Jamiro zurück. Den Krampf, den er hatte, konnte er nicht besonders gut verbergen und dann war ihm auch noch ausversehen der Autoschlüssel aus der Hand gefallen.
„Riecht gut. Morgen bin aber ich mal wieder dran“, versuchte er abzulenken aber offenbarte damit erst recht, wie schlimm es wirklich war. „Nichts bist du!“, schimpfte sie nicht so wie es ihr eigentlich gerade auf der Zunge lag. Stattdessen nahm sie sich seinen Arm und zerrte ihn ins Wohnzimmer.
Der Beginn seiner Massage war gröber als sonst. Deutlich genug, dass er sich erklären wollte aber wie fast immer hatte er Sprechverbot bei seiner Behandlung. Im Hintergrund stellte Evelin das Essen auf den Tisch. Dann kniete sie sich nebens Sofa.
„Ist es schlimm, wenn wir auf dich zum Essen warten wollen?“ „Das müsst ihr nicht, wirklich nicht!“ Selina stöhnte genervt. „Okay“, stimmte er dann doch ein. Eine halbe Stunde lang massierte sie ihn aber es schien nicht wirklich besser zu werden.
„Verzeih mir, dass ich mich schon wieder zum selben Thema entschuldigen muss.“ Er stoppte sie und ließ sie auch trotz Gegenwehr nicht weitermachen. „Entschuldige.“ „Jetzt lass mich schon weitermachen!“ „Vielleicht legst du dich nur zu mir.“ „Und was bringt dir das? Jam, ich massiere sehr gerne und ich hasse das Diskutieren darüber.“ „Schatz, hör mir zu! Ich bin ein Idiot, ja? Ein sturer Idiot.“ „Ja, das ist wirklich nicht zu leugnen.“ Selina gab nach, auch wenn ihre Stimme dem noch nicht entsprach.
„Warum wird es nicht besser?“ „Weil mein Körper mir ebenfalls die Klappe verbietet. Ich habs heute übertrieben aber ich wollte unbedingt, dass du eine schöne Hochzeit hast.“ „Hatte ich doch.“ „Hmh. Die erste war ja nicht so toll.“ „Wie, du fandst mich nicht bezaubernd?“ „Dich schon aber wir haben uns mehr um die Anderen geschert, als um uns selbst. Eigentlich war es ein Katzenadoptionstag.“ Selina lachte. „Ich fand super. Wir folgen eben keinen Klischees. Wir können auch auf Wolken heiraten.“ Mit diesem Satz gelang es ihr ihn weiter zu massieren, ohne dass er einschreiten wollte.
Schließlich nach einer fast ganzen Stunde mehr war der Krampf endlich besiegt. Sie deckte ihn zu und setzte sich mit Evelin an den Tisch. „Hat er Fieber? Er schwitzt so.“ „Das kommt von dem langen Krampfanfall. Ich schätze, er wird heute auch nichts mehr essen. „Ich wecke ihn morgen, bevor ich gehe.“
Kurz bevor Selina ins Bett ging, sah sie noch einmal nach ihrem Mann. Er war wach aber noch geschwächt. „Gehts?“ Er nickte träge. „Deine Überraschung war schön. Lass uns ein drittes Mal heiraten, wenn du gesund bist.“ Er grinste und drehte sich etwas. Augenblicklich begann sie ihn zu massieren.
„Ich schätze, dann muss ich mir einen neuen Anzug zulegen.“ „Mika?“ Sein Lacher bejahte es. „Ich leg dir noch deine Medikamente hin, falls noch was nach kommt.“ Möglichst leise stand sie wieder auf und versuchte es auch an der abgeschlossenen Werkstatttür zu sein. Selbst das Schränkchen, in dem seine Medizin vor den jungen Besuchern versteckt war, musste sie zuerst noch aufschließen.
Es war nicht möglich, das leicht schiefe, verschobene Teil geräuschlos wieder zu verschließen, also ließ sie es einfach offen und schloss nur die Tür zwischen Wohnbereich und Werkstatt ab.
Ihr Mann war in der Zwischenzeit eingeschlummert. Allerdings wohl nicht ohne seine Karten hergeholt zu haben, die nun auf dem Tisch lagen. Mit ganz vorsichtigen Fingern tauschte sie das Deck gegen seine Helferchen aus und hoffte, dass er es auch wirklich nehmen würde, wenn er es brauchte.
Eigenartigerweise überkam sie urplötzlich ein Gefühl, das ihr sagte, dass sie ihm da einfach vertrauen könne. Der Gedanke fühlte sich so an, als wäre er von Jamiro ausgesprochen worden, selbstsicher und vielleicht auch ein wenig verletzt.
Sie lächelte kurz und nahm die Karten mit ins Schlafzimmer. Dort öffnete sie die Schachtel und legte den Inhalt auf ihre Hand. Oben auf lagen all diese, die von seinem besonderen Deck wiedergekehrt waren. Wieder lächelte sie. Es tat so seltsam gut diese alten Karten zu berühren. Fast so als könnten sie trösten.
Müde geworden, wollte sie es neben sich aufs Bett fallen lassen, als einfach so eine einzelne Karte herausrutschte. Verwundert schob sie es wieder zurück. Solange sie den Stapel zweifelnd, beobachtete geschah nichts mehr der Gleichen. Erst als sie es erneut ablegen wollte, spickte wieder die Herz zwei heraus. Wieder schob sie es zurück, doch diesmal kam sie sofort wieder herausgerutscht, während die Anderen sich überhaupt nicht verschoben.
„Jam ich bin müde. Willst du mich ärgern?“ Immer und immer wieder machte das ein und dieselbe Karte. Als sie aufhören wollte, wechselte es auf eine andere Karte weiter unten im Stapel und diesmal war es die Herz eins. „Wie machst du das?!“ Selina vergaß komplett ihre Müdigkeit. Diese Karten würden sie wohl noch ewig beschäftigen, wenn nicht ein Geräusch aus dem Wohnzimmer gekommen wäre.
Auf der Stelle war sie aufgesprungen, noch bevor sie die Idee hatte, dass es etwas mit Jamiro zu tun hatte. Schnell verließ sie das Zimmer. Es war noch dunkel aber sie erkannte, dass ihr Mann noch auf dem Sofa lag. „Schatz, bist du in Ordnung?“ Sie fragte leise nach, da sie ihn nicht wecken wollte, wenn er schlief. Tatsächlich schlief er ganz ruhig. „Ich mach das Fenster zu, das zieht ja ganz schön.“
Ihr folgendes Fluchen erübrigte alles Flüstern zuvor. Jamiro schien es aber nicht mitbekommen zu haben. Die Skulptur von Aron fehlte und schlimmer noch, sie hörte genau, das jemand die Werkstatt auseinander nahm. Mit einem Pfefferspray bewaffnet ging sie nachsehen. Allerdings sprang gleich nach ihr jemand zum Fenster herein. Sie drehte sich blitzschnell um, wurde aber vom sprayen abgehalten.
„Sorry, ich bins. Ist noch jemand da?“ Es war Gregor. „Ich meine, ob du weißt, ob die Einbrecher schon weg sind?“ „Irgendwer ist in der Werkstatt.“ „Okay. Ich behalte den Typ im Auge. Hol die Polizei, ja?“ „Aber.“ „Mach schon aber geh ins Schlafzimmer oder so. Dann hört man dich nicht.“ Sie rannte ohne Antwort los. Gregor war sich allerdings wohl selbst nicht sicher, ob er nun einschreiten oder abwarten sollte. Der Einbrecher jedenfalls war gut beschäftigt. Er konnte ihn sehen.
Als der Dieb rauskommen wollte, warf ihn Gregor zu Boden und hielt ihn gekonnt fest. „So, hab ich dich“, rieb er ihm nicht ohne eine Beleidigung unter die Nase. Es war nicht schwer für ihn, den am Bein verletzen Mann dort festzuhalten, bis die Polizei eintraf.
Etwas war allerdings komisch. Von dem ganzen Aufgebot wurde Jamiro gar nicht wach und er wachte sonst immer relativ leicht auf. Über Gregors blöden Spruch wurde Selina darauf aufmerksam. Sie versuchte ihn wach zu bekommen aber nichts geschah. Grund genug, dass sich wohl auch Gregor sorgte. Jamiro hatte Puls und er atmete auch ruhig aber es hatte überhaupt keinen Einfluss, dass sie ihn rüttelten.
„Hey! Mach dir jetzt keine Sorgen. Alles Wichtige ist da. Er lebt! Er muss irgendwie bewusstlos sein. Kannst du dich um einen Krankenwagen kümmern? Geht das?“ Sie nickte und eilte los. „Das ist ein Scheiß Zeitpunkt schlapp zu machen, Alter. Was ist denn das?“ Er sah sich zuerst die leere Spritze, dann die zerdrückte Verpackung an. „Was ist denn das für ein Scheißdreck.“ Er schmiss die Packung wieder zurück und überprüfte seinen Zustand.
Mittlerweile bekam er Fieber und auch Herzschlag und Atmung waren etwas schneller. Was Gregor ebenfalls störte, war die Einstichstelle an seinem linken Oberarm. Beeilt sprang er auf und nahm seiner Schwester das Telefon ab. „Du, schau mal nach ihm. Vielleicht reagiert er auf deine Stimme.“ Selina eilte sofort zurück. Am Telefon teilte Gregor das Medikament mit und umschrieb auch die Krankheit ohne den Namen zu kennen.
„Was machst du denn? Wach doch auf!“ Aufgelöst strich sie nur noch über seinen Arm. „Was ist denn passiert? Bist du denn so geschwächt gewesen? Hilft es dir, wenn ich dich ein wenig massiere?“ Sie zitterte, als sie seinen Bauch berührte. „Das fühlt sich normal an. Vielleicht bist du doch nur schwächer, als du zugeben wolltest. Eine Zwangspause, hmh.“ Sie wischte ihm Schweiß von der Stirn. „Sei mir nicht böse aber du musst ins Krankenhaus. Sie werden dir schon helfen können.“ „Ganz bestimmt. Dafür gibt es Kliniken.“ Gregor strich seiner Schwester über die Schulter und nahm Platz. „Sie sind auf dem Weg. Mach dir keine Sorgen. Er wird schon.“
Als man Jamiro abtransportierte, eilte es. Sein Fieber war hoch und man stellte bei der Einstichstelle eine allergische Reaktion fest. Außerdem trat nach einer Weile ziemlich dunkles Blut aus der kleinen Wunde aus. Was es auch war, es war eindeutig lebensbedrohlich.
Gregor verhinderte es, dass sie mit ins Krankenhaus fuhr. Er wollte sie zunächst noch etwas beruhigen. Was nicht wirklich gelang. Als der Morgen eingebrochen war, fuhr er sie mit Evelin ins Krankenhaus. Diese war über Nacht weg gewesen. Was sie schon öfters getan hatte. Sie pflegte meist in der Nacht das Grab ihres toten Bruders.
„Weißt du was?“ „Nein! Wenn dann rufen sie dich an, als seine Frau. Verstehst du?“ Selina versuchte tief durchzuatmen. Sie spürte, dass es ihm immer noch nicht besser ging. „Ich vermute, dieses Medikament auf dem Tisch … soll er das nehmen?“ „Welches Medikament?“ „Nicht so wichtig. Du siehst ihn ja gleich aber er liegt auf der Intensiv, Maschinen und so. Bevor du zusammen klappst, komm lieber raus. Ich warte.“ „Musst du nicht. Geh lieber wieder nach Hause.“ Gregor schwieg und beschleunigte, ehe er sich dann an Evelin wandte.
„Du bist also seine Schwester? Auch so ein Kartendingens?“ „Magier!“, zischte Selina sauer. „Ich bin Schmuckdesignerin. Am liebsten mache ich Eheringe.“ Abwesend ließ sie die Karten von ihrer oberen Hand in die Unterste rieseln. Als sie wieder bei der Herz zwei war ließ sie keine andere Karte mehr runterfallen.
„Mein Bruder ist stärker, als ihr alle von ihm glaubt. Dieses Medikament ist noch keine Heilung, eigentlich ist es sogar eine eigenständige Krankheit.“ Erneut ließ sie die Karten auf dasselbe Ergebnis fallen.
„Jams Heilung funktioniert nicht weil seine Krankheit aus großen und kleinen Teilen besteht. Das Medikament nur aus Mittleren. Es kann die Kleinen fressen, wird aber von den Großen verspeist.“ Abschließend legte sie die Karten in ihre Verpackung zurück. „Ich pass darauf auf, bis er wieder in einem normalen Zimmer liegt.“ Sie klammerte die Schachtel fest an sich.
Als die beiden Frauen vor den Arzt traten, kam auch Ichigawa gesenkt hinzu. „Liebe Frau Erkwin, Frau Hassbrecht. Tut mir Leid was passiert ist.“ „Was ist denn passiert?!“, fuhr Selina aufgebracht über Ichigawas Worte. „Er hat zu viel von seinem Medikament im Blut. Sie greifen nun seinen Körper an anstatt seine Krankheit.“ „Aber warum denn?“ „Ich vermute, dass die erste Spritze, die er sich gesetzt hatte, nicht komplett abgebaut war, als er sich die Zweite setzte.“ „Und das heißt jetzt?“ „Na ja. Es gibt nur eine Möglichkeit …“ Der beistehende Arzt bat sie sich zu setzen.
Schonend erklärte er ihr und seiner Schwester, dass Jamiros Zustand kritisch war. Das Medikament hatte bereits sein Herz angegriffen. Ohne die riskante Steigerung seiner Krankheit würde man ihn nicht retten können. Glücklicherweise, oder wie man es auch sehen wollte, hatte Ichigawa im Labor gezogene Teilchen dabei.
Selina schluckte. Hätte sie ihm doch nur nicht diese Spritze hingelegt. Er war schon so schwach. Vielleicht hatte er sie nur wieder nicht wecken wollen oder konnte er es nicht. Vielleicht hätte sie einfach bei ihm bleiben sollen.
Evelin rückte näher und nahm sie in den Arm. Dabei wollte sie ihr die Karten geben. Irgendwie schien sie zu wissen, was zu tun war. Zumindest erweckte es den Eindruck. Doch war das Risiko nicht viel zu hoch? Sie konnten nicht wissen, wie viel Erreger es brauchte, um das Spiel in seinem Körper auszugleichen. Es gab auch keine Gewissheit, dass das Medikament wieder auf die Krankheit übergehen würden und zu guter Letzt war Jamiro angeschlagen.
Geschickt war es gelungen, ihr die Karten in die Hand zu drücken. „Frau Erkwin?“ „Machen sies!“ Sie begann zu zittern. „Ich vertraue darauf, dass sie alles tun, Herr Ichigawa. Retten sie ihn!“ Ichigawa nickte kräftig und machte sich eilig ans Werk.
Richtig fühlte sich ihre Entscheidung gar nicht an. So mehr sie darüber nachdachte, um so mehr wollte sie es wieder rückgängig machen. Andererseits war da etwas undefinierbares, das sie und irgendwann auch ihre Angst lähmte. Sie brachte Stunden regungslos zu, ohne es auf die Dauer zu merken.
Irgendwann stand sie wieder auf, um auf die Uhr zu starren. Eigentlich müsste sie längst zur Arbeit aber sie fand nicht einmal die Kraft anzurufen. In der Ferne kam Gregor auf sie zu. Evelin war bei ihm.
„Hey! Willst du noch hierbleiben?“ Sie nickte schwach. „Okay. Ich hab mir erlaubt, deiner Chefin Bescheid zu geben. Wenn du mich brauchst, ich bin jederzeit erreichbar.“ Gregor war in Eile, doch ließ er sie nur ungern hier.
Vermutlich deshalb kam wohl eine viertels Stunde später Steve auf sie zu. Er wirkte müde und sprach auch kein Wort. Evelin scharrte seit sie wieder da war nervös an ihrem Arm herum. Überhaupt hatte sie alle Selbstsicherheit verloren, die sie eben noch gehabt hatte. Fast so, als spüre sie, das Ergebnis einer schlechten Entscheidung.
Träge begann Steve hin und herzulaufen, darauf bedacht seine Schwester im Blick zu behalten. Acht Runden später schob man einen Patienten zwischen ihnen hindurch. Keinen unbekannten Mann!
Es passierte, in der Sekunde eines Faustschlages so viel, dass man es kaum wahrnehmen konnte. Steve fixierte seine eigene Schwester an der Wand, während im Blut liegend die Herz zwei Karte symbolisierte, wenn sie gerade voller Hass angegriffen hatte.
„Kann ich dich loslassen?“ Den Beschimpfungen nach noch nicht. Evelin stand von ihrem Stuhl auf und hob die geschlossene Kartenschachtel auf. Als sie nach der Karte im Blut greifen wollte, riss sie der Einbrecher an sich und hielt ihr eine Scherbe an die Kehle.
Seine Forderung konnte er kaum aussprechen. Instinktiv schlug Evelin ihm die Kartenschachtel in seine Wunde am Bein. Er ließ sie sofort frei und sie konnte zu Steve fliehen. Zwei Polizisten kümmerten sich dann um den Mann.
In dem fast abgeklungenen Auffuhr stieß dann Ichigawa zu ihnen. Gute Neuigkeiten brachte er mit. Der Versuch hatte angeschlagen. Inwiefern es Schäden gäben würde, konnte man noch nicht einschätzen aber man war sich sicher, dass Jamiro wieder aufwachen würde.
Der Einbruch und der Angriff auf Jamiro mit seinem eigenen Medikament war drei Wochen her. Er hatte das Bewusstsein zurück, doch verhielt er sich seltsam. Bereits am ersten Tag war er aufgestanden, nur um dann regungslos vor einer Wand zu stehen. Bislang hatte er auch mit keinem gesprochen.
„Gehst du heute zu ihm?“, fragte Evelin und kratzte sich wieder am Oberarm. Die Wunden machten deutlich, wie schwer es ihr noch immer fiel. „Jemand muss ihn ja beruhigen. Hoffentlich finde ich irgendwelche Argumente, bis ich bei ihm bin. Möchtest du mitkommen? Er freut sich bestimmt.“ Sie schüttelte hektisch den Kopf.
Gregor kam durch das Bad auf sie zu. „Fahrn wir?“ „Klar aber heute übernimmt Evelin für mich. Sag ihm, ich scheu mich nicht ihn anzubinden, ja?“ Von ihr kam ein Lächeln, während ihre Schwägerin mehr als deutlich geschockt aussah. Dennoch folgte sie Gregor zum Auto.
„Wie soll ich sagen?", startete er unsicher einen Trostversuch. „Der Typ ist wahrscheinlich zäher, als wir alle Brüder zusammen. Das erinnert mich irgendwie an das Fleisch heute Mittag. Widerlich!“ Beklommen setzte er sich hinters Steuer. Für seine ungeschickte Argumentation entschuldigte er sich. Feingefühl lege nicht unbedingt in der Familie. Trotzdem zeigte er sich recht nett, in dem er die nervöse Evelin bis zur Intensivstation begleitete.
„Die darfst du nicht mitnehmen. Ich nehm es so lang du drin bist.“ Sofort zog sie ihm die Karten weg. „Beruhige dich! Du bekommst sie wieder, versprochen.“ Zögerlich überließ sie es ihm. „Aber darauf so gut aufpassen wie auf deine Schwester, bitte.“ „Ja und jetzt geh schon, bevor er hier rausspaziert kommt.“ Darum ließ sie sich nicht lang bitten und ging sofort hinein.
Jamiro stand, wie auch schon bei seiner Frau vor der Wand und regte sich nicht weiter. Merkwürdig war jedoch, dass schon wieder die Maschine fehlerhaft war. Diese zeigten Werte an, die sie gar nicht mehr messen konnten, da er ja nicht mehr daran angeschlossen war.
„Möchtest du auf Geisterstunde machen?“ Genau nach ihrer Frage korrigierten sich die Geräte. „Du sollst dich hinlegen. Komm.“ Bei ihm angekommen, nahm sie seinen Arm, um ihn zurückzuführen. In diesem Augenblick kam auch ein Arzt herein. Er ignorierte Evelin völlig und riss Jamiro etwas ruppiger zum Bett zurück.
„Sie müssen liegen bleiben, Herr Erkwin und lassen sie die Maschinen angeschlossen. Wir können sie nicht überwachen, wenn sie dauernd aufstehen.“ Leicht genervt verschwand der Arzt wieder. Den Besuch im Raum hatte er nicht wahrgenommen.
Unbekümmert davon nahm sie bei ihm Platz. „Du gehst dem Mann ganz schön auf den Zeiger.“ Sie hatte eine Reaktion erwartet, wurde allerdings enttäuscht. Im Hintergrund gab nur die Maschine preis, dass sein Herz nicht ganz in Ordnung war. „Langweilst du dich?“ Ihr Puls schoss hoch, als sie seine Hand nahm. Sie hatte wirklich gehofft, wenigstens ein kleines Zucken zu spüren. Doch auch das kam nicht.
Hilflos schloss sie seine Hand zwischen ihren ein. Da sie seinen Arm dabei leicht gedreht hatte, fiel ihr Blick auf die lange Narbe, die er am Unterarm hatte. Sie sagte nichts und schwieg einfach.
Ein aussetzender Herzschlag ließ sie aber wieder aufschauen. Sein Kopf war zu ihr gewandt. „Dir geht’s nicht so gut. Darf ich dich bitten, möglichst viel Ruhe zu nehmen, Aufstehen und co vermeiden?“ Sie stand von ihrem Stuhl auf, um seinen Blickwinkel auf sie zu korrigieren.
„Ich weiß, du versprichst es mir aber ich glaube nicht, dass du es wirklich halten kannst.“ Danach blickte sie auf das Display. Der Herzschlag war unruhiger geworden. Bestimmt dachte er schon wieder daran aufzuspringen.
„Ich denke, ich hab ein Spiel für dich“, meinte sie entspannt, während sie wieder Platz nahm. „Magier machen das so, glaub ich.“ Unsicher zerrte sie an ihren Fingern herum. „Du denkst an eine Karte und ich werde sie erraten. Ging das so? Ich hab das Buch nicht wirklich gelesen. Ich mag Wörter rückwärts. Reigam red ,Orimaj. Lustig, oder? Okay, dann denk mal eine Karte.“ Sie beugte sich über sein Gesicht, wo bislang noch keine einzige Reaktion passiert war. Bis er plötzlich grinste.
„Ha ich habs, die Pik zwei!“, schoss sie gerade zu heraus. „Ich hab schon befürchtet, du willst es mir zu einfach machen. Jetzt ich!“ Sie überlegte recht lange und sichtlich konzentriert. Sie wollte es ihm wohl auch nicht so leicht machen. Noch bevor sie fertig war, änderte sich seine Hand. Man könnte meinen, er wolle eine Zwei zeigen. Allerdings schlug dann seine Maschine Alarm und seine Schwester musste gehen.
„Er hat ja länger durchgehalten als gestern“, knurrte Gregor über sein Magazin hinweg. „Hier, nicht ein Krätzer.“ Er drückte ihr die Kartenschachtel entgegen und lief sofort in Richtung Ausgang los.
Mit den Karten in der Hand bewegte sie sich aber kein Stück voran. Eigentlich hatte sie es dringlichst abgeben wollen. Es war ihr wirklich wirklich wichtig. Vor allem weil sie die Nachricht hatte, gleich drei ruhmreichen Karten gefunden zu haben. Ihr Bruder würde sich so sehr freuen. Sein Deck dürfte bald wieder vollständig sein.
„Na was ist? Bewegst du dich heute noch?!“ Ihre Begleitung musste wohl zu lange warten, da er wieder einige Schritte zurückkam. Es gab jedoch noch etwas, das Evelin abhielt.
Etwas Weißes lag im Topf einer Pflanze verborgen. Sie ging hin. Doch bevor sie es erreichte, kam ihr ein Kind zuvor. Sie nahm die Pik zwei Karte aus der Pflanze heraus. Hektisch und deswegen auch unfreundlich erklärte sie, dass es ihre war.
Das Mädchen lachte nur und sah gewiss nicht ein ihr die Karte zu geben. Schließlich stellten sich auch die Eltern dazu, die wohl auch die Einstellung hatten, was man findet gehört einem. Evelin war eingeschüchtert. Doch wollte sie auf keinen Fall diese Karte in den falschen Händen lassen. Sie hatte versprochen darauf aufzupassen und das tat sie, um jeden Preis. Durfte sie zuschlagen, um das zu gewinnen?
Sie setzte gerade dazu an, als jemand ihre Faust locker umgriff. Es war so locker, dass es sich nicht einmal wirklich nach Händen anfühlte. Plötzlich streifte Gregor hinter ihrem Rücken hervor und riss mit seiner wüsten Art ihre Schlaghand mit nach vorne. Doch war sie sich sicher, dass er nicht ihre Hand gehalten hatte.
Berauscht und benommen von der Tatsache wie weit sie gehen konnte, sah sie zu, wie der ungestüme Kerl mit Leichtigkeit der erstarrten Familie ihren ''Nichtbesitz'' entwendete konnte. Er drehte ihnen den Rücken zu und kam wieder auf sie zu.
„Ich hab sie und jetzt bring deinen ''magischen'' Bruder aufs Zimmer zurück. Ich warte im Auto, falls du heute noch nachkommen willst.“ Schnell und mit großen Schritten ging er an ihr vorbei und verkniff sich der starren Säule von Mensch sein Empfinden mitzuteilen.
„Na dann komm mal, magischer Bruder“, scherzte sie mit gleichgültiger Miene. Witze machen beherrschte sie noch nicht aber das war ihr egal und ebenso, dass er nicht reagierte. Sie nahm seinen Arm, hakte sich ein und führte ihn ohne Aufsehen in das Zimmer zurück.
Dort schloss sie ihn auch wieder an die fehlerhafte Maschine an. Als das geschehen war, begann das Display sogar einen normalen Herzschlag anzuzeigen.
„Hast du Lust unser Spiel weiterzuspielen? Ich denke mir Karten aus und du sagst sie mir, wenn ich Morgen wiederkomme.“ Evelin zog die Bettdecke zurecht und hielt dann noch eine Weile inne, bevor sie ging.
„Endlich!“, knurrte Gregor und ließ den Motor an. „Du bist geduldig und ein sehr höflicher Mensch. Danke, dass du mich gefahren hast.“ „Bist du sicher, dass dein Weltbild nicht etwas verzerrt ist?“ „Nö, ich finde dich nett und du hast dein Herz am rechten Fleck ... Nur dein Schweigen ist unangenehm.“ „Keine Soge, mir fällt schon wieder etwas ein ... Nur gerade nicht.“
Sie redeten auf der ganzen weiteren Fahrt kein einziges Wort. Am Haus trennten sie sich mit einem ''Tschüss'', obwohl er etwa zwei selbst nachkam und sich in Jamiros Werkstatt verkroch.
Schweißgebadet hatte sich Jamiro zur Küche gequält. Warum wusste er selbst nicht. Seine Schwester wohl auch nicht, die zu ihm kam. „Du magst das Spiel nicht oder?“ Sie war sehr vorsichtig, da er sie schon bei seinem ersten ''Ausbruch'' angeschrien hatte. „Welches Spiel?!“ Er verschwand eilig um die Ecke. Nur sie ging ihm nicht gleich nach. Das wollte er nicht.
Als sie es tat, ignorierte sie ihren am Boden sitzenden Bruder und schenkte ihm lauwarmes Wasser ein. Das ging schneller als Tee und war laut Erklärung das am verträglichsten, was sie ihm geben konnte. Murrend nahm er es an. Sie bemühte sich, keine Angst vor ihm zu bekommen. Er war nicht wie ihre Eltern und doch fiel es ihr schwer.
„Pik zwei dreizehn“, nuschelte er kaum hörbar und ohne aufzusehen. Wahrscheinlich war es nicht einmal dafür bestimmt gewesen, laut ausgesprochen zu werden. Als sie nämlich hinwies, dass es aber eine komische Karte sei, sah er sie verwirrt an.
„Gehts dir etwas besser?“ Er nickte aber vermutlich war es gelogen. Würde es ihm besser gehen, wäre er schon aufgestanden. Gerade als sie überlegte, ihm das Glas abzunehmen, um den ausgetrunkenen Schluck nachzufüllen, nahm er es wieder an die Lippen. Mühselig, da er nicht einmal wirklich das Glas heben konnte, zwang er sich zwei Schlucke hinunter und sah Evelin wieder an.
Das, was ihm auf der Zunge lag, versprach über seine Mimik, dass es Ärger geben würde. Doch bevor er etwas Derartiges verfassen konnte, klingelte es an der Tür und machte seine Züge wieder neutraler.
Wissentlich, dass sie ihn nicht allein lassen sollte, blickte sie überfordert hin und her. „Gregor, er holt dich ab.“ Seine Stimme klang, als sei ihm das mehr als nur recht, obwohl da auch ein Hauch von Missfallen drin steckte.
„Aber du musst doch ins Bett.“ „Mit oder ohne Aufpasser … Mach dir einen schönen Tag.“ „Jam aber ich will nicht.“ „Doch und entschuldige!“ Er lächelte sie schwach an. Fast so, als wäre er ausgewechselt worden.
„Jam …“ „Lass ihn rein, Evelin!“ Irgendwie musste sie es tun, gehorchen, aus Höflichkeit, warum auch immer. Jedenfalls wirkte ihr Bruder nicht mehr so einschüchternd auf sie.
Nachdem sie Gregor hereingelassen hatte, bat sie ihn darum, Jamiro in sein Bett zurückzubringen, da sie sich sicher war, dass er es nicht von alleine schaffen würde. Als sie jedoch die Küche betraten, war Jamiro weg.
„Ich kann deinen Bruder nicht ausstehen. Jetzt macht er auch noch Witze darüber, oder was?!“ Damit wandte er sich um und wollte wieder gehen aber sein Schuh war am Boden festgeklebt. „Was ist das?!“ Er kam nur frei, in dem er aus seinem Schuh schlüpfte. „Was hast du?“ Ohne Mühe nahm sie den Schuh einfach vom Boden.
„Scherzt du? Ich verstehe den Witz nicht.“ Evelin verstand tatsächlich nur Bahnhof aber auch Gregor zweifelte gerade an seinem Verstand. Hatte er sich das gerade etwa nur eingebildet? Nee, das war sicher dieser Möchtegern Magier! „Gibst du mir mein Schuh wieder? Und wenn du Lust hast, komm mit ins Casino.“ Er nahm sich selbst den Schuh, zerrte ihn beeilt und mit rotem Kopf über den Fuß.
„Casino?“ „Kino, meinte ich!“ Mit einmal wirkte sie unsicher und sie kratzte sich auch wieder. „Lass das! Du machst es nur schlimmer. Du musst mal raus. Echt jetzt!“ Etwas begann ihn wohl an seinem Schuh zu stören. Er bekam ihn schon wieder nicht vom Boden weg.
„Was ist ein Kino?“ „Du kennst … Moment.“ Es sollte nicht auffallen, also stieg er aus beiden Schuhen hinaus. „Ein Kino ist zum Filme angucken da, in groß, so wie vorm Fernseher hocken.“ Während er das erwähnte, fiel ihm auf, dass Jamiro so etwas nicht besaß. „Okay, es ist wie eine Geschichte, die mit Bildern und Ton wie echt dargestellt wird.“ Ein Grinsen zog sich in ihrem Gesicht. „Was? Mir fällt nichts Besseres ein.“ „Ich weiß, was ein Fernseher ist. Ich frag Selina, ob sie früher kommt. Wartest du?“ „Von mir aus. Läuft ja nicht weg.“
Zum Telefonieren lief sie in die Küche. Während sie mit ihr sprach, bereitete sie ihrem geschwächten Bruder einen Tee zu. Zeitgleich versuchte der Gast des Hauses seinen Schuh abzulösen. Allerdings war dieser wie fest betoniert. Sein Schwager spielte ihm einen Streich, da war er sich sicher. In dem Moment, wo Evelin den Tee zu ihrem Bruder brachte, tat er so, als wäre nichts.
Nachdem er es dann wieder versuchen wollte, lag die Kreuz König in seinem Schuh drin. Etwas verwirrt nahm er die Karte heraus und drehte sie hin und her. Eine Botschaft stand auf der Rückseite. ''Bring sie zum Lachen, hier erdrückt sie nur alles.'' Das Zurückkommen von ihr merkte er gar nicht. Nur als sie ihm dann die Karte abnahm. „Du hast eine Karte gefunden. Es ist leider keine von seinen aber trotzdem danke.“ „Keine von seinen?“ Gregor klang verblüffter, als er sein wollte. Rasch entschied er, das Thema zu wechseln. Dachte aber noch unterbewusst daran, dass der Text auf der Karte verschwunden war. „Das Kino?“ „Selina kommt in ein paar Minuten. Wartest du so lange?“ „Hätte ich dich sonst eingeladen?“ Evelin grinste und ging erneut in die Küche. Anders als angesprochen, gingen die beiden kurz bevor Selina eintraf.
„Ich bin etwas früher da, Schatz!“ Keine Antwort oder ein Murren folgte. Weshalb sie im Zimmer nachsah. Dort saß Jamiro in seinen frisch angelieferten Rollstuhl. „Ich dachte, du machst es mir schwerer.“ Zum Lob drückte sie ihm einen Kuss auf. „Ich hatte es nicht vor, euch schwerer zu machen“, gestand er betrübt. „Ist irgendetwas vorgefallen, bist du überhaupt noch mein Jamiro?“ Spaßig fühlte sie bei ihm Fieber, stellte dabei aber tatsächlich welches fest. „Ich will dir was erzählen. Setz dich.“ Sie nahm Platz und lauschte.
Jamiro war siebzehn, als er mit dem Fahrrad vor dem Elternhaus von Tobias gewartet hatte. Sein Kumpel hatte ihn versetzt. Irgendwann kam ein älterer Mann im Rollstuhl vorbei. Als sei er von einer Feier gekommen, trug er eine Plastikkrone auf seinem Kopf, Lametta hing über seinen Schultern und alles, was er an Kleidung trug, war verrückt bunt. So weit er sich auch noch erinnern konnte, waren seine ursprünglich weißen Haare größtenteils pink gefärbt. Die Erinnerung brachte ihm zum Lachen.
Das Lachen dieses Mannes war wie kein Zweites gewesen. Ein bisschen wie eine Ziege mit Schluckauf beschrieb er den Laut seines Lachens belustigt. Tatsächlich habe er auch nach fast jedem Lachen einen Schluckauf bekommen. Er war ein komischer Vogel und was es treffender machte, ein Geschwindigkeits-Junkie. Aus dem Nichts heraus hatte er ihn zu einem Wettrennen aufgefordert und gewonnen hatte er auch noch.
Selina lachte, als er das erzählte. Sie war sich sicher, wenn er die Möglichkeit hatte, hätte er ihn auch gewinnen lassen. Stattdessen fragte sie aber lieber nach, ob er ihm denn Tricks gezeigt hatte. Natürlich, meinte der stolze Magier strickt. Es wäre ihm noch nie jemand begegnet, der nicht sofort von seinem Talent überzeugt wurde.
Demonstrierend legte er sich die Kreuz König Karte auf die Hand und schweifte mit dem Finger der anderen Hand darüber hin und her. Zunächst sah sie nicht wirklich, was er damit bezweckte, da er aber grinste, musste wohl schon etwas passieren. Beim genaueren Betrachten erkannte sie, dass die Augen der Figur seinem Finger folgten.
Er lachte laut und hörte auf damit. „Schneid ihm die Haare ab!“ „Einem König? Aber das macht man doch nicht.“ Dennoch nahm sie ihm die Karte ab. „Du kannst ihn auch den Bart abrasieren, schau.“ Jamiro griff rüber und wischte mit seinem Finger über seinen Kiefer. Dann war er kahl rasiert. „Wie machst du das nur?“ Vorsichtig fuhr sie über dieselbe Stelle. „Schneid ihn nicht“, scherzte er ein wenig verkrampft.
„Die Haare, sagtest du? So?“ Sie fuhr ihm zuerst über die eine und dann über die andere Seite. Beide Seiten kürzten sich nacheinander. Als sie es nicht mehr berührte, schnellten die Haare hoch und schmissen die Krone von seinem Kopf. „Oh Gott. Ich hab ihn entthront!“ Damit kicherte sie, obwohl sie am Anfang erschrocken wirkte.
Im Anschluss legte sie es beiseite und begann ihn zu massieren. „Du warst noch nicht fertig mit der Geschichte.“ „Ich hab seiner Enkelin erzählt, dass er gut draußen klarkommt und ihr versprochen, dass ich ihn jeden Samstag und Sonntag abhole und ihn irgendwo hinbegleite. Autorennen, Pferderennen, Motorradrennen und Theater.“ „Kein Renntheater?“ Sie lachte und er dann auch. „Das wäre das absolute gewesen.“
In einer Vollmondnacht hörte Jamiro Wolfsgeheul. Es war laut und vermittelte ihm das Gefühl, das Tier säße kaum zwei Meter hinter seinem Kopf. Dort, wo eigentlich die Wand war. Sich aufgerichtet, warf er seiner Frau einen zweifelnden Blick zu. Diese schlief ganz selig, hörte offenbar nichts. Weshalb er sich nun sicher war, dass er träumte.
„Schatz?“ Obwohl er flüsterte, wandte sie sich ihm zu. „Du musst nicht flüstern, das weißt du doch.“ Schläfrig drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange und begann ihn leicht zu massieren.
„Ich hab von einem Wolfsbaby geträumt, dass seine Mama sucht“, erzählte sie dabei. „Und hat es sie gefunden?“ Seine Frau freute sich über seine Nachfrage, während er sich noch wunderte. „Weiß ich nicht aber er hat einen Schuh von dir rumgetragen.“ „Mika“, lachte er, mit ein bisschen Verlustschmerz.
Ihre Hauskatze hatte bislang zwar noch keinen Schuh von ihm zerfetzt aber dafür schon so einige Kleidungsstücke. „Dachte ich gerade auch. Ich weiß nicht, was Mika gegen dich hat. Du bist der tollste Mensch auf der Welt.“ „Na, es können mich ja nicht alle mögen.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn zurück und nahm ihre Hände.
„Leg dich wieder schlafen!“ Scheinbar fühlte er sich wieder auf eine gewisse Art ungerecht weil sie für ihn mitten in der Nacht ''arbeitete''. „Okay aber du erzählst mir eine Wolfsgeschichte“, minderte sie es spielerisch. „Ich bin doch kein Erzähler!“ Miese Laune wurde aber nicht akzeptiert. „Gut, dann massiere ich weiter.“ „Als wäre das eine Bestrafung“, lachte er nun und legte sich die Hand auf den Bauch. „Man könnte es manchmal meinen.“ Spielend sah sie wie ein trauriger Hund an ihm hoch. „Deine Massagen sind super! Ich will nur nicht, dass du pausenlos arbeitest. Und du bekommst deine Wolfsgeschichte! Erwarte nur nicht, dass sie gut ist.“
Er überlegte und begann dann. „Ein Junge, der …“ „Ich möchte ein Mädchen“, unterbrach sie ihn bettelnd. „Gut, dann ist es eben ein kleines, freches, ungnädiges Mädchen, das eines Nachts Wolfsgeheul vernahm.“ Es wurde plötzlich still. So als wüsste er nicht wie es weitergehen soll.
„Wars das schon?“, säuselte sie und rutschte an seine Seite herunter. Neben ihn liegend streifte sie mit ihrem Arm über ihn drüber, somit sie sich mit seinen Fingern auf der anderen verhaken konnte. Mit ihrer lieblichen Art sorgte sie wieder für einen kurzen Lacher.
„Lass es mich noch einmal versuchen. Das kleine vorlaute Mädchen träumte von einer Wolfsmama, die immer zu in ihren Träumen heulte. Sie kam nie dazu, zu fragen, warum sie das tat. Jedes Mal wachte sie mit dem Heulen auf und war sich sicher nicht an diesem Ort eingeschlafen zu sein.“ Letzteres war eine getarnte Frage an seine Frau, die es verstand und leise antwortete. „Steve, war kurz hier. Er hat dich reingetragen weil ich ihn darum gebeten habe.“ „Ich nutze euch Herz ja richtig aus.“ „Schatz, kein schlechtes Gewissen haben. Es ist nun mal das Herz“, spielte sie leidig und schmiegte sich noch enger an ihn.
Wenigstens hatte sie es nicht versucht und da sie müde war und unbedingt an ihn kuscheln wollte, widersprach er nicht und schwieg. Gefiel ihm ja selbst, dass sie nun so nah lag.
Ein paar Stunden später zerrte sich Jamiro in den Rollstuhl rüber. Natürlich wieder darauf bedacht, seine Frau nicht zu wecken. Da er aber erholt geschlafen hatte, fiel ihm der Umstieg nicht allzu schwer. Er schob sich in die Küche, wo er Frühstück machte. Als seine Frau ihm dann folgte, schlief er am Tisch.
„Wie lang standst du auf den Beinen, Schatz?!“ Der Vorwurf wurde schläfrig entgegengenommen aber nicht weiter beantwortet. „Ich hab schon. Nimm, was du magst.“ Sie musste noch nicht einmal komplett an den Herd laufen, um zu sehen, dass Jamiro die Küche umgeräumt hatte. Es passte seinem Ego wohl nicht, dass sie ihm extra einiges runter geräumt hatte.
„Ich bin dezent beleidigt. Nur dass du es zur Kenntnis nimmst.“ Eigentlich sollten ihr Worte zornig klingen, doch sie taten es nicht, da er ihr nun auch leidtat. Noch während sie gesprochen hatte, füllte sie zwei Teller und kam dann im Anschluss an den Tisch. Mit einem bemühten Lächeln schob sie ihm die kleinere Portion zu.
„Kriegst du das noch runter?“ Träge hob er den Kopf vom Tisch und sah sie skeptisch an. „Hast du was vor mit mir?“, fragte er und legte seinen Kiefer wieder auf die Unterarme, die noch auf dem Tisch lagen. „Ja, ein kleiner Waldspaziergang. Eine Überraschung für E von G, die eigentlich von S und J kommt.“ „Hmh, dann gib mir noch fünf Minuten“, brummelte er und schloss die Augen für kurze Zeit wieder.
Evelin kam mit einem hinter der Hand versteckten Gähnen in die Küche. „Zehn und keine Sekunde kürzer“, sagte da ihr Schwägerin, noch bevor sie sie dann bemerkte. „Habt ihr etwas vor? Ich mache heute etwas sauber.“ „Okay!“, überfuhr man schnell die Unvernunft am Tisch. Welche aber so verschlafen war, dass er ihre ''Dienstleistung'' wohl nicht ganz verstanden hatte.
Etwas verspätet brachen sie dann auf. „Bist du sicher, dass du mich wirklich gebrauchen kannst?“ „Natürlich! Wer hat denn daran gedacht, dass man zum Picknick auch noch einen verdammten Korb braucht und du tust auch noch so als wüsstest du nichts.“ Der Korb, um den es ging, hatte Jamiro zu der vorbereiteten Picknickdecke ins Auto gelegt und nichts in die Richtung bislang erwähnt.
„Du bist nervös“, stellte er stattdessen fest. „Weil ich meine Brüder kenne. Ich meine, selbst wenn ich ihm einen Text schreiben würde …“ „Müsste sich Evelin eigentlich in dich verlieben“, unterbrach er. „Schön, dass du so entspannt bist!“ „Bin ich nicht.“ Er öffnete die Tür, noch bevor sie richtig in dem Parkplatz stand.
Mühselig angelte er sich am Auto entlang und nahm den Korb hinten raus, bevor seine Frau zu ihm stieß. Diese nahm ihm sofort den Korb ab und stellte ihn auf den Boden. „Wir brauchen zuerst Steine für die Decke und einen guten Platz.“ Da sie die Steine mit besonderer Betonung zuerst genannt hatte, war ihm klar, dass sie seine Beschäftigung mit extra kurzen Wegen geplant hatte.
„Schatz, jetzt werd mir bitte nicht bockig, ja! Ich brauche wenigstens einen, der denken kann. Ich bins nicht, grad!“ Sie drückte ihm einen ungeduldigen, harten Kuss auf. „Im Ernst, wer macht den in einem Wald Picknick. Argh!“ Beschwichtigt lächelte er und strich ihr über den Hinterkopf. „Evelin wird es gefallen. Wenn du diesen Weg hier hochgehst und einen ganz schmalen Trampelpfad findest, kommst du an einen Wasserfall.“ Was sie hörte, traf sie wie ein Hammerschlag. „Was?! Echt? Das wäre super. Wieso lachst du?“ „Der Platz heißt Wolfskamm.“ Ihrer Nervosität verschuldend, verstand sie es nicht sofort.
„Dann ist das doch ein gutes Zeichen. Jetzt musst du nur noch eine Karte vergeben und alles wird perfekt.“ Scheinbar sah er es nicht so. Doch er holte die Kartenschachtel hervor und meinte wenig daran interessiert: „Wie du meinst, Schatz. Dann zieh mal eine.“
„Was ist das denn?“ Die oberste Karte in der Schachtel zeigte ein Paint Horse mit dem Pik sechs Symbol in den Ecken. „Du bis so albern.“ „Was denn? Wäre dir das hier lieber?“ Er drehte die Schachtel einmal auf die Rückseite. Dabei war noch nichts Besonderes geschehen. Man sah nur die kleinen Pferdemotive, die den Rücken der Karten zierten. In dieselbe Richtung weitergedreht, kam er wieder auf die Vorderseite der Schachtel. Wie auch immer das passiert war, befand sich in der durchsichtigen Hülle keine einzige Karte mehr. Nur ein winziger Gegenstand, der aussah wie eine Toilette, ließ noch nachträglich darin erscheinen.
„Okay, okay. Du bist heute super witzig aber wie zieh ich da jetzt?“ „Vielleicht nimmst du diese.“ Er zeigte hinter sie. Dort war mit einem Bogenpfeil eine dieser Pferdekarten an den Baum gepinnt. „Wann?“ Noch während sie die Welt nicht verstand, ging sie hin und löste die Karte. Es war dieselbe, die eben noch oben in der Kartenschachtel gelegen hatte.
„Ein Paint, hübsch“, sagte sie und gab die Karte auf die Verpackung in Jamiros Hand. Noch nicht am Ende seines Tricks fuhr er mit der Hand darüber und die Karte war ohne ein Öffnen im Inneren gelandet. Er öffnete sie und ließ die Karte, wie auch den kleinen Gegenstand in die Hände seiner Frau fallen. Zu guter Letzt schloss er mit ihrer und seiner Hand alles ein. Mit dem Entfernen der Hände war wieder das komplette Deck in der Schachtel zu sehen.
„Jetzt kannst du eine ziehen.“ Die Nummer hatte Jamiro wieder zu viel Kraft gekostet, zumindest klang er mit einmal erschöpft. „Ach ich weiß welche es ist. Die Pik sechs stimms.“ Er lächelte leicht. „Wenn du eine ziehst, wirst du es sehen.“ „Dann tu ich das.“ Sie fuhr den Stapel entlang und nahm eine aus dem obersten Bereich. Es war das Paint Horse. „Sag ich doch“, freute sie sich.
Sie führte ihn zum Auto zurück und schnappte sich die Decke. „Schafft du es, dich ein paar Minuten auszuruhen?“ Er gab nicht wirklich eine Antwort aber dass er sich zumindest bemühen würde, wusste sie. Besser machte sie einfach nicht lang rum und sah zu, dass sie schnell fertig wurde.
An einer schönen Stelle legte sie die Decke aus, machte es sorgfältig glatt und beschwerte es mit einem Stein. Den Korb stellte sie dazu, nachdem sie noch einmal schnell nach dem Rechten gesehen hatte. Es wunderte sie schon fast, dass er bei ihrem zweiten Kommen immer noch am Kofferraum saß.
„Macht es dir etwas aus, noch einmal hinzugehen?“, fragte er und drückte sich schließlich vom Auto weg. Irgendetwas nahm er aus dem Kofferraum heraus, bevor er zu ihr trat. „Nö, wieso?“ „Für Evelin, dass sie sich vielleicht nicht so unsicher fühlt.“ In ihren Händen landete ein Stein, der hier zuhauf lag. Nur dass Jamiro draufgeschrieben hatte: ''Er ist nett''. Sie lachte.
„Ich sollte meinem Bruder auch eine Botschaft hinterlassen aber ich müsste vermutlich einen Fels beschreiben. „Vielleicht reicht ein Satz.“ Neben Jamiro lag schon ein Stein mit Stift bereit. „Ich glaub, ich weiß was.“ Hastig schrieb sie. Als Ergebnis hatte sie ''Erst denken, dann reden'' draufgeschrieben und brachte beides als neue Beschwerer hin.
Plötzlich war nur noch ein Aufschrei von ihr zu vernehmen. Sofort hetzte er los. Anscheinend hatte sie sich beeilt gehabt, da er erst beim Wasserfall zu ihr stieß. Ein Mann mit einem Gewehr stand neben ihr und zielte zitternd auf einen knurrenden Wolf.
„Bist du okay?“, keuchte er und sackte vor Anstrengung in die Knie. „Jam!" Beschwichtigen hob er die Hand hoch, um ihr herrennen zu unterbinden. „Das ist eine Wolfsmutter, sie verteidigt nur ihre Jungen.“ Seiner Erklärung folgten, sahen sie sich um, was den Jäger zusätzlicher noch nervöser werden ließ aber sie sahen keine Jungtiere.
„Bist du wirklich in Ordnung?“ Mit ihrer Hilfe kam er wieder hoch. Doch musste sie ihn stützen. „Gehen wir.“ Ohne sich umzudrehen, gingen sie beide. Der Jäger stand noch immer da und rührte sich nicht.
Ein paar Minuten später kam er nachgelaufen. Sein Weg sah nicht so aus, als wollte er zu ihnen. Dennoch schien es der Magier erwartet zu haben, dass er vor ihm landen würde. „Sind sie dieser Magier ... dieser Erk ... win?“ Ein bloßes Nicken genügte und der Mann überreichte ihm eine dünne, zusammengerollte Pick sechs Karte, die warm war und eigenartig roch.
Seine Frau, die es verwundert und skeptisch beobachtete, entschied sich, die Karte abzunehmen und verbrannte sich an dem Teil. „Schon gut“, kommentierte sie seinen erschrockenen Hilfsversuch. „Es war nicht schlimm.“ Damit hob sie es wieder auf und legte es ins Auto.
„Weißt du, langsam glaube ich wirklich, dass du etwas Übernatürliches bist.“ „So gut bin ich?“ Er grinste bemüht, da das Lachen schmerzte. „Was genau hast du dem armen Mann angetan?“ „Das wird dann wohl mein Geheimnis sein." Dies losgeworden, quälte er sich auf die Beine. „Lass uns für Gregors Überraschung einen anderen Platz suchen.“ „Ein Restaurant wäre mir jetzt lieber dafür."
„Hey, Jami.“ Tobias stürmte mit seinen zwei Kindern auf den Armen ins Schlafzimmer herein. „Ärger?“ „Wie kommst du eigentlich immer drauf, dass ich nur mit ''Ärger'' zu dir komme?“ Er nahm am Bett Platz und ließ die zappelnden Jungs frei. Nielas kroch sofort zu Jamiro, während Arijon die Gefahr an der Bettkante liebäugelte.
„Also. Morgen ist es so weit. Lola wird meine Frau.“ „Glückwunsch!“ Der Stimmlage nach fand er das nicht gut. „Ey, jetzt sei nicht beleidigt, okay? Deine Frau wollte, dass ich exquisit nichts sage.“ „Was gelungen ist“, ächzte er beim Aufrichten.
„Komm schon. Wie lang hast du deine Bettruhe jetzt ausgehalten?“ „Frag mich nicht. Ist auch besser so. Fühl mich immer noch nicht besser.“ „Echt nicht? Dann wirst du wohl nicht drumrumkommen.“ Hektisch kramte Tobias eine übertriebene Menge Unnützes aus seinen vielen Taschen, bis er schließlich eine Medikamentenschachtel in der Hand hielt.
„Mit freundlichen Grüßen von Ichigawa.“ „Floputsch“, las er vor und grinste. „Bist du sicher?“ „Ich bin unordentlich aber nicht blöd. Du sollst nur eine viertel Tablette nehmen, da sie mit deiner Krankheit besonders heftig reagieren können.“ „Und was macht das?“ „Dich ein wenig aufputschen. Du musst mehr essen, trinken et cetera.“ „So. Ich werde also aufgeputscht“, unterbrach er ihn fast und nahm ihm die Verpackung ab.
Entfernt von den Kindern brach er sich eine zurecht, die er dann auch trocken schluckte, obwohl ihm Tobias noch schnell ein Wasser holte. „Und was plagt dich sonst noch?“ „Hmh. Was meinst du?“ „Du bringst die Kinder mit, um mir Tabletten zu bringen, die mit Gewissheit meine Frau hatte.“ „Gut, vielleicht wollte ich dich ein wenig aufputschen, damit du mit mir den Junggesellenabschied machen kannst.“ Ein Lachen kam ihm entgegen.
„Was denn?“ „Du weißt schon, dass ich nicht mal eine halbe Stunde brauche, um schon platt zu sein.“ „Na und? Ist doch mehr als nichts.“ „Mehr als nichts, das ist schon wahr.“ Damit wollte er sich schon überredet sehen und aufzustehen. Sein Freund stellte sich aber in den Weg.
„Vielleicht lässt du erst die Tablette wirken. Das ist alles mit eingeplant.“ „Oje. Auch, dass ich den halben Abend zusehe.“ „Es ist Mittag Jam und deine Schwester passt auf die Kinder auf.“ Mit ''Aufpassen'' las er seinen Draufgänger auf. „Später kommt deine Frau dazu und hilft ihr.“ „Genug des Plans. Gib mir fünf Minuten.“ „Mehr hätte ich dir auch nicht geben.“ Er gab Jamiro einen leichten Stoß, der aber doch etwas mehr Wucht zu haben schien.
„Ey, das wird ein Spaß heute, glaub mir.“ „Hoff ich für dich.“ Exakt fünf Minuten später kam er aus dem Raum. Besser, als es seither der Fall gewesen war. „Es hilft also?“, fragte sein Freund, nachdem der Magier eine Weile in entsetzte Gesichter gesehen hatte.
„Ich nehme an, Ichigawa hat mir ein Placebo zukommen lassen aber ich fühle mich tatsächlich etwas kräftiger.“ Kräftiger traf schon zu, doch stresste sein Körper das lange Stehen bereits. Eilig schob man den Rollstuhl hinter ihn und meinte tröstlich: „Für die Feier reichs.“ Evelin trat ebenfalls zu ihnen. „Willst du noch etwas essen, bevor ihr geht?“ „Danke nein.“ Das Nein hatte sie wohl etwas missverstanden. Ruppig unterband Jamiro, dass sie sich am Arm kratzte.
„Ich sagte nein weil ich wegen meiner Krankheit nichts runterbekomme.“ Mit Freudenklang in der Stimme wurden sie auseinander gedrängt. „Übersetzt heißt das, dass du eine gute Köchin bist.“ „Weiß ich“, gab sie beschämt zurück. „Viel Spaß Jam.“ Zögerlich begab sie sich zu den Kindern. Einem murrenden Laut folgend schob sich Jamiro selbst zum Eingang hinaus. Sein Freund kam ihm nach, nachdem er kurz innegehalten hatte.
„Ich schätze, extrem wird es nicht?“ Offenbar war seine Laune umgesprungen. Er wirkte jetzt schon vergnügt. „Och, ich glaube, langweilen werden wir uns nicht.“ Anscheinend hatte man nicht weiter geplant. Seine Blicke huschten jedenfalls suchend umher.
„Wir könnten zur Pfleiner Kneipe gehen, die erreiche ich auch so.“ „Wieso so? Wir nehmen ein Taxi, einfach und praktisch.“ „Die kriegen den Rollstuhl auch nicht unter und unser Auto haben gerade meine Eltern.“ Jamiro war schon dabei zu gehen. „Immer weißt du alles vorher und wenn mans braucht dann nicht.“
Damit er nicht gleich wieder ausgepowert war, schob er ihn. „Vielleicht wollte ich es nicht.“ Absurderweise blieb seine Laune immer noch gut. Er begann ein wenig an dieser Placebo-Geschichte zu zweifeln. „Verträgst du Alkohol?“ „Hat noch niemand getestet.“ „Ja, dir gebe ich heute besser kein. Nicht das du mir dann doch noch Flo - putschst.“ Er lachte über seinen Witz. Selbst Jamiro war voll dabei, obwohl er noch nie über einen Scherz von ihm derart gelacht hatte.
„Alles gut, Kumpel?“ Die Frage kam ein wenig skeptisch aber auch nicht gerade interessiert rüber. Unter einer Straßenlaterne blieben sie stehen, da sie über etwas drüber gefahren waren. „Oh scheiße! Sorry Jam aber das konnte ich jetzt echt nicht sehen.“ Er hob ihm eine beschädigte Kartenschachtel unter die Nase, in der seine wertvollen Karten mit ein paar anderen aufbewahrt wurden. Wahrscheinlich waren sie aus seiner Tasche gefallen.
Unbekümmert steckte sich der Magier die Verpackung wieder ein. „Bist du eig …“ Noch bevor er es beenden konnte, zog Jamiro einen viel zu großen bunten Blumenstrauß aus seiner Tasche. „Gibs sie der Frau da vorne für zwei Karten.“ „Für Karten, was für Karten?“ Obwohl er nur Bahnhof verstand, nahm er den Blumenstrauß entgegen.
Einen verwirrten Blick später marschierte er mit einem überheblichen Gang auf die einzige infrage kommende Person zu. Sie bekam sein Vorhaben nicht gleich mit, da sie die Ruhe dieser Straße sichtlich genoss.
„Guten Tag, schöne Frau.“ Zunächst wirkte sie verärgert, dann aber angetan. „Dürfte ich sie kurz stören?“ „Sicher“, antwortete sie kichernd und nahm ihn ein paar Schritte mit. „Was kann ich für sie tun?“ „Haben sie möglicherweise zwei Karten?“ Eigentlich ging er davon aus, dass er Spielkarten bekommen würde. Allerdings lachte sie und meinte, dass das mal eine direkte Frage sei. Nachdem erhielt er zwei Konzertkarten.
„Viel Spaß und vergiss nicht deinen Freund aufzuwecken, wenn ihr da seid. Mik-Mill-Halle.“ Sie lächelte ihm zu und verabschiedete sich in aller Eile. Mühselig brachte auch er ein ''Bis bald'' hin.
„Jam?“ Vorsichtig weckte er den Magier, der zum Glück auch gleich reagierte „Und?“, fragte er noch nicht wirklich bei Sinnen. „Ich hab welche. Hast du Schmerzen?“ „Nein!“ Seinem Tonfall nach glaubte er ihm nicht aber als er telefonieren wollte, entriss er ihm das Handy.
„Ich habe keine Schmerzen!“, wiederholte er sich immer noch in diesem aggressiven Unterton. „Okay!“ Bevor er es fallen ließ, holte er sich sein Handy zurück. „Ich will nicht feiern und meinen Freund dabei auf dem Gewissen haben.“ „Wirst du nicht! Ich bin nur gereizt, wenn ich meine Bettruhe hatte und es stinkt mir, dass ich seit Tagen trotzdem nicht richtig zu Kräften komme.“
„Du wünschtest, das Floputsch würde tatsächlich puschen, hmh?“ „Ja! Jetzt lass dir die Laune nicht verderben und schieb mich da hoch.“ „Als könntest du mir die Laune verderben. Vielleicht erklärst du mir so lang, wer Pina Pik-Kart ist. Dein oder mein Geschmack?“
Es dauerte einen kurzen Moment, bis die Laune umschlug, er wach war und antwortete. „Eigentlich kennst du sie.“ „Eine Pina Pik-Kart? Nie gehört.“ „Versuchs mit Pina Olmann.“ „Ist das dieselbe Person?“ Er alberte herum, um seinen Freund aufzuheitern aber wer sie war, wusste er immer noch nicht.
„Denk an eine Bar und weiter zurück als wir uns kennen.“ „Weiter zurück als wir uns kennen? Jetzt fühl ich mich alt.“ „Du bist alt! Zwanzig Beziehungen machen das.“ „Ey! Es war nur achtzehn … glaub ich.“ Wieder lachte er. Inzwischen hatten sie auch die Halle erreicht und damit erhaschte er auch noch einmal einen sehr kurzen Blick auf Pina Pik-Kart.
„Ich kenn sie nicht. Sicher, das wir von einem meiner Beziehungen sprechen? Sie hat ein Pik im Namen.“ „Wen man nicht alles bleibend beeindrucken kann.“ Er zog ein Grinsen, das schon einmal vorab versprach, dass es ein Geheimnis bleiben würde. Das Gespräch wurde durch das Abgeben der Karten beendet. Wonach ihn Tobias auch schon gleich zu ihren Plätzen brachte.
„Verdammt, jetzt kann ich mich doch erinnern.“ So plötzlich wie diese Feststellung angeschossen kam, so schneller schrumpfte er in seinem Stuhl. „Mach dir keinen Kopf“, flüsterte Jamiro, als es losging. „Schau dir ihre Hand an. Sie trägt einen Verlobungs- und Ehering.“ „Ja wirklich?“ „Ja und jetzt genieße es. Es ist dein Geschmack.“
Kurz vor der Pause verließ Jamiro seinen Platz. Wohin er wollte, hatte er nicht gesagt aber er kam ewig nicht wieder. Deshalb beschloss man nach ihm zu suchen. Bei dieser Aktion traf er aber auf Pina. Sein Gewissen wusste genau, dass sie noch eine Rechnung mit ihm offen hatte.
„Na, immer noch derselbe?“ Ihre Hand mit den Ringen war so provokativ an ihrem Trinkbecher ausgerichtet, dass es wie ein Schutzschild wirkte. „Ich suche nur meinen Freund. Hast du jemand in einem Rollstuhl gesehen?“ „Klar, er fällt auf. Wie lang hat er noch?“ „Was meinst du mit wie lang?“ Seufzend entfernte sie sich.
„Warte!“ „Hmh.“ „Das damals tut mir Leid.“ „Weißt du überhaupt noch, was damals war?“ „Ja, ich war ein Vollidiot.“ Sie lachte. „Es tat echt höllisch weh, dass du mich für diese Jagul verlassen hast. Du weiß sicher noch, dass wir Erzfeindienen waren.“ „Ich habs bereut!“ Mit seiner etwas heftigen Reaktion stellte sie ihn wohl in Frage.
„Und wer ist die Glückliche?“ Ein Tippen auf ihren Ehering untermalte das ''Die''. „Lola. Wir heiraten morgen.“ „Okay.“ Ihre Betonung war bedenklich. „Bist du glücklich, ja?“ Sie nahm ihn zur Seite. „Ja, klar. Lola ist eine tolle Frau und ich bin Vater.“ „Oh.“ „Nein, nein. Ich bin gern Vater und meine Frau ist wirklich wunderbar, also nicht, dass du es auch wärst.“ „Schon verstanden. Ich und mein Mann sind auch glücklich. Auch wenn wir uns gerade aktuell wegen meine Touren streiten.“ „Warum das denn? Du bist eine hervorragende Sängerin und es war ewig schon dein Traum.“ „Er vermisst mich. Wenn ich reis allein ohne dich verweilt ein Teil von mir ganz nah bei dir. Ich fühle diesen leeren Platz und schenk ihn dir. Ein Teil von dir ist stets bei mir.“ „Schön. Er hat also ein Lied. Das ist wirklich schön.“ „Du, ich muss wieder zur Bühne. Ich schick dir meine Managerin, die hilft dir beim Suchen.“ „Danke.“
Jamiros Fehlen hatte einen skurrilen Grund. Auf der Toilette hatte ihn eine Siebzehnjährige fotografiert und als er sie zur Rede stellen wollte, stürzte er und blieb benommen liegen. Etliche Minuten später wurde er erst von seinem Freund gefunden.
„Hier bist du! Meine Güte, ich dachte schon ich müsse noch die Polizei rufen.“ Es war kein großer Kraftaufwand ihn in den Rollstuhl zurück zu heben. „Alles klar? Du siehst echt fertig aus.“ Er erwiderte nichts und konnte sich kaum ihm Rollstuhl aufrecht halten.
„Lass uns das abbrechen.“ Tobias ging herum und wollte ihn hinaus schieben aber die Tür wurde von einer Bodybilder-Frau versperrt. Locker könnte sie vom Sicherheitspersonal sein, allerdings war sie die Managerin, mit der er gesucht hatte. „Wissen sie womit ich keinen Spaß verstehe?!“ Es war eine Situation wie in einem Boxkampf. Einen den er nie im Leben überstehen würde.
„Mein Freund muss hier raus!“ „Dein Freund …“ Obwohl sie nicht wirklich Kraft anwandte, flog er wie ein Stück Plastik zur Wand. „... ist sternhagelvoll.“ Ihr nächster Griff drückte das Kinn von Jamiro hoch.
„Wo ist meine Tochter?“, sprach sie fauchend, als sie den Personalausweis der minderjährigen Fotografien sah. „Lassen sie ihn in Ruhe!“ Es war hoffnungslos. Die Verteidigung seines Freundes setzte ihn mit einer gebrochenen Nase außer Gefecht.
Als er seine Besinnung wiedererlangte hatte er seine Frau bei sich. „Männer!“ hauchte sie ärgerlich ohne ihn wahrgenommen zu haben. „Sonnenschein, du traust mir doch nicht zu …“ „Ich trau dir alles zu, Krähe! “ „Ich hasse dein Spitznamen, wenn du sauer bist.“ „Das ist der Sinn! Warum müsst ihr Männer eigentlich immer übertreiben?! Sei froh, dass meine Hände voll sind.“ Ihm fiel erst jetzt auf, dass sie ihre beiden Söhne im Arm hielt.
„Tust wenigsten schön weh?“ „Teuflisch.“ „Recht so!“ „Danke für dein Mitgefühl, Häschen.“ Damit richtete er sich auf, wobei sein Kopf zu dröhnen begann. „Wo ist Jam?“ „In U-Haft.“ „Was!“ Sein Entsetzen schepperte hallend durch seinen Kopf.
„Ich hab keine Ahnung, was los ist. Irgendein Bruder hilft ihr ihn daraus zu bekommen. Leg dich hin! Sie haben deine Nase gleich operiert. Die Tante hat dir ganz schön die Nase poliert.“ „Wehe du erzählst das den Kindern.“ „Den Teufel werd ich tun.“ Schadenfroh und verschüchtert schmunzelten sie sich zu.
Was Jamiro anging, so hatte Selina bereits erfolglos versucht, ihn mit Hilfe ihres Bruders Steve und dem Forscher Ichigawa herauszuholen. Gescheitert saßen sie im Wohnzimmer. Gregor lief derweil auf und ab.
„Sasori, sie können ihm doch nicht seine Medikamente verweigern. Versuchen sie es bitte noch einmal.“ „Es ist riskant, wenn ich nicht genau weiß, was mit ihm los ist.“ „Aber er hat doch nur dieses Placebo-Dingens geschluckt, richtig?“, warf Gregor ein. „Vielleicht hat er noch etwas anderes geschluckt?“ Von Steve kam nur ein Laut. Selina hingegen explodierte förmlich.
„Er schluckt nicht einfach irgendein Medikament!“ „Aber er hat gewusst, dass es ein Placebo ist.“ „Na und!“ Der Älteste im Raum musste dazwischen gehen, bevor es noch schlimmer wurde. Niemand glaubte wirklich, das Jamiro unter Drogen stand. Nicht einmal Gregor tat es. Im Grund wollte er eigentlich nur von der Hauptproblematik ablenken, das Jamiro eine Alicia Brown sexuell belästigt haben soll.
Evelin zwang ihn schließlich still zu stehen. „Das Placebo ist Schuld.“ Damit sprengte sie die ausgebrochene Stille. „Ein Placebo hat keine Wirkung“, erklärte Selina ein wenig schroff. Im Anschluss entschuldigte sie sich gleich dafür. Sie stand auf und nahm sie kurz in den Arm.
„Er hat keine Schmerzen. Ich weiß es und dass mit diesem Mädchen war er auch nicht! Ich will wissen, wer das sein soll.“ „Wir dürfen nicht mit ihr reden. Das verschlimmert die Sache.“ Steve machte das so deutlich wie möglich.
„Selly, das Zimmer?“ „Was willst du im Schlafzimmer?“ „Lass mich machen. Wird schon.“ Steve stellte unter den skeptischen Blicken seiner Schwester das Zimmer auf den Kopf.
Währenddessen hatte auch das Familienoberhaupt das Land erreicht. Seine erste Handlung führte zu Tobias, der gerade das Krankenhaus verließ. „Brown!“, wich er überrascht aus. Mit einmal wurde er jedoch mutiger. „Momentmal“, dachte er sich und wurde dann ziemlich direkt. „Die Frau hieß doch auch Brown. Ist das ihre Frau?“ Er lachte, als sei dieser Gedanke völlig absurd. Für ihn gab es aber keine Notwendigkeit etwas zu erklären.
„Wissen sie, weshalb ihr Freund auf der Frauen-Toilette war?“ „Warum wohl?!“ Stur wollte er an ihm vorbei. Warum sollte er auch mit jemanden sprechen der möglicherweise mit drin hing? Allerdings kam er an diesen Muskelprotz auch nicht vorbei.
„Es roch nach Kotze! Ich nehme an, er musste sich übergeben. Die Tür war offen. Ich hab selbst nicht wahrgenommen, dass das die Frauen Toilette war. Außerdem ist die Toilette der Männer, die Treppen runter. Vielleicht hat er es einfach nicht geschafft.“ Tobias war selbst überrascht, wie er ihm gegenüber trat, obwohl er innerlich fürchtete, schon wieder eine drauf zu kriegen.
Ohne weitere Worte zog Aiden ab. Ein paar Minuten später rief Steve seinen Bruder an. Er versuchte ihm auszureden zu den Browns zu gehen. Womit er ihn aber nicht wirklich aufhalten konnte. Als er an dem Haus ankam, stieß er auf Evelin. Diese erschrak fast zu Tode, als er sie antippte.
„Und?“, blieb er kühn. „Schon was rausgefunden?“ „Die … die Tochter ist nicht da.“ Sein Blick verblieb auf dem Fenster, wodurch man die Managerin von Pina sah. „Hmh.“ „Sie ist deine Tochter, richtig?“ Ohne einen Zweifel war sie sich sicher. Um die Antwort auch zu bekommen, zwang sie sich ihm direkt in die Augen zu schauen. Nachdem er es jedoch erwiderte brach sie ab.
„Alicia Brown ist deine Enkelin und du weiß, dass sie lügt wegen Jamiro, richtig?“ „Was ich weiß, ist, dass dein Bruder in einem falschen Raum war. Ich könnte sie fragen aber ich fände, du solltest es tun.“ „Okay aber dafür möchte ich, dass dir Jamiro ein Trick beibringt.“ Es blieb still, doch schien er es irgendwie bejaht zu haben.
Sie begann mit einer gut kenntlichen Selbstsicherheit. Diese konnte sie aber nur schwer beibehalten, als sie der Frau dann tatsächlich gegenüberstand.
„Was wollen sie?!“ reagierte sie genervt. Etwas holprig gelang es ihr, die Sache auf den Punkt zubringen. „Meine Tochter hat ausgesagt, was sie zu sagen hatte“, knurrte sie und warf einen kurzen Blick auf ihren Vater. Der rührte sich nach wie vor nicht.
„Sie waren überrascht, dass sie bei dem Konzert war.“ „Und?“ Um einen kaum merklichen Prozentsatz schien sie freundlicher geworden zu sein. „Das war eine Frage, um ihre Reaktion zu sehen. Ihre Tochter mag diese Art von Musik nicht und deshalb reden sie überhaupt mit mir. Mein Bruder vergreift sich an niemanden. Er ist ein Mensch, der für jeden auf diesen Planeten, das Beste will.“
„Ja, dann sollte er wohl keine Drogen mehr nehmen.“ Mit dieser Bemerkung wandte sie sich ab. „Er würde welche nehmen aber er tut es nicht weil wir uns davor fürchten.“ Bevor sie weiter reden konnte, musste sie erst Kraft ansammeln. „Ich mache mir schon die ganze Zeit Vorwürfe weil ich ihm zeige, dass es mir Angst macht, wenn er die Floragitom-Medikamente wieder nimmt. Es darf mir keine Angst machen aber nachdem er beinahe gestorben wäre, weiß ich erst wie anders er ist. Ich will, dass er unschuldig ist und wenn er das ist, will ich auch, dass sie die Wahrheit sagen!“
Abrupt ergriff sie die Flucht. Sie rannte über einen riesigen Umweg nach Hause zurück. Wo sie dann von Gregor gebremst wurde. „Ich such dich! Heulst du?“ Tatsächlich liefen ihr Tränen über die Wangen. Sie war außer Atem und völlig durch den Wind.
„Entschuldige.“ Mitfühlend strich er ihr über die Arme. „Hör mal, das wird schon. Steve weiß, was er tut.“ Damit war anscheinend gemeint, dass er nun mit Pina zum Polizeirevier unterwegs war. Sie hatte nämlich etwas Brisantes über Alicia zu erzählen.
Das Mädchen hatte ihre Mutter vor geraumer Zeit erpressen wollen. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihre Mutter sie sofort rauswerfen würde. Sie traute ihr zu, dass sie Jamiro nur etwas anhängen wollte, um zu verbergen, dass sie vielleicht etwas mit den Reizgasflaschen in der Toilette zu tun hatte.
Steve und sie hatten bereits ein Gespräch mit dem Polizisten in der Wache geführt, als Aiden mit der Geschädigten hereinkam. „Sie hat was zu sagen“, kündigte er an. Haltlos begann sie zu schildern, was tatsächlich passiert war.
Sie hatte sich eigentlich bei ihrer Mutter rechen wollte und da sie Pina Pik-Kart sowieso nicht leiden konnte, hielt sie das Konzert für den besten Ort dafür. Das Endergebnis war zufällig entstanden. Sie dachte, sie könne vielleicht den Mann erpressen, der zu einem gar nicht wirklich im Rollstuhl saß, irgendwie zugedröhnt wirkte und schließlich auch auf der Damentoilette war. In Panik hatte sie hinterher erzählt, dass er sie angegangen hätte.
Mit dieser Sachlage kam Jamiro natürlich frei. Sofern man das sagen konnte, nachdem er von Ichigawa gleich direkt im Auto untersucht wurde. Richtig zu sich kam er trotzdem erst, als Tobias zu ihm ins Zimmer hereingestürmt kam.
Seine Begrüßung war mehr als überrascht und voller Hektik. „Ich leb noch. Ich werd sogar schon wieder gefoltert.“ „Ja? Die Bettruhe oder was?“ „Nee volles Wellness-Programm.“ Kurz herrschte Schweigen. Dann sprach er ihn noch auf die Nase an. Welches aber unbeantwortet blieb. Nur eine Frage wurde noch beantwortet. Tatsächlich hatte das Placebo eine Nebenwirkung bei ihm ausgelöst. Vermutlich wollte er es einfach zu sehr. Er eben.
Wieder einmal war etwas Verrücktes passiert. Beziehungsweise war Tobias der Verrückte. Er hatte seinem Freund einen Fernseher gekauft und ihn heimlich eingerichtet, während er seine beiden Söhne am Hüten war. Heraus lockte er ihn, in dem er eine Sendung etwas lauter laufen ließ.
„Ist dir klar, dass du deine Söhne aufweckst?“ Im Rollstuhl sitzend kam er mit den beiden auf dem Schoss aus dem Schlafzimmer heraus. Sofort machte ihr Vater die Geräuschkulisse aus. „Na, waren sie artig?“ „Du kennst sie doch. Was soll ich damit?“ „Fernsehen Jam, dafür sind die Geräte.“ „Komm schon, ich sitzt schon im Rollstuhl.“ „Die meiste Zeit aber das ist Ablenkung, glaub mir.“ „Die meiste Zeit ist gut.“ Nachdem Tobias ihm bereits die Kinder abgenommen hatte, konnte er sich beruhigt auf die Beine quälen.
„Klappt doch schon wieder besser.“ „Ach ja?! Was kriegst denn?“ „Nichts. War im Angebot und hat gesagt, kauf mich!“ „Angebot heißt nicht kostenlos!“ „Ein Geschenk schon, Jam. Jetzt lass mich doch.“ „Viel zu teuer!“ „Du würdest nicht mal ein Taschentuch annehmen.“ „Nenn mir einen Grund, warum ich das ohne laufende Nase tun sollte?!“ „Ach du Schreck, hat der Patenonkel etwa gute Laune?“ Arijon fand Spaß daran seinem Vater in den Arm zu beißen. Sein Bruder verschlief mal wieder alles.
„Du, mir fällt ein, dass die beiden ne Untersuchung haben.“ „Morgen, 14:30 Uhr. Du fährst sie! Deiner Frau hab ich nen Wellness Tag gebucht.“ „Ohne mein Wissen?“ „Mit deinem Wissen! Vorgestern besprochen.“ „Man, ich sollte mir eine Liste machen.“ „Tu nicht so! Ich weiß, dass du mir nur den Fernseher aufschwatzen willst.“ Damit steckte er ihm Geld in die Tasche.
„Wird schon passen. Was zu viel ist, ist für meine Paten.“ „Du hast doch erst …“ „Geschenkt.“ „Ja also, das auch!“ „Kein Fernseher und gib Arijon noch was, bevor er dich ganz aufisst.“ Jamiro nahm wieder Platz und nahm Nielas hoch, als er munter wurde. Mit ihm spielte er, bis sein Vater wieder da war.
„Na hallo, du hast mich wieder verschlafen, kleiner Mann. Jam alles okay?“ „Ja, war heute nur ein bisschen anstrengend mit den zweien.“ „Du weiß, ich bin sauer, wenn du nicht Bescheid sagst.“ Zügig nahm er ihm den Kleinen ab, der ohnehin zu ihm wollte. „Morgen hab ich ja frei und ich werd dein Geschenk einweihen.“ „Welches denn?“ Er lächelte nur.
„Dann ruh dich aus, solange du Ruhe hast. Wann kommt deine Frau?“ „In einer halben Stunde, Evelin ist heute bei Gregor.“ „Du hast sie weggeschickt?“ „Ich mach ihr Angst, dauernd. Ich hatte Hoffnung, sie kommt auf andere Gedanken.“ „Das Problem ist doch, dass sie dir gegenüber unsicher ist. Denk doch nach, Jam. Du weißt, dass du ihre Angst größer machst.“ „Möglich.“ „Das ist so! Ich ruf sie jetzt an und sag ihr, dass du ganz dringend frische Luft brauchst.“ Tobias setzte ihm beide Kinder auf den Schoss und suchte in seinen Taschen.
„Nicht so!“ Ausgerechnet jetzt war sein Handy nicht dort, wo es ganz sicher sein sollte. „Warum nicht?“, fragte er schon etwas verzweifelt. Die Hauptperson blieb aber ganz ruhig. „Ich hab dich was gefragt, Jam.“ „Du weißt, ich kann mich niemanden aufdrängen. Mach es wenigstens geschickter, sonst fahr ich sie wieder an und das muss echt nicht sein.“ Warum er auch immer noch einmal in derselben Tasche nachgefühlt hatte, fand er nun genau dort sein Handy wieder.
„Ein Fernsehabend vielleicht? Manchmal ist Schweigen heilsam … bescheuerte Idee, vergiss es.“ „Eigentlich heißt der Spruch, den du meintest: Reden ist Silber, schweigen ist Gold.“ Jamiro legte ihm die Karo zehn auf das Handy. „Du zauberst?“ „Ich versuche nachzudenken.“
Neugierig drehte Tobias die Karte hin und her. Sie schien völlig normal zu sein. „Ich denke zu schwarz weiß“, murmelte er und reichte ihm die übrigen Karten. Deren Motive waren alle grau. „Vielleicht machst du es dir tatsächlich zu schwer. Seit wann genau habt ihr die Probleme? Richtig, seit dieser Geschichte ... dem Einbruch. Vielleicht kann sie auch in dir lesen. Du hast das doch auch nicht einfach weggesteckt, oder?“
Er wollte die Karte eigentlich weglegen aber der Stapel war nun unbedruckt und die einzelne Karte dafür grau. „Wann hast du das denn jetzt gemacht?“ Völlig abwesend saß er einfach nur da. „Jam?“ Besorgt legte Tobias die Karten beiseite. Nach der Placebo-Geschichte wollte er lieber vorsichtiger sein, nachdem er jetzt begriffen hatte, wie stark sein Wille wirklich sein konnte.
Er lächelte und streckte die Handfläche aus. Eine der leeren Karten flog hoch und schwebte in der Luft. Nach und nach wurde ein Bild kenntlich. Die Herz neun bildete sich ab. Allerdings löste sich die Andeutung immer wieder auf. Fast so, als während die Schmerzen daran Schuld, die er bekommen hatte. Mit einem unterdrückten Schrei ließ er die Karte auf die Ablage zurückfallen.
„Was tust du denn? Komm, das reicht jetzt. Ich helfe dir auf das Sofa und wir gucken lieber einen Film.“ Zuerst nahm er die Kinder und setzte sie auf das Sofa rüber. Dann wollte er auch ihm helfen. „Geht schon“, hauchte er. „Ich lass Evelin einen Trick machen. Wenn ich sie lobe, müsste ich sie doch stärken.“ „Denkst du nicht, dass sie das merken würde?“ Per Gestik bekam er ihn dann doch dazu, sich helfen zu lassen.
Auf dem Sofa sitzend kletterte Arijon sofort an ihm hoch. „Lass ihn, nimmt den Papa.“ Auf Papas Schoss wollte auch Nielas. „Ein Moment, der Papa hat nur zwei Hände. Ich wollte doch deine Tabletten holen!“ Entsetzt über das Vergessen wollte er aufspringen, doch sah er das Evelin und Gregor eingetreten waren.
Ganz Kavalier nahm er ihr die Jacke ab und hängte sie auf, während sie sich dann zur Werkstatt aufmachte. Im gewohnten Muster drückte sie ihm die Verpackung in die Hand, bevor sie zur Küche weiterging. Mit einem Wasser kam sie zurück. Nachdem sie auch das für ihn erledigt hatte, nahm sie einen viel zu großen Abstand ein und ihre Unsicherheit wurde kenntlich.
„Ihr müsst reden!“, meinte Gregor schroff und schob sie näher. „Ruf mich an!“ Sie nickte, wodurch sie sein Gehen zuließ. „Du kannst dich zu ihm setzten. Ich mach euch den Fernseher an.“ „M … Möchtest du sp ... später essen?“ Seine Antwort war eine Mischung aus etwas, das er sagen wollte und einem Kopfschütteln, das aber mehr in eine kreisende Bewegung ausartete.
„Er meint, dass er später sehr gerne etwas nimmt“, sprang Tobias für ihn ein und schob sie dann zwischen die Kinder. Seine Söhne sammelte er ein, als der Fernseher lief. „Schönen Abend, ihr zwei.“ So schnell er es mit den zappelnden Zwillingen konnte, verließ er das Haus.
Evelin hatte Mühe in seiner Nähe. Einerseits wollte sie wegrücken, anderseits zwang sie sich sitzen zu bleiben. „Möchtest du etwas Bestimmtes sehen?“, fragte Jamiro hilflos. Dennoch hatte sie sich von seinem plötzlichen Sprechen erschrocken. „Entschuldige.“ Rein aus Vorsicht griff er schon nach ihrem Arm, dass sie sich nicht wieder kratzte.
„Die Angst vor meiner Krankheit, wie kann ich sie dir nehmen?“ „Ist es falsch, dass ich versuche, dir zu helfen? Bin ich nicht gut darin?“ „Ich bin nur stur. Ich meine nichts davon böse.“ „Das weiß ich.“ Nun rückte sie doch etwas von ihm weg. Längst suchte sie einen Fluchtweg, zwang sich aber immer noch hier zu bleiben.
„Ich hab was für dich gemacht“, gab sie nach längerer Pause bekannt. „Möchtest du es mir zeigen?“ Sie nickte und stand sofort auf. Damit fiel ihm auch wieder ein, dass sie selbst an der gleichen Krankheit wie er gelitten hatte. Konnte das vielleicht auch ein Grund sein?
„Evelin, warte eine Sekunde.“ „Ich bring es dir. Ich habe auch ein Oberteil für Selina genäht.“ „Du bist wirklich begabt, Evelin. Wenn ich an Arijons Löwenpuppe denke ... er ist anders gar nicht mehr ruhig zu kriegen.“ „Ist das schlecht? Das hört sich negativ an.“ „Nein, das ist überhaupt nicht schlecht. Ich hätte auch gern eine.“ „Gefällt dir ein Hirsch? Ich hab es für Nielas gemacht, obwohl ich eigentlich an dich denken musste. Ich hole es! Warte!“ Er ließ sie gehen, da sie vor Freude kaum ein Halten fand.
Schnell war sie mit einer Handpuppe zurück. „Meinst du, sie gefällt ihm?“ „Die ist gut geworden, wirklich Evelin. Du hast Talent.“ „Ich weiß nicht. Die Nase ist etwas groß geworden, oder nicht?“ „Zeigen wir es doch gleich Nielas. Ich weiß, er wird deinen Hirsch lieben.“ Während er das voll Begeisterung ansprach, sorgte er dafür, dass Tobias noch einmal rüberkam.
„Was gibs?“ „Schau mal!“ Sie ging sofort zu Nielas mit der Puppe. Er war gleich hellauf begeistert. „Wie ulkig, für den Löwen interessiert er sich kaum. Kann ich ihn haben? Was kriegst du dafür?“ „Nichts! Es freut mich, dass er ihm gefällt.“ Evelin spielte noch eine Weile mit ihm.
„Man merkt, dass ihr Geschwister seid. Wie der Apfel vom Baum.“ „Du meinst, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ Lachend zerrte sich Jamiro auf die Beine. „Evelin, ist das jetzt wieder gut mit uns beiden?“ Er strich ihr über den Rücken, um überhaupt ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. „Ich war dir nie böse“, meinte sie verwundert und steckte dem Vater die Handpuppe über. „Ich versteh dich nur manchmal nicht.“ „Sagst du mir künftig, wenn ich unseren Eltern zu sehr ähnle?“ Nicht im geringsten hatte er damit gerechnet, dass sie den Kopf schüttelte.
„Du bist nicht wie sie und ich mag dich, so wie du bist, Jami.“ Für eine recht lange Zeit schloss sie ihn in den Arm. „Ich werd mich nie daran gewöhnen, dass es Dinge gibt, die ich nicht durchblicke.“ „Vielleicht nutzt du einfach deinen Sinn nicht mehr.“ Langsam löste sie sich vom ihm. Tatsächlich wirkte sie viel entspannter. „Meinst du?“ Sie nickte. „Du willst doch nur nicht wahrhaben, dass wir uns um dich kümmern wollen.“ „Möglich. So wie ich mich aber mittlerweile kenne, werde ich das wohl kaum ändern.“ „Das weiß ich aber wir versuchens trotzdem.“ Sie lächelte, was ihn irgendwie noch mehr verwirrte.
„Was ist denn eigentlich mit deiner Frau heute los? Müsste sie nicht schon zurück sein?“, drängte sich Tobias auf. Nebenbei kümmerte er sich um seinen Sohn, der in die Hirschnase gebissen hatte, um wohl einen Angreifer zu spielen. „Sie steht im Stau aber echt schon lange. Ich versuch sie mal anzurufen?“ Er wollte gehen. Doch war seine Schwester etwas schneller und brachte es ihn.
Zurück auf dem Sofa spielte sie im Hintergrund leise die Fernsehsender durch. „Na, wo steckst du? Bist du schon weiter?“ „Nee. Ich steh und steh. Keine Ahnung, was los ist. Ich überlege, ob ich auf den Parkplatz dort fahre und zu Fuß weitergehe.“ „Wie weit bist du denn?“ „Schon noch ein Stück. Zu Fuß würde ich ein paar Stunden brauchen. Soll ich mich beeilen?“ „Nee aber ich organisier dir was. Fahr auf den Parkplatz, wenn du kannst.“ Um eine Verabschiedung kümmerte er sich nicht. Mit seinem hastigen Auflegen wandte er sich Tobias zu.
„Was hast du vor?“, fragte dieser verwirrt. „Ich brauch dich für ein Gefallen. Eine Sekunde, ja.“ „Wow, du nimmst etwas an?“ Beide starrten ihn entsetzt an, als er die Polizei anrief. Also beziehungsweise einen Beamten direkt, den er kannte. Steve, sein Schwager. Von ihm kam er die Zusage für seinen Plan.
„Also Tobias, du hast die Genehmigung meine Frau für mich abzuholen. Das Motorrad steht vorm Haus.“ „Du schiebst deine Krankheit vor?“ „Meine Frau kriegt noch den Staukoller.“ „Ja natürlich, der Stau, was sonst. Ich beeil mich!“ „Fahr aber niemanden um, okay?“ In der Eile überreichte er seinen Sohn in Evelins Arme und rannte mit der Handpuppe noch übergezogen nach draußen.
„Er hält es jetzt nicht für einen echten Notfall, oder?“ Damit überlegte er bereits hinterherzugehen. „Nein, tut er nicht. Er ist nur Tobias.“ Dem klang sie absolut sicher. „Du überraschst mich immer wieder“, stöhnte er und nahm Platz. „Ist das negativ?“ „Nein absolut positiv. Schau, ich kann den Sender wechseln, ohne die Fernbedienung.“ Er tat so, als drückte er eine Taste von einer unsichtbaren Fernbedienung. Die Richtige lag unangerührt an dem Platz, wo sie Evelin hinterlassen hatte.
„Zauberst du richtig oder ist das ein Trick?“ Zu einer Erwiderung kam es nicht, da die Nachrichten seine Aufmerksamkeit abgezogen hatten. Ein Güllelaster war auf der Strecke verunglückt, auf der seine Frau fahren wollte. Auf dem Bild erkannte er noch fünf Autos, von denen mindestens zwei besser davongekommen waren. „Das sieht schlimm aus“, stellte sie fest aber von ihm kam keine Regung mehr.
Am Ort des Geschehens standen die Feuerwehr und zwei Krankenwagen, während noch zwei weitere herangefahren kamen. Ein Mann, der eine dicke Zehn auf seinem Shirt trug, stand mit einem Sanitäter an der Seite. Starr vor Schock reagierte er auf den anderen Mann bei sich nicht. Dem Bild nach war er jener gewesen, der den Notrufen gewählt hatte. Er hielt noch sein Handy am Ohr.
Plötzlich bewegten sich seine Lippen, so als wäre jetzt nach einer Ewigkeit jemand rangegangen. Doch war es ziemlich merkwürdig, dass man extrem leise im Fernsehen hören konnte, dass ihn jemand wegen seiner Frau aufmunterte. Der Mann, der ähnlich klang wie Jamiro, schien zu wissen, dass sie ernster verletzt war.
Als im Hintergrund Tobias vorbeifuhr, blickte der Mann in die Kamera, die das Ganze übertrug. „Sind sie sicher?“, fragte er und war dabei so laut, als wäre er ein Reporter mit Mikrofon. Vor dem Fernseher begann Jamiro zu lächeln. Wie eine Bestätigung wandte sich der Mann wieder ab und ließ sich vom Sanitäter helfen. In jener Sekunde wurde das Bild schwarz. Etwas später folgte die Nachricht, dass es technische Störungen gab.
„Du hast den Fernseher kaputt gemacht“, stellte Evelin fest und begann ein wenig hektisch nach dem Grund zu suchen. „Er ist nicht kaputt. Die, die filmen haben ein technisches Problem.“ Seine Stimme klang, als wäre er eingeschlafen gewesen und unsanft aufgewacht.
„Ich schätze, sie waren dem Ablauf im Weg.“ „Du meinst, sie durften gar nicht filmen?“ „Es stört zumindest. Könntest du mir ein Tee aufstellen?“ „Natürlich!“ Sie rannte sofort los. Als er den Tee getrunken hatte, kam auch Tobias mit seiner Frau nach Hause. Diese kümmerte sich auch gleich um seinen verspäteten Massagetermin.
Früh morgens saß Jamiro in seinem Wohnzimmer und verbarg sich genervt hinter der Zeitung von gestern. Er hatte dreimal in der Nacht seine Frau geweckt und genau das hatte ihm schließlich die Laune verdorben. Aus Prostest gegen seinen Körper war er gegen 4:30 Uhr aufgestanden und saß jetzt zwei Stunden später immer noch mit der Zeitung da. Einzig was es nutze war, dass ihn seither seine Krampfanfälle in Ruhe ließen und er sogar Hunger hatte aber da ihm die Kraft fehlte, blieb er starr sitzen.
„Ich mach dir was mit.“ Seine Schwester wandelte an ihm vorbei, die er aber selbst nur gehört hatte. „Ich mach mal was Neues“, verkündete sie unter dem Geschepper von Geschirr. Irgendwie war ihm klar, sie machte genau das Essen, auf das er gerade Gelüsten hatte, obwohl es kein Frühstück war.
Er legte gerade die Zeitung nieder, da kam seine Frau aus dem Schlafzimmer. „Du kannst weiterschlafen. Ich habe keinen Krampf“, knurrte er. Sie kam auf ihn zu und küsste ihn einfach. „Weißt du das Evelin heute Nacht fleißig war?“ „Noch jemand ohne Schlaf.“ Als würde sie seine Laune nicht bemerken, lächelte sie. Damit merkte er, dass sie trotzdem mehrfachen wecken ausgeruht war.
„Muss ich was wissen?“ „Ich zeigs dir.“ Sie ging fröhlich hinter ihn und schob ihn ins Bad hinein. Jede Fliese war kunstvoll bemalt. An dem Griff, der neu neben der Toilette war, klebte ein Zettel für ihn. ''Wenn es dir nicht gefällt, kann ich es wieder wegmachen'', stand darauf. „Damit du nicht immer dieselben Punkte zählen musst, wenn die Kraft nicht reicht. Ist sie nicht begabt, deine Schwester?“ Jamiro war noch mit gucken beschäftigt.
„Warum schlagt ihr euch die Nacht um die Ohren?“ „Sie wollte dir eine Überraschung machen. Also, mir gefällt es.“ „Mir auch!“ Sein knurrender Tonfall machte es nicht unbedingt glaubhaft. „Soll ich dir helfen, Schatz?“ „Bitte.“ Nachdem sie ihm rausgeholfen hatte, ließ sie ihn im Bad zurück und half Evelin in der Küche.
„Das ist heute eher ein Mittagessenfrühstück“, stellte sie lachend fest. Ergänzte im Anschluss jedoch, dass sie es nicht negativ gemeint hatte. „Weiß ich“, erwiderte Evelin und machte einfach weiter. „Deine Kunstwerke gefallen mir.“ „Schön. Ich hatte Angst, sie stören euch. Meinst du, mein Skizzenbuch gefällt ihm auch? Ich glaube, er hat es mir gegeben, um mit dem Pflanzen sammeln weiter zu machen.“ „Das gefällt ihm mit Sicherheit. Ey, du bist großartig! Zeig doch auch Gregor etwas.“ „Ich weiß nicht. Ich glaube, es macht ihm mehr Spaß, mir Motorräder zu zeigen. Ich versteh den Unterschied immer noch nicht.“ „Typisch Gregor! Er würde dich auch zum Pokern einladen, anstatt ins Kino.“ Evelin lachte. „Das ist das, womit er sich immer vertut. Manchmal ist er genauso unsicher wie ich. Komisch. Soll ich ihn mal einladen aber ich will ihm keinen Schmuck zeigen.“ „Probiers mit einem Essen“, rief Jamiro von weitem, wo er es eigentlich gar nicht gehört hatte. „Ich komme, Schatz. Warte bitte.“ Sie beeilte sich lieber, da sie seinen Dickschädel kannte.
„In der Zeitung ist ein unschöner Bericht“, flüsterte er ihr zu. Es sollte nur sie hören. „Stehen da nicht fast ausschließlich schlimme Dinge drin?“ „Ich war bei den Todesanzeigen drin. Warum auch immer. Hassbrecht, beide.“ „Oh.“ „Ich sags ihr lieber nicht, oder? Ich hab das Gefühl, sie ist gerade wieder etwas sicherer geworden.“ „Wir sollten ihr es aber sagen. Sie sollte es wissen, schätze ich.“ „Hmh … vielleicht … ich weiß nicht …“ Ohne eine Lösung gefunden zu haben, brachte sie ihn an den Tisch. Evelin deckte bereits ein.
„Ich will dir was bringen. Möchtest du es sehen?“ Dass es ihr eine große Freude wäre, sah man ihr deutlich an. Es wäre gelogen gewesen, zu sagen, sie wäre nicht am liebsten gleich losgerannt. Lächelnd nickte er. Sofort rannte sie stolpernd in ihr Zimmer und kam mit einem dicken Album zurück. „Du hast es mir gegeben, um Pflanzen zu sammeln aber ich dachte, das macht dir auch Freude.“ Jede Seite des Albums hatte abwechselnd mal mehrere Skizzen, mal ein farbiges, fertiges Konzept. Natürlich kam er aus dem Staunen nicht heraus. Sie hatte wirklich Talent.
„Evelin, das ist genial! Du bist eine Künstlerin!“ „Danke aber ich kann nicht so gut zaubern wie du?“ Sie klappte das Album zu und brachte es weg. Es war ihr wohl etwas unangenehm, dass es so gut war. „Was hältst du davon, es mehreren zu zeigen?“ „Wer ist mehrere?“ „Na, ich weiß nicht. Tobias, Lola vielleicht, Gregor oder wie wärs mit Aiden in Amerika.“ Sie lächelte.
„Versuchs doch mal.“ „Ich weiß nicht.“ „Wie wärs mit diesem hier?“ Selina stellte gekonnt das Essen auf den Tisch, während sie auf ihrem Handy das abfotografierte Fliesenbild heraussuchte. Mit den vorwiegend dunklen Tönen wirkte es ziemlich dramatisch in gegen der anderen Bilder.
„Darf ich es ihm schicken?“ Längst hatte sie es zum Senden bereit. Etwas zögerlich nickte sie. Schien sich dabei aber überhaupt nicht sicher zu sein. „Du bist wirklich gut. Glaub mir das“, redete er noch einmal auf sie ein. „Jetzt lass uns Essen ja und dann gehen wir etwas an die frische Luft. Tut den Gemütern gut“, erheiterte Selina alle. Jamiro machte bereits Anzeichen, dass ihm das Essen nicht ganz bekam. Daher wechselte seine Frau den Platz hinter ihn und pickte zuerst zweimal in seinen Teller, bevor sie ihm mit einer Massage half.
„Du darfst aussuchen, wohin wir gehen, ja?“ Sie meinte seine Schwester. „Klingt es komisch, dass ich zur Seemannstr. 32 möchte?“ Es brach kurz bedrückendes Schweigen aus. „Nein, wenn du es möchtest, machen wir das.“ So gut gefiel ihm die Idee nicht. Es war ihr Elternhaus aber er spürte, dass sie dort irgendetwas brauchte. Sie waren ja bei ihr und so hart es auch klang aber ihre Eltern waren ja nicht mehr da, um ihr weh zu tun.
Solange wie Evelin und Selina aßen, herrschte Schweigen. Jamiro verließ den Tisch früher als die anderen und machte ein Auto für sie klar. Weil er hinausgegangen war, sah Tobias ihn, der gerade zur Arbeit aufbrechen wollte.
„Na. Welchen Teufelsplan heckst du denn aus?“ „Mehrere und einer ist ziemlich schlecht.“ Er berichtete ihm von ihrem Vorhaben. „Oh Backe aber es sind nun mal ihre, beziehungsweise eure Eltern. Irgendwie versucht man halt doch, ins Reine zu kommen, schätze ich. Du siehst schlecht heute aus.“ „Ich freu mich auch schon wieder tierisch auf meine Bettruhe.“ „Ein bisschen ist es ja noch hin. Solltest es genießen.“ „Glaub mir, das werd ich tun, auch wenn es zur Lage gerade echt wenig passt. Bei euch alles klar?“ „Ach, kennst uns doch. Honigblume und meine Ordnung sind Zündstoff für ganze Jahre.“ Er lachte. „Heute Abend führ ich sie wieder aus.“ „Du kannst Evelin die Kinder überlassen.“ „Nö, wir nehmen sie mit auf unseren Sonnenuntergang-Spaziergang. Nicht zu Ungut aber das wird perfekt werden.“ „Viel Spaß dann.“ Als er ihm das wünschte, fuhr seine Mutter mit dem bestellten Auto vor.
Sie stieg aus und rüttelte kommentarlos an seiner Schulter. „Danke fürs Bringen. Wir setzen dich natürlich zu Hause ab.“ Sie lächelte und meinte, dass es nicht nötig sei. Sie trinke noch was und gehe dann zu Fuß.
Ganz so kam es nicht. Wahrscheinlich hatten seine Frauen sie darum gebeten, mitzukommen. Jedenfalls begleitete sie sie und übernahm dann das Steuer. „Hast du ein bisschen ein Auge auf sie?“, flüsterte er seiner Frau zu, nachdem sie ihm auf den Beifahrersitz geholfen hatte. „Natürlich“, erwiderte sie freuend und suchte sich dann selbst den Platz direkt hinter ihm aus. Evelin schwang sich entschlossener als gewohnt auf den noch freien Platz.
„Ich hab Gregor auch mal ein Bild geschickt. Vielleicht hat er ja doch Interesse. Ich hab ihn ja nicht gefragt.“ „Richtig. Deine Bilder sind der Wahnsinn. Wer das nicht so sieht, der hat keine Augen.“ „Das klingt nicht so schön. Ich möchte niemanden die Augen ausmalen.“ „Was sie meint, ist, dass Geschmäcker unterschiedlich sind aber wir sind schon mal deine größten Fans.“ Sie lachte etwas verlegen.
„Ich wollte ironisch sein. Bei Gregor sieht das so einfach aus.“ Selina konnte sich kaum halten bei ''ironisch''. Gregor war eher Typ ''sagen und nach einer halben Minute nicht mehr so meinen'' aber gut, man konnte es auch als ''ironisch'' ansehen.
„Hab ich was Falsches gesagt?“ „Nein aber du und Gregor, ihr seit wirklich ein traumhaftes Paar. Absolut positiv.“ Sie riss sich die völlig überraschte Evelin in den Arm. Kurz darauf war sie schon wieder am Massieren. Bei ihrer Ankunft stieg zuerst seine Schwester aus. Beeilt folgte seine Frau, die ihn dann rausholte und in einen neuen Rollstuhl setzte.
„Und?“, hauchte sie ihrem Mann ins Ohr, der sich hauptsächlich wegen des Ortes unwohl fühlte. „Ich weiß nicht genau, was wir hier wollen aber ich möchte nicht, dass sie rübergeht.“ Ohnehin stand sie noch wie angewurzelt da. „Wenn sie das braucht, Schatz, werde ich sie begleiten, ja?“ Unkenntlich gab er einen Laut von sich. Es war weder eine Bestätigung noch etwas anderes von Bedeutung. Er starrte selbst nur hinüber. Er bildete sich ein, er könne es sogar riechen, dass sie einige Tage darin gelegen hatten, bevor man sich wunderte.
„Kannst du mitkommen?“ Evelin bat Selina darum und versteckte sich dabei auch etwas hinter ihr. „Klar!“, bestärkte sie nicht mehr ganz so aufgedreht und nahm sie in den Arm. Mehr oder weniger schob sie sie über die Straße. Vor dem Haus legte Evelin einen Schlüsselbund auf die Fußmatte.
Im selben Augenblick kam eine große, muskulöse Frau auf ihren Bruder zu. „Erkwin“, brummte sie, als hätte er gleich Ärger am Hals. „Frau Brown“, grüßte er mit einem leicht mulmigen Gefühl. „Das mit meiner Tochter, tut mir Leid.“ „Ihre Tochter hat sich ja entschuldigt. Kann ich etwas für sie tun?“ Er drehte sich zu ihr, damit sie ihn nicht die ganze Zeit von der Seite ansprach.
Mit einer ruckartigen Bewegung bekam er ihr Handy unter die Nase gehalten. Aus irgendeinem Grund hielt sie ihn für stark kurzsichtig. „Dieses Bild ist von ihrer Schwester, richtig?! Ich brauche ein Cover für einen Rocker, schafft sie das?“ „Sie ist talentiert.“ „Also gut, die erste Vorlage will ich zum 22.“ Während er noch mit ihr am Verhandeln war, hatte Selina über den Tod gesprochen.
„Ist es meinetwegen?“, fragte sie mit gesenktem Kopf „Nein, ganz sicher nicht. Es gibt Dinge im Leben, die kann nicht mal ein Jamiro lösen. Hey, es tut mir Leid mit deinen Eltern.“ Selina nahm sie für Minuten in den Arm. Solange, bis sie sich selbst löste. „Ich werde ab jetzt besser auf dich acht geben, ja? Du bist meine Freundin!“ Sie lächelte schwach. „Du findest es witzig, dass ich mit Gregor zusammen bin, oder?“ „Er ist komisch aber wenns sein muss auch ein echt guter Kerl.“ „Ich möchte wieder nach Hause.“ „Das machen wir!“ Sie nahm sie wieder in den Arm und brachte sie rüber.
„Und?“ Als er das fragte, war Aidens Tochter bereits gegangen. „Du hast eine Visitenkarte“, stellte seine Schwester verwundert fest. „Ich fördere deine Kunst! Du bist wirklich gut.“ „Ich weiß nicht. Ich kann einschätzen, was dir oder Selina gefällt aber mehrere … das macht mir Angst.“ „Lass es uns doch ganz einfach versuchen. Du hast mich, Selina, deinen Gregor und ich bin mir sicher, Aiden unterstützt dich auch ganz gerne. Lass uns ein paar Schritte gehen. Wenn du drüber nachdenken kannst, fühlt es sich sicher nicht mehr ganz so komisch an.“
Ganz so sehr schien sie die Idee nicht abzuschrecken. Sie schob Jamiro den Weg entlang, denn auch Aidens Tochter genommen hatte. Anstatt sie trafen sie aber eine andere Gestalt an. Eine dürre aber recht große Person, die mit gesenkten Kopf an einer Wand auf ihrer Straßenseite lehnte. Hin und wieder gab er einen Ton von sich, als übe er gedanklich einen Song. Seine langen Haare und der Hut verbargen jedoch sein Gesicht.
„Das nenn ich Zufall.“ „Was denn?“, flüsterte ihm seine Schwester genauso zu. „Das ist der Herr, dem du diese CD-Hülle machen sollst.“ Sie starrte ihn eine Weile schockiert an. Dann aber rannte sie weg und Selina hinterher. „Haben sie ein Problem?“ Der Rocker sah nur noch ihn, als er rüberschaute. Falten und eine Brille mit roten Gläsern dominierten sein Gesicht.
„Müssen sie hier durch? In der Mitte der Straße ist der Gehweg kaputt. Soll ich ihnen auf die Straße runter helfen?“ „Danke, das ist sehr nett.“ Der Mann ging hinter ihm und schob ihn behutsam rückwärts den steilen Gehweg hinunter. Bewusst bedankte er sich mit dessen Namen. Der Mann lachte. „Ich hatte nicht erwartet, dass ich hier einen Fan treffe.“ „Man trifft sie doch überall. Ich habe gehört, sie machen ein neues Album?“ „Eigentlich ist das noch geheim aber ja, da könnte was dran sein.“
Im Verlaufe des Gesprächs erfuhr er mehr über das Album, welches seine Schwester im sicheren Abstand mitverfolgte. „Er ist nett“, verkündete sie im Auto beschämt. „Vertraue ruhig deinem Gefühl. Du kannst das!“ Diesmal saß er hinten bei ihr und kämpfte gegen seine Müdigkeit an. „Ich weiß aber …“ Ihr Stocken verursachte Jamiro, der plötzlich eingeschlafen war und gegen das Fenster sackte.
„Er ist ein bisschen heiß“, meinte sie, als sie ihn bequemer hinrücken wollte. „Früher hat er oft Fieber bekommen, wenn er mehrere Anfälle hatte. In der Regel ist es aber nicht so hoch.“ Seine Mutter warf einen ernsten Blick in den Rückspiegel. Sie verschwieg etwas oder fühlte sich einfach nur machtlos.
Beim Aussteigen kam ihnen Gregor zur Hilfe, der auf Evelin gewartet hatte. „Bilder sind nicht so meins … also ich meine …“ „Schon gut, Kunst muss nicht jedem gefallen. Sie lächelte und nahm ihn mit in ihr Zimmer. „Du magst schließlich auch keine Zauberei und trotzdem gefallen mehreren Leuten Tricks.“ „So wie du das sagst, scheine ich mich kaum für irgendetwas zu interessieren.“ „Doch, hierfür.“ Sie zog eilig eine bunte Skizze hervor.
„Gefällt es dir? Es ist noch nicht fertig.“ „Das ist voll super! Alter, das ist geil!“ Natürlich unterbreitete er ihr ins kleinste Detail, welches Motorrad sie für ihn gemalt hatte. „Sorry, ich wollte nicht abschweifen.“ „Ich finde deine Freude schön. Leistest du mir Gesellschaft? Ich muss ein rockiges CD-Cover machen.“ Das nahm er sehr gerne an. Er sah sogar recht interessiert aus, während sie einen Entwurf nach dem Anderen zauberte. Später half er ihr dann bei der Auswahl.
„Hat dein Bruder mal wieder die Welt verbessert oder wie kommst du an so was?“ „Manchmal ist darüber reden nicht nötig. Manchmal muss man einfach nur reden. Belanglos, verstehst du?“ „Vermutlich. Wenns ne Metapher ist, versteh ich nur Bahnhof.“ „Macht nichts, du bist großartig.“ „War ich schon immer!“, sagte er stolz und warf ein Bild in den Eimer, auf dem fast fertig die Kreuz Buben Karte zu sehen war.
Langsam aber sicher lief Ichigawa die Zeit davon. Er war in seiner Forschung schon weit gekommen, ohne Frage. Immerhin gab es bereits jetzt schon die Möglichkeit auch die schwere Form der Krankheit in den Anfangsstadien zu heilen aber leider immer noch nichts, um seinen Probanden zu retten.
Vor zwei Minuten hatte er mit Jamiro telefoniert. Ihm die Neuigkeit mitgeteilt. Ganz seiner Art nach hatte er ihm natürlich Mut zugesprochen. Etwas, dass er sich innerlich auch irgendwie erhofft hatte. Doch war nach dem Anruf dieses innere Gefühl von Versagen noch größer geworden, so als hätte er ihm das genau Gegenteil gesagt.
Verloren sah er in den Spiegel auf, der an seinem Arbeitsplatz hing. Ohne dass er jedoch eine Gestalt darin sah, legte jemand seine Arme um ihn. Schließlich drückte seine Frau auch ihren Kopf gegen seine Wange. „Mach eine Pause“, flüsterte sie. Bevor er allerdings realisierte, dass sie untypischerweise deutsch mit ihm gesprochen hatte, sah er, dass sie eine Spielkarte in den Fingern hielt. Eine Pik sieben Karte.
„Schatz“, flüsterte seine Frau. Noch nie hatten sie in ihrer Beziehung Kosenamen benutzt. Zudem sprach sie wirklich Deutsch. Er hatte sich das nicht eingebildet. „Du bist müde“, stellte sie fest und öffnete nun für ihn sichtbar im Spiegel die Augen. Ihre Iris hatte eine komplett andere Farbe. Woher kam dieses Grün?
Sie lächelte ihm zu und schmiegte sich noch einmal an ihn. Als sie ihre Augen erneut öffnete, waren sie wieder normal. „Komm ins Bett“, sagte sie diesmal auf ihrer Muttersprache. Sie löste sich und ging wieder. Die Pik sieben Karte legte sie auf seinen Oberschenkel oder zumindest das, was davon übrig blieb. Ohne ihm weh zu tun, verbrannte sie zu Asche. Der schwache Qualm, der davon aus ging, traf den Lichtschalter und schaltete es aus.
Zwei Sekunden später wachte er erschrocken in seinem Bett auf. Das Radio brüllte los und berichtete von einem Magier Jamiro Erkwin, der in einer Halle in Amerika auftreten wolle. Mit seinem entsetzten ''Was'' brüllte er auch seine Frau aus den Federn. Ihr schien es gutzugehen, falls dieser Wahnsinn überhaupt schon vorbei war. Jamiro konnte nicht in Amerika sein. Nicht nur das er nicht fliegen konnte, er hatte doch eben mit ihm telefoniert oder war das schon gestern?
Total durch den Wind stand er auf. Versuchte, als er sich halbwegs gefangen hatte, herauszufinden, was hinter den Nachrichten steckte. Tatsächlich posierte überall im Netz dieses Gerücht. Er fand sogar Plakate. Plakate, auf denen er wirklich abgebildet war, ganz ohne jegliche Zweifel. Wieder völlig durcheinander rief er Jamiros Nummer an. Diesmal bekam er nur die Mailbox mit einem seltsamen Spruch, dass er nicht erreichbar sei weil er sein Handy für einen Trick benötigte.
Einen Trick? Was zum Teufel tat dieser Narr. Er war nicht fit genug für solch eine Nummer, die er hier angekündigt hatte und überhaupt seit wann trat er außerhalb von Deutschland auf? Er war gut aber eigentlich nicht weltweit bekannt.
„Wollen sie ein Autogramm?“ Die Stimme, die ihn hinterrücks ansprach, klang fast wie die von Jamiro, nur irgendwie tiefer. „Von einem Hochstapler?!“, fuhr Ichigawa außer Haut. Schleunigst wand er sich um, um diesem Kerl ins Gesicht zu sehen. Doch dieser schrumpfte sich in einen Kleiderhaufen. Welcher dann auch noch an ihm vorbeikroch. Wieder hinter ihm angekommen formte er sich zurück und grinste so frech, wie es Jamiro immer getan hatte.
„Treten sie doch in ihrem eigenen Namen auf, wenn sie etwas können!“ Ichigawa wollte an eine Täuschung glauben. An Eine, die haargenau so aussah wie der Magier. Nur die grünen Augen und die Stimme sollte man dabei vielleicht ignorieren. „Na dann würde ich ihn doch beleidigen, mein Vorbild.“ Dieses Grün wurde intensiver. Bekam etwas, das sich irgendwie in ihn zu bohren schien.
„Manchmal sind wir doch ungezogene Kinder, nicht wahr?“, sprach er gleich mit mehren Stimmen, die aber eher höher klangen und tatsächlich erschien noch sechs weitere von ihm. Allesamt hatten Ichigawa umstellt. Wobei der Erste von ihnen immer noch vor ihm stehen blieb und durch seine Augenfarbe am meisten auffiel.
„Bin ich immer noch so schlecht?“ Er grinste wieder und zog seinen Zylinder ins Gesicht. Seine Doppelgänger taten es ihm gleich aber nur er warf den Hut in den Himmel hinauf. Zwischen dem hochfliegenden Hut und seinem Kopf flatterten hundert weiße Tauben hervor. Aufgeregt flogen sie kreuz und quer, verpufften aber plötzlich in einem Kartenregen. In Kürze war der Boden um Ichigawa so hoch mit Spielkarten bedeckt, dass seine Schuhe darunter nicht mehr zu erkennen waren.
Der Magier lachte und seine linke Kopie ergriff daraufhin eine einzelne Karte aus dem Regen. Verhielt sich dann aber auch ebenso still wie die anderen. Sein Gesprächspartner wurde die rechte Kopie des Magiers. „Eine Kopie, wie schade.“ Symbolisch begann er zu flackern, was kein anderer tat. „Dabei sind doch meine Tricks so gut.“
„Fast hätte ich es vergessen“, erklangen die Stimme, der linken Kopie. Während er redete, rührte sich der von eben nicht mehr. Dafür kam der gerade Redende auf ihn zu. Bei ihm angekommen reckte er ihm die gefangene Pik sieben Karte entgegen, auf der eine originale Unterschrift von Jamiro zu sehen war.
„Ich rufe jetzt die Polizei!“, lehnt er diese geschmacklose Nachahme ab. Als er sein Handy hervorholte, griff die Mitte hin und löste es vor seinen Augen auf. „Ups, da ist es weg“, scherzte er bedrohlich. Nicht nur das Handy verschwand. Auch seine Doppelgänger waren wieder fort. Bei ihm war aber wohl die Stimmung gekippt. Selbst seine Augen hatten nun eine gelbliche Farbe mit katzenähnlichen Pupillen angenommen.
Trotzdem wurde der Forscher noch wütender auf den Mann. „Wenn sie den Magier doch so schätzen, dann sollten sie ihn auch respektieren!“ „Wer sagt, dass ich das nicht tue“, drang eine vierfache Stimme aus seiner Kehle, die auch noch von einem Zischen begleitet wurde. „Kennen sie diese hier?“, fragte er und ließ eine Katze in seinen Armen erscheinen. Mika begann zu fauchen. Aggressiv krallte sie sich sofort in seinen Anzug und zerfetzte ihn. Da er sie abwehren wollte, erwischte sie auch seinen Arm. Wobei eine weitere Ähnlichkeit zu Jamiro auffiel, die exakt selbe Vernarbung. War er es etwa doch?
Panisch, da die Wunde wohl tiefer ausgefallen war, ging Ichigawa auf ihn zu und drückte etwas drauf. Die Katze löste sich im Hintergrund in Luft auf. Leise vernahm er das Zischen, welches die Stimme zuvor untermalt hatte.
„Sehen sie mal dort“, befahl er nach einer Weile in einem vertrauten Klang. Deshalb sah er auch wirklich nach. Doch da war nichts. Zurückgewannt, war auch der Magier nicht mehr da. Alles, was von der Begegnung übrig blieb, war eine einzelne unterschriebene Pik sieben Karte und das in schwarzem Blut getränkte Tuch. Schockiert warf er es weg. Nach einige Minuten des Verzweifelns beugte er sich zu der Spielkarte hinunter.
Beim Hochgehen jedoch kam er an seinem Labortisch vorbei und hatte nicht die Karte, sondern ein zerbrochenes Reagenzglas in der Hand. Verdattert blickte er sich im Spiegel an. Da trat auch schon seine Frau herein. Er sah sie gespiegelt aber diesmal hatte sie keine grünen Augen.
Seine Frau meinte jedoch nur, auf ihrer Muttersprache, dass er endlich eine Pause machen solle. „Gleich“, erwiderte er völlig durcheinander auf Deutsch. Noch panischer rief er Jamiro an, der auch ran ging. „Haben sie etwas vergessen?“ Er klang nicht so überrascht, wie er es sein sollte. „N … Nein. Ich ähm … wo … wo sind sie gerade?“ „Im Bettknast.“ Er lachte. „Mal ehrlich, Sasori bräuchten sie nicht mal eine Pause?“ Irgendwas von ihm wollte glauben, dass er in seiner Stimme ein Zischen vernahm.
„Wie geht’s ihnen?“ Die Leitung blieb still. Stattdessen tippte eine Männerhand auf seine Schulter. Wieder dieser Hochstapler! Sein Lächeln darüber, dass er ihm seinen Schlüsselbund zeigte, spürte er, als würde es durch in durchbrennen. Er entriss ihm den Schlüssel, in der Hoffnung ihn auch ein klein bisschen weh zu tun.
„Was soll das!“, schrie er noch mit ins Telefon hinein. „Alles in Ordnung bei ihnen?“ Es war also wirklich nicht Jamiro, der hier sein Unwesen trieb. „Hörn sie, sie halten jetzt ihre Bettruhe, so wie es ihnen gesagt wurde.“ „Ich bin immer noch dort“, unterbrach er sofort. Der Magier vor ihm winkte ihm mit dem Finger zu sich. Da er dem nicht nachkam, ging er selbst einen Schritt auf ihn zu. „Fragen sie doch mal, ob er genau diese Karte bei sich hat.“ Sein Lachen war leise und finster.
„Eine ganz dumme Frage, haben sie ihre Karten bei sich?“ „Ich steck wohl jeden mit Pik Ass Karten an. Ja, sie sind bei mir. Ich muss mich ja beschäftigen. Wollen sie einen Trick? Zur Entspannung vielleicht. Sekunde.“ Vermutlich stellte er ihn auf laut, um die Hände für einen Trick freizuhaben.
„Also. Ich habe vier Karten mit schwarzen Symbolen.“ Diese hatte der grinsende Typ vor ihm auch. Doch er machte hingegen von Jamiro weiter, da er eine Schmerzattacke bekam. Er strich mit dem Finger über die Karten entlang. Jede einzelne, die er berührte, ließ ihre Vorderseite auf der Rückseite erscheinen. Beim Wischen über die neuen Vorderseiten machte er es wieder rückgängig und packte sie fröhlich wieder in seine Tasche.
Mit einer übernatürlichen Armlänge griff er an Ichigawa vorbei und nahm sich die Scherben vom Tisch. Eingeschlossen in seiner Faust verzog er kurz das Gesicht, ließ aber unverletzt ein mit schwarzer Flüssigkeit gefülltes Reagenzglas erscheinen. Er steckte es zu den Anderen und wurde auf einmal ernster.
Erneut bat er ihn eindringlicher auf ihn zuzukommen und Ichigawa tat es, obwohl er einen geballten Hass auf diesen Mann hegte. Plötzlich löste er sich in Luft auf. Rechtzeitig bemerkte er, dass seine Frau im Hintergrund mit der Leiter kippte. Durch alles zuvor konnte er alles verhindern.
Seine Frau stieg hinunter. War in dem Moment erleichterter als er. „Alles in Ordnung mit dir?“ „Dieser Jamiro … er hat wirklich Kräfte.“ Besorgt strich sie über seinen Arm. „Du arbeitest pausenlos für ihn.“ „Das hör ich aber nicht gern“, erklang es gequält aus der Leitung. „Ist ihre Frau nicht da?“ „Ich konnte sie schlecht rufen. Nehmen sie sich frei, Sasori. Machen sie sich einen schönen Tag mit ihrer Frau. Ich leb auch noch eine Weile, versprochen.“
Nachdem Ichigawa von einem offensichtlichen Doppelgänger überrumpelt worden war, bekam Aiden eine ähnliche Situation von seiner Frau beschrieben. Als er sie auslachte, wedelte sie mit einer Spielkarte vor seiner Nase herum. „Und wie erklärst du dir das?“ Er griff nach ihrer Hand, damit sie aufhörte. „Du warst in einem Casino mit Bar und hast zu viel getrunken“, knurrte er und ließ ihre Hand wieder los. Ihrem Schütteln zur Folge hatte er sie zu fest gepackt. Jedoch trat sie wieder in seinen Weg. „Weißt du noch?“, begann sie fröhlich. Offenbar erinnerte sie sich an etwas Schöneres, als er es mit seinem Murren zu erwidern gab.
„Handsome“, schäkerte sie. „Lass diese Liebelei! Deine Tankstelle schon geschlossen?“ „Du sagst es, meine Tanke. Warum hast du eigentlich nichts gesagt, wegen deiner Farm? Erfahre ich das von deinem Freund.“ „Von dir nehm ich kein Geld!“ „Aber von jemanden, der ernsthaft krank ist.“ „Sein Problem! Gefragt hab ich ihn nicht.“ „Aber dankbar bist du.“ „Honey, was willst du?“ „Eine Verabredung!“ Sie lächelte schief und legte zwei Karten auf den Tisch. Ausgerechnet eine Magiershow musste es sein.
„Amy, danke aber nein, das werde ich mir nicht antun.“ Obwohl sie eine Abfuhr erhalten hatte, strahlte sie übers ganze Gesicht. „Du hast doch hoffentlich nicht diesen Hochstapler hier her eingeladen?“ Das fröhlich Schweigen schrie ihm gerade zu ein Ja entgegen. „Nicht dein Ernst!“ Freudig hakte sie bei ihm unter. „Jetzt hab dich nicht so“, meinte sie und tat ihr bestens ihn mitzuzerren.
Genervt gab Aiden irgendwann nach und folgte ihr. Auf dem Zaun bei den Rindern saß Jamiro mit gesenktem Kopf. Das überraschte ihn so sehr, dass er kurz wieder stehen blieb. „Jamiro Erkwin, dein Freund aus Deutschland.“ Das ''Freund'' gefiel ihm überhaupt nicht und ließ ihn die eiserne Miene verziehen. Es reichte vollkommen, dass er sein Schwager war. Ein nerviger Dummkopf.
Desinteressiert an dem Gast wandte er ihnen den Rücken zu und zückte sein Handy. „Nein, du telefonierst jetzt nicht!“ Amy gelang es, den Anruf wegzurücken und weitere Versuche zu verhindern. „Es ist schön, dass sie das für uns machen“, strahlte sie jetzt schon hellauf begeistert. „Schön?“ Jamiro sah endlich auf. So wurde klar, er war jenes Wesen, dass auch Ichigawa aufgesucht hatte.
„Ein paar Blumen für die Gnädigste.“ Es blitzte zu nächst ein gelbes Licht in seiner rechten Hand auf, bevor darin allerlei Grünzeug und eine Hortensienblüte erschien. Auf gleicherweise erschuf er Artischockenblüten und Rosen in der linken Hand. Beides schlug er mit schlecht imitierten Grinsen zusammen und erhielt plötzlich einen größeren Strauß. Als hätte es die vorherigen Bestandteile zerfetzt, flog Staub um ihn herum.
Amy trat heran und nahm den Strauß ab. „Damit sie ihrer Frau auch etwas schenken, die Blumen bräuchten womöglich etwas Wasser.“ Es war irgendwie vorhersehbar, das Aiden sich den am Zaun hängenden Metalleimer nehmen würde.
„Komm“, stoppte ihn der Magier. „Ich helfe dir etwas.“ Er hob beide Fäuste aufeinandergestapelt über den leeren Eimer und ließ aus dem Nichts klares Wasser hineinlaufen. Am Ende schlug er gegen das Behältnis, wodurch es plötzlich mit einem roten Band versehen war.
„Mit Liebe verpackt, ist auch ein Eimer ein Geschenk von Herzen.“ „Mein Mann ist ein Geschenk von Herzen!“, prahlte sie und Aiden schien tatsächlich rot zu werden. „Das solltet ihr euch öfters sagen.“ Er lächelte und senkte den Kopf herab. Scheinbar war er müde.
„Mit lieben Worten kann man kein Stall ausmisten“, wollte er sich über sein schwächliches Gegenüber lustig machen. Doch er wies darauf hin, dass dies bereits geschehen war. Jede Box war gereinigt, auch auf der Wiese und dem Hof gab es keinerlei Hinterlassenschaften zu sehen.
„Magie scheut auch Arbeit nicht, wenns der Liebe ein bisschen auf die Sprünge hilft.“ Nach seiner Aussage rutsche er vom Zaun herunter. Das Grün wurde so gleich intensiver, wie er ihm direkt in die Augen schaute. „Es ist Zeit …“, begann er ernst, setzte dann aber eine Maskerade auf. „Es ist Zeit, eine Karte zu ziehen. Vielleicht auch, um ein Spiel zu spielen.“ Zittrig hob er ihm einen Kartenstapel hin. Dass er dabei die Unterarmnarbe sah, war eindeutig Absicht.
„Es wäre besser, jetzt aufzuhören!“, mahnte er und nahm das gesamte Deck an sich. Letztlich hielt er aber nur eine Kreuz fünf in der Hand. „Geht doch!“, meinte das Wesen und wirkte auf einmal wieder fitter. Die grünen Augen nahmen einen natürlicheren Farbton an. Überhaupt fielen ihm jetzt Züge auf, die Jamiro gar nicht mehr ähnlich sahen. Das hier war weder Jamiro noch das, was seine Frau beschrieben hatte. Seine Skepsis stand wohl so deutlich im Gesicht, dass sein Gegenüber sein blondes Haar entblößte.
„Ich werde wohl nie so gut sein wie er“, lachte er froh darüber, nicht mehr so zu tun wie er. „Jamiro bat mich, sie auf ihrer Farm zu vertreten.“ „Wozu?“ Für die Antwort wies er nur auf die Karten in seiner Hand hin. „Was soll ich mit einer Schiffsfahrt?“, knurrte Aiden. „Was eine Schiffsfahrt?“ Seine Frau freute sich hingegen sehr und riss ihm die Tickets aus der Hand.
„Das hast du mir vor Ewigkeiten versprochen.“ „Und auch erfüllt, wenn du dich erinnern würdest.“ „Jetzt sei nicht so, nur weil dir dieser Kartenmann, Karten schenkt, musst du doch nicht eingeschnappt sein.“ Der Unbekannte lachte. „Kartenmann, der Karten schenkt?“ Der Fremde empfand es ziemlich amüsant. Aiden und seine Frau hingegen nicht.
Würde er das Geschenk ablehnen, würde sie ihm das für sehr lange Zeit übelnehmen. „Wie genau kennen sie ihn?“ „Also mal überlegen. Ich bin die Kreuz fünf oder auch Liano Tämler. Rufen sie doch an“, sagte er und warf ihm sein Handy zu, welches er seiner Frau wohl irgendwann abgenommen hatte. Mit seiner üblichen Art versuchte er es tatsächlich.
„Seh schon, meine Überraschung war nicht so gut, was?“ „Dieser Vogel …“ „Ist auf meinem Mist gewachsen. Liano Tämler.“ Für eine Weile sprach keiner. Dann aber wurde Aiden etwas deutlicher. „Rufen sie meine Schwester von der Arbeit!“ Ein schwaches Auflachen wurde kurz hörbar. „Sie sind immer willkommen, Herr Brown.“ „Soll das etwa eine Einladung sein?“ „Ich schätze, die bräuchten sie nicht einmal. Wollen sie noch etwas?“ „Tun sie einfach, was ich ihnen gerade gesagt habe!“ Er legte auf und erntete verwirrte Blicke, als er „Gut“ knurrte.
Bemüht sanfter zog er seine Frau zu sich her. „Du willigst tatsächlich ein?“, war sie überrascht. „Tu nicht so, als wäre ich der unromatischste Mensch der Erde.“ „Das bist du. Du bist so romantisch, wie ein Abendessen neben dem Misthaufen.“ „Spiel noch weiter mit meiner Geduld und ich überlegs mir nochmal. Und sie da! Höre ich eine Klage, lernen sie mich kennen! Verstanden? Sagmal musst du nicht nach Hause oder so?“ Wahrscheinlich kam er nur wieder auf sie zurück, da sich ihre Allergie bemerkbar machte. „Nö aber du kannst mich gern fahren, wenn du gepackt hast.“
Selinas Tag hatte schon irgendwie nicht gut begonnen. Nun aber auch noch den halben Tag in dem leeren Massagesalon verschwendet zu haben, gab ihr ein Gefühl, dass sie zwischen Wut und Unruhe einstufte. Sie packte schnell ihre Sachen und hatte nichts anderes im Kopf, als dass ihr Mann seiner Unvernunft wieder Folge leistete. Woher sie das so sicher wusste, stand in den Sternen.
Eigentlich war er hingegen zu ihr am Morgen ziemlich entspannt gewesen. Wie immer nach seinen Medikamenten hatte er Appetit von mindestens drei Personen gehabt. Außerdem war er auch ganz normal schwer zu überzeugen nicht ihr das Frühstück ans Bett zu bringen. Alles nichts, was sie beunruhigen musste. Das war ihr Jamiro wie eh und je.
So halb berappelte sie sich und warf sich ihre Tasche schwungvoll über die Schulter. Irritiert erblickte sie danach eine Karte aus Pik Ass Deck. Diese hatte einfach so unter ihrer Tasche gelegen, als wäre sie wirklich magisch. Zuerst wollte sie es gar nicht anfassen. Es widerstrebte ihr auf ganz eigenartige Weise. Trotzdem zwang sich. Diese Karten gehörten zu Jamiro wie ein Deckel zu seinem Topf. Sie dachte noch, was dies für ein lahmer Vergleich sei und überwand sich, die Karten endlich zu nehmen.
Obwohl sie ja jetzt eigentlich Freude empfinden sollte, dass sie ihrem Mann noch eine seiner liebsten Karten zurückbringen konnte, fühlte sie sich tief unten in einem schwarzen Loch. Das Gehen fiel ihr schwer und plötzlich musste sie auch noch weinen. Einfach so. Was war denn mit diesem Tag bloß los?
Im Haus traf sie nur auf Evelin, die ziemlich nervös war. Sie schien wohl einen ebenso miesen Tag zu haben wie sie. „Alles in Ordnung?“ Mit ihrer Frage ahnte sie bereits, dass Jamiro seinem Bett launisch entflohen war. „I … ich konnte nicht.“ „Schon gut. Ich kann Jamiro auch nicht in seinem Bett halten.“ Sie zu trösten beruhigte sie selbst ein bisschen.
„Ich darf nicht unsere Eltern in ihm sehen. Das ist er nicht! Er ist so nicht!“ Wütend schlug sie gegen die Arbeitsplatte. „Es ist schon okay, mal Angst zu haben. Du hast echt viel durchgemacht.“ „Trotzdem! Ich will mich nicht immer verkriechen. Ich kann meinem Gefühl vertrauen. Wir müssen ihn suchen.“ Ein bisschen verunsichert von dem, was sie mit ihrem Gefühl meinte, schaute sie auf ihre Herz vier Karte.
„Er ist so ein Dickkopf“, meinte sie leicht schmunzelnd und steckte die Karte in ihre Tasche. „Wir finden ihn mit der Hilfe seiner Karten.“ Zuversichtlich packte sie Evelin am Arm und ging mit ihr zum Auto. „Seine Stimmung war eher bedrückt, glaube ich. Sein Motorrad steht auch noch da. Wir brauchen etwas Tristes und in der Nähe liegendes.“ „Es gibt eine verlassene Fabrik in der Nähe, die ist mir heute erst aufgefallen.“ „Das klingt nach etwas, dass er heute aufsuchen würde.“ Evelin klang sich ziemlich sicher dabei und schwang sich sofort auf den Beifahrersitz. Eilig ging Selina zum Steuer.
Doch kaum saß sie, schnellte Evelin wieder hinaus. „Warte eine Sekunde“, befahl sie noch einmal hinein gebeugt. Als hätte sie hellseherische Fähigkeiten, zog sie einen kleinen Jungen hinter dem Auto hervor, den Selina so fast überfahren hätte. „Man spielt nicht hinter Autos!“, knurrte sie streng. „Lauf nach Hause, du kleiner Ausreißer.“ Der kleine Junge drückte Evelin etwas ehrfürchtig in die Hände und eilte davon. Ohne ihre Ernsthaftigkeit zu verlieren, setzte sie sich erneut auf den Beifahrersitz.
„Er spielte im Totenwinkel, du hättest ihn nicht sehen können und das hier wird Jamiro freuen. Das weiß ich.“ In ihrer Hand lagen jede Menge Spielkarten. „Du kannst Fahren. Ich weiß, dass er dort ist. Wir werden ihn finden und zwingen nach Hause zu kommen.“ „Das klingt nach einem Plan“, versuchte Selina ihre Stärke anzupassen.
Das brachliegende Gelände war riesig und offensichtlich mal einem Brand ausgesetzt gewesen. „Jam?! Jamiro, bist du hier?“ „Ich glaube, er wird uns nicht antworten wollen.“ Seine Schwester hob ein beschädigtes Handy vom Boden auf. „Ach, er hat es wahrscheinlich nur verloren.“ Zittrig nahm sie es ihr ab und machte es mit einer Berührung an. Eine nicht abgeschickte Nachricht an sie war noch offen, die sie bat zu gehen.
„Was soll denn der Blödsinn?“, regte sie sich sofort auf. Nur Evelin blieb ruhig. „Er fühlt sich schlecht, weil er eine Last für uns ist. Wie du schon sagtest, er ist ein Dickschädel.“ Scheinbar hatte sie eine grobe Ahnung, wo sie zu suchen sollten. Sie ging zielstrebig in eine Richtung, wohin ihr ihre Schwägerin hastig folgte.
„Oh Gott! Jam!“ Ihr Mann lag in einer verdreckten, dunklen Ecke verborgen. „Was tut ihr hier?“, krächzte er unter starken Schmerzen. „Was er meint ist, dass du dich bitte kurz wegdrehen sollst.“ „Ich werde den Teufel tun! Was soll das denn?“ Evelin ging einfach vor und legte ihm ihre Jacke um. „Jetzt kannst du herkommen.“
„Was soll das, verdammt?!“ Als sie sich zu ihm setzte, zuckte er zusammen. „So schlimm?“ „Ich glaube, er blutet innerlich“, warf seine Schwester nun doch besorgt klingend ein. „Was meinst du?“ Ihre Frage war hingegen mehr eine Drohung. „Dass ich sterbe, Selina. Hier, egal was ihr tut.“ Schwerfällig griff er ihre Hand. „Ich wollte nicht dort sterben, wo ihr dabei seit.“ „Das ist doch Unsinn! Ich rufe dir jetzt einen Arzt!“ Jamiro versuchte nicht einmal ihr das Handy wegzunehmen.
„Du schaffst das, bitte.“ Sie weinte weil ihr klar wurde, dass er recht hatte. „Er hatte Angst vor uns zu sterben“, übersetzte seine Schwester einen schwachen Versuch. „Nein, du stirbst nicht! Okay?! Wir sind bei dir.“ Ein müdes Lächeln zog sich auf seinem Gesicht. „Weiß ich.“ In seiner langen Pause kroch seine Schwester zu seinem Kopf. Selina setzte sich schließlich auf die noch frei Seite. „Ich … ich werde so hell für euch leuchten, wie ich kann.“ Ihm selbst kamen schon die Tränen.
„Das ist doch alles Unsinn hier. Du musst in die Klinik.“ Ihre Verzweiflung war nicht zu verstecken. Doch trotz ihrer Mühe starb Jamiro im Krankenhaus, fünfzehn Minuten nachdem er ein Schmerzmittel bekommen hatte. Zehn Minuten nach seinem Tod stürmte Aiden zur Tür herein. Geschockt bremste er noch unter dem Türrahmen ab und versuchte mehr schlecht als recht eine Spielkarte hinter sich zu verbergen. Zu erkennen war auf Jamiros Brust der Versuch, seine magischen Karten einzusetzen. Die Letzte jedoch klemmte zwischen den Fingern des Schwagers, wenn auch halb verborgen.
Er nahm die Frauen in den Arm und mied es auch nur etwas dazu zu sagen. Am Ende schob er sie nur aus dem Raum. Dort meinte er milde, dass jemand mit der Familie des Kartenonkels sprechen wollte. Als er denjenigen offenbarte, entpuppte es sich als der Junge, der hinter dem Auto gespielt hatte. Hastig drückte dieser Selina drei rote Rosen in die Hand. Evelin bekam kleine, kunstvolle Ohrringe.
„Er hat auch gesagt, dass ich nach Hause soll“, erzählte er beschämt. Daraufhin ging Evelin vor ihm in die Knie und strich ihm ganz sanft über den Kopf. „Sind die Dinge gestohlen, die du uns gegeben hast?“ „Nein“, empörte er, senkte aber kurz darauf trügerisch seinen Blick. „Ehrlich nicht“, wurde er ganz leise.
Im Anschluss sah er sie wieder an. „Ich wollte mich entschuldigen … bei Kartenonkel und dir.“ Er trat vor Selina, die noch ganz starr vor Verwirrung dastand. „Wieso entschuldigen?“, löste sie sich. „Na ja, dass ich dir vors Auto gelaufen bin, bin ja keine vier mehr.“ „Und wie alt bist du?“ Wie aus der Pistole geschossen nannte er voller Stolz das eigenartige Alter von 5,9. Danach griff er die Hände der beiden.
„Bei Kartenonkel wollte ich mich entschuldigen weil ich ihn bei unserem Spiel betrügen wollte.“ „Ihr habt gespielt? Bei der Ruine etwa?“ Der Kleine nickte traurig und gestand, dass er ihm das Leben gerettet hatte. Wie das genau gab er nicht preis. Er wimmelte die Fragen gekonnt ab und wurde dann schließlich von seinen erleichterten Eltern eingesammelt.
Am End der Geschicht' lagen die magischen Karten in einer unheilvollen Regennacht im Briefkasten eines kleinen Jungen gut verpackt. Möget ihm die grüne Augenmacht ein Leben in Glück und Magie verschenken, auf das sich seine Träume zu erfüllen wagen. Man hoffe, dass sie ihre nachtragende Art verliere und sie ihrem neuen Herrn gerne diene. Trotzdem endet nun die lange Geschicht' vom Magier, dessen Vernunft Spielkarten glich.
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AnkeSabineB • Am 26.05.2021 um 20:27 Uhr | |||
Bisher gefällt mir das geschriebene sehr gut. Ich mag deinen Schreibstil, er liest sich flüssig und angenehm. Ich freue mich auf mehr davon. Mach weiter so �� | ||||
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Kapitel: | 54 | |
Sätze: | 14.146 | |
Wörter: | 122.424 | |
Zeichen: | 701.725 |