Es klingt wie ein Märchen und doch ist die Geschichte wahr! Unter dem Blauen See unweit der Rübeländer Höhlen schläft ein riesiger Drache. Ich habe ihn gesehen.
Eine alte Prophezeiung, die schon fast in Vergessenheit geriet, erzählt vom Drachen URBAN aus dem Elbingetal [1]. Vor langer langer Zeit lebte er dort und beschützte die Berge und ihre zahlreichen Erzgänge und tief liegenden Bodenschätze. Kein Wesen sollte dort graben und seine Heimat zerstören. Doch dann traf ihn ein böser Zauber und der wurde bis heute nicht gebrochen. Seit dieser Zeit wird in den Bergen geschürft , doch nur solange, bis der Zauber gebrochen wird und Urban [2] wieder seine Heimat beschützt.
Es war wieder einmal sehr schönes Wetter. An solchen Tagen ruhte sich Urban gerne am Ufer des Blauen Sees aus und beobachtet das Lichtspiel der Sonne auf dem Wasser bis sie unterging. Manchmal döste er so lange vor sich hin, bis der Schlaf ihn überwältigte und er die Nacht am Ufer verbrachte. Darauf hatte der mächtige Brockengeist HARGON [3] nur gewartet.
Schon vor vielen Jahren war er einen Pakt mit den Menschen eingegangen und nun konnte er sein Versprechen erfüllen - die Menschen wollten endlich ohne Angst vor dem Drachen in den Bergen nach Silber und seltenen Erzen schürfen. Und auch er würde von den Reichtümern profitieren. Also hatte er sich wochenlang am See auf die Lauer gelegt und gewartet, dass Urban an einem lauen Sommerabend am Ufer einschläft. Jetzt, wo es endlich soweit war, eilten wie aus dem Nichts unzählige Zwerge, Berggeister und Trolle herbei und warfen ein riesiges feines Netz über den friedlich schlafenden Drachen. Es war kein gewöhnliches Netz, denn es war aus magischem Feuerkraut [4] gewebt. So konnte er sich nicht mehr bewegen und lag wehrlos da, fest an den Boden gespannt.
Erst jetzt trat der Brockengeist aus der Dunkelheit des nahen Waldes hervor. Der See wurde inzwischen von hunderten Irrlichtern erhellt und sein Blick wirkte böse und hämisch. Hargon trat in stolzen Schritten auf Urban zu und legte ihm eine Erdkröte auf den Kopf. Dann sprach er zu ihm: "Du sollst am Grunde des See schlafen und erst wieder erwachen, wenn ein Jahr lang keine Wasser darin gestanden hat." Erst nach einem Jahr Trockenheit zerfällt Feuerkraut zu Staub und dann würde den Drachen nichts mehr gefangen halten können.
Urban wehrte sich nicht und begab sich ruhig in sein Schicksal. Mit fester Stimme sprach er den Brockengeist an: "Hargon, ich werde mein Schicksal ertragen weil ich weiß, wie gierig die Menschen sind. Sie werden es sein, die mich von dem Fluch befreien. Wenn sie zu tief hier im Berg graben, wird das Wasser durch riesige Spalten aus dem See fließen und er wird austrocknen, sodass ich wieder frei bin!" Dann versank er in der Tiefe des Blauen Sees. Am nächsten Morgen hörte man keinen Vogel zwitschern und das türkisblaue Wasser hatte sich in einen grünen Tümpel verwandelt.
Doch vielleicht ist es bald soweit und ein Windhauch weht das vertrocknete Feuerkraut weg. Urban wird seine Flügel erheben und mit Getöse fällt Gestein von ihm herab und er schwingt sich in den Himmel hinauf. Schon jetzt kann man sein versteinertes Gesicht am Ufer des fast leeren Sees erkennen. Nur noch schmutzig grünes Wasser hält das Feuerkraut frisch. Sollten die bösen Berggeister nicht rechtzeitig durch die vielen kleinen Spalten wieder Wasser in den Seetrichter füllen, dann werden wir erleben, wie uns der Zorn des riesigen Drachen erschüttern wird.