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Nicht gesucht, dennoch gefunden

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15.02.19 23:03
12 Ab 12 Jahren
Homosexualität
Fertiggestellt

Marlon stöhnte auf. „Jetzt komm schon Bruderherz. Es wird bestimmt nett werden“, lächelte Nina und versuchte ihm die Party schmackhaft zu machen. Er hatte wenig Lust darauf seinem Ex Chris über den Weg zu laufen und die Chance war sehr groß, dass er ebenfalls auf der Party war. Seine Schwester – sie war fünf Minuten älter, als er – schien seinen Gedankengang erraten zu haben. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm und übte sanften Druck aus.

„Dann ist der Arsch eben auch auf der Party. Na und? Er hat dich sowieso nicht verdient, wenn er dich nicht zu schätzen wusste“, sagte Nina mit einem zornigen Funkeln in ihren blauen Augen. Gemocht hatte sie Chris nie wirklich. Sie hatte ja Recht, aber es schmerzte Marlon immer noch, obwohl die Trennung bereits acht Monate her war. Chris war seine erste große Liebe gewesen und dieser hatte ihn bloß ausgenutzt. Sie hatten nicht dasselbe gewollt. Während Marlon sich nach einer ernsten, festen Partnerschaft gesehnt hatte, wollte Chris nur seinen Spaß und nichts Ernsthaftes. Er hatte sich nebenher noch mit zahlreichen anderen Männern getroffen. Marlon war am Boden zerstört gewesen, als er das herausgefunden hatte. Eigentlich hatte er es schon von Anfang an gespürt, wollte es aber nicht wahr haben. Dieses Gefühl hatte ihn die ganze Zeit begleitet. Doch er wollte die Anzeichen nicht beachten.

Vielleicht wurde es langsam Zeit sich seinen Dämonen zu stellen. Ewig konnte er ihm ja eh nicht aus dem Weg gehen. Irgendwann würden sie sich ungeplant über den Weg laufen und dann würde es ihn mit voller Wucht treffen und den Boden unter den Füßen wegziehen. Dann doch lieber vorbereitet auf der Party.

„Okay. Du hast gewonnen, Schwesterherz“, knurrte Marlon.

„Danke“, flötete Nina, drückte ihm einen dicken Schmatzer auf die Wange und verschwand aus seinem Zimmer. Ein tiefer Seufzer entwich dem blonden jungen Mann. Es half nichts. Er würde nicht kneifen. Nebenan im Zimmer seiner Schwester  fiel irgendetwas auf den Boden, dem Klang nach ein Schuhkarton. Seine Schwester und ihre gigantische Schuhliebe. Belustigt schüttelte er seinen Kopf. Die Zwillinge bewohnten zusammen eine WG in München. Es kam zwar ab und an mal zu Reibereien und es folgen auch schon mal die Fetzen, aber das war unter Geschwistern normal. Nur dauerte ihr Streit nie lange an, dafür standen sich Nina und Marlon viel zu nahe.



 

+++





Marlon stand bereits fertig im Flur und wartete auf seine Schwester, die mal wieder nicht fertig war. Doch das kannte er schon von ihr. „Nina, wie lange dauert es bei dir noch?“, wollte er leicht ungehalten wissen. Es nervte ihn teilweise schon, dass er fast immer, wenn sie ausgehen gingen, auf seine Schwester warten musste.

„Ich bin gleich so weit, aber meine Haare wollen nicht so, wie so sollen“, kam es leicht verzweifelnd von ihr. Marlon seufzte auf.

Nach fünf Minuten war Nina endlich fertig und verließ das Badezimmer. Ihre langen hellblonden Haare trug sie zu einem hohen Dutt. Anscheinend hatte sie aufgegeben sich ihre angestrebte Frisur zu machen. Der Dutt stand ihr aber ausgezeichnet.

„Bist du jetzt fertig? Können wir los?“, wollte Marlon wissen. Seine Stimme klang leicht genervt.

„Klar. Wir müssen nur noch Alina abholen und dann können wir zum Starnberger See fahren.“ Er nickte. Da die Party am Ufer des Sees stattfand, trugen die Zwillinge legere Kleidung. Marlons Outfit bestand aus seiner hellblauen Jeans, eines dunkelblauen Shirts – was seine Augen betonte – und weiße Nike Air Max, das seiner Schwester bestand ebenfalls aus seiner hellblauen Jeans, eines blau-weiß gestreiften Shirts und weiße Converse Ballerinas. Sollte es abends kühler werden, wollte beide noch eine Jeansjacke mitnehmen. Nina schulterte noch eine Tasche, in der sie das Nötigste verstaute. Ihr Bruder hatte sich als Fahrer angeboten und würde auch später wieder nach Hause zu fahren. Die Zwillinge wechselten sich mit Alina beim Fahren ab. Das machten sie schon so seit sie den Führerschein gemacht hatten.



 

+++





Zehn Minuten später hielt Marlon vor dem Haus indem Alina wohnte. Gut gelaunt stürmte die junge Frau aus dem Haus und stieg zu den Zwillingen ins Auto. Es folgte eine herzliche Begrüßung bevor Marlon losfuhr.

Nach einer fünfzigminütigen Fahrt kamen sie am Starnberger See an, er parkte seinen Golf und sie stiegen aus.

Die Mädels liefen auf direktem Weg zu ihren anwesenden Freundinnen. Marlon hatte keine Lust auf das teilweise hohle Gelaber. Eigentlich mochte er nur Alina, die anderen Freundinnen seiner Schwester fand er übertrieben, aufgesetzt und gekünselt. Richtig verstanden hatte er noch nie, wieso Nina und Alina mit diesen Tussis befreundet waren. Doch das war nicht sein Problem. Er musste sich ja nicht mit ihnen abgegeben.

Er beschloss erst einmal eine Runde zu drehen, Marc für die Einladung zu danken und hoffentlich nicht direkt auf Chris zu treffen. Vielleicht war er ja noch gar nicht auf der Party. Es konnte ja auch sein, dass er gar nicht kam. Der junge Mann wollte nicht mehr an seinen Ex denken und sich den Abend vermiesen lassen. Marlon war erst ein paar Meter gegangen, als er auf den Gastgeber traf, ein paar belanglose Worte mit ihm wechselte und dann seine Runde fortsetzte. Er holte sich eine Cola, setzte sich auf eine der zahlreichen Sitzmöglichkeiten und trank einen großen Schluck seines eisgekühlten Getränkes.

Von seinem Ex keine Spur. Was den jungen Mann beruhigte. Er musste ihm auch nicht unbedingt begegnen. Darauf konnte er verzichten. Sollte er ihm aber begegnen, dann wäre es so. Chris durfte nicht mehr die Kontrolle über seine Gedanken und sein Leben haben.

Die Party langweilte ihn und wenn er alleine zu der Party gekommen wäre, hätte Marlon nicht lange gezögert und wäre nach Hause  gefahren. Doch seine Schwester und ihre beste Freundin würden mit Sicherheit noch nicht nach Hause wollen, also musste er noch etwas ausharren. Also zog er sein Handy aus seiner Hosentasche und beantwortete einige WhatsApp-Nachrichten.

Seine Cola hatte er mittlerweile ausgetrunken und er wollte sich ein neues Getränk holen. Er erreichte die Stelle, wo die Getränke und das Büffet befanden. Gerade als er sich ein neues Getränk geholt hatte und wieder gehen wollte, blieb sein Blick an einem jungen Mann hängen, der etwas abseits stand und sich an seiner Bierflasche festhielt. Er erschien Marlon ebenso verloren, wie er selbst es auf dieser Party war. Der Unbekannte hatte dunkelblonde, gelockte, längere Haare, seine Augenfarbe konnte er aufgrund der Dunkelheit und der Entfernung nicht erkennen. Sein Körperbau war sehr sportlich und er müsste ungefähr seine Größe haben. Anscheinend trainierte er regelmäßig. Eigentlich war er genauso sein Typ, aber er war noch nicht bereit sich auf etwas Neues einzulassen. Oder eigentlich hatte er auch einfach nur Angst erneut verletzt zu werden. Der junge Mann gönnte sich noch einen Blick auf den Unbekannten. Marlon beschloss zum Steg zu gehen, sich dort hinzusetzten und den wunderbaren Blick über den See genießen, den man von dort aus hatte.

Er war so in seine Gedankenwelt vertieft, dass er gar nicht mit bekam, dass sich Schritte nährten.

„Ist der Platz neben dir noch frei?“, holte ihn eine angenehm, warme Stimme aus seinen Gedanken. Marlon zuckte zusammen und wand sich der Stimme zu. Sein Herz machte einen Sprung, als er den schönen Unbekannten, als Besitzer der Stimme erkannte.

„Na … klar“, stammelte er nicht wirklich geistreich. Der Unbekannte ließ sich neben ihm nieder.

„Jamie“, stellte er sich vor und reichte Marlon die Hand, die dieser auch sofort ergriff.

„Marlon.“

„Angenehm. Anscheinend langweilst du dich ebenfalls“, lächelte Jamie. Marlon bekam von seinem Lächeln weiche Knie.

„Ja, eigentlich wollte ich auch gar nicht herkommen, aber meine Schwester hat mich überredet“, meinte Marlon mit einem Schulterzucken.

„Bei mir war es ähnlich. Mich hat ein Kumpel überredet. Ich wollte schon fast gehen …“ Er ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen. Seine Augen waren grün, das stellte Marlon gerade fest und er verlor sich in den grünen Wiesen.

„Wieso bist du nicht gegangen?“, fragte er, obwohl er sich die Antwort denken konnte. ‚Wegen mir.‘

„Wegen dir. Du bist mir aufgefallen“, bestätigte Jamie Marlons Vermutung. Sein Herzschlag erhöhte sich. Marlon wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Auch wenn man es dem jungen Mann nicht ansah, war er in Beziehungsdingen schüchtern. „Ich wollte dich unbedingt kennenlernen und als du zum Steg gegangen bist, habe ich meine Chance genutzt und bin dir gefolgt“, gestand Jamie ihm. Marlon freute sich zwar wahnsinnig über seine Worte, gleichzeitig wusste er nicht, was er darauf erwidern sollte. Seine Stimme versagte ihm seinen Dienst. Er konnte einfach nicht glauben, dass Jamie ihn wirklich kennenlernen wollte und es ernst meinte. Die Sache mit Chris hatte ihn geprägt und er war dadurch vorsichtiger geworden.

Je länger er schwieg, desto größer wurde die Enttäuschung, die sich in Jamies grünen Augen wiederspiegelte. „Okay, ich habe verstanden. Es tut mir leid, dass ich dich belästigt und anscheinend etwas falsch verstanden habe.“ Aus seiner Stimme war die Kränkung deutlich heraus zuhören, Jamie machte sich gar nicht die Mühe sie zu verbergen. Als er aufstehen wollte, löste sich Marlon endlich aus seiner Starre und hielt ihn am Arm fest.

„Nein, bitte geh nicht. Bleib“, bat er leise. Seine Stimme zitterte. Ihre Blicke trafen sich.

„Es tut mir leid, aber …“

Plötzlich wusste Jamie was mit Marlon los war. „ … du hast schlechte Erfahrungen gemacht“, vollendete er seinen Satz. Marlon nickte.

„Ja, ich habe schlechte Erfahrungen mit meinem Ex-Freund gemacht“, sagte er leise. Jamie nickte verständnisvoll. „Daher bin ich etwas vorsichtiger geworden.“ Marlon wusste nicht, warum aber er hatte ein gutes Gefühl bei Jamie und spürte, dass er ihm verstrauen konnte, daher hatte er ihm von Anfang an die Wahrheit gesagt.

„Ich weiß nicht, was dein Ex getan hat, aber ich will dir nicht wehtun, sondern dich kennenlernen.“ Jamies Offenheit gefiel ihm und er fühlte sich in seiner Nähe wohl, obwohl sie sich gerade erst kennengelernt hatten.



 

Ein Jahr später


Marlon hatte es niemals für möglich gehalten, dass der Abend am Starnberger See sein Leben auf den Kopf stellen würde. Jamie und er hatten sich den restlichen Abend wunderbar verstanden und über Gott und die Welt geredet. Die Chemie stimmte zwischen ihnen. Gleich am nächsten Tag hatten sie sich wieder gesehen und von diesem Tag an, waren sie unzertrennlich und ein Herz und eine Seele. Seine Schwester hatte ihm brühwarm unter die Nase gerieben, dass er ja zuerst nicht mitgewollt hatte und beinahe so die Liebe seines Lebens verpasst hätte.

„Voran denkst du, Schatz“, wollte Jamie wissen. Seine Stimme war zärtlich und er hob träge seinen Kopf von Marlons Brust. Sie lagen am Ufer des Starnbergers Sees und genossen die Nähe und die Zeit miteinander.

„Wie wir uns kennengelernt haben und das es das Beste war, was mir passieren konnte.“

„Ich liebe dich“, hauchte Jamie.

„Ich liebe dich auch.“ Marlon konnte sich sein Leben ohne seinen Freund nicht mehr vorstellen. Er war so ganz anders, als es Chris gewesen war. Bei Jamie fühlte er sich geborgen und sein Freund wollte dasselbe von einer Beziehung, wie er. Sie hatten sich zwar nicht gesucht, aber trotzdem gefunden.

Jamie legte seine Lippen auf Marlons und verwickelte ihn in einen sanften Kuss.



 

***

Autorennotiz

Der OS war im Rahmen eines Wichtelns auf FanFiktion.de entstanden. Die Inspiration für den OS war folgendes Zitat:

Dieser Tag ein Leben - Thomas Thorild, schwedischer Schriftsteller

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Rosalie18s Profilbild Rosalie18

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Kurzbeschreibung

Eigentlich hatte Marlon keine Lust auf die Party am Starnberger See, doch er lässt sich von seiner Zwillingsschwester überreden. Zu nächst findet er die Party langweilig bis er Jamie kennenlernt.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Liebe auch im Genre Familie gelistet.