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Die Landkarte oder das Ausradieren der Wörter

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23.04.20 10:08
Fertiggestellt

Im obersten Stockwerk eines nahezu gewöhnlichen Hauses, ist auf einem Holzboden eine Landkarte ausgebreitet. Die gezeichneten Umrisse erinnern weder an Länder noch an Meere, sondern bilden eine uns unbekannte Struktur ab. Die Füße eines Mädchens sind außerhalb der Karte auf dem Holzboden platziert und markieren somit die Stelle an der sie sich befindet. Ihr Ziel, dass es zu erreichen gilt, hat sie uns nicht genannt. Wir gehen aber davon aus, dass es sich um den mit "X" markierten Punkt handelt. Die Wände des Raumes, in dem sie sich aufhält sind weiß, man könnte nun von einer unpersönlichen Ausstrahlung des Raumes ausgehen, doch da muss ich enttäuschen, der Raum verbindet das Mädchen und Ihre Landkarte auf eine so intime Weise, dass man beim Erzählen dieser Geschichte nahezu flüstern möchte.

Für Sie war nur ein kleiner Sprung ein sehr kleiner und schon wäre sie wieder dort. Was hatte sie zu verlieren? Es sollte so einfach sein sie musste nur den Mut finden und die Entscheidung treffen, die Füße vom Boden abheben zu lassen und schon wäre sie an dieser mit "X" markierten Stelle. Der Mut, ja das war die eine Sache, die Entscheidung eine andere.

Der Mut ( Substantiv, maskulin , Fähigkeit, in einer gefährlichen, riskanten Situation seine Angst zu überwinden,

die Entscheidung (Substantiv, feminin, nach Prüfen, Vergleichen oder kurzem Besinnen in einem Entschluss seine Wahl auf jemanden, etwas festlegen)

Der Mut und die Entscheidung zwei schwere Wörter, so gewaltig in einem Satz in einem Gedankengang der sich seinen Weg durch Ihre Gehirnwindungen bahnte. Diese beiden Wörter würde Sie sich am liebsten zueigen machen. Andere würden diese Wörtere am liebsten mit einem Radiergummi aus dem Duden eliminieren. Würden Sie denn dann aufhören zu existieren? Was würde Sie tun, wenn diese Wörter nicht mehr im Duden stehen würden, wäre somit die die Möglichkeit des Eintreffens der Definition unmöglich? Wäre ein Sprung ohne diese Wörter überhaupt realisierbar? Oder wären die Menschen fähig passende Synonyme für diese Wörter in den Duden einzutragen.

"Furchtlos & Beherzt" oder "Wahl & Absicht".

Einfach zu ersetzten, die Wörter "Mut" und "Entscheidung".

Ein neu platziertes Wort auf diesem, vom ausradieren leicht angerauten Dudenpapier. Die Alphabetische Reihenfolge würde dann nicht mehr stimmen, aber, würde sich daran irgendjemand stören wenn man Synonyme gefunden hätte, für Wörter, die Mancheinem lebensnotwendig erscheinen? Ein neues Wort auf dieser freien, ausradierten Stelle. Und wenn sich diese Menschen nun lange genug Zeit ließen um dieses passende Wort ausfindig zu machen, konnte sie sich dann das Freiwerden der Wörter zu Eigen machen, um den Sprung zu wagen? Wie viel Zeit braucht so ein Sprung eigentlich? Hier und jetzt war es nur eine  Sekunde aber die Einzelnen Schritte dorthin, den Mut fassen, die Entscheidung reffen,  die Kraft in den Beinen sammeln, bis sie ausreicht um vom Boden abzuheben um dann schlagartig nach vorne zu preschen und dort zu landen.

Dort dieses mit Namen gekennzeichnete "X",  das Ziel.

Das Ziel , Substantiv, Neutrum Punkt, Ort, bis zu dem jemand kommen will, den jemand erreichen will.

Das Ziel noch so ein Wort, konnte sie auch dieses auslöschen? Tipp-Ex war noch eine Möglichkeit vielleicht wäre die Haltbarkeit der Überdeckung höher als die des Auflösens. Stille, eine unendliche Stille breitete sich über alle Stockwerke aus. Innerhalb dieser konnte Sie alle einzelnen Schritte vor Ihrem geistigen Auge nochmals durchspielte. Und noch etwas, sie musste die unsichtbare Hand loslassen. War das vielleicht der erste Entscheidungsschritt zur Erreichung des Zieles der den größten Mut erforderte. So groß, dass schon diese sie leer saugen würde, bis sie kraftlos am Boden lag, ohne auch nur den Ansatz erreicht zu haben genügend Mut aufzubringen zu können um einen Sprung zu wagen. Verzweiflung machte sich breit, diese Sorte grenzenloser Verzweiflung die man spürt, bevor sie in  Aggressivität umschlägt. In welchem Stadium sie sich befand dafür konnte sie keine Worte mehr finden.

Sie hörte wie sich Schritte die Treppe aufwärts bewegten. Sie wurden immer deutlicher und es würde nicht unendlich viel Zeit vergehen, bis sie sie direkt vor der Türe wahrnehmen konnte. Dort würden Sie dann aprupt Stehen bleiben und der Klang der Schritte würde verhallen. Eine innere Unruhe stellte sich ein, würde sie nun nicht springen, würden sie kommen, mit  Radiergummis und Bleistiften bewaffnet um die Wörter zu eliminieren oder ihnen eine falsche Bedeutung zu schenken. Die Linien der Wörter Angst würden nochmals nachgefahren werden und somit auf der Rangliste der wichtigsten Wörter ganz nach oben rutschen. Dann würde es Ihr noch schwerer fallen als zum jetzigen Zeitpunkt diese zu überwinden oder durch Eliminieren zu überlisten. Sie würde gehorchen müssen auf all die Wörter denen Sie keine Bedeutung schenken wollte.

Die Schritte verstummten, der Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt, Panik, grenzenlose Panik erreichte sie und drängte sich, wenn auch nur für einen Bruchteil einer Sekunde, Wort wörtlich an die erste Stelle der Rangliste.

Panik, eines der stärksten Wörter, intuitiv, kompromisslos. Durch eine plötzliche Bedrohung, Gefahr hervorgerufene übermächtige Angst, die das Denken lähmt und zu kopflosen Reaktionen führt

Man sieht; da aber Mut und bewusste Entscheidungen bei Panik fehlen,  führt diese leider oft nicht zum Ziel.

Sie wuchs und entwickelte eine ungeheure Kraft die sich in den Füße bündelte.  Nichts existierte mehr, gar nichts nur ihre Füße in der Luft und der Weg dorthin zum Ziel, daß sie mit einem "X" markiert hatte. Als sie wieder Land unter den Füßen gewann, schlug sich die Landkarte wie Treibsand um ihre Füße und verschlang sie mitsamt der Markierten Stelle. Genug Zeit, um zu realisieren angekommen zu sein.Langsam zog sich die Karte und der Boden wie flüssiges Wachs um ihre Hüften. Die Arme, sie hatte die Arme nicht nach oben gestreckt sondern an  den Körper angelegt das war die letzte Chance ihre Entscheidung zu revidieren, um im Fall einer plötzlichen Umentscheidung sich mithilfe der Arme entlang des Bodens dem Treibsand zu entziehen. Und Sie hatte diese Möglichkeit der Korrektur nicht einmal in Betracht gezogen. Der Preis, unbedachter Reaktionen, das Vergessen anderer Optionen.

Luft, die Luft war das letzte dass sie von ihrer alten Welt in sich einsog. Nocheinmal dieser Geschmack,  der sich durch die Nase bis in die Lungen seine Wege bahnte so intensiv dass man hätte glauben können ihn zu schmecken - als sich die Türe des Zimmers im obersten Stockwerk eines nahezu gewöhnlichen Hauses öffnete.

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Statistik

Sätze: 47
Wörter: 1.131
Zeichen: 6.599

Kurzbeschreibung

Eine Reise durch unseren Duden, Wörter die uns umgeben und unsere Gefühle und Handeln bestimmen.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Ironie auch in den Genres Fantasy, Mystery, Nachdenkliches und Angst gelistet.

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