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Sätze: | 150 | |
Wörter: | 2.150 | |
Zeichen: | 12.861 |
1. Erna geht
„Ludwig“, grätscht Erna verbal in sein beredtes Schweigen, „so geht das nicht weiter, wir müssen reden!“
„Hmm“, brummelt Ludwig, ohne aufzuschauen. „Fang schon mal an, bin gleich so weit“. Ungerührt daddelt er weiter auf der Tastatur seines Handys.
„Sieh dich vor, ich muss nicht mehr nett sein zu Männern: Ich brauche euer genetisches Material nicht mehr!“, scherzt Erna schmallippig.
„Aha“, murmelt Ludwig, während er auf das Display starrt.
Sie widmet sich ungehalten wieder ihrem Strickzeug und lässt manisch die Nadeln klappern und denkt: Ludwig - ein Buch könnte ich über ihn schreiben: „Der alte Mann und das Leer.“ Seine Anwesenheit in meinem Leben artet nicht nennenswert in Spaß aus. Unser gemeinsames Leben sprüht nicht gerade vor Frohsinn. Es war ein Fehler, zu ihm zu ziehen: In die öden Weiten Südniedersachsens. Vierzig Jahre Lebensgemeinschaft am Arsch der Welt - und manchmal kann man ihn auch von hier sehen. Ludwigs urbanes Leben besteht aus täglichen Spaziergängen durch die Fachwerklangeweile. Seit er pensioniert ist, trägt er seine grummelige Unzufriedenheit im Supermarkt und in der Fußgängerzone zur Schau oder er drängt jedem zur Ansicht auf, was bei der Produktion plattköpfiger Enkelkinder aus seiner ersten Ehe herausgekommen ist. Eigentlich ist Ludwig noch rüstig für sein Alter - aber nicht für meines. Ich brauche Antiidiotika, um diese demenzfreundliche Wohngegend ertragen zu können. Die Weisheit, dass alles irgendwie einen verborgenen Sinn haben muss, verfolgt mich, aber ich bin schneller: Ich muss raus hier. Er sieht mich ja nicht mal mehr an!
„Ludwig, um Himmels Willen, hör endlich auf mit diesem Scheiß-Internetspiel!“
„Bin gleich so weit“, murmelt er und tippt unbeirrt weiter auf der Tastatur.
Ihr Ton wird gefährlich leise. Kommt darauf an, ob man das Werkzeug Sprache spitz oder stumpf einsetzt. Sie ist für spitz.
„Ludwig“, sagt sie in lauerndem Tonfall, „ich habe vor, unsere Beziehung zu öffnen. Also erst mal für mich ...“
„Mach das“, sagt Ludwig, ohne aufzusehen.
Offensichtlich hat er nicht mal hingehört. Wie lange muss ich diesen trockenen Workaholic eigentlich noch ertragen?, denkt Erna und hat Mühe, sich auf ihr Strickmuster zu konzentrieren. Warum muss er sich permanent ablenken – und wovor eigentlich? Wenn ihn der Suchtdruck nach Beschäftigung plagt, pflügt er meine Blumen im Garten um, reißt sorgsam Aufgebautes wieder ein und fällt Bäume, die er selbst gepflanzt hat. Je älter er wird, umso weniger erträgt er den Wildwuchs natürlicher Schönheit. Sein Schaffensdrang hat im Alter etwas Morbides: Alles wird seinem Kontrollwahn untergeordnet. Selbst dem häuslichen Umfeld drückt er den Stempel fortschreitender Verspießerung auf: Je mehr ihm die Herrschaft über Körper und Leben zu entgleiten drohen, umso zwanghafter wird sein Charakter.
Seit seiner letzten zerstörerischen Gartenaktionen hat er „Rücken“ und „Blutdruck“. Seitdem hängt er stundenlang in komatösem Zustand bis zur digitalen Demenz vor der Glotze, im Internet oder am Smartphone ...
„Ich hab` dich gebeten, dieses Scheiß-Handy wegzulegen!“, brüllt sie mit angeschwollener Halsader und ihre Faust schlägt krachend auf den Tisch, wobei ihr Strickzeug quer durch den Raum fliegt.
Vor Schreck gleitet Ludwig sein Spielzeug aus der Hand, segelt über den Küchentisch und landet auf dem Fliesenboden. Fassungslos schaut er ihm hinterher, während seine Hände immer noch sein imaginäres Handy umkrampfen.
„Ich bin deine Frau, ...“, schluchzt Erna theatralisch auf. Mit tränenfeuchten Augen und waidwundem Blick beendet sie ihren Satz:„... und du siehst mich gar nicht mehr an. Es hat Zeiten gegeben, in denen du froh und glücklich warst, mich nur ein paar Minuten zu sehen.“
„Daran hat sich nichts geändert“, antwortet Ludwig trocken und taucht unter den Tisch ab. Er reckt ihr seinen voluminösen Hintern entgegen. Ungelenk ächzend versucht er, sein Handy hinter einem Stuhlbein hervorzuangeln.
Erna betrachtet Ludwigs Hinterteil wie ein seltsames Tier im Zoo. Als der Arzt geraten hat, Ludwig müsse dringend abspecken, hätte ich sagen sollen: Und was, wenn er zwanzig Kilo abgenommen hat und immer noch Scheiße drauf ist? Mit diesem grantigen, besserwisserischen, alten Kerl ein Gespräch zu führen ist wie hartes Brot kauen. Ludwigs emotionale Defizite haben mein inneres Beziehungskonto abgeräumt: Er hat immer nur abgehoben. Ich hab die Schnauze voll vom verheiratet sein. Ein befristetes Liebesverhältnis – so von acht bis achtzehn Uhr – wäre vielleicht die Lösung. Danach will ich meine Ruhe haben. In getrennten Schlafzimmern. Wo kein Kerl in greisenhaft-lüsterner Erwartungshaltung auf mich wartet und eheliche Pflichten einfordert. Ich bin schon lange nicht mehr scharf auf Ludwigs Seniorenstift. Er nimmt nur noch Viagra, um nicht aus dem Bett zu rollen ...
Erna steht auf und geht zum Herd. Heute hat sie sein Lieblingsessen gekocht – in der Hoffnung, dass ihn das etwas Gesprächiger machen würde. Grünkohl mit Pinkel. So nennt man im Norden die Grützwurst, die mit dem Kohl geschmort wird. Doch statt mit ihr zu reden, sitzt er ihr seit etwa einer Stunde am Küchentisch schweigend gegenüber und daddelt an seinem Smartphone.
Resigniert sammelt sie ihr Strickzeug vom Boden und beginnt den Tisch einzudecken. Nur einen Teller. Ludwig soll allein essen.
Während Ludwig auf Knien die Einzelteile seines Funktelefons zusammenklaubt, klappert Erna hausfraulich geschäftig mit den Töpfen auf dem Herd. Als alles die richtige Temperatur hat, kellt sie den Kohl mitsamt den Würsten auf eine große Servierschale. Es scheint, als lächelten die Würste im Grünkohl still vor sich hin. Erna blickt auf den am Boden sitzenden Ludwig, der verzweifelt versucht, sein stummes Handy wiederzubeleben. Manchmal braucht es nur einen kleinen Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Genug ist genug. Schluss mit dem: Die paar Jahre schaffe ich auch noch! Beherzt greift Erna unter ihre Schürze, ihr Unterrock aus Polyester raschelt und knistert, als sie ihr Kleid hochrafft.
Anschließend stellt sie alles auf die Warmhalteplatte und kramt in der Küchenschublade nach einem Stück Papier, auf dass sie kritzelt: Ich verlasse jetzt die Legebatterie Ehe, um endlich meinen Hintern in die Freiheit zu halten!
Sie legt den Zettel sorgsam neben Ludwigs Teller und verlässt wortlos die Küche.
Auf der Wärmeplatte sieht man neben den Würstchen im Grünkohl den Abdruck von Ernas Hinterteil.
2. Ludwig bleibt
Ludwig sitzt am Küchentisch, daddelt an seinem Smartphone und denkt: Endlich mal Ruhe. Ist ja kaum auszuhalten, Ernas pausenloses Gesabbel. Manchmal frage ich mich: Aus welchem Sprachcontainer hat sie das nun wieder gefischt? Erna – in einem Satz gesagt: Alter, dein Name ist Weib. Was sie unser gemeinsames Leben nennt, sprüht nicht gerade vor Leidenschaft. Ein Fehler, sie damals in meine Heimatstadt einzuladen, ins schöne Südniedersachsen. Vierzig Jahre Lebensgemeinschaft am schönsten Ort der Welt - doch diese Frau tut so, als ginge ihr das alles am Arsch vorbei. Sie will „urbanes Leben“, so was mit shoppen, bis meine Kreditkarte glüht. Auch unter der Woche artet ihre Anwesenheit in meinem Leben nicht nennenswert in Spaß aus. Sie wird eben alt - aber muss sie ihren Frust und ihre Unzufriedenheit ausgerechnet im Supermarkt und in der Fußgängerzone zur Schau stellen und ihre schlechte Stimmung jedem zur Ansicht aufdrängen? Was sollen die Leute denken? Das ich meine Frau nicht befriedigen kann?
Eigentlich ist sie für ihr Alter noch rüstig, aber gegen früher … Gott, was war dieses Weib mal für ein Schuss! Heute brauche ich Viagra, um bei ihr überhaupt noch einen hoch zu kriegen. Die Weisheit, dass alles irgendwie einen verborgenen Sinn haben muss, verfolgt mich, aber ich bin schneller: Ich sehne mich nach was Jüngerem, Frischem, Knackigen. Sie braucht mich gar nicht so vorwurfsvoll mit ihren Blicken fixieren, die Nummer zieht bei mir schon lange nicht mehr. Nicht mal in Ruhe zocken gönnt sie mir ...
„Bin gleich so weit“, murmelt er. Während er unbeirrt weiter auf der Tastatur tippt, denkt er: Von mir aus kann die warten bis sie schwarz wird: Reden, reden … ständig will sie mir einen Knopf ans Ohr labern – hat die keinen Frisör? „Beziehung öffnen“ - was soll das nun wieder? Will sie mich emotional erpressen? Aber nicht mit mir. Ich durchschaue das. Glasklar.
„Mach das“, sagt Ludwig, ohne aufzusehen und tut so, als hätte er nicht mal hingehört.
Wie lange muss ich ihr Gemecker noch ertragen?, denkt er und hat Mühe, sich auf sein Spiel zu konzentrieren. Warum muss sie mich dauernd kontrollieren? Wenn ich ihrem Suchtdruck nach Nähe und Aufmerksamkeit nicht nachgebe, fängt sie zwanghaft an zu putzen, ribbelt sorgsam Gestricktes wieder auf oder schmeißt alles in die Tonne, was sie selbst eingelegt und eingefroren hat. Je älter sie wird, umso weniger erträgt sie Unordnung. Ihr ständiges Aufräumen und Möbelrücken hat im Alter etwas Manisches: Alles wird ihrem Putz-Deko- und Ordnungswahn untergeordnet. Selbst dem häuslichen Umfeld drückt sie ihren Stempel klinisch steriler Reinlichkeit auf: Je mehr ihr die Herrschaft über Körper und Leben zu entgleiten drohen, umso zwanghafter wird ihr Charakter.
Seit ihrer letzten zerstörerischen Aufräumaktion hat sie „Rücken“ und „Erschöpfung“. Seitdem klappert sie stundenlang in komatösem Zustand mit ihren Handarbeitsnadeln oder zündet widerlich stinkende Duftkerzen im Bad an, wo sie bis zum Verschrumpeln in der Wanne dümpelt … was ist jetzt schon wieder? Wieso brüllt sie denn so? Ist sie jetzt völlig übergeschnappt? Schlägt mit ihrer Faust auf den Tisch, dass ihr Strickzeug quer durch den Raum fliegt …!?
Vor Schreck gleitet Ludwig sein Spielzeug aus der Hand, segelt über den Küchentisch und landet auf dem Fliesenboden. Fassungslos schaut er ihm hinterher, während seine Hände immer noch sein imaginäres Smartphone umkrampfen. Er starrt Erna an und denkt: Ja. Nee. Ist klar. Jetzt also die Vorwurfs-Nummer:„Warum schaust du mich nicht mehr richtig an? Es hat Zeiten gegeben, in denen du froh und glücklich warst, mich nur ein paar Minuten zu sehen ...“
Stimmt. Heute bin ich froh, wenn ich die Frau nur ein paar Minuten am Tag zu sehen kriege.
„Daran hat sich nichts geändert“, antwortet er und taucht zur Sicherheit unter dem Tisch ab und reckt ihr seinen voluminösen Hintern entgegen. Ungelenk ächzend versucht er, sein Handy hinter einem Stuhlbein hervorzuangeln.
Er schnauft und denkt: Die kann mich mal kreuzweise! Das schöne, neues Smartphone. Das war teuer!. Mit dieser durchgeknallten Ziege eine Ehe zu führen ist wie hartes Brot kauen … Ich hab die Nase voll vom verheiratet sein. Ihre hysterischen Anfälle und Heul-Arien haben mein inneres Beziehungskonto abgeräumt: Sie hat immer nur abgehoben.
Ein befristetes Liebesverhältnis – so von acht bis achtzehn Uhr – wäre die Lösung. Ich will endlich mal wieder geilen, schmutzigen Sex. Überall: Auf dem Küchenfußboden, im Auto, im Garten ... wo keine prüde, alte Schachtel auf mich wartet, die Sex nur als eheliche Pflichtübung betrachtet und präkoitale Demutsgesten und „kuscheln“ von mir verlangt. Ich bin längst raus aus dieser romantisierenden Nummer und schon lange nicht mehr scharf auf sie.
Aber kochen kann sie. Das muss man ihr lassen. Seit sie auf dem Trip ist, vegan zu kochen, gibt es leider nur noch selten was Anständiges. Heute hat sie sich scheinbar mal Mühe gegeben und mein Lieblingsessen gekocht: Grünkohl mit Pinkel. Sicher nicht ohne Hintergedanken. Mal sehen, was sie dafür wieder von mir verlangt … Ah, jetzt sammelt sie ihr Strickzeug vom Boden auf und beginnt den Tisch einzudecken. Nur einen Teller. Madame ist mal wieder eingeschnappt.
Während Ludwig auf Knien die Einzelteile seines Funktelefons zusammenklaubt, klappert Erna hausfraulich geschäftig mit den Töpfen auf dem Herd. Als alles die richtige Temperatur hat, blickt sie auf den am Boden sitzenden Ludwig, der verzweifelt versucht, sein stummes Handy wiederzubeleben. Er denkt: Von mir aus kann sie die Beleidigte spielen bis zum jüngsten Tag. Ich schaue nicht mal mehr in ihre Richtung. Lieber genieße ich die Stille gegenseitigen Unverständnisses. Ah. Madame hat sich jetzt aufs Schreiben verlegt … auch die Nummer kenne ich. Sicher eine schriftliche Abmahnung, die rote Karte – das macht mir aber Angst, wuharrr, harrr!
Kaum hat Erna die Küche verlassen, rappelt sich Ludwig von Boden auf und greift neugierig zu dem Zettel, der neben seinem Teller liegt. Er liest:
Ich verlasse jetzt die Legebatterie Ehe, um endlich meinen Hintern in die Freiheit zu halten!
Aha, denkt Ludwig und lässt achtlos den Zettel fallen. Fährt sie also wieder zu ihrer Freundin, dieser Kampf-Emanze … egal. Ich hab Hunger. Er geht zum Herd und schaut verwundert auf die Warmhalteplatte. Sinnend betrachtet er den Abdruck von Ernas Hinterteil im Grünkohl und ihm entfährt ein stiller Seufzer: „Dieser Arsch ... ist immer noch das Beste an Erna!“
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Kleevinar • Am 21.03.2024 um 20:57 Uhr | |||
Mir gefällt es, dass du beide Perspektiven darstellst, und beide den Alltag ganz anders auffassen als der andere. Allgemein liebe ich den personalen Erzähler. Die Geschichte hat einerseits etwas Witziges, aber macht einen auch nachdenklich. |
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