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Sätze: | 66 | |
Wörter: | 1.298 | |
Zeichen: | 7.716 |
Ich war ein ängstliches Kind, zumindest, als ich ein kleiner Junge war. Das hat sich im Laufe der Jahre gelegt, aber bis ich einigermaßen selbstbewusst wurde, hat es bis weit in das Erwachsenenalter hinein gedauert. Vieles von dem, was mir damals Furcht einjagte, empfinde ich heute als absolut lächerlich. Es sind Dinge dabei, die leicht aus der Tatsache zu erklären sind, dass Kinder untereinander mit viel Fantasie von Gefahren sprechen, die keine sind. Wir wohnten nach dem Krieg eine Zeit lang im Tal der Agger. Die Agger ist ein idyllischer Bachlauf, der aus dem Bergischen Land kommend, kurz vor Siegburg in die Sieg mündet. Wir haben uns so lange eingeredet, dass Libellen sehr gefährlich sind, bis wir fest daran glaubten; und es gab viele Libellen an diesem Bachlauf. So fühlten wir uns immer bedroht, wenn wir am Bach spielten. Ich war klein und schmächtig, schmächtig waren damals alle, aber unter meinen Klassenkameraden war ich stets der kleinste – und auch der schwächste. Daraus folgte, dass ich mich vor gleichaltrigen oder älteren, mit denen ich nicht befreundet war, fürchtete.
Das alles war aber ein Klacks gegen meine Angst vor dem Keller. Nicht ein Keller an und für sich, löste meine Furcht aus, es war ein bestimmtes Kellergeschoss. Das Kellergeschoss lag unter dem Laden meiner Großmutter. Ich musste oft dort hinabsteigen, um irgendeine Ware von dort in den Laden zu bringen. Schon auf dem Weg durch den Hausflur zur Kellertreppe fiel es mir schwer, meine Angst zu beherrschen. So öffnete ich vorsichtig die Tür, hinter der sich die steile Treppe hinab in den Keller befand. Hinter der Tür herrschte Dunkelheit und so tastete ich als Erstes nach dem Lichtschalter. Nach einem Dreh an diesem altersschwachen Schalter leuchtete eine einzige trübe Glühbirne auf, die die Treppe in ein dämmriges Licht tauchte. Stieg ich die Treppe hinab, wurde es wieder heller, da links der Treppe unser Kohlenkeller lag – ein einfacher Lattenverschlag mit einem Fenster zum Hof hinaus. Ich musste aber weiter, direkt geradeaus schaute ich auf einen dunklen Durchgang zu einem Flur, auf dem die Keller der Hausbewohner verteilt waren. Ich musste all meinen Mut zusammen nehmen, um zu dem dunklen Durchgang zu gehen. Wieder ein alter, ausgeleierter Lichtschalter. Voll Sorge und in der Hoffnung, dass das Licht anging, wenn ich am Schalter drehte, tastete ich an der feuchten Wand nach dem Schalter. Hatte ich den Schalter gefunden, erhellte nach dem Dreh am Schalter eine weitere trübe Glühbirne schemenhaft den Durchgang und den sich anschließenden Flur. Oft misslang das Einschalten des Lichts beim ersten Dreh, so folgten weitere Versuche, bis der Lichtschalter sich meiner erbarmte. All meine Kraft zusammen nehmend, traute ich mich in den Flur hinter dem Durchgang. Dort bog ich nach rechts ab, ohne auch nur einen Blick nach links zu wagen. Nach links zu gehen wäre mir nicht möglich gewesen, denn dort wohnte der Tiger. So eilte ich bis zur Tür, die in unseren Keller führte, ohne auch nur einen einzigen Blick zurück zu wagen. Immer in der Hoffnung, der Tiger möge schlafen und mich nicht bemerken.
Ich gesamten Kellergewölbe befanden sich nur zwei ummauerte Räume. In einem der Räume befand sich die Waschküche und im anderen Raum der ehemalige Luftschutzkeller. Alle anderen Kellerabteile waren einfache Lattenverschläge, für jede der im Haus lebenden Parteien gab es einen Verschlag. Unser unterirdischer Lagerraum befand sich im ehemaligen Luftschutzkeller. Immer den Tiger, der wohl schon im Hintergrund lauerte, erwartend, bewegte ich den Schlüssel im Schloss der stählernen Tür des Luftschutzkellers und zog dann kräftig an der Tür. Sie öffnete sich nur schwer und knarrend, da die Scharniere eingerostet waren. Klein und schmächtig wie ich war, benötigte ich alle Kraft, die Tür so weit zu öffnen, dass ich hindurchpasste. Der Spalt den ich benötigte, war viel zu schmal für den Tiger, was mir ein Gefühl von Sicherheit gab, wenn auch die Angst nicht zu bändigen war. Wieder tastete ich im Dunkeln nach einem Lichtschalter. Auch der Raum, den ich durch den Spalt betreten hatte, wurde durch das Drehen am Schalter kaum richtig hell.
Ich befand mich in einem fensterlosen Verlies, genau genommen in zwei ineinander übergehenden Verliesen. Der vordere Teil, schwach beleuchtet, enthielt die Wintervorräte der Familie, bestehend aus Einmachgläsern, befüllt mit den verschiedensten Obstsorten, den eingekellerten Kartoffeln und etlichen selbst befüllten Konservendosen. Immer lag ein leicht säuerlicher Duft über dem Raum, den verbreiteten zwei Steintöpfe, einer war befüllt mit selbst angesetztem Sauerkraut, der andere enthielt selbst angesetzte sauren Bohnen, einer Spezialität des Niederrheins. Eine Ecke war für die Vorräte des Ladens reserviert. Sonst enthielt der Raum nur einiges Gerümpel, das sich im Laufe der Jahrzehnte angesammelt hatte, darunter ein Paar Schaftstiefel unbekannter Herkunft. Als ich älter wurde, waren diese immer noch zu groß für mich, sie passten aber, wenn ich Filzsocken anzog. So benutze ich sie in späteren Jahren im Winter beim Moped fahren. Mitten im Raum stand ein großer alter Tisch, auf dem die Konservendosenverschließmaschine angeschraubt war. Ein Durchgang führte in den hinteren Teil des Verlieses. Dieser Raum war unbeleuchtet und obwohl die Tür am Durchgang offen stand, habe ich diesen Raum nie betreten. Aber ich war mir sicher, in ihm wohnten Geister, die ich nicht stören durfte.
Ich nahm schnellstmöglich die angeforderte Ware an mich und machte mich auf den Rückweg. Der Rückweg war dann gleichermaßen gefährlich, wie der Hinweg. Zuerst blickte ich durch die Tür in den unzureichend beleuchteten Flur. Ich vergewisserte mich durch diesen vorsichtigen Blick, dass der Tiger mich nicht bemerkt hatte. Nun musste ich das Licht im Kellerraum ausschalten, hätte ich es brennen lassen, wäre das eine Verschwendung gewesen und Verschwendung galt in unserer Familie als Todsünde. Sobald im Kellerraum das Licht erlosch, wurde es in dem fensterlosen Verlies stockdunkel. Schnell trat ich in den Flur, denn sobald der Raum im Dunkel lag, kamen die Geister aus dem hinteren Teil des Verlieses. Die Tür musste zugedrückt und abgeschlossen werden, jetzt nur nicht zu viele Geräusche dabei machen, der Tiger könnte davon geweckt werden. Noch einmal die Luft anhalten, noch lag der Kellergang vor mir. Die nur schwach glimmende Glühbirne, die von der Decke baumelte, verbreitete mehr Schatten, als Licht. Im Hintergrund der Lattenverschläge, die den Hausbewohnern als Vorratsräume dienten, verschwammen die dort gelagerten Vorräte und sonstigen Utensilien zu furchterregenden Drachen, Hexen und Dämonen. All diese Wesen, vereint mit dem im Verborgenen lauernden Tiger, ließen mir das Blut in den Adern gefrieren. Im Dämmerlicht des Kellerganges tastete ich mich zum Ausgang, der sich vor mir, durch das Kellerfenster zum Hof leicht erhellt, von der Dunkelheit des Ganges abhob.
Endlich war der Ausgang erreicht, der hellere Bereich des Kellers ließ mein Blut wieder normal durch die Adern strömen. Drachen, Hexen und Dämonen blieben in der Dunkelheit zurück, den Schlaf des Tigers hatte ich nicht gestört. Noch eine Mutprobe und es war geschafft. Noch einmal einen Griff in die Dunkelheit des Ganges, noch einmal nach dem Lichtschalter tasten, ein Dreh, das Licht im Gang erlosch, ich zog den Arm zurück, alles war gut gegangen. Ich stieg über die knarrende Treppe nach oben. Oben angekommen wagte ich einen Blick zurück, während ich am Schalter zum Ausschalten der Beleuchtung der Kellertreppe drehte. Aber da war ich bereits in Sicherheit, sollte mir der Tiger wirklich gefolgt sein, dann war das kein Problem, in diesem Fall hätte ich einfach die Tür zugeworfen.
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