Neulich wurde ich beim Lesen mal wieder unerwartet und ziemlich heftig getriggert. Und ich war wütend. So richtig. Denn es ließe sich so einfach vermeiden! Ich verstehe wirklich nicht, warum sich Leute mit Händen und Füßen gegen eine Triggerwarnung oder sagen wir ganz neutral gegen einen Inhaltshinweis sperren. Solche Hinweise können andere Menschen vor Schäden bewahren, psychischen wie physischen, und denen, die solcher Hinweise nicht benötigen, schaden drei Zeilen im Impressum eines Buches nun wirklich nicht. Aus dem Bauch heraus und ziemlich frei will ich hier meine Gedanken und ein wenig auch meinen Frust zu diesem Thema aufschreiben.
Beginnen wir mit einem Fallbeispiel, das einige gute Zitate liefert, die mir zeigen, dass solch ein Blogpost von Nöten ist. Erinnert ihr euch an meine Rezension zu »Weil du mir guttust« von David Schwamborn? Mit ziemlicher Sicherheit, ist immerhin doch recht unerwartet durch die Decke gegangen. Mal ein paar Zahlen zu dieser Rezension. Word zählt mir 3377 Wörter. Von diesen über 3000 Wörtern lauten genau 2 (in Worten: ZWEI) »Triggerwarnung«; es sind drei mit der Ergänzung, die ich ein wenig später hinzufügte. Diese drei tauchen nun in folgenden Kontexten auf:
- »In diesem Buch gibt es ohne Triggerwarnung SVV (selbstverletzendes Verhalten, hier ritzen), unsensiblen Umgang mit Homosexualität und Transsexualität und Sexismus sowie noch so einige Dinge mehr, derentwegen ich nicht will, dass diese verunglückte Aneinanderreihung von gepeinigten Wörtern irgendeine Art von positiver Aufmerksamkeit (oder überhaupt groß Aufmerksamkeit) bekommt.«
- »Dasselbe mit SVV, die übrigens nicht mit Triggerwarnung versehen wurde.«
- »*Änderung 6.12.17: Gut, streng genommen müsste hier vor allem eine Triggerwarnung vor massivst unsensiblem Umgang mit sensiblen Themen stehen und nicht unbedingt eine wegen des SVV.«
Nebst dem Umstand, dass mir Bildniveau vorgeworfen wurde, weil ich im Posttitel den Hinweis setzte, dass die Rezension ein bitterböser Verriss ist, fand sie auch ihren Weg in Klopfers Web [1]. Und hier wird es für diesen Post interessant.
Ich möchte noch einmal betonen, dass dies mir wirklich nur als Fallbeispiel für die allgemeine Thematik dient, warum ich Triggerwarnungen nicht nur als höfliches Entgegenkommen sondern durchaus als notwendig erachte. Ich möchte damit niemanden an den Pranger stellen und möchte auch nicht, dass, obgleich die Usernamen in den Kommentaren auf Klopfers Web anonym sind, diesen Menschen hinter den Bildschirmen böse Dinge unterstellt werden.
»"In diesem Buch gibt es ohne Triggerwarnung (...)" und zu diesem Zeitpunkt habe ich schon keinen Bock mehr, weiterzulesen.
Blogger, die eine "Triggerwarnung" brauchen, weil sie plötzlich jede Lebensfähigkeit verlieren, sobald sie irgendwo eines furchtbaren Wortes, das sie "sehr mitnimmt", gewahr werden, sollte man nicht an einen Computer lassen, sondern irgendwo anleinen. Weia.«
»[…] vor allem diese Unsitte der Triggerwarnung hat mich direkt wütend getriggert.«
» - "Triggerwarnung"
- Laberfach- Germanistik-Student
- Grammatiknazi raushängen lassen, obwohl man die Sprache offensichtlich selber nicht 100% beherrscht
- Offensichtlich Ossi ("Konsum", wer sagt denn sowas?!)
Ich fühle mich heftig getriggert und hätte eine Triggerwarnung gebraucht ob dieser "Rezension".«
»Ich bin da nicht ganz rational, zugegebenermaßen, aber beim Wort "Trigger" hab ich einfach einen wunden Punkt.«
»"Triggerwarnungen" sind SJW-Sprech, und hinter SJW-Sprech steht SJW-Denke. Damit ist wohl alles gesagt.«
Und damit ist in der Tat eigentlich alles gesagt, warum ich solch einen Blogpost wie diesen hier als notwendig erachte. Immerhin wurde ich als Person (!) auch als »schlechter als Stephon Rudel« bezeichnet *lach*
SJW als Abkürzung für Social Justice Warrior hat eine abwertende Konnotation und wird häufig für Menschen bezeichnet, die einen zum Beispiel als sexistisch beschimpfen, weil man das Gendersternchen vergessen hat, und damit am eigentlichen Thema völlig oder teils vorbei diskutieren und in einem Übermaß pikiert sind. Wenn Menschen, die um ihr eigenes Seelenheil besorgt sind, wenn sie unerwartet zum Beispiel eine grafische Beschreibung von selbstverletzendem Verhalten (SVV) lesen, als SJWs bezeichnet werden, dann muss noch so einige Aufklärung geleistet werden im Bereich der psychischen Erkrankungen, Gewalt und Missbrauch! Das jüngste und deutlichste Beispiel ist die bayrische Landesregierung, die das Psychiatriegesetz erlassen wollte, in dem depressive Menschen wie ich als potenziell fremdgefährdend eingestuft werden.
Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass ein einziges Wort, das auf über 3000 Wörtern genau dreimal auftaucht und damit definitiv nicht der Hauptfokus des Textes ist, der Trigger für so viele Kommentare ist.
Wie der eine oder andere vielleicht mittlerweile weiß, bin ich selbst psychisch erkrankt und leide an Depression und verschiedenen Angsstörungen. Ich springe daher selbst sehr stark auf solche Trigger an und muss sogar erst noch lernen, meine Trigger bewusst wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen. Der psychische und teils auch körperliche Missbrauch des Mädchens Alice aus dem jüngst erschienen Spiel »Detroit: Become Human« hat mich emotional sehr stark mitgenommen: Es war ein Trigger, der mich kurzzeitig in meine üblichen Krankheitsmuster versetzte. Noch härter trifft es mich, wie es jüngst passierte, wenn ich unerwartet auf die grafische Beschreibung von SVV stoße. Und die Serie und das Buch »13 Reasons Why« meide ich wegen der Selbstmordthematik lieber gleich großzügig.
Ich kann nicht immer riechen, was mich in einem Roman erwartet. Bei »13 Reasons Why« weiß ich es, aber das ist eines der wenigen Beispiele, weil potenziell triggernde Themen hier der Dreh- und Angelpunkt der Handlung sind. Manchmal steht es auch schon im Klappentext, wie es bei »Der Schatten in mir« von Christian Milkus der Fall ist: »Ich heiße Salya, und ein Schatten liegt auf meiner Seele. Ich verletze mich selbst, um diese Welt ertragen zu können.« [Quelle: Amazon] Aber in den meisten Fällen bin ich nicht in der angenehmen Lage, solche Themen meiden zu können, bis ich mich in der Lage fühle, mit ihnen umzugehen. Vor allem dann nicht, wenn ich ganz entspannt ein seichtes Buch lesen will und dann völlig aus der Kalten mit den Dämonen in meinem Kopf konfrontiert werde. Das genaue Gegenteil von dem, was ich eigentlich wollte!
Natürlich kann man recherchieren, Rezensionen lesen und suchen, ob das Buch einen in irgendeiner Weise triggern könnte, wenn nicht ein entsprechender Hinweis dabei steht. Aber will ich das wirklich? Will ich wirklich jedem Buch umfassend hinterher recherchieren, ob es mich triggern könnte? Ich lese, wenn ich eine gute Phase habe, locker zwei bis drei Bücher in der Woche. Abgesehen von dem Aufwand, der unweigerlich folgen und mir mit Sicherheit sehr viel Spaß am Lesen nehmen würde: Ich gehe sehr gern unbedarft an Bücher heran und möchte mich nicht vorab schon von anderen Lesermeinungen zu dem Buch beeinflussen lassen. Einfach drauf los lesen und gucken, was passiert. Die Liste der Bücher, die mich in der Vergangenheit getriggert haben, ist bedeutend kürzer, als die Liste aller Bücher, die ich bereits gelesen habe. Trotzdem haben genau diese Bücher stets einen sehr bitteren Nachgeschmack hinterlassen.
Jüngst las ich »Minusgefühle« von Jana Seelig, ein Erfahrungsbericht einer jungen Frau, die ebenfalls mit Depressionen zu kämpfen hat. Allein anhand des Themas liegt sehr nahe, dass in dem Buch viele potenziell triggernde Themen wie auch SVV und Suizidalität behandelt werden; auch wenn es nicht selbstverständlich ist, Suizidalität und SVV sind keines der Kardinalsymptome von Depression und jeder Krankheitsverlauf ist individuell. Trotzdem ging dem Buch eine umfassende Triggerwarnung voraus, die ich hier gern zitieren möchte: »Dieses Buch enthält sensible Themeninhalte wie psychische und körperliche Gewalt, Suizidalität, Rassismus, Sexismus, Drogen- und Alkoholmissbrauch. Die Wertung der verschiedenen Situationen ist persönlich, beschreibt die zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Gefühle und ist in keinem Fall als rational anzusehen.« [Quelle: »Minusgefühle« von Jana Seelig]
Jetzt frage ich jeden, der das hier liest: Hat es dir in irgendeiner Weise geschadet, einen Inhaltshinweis zu einem Buch zu lesen, das du wahrscheinlich nicht einmal kennst, geschweige denn gelesen hast? Hat dich dieser Hinweis gespoilert? Hat er dir die Lesefreude genommen? Oder gehörst du jetzt angeleint, weil du vielleicht sogar solch einen Hinweis für gut befindest? Sollte man dir jetzt deswegen dein Recht auf Selbstbestimmung wegnehmen?
Zitate wie die, die ich Klopfers Web entnahm, sind keine seltenen Aussagen, die man zu diesem Thema findet. Dieselbe Rezension, die das lostrat, fand (wenn auch ohne konkrete Erwähnung) ihren Weg in diverse Facebook Diskussionen, wo wieder einmal drei Wörter aus über 3000 zum Brennpunkt wurden. Auch da fielen immer wieder ähnliche Aussagen. Leute, die Triggerwarnungen »brauchen«, sollen halt nicht lesen. Die sollen sich nicht so haben. Das spoilert doch! Ist alles unnötig!
Nein! Nein! Und nochmals nein! Es macht mich wütend, dass Leute so sehr auf Menschen mit psychischen Krankheiten so sehr herumtrampeln und sich die Freiheit, nein, Frechheit herausnehmen, so über ihre Köpfe hinweg zu entscheiden und ihre Gefühle zu missachten!
Wirklich: Ein kleiner, allgemeiner Inhaltshinweis im Impressum des Buches, das die meisten eh überblättern, schadet niemandem. Er spoilert nicht, nimmt keine Lesefreude und bewahrt einige Menschen vor Schäden ihrer Psyche. Menschen, die eine Triggerwarnung »brauchen«, sind sehr wohl selbstbestimmte, selbstständig denkende Personen, die sehr gut selbst entscheiden können, was ihnen gut tut und was ihnen eher schadet. Sie können, wenn sie wissen, womit sie rechnen können, hervorragend selbst für sich entscheiden, ob sie sich den folgenden Inhalt zutrauen oder nicht. Und wenn nicht, dann lassen sie es eben.
Aber sie müssen es im Vorfeld einfach wissen!
Ich verstehe es nicht. Ich verstehe wirklich nicht, was an einer simplen Triggerwarnung so schlimm sein kann, dass sie solch große Empörungsschreie hervorruft. Wem schadet sie? Niemandem! Wem nützt sie? Einer ganzen Menge Leute!
Jetzt seid ihr dran! Hattet ihr schon einmal Berührungspunkte mit dem Thema? Hätte euch ein Inhaltshinweis vielleicht sogar davon abgehalten, das entsprechende Buch zu diesem Zeitpunkt zu lesen? Oder haltet ihr das alles für Quark?
Ein kleines P.S. mit Offtopic: Die oben zitierten Aussagen, die auch teils gegen mich als Person zielten und nichts mehr mit der Rezension zu tun hatten (O-Ton: »"Der Buchdrache" ist schlechter als Stefon Rudel.«), erreichten mich in einer Phase, in denen ich mich den schlimmsten Dämonen in meinem Kopf stellen musste, in der es mir so schlecht ging wie noch nie in meinem Leben, einer Phase, aus der ich beinahe nicht mehr heraus gekommen wäre. Ich sah in meiner Blogstatistik, dass mein Blog Aufrufe über Klopfers Web erhielt, war neugierig, wieso er da gelandet war, schaute nichts Böses ahnend nach und wurde mit solchen Aussagen konfrontiert, man solle mich doch besser anleinen, statt mich an einen PC und ins Internet zu lassen. Ich las gar nicht erst weiter, aber der Schaden war bereits angerichtet. Seid rücksichtsvoller, auch im Netz! Am anderen Ende der Leitung sitzt immer auch ein denkender und fühlender Mensch mit Emotionen. Jeder hat seinen Packen zu tragen und ihr wisst niemals, wie groß der Rucksack des anderen wirklich ist. Meiner hätte mich in der Zeit beinahe unter Wasser gezogen, und das packte noch einige dicke Wackersteine zusätzlich mit hinein.
[1] Zuletzt aufgerufen am 19.6.18