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Sätze: | 69 | |
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Die Leserinnen und Leser meiner biografischen und teils biografischen Schriften können sich mit Sicherheit zumindest ein verschwommenes Bild davon machen, wie ich denke und wie ich mein Leben gestaltet habe. Auch über die Frau, die mich den größten Teil meines Lebens begleitete, habe ich einiges geschrieben. Ihr Lebenskreis hat sich bereits geschlossen, für mich nur bleibt die Erinnerung an diese starke und kluge Frau. Nein, das stimmt so nicht! Es ist nicht nur die Erinnerung, es ist mehr, in meinen Gedanken steht sie neben mir. Ich kann sie immer und jederzeit erreichen. Ich weiß, was sie antworten würde, wenn ich ihren Rat benötige. Wir kannten uns eben sehr lange, länger, als manches Menschenleben währt.
Wir waren zwar grundlegend, unterschiedliche Charaktere, hatten aber viele gemeinsame Überzeugungen. Ein wichtiges Glied in der Kette gemeinsamer Überzeugungen war, dass wir beide davon überzeugt waren, dass fast alles Unglück dieser Welt von den Kriegen ausgeht. Wir waren, solange wir noch jung und gesund genug waren, auf vielen der großen Demonstrationen für Frieden und Abrüstung zu finden. Als das dann zu anstrengend wurde, mussten wir uns zurückziehen, blieben aber der Friedensbewegung weiterhin eng verbunden. Über die Wege zur Schaffung oder zum Erhalt des Friedens waren wir uns nie ganz einig. Gestritten haben wir nie darüber, warum auch. Wir verfolgten immer ein gemeinsames Ziel, nur den Weg dorthin stellten wir uns unterschiedlich vor. Beide Positionen mögen richtig sein. Überprüfen kann man es nicht, denn es wird weitere Generationen brauchen, den Weg dorthin zu finden.
Selbstverteidigung vertrat und vertrete ich als legitimes Recht der Völker. Im Prinzip sah sie das auch so, in der Praxis konnte sie sich das nicht vorstellen. Das Recht auf Selbstverteidigung interpretierte sie als passiven Widerstand. Dazu brauche es, nach ihrer Vorstellung, keine Waffen und keine Armeen. Sie war Pazifistin aus tiefster Überzeugung. Da sie vor allem eine Frau war, die ich immer als Realistin wahrgenommen habe, trieb ihre Überzeugung sie immer wieder in innere Konflikte. Immer dann, wenn ihre durchaus realistische Weltsicht mit ihren pazifistischen Überzeugungen kollidierte, war sie zutiefst verunsichert. Es war für sie nie einfach und sie hat es sich auch nie leicht gemacht. Ja, sie hat regelrecht mit sich gerungen! Wenn wir in konkreten Fällen über kriegerische Auseinandersetzungen sprachen und ich ihr meine Argumente zum Recht auf Selbstverteidigung darlegte, was ihrem Gesicht anzusehen, welchen Gedanken sie sich dabei machte – was wirst du tun, wenn die Schwerter ruhn?
Dieser Gedankengang, der dem Refrain eines Liedes von Klaus Hoffmann entstammt, spielte bei ihr eher unbewusst eine wichtige Rolle. Es war schwer, für sie, sich dazu durchzuringen, den Einsatz von Waffen auch nur zu erwägen. Wich sie nach langen, schmerzhaften Überlegungen von ihrer pazifistischen Einstellung ab, wurde sie bald darauf von Gewissensbissen geplagt. Jeder, der das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nimmt, muss sich zwingend Gedanken darüber machen, was er tut, wenn der Kampf beendet ist. Das war nicht nur ihre Überzeugung, sondern entspricht auch meinen Überzeugungen. Nur bei ihr war es dramatischer. Wenn sie die Not sah, die Kriege unschuldigen Menschen zufügen, zumal dann, wenn sie sich dazu durchgerungen hatte, das Recht auf Selbstverteidigung anzuerkennen, dann wurde es schmerzhaft für sie. Schmerzhaft im wörtlichen Sinn. So schmerzhaft, dass nach dem Angriff auf die Ukraine ihr Lebenswille erlosch. Immer hat sie leben wollen, immer war sie der Meinung es wäre noch nicht alles getan, also wollte sie leben. Aber als die Bilder des Schreckens Abend für Abend den Bildschirm füllten, breitete sich bei ihr das Gefühl aus, es nicht mehr ertragen zu können. Die Gefahr dieses Krieges war einige Monate präsent, sie hoffte, wie wohl die absolute Mehrheit der Menschen, diese Gefahr würde irgendwie beseitigt werden. Kurz gesagt, dadurch, dass es möglich wäre, den Aggressor von seinem verbrecherischen Tun abzuhalten. Sie lebte für diese Hoffnung. Dann war der Krieg Wirklichkeit. Nicht einmal die Gedanken, ob es ein Recht auf Selbstverteidigung gibt, hatten sie bis zu diesem Tag geplagt. Der Krieg platzte in ihr Leben. Die Frage, was zu tun ist, wenn die Schwerter ruhn, hatte sie nicht formulieren können. Die Kämpfe waren in vollem Umfang entbrannt, zu spät, um Fragen zu stellen oder sich Gedanken zu machen. An diesem 24. Februar erlosch eigentlich alles in ihr, an das sie ihre pazifistische Einstellung, hat glauben lassen. Der Rest ist schnell niedergeschrieben. Gerade etwas mehr, als einen Monat, hielt sie noch durch – dann schloss sich ihr Lebenskreis. In der Reihe der Kriege, die ihren Lebensweg begleitet hatten, was es genau ein Krieg zu viel für sie.
Was wirst du tun, wenn die Schwerter ruhn? Ich vermute, niemand, der zur Waffe greift, stellt sich diese Frage. Dabei glaube ich, diese Frage zu stellen, wäre immens wichtig. Sich zu verteidigen ist die eine Seite, sich Gedanken darüber zu machen, wie es nach einer Waffenruhe weiter gehen soll, ist die andere Seite – die wichtigere! Was ist zu tun, damit aus den Trümmern einer zerstörten Welt, ein dauerhafter Frieden wachsen kann? Wer sich darüber nicht beizeiten Gedanken macht, läuft in Gefahr, dass Hass und Ressentiments in der Tiefe weiter schwelen, so wie in trocken gefallenen Mooren nach einer Brandkatastrophe, das Feuer jahrelang unterirdisch weiter schwelen kann. Dort kann ein Windstoß reichen und aus dem schwelenden Feuer entsteht ein neuer Flächenbrand. Beispiele des erneuten Aufflammens von Hass und Ressentiments bietet die Geschichte mehr als genug. Nach dem 1. Weltkrieg ist der Versuch, eine dauerhafte Friedensordnung zu schaffen, kläglich gescheitert. Revanchistische Kräfte redeten den Menschen ein, sie seinen verraten worden. Diese Schmach müsse beseitigt werden. Die Dolchstoßlegende erzählte von der Armee, die im Felde ungeschlagen war. Die Folgen sind bekannt, ein noch furchtbarer Krieg überrollte die Völker und zerstörte weite Teile der Erde. Ich glaube, wenn es etwas gibt, was mir fast 80 Jahre nach dem Ende dieses Weltenbrandes Hoffnung macht, dann ist es das, dass es nach diesem Krieg zumindest teilweise gelungen ist, eine gerechtere Nachkriegsordnung zu installieren.
Vielleicht sind Hoffnung und Sehnsucht Geschwister. Die Hoffnung auf Frieden wird von der Sehnsucht nach einem Leben in einer gerechten und sicheren Welt genährt. Eine Illusion! Oder vielleicht wird doch nicht? Irgendwann wird die Sehnsucht vielleicht so groß, dass Kriege nicht mehr denkbar sind. Ich bin zu alt, ich werde diesen Moment nicht mehr erleben, die mir folgende Generation auch nicht. Vielleicht hat eine Generation von Menschen, in einer fernen Zukunft, den Willen und das Geschick, aus der Sehnsucht nach Sicherheit und Gerechtigkeit eine Welt des Friedens zu schaffen. Ich hoffe es zwar, aber zuversichtlich bin ich nicht.
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Schriftstellerin • Am 28.05.2023 um 13:19 Uhr | |||||||
Hallo Bernd, und wieder redest Du vom Krieg, das Thema, das auch mich am meisten beschäftigt. Ich wundere mich immer, dass die Leute sich wegen Fußballergebnissen heiß machen, wenn Medwedjew mit taktischen Atomwaffen droht. War da nicht etwas mit ausgefallenen Haaren und von Schatten, die das Einzige waren, was von Leuten übrigblieb. Medwedjew habe ich eigentlich nicht für einen Hardliner gehalten, jetzt ist er der Oberböse, und kann sich mit Adolf die Hand reichen. Von den Auswirkungen der Atomstrahlung habe ich in dem Kinderbuch "Tosho und Tamiki" gelesen, das in Hiroshima spielt, zur Zeit des Bombenabwurfs. Jahrelang hatte man die Gefahr eines Atombombenabwurfs verdrängt, jetzt ist sie wieder real geworden. Ich hatte immer gehofft, dass das russischer Volk den Tyrannen stürzt, aber da besteht wohl wenig Hoffnung. Mit Glasnost und Perestroika ist doch frischer Wind in die ehemalige Sowjetunion gekommen. Mit einem Mal gab es freie Fernsehsender und Zeitungen, und leider auch einen großen wirtschaftlichen Einbruch, und es entstanden merkwürdige Milliardäre. Alle sehnten sich nach Normalität. Scheinbar gelang es Putin ja, das Land wirtschaftlich zu stabilisieren. Dafür will er uns jetzt alle an den Abgrund bringen. Der Krieg in der Ukraine erscheint mir eine Materialschlacht zu sein, wie der Erste Weltkrieg. Jede Seite pumpt Unmengen von Waffen rein und alles stagniert. Über das schöne Pfingstwetter kann man sich gar nicht so richtig freuen, wenn man an die Weltlage denkt. Gruß Schriftstellerin Mehr anzeigen |
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