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Winter 1972: Wolfgang und Elisabeth sitzen in einem kleinen, hübschen Café in Hückeswagen. Sie waren 1972 hier in die Nähe von Elisabeths Eltern gezogen. Beide sind angespannt. Der Grund für ihre Aufregung sind die Gäste, auf die sie gerade warten: Vera und ihr Ehemann, der ebenfalls Wolfgang heißt. Wolfgang Meyer hatte die beiden eingeladen. Wobei die Idee, sie einzuladen, von Elisabeth kam. Sie wollte „diese Vera“ einfach mal besser kennenlernen – so zumindest Elisabeths Aussage. Die Frau, von der sie wusste, dass Wolfgang sie bald für sie verlassen wird, obwohl sie ein schwerbehindertes Kind zusammen haben.
Markus hatte bei seiner Geburt die Nabelschnur um den Hals und ist wegen des Sauerstoffmangels nun mehrfachbehindert. Von einer dauerhaften Behinderung war kurz nach der Geburt jedoch noch nicht die Rede. Es hatte sich nach und nach langsam herausgestellt, dass Markus in seiner Entwicklung stark verzögert ist. Die Ärzte betonten aber, dass man durch moderne physiologische Methoden noch alles erreichen könne. Es ist wohl eine grundsätzliche Einstellung von Ärzten, dass sich alles noch verbessern lässt. Das Gegenteil wird von ihnen so lange beiseite geschoben, bis es nicht mehr geleugnet werden kann – davon ist Wolfgang überzeugt …
Wie stark Markus gesundheitliche Einschränkungen sind, das hatte sich in den letzten Monaten deutlich gezeigt: Der Junge hatte einfach nichts dazugelernt. Keine Bewegungen, gar nichts. Auch jetzt noch kann er weder sitzen noch krabbeln, muss deshalb ständig getragen werden. Elisabeth und Wolfgang hatten alles in ihrer Macht Stehende versucht, um Markus eine koordinative Entwicklung zu ermöglichen. Doch nichts hat sie näher an das gewünschte Ziel gebracht. Weder die zahlreichen Trainings in speziellen Institutionen, wie zum Beispiel in München, noch die alltäglichen Übungen zu Hause. Was noch erschwerend dazukam, war seine große Anfälligkeit für Krankheiten. Ständig wurde der Junge krank, hatte jedes kleinste Zipperlein abbekommen. Sein junges Leben war von Krankenhausaufenthalten geprägt. Mal wegen eines Leistenbruchs, mehrmals wegen Lungenentzündung. Nach jedem Krankenhausaufenthalt waren die kleinen Fortschritte, die er nach Wochen der Durchführung der Bobath’schen Übungen machte, wieder verschwunden. Irgendwann meinten die Ärzte auch, dass der Hirnschaden bei Markus sicherlich früher oder später die sogenannten Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe verursachen würde, eine seltene und sehr ernst zu nehmende Säuglings-Epilepsie.
Der gesundheitliche Zustand von Markus sorgte bei Wolfgang für ein noch größeres schlechtes Gewissen, wenn er immer wieder an Trennung dachte. Und daran, dass er doch viel lieber mit seiner Vera zusammen wäre. Aber er konnte Elisabeth doch nicht mit einem schwer kranken Kind im Stich lassen! Doch trotz seines schlechten Gewissens waren Wolfgang und Elisabeth als Paar nicht zusammengewachsen in all ihren gemeinsamen Schwierigkeiten – ganz im Gegenteil: Sie stritten umso mehr. Deshalb der Beschluss zur Trennung. Und zum gemeinsamen Treffen mit Vera und ihrem Ehemann.
Sie sind da. Wolfram und Elke stehen auf, um sie mit einem Händeschütteln zu begrüßen. Höflich – fast aufgesetzt freundlich –, und damit auch vorsichtig distanziert fällt die Begrüßung aus. Eine seltsame Situation. Es liegt Spannung in der Luft. Die Bedienung kommt. Wolfgang bestellt sich einen Cappuccino und ein Wasser, Vera einen Kakao. Die anderen beiden jeweils einen Kaffee. Die vier unterhalten sich über Belanglosigkeiten. „Leckerer Kaffee“, meint Veras Mann. „Der Kakao ist auch nicht schlecht“, erwidert Vera.
Es ist nicht das erste Mal, dass Vera Wolfgang besucht. Nach der Geburt von Markus hatte er den Kontakt zu ihr zwar nicht abgebrochen, aber zumindest gemieden. So sehr hatte ihn damals die Behinderung seines Sohnes aus der Bahn geworfen. Immer, wenn Vera versucht hatte, ihn anzurufen, war er nicht ans Telefon gegangen und hatte auch nicht zurückgerufen. Deshalb stand Vera eines Tages einfach so vor Wolfgangs Tür. Elisabeth war gerade nicht da. Sie war arbeiten. Wolfgang hatte sich sehr gefreut, Vera wiederzusehen. Sie hatten sich ja quasi von April bis Herbst 1972 nicht gesehen. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb war dieses erste Aufeinandertreffen irgendwie krampfhaft. Sie hatten darüber gesprochen, wann Wolfgang sich denn endlich von Elisabeth trennen würde. Wolfgang hatte sich herausgeredet, wollte sich nicht festlegen. Dann hatten sie sich innig geküsst und anschließend miteinander geschlafen. Beim Abschied hatte Wolfgang Vera versprochen, dass er sich bei ihr melden würde. Das hatte er dann auch nach einer ganzen Weile getan. Eben an dem Tag, als er gemerkt hatte, dass er es endgültig nicht mehr mit Elisabeth aushält. Wolfgang war sich eigentlich sehr sicher gewesen, dass er von Vera eine Abfuhr bekommen würde. Doch die bekam er nicht, als er sie anrief. Nach einigen mehr oder weniger heimlichen Treffen zu zweit, sitzen Wolfgang und Vera nun mit ihren jeweiligen Ehepartnern in diesem kleinen Café in Hückeswagen.
Ihre Getränke sind mittlerweile leer, Wolfgangs zweite Zigarette ist zu Ende geraucht. Zu viert machen sie sich zu einem Spaziergang auf. „Welche Route sollen wir nehmen?“, fragt Wolfgang. Elisabeth antwortet: „Vielleicht erst mal die Straße hier hoch und dann rechts abbiegen. Der Weg eignet sich besonders gut zum Spazieren!“ „Wirklich schönes Wetter heute“, wirft Vera ein. Sie gehen den von Elisabeth vorgeschlagenen Weg. Weitere Belanglosigkeiten werden ausgetauscht. Niemand spricht den Elefanten im Raum an. Allen sind aber die neuen Verhältnisse bewusst, auf die sie sich demnächst einstellen müssen. Wobei es Veras Mann tatsächlich erst jetzt zu dämmern scheint, dass Vera eine Affäre mit Wolfgang hat. Seiner Reaktion nach scheint es ihm aber auch nicht allzu weh zu tun. Zumindest trägt er es mit Fassung. Über die Ehe von ihm und Vera weiß Wolfgang, dass die beiden sich zwar nur selten streiten, dafür aber sonst nicht viel miteinander am Hut haben. Jeder führt so sein Leben parallel zum anderen. Die vier kommen am Auto von Vera und ihrem Mann an, womit der Spaziergang beendet ist. Die beiden verabschieden sich, steigen ins Auto und fahren davon, ohne etwas Gehaltvolles mit Wolfgang und Elisabeth besprochen zu haben.
Wolfgang und Elisabeth winken noch kurz freundlich und gehen dann schweigend nebeneinander nach Hause.
Wieder zu Hause angekommen, ist Wolfgang müde. Müde von Elisabeths langem Vortrag, den sie gerade darüber hält, wie blöd und unsympathisch Vera sei. Er geht aus dem Wohnzimmer ins Schlafzimmer, um von Elisabeth wegzukommen. Elisabeth läuft ihm hinterher. Sie redet weiterhin auf ihn ein: „Die passt nicht zu dir! Ich weiß gar nicht, was du an dieser seltsamen Frau findest! Wir passen doch viel besser zusammen. Komm, uns geht es doch prima zusammen. Und das mit den kleinen Streitereien kriegen wir auch noch hin … Wolfgang, du kannst nicht gehen! Wir haben schließlich ein schwerbehindertes Kind zusammen! Markus braucht Mutter und Vater!“
Vor dem Treffen mit Vera und ihrem Mann hatte Elisabeth ihm glaubhaft erklärt, dass sie die bevorstehende Trennung akzeptieren würde und es sogar gut und richtig findet, sich voneinander zu trennen. Dementsprechend hatte sie sich auch verhalten. Wolfgang hatte ihr geglaubt, ihr ihr Schauspiel abgenommen. Bis zu diesem Tag hatte Elisabeth jedoch auch nicht gewusst, dass sich Wolfgang nach der Trennung sofort mit Vera zusammentun würde. Das war ihr erst jetzt klar geworden. Wolfgang versteht nun ebenfalls gerade, dass Elisabeth nicht bereit ist, ihn loszulassen. Er spürt, dass die Trennungszeit wahrscheinlich doch nicht so leicht verlaufen wird, wie er es sich erhoffte. Er will jedoch weg von Elisabeth. Ganz dringend.
Wolfgang schnappt sich seine Jacke und geht einmal um den Block ...
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