Autor
|
Bewertung
Statistik
Sätze: | 75 | |
Wörter: | 1.561 | |
Zeichen: | 9.436 |
Die Azoren – allseits bekannt durch das Azorenhoch – sind eine Gruppe von neun bewohnten und einigen kleinen unbewohnten Inseln. Gemeinsam bilden sie eine autonome Region Portugals. Wir hatten unsere Ferien auf der Insel Pico verbracht, die zur sogenannten Grupo Central gehört. Dort liegen in direkter Sichtweite die Inseln Faial, Pico und São Jorge nahe beieinander. Etwas weiter entfernt liegen die beiden Inseln Graciosa und Terceira. Der internationale Flughafen befindet sich auf der Insel Faial. Die anderen Inseln der Grupo Central erreicht man von dort aus mit dem Fährboot oder mit dem Flugzeug. Faial und Pico, sind lediglich durch die acht Kilometer breite Meerenge Canal do Faial getrennt. Daher gibt es zwischen diesen beiden Inseln ausschließlich eine Verbindung mit dem Fährboot.
Wie es nun einmal ist, selbst die schönsten Ferien sind irgendwann vorbei und so machten wir uns an einem Sonntag frühmorgens auf die Rückreise. Wir verabschiedeten uns vom Vermieter des Feriendomizils, genossen noch einmal kurz den Blick über das Meer in Richtung São Jorge, stiegen in unseren Leihwagen und fuhren in den regnerischen, aber windstillen Morgen. Zu dieser frühen Morgenstunde war nicht viel los auf den engen und kurvenreichen Straßen Richtung Hafen; eilig hatten wir es nicht, da wir für die ca. fünfundvierzig Kilometer zwei Stunden eingeplant hatten und außer einer Rinderherde, die zeitweilig die Straße blockierte, gab es auch keine weiteren Vorfälle. So näherten wir uns nach eineinhalb Stunden der Hafenstadt Madalena, immer entlang der Nordküste fahrend. Bis dorthin verläuft die Straße ausschließlich entlang des, die Insel beherrschenden, Vulkans Pico. Eigentlich befindet sich der Vulkan nicht auf der Insel Pico, sondern die Insel ist die oberhalb des Meeresspiegels liegende Spitze des Vulkans. Vor der Stadt weitet sich die Landschaft in ein eher hügeliges Gelände mit von Basaltmauern gegen den ewig wehenden Wind geschützten kleinen Weingärten. Und nun merkten wir es, es brauste ein heftiger Sturm aus Süd über den Atlantik und die Inseln. Wir hatten nur deshalb nichts davon bemerkt, weil wir uns bisher im Windschatten des über zweitausend Meter hohen Vulkans bewegt hatten.
Am Hafen angekommen machte es uns der Sturm schwer, uns neben dem Auto auf den Beinen zu halten. Mühsam bugsierten wir unser Gepäck vom Auto in den Wartesaal, übergaben den Wagen an den Vermieter und lösten zwei Fahrscheine nach Horta auf Faial. Langsam wurden wir etwas unruhig, da das Fährboot noch nicht angekommen war, denn ohne Fährboot kein Flug nach Hause und das hätte bedeutet, wir hätten unsere Heimreise um etliche Tage verschieben müssen, über die zusätzlichen Kosten, die entstanden wären, will ich erst gar nicht nachdenken. Mit ziemlicher Verspätung lief die Fähre ein und uns fiel erst einmal ein Stein vom Herzen. Angesichts der Verspätung begann die Besatzung, mit für die Inseln ungewohnter Hast, das Entladen und Beladen der Fähre zu organisieren. Größere Gepäckstücke, so auch unsere Koffer, kamen in den Gepäckraum – ein Krankenwagen fuhr vor und ein offensichtlich schwer kranker Mann wurde auf einer Trage, in die für bettlägerige Passagiere reservierte Kabine bugsiert. Heftiger Regen setzte ein und die Hafenanlagen verschwanden hinter einer Wand aus Dunst und Regen.
Als die Besatzung alle Vorbereitungen für die Überfahrt getroffen hatte, wurden die Passagiere über einen quakenden Lautsprecher an Bord gebeten. Wir verstanden natürlich kein Wort und gingen einfach mit, als sich die anderen Passagiere zum Ausgang bewegten. Da das Boot trotz der geschützten Lage im Hafen heftig schwankte, standen kräftige Männer bereit, um beim Einsteigen behilflich zu sein. Wir wählten einen Platz in der Kabine auf dem Unterdeck; wohl wissend, auf dem Oberdeck schaukeln Schiffe heftiger, als nahe der Wasserlinie. Die Fähre war trotz der noch frühen Stunde gut besetzt, was wohl daran lag, dass es sich bei unserem Ziel, der Hafenstadt Horta, um die einzig schnell erreichbare nennenswerte Stadt im Umkreis handelt. Obwohl Horta ähnlich viele Einwohner wie Picos Inselhauptstadt Madalena hat, wirkt Horta mit seinen Einkaufmöglichkeiten, seinen Museen und der internationalen Segler-Szene gegenüber dem ländlichen Madalena fast schon wie eine Großstadt.
Die Kabine war mit den in Flugzeugen gebräuchlichen Sitzen ausgestattet, nur viel, viel durchgesessener und von daher unbequemer, als man das von Sitzen in Mittel- und Westeuropa verkehrender Flugzeuge gewohnt ist. In der Kabine herrschte einiger Lärm, da sich alle unterhielten, letzte Neuigkeiten austauschend, vermute ich. Dabei mussten sie mit ihren Stimmen einen ständig mit voller Lautstärke plappernden Fernsehapparat übertönen. Obwohl sich kein Mensch für dieses Gerät interessiert, scheint derartiger Komfort in ganz Portugal unverzichtbar zu sein.
Die Fähre legte ab, an die Passagiere wurden Spucktüten verteilt. Nach einer Wende im Hafenbecken ging es hinaus auf die Meerenge. Schon in der Hafenausfahrt wurde das Boot von einem mächtigen Brecher am Bug erfasst und hochgehoben. Genauso schnell klatschte es anschließen mit voller Wucht in ein Wellental. Es wurde merklich stiller an Bord. Man konnte förmlich beobachten, wie die ersten Gesichter blasser wurden. Dann drehte das Boot in Richtung Westen, um nach Horta zu gelangen. Die Brecher trafen das Fährboot nun voll an der Backbordseite und bei jedem neuen Brecher baute sich vor den Fenstern der Kabine eine Wand aus Wasser auf. Wir bemerkten, unsere Wahl, Backbord zu sitzen, war die falsche Wahl. Jeder Brecher, der vor die Backbordwand knallte, dröhnte wie ein Donner in unseren Ohren, aber zum Wechsel der Plätze war es zu spät. Schon der Versuch des Aufstehens, zeigte, stehen oder gar gehen war bei dieser Schaukelei unmöglich. Also ertrugen wir es ergeben, dass Zentimeter neben uns Wassermassen auf Wassermassen gegen die Fenster klatschten. An Bord wurde es jetzt sehr, sehr ruhig. Nur der Fernsehapparat blubberte unbeeindruckt vor sich hin. Ab und zu, wenn die Fähre von einem Brecher eine besonders heftige Breitseite bekam und ein Zittern durch das ganze Boot lief, verschwamm das Fernsehbild zu einem abstrakt wirkenden, bunten Gemälde in allen Farben des Regenbogens. Nur der Ton des Fernsehgeräts schien von allem völlig unbeeindruckt, unbeirrt schrien die Lautsprecher weiter ihre Weisheiten in den Raum.
Entgegen unseren sonstigen Erfahrungen bei den Fahrten mit dieser Fähre blieben diesmal alle Passagiere brav auf ihren Plätzen sitzen. Eigentlich wird die halbe Stunde Überfahrt von den Einheimischen genutzt, um alle Bekannten, die man sieht, freudig zu begrüßen. Dadurch herrscht ein ständiger Austausch der Passagiere zwischen Ober- und Unterdeck. Schon nach der Hälfte dieser Überfahrt fühlte sich mindestens die Hälfte der Mitreisenden äußerst unwohl, man sah es ihren Gesichtern an. Irgendwie ähnelten ihre Gesichter farblich, den Gesichtern auf einem grünstichigen Foto.
Während dieser Phase der Überfahrt, inmitten der Meerenge, erreichten die Brecher ihre größte Kraft. Von einer Fahrt im eigentlichen Sinn konnte man nicht mehr sprechen, die Fähre tanzte und hüpfte eher ihrem Ziel entgegen. Die Gespräche waren verstummt. Die noch zu hörenden Stimmen glichen eher dem Murmeln, leise gesprochener Gebete. Eine Wasserwand baute sich vor den Fenstern auf und traf krachend die Fähre. Der Kurs des Bootes änderte sich abrupt von West nach Nord. Ich hätte mir gewünscht, wie im Flugzeug angeschnallt zu sein. So aber rutschte ich aus dem Sitz und landete unsanft auf dem nicht gerade sauberen Kabinenboden. Meine Frau krümmte sich vor Lachen, als sie mich mit dummem Gesichtsausdruck auf dem Boden sitzen sah. Mühsam zog ich mich auf meinen Sitz und konnte mir auch das Lachen nicht verkneifen. Der Kapitän korrigierte den Kurs wieder in Richtung West, die Brecher klatschten erneut gegen die Fenster.
Der Tanz auf den Wellen endete abrupt. Als das Boot in die Bucht von Horta einfuhr, kam es ganz plötzlich in ruhigeres Fahrwasser. Der Kapitän gab noch einmal kräftig Gas, bevor er die Fähre in den sicheren Hafen steuerte. Auf den letzten Metern der Fahrt schauten wir interessiert in die Runde. Während sich die Erwachsenen recht schnell von den Strapazen erholten, waren die meisten der zahlreichen Kinder in einem bedauernswerten Zustand. Ihre Gesichter wirkten wächsern und etliche klammerten sich ängstlich an ihre Eltern. Ich hoffe, sie hatten als Ausgleich einen schönen Sonntag in der einzigen großen Stadt weit und breit. Für uns musste es nun dank erheblichen der Verspätung schnell gehen, Flugzeuge warten nun einmal nicht. In der allgemeinen Konfusion gelang es uns zum Glück, schnell an unsere Koffer zu kommen. Ein Taxi hatten wir im Voraus bestellt. Der Fahrer stand am Kai und hielt ein Pappschild mit unserem Namen, das an einer Holzlatte befestigt war, hoch über alle Köpfe. Wir erreichten nach einer wilden Taxifahrt gerade noch rechtzeitig den Flughafen.
Nachwort
Nun liebe Leser, diese Erzählung ist das, was man einen Tatsachenbericht nennt. Ich habe nichts Wesentliches hinzugefügt und nichts weggelassen. Eins haben wir an diesem Tag erfahren, wir haben großes Glück – wir sind absolut seefest.
Es gibt zum Glück relativ selten Tage, an denen die Überfahrt so aufregend ist. Viele der Bewohner von Pico nutzen die Fähre, um zur Arbeit zu pendeln, wie der werktags, steht‘s fast vollständig belegte Pendlerparkplatz am Hafen der Insel Pico beweist.
|
Sätze: | 75 | |
Wörter: | 1.561 | |
Zeichen: | 9.436 |
Feedback
Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!