Ein endloses Brachland erstreckte sich vor dem Heer, Ödland soweit das Auge reichte. Ein fauliger Geruch waberte in dicken Schwaden über die verbrannten Hügel dessen, was einst ein fruchtbarer Garten gewesen war. Früher hatten hier prächtiger Obstbäume und weite goldene Felder gestanden. Nun war es nur noch eine verbrannte Ödnis, in der sich nichts mehr regte. Leise fuhr der Wind in die Banner des Heeres und trug den süßlichen Gestank nach Verwesung unter sie. Die Stille des Todes lag über allem.
»Was ist hier nur geschehen?«, fragte sich Gil-galad leise.
»Das Werk des Feindes«, sagte Oropher düster, während er an die Seite des Hohen Königs ritt. Er sah nicht zu ihm, sondern ließ den Blick über das verwüstete Land schweifen. »Hier standen die Gärten der Entfrauen, ein blühendes, fruchtbares Land, das sie hegten und pflegten, seit sie aus dem Westen kamen. Sie lehrten den Völkern des Anduin den Ackerbau und gaben ihnen bereitwillig die Früchte ihrer Hände Arbeit als Geschenk der Freundschaft. Diese Lande blühten unter ihrer sorgsamen Pflege in nie dagewesener Pracht.« Sein Blick wanderte nach Süden, ihrem Ziel entgegen. »Sauron! Dies muss sein Werk sein. Ein Krieg der verbrannten Erde. Er kennt nichts als Zerstörung all dessen, was gut und schön ist.«
Gil-galad hatte ihm schweigend gelauscht und dabei das Land vor ihnen betrachtet. Thranduil fragte sich einmal mehr, was im Kopf des Hohen Königs vor sich gehen mochte, während ihm selbst das Herz schwer war vor Trauer. Als sie noch auf dem Amon Lanc gelebt hatten, waren die Entfrauen gute Nachbarn gewesen, welche oft ihre Wälder besucht hatten und ihnen die Früchte ihrer Felder schenkten. Auch die Waldelben waren oft gekommen, um in ihren Gärten zu wandeln und sich ihrer Schönheit zu erfreuen. Es war eine gute Nachbarschaft gewesen.
»Ein Krieg der verbrannten Erde, fürwahr«, sagte Gil-galad schließlich. »Sauron will uns aufhalten, was in gewisser Weise gut ist, denn dann fürchtet er uns. Dennoch liegt unser Weg nach Mordor durch diese Lande.«
»Wir müssen wissen, was vor uns liegt«, ergriff nun Elendil das Wort. »Sauron wird sich sicher nicht nur damit begnügt haben, die Gärten zu verbrennen. Wer weiß, welche Teufeleien er noch entsonnen hat.«
Gil-galad nickte und wandte sich an seinen Herold. »Elrond, ich will, dass du mit einer Gruppe Späher unseren Weg auskundschaftest. Oropher, Eure Leute kennen das Land vor uns. Würdet Ihr Elrond einige Eurer Waldläufer zur Seite stellen?«
Auch wenn Gil-galad und Elendil die Oberbefehlshaber ihrer Streitmächte waren, so wandte sich der Hohe König nie mit Befehlen an Oropher. Stets formulierte er es als Bitten. Thranduil war dies schon am ersten Tag aufgefallen, als sie sich den Heeren der Noldor und der Dúnedain angeschlossen hatten. Anscheinend wusste Gil-galad sehr wohl, dass Oropher kein Freund der Noldor war, und bemühte sich, ihm auf Augenhöhe zu begegnen. Thranduil fragte sich dennoch, wie lange es noch dauern würde, bis es bis zum unausweichlichen Eklat zwischen den beiden kommen würde. Die Spannung war beinahe greifbar.
Oropher zögerte sichtlich, doch dann nickte er schließlich. »Thranduil, such dir eine Handvoll deiner besten Leute und geh mit Elrond.«
Thranduil atmete auf. Noch blieb er verschont mit Streitereien zwischen seinem Vater und Gil-galad.
Gil-galad und Elendil befahlen eine Rast, bis ihre unmittelbare Lage ausgekundschaftet war und sie eine ungefähre Ahnung hatten, was sie erwarten mochten. Erst dann wollten sie weiter marschieren und weitere Kundschafter aussenden. Ein wenig erstaunte es Thranduil, dass sein Vater ihn dafür abbestellt hatte, seinen kostbaren Sohn und Erben. Wahrscheinlich war es schlicht deswegen, weil Gil-galad Elrond geschickt hatte und Oropher nicht wollte, dass die Noldor in dieser Sache die Oberhand behielten.
Insgesamt waren sie zu zehnt, als sie zu Fuß aufbrachen. Elrond brachte seinen Hund Garahû mit, von dem Thranduil wusste, dass er der persönlichen Zucht des Herolds entstammte. Zudem befand er sich in Begleitung seiner obligatorischen Schatten, zweier Noldor, die auf die Namen Ceomon und Rethtulu hörten. Thranduil kam nicht umhin zu bemerken, dass er sich unruhig in ihrer Gegenwart fühlte. Sie trugen den Stern Feanors noch immer offen und Thranduil hatte keineswegs Doriath vergessen. Als Oropher sie das erste Mal in Begleitung Elronds gesehen hatte, waren so einige böse Worte gefallen. Thranduil achtete darauf, sie im Blick zu behalten und seine Hand nahe seines Schwertes zu belassen.
Die Waldelben schwärmten aus, um ein weiteres Areal absuchen zu können, und Elrond ließ seinen Hund umher schnüffeln, damit er verdächtige Fährten ausmachen konnte. Eine Weile stapften sie schweigend nebeneinander her und gaben sich Mühe, bloß nicht in die Richtung des anderen zu blicken.
»Ihr kanntet also die Entfrauen, die hier lebten?«, wollte Elrond irgendwann wissen. Vielleicht einfach nur, um die unangenehme Stille zwischen ihnen zu füllen.
»Ja«, war Thranduils knappe Antwort.
»Ich frage mich, was aus ihnen geworden ist«, sinnierte Elrond.
»Seid Ihr schon einmal einem onod begegnet?«, fragte Thranduil. Er wusste, dass Elrond eine Zeitlang in Ossiriand gelebt hatte, als Gefangener der Feanorer auf dem Amon Ereb. Er erinnerte sich noch gut der Empörung, die das damals unter den Leuten seines Vaters ausgelöst hatte. Nach dem Untergang Doriaths waren sie nach Ossiriand gegangen, und im Nachhinein war es wohl Orophers beste Entscheidung, doch nicht mit der Herrin Elwing zu gehen und stattdessen möglichst viel Abstand zwischen sich und den Silmaril zu bringen. Dennoch waren sie entsetzt gewesen, als sie hörten, dass Maedhros und Maglor Elwings Söhne gefangen genommen hatten. Thranduil verstand bis heute nicht, warum Elrond sich den Noldor angeschlossen hatte, die ihm das angetan hatten.
»Ja, vor sehr langer Zeit in Ossiriand«, bestätigte Elrond. »Mein Vat… Ich meine, Maglor nahm meinen Bruder und mich mit auf einen Ausflug in die Wälder, wo wir Fangorn begegneten. Ich war damals noch ein kleiner Junge, aber ich erinnere mich bis heute gut daran, wie er von Fimbrethil sprach. Er wirkte sehr traurig dabei, eine Trauer, die weit über das hinaus geht, was ich zu begreifen vermag.«
Hatte er soeben den Sippenmörder seinen Vater genannt? Thranduil warf ihm einen scheelen Seitenblick zu, beschloss aber, es schweigend hinzunehmen. Er wollte diese Diskussion nicht vom Zaun brechen, nicht jetzt und hier jedenfalls.
»Sie trennten sich schon vor langer Zeit von ihren Frauen«, sagte er stattdessen. »Fangorn lief oft durch die Ulmenwälder Ossiriands und sang von ihnen; sie vermissten sie schmerzlich.«
»Umso abscheulicher ist es, was Sauron hier tat«, sagte Elrond grimmig. »Vielleicht können wir ja auch Spuren von ihnen ausfindig machen und herausfinden, was mit ihnen geschehen ist.«
Thranduil stimmte ihm zu. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Sauron dieses Land so gründlich hatte zerstören können, dass nichts mehr von den Frauen der onodrim zu finden war. Vielleicht wollte er es sich auch nicht vorstellen.
Sie verfielen wieder in Schweigen. Thranduil dachte über das Gesagte nach und beobachtet verstohlen Elronds Diener Ceomon und Rethtulu. Sie waren offenkundig bekennende Feanorer, und Elrond hatte Maglor als seinen Vater bezeichnet. Thranduil verstand zwar nicht, was Elrond dazu veranlasst haben könnte, sich von Earendil abzuwenden. Aber eines war ihm klar: Wer zu Feanors Söhnen hielt, konnte nicht vertrauenswürdig sein. Sobald sie zurück im Lager waren, sollte er mit seinem Vater darüber sprechen und ihm mitteilen, was er herausgefunden hatte.
Mit einem Mal schlug Garahû an und sprang davon. Sie eilten dem Hund nach. Er führte sie zu einem verbrannten Hügel, auf welchem knotige, verdrehte Silhouetten verstreut lagen. Schwanzwedelnd sprang Garahû um sie herum und eilte dann zu seinem Herrn, um sich Lob für seinen Fund abzuholen. Elrond kraulte ihm die Ohren und besah sich dann, was der Hund gefunden hatte. Thranduil folgte ihm.
Es waren die verkohlten Überreste alter Bäume, welche noch nicht völlig zu Asche verfallen waren. Thranduil beunruhigte jedoch ihre Form: Sie erinnerten wage an Elben, hingestreckt und liegen gelassen, wo sie gefällt worden waren.
Elrond strich vorsichtig über die verkohlte Borke. Mit einem Mal lag ein seltsamer Glanz in seinen Augen.
»Nein, die onodrim werden in dieser Welt ihre Frauen nicht mehr sehen«, sagte er mit verblüffender Gewissheit. »Sie sind für sie auf immer verloren, und Fangorn wird den Verlust über Fimbrethil noch lange mit sich tragen müssen, lang selbst für den Ältesten unter den Alten dieser Welt.«
Thranduil wich irritiert zurück. Er hatte davon gehört, dass Elrond die Gabe der Voraussicht besaß, doch mit eigenen Auge Zeuge dessen zu werden, war etwas völlig anderes.
Dann jedoch bemerkte er mit einem Mal eine Bewegung unter den verkohlten Überresten des Baumes. Er kniete sich ungeachtet der Asche, die an seiner Kleidung haften blieb, nieder und sah nach, was er da gefunden hatte. Es war eine kleine Maus, die ihn mit ihren Knopfaugen beobachtete. Behutsam streckte er eine Hand aus, damit sie sich darauf setzen konnte, und hob sie auf. Sie begann leise zu fiepen.
Verwundert trat Elrond an seine Seite und besah sich das Tier. »Dann hat Sauron doch nicht alles Leben hier auslöschen können.«
»Sie hat gesehen, was hier geschehen ist«, berichtete Thranduil. »Sauron ließ die Gärten niederbrennen und die Entfrauen töten oder versklaven. Nur wenige sind entkommen und nun in alle Himmelsrichtungen verstreut.«
Elrond wirkte traurig über diese Kunde. »Dann sind sie verloren für diese Welt, und ihre Gärten werden nie wieder erblühen. Kommt, lasst uns gehen und Galad Bericht erstatten, was wir hier fanden.«
Ein letztes Mal betrachtete Thranduil traurig den verkohlten Baum. Dann setzte er sich die Maus auf die Schulter, um sie von diesem scheußlichen Ort fortzubringen, und folgte Elrond zurück zum Lager.
Noch lange sollten die traurigen Lieder der Ents von ihren Frauen künden, die sie für immer verloren hatten.
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