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Sätze: | 33 | |
Wörter: | 1.102 | |
Zeichen: | 6.390 |
Titel: Ein langer Weg
Genre: Allgemein
Hauptcharakter: Aragorn
Disclaimer: Ich habe keinerlei Rechte an den Herrn der Ringe. Alle bekannten Orte, Namen und Personen sind Eigentum von J.R.R. Tolkien.
Ein langer Weg
An manchen Tagen sind es die Adler, die die größte Sehnsucht in Aragorn wecken. Er beobachtet sie, meint, den Wind unter ihren Schwingen zu sehen, die Freiheit in ihrem Schrei zu hören, die Unabhängigkeit in ihren Herzen zu fühlen, dieses Echo, das in seinem eigenen nachhallt, ihn beflügelt und doch erdet, denn er kann es sich nicht erlauben, diese Art der Ungebundenheit zu empfinden.
Gleich, wie sehr sich sein Herz danach sehnt.
Aragorn lächelt, glücklich und traurig zugleich, eine seltsame Mischung, dann senkt er den Kopf und kämpft sich weiter durch das dichte Unterholz Ithiliens.
Es ist ein langer Weg.
–
Bei Sonnenaufgang ist es Rauch, der ihn aus dem Schlaf reißt und seinen Körper binnen Sekunden in Alarmbereitschaft versetzt. Die Muskeln angespannt, die Sinne geschärft, wartet Aragorn regungslos ab, während ihm jedes Geräusch zu laut, jede Bewegung im Geäst zu rasch erscheint. Er hat gelernt, die Ungewissheit und Angst zu seinen Gunsten zu nutzen, und so schließt er erneut die Augen, drückt sein Ohr auf den Boden und horcht.
Er kann Schritte ausmachen, kaum hörbar, etliche Meter entfernt, aber nicht weit genug, um ihm Sicherheit zu versprechen.
Nicht in diesen Landen.
Aragorn richtet sich auf, zieht den dunkelgrünen Mantel enger um sich und macht sich auf den Weg, den Geruch in der Nase. Es dauert nicht lange, bis er auf das provisorisch errichtete Lager stößt, ein kleines Zelt mit einer Feuerstelle direkt vor dem Eingang. Zwei Männer sitzen beim aufgespießten Hasen und Aragorn kann nicht umhin, sich zu wundern, denn es sind keine Waldläufer. Kurz überlegt er, sie gewähren zu lassen, dann besinnt er sich eines Besseren.
»Ihr solltet nicht hier sein, werte Herren«, sagt er aus den Schatten heraus, »dieses Land ist nicht sicher.« Aragorn wartet, bis er die Furcht in ihren Augen sieht, dann geht er seines Weges.
–
Celeborn hat ihn vor Reisen wie diesen gewarnt und Aragorn muss sich eingestehen, dass der weise Elb recht behalten hat.
Die Einsamkeit erdrückt ihn.
Im Laufe der Jahre hat er viele Wegmeilen zurückgelegt, manche mit seinen Brüdern, manche mit den Waldläufern, manche mit den tapferen Männern aus Rohan und Gondor, und ebenso viele vollkommen allein. Und doch ist ihm, als sei die Abwesenheit von Freunden mittlerweile zur Gewohnheit geworden, eine furchtsame Art der Stille, die ihn verzagen lässt.
Er sucht schon zu lange.
Mit vor dem Wind und dem Regen gesenktem Kopf hastet Aragorn durch den immer lichter werdenden Wald, darauf bedacht, den wenigen tiefhängenden Ästen und kleinen Felsbrocken auszuweichen, und merkt, wie seine Gedanken den Fokus auf das Hier und Jetzt verlieren. Kurz wird er von Heimweh eingeholt, dann überschwemmt ihn ein anderes Gefühl, so klar und so nah, dass er für einen Moment fürchtet, das Atmen verlernt zu haben. Aragorn stolpert und fängt sich und holt tiefe Luftzüge, um sich zu beruhigen, den Blick nach Osten gerichtet.
Es ist Mordor, das das schwelende Grauen in seinem Herzen von Zeit zu Zeit zu einem Flächenbrand entfacht, da ist er sich sicher. Und genau das scheint sein Ziel zu sein. Noch immer außer Atem läuft er weiter, ignoriert das Flüstern seines Herzens oder der toten Lande, er kann es nicht sagen, und verflucht sein Schicksal, wie er es schon so oft getan hat.
Akzeptiert hat er es vor sehr langer Zeit und auch diese Suche wird nichts daran ändern.
Bald sind auch die letzten Bäume verschwunden, die Gegend wird karger, Grau in Grau dominiert das Landschaftsbild. Mit geübten Schritten sucht sich Aragorn seinen Weg durch die Gesteinsformationen, hält ab und an inne, um Spuren zu finden und enttäuscht hinter sich zu lassen, bevor der Geruch von Schwefel zu stark wird.
–
Die Totensümpfe an den angrenzenden Feldern der Dagorlad bieten einen Anblick, den Aragorn nie vergessen wird. Bei seiner ersten Erkundung Mordors und seines Grenzlandes hat er dieses Gebiet nur gestreift, abgeschreckt von dem allgegenwärtigen Tod und der Mutlosigkeit, die damit begonnen hat, sein Wesen einzunehmen. Er erkennt nun warum, auch wenn er es schon immer gewusst hat.
Das Land ist ein Grabmal, überflutet von verseuchtem Wasser, viel zu kalt und viel zu still.
Ein Bach schlängelt sich durch die Sumpflandschaft, ein dunkler Riss in bleichem Grün, und Aragorn folgt seinem Lauf. Es fällt ihm schwer, sich auf die Spurensuche zu konzentrieren. Zu oft meint er Schatten im Wasser zu erkennen, wenn er vorbeigeht, langsam und vorsichtig, um die Oberfläche nicht zu berühren und den Halt zu verlieren, zu oft ist es ein helles Flackern in der Tiefe, das ihn dazu veranlasst, seine Schritte zu beschleunigen. Ein Schauer läuft ihm über den Rücken, als er weit genug in die Sümpfe vorgedrungen ist, um Gesichter ausmachen zu können. Vor langer Zeit gehörte Worte bahnen sich ihren Weg durch seine Gedanken, setzen sich fest, und ihre Bedeutung wird zur unumstößlichen Gewissheit.
Dies ist kein Ort für die Lebenden.
Je mehr Aragorn darüber nachdenkt, je mehr Gesichter vor seinen Augen auf- und wieder abtauchen, desto bewusster wird ihm, dass diese Tatsache womöglich schon vor zu langer Zeit der Wahrheit entsprochen hat.
Eine erschreckende Vorstellung.
Er schließt die Augen, kämpft die Furcht vor diesem Ort und den Groll gegen die Aufgabe, die ihn hergeführt hat, nieder, und sieht gerade rechtzeitig auf, um die Bewegung nördlich von ihm auszumachen. So rasch es seine geduckte Haltung erlaubt, läuft Aragorn zu einem toten Busch, dann legt er seine Hand an den Schwertknauf und wartet.
Die Kreatur, die sich ihren Weg zu seinem Versteck bahnt, ist klein. Lediglich mit einem Lendenschurz bekleidet huscht sie auf allen vieren von Grün zu Grün, meidet die Toten genauso sehr wie er, mit zu langen Armen und Beinen und viel zu dünn, um einer der Auenlandbewohner sein zu können. Lautlos zieht Aragorn sein Schwert, seine volle Konzentration auf die keine fünfzig Meter entfernte Kreatur gerichtet, so kurz vorm Ziel, endlich –
dann geht alles ganz schnell.
Mit jahrzehntelanger Übung überwältigt er den Nicht-Halbling, sein Knie in dessen Magengegend, seine Klinge an dessen Kehle. Ihre Blicke treffen sich, Angst und Hass gegen Argwohn und Triumph, und Aragorn erlaubt sich ein Grinsen.
Er hat ihn.
»Gollum.«
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