Die Abendsonne spielte im Laub der Bäume am Rande der Gärten. Sie spielte in Eowyns goldblondem Haar, das endlich wieder an Kraft und Farbe gewann. Das hinab wallte auf ihr dunkelblaues Gewand, welches sich über ihren drahtigen Leib spannte. Ihre Augen, die Faramir nicht sehen konnte, mussten in die Weiten Gondors hinaus blicken. Und während sie hinausblickte hielten ihre starken Hände den Griff eines Dolchs fest umklammert. Wie an so vielen Abenden, da sie eine Waffe auf ihren Spaziergang mitnahm, um zwischen den Bäumen zu üben. Um gegen sich selbst zu kämpfen, allein und ohne Gegner.
Faramir seufzte, so leise wie die Brise, die durch die Gärten zog. Schon eine ganze Weile stand er auf einem der Balkone und beobachte Eowyn. Beobachte sie wie schon so manche Stunde, seitdem sie entkräftet und dem Tode nahe in die Häuser der Heilung verbracht worden war. Seit jenem Tag, als er zum ersten Mal in ihr Gesicht mit der Klingennarbe auf der Wange geblickt hatte und ein warmer Funke in seiner Brust erglüht war, der seitdem nicht mehr erlöschen wollte.
Nie zuvor war Faramir in einem seinem Leben einer solchen Maid begegnet. Schon als sie noch im schweren Traum ihrer Wunden lag, strahlte ihm der Stolz aus jedem Flecken ihrer Erscheinung entgegen. Die Schwielen an ihren Händen, die Narbe auf ihrer Wange, ihr zäher Leib mit den flachen Brüsten, die stählernen Muskeln ihrer Arme. Er hatte sie alle zu lieben gelernt. Denn sie alle verrieten Faramir, welch ungewöhnliches Feuer in diesem Weibe loderte. Ein Feuer, das ihn entflammt hatte wie Zunder. Und wie der Stolz ihr erst aus den Augen sprach, als sie sie endlich aufschlug. Faramir konnte den Blick nicht von ihr abwenden seit diesem Tag.
In der Abendsonne nun glich Eowyn dem Himmel. Ihr leuchtend helles Haar war wie die Sonne, die noch einmal in voller Kraft gegen ihr Schicksal aufbegehrte, ehe sie in den Tiefen der Nacht versinken würde. Doch am Horizont zogen in Nachtschwärze und Abendblau schon dunkle Wolken zusammen, in Farbe und Schattierung nicht unähnlich zu Eowyns Kleid. Und so wie ihre Erscheinung war auch ihr Gemüt. Die Glut des Stolzes, der Kampflust loderte in ihren Adern. Doch eine trübe Schwermut hatte sie erfasst, drängte sich um ihr glühendes Herz wie die Abendwolken um die Sonne.
Faramir erinnerte sich an einen anderen Abend, da ihre Augen ebenso sehnsuchtsvoll in die Ferne blickten. In die Ferne zum Krieg, in den König Aragorn gezogen war. Fast meinte Faramir hören zu können, was hinter ihrer Stirn vor sich ging. Spüren zu können, wie sehr es Eowyn nur danach drängte, eines der starken Pferde der Rohirim zu satteln, Schwert und Schild zu ergreifen und in den Kampf zu ziehen auf Sieg oder Tod.
Wie unerschrocken sie war, wie kämpferisch! Weit mehr als Faramir selbst. Obgleich es ihm nicht an Mut und Ehre fehlte, jederzeit in die Schlacht zu ziehen, sollte es von Nöten sein, so war ihm der Frieden doch lieber. So war es ihm nur zu Recht, dass der Gesang vom Eisen, das auf Eisen traf, schon weit vor den Toren Gondors verklungen war, ihn hier nicht mehr erreichte. Ihn gelüstete es nicht nach dem Kampf. Doch die Sorge um den König, die Männer und die Gefährten bedrückte auch ihm das Herz. Und darum faszinierte ihn Eowyn nur noch mehr. Denn, da war sich Faramir sicher, sie würde nicht eine Sekunde zögern, dem Versorgungstrupp des Heers zu folgen, wenn man sie nur ließe. Wie sie es schon einmal getan.
Oh, welchen Mut sie damit bewiesen hatte! Unbeschreiblichen Mut. Mut, wie er ihm einem Krieger nicht besser zu Gesicht gestanden hätte. Auch Mithradir und der König hatten ihren Mut gelobt. Zu Recht! Nur zu Recht. Denn was sie getan hatte, war eine Heldentat gewesen. Und das als Weib, als Maid.
Doch – Faramir hielt inne. Er durfte sich nicht verführen lassen, Eowyn mit anderen Weibern zu vergleichen. Sie war kein Weib wie jedes andere. Sie war ein Krieger, ebenbürtig ihren Kameraden im Kampfe. Eine Schildmaid, die mit dem Schwert umzugehen zu wusste. Von Kindesbeinen an geschult in der Kriegskunst. Wie die Schwielen an ihren Händen, die Narbe auf ihrer Wange, ihr zäher Leib mit den flachen Brüsten und die stählernen Muskeln ihrer Arme verrieten. Wie oft mag sie auf einem der edlen, starke Pferde Rohans gesessen haben, die Klinge ihres Schwertes in der Sonne aufblitzen lassen und sie gegen die ihres Kampfgenossen geschlagen? Die Haare fliegend im Wind, die Augen blitzend vor Unerschrockenheit, stetig auf das Ziel gerichtet. Die Muskeln angespannt in jeder Faser, der Geist klar, ganz auf den Schlag konzentriert. Eine kraftvolle Erscheinung! Und doch hatte das Schwert ihr nicht die Zunge verroht. Ihre Stimme war edel und wohlklingend und verriet wohl ihren Stand.
Oh, stolze Jungfrau von Rohan. Welch außergewöhnliche Blüte war sie, die in der Wüste dieser dunklen Zeiten erblühte. Jeder harte Muskel an ihrem zähen Leib, jede Narbe in ihrem Gesicht, jede Schwiele an ihrer Hand, jedes unerschrockene Funkeln in ihren Augen goss Faramir heiße Ströme durch den Leib. Ihr fehlte alles, das man als zarten, weiblichen Liebreiz bezeichnete, den die anderen Mädchen besaßen. Alles, was man ihn als Schönheit gelehrt hatte. Doch sie war schön, wunderschön, schöner als alle Mädchen Gondors zusammen. Welch Feuerglut loderte Faramir in den Adern, wenn er dem verbotenen Traum sich hingab, diese kleinen, straffen Brüste einmal in seinen Händen zu halten, streicheln zu dürfen. Mit ihrem langem, blondem Haar und der blitzenden Klinge in ihren starken Händen glich Eowyn der Kraft der glühenden Sonne. Sie war eine Königin. Geschaffen, eine edle Klinge zu führen. Geschaffen zu regieren, zu herrschen. Sie war der Sommer, während die anderen Weiber dem Frühling glichen. Dem Frühling, der warm und grün und schön war, doch nichts von jener lebendigen Urkraft des Sommers wusste. Nicht annähernd an sein Strahlen heranreichten. Wäre Eowyn der Ring, so wäre Fararmir ihm wohl noch leichter verfallen als es sein armer Bruder Boromir. So viel Macht hatte sie über sein Herz gewonnen. Er spürte es in jeder Faser, sobald er sie in den Gärten erblickte. Und das Gesicht mit der Narbe, dieser wunderschönen Narbe, auf der Wange ihm in seinen Träumen erschien.
Die Abendbrise wehte durch den Garten. Die Sonne ging rotglühend unter in einem dunklen Wolkenmeer. Eowyn wandte sich um sich. Und Faramir senkte den Blick. Er hatte sie angestarrt und dies hätte er nicht tun dürfen. Sie war eine Schildmaid, doch noch immer eine Maid.
Doch Eowyn blickte zu ihm auf und es schien Faramir, als rufe sie ihn zu sich. Überrascht trat Faramir die Stufen zu ihr hinab.
„Ihr wolltet mit mir sprechen, Jungfrau von Rohan?“
„Ja, dies wollte ich und bitte nennt mich Eowyn. Ich habe euch eine Bitte anzutragen, einen Vorschlag zu machen. Schon seit Wochen weile ich nun schon unter eurer guten Fürsorge in den Häusern der Heilung, hier in Gondor zu meiner Genesung. Und die Zeit war mir lang genug, um mir viele Gedanken zu machen. Ihr habt mir jeden Winkel der Häuser der Heilung gezeigt und mir von der einstigen Blüte dieser Häuser berichtet, die heute längst verblüht. Ich lernte durch eure Worte schnell den Mangel mit eigenen Augen zu sehen. Dies ist der Ort, an dem mein Leben gerettet wurde. Darum sind die Häuser der Heilung mir lange nicht gleichgültig und ihren Verfall zu sehen betrübt mich. Daher habe ich beschlossen, noch länger als zur Zeit meiner in Gondor verweilen und wenn Ihr es mir erlaubt, so würde ich den Häusern der Heilung gerne meinen Dienst anbieten, um die abgestorbene Pflanze wieder zur Blüte zu bringen.“
Faramir lauschte. Dann runzelte er verwundert die Stirn. Er hatte viel von Eowyn erwartet, doch nicht das.
„Ihr gedenkt, unter die Heilerinnen zu gehen?“, fragte er und blickte sie an. So trafen sich ihre Augen und ihre Blicke verharrten länger aufeinander als es im Gespräch üblich war.
„Nein“, sagte sie, „Ich gedenke nicht, unter die Heilerinnen zu gehen, sondern über sie. Die Häuser der Heilung sind nach dem, was ihr mir in den vielen Stunden meines Verweilens hier erzähltet, weit abgekommen von dem was sie einst gewesen. Von dem Wissen, das hier ward gelehrt, ist viel in Vergessenheit geraten. Kaum eine der Heilerinnen hier versteht sich noch auf die alte Kunst. Die Häuser der Heilung. Sie gleichem einer Festung, die niedergebrannt wurde, einem Garten, der verwildert. Und die Menschen einem Körper, dem der Kopf ward abgeschlagen, so dass eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Doch das Fundament der Festung steht noch. Unter den verwilderten Beeten ist vielleicht noch fruchtbare Erde. Und ein neuer Kopf mag die Hände wieder zusammenführen. Wenn Ihr erlaubt, so will ich versuchen auf dem Fundament die Festung wieder zu errichten, den Garten zu jähen, eine neue Saat zu sähen und dem Körper ein neuer Kopf zu sein, auf dass die die Häuser der Heilung nach Eurem Wohlgefallen eine Blüte erleben mögen.“
Faramir konnte seinen Ohren kaum trauen, nicht glauben, was er gehört hatte. Eowyn, die stolze, schöne, mutige, unerschrockene Eowyn wollte in Gondor bleiben und sich sich der Häuser der Heilung annehmen. Konnte es einen größeren Segen für sie geben als dies? Welch ein unerwartetes Glück
„Gewiss, Jungfrau von Rohan… Eowyn“, sagte Faramir, „Es wäre mir eine große Hilfe, eine Freude, eine Ehre, Euch die Häuser der Heilung anzuvertrauen.“
Er hatte es ausgesprochen und in diesem Moment berührten sich versehentlich ihre Hände, die sie beide auf den Mauervorsprung gelegt hatten. Die Hitze rauschte Faramir wie ein Blitz durch die Glieder. Wie sein Herz plötzlich trommelte! Er wollte die Hand zurückziehen, doch Eowyns Finger suchten die seinen, griffen sie. Und so hielten sie an der Hand und blickten sich einen Moment lang tief in die Augen, völlig reglos.
„Habt Dank für Euer Vertrauen. So will ich mich gleich ans Werk machen. Je eher die Saat gesät wird, umso früher wird sie erblühen.“
Und mit einem energischen Händedruck wandte sie sich um, ließ seine Hand los und schritt mit dem Dolch in einem Waffengürtel erhobenen Hauptes in die Abendsonne von dannen.
Und sie war wahrlich wie die Sonne, wie das blitzende Eisen. Zäh, leuchtend, kräftig und stolz. Mit ihren kleinen, kräftigen Brüsten, mit den Schwielen an ihren Händen. Mit der Narbe an ihrer Wange, mit den Muskeln ihrer starken Arme, die sich unter ihrem Gewand abzeichneten. Mit ihrer ganzen, drahtigen Schönheit einer Kriegerin.
Die Sonne, die die Häuser der Heilung brauchten, um wieder zu erblühen. Und, so wünschte Faramir heimlich, auch die Sonne, die jeden Morgen an seinem Lager aufgehen würde.
Denn er liebte Eowyn, stolze Schildmaid von Rohan.
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