CN leichte sexuelle Inhalte, Referenzen auf Folter
Die Welt verging in Feuer. Ein gewaltiges Beben ging durch Thangorodrim, als Ancalagon vom Himmel stürzte. Sein wütendes und zugleich verzweifeltes Brüllen hallte bis zum Thronsaal, und Mairon hätte nicht einmal seinen Geist aussenden müssen, um zu wissen, wie sich die Krone der Schöpfung in Todesqualen wandte. Der Fels wurde bis ins Mark erschüttert, eine Säule stürzte krachend um. In der weiten Halle, in der er allein mit seinem Meister war, fühlte sich Mairon mit einem Mal noch verlassener. Nicht einmal die wohlige Nähe zu seinem Meister konnte die Leere vollständig füllen. Earendils schreckliche Tat markierte das Ende.
»Nein, nicht das Ende«, hielt sein Herr und Meister Melkor dagegen, zu dessen Füßen er saß. Melkor legte ihm einen Finger an das Kinn und zwang ihn erstaunlich sanft, zu ihm aufzusehen.
Mairon erschauderte ob der Berührung seines Meisters.
Melkor erhob sich von seinem Thron und zog Mairon mit sich, sein Gesicht mit beiden Händen umfassend. Mit verzweifelten Begehren sah Mairon zu ihm auf.
»Das ist nicht das Ende«, wiederholte Melkor, während der Blick seiner kohleschwarzen Augen seinen Diener im Bann hielt. »Sie werden kommen, ja, und sie werden mich nach Aman vor meinen Bruder schleifen. Aber ich verbiete es, dass du ihnen in die Hände fällst.«
Er fuhr Mairon mit dem Daumen über die Wange. Mairon seufzte und lehnte sich mit geschlossenen Augen in die Berührung. Er wollte an nichts anderes denken als diese Berührung.
In dem Moment wurden die Tore Angbands niedergerissen und das Licht des Feindes flutete herein.
»So vollkommen. So machtvoll«, wisperte Melkor, während er noch immer Mairon betrachtete. Dann beugte er sich herab, um seinen treuesten Diener ein letztes Mal zu küssen.
Mairons ganzer Körper erschauderte wie Espenlaub im Wind. Schon seit vielen Jahren standen sich sein Meister und er sehr nahe, doch noch immer verlangte es ihn nach Melkor wie am ersten Tag. Gierig erwiderte er den Kuss, während er sich gleichzeitig an Melkor klammerte wie ein Ertrinkender an ein Stück Holz.
Sie hätten eine Ewigkeit so verweilen können, doch viel zu schnell löste Melkor den Kuss. Er fuhr mit den Fingern durch Mairons Haar, rotorange wie die Flammen des Feuers.
»Behalte diese fana«, befahl Melkor. »Eonwe wird das gefallen. Ein zweites Mal werde ich mir nicht ihr Vertrauen erschleichen können, dieses Mal werden sie vorbereitet sein. Aber du, Mairon, wirst sie täuschen können. Erflehe die Vergebung der Valar und beteuere, dass ich dich verführte und mit falschen Versprechungen von Aule weglockte. Dann werden sie gewillter sein, dir zu vergeben. Dann kannst du beenden, was ich begonnen habe. Ich habe dir alles mit auf den Weg gegeben, was du wissen musst.«
»Meister …« Mehr brachte Mairon nicht heraus. Alles in ihm begehrte dagegen auf. Er wollte seinen Meister nicht verlassen, ihn nicht im Stich lassen, als ihre Feinde schon vor ihren Toren standen. Doch er sagte nichts davon; Melkor duldete keine Widerworte, nicht einmal von Mairon.
»Das ist mein Wille und du bist mein Werkzeug«, betonte Melkor. »Ich lege mein Werk in deine Hände, denn du allein bist würdig, es fortzusetzen. Das Königreich Arda ist nun dein.«
Melkors Wille war Gesetz. Selbst wenn Mairon es gewollt hätte, hätte nicht einmal er dagegen aufbegehren können, er, der Maia mit den Kräften eines Vala.
Ein letztes Mal küsste Melkor ihn hart. Dann wandte er sich ab, um Eonwe stolz erhobenen Hauptes als der König zu begegnen, der er war.
Die großen Flügeltore zum Thronsaal wurden aufgestoßen. Licht strömte herein, klares, helles, schreckliches Licht, getragen von Earendil, der Seite an Seite mit Eonwe ging.
»Ah, kommt das Halbblut, um mir sein Diebesgut wiederzubringen?«, spottete Melkor, als er ihnen entgegen trat. Vanyar strömten durch die Tore hinein, ihre silbernen Rüstungen schwarz vom Blut der Orks, die sie erschlagen hatten.
Keiner ihrer Feinde ging auf seine Worte ein, und zu Mairons Erstaunen versuchte sein Meister auch gar nicht, seine Feinde mit seinen Worten einzulullen. Stattdessen lächelte er ein unergründliches Lächeln, selbst dann noch, als Eonwe ihn ergreifen und ihm die Füße abhacken ließ, um ihn danach mit der Kette Angainor zu schlagen. Melkor ließ es geschehen und es war allein sein Wille, der Mairon davon abhielt, an seine Seite zu eilen. Mit Entsetzen sah Mairon, wie sein Meister erniedrigt wurde.
»Oh, Eonwe, du naives Kind. Du weißt nichts über diese Welt.« Selbst jetzt noch, mit gebeugtem Kopf und den Haaren, die sein Gesicht verschleierten, dominierte Melkor den Raum.
»Schweig, Krähe!«, fuhr Earendil ihn an. Er riss ihm die Eisenkrone vom Kopf, dann brach er auch die verbliebenen silmarilli heraus und nahm sie an sich.
Das Licht aller drei silmarilli zusammen schmerzte in den Augen, doch Mairon ertrug es. Tapfer behielt er seinen Meister im Blick, wissend, dass dies ihre letzten Momente zusammen sein würden. Er wollte keinen Augenblick davon verpassen. Obgleich in ihm ein Sturm tobte, der ihn drängte, seinen Meister aus den Fängen ihrer Feinde zu reißen, band ihn Melkors Wille, der wünschte, dass Mairon zurückstand. Seine Zeit würde kommen, doch noch nicht jetzt.
Eonwe beachtete Melkor nicht weiter, sondern wandte sich nun direkt an Mairon.
»Mairon, Bruder«, sprach er. »Ich stehe vor dir von gleich zu gleich. Ich bitte dich, im Namen Manwes: Kehre in Frieden an meiner Seite nach Aman zurück, und empfange im Máhanaxar deinen Richtspruch. Füge dich, und Manwe wird Gnade walten lassen.«
Melkor lächelte noch immer, als er über die Schulter zu Mairon blickte. Und da wurde Mairons Wille eisern.
Seine Emotionen verbergend fiel er vor Eonwe auf die Knie und presste die Stirn auf den kalten Fels. »Ich erflehe die Gnade der Valar!«
Eonwe legte ihm eine Hand auf den Kopf. »Ich sehe, was dein Herz bewegt. Du wurdest verführt und belogen. Sicher wird Manwe dir dies nachsehen, wenn du dich nur gefügig gibst.«
Auf ein Zeichen Eonwes hin wurde Melkor hinaus geschleift und weggesperrt. Mairon jedoch erlaubte er, frei zu gehen, wenn er nur an seiner Seite verweilte. Seinem Meister hinterherblickend, stählte Mairon sein Herz und beschloss, sich zu fügen.
Eonwe führte ihn nach draußen. Das Licht hatte die Finsternis Melkors vertrieben und die Schleier der Schatten zerrissen, die er über sein Reich gelegt hatte. In der Ferne wurden letzte Kämpfe gefochten, doch längst waren Melkors Streitkräfte zerstreut und der Feind drang bis in die dunkelsten Regionen Angbands vor, um auch noch den letzten Ork aus seinem Versteck zu treiben. Doch Mairon sah, dass es Eonwes Leuten niemals gelingen würde, auch die letzte Spur Melkors zu vernichten, zu viele seiner Diener hatten entkommen können.
Gut.
Mairon gab sich gleichgültig, als er die Vernichtung sah, die Eonwe über Angband gebracht hatte.
»Komm, Bruder, und atme wieder die frische Luft«, sprach Eonwe. »Bald schon werden Manwes Winde die faulen Ausdünstungen vertrieben haben, du wirst sehen. Erinnerst du dich noch des Frühlings in Arda, als das Licht der Zwei Lampen unsere Werke erhellte und die Werke der Herrin Yavanna das erste Mal sprossen?«
Freilich erinnerte sich Mairon. Damals hatte er noch Aule gedient, bevor Melkor ihm die Augen geöffnet hatte.
»Glorreiche Zeiten waren dies«, sagte er.
Ein Beben ging durch das Land.
»Doch ich fürchte, dass dieses Land keine Gelegenheit mehr bekommen wird, erneut zu ergrünen«, fuhr Eonwe fort. »Die Kräfte, die wir ins Feld führten, waren zu gewaltig und das Land droht auseinanderzubrechen. Wir werden bald schon in die Heimat zurückkehren. Doch fürchte dich nicht, Mairon! Manwe ist ein gnädiger Herrscher, und ich bin mir sicher, dass auch Fürst Aule dich mit offenen Armen empfangen wird.«
Mairon war sich da nicht so sicher. Aule war schon immer ein strenger Herr gewesen, sehr besitzergreifend und territorial. Mairon war sein Meisterschüler gewesen, der geschickteste unter den Dienern Aules. Allein Curumo hatte ihm das Wasser reichen können. Aule hatte Mairon als seinen persönlichen Besitz angesehen und bitterböse Worte gesprochen, als Melkor begonnen hatte, sich für Mairon zu interessieren. Sicher hatte er es sehr persönlich genommen, als Mairon ihn verlassen hatte, um einem größeren Herrn zu dienen. Und Aule war niemand, der allzu leicht vergab.
Eonwe führte ihn zu seinem Zelt und gab ihm Gewänder, die er für angemessen hielt.
»Vielleicht wird man dich eines Tages wieder Mairon den Bewundernswerten nennen. Ich würde es dir wünschen. Es ist entsetzlich, wie Morgoth etwas so Reines wie dich hatte verführen können.«
Mairon senkte unterwürfig den Blick. Einst war er nicht nur für sein Kunsthandwerk bewundert worden, sondern auch für seine wohlgestalte Erscheinungsform, die er sich als Diener Aules gewählt hatte und die er auch jetzt wieder trug. Eonwe war in der Tat naiv wie ein Kind, wenn er sich so einfach davon täuschen ließ.
»Er hat uns alle getäuscht«, sagte Mairon leise und mit Bedauern in der Stimme. »Doch ich bin froh, dass du mich befreien konntest. Ich sehe nun, wie ich getäuscht wurde.«
Eonwe lächelte gütig. »König Manwe wird erfreut sein, solche Worte zu vernehmen. Beweise nur weiter deinen guten Willen, und ich bin sicher, dass du Gnade erfahren wirst. Du hast nichts zu fürchten. Sieh her.«
Sanft legte er Mairon einen Finger unter das Kinn, sodass er den Blick heben musste. Mairon sah, dass Eonwe eine allzu bekannte Augenbinde in Händen hielt. Er sah ihn fragend an. »Du hast das aufgehoben? Trotz allem?«
»Trotz allem und all die Jahre über. Die Elben nennen dich Sauron und Gorthaur und andere grässliche Dinge, aber ich kann einfach nicht glauben, dass du wirklich so abscheulich geworden bist. Ich weiß noch zu gut, wer du einst gewesen warst und was uns verbunden hatte.« Eonwe legte den seidenen Stoff in Mairons Hände und trat nahe vor ihn. »Aulendil«, wisperte er, seine sündhaften Lippen an Mairons Ohr gelegt.
Gegen seinen Willen erschauderte Mairon, als er an eine längst vergangene Zeit zurückdachte. Eine Zeit, in der er bereits im Verborgenen für Meister Melkor gearbeitet und doch eine Affäre mit Eonwe begonnen hatte. Ihm hatte tatsächlich etwas an Manwes Herold gelegen, erinnerte er sich, er war nicht nur einfach irgendein Bettgefährte gewesen. Und gerade das hatte alles nur umso komplizierter gemacht.
Warum konnte Eonwe ihn nicht einfach hassen? Warum musste er noch immer der durch und durch perfekte Eonwe sein, eine Miniaturversion Manwes? Warum nur war er so naiv und hielt immer noch an dem fest, was einst war? Auch jetzt noch, wo er doch wusste, wie tief Mairons Verrat an ihm wirklich ging? Verstand er es wirklich nicht?
Eonwe neigte den Kopf, um ihn zu küssen, doch Mairon wandte sich ab und drückte die Augenbinde gegen Eonwes Brust. Nein. Nein, er konnte das einfach nicht. Er hatte ohne zu zögern unfassbar grausame Dinge getan, doch es gab für alles eine Grenze. Seine war hier erreicht.
»Nimm das verdammte Ding!«, knurrte er. »Nimm es und höre den Geschichten wenigstens einmal zu, die sie über mich erzählen! Nichts ist mehr so, wie es einst gewesen war, das war es nie gewesen. Versteh das doch endlich!«
Eonwe sah ihn wie ein getretener Hund an. Nur zögernd nahm er die Augenbinde an. Dann schüttelte er den Kopf und streckte eine Hand aus, um Mairon über die Wange zu streichen. »Ich war dein und du warst mein. Aulendil.«
Mairon packte ihn grob beim Handgelenk. »Ich bin Sauron!« Mit Gewalt drängte er Eonwe seine Gedanken auf und zeigte ihm auf eine Weise, gegen die er sich nicht wehren konnte, wer er wirklich war. Er zeigte ihm die dunkelsten Kerker Tol-in-Gaurhoths und die finstersten Verliese Angbands. Er zeigte ihm sein blutiges Werk, wie er zahllose Sklaven zur Schlachtbank führte, erst ihren Geist und dann ihren Körper brach und ihre leblosen Hüllen noch im Tode schändete, um auch das letzte bisschen Wissen aus ihnen herauszubrechen.
Eonwe wurde mit einem Male sehr still und sein Gesicht ganz weiß. Er trat von Mairon fort und ließ die Arme hängen. »Dann stimmt es also«, sagte er schwach.
Mairon sah ihn hart an und legte alle Grausamkeit, zu der er fähig war, in diesen Blick. Ja, Meister Melkor hatte gewollt, dass er sich unterwürfig gab, doch in diesem Moment wollte er vor allem, dass Eonwe endlich begriff. Auch wenn es hieß, ihn auf so grausame Weise verletzten zu müssen. Auch wenn es hieß, sich selbst das Messer ins Herz zu rammen.
Eonwe reckte das Kinn. »Aber ich glaube auch an das Gute in uns allen«, sagte er stur. »Nichts war von Beginn an böse. Weder Morgoth und schon gar nicht du. Es kann Morgoth nicht gelungen sein, wirklich jeden Funken Güte aus dir herauszuquetschen.«
Mairon sagte daraufhin nichts. Er wusste einfach nicht, was er darauf noch erwidern sollte. Egal, was er tat, Eonwe ließ sich einfach nicht überzeugen, dass er ohne Mairon besser dran war. Musste Mairon erst durch ein Meer aus Blut waten, bis es Eonwe begriff?
Vielleicht hatte Eonwe ja doch etwas gelernt, denn in den kommenden Tagen und Wochen behielt er Mairon stets im Blick und beobachte ihn aufmerksam, auch wenn er ihm keine Avancen mehr machte. Mairon war keinesfalls frei, doch anders als bei seinem Meister waren seine Fesseln nicht sichtbar.
Es verzehrte ihn nach der Nähe zu seinem Meister, doch er verbarg seine tiefsten Wünsche, und Eonwe ließ sich nur allzu gern davon überzeugen, dass Mairon wirklich Reue zeigte. Melkor wurde gut bewacht im innersten Kreis des Lagers, und Eonwe erlaubte es niemandem, sich ihm zu nähern. Er fürchtete zu Recht, dass Melkors Zunge nichts von ihrer verführerischen Macht verloren hatte, und dass Melkor, obwohl er in Ketten lag, noch immer großen Schaden anrichten konnte. Was er nicht wusste, war, dass Melkors Gedanken trotz der Ketten stets auf Mairon ruhten, und er sah, was vor sich ging, auch wenn er unfähig war, selbst etwas zu unternehmen.
Eonwes Aufmerksamkeit ließ nicht nach, doch Mairon hatte Geduld gelernt. Er gab sich weiter reumütig. Eonwe beging nicht den Fehler, ihn aus den Augen zu lassen, doch Mairon sah, wie das Herz des Herolds von Mitleid gerührt war. Sonderbarerweise fühlte sich Mairon auf befremdliche Weise beschmutzt, dass er Eonwes Naivität auf diese Weise ausnutzte. Hatte er nicht schon unzählige Male mit den Gefühlen anderer gespielt und sie gegen sie gewandt? Doch mit Eonwe war es schon immer anders gewesen. Er hasste das.
Es war Eonwe gewesen, der seinen Meister erniedrigt hatte, sagte er sich. Er musste sich immer und immer wieder daran erinnern, um nicht schon wieder von Eonwes Sanftheit eingelullt zu werden. Hass war das einzig angemessene Gefühl, das er dieser Tage für Eonwe empfinden sollte. Und doch konnte er ihn nicht hassen.
Niemand schöpfte Verdacht, dass Mairon vielleicht ein falsches Spiel spielen könnte. Allein Earendil jedoch misstraute ihm zutiefst. Er wagte es sogar offen vor Eonwe sein Missfallen zum Ausdruck zu bringen, dass dieser Mairon nicht ebenfalls zu Melkor gesperrt hatte. Erst als Eonwe sehr deutlich gemacht hatte, dass dies der Wille Manwes selbst war, gab er Frieden. Mairon sah es ihm an, dass es ihm dennoch nicht passte.
Earendil verließ auf Geheiß der Valar selten sein Schiff, das in der Luft schwebend an einem Turm im Zentrum des Lagers vertäut war. Meist ging Eonwe daher zu ihm, wenn sie etwas zu besprechen hatten, und Mairon kam natürlich mit ihm, ob er wollte oder nicht.
Jedes Mal, wenn er dem Halbelben begegnete, lief es Mairon eiskalt den Rücken hinab. Ihm war es unbegreiflich, wie solch eine erbärmliche Kreatur etwas so Wundervolles wie Ancalagon hatte vernichten könnten. Machte ihn sein gemischtes Blut so besonders, dass es ihn zu solchen Taten befähigte?
Earendil sah ihn voller Hass an, als er wieder einmal im Gefolge Eonwes Vingilot betrat. Mairon hielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt, um bloß nicht aus Versehen mehr von diesem Schiff berühren zu müssen, als unbedingt notwendig. Das war ein ganz normales Schiff aus Holz und mit ordinären Segeln. Wie bei allen Mächten dieser Welt hatte Earendil Ancalagon besiegen können? Er sah ja nicht einmal die leiseste Andeutung einer Brandspur!
»Ich will ihn nicht auf meinem Schiff sehen. Seine Anwesenheit besudelt Vingilot«, eröffnete Earendil.
»Wir sprachen bereits darüber«, erwiderte Eonwe unnachgiebig. »Und außerdem wünsche ich, dass in Zukunft nicht mehr so über Mairon gesprochen wird.«
»Sauron«, widersprach Earendil. »Herold, mir scheint, Ihr sympathisiert mit dem Feind.«
Eonwes Haltung wurde steif. Mairon wusste die kleinsten Zeichen in seiner Körpersprache zu lesen, und dies bedeutete, dass Eonwe sich unerwartet mit einer Situation konfrontiert sah, mit der er nicht umzugehen wusste. Kein Protokoll Manwes gab ihm vor, was er zu tun hatte. Eonwe hatte es schon immer gehasst, wenn man ihm keine klare Linie vorgab.
»Er wird seine gerechte Strafe erfahren für die Missetaten, die er begangen hat«, wiederholte er, was er jedem sagte. »Doch es ist nicht an uns, schon jetzt über ihn zu urteilen.«
Earendil sah Mairon durchdringend an. Das Licht seines silmaril brannte. »Ihr haltet ihn stets nahe bei Euch, Herold. Wie ein schmückendes Beiwerk. Und hübsch anzusehen mag er ja sein, aber über diese hübschen Lippen kommen nichts als Lügen und Verrat.«
Mairon schnappte einen flüchtigen Gedanken Eonwes auf, beinahe zu flüchtig, um ihn überhaupt wahrnehmen zu können. Für einen winzigen Moment dachte der Herold daran, zu was Mairon mit seinen Lippen noch alles fähig war.
Die Erde bebte, doch dieses Mal war es keines der Beben, die Beleriand nach und nach auseinanderrissen. Meister Melkor hatte durch Mairon ebenfalls gesehen, woran Eonwe gedacht hatte, und war einigermaßen amüsiert darüber.
Das Beben ließ sie schwanken. Mairon griff Halt suchend nach der Reling, riss aber sofort wieder seine Hand zurück, wie als habe er sich verbrannt. Ihn überkam das Bedürfnis, sich die Hände zu schrubben. Hastig rieb er seine Handfläche an seiner Robe, auch wenn es das unangenehme Gefühl kaum besser machte.
Earendil wandte sich ab und sah über das Lager nach Süden.
»Wo sind meine Söhne?«, verlangte er zu wissen. »Das letzte Mal sah ich sie vor über einem Jahr und das auch nur aus der Ferne. Ihr könnt sie mir nicht länger vorenthalten, sie sind noch immer in den Klauen dieser Mörder.«
Söhne? Mairon wurde hellhörig.
»Ich enthalte sie Euch nicht vor«, sagte Eonwe geduldig. »Sie werden kommen und ihre Wahl treffen. Alles andere liegt dann an ihnen.«
»Sie sind meine Söhne!«, begehrte Earendil auf.
Mairon brannte darauf, mehr zu erfahren, aber nachzufragen, würde verdächtig wirken. Also schwieg er.
Als auch Eonwe sich ausschwieg, bedeutete Earendil ihnen, dass er nichts mehr hinzuzufügen hatte. »Das wäre dann alles, Herold.«
Eonwe neigte leicht den Kopf und wandte sich zum Gehen. Mairon folgte ihm.
»Aaskrähe Morgoths«, zischte Earendil ihm im Vorbeigehen zu.
Mairon lächelte. Er stand schon lange über solchen Kleinigkeiten.
Eonwe führte ihn zurück zu seinem Zelt, das in den vergangenen Wochen auch zu Mairons Unterkunft geworden war, seit Eonwe es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sein persönlicher Wächter zu sein. Mairon stellte sich in die Mitte des Zeltes und wartete, während er Eonwe beobachtete. Dieser trat zu einer Kommode und schenkte ihnen beiden Wein ein. Dann bedeutete er Mairon, sich zu ihm an einen kleinen Tisch zu setzen. Mairon kam dem nach und nahm den Kelch entgegen.
Eonwe seufzte.
»Du siehst erschöpft aus«, stellte Mairon fest, noch bevor er die Worte zurückhalten konnte.
Eonwe zog die Augenbrauen zusammen, während er mit dem Daumen die Muster im Kelch nachfuhr und tief in den Wein starrte. »Die Art, wie Earendil immer wieder über dich spricht, bringt mich zum Nachdenken. Und es ist ja nicht nur er. Alle! Kann es sein …?« Mit einem Mal hob er den Kopf und durchbohrte Mairon mit seinem Blick. »Sprich, Mairon, und sprich nichts als die Wahrheit. War das, was zwischen uns gestanden hatte, jemals echt?«
Um Eonwes Blick auszuweichen, sah Mairon auf die Seidenbinde, die sich der Herold um sein Handgelenk gebunden hatte.
»Ja, das war es«, sagte er schließlich leise. Es war zumindest ein Teil der Wahrheit.
»Und bereust du wirklich, was du getan hast?«
»Ja.«
Oder zumindest bereute er, dass er damals Eonwe nicht mit sich hatte nehmen können. Als er seine Maskerade nicht mehr hatte aufrecht erhalten können, war er zu ihm gegangen und hatte den Herold gebeten, für ihn Manwe zu verlassen und mit ihm zu Meister Melkor zu gehen. Doch Eonwe hatte sich geweigert und damit Mairon schlimmer verletzt, als selbst Lúthien es vermocht hatte.
War es damit nicht eigentlich Eonwes Schuld, dass sie sich so entzweit hatten und Verrat zwischen sie getreten war? Es war doch Eonwe gewesen, der sich geweigert und damit zugelassen hatte, dass sie nun an diesem Punkt gegenüber standen, als Feinde, Diener zweier Herren, die sich seit Anbeginn der Welt bekriegt hatten.
Ja. Dafür konnte er Eonwe hassen.
»Oh, kleine Flamme«, wisperte Meister Melkor in seinen Gedanken. »Du bist wirklich grausam.«
Eonwe gab sich mit Mairons Worten zufrieden. Er ergriff seine Hand und führte sie zu seinen Lippen, um zarte Küsse auf seine Finger zu drücken. Der Hauch einer Berührung seiner Zunge folgte, eine verheißungsvolle Erinnerung an das, was einmal war und nie wieder würde sein können.
»Vielleicht kann es eines Tages ja wieder so sein wie damals«, wisperte Eonwe mit geschlossenen Augen und schmiegte sich in die Berührung von Mairons Hand auf seiner Wange. »Ich will die Hoffnung daran nicht aufgeben. Meine Gefühle für dich sind das einzige Geheimnis, das ich jemals vor König Manwe hatte.«
Und das würde ihm zum Verhängnis werden, beschloss Mairon. In diesem Moment hielt er Eonwes Herz in Händen und er würde es nehmen und zerschmettern.
Seine Stunde sollte früher kommen als gedacht. Nur wenige Wochen später geriet das Lager in Aufruhr, als Feanors letzte Söhne kamen, um die silmarilli zu stehlen, die Earendil aus Melkors Krone gebrochen hatte. Eonwe erlaubte es ihnen zu leben und ließ sie gehen. Doch damit ließ er in seiner Aufmerksamkeit nach.
Mairon nutzte die Gunst der Stunde, legte seinen Körper ab wie alte Kleidung und entschwand als Geist in den Osten. Melkors Schadenfreude über die letzte Ernte seiner Saat erfüllte ihn. Er verschwendete keinen Gedanken daran, wie sein neuerlicher Verrat Eonwe zerschmettert haben musste. Hätte er es getan, wäre er vielleicht wieder umgekehrt.
fana – Gestalt; Hülle, in der sich die naturgemäß körperlosen Ainur kleideten, wenn sie unter die Kinder Ilúvatars traten; Qu.
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