„Du bist gekommen.“ Noch ist Edwards Stimme ausdruckslos und leer – glattgefegt und weiß, wie die gleisende Schneelandschaft, in der sein rostbraunes Haar der einzige Lichtblick ist. Jasper lächelt kurz, ein nachsichtiges Heben der Mundwinkel nur, doch das genügt, um die Eisschicht, die die beiden trennt, tauen zu lassen. „Natürlich bin ich gekommen. Es war schlimm genug, dass du Weihnachten alleine sein wolltest, als dann die Nachricht kam, dass du mich sehen willst, bin ich fast peinlich schnell losgeeilt.“
Edward stößt kurz Luft aus, es ist fast ein Lachen und seine Augen wirken für eine Sekunde täuschend lebendig. Gleich darauf bahnt sich die kalte Leere in ihm jedoch wieder einen Weg in seine Gesichtszüge. „Es sind nun über drei Monate. Ich bin ihr so nah wie lange nicht. Ich renne durch die Berge, bilde mir ein, sie riechen zu können und muss all meine Kraft aufwenden, nicht zurück nach Forks zu stürmen. Nicht mal, um mit ihr zu interagieren. Ich will einfach nur sehen, wie es ihr geht, aber ich weiß, wenn ich auch nur einen Schritt zu nah komme, ist es um mich geschehen. Ich bin ihr doch schon viel zu nah, aber ich kann nicht anders!“ Ein Zittern überläuft Edward, aus Wut über sich selbst und die Welt, und Jasper legt ihm eine Hand auf die Schulter, schaut ihn nur an. Antwortet auf die unausgesprochene Frage nicht, bis Edward endlich die Worte formt und fast hasserfüllt hervorstößt: „Wie geht es ihr denn, verdammt noch mal?“
Jasper versucht seinem Blick Stand zu halten, richtet ihn aber dann auf die weiße Fläche unter ihnen. „Nach allem, was ich weiß, geht es ihr überhaupt nicht. Es gibt absolut keine Neuigkeiten, im Sinne davon, dass sie wohl absolut nichts tut. Sie verlässt anscheinend kaum ihr Zimmer, nach dem, was man so hört.“
Edward rammt eine Faust in den Baum, der ihm am nächsten steht und das Bersten der Rinde und das Krachen des Holzes ist das lauteste Geräusch, das die gedämpfte Landschaft seit langem vernommen hat. „Ich … muss sie sehen. Der Gedanke, dass ich ihren Zustand zu verschulden habe dass ich all das wieder aufheben könnte, sie aus ihrer Erstarrung lösen könnte …“
Jasper hält ihn jetzt fest, als habe er Angst, dass er sofort loslaufen würde, den Berg hinunter stürzen, wieder ungebremst hinein ins Leben von Bella Swan. Doch Edward rührt sich nicht, sagt nur mutlos: „Ich weiß doch, dass ich das Richtige tat. Sie wird darüber hinwegkommen, irgendwann, irgendwie. Menschen sind so – sie streben dem Leben zu, verlieben sich und entlieben sich und machen immer weiter. Ich bin es, der vollkommen erstarrt ist. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit überhaupt nicht vergeht. Diese drei Monate hätten Jahrhunderte sein können. Mein Zustand ist mir unerträglich und die Unendlichkeit scheint mir beängstigender als je zuvor. Meine Existenz ist leer, einfach nur vollkommen leer.“
Jasper weiß nicht, was er sagen soll, doch man sieht ihm an, dass er Edwards Verzweiflung fühlt, einen Hauch des Loches in dessen Brust spüren kann. Er seufzt. Fragt das Klischeehafteste, Banalste, was man fragen kann: „Hast du denn versucht, dich abzulenken? Andere Frauen, Männer, irgendwer?“
Edward lacht bitter aber nicht wütend. „Oh, an andere Personen, Mensch oder Vampir habe ich mich nicht rangemacht. Ich habe vollkommen aufgegeben, irgendjemanden nicht zu zerstören. Aber gejagt habe ich wie besessen. Wie ein wildes Tier unter anderen wilden Tieren habe ich gehetzt und erlegt und getrunken, so viel getrunken! Aber auch das nützt nichts. Die Sehnsucht lässt sich nicht mit blödsinnigem Genuss betreiben, ich kann einen ganzen verdammten warmen Grizzly leeren und bin immer noch am Verdursten.“
Erst jetzt fällt Jasper auf, dass Edwards Augen im kurzen Verlauf ihres Gesprächs immer dunkler und drängender geworden sind. Er scheint nun blasser als der Schnee, der sie umgibt.
„Du kannst nicht für immer alleine sein“, stellt Jasper fest.
„Nein“, murmelt Edward. „Deshalb habe ich ja Kontakt zu dir aufgenommen.“
Sie sehen sich an und hoffen beide, dass der andere das Gleiche versteht. Jaspers Hände liegen immer noch auf Edwards Schultern und langsam entspannt sich Letzterer. Fast lässig sagt er: „Du weißt, was es heißt, zu lieben und du weißt, was es heißt, zu leiden.“
Nun ist es an Jasper, aufzulachen, doch weicher, nicht so bitter. „Das stimmt. All das, was ich fühle, wenn ich deine Emotionen wahrnehme, ist wie eine Erinnerung, die ich so frisch nie wieder spüren wollte. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum du mich bei dir haben wolltest.“ Ein winziges Lächeln umspielt seine Lippen, spöttisch und doch sanft.
Edward schnaubt. „Ja. Es war mir klar, dass du das gemerkt hast. Nein, ich kann nicht verbergen, nach was sich mein Körper manchmal sehnt, wenn ich dich ansehe. Aber vergiss‘ nicht – während ich meine Gefühle vor dir nicht verstecken kann, sind mir deine Gedanken ausgeliefert!“ Zum ersten Mal zeigt er ein richtiges Lächeln, eigentlich eher ein Grinsen.
„Diese Gaben können einem ja echt unglaublich auf die Nerven gehen.“ Jasper rollt die Augen, grinst nun auch.
„Ja, das stimmt. Aber das Gute daran ist“ – nun ist Edwards Stimme plötzlich wieder ernst und intensiv – „dass wir uns jegliches Vorgeplänkel eigentlich sparen können.“
„Na dann“, flüstert Jasper noch, dann treffen sich ihre Münder in einem harten, verzweifelten Kuss.
Zwei weiße kalte Körper sind es, die sich im weißen kalten Schnee ineinander Krallen; Schreien und Stöhnen und Knurren. Es genießen – mit Frustration, aber ja, genießen – dass sie einander nicht zerstören können, jedenfalls nicht so, und deshalb nicht rücksichtsvoll sein müssen, nicht vorsichtig, nicht zurückhaltend. Bald zeichnen sich Bissspuren auf ihren Schultern ab, Edward schreckt auch nicht vor Jaspers Narben zurück und berührt sie mit einer Härte, die beide erleichtert.
Nein, es ist nicht Bella, die Edward schmeckt und fickt, er wird weiterhin durstig bleiben. Es ist auch nicht sein altes, so verwerfliches, verhasstes, verzweifeltes Ich, das Jasper bestraft, und ein Teil von ihm wird einen anderen Teil immer hassen. Doch es ist besser als nichts, das, was die beiden in den schneebedeckten Bergen, in der Nicht-Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr spüren, und manchmal ist besser als nichts das Einzige, was man kriegen kann.
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