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Kapitel: | 25 | |
Sätze: | 4.003 | |
Wörter: | 74.419 | |
Zeichen: | 427.507 |
Prolog
„Na, schau einer an. Welch Glanz in meiner bescheidenen Hütte. Was führt dich zu mir, außer ein kleiner Spaß mit meinen Angestellten? Es wäre übrigens sehr freundlich, wenn du sie zurückverwandeln würdest. Ich muss sie so oder so bezahlen und in ihrer jetzigen Gestalt können sie ihren Dienst wohl nur unzufriedenstellend bewältigen.“
Sie verzog noch nicht einmal die Miene während das schwere Tor mit einem tief hallenden Donner hinter ihm zufiel. Es schien als hätte sie auf ihn gewartet, ein Glas Wein in der Hand und ein weiteres auf dem schmalen Beistelltisch neben dem schlichten Stuhl mit der hohen Rückenlehne. Sie selbst wartete auf ihn in einem Stuhl der ebenso schlicht wirkte. Trotz dieser Schlichtheit wirkte der Raum beinahe wie ein Thronsaal, als würde vor ihm eine Königin sitzen, eine mächtige Herrscherin, die sich vor niemanden verbeugen musste.
„Nun komm, komm herein“, winkte sie ihm mit ihrer freien Hand zu, „schließlich muss es einen wichtigen Grund geben, dass du mich einfach so in meinem Haus aufsuchst, ohne vorher einen Termin zu vereinbaren.“
Widerwillig folgte er ihren Worten und schritt auf sie zu, doch fast im gleichen Moment trat ein großer Schrank im Anzug aus den Schatten hervor und stellte sich ihm in den Weg.
„Irgendwelche Waffen?“ Seine Stimme klang genauso stumpf wie er aussah. Insbesondere wenn man bedachte, dass der Neuankömmling seine Waffe offen zur Bewunderung gegen seine Schulter gelehnt hatte.
„Ach, Momo, glaubst du wirklich das Schwert sei das Gefährlichste an ihm? Lass ihm sein Spielzeug; er ist nicht hier, um mich zu töten. Habe ich nicht Recht?“ Nun zeigte sie ein leichtes Grinsen, welches ihm genau sagte, dass sie die einzige Person im Raum war, vor der er sich in Acht zu nehmen hatte. „Du bist aus geschäftlichen Gründen hier, nicht wahr?“
Mit einem dumpfen Aufprall warf er den Sack, den er bei sich trug, vor ihre Füße.
„Ja.“
Unbeeindruckt warf sie ihre Beine übereinander und stieß dabei leicht den Sack mit ihren Zehenspitzen zur Seite.
„Nun denn, setzt dich. Ich bin neugierig was für einen Vertrag du mit mir eingehen willst. Außerdem habe ich nicht ewig Zeit, manche von uns müssen arbeiten.“ Fast augenblicklich verschwand ihr spielerisches Lächeln, und der berechnende Blick einer erfahrenden Geschäftsfrau starrte ihn nieder.
„Aber Chefin, was ist mit dem Termin von…?“
„Verschieb ihn, Momo“, unterbrach sie den Schrank im Anzug, ohne ihn überhaupt anzusehen. „Unser Gast hat meine Neugierde geweckt.“
Misstrauisch kam er näher und nahm schließlich auf dem dargebotenen Stuhl Platz während sie genüsslich an ihrem Wein nippte.
„Also, um gleich zum Punkt zu…“
„Nahaha.“ Mahnend hielt sie ihm ihren erhobenen Zeigefinger entgegen. „Bevor wir zu deinem Anliegen kommen, verwandle meine Angestellten zurück oder ich stelle sicher, dass du die Insel in diesem Sack zu meinen Füßen verlässt.“
„Du drohst mir?“
Sie lachte auf und nahm noch einen Schluck.
„Oh, Kleiner. Du bist derjenige, der ohne Termin bei mir einfällt, Wachen und Hauspersonal in unmenschlichen Zuständen zurücklässt und mir einen müffelnden Sack mit fragwürdigem Inhalt vor die Füße wirft.“ Leise klirrend stellte sie ihr Glas auf ihrer Armlehne ab. „Du hast Glück, dass ich von wissbegieriger Natur bin und dich wesentlich interessanter finde als die anderen Geschäftspartner, die heute auf mich warten, sonst hättest du es noch nicht einmal bis zur Haustür geschafft.“
Er wollte glauben, dass sie nur dick auftrug, aber seine aufgestellten Nackenhaare sagten ihm etwas anderes.
Mit einem abfälligen Schnauben schnipste er einmal laut.
„Bitte sehr, alle wieder in menschlichem Zustand.“
Noch einen Moment sah sie ihn an, dann nickte sie dem Schrank im Schatten zu und augenblicklich verbeugte dieser sich und verließ den Raum.
„Nun gut.“ Sie lehnte sich vor und hob den Sack am Boden an einer Spitze an, um hineinzuspähen, ehe sie enttäuscht aufseufzte. „Ach, wie erwartet. Ich hatte mir doch etwas Spannenderes erhofft, nachdem du hier wie der Bösewicht eines schlechten Romans eingedrungen bist.“
Tief einatmend ballte er die Fäuste.
„Willst du mir mein Anliegen noch nicht mal anhören, ehe du einfach ablehnst?“
„Tze,“ lachte sie höhnisch auf und rieb sich durchs Gesicht als hätte er etwas wirklich Dummes gesagt. „Kleiner, erstens, ich brauch mir dein Anliegen nicht anhören, ich weiß genau, weshalb du hier bist; am Ende seid ihr ja doch alle gleich, wenn ihr mich so verzweifelt aufsucht. Ich meine diese Mülltüte hier ist ein winzig kleiner, abartig stinkender Hinweis, findest du nicht? Zweitens, sei nicht so voreilig, wenn du ein Verhandlungsgespräch führst, insbesondere wenn du derjenige bist, der etwas will.“
„Ich bin nun mal nicht der Geduldigste“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Nicht?“, entgegnete sie. „Was ich über dich gehört habe widerspricht dem doch sehr. 13 Jahre sind eine lange Zeit, um auf Rache zu warten, und noch länger, um an Vergangenen festzuhalten.“
„Ich bin nicht hier, um deine Lebensweisheiten zu hören“, knurrte er. „Kannst du mir helfen oder nicht?“
Sie schnalzte erneut mit der Zunge und rollte mit den Augen.
„Natürlich kann ich“, meinte sie dann. „Die wahre Frage ist, bist du bereit den Preis zu zahlen?“
Er nickte todernst. „Wie hoch er auch immer sein mag.“
Kopfschüttelnd winkte sie ab.
„Nicht so dramatisch, Kleiner. Es ist einfach; beide Güter müssen entweder nach objektiven oder aber nach den subjektiven Werten der Vertragspartner den gleichen Stellenwert haben, ein modifizierter äquivalenter Tausch. Die Waage muss stets ausgeglichen sein.“
Er dachte noch es wäre ein Sprichwort, da tauchte aus dem nichts eine Waage zwischen ihnen auf und waberte zwischen ihnen in der Luft.
„Mein Einsatz hier ist ziemlich hoch, du wirst nicht billig davonkommen“, sprach sie weiter und deutete auf die Waage, die sich leicht zu seinen Gunsten neigte.
„Das ist mir egal“, murrte er. „Hauptsache es ist möglich.“
„Es ist möglich. Aber du möchtest keinen Zug-um-Zug-Tausch, nicht wahr? Du möchtest mehr Zeit. Das macht es schwieriger, denn es bedeutet entweder, du gibst mir etwas mehr - was aber nicht möglich ist, da du mir ansonsten bereits alles gibst was du hast - oder ich gebe dir etwas weniger.“
„Was bedeutet das?“ Er verschränkte die Arme. „Was bedeutet weniger?“
„Oh, ganz einfach.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Ich könnte etwas Lebenszeit abzwacken oder ein Organ – ein Auge vielleicht, wer braucht schon zwei? - oder etwa…“
„Nein! Auf keinen Fall.“
Während sie sprachen schwank die Waage zwischen ihnen hin und her, entlastete ihre Seite bei jedem Vorschlag für einen kleinen Moment, bis er diesen ablehnte.
„Ich kann dir Geld bieten“, entgegnete er dann, „egal wie viel.“ Doch zu seiner Überraschung bewegte sich die Waage keinen Millimeter.
„Ach, Kleiner. Objektiv kann man Leben nicht mit Geld aufrechnen und subjektiv – du hast mein Anwesen gesehen – kannst du mir nicht genügend bieten, als dass es mich interessieren würde. Es gibt nur zwei Dinge, die ich wirklich will und das eine davon gibst du mir bereits.“
„Was dann?“ Er mochte dieses Gespräch nicht. Nach Jahren der Hoffnungslosigkeit war sie diejenige, die ihn erlösen konnte, aber anscheinend hatte er nichts, was er ihr im Gegenzug anbieten konnte. Sollte er also nur wenige Sekunden vor dem Ziel einfach aufgeben? Aufgeben wegen einer mangelhaften Formalität? „Was willst du dann? Wir beide wissen, dass ich dir objektiv nicht mehr geben kann und subjektiv…“
„Liegt eine Teufelskraft vor?“, unterbrach sie ihn mit Leichtigkeit während er schon drauf und dran gewesen war laut zu werden.
Überrascht sank er in seinen Stuhl zurück und nickte knapp.
„Na herrlich, da haben wir doch unsere Lösung. Teufelskräfte sind immer unglaublich kompliziert, du weißt schon mit ihren ganzen Regeln, der Beeinflussung von Leben und Tod und so weiter, aber wenn ich die abziehe, dann… schau her.“ Leise lächelnd deutete sie auf die Waage, die sich vor ihnen im perfekten Gleichgewicht ausbalancierte. „Dann kann ich dir sogar noch fast ein ganzes Jahr geben. Glaub mir, das ist unwahrscheinlich viel. Meistens kommen bei einem Tausch wie diesem nur wenige Tage zustande.“
Ein Schauder lief seinen Rücken hinab, als ihm bewusst wurde, was diese Waage bedeutet, was dieses Gespräch bedeutete, dass er nach all der Zeit…
„Nun reiß dich doch zusammen, Kleiner. Ist das etwa deine erste Verhandlung? Ach, wenn ich nicht so eine Schwäche für Verträge hätte, die mir beschaffen was ich will, wäre es mir viel zu mühselig mit dir zu verhandeln. Ich habe keine Zeit Anfängern wie dir die Kunst der Verhandlung beizubringen, also lass uns zügig zum Schluss kommen.“
Er sah zu ihr hinüber, während sie aufstand und auf ihn zukam; direkt vor der Waage blieb sie stehen.
„Wir sind übereingekommen, mein Lieber. Alles, was jetzt noch fehlt, sind ein paar kleine Details und ein Handschlag, um unseren Vertrag zu besiegeln.“
Zögernd erhob er sich. Das hier war, was er wollte, schon seit so langer Zeit wollte, warum also schlug sein Herz so voller Angst?
Lächelnd neigte sie den Kopf.
„Keiner zwingt dich diesen Vertrag einzugehen, Kleiner. Ich sehe die Unsicherheit in deinem Blick und ich stimme dir zu; dein Einsatz ist hoch. Wenn du es dir also anders überlegen möchtest, wäre jetzt der Zeitpunkt…“
„Nein!“ Er schritt auf sie zu und hielt ihr seine Hand hin. „Ich bin nicht um die ganze Welt gereist, habe nicht die Ruhe der Toten gestört und alles aufgegeben, nur um jetzt zu kneifen.“
Für einen Moment starrte er den Sack hinter ihrem Rücken an, den er hergebracht hatte.
„Das hier will ich, diese Schuld muss ich begleichen.“
„Nun denn, auf gutes Gelingen.“ Sie ergriff seine Hand, direkt unter der Waage hindurch. „Und auf das du es nicht bereust.“
Kapitel 1 - Fremder
Mit einem leichten Seufzen wachte er auf. Eine tiefe Zufriedenheit schlummerte in ihm, als hätte er etwas Schönes geträumt – nicht, dass er sich dran erinnern könnte – und doch wollte er nicht die Augen öffnen und den Tag beginnen.
Also lag er da und genoss diese Entspannung. Das Bett unter ihm war weich, die Decke auf seiner Brust warm, ein sanftes Licht erhellte selbst durch seine Lider hindurch die Dunkelheit und eine sanfte Brise brachte ihm das angenehme Rascheln von Bäumen, Zwitschern von Vögeln und das leichte Rauschen nicht weit entfernter Wellen.
Selten war er so entspannt dem Schlaf entronnen, meist hatte ihn ein lauter Knall oder eine flüsternde Sorge aus unruhigen Träumen geweckt, doch genau dieser Gedanke ließ ihn aufhorchen. Warum war es dieses Mal anders?
Schwerfällig öffnete er die Augen. Über ihn war eine einfache weiße Decke, getragen von breiten Holzbalken, zu seiner rechten war ein geöffnetes, breites Fenster über dem Bett in dem er lag, welches Blick auf sanft im Wind hin und her wiegende Blätter bot, in denen sich die Sonnenstrahlen brachen.
Zu seiner linken war ein schlicht eingerichteter Raum, der Boden aus dem gleichen Holz wie die Deckenbalken, Fensterrahmen und die geschlossene Türe gegenüber dem Fenster. Neben dieser stand ein schmaler Schreibtisch, auf dem sich Bücher und allerlei Krimskrams stapelten. Auch auf dem Boden lagen verstreut Bücher, einzelne Blätter, die wie eine Fährte zwischen Schreibtisch und Bett zu einem offenen Türrahmen führten, wohinter er die Umrisse einer kleinen Küche ausmachen konnte.
Langsam setzte er sich auf. Dieser Ort war ihm fremd, selbst den Geruch von Sommer, Holz und Desinfektionsmittel konnte er nicht wirklich zuordnen. Verwirrt rieb er sich den Kopf; er versuchte sich an den vergangenen Tag zu erinnern oder an das letzte, was er getan hatte, aber er wusste es einfach nicht.
Hinter der geschlossenen Türe konnte er gedämpfte Stimmen und immer mal wieder eilige Schritte oder das Scharben eines Stuhls hören, fast schon leiser als das Rascheln der Blätter zu seiner Rechten.
Es war kalt gewesen, wurde ihm bewusst, kälter als jetzt, Winter, und dann erinnerte er sich wieder. Er erinnerte sich an die Insel Minion, auf der hoher Schnee gelegen hatte. Er wusste, dass er dorthin gereist war, er und… Law!
Schnell warf er die Decke zur Seite und stand auf, doch als hätte ihm jemand den Teppich unter den Füßen weggezogen, verlor er sein Gleichgewicht und viel zurück aufs Bett. Vor seinen Augen tanzten bunte Punkte und er fühlte sich schwummrig, sein Körper war erschöpft, als wäre er viel gerannt, zu viel gerannt. Vielleicht sollte er das Rauchen aufgeben, seiner Lunge zuliebe…, verdammt, jetzt gierte er auch noch nach Nikotin.
Mühsam erhob er sich wieder, diesmal langsamer, und hielt sich an der Bettkannte fest. Seine Beine zitterten und das Atmen fiel ihm immer noch schwer. Was war nur passiert? Aber viel wichtiger, wo war Law und wie ging es ihm? Hatte er es geschafft? Hatte er die Operationsfrucht geholt und Law gegeben? War Law noch am Leben?
Er wusste nicht, wie lange er in diesem Bett gelegen hatte und erst recht wusste er nicht, wie viel Zeit seit seinem Besuch auf Minion vergangen war, aber die Angst übermannte ihn, die Angst, dass er ihn verloren hatte, nicht hatte beschützen können.
Erneut gaben seine Beine nach, doch diesmal fiel er zu Boden, auf die Knie, nicht in der Lage, sich rechtzeitig abfangen zu können, und versuchte seinen zittrigen Atem zu beruhigen. Es war der falsche Ort und die falsche Zeit sich von irrationaler Angst überwältigen zu lassen. Er musste aufstehen und diesem Raum verlassen, nur so konnte er herausfinden ob sich seine schlimmste Furcht bewahrheitet hatte.
Plötzlich hörte er sich nähernde Schritte und die Stimme eines Mannes, ehe die Türe vor ihm geöffnet wurde.
„… nach Hause. Heute Nachmittag sind es nur noch zwei Termine, die kann ich nach der Mittagspause allein mit…“ Der Mann im Arztkittel blieb im Türrahmen stehen und starrte ihn mit großen Augen und offenen Mund an, als hätte er vergessen, dass er sich gerade noch in einer Unterhaltung befand.
„Wenn du meinst“, antwortete eine Frauenstimme aus dem Flur hinter dem Mann. „Dann mach ich morgen die Frühschicht, also schlaf dich mal aus. Bis dann also und sei nett zu Frau Paipai.“
Auf sich entfernende Schritte folgte das Zufallen einer Türe und plötzlich war es still, während der Mann im Türrahmen ihn immer noch anstarrte, mittlerweile jedoch bebte sein ganzer Kiefer.
„Endlich“, flüsterte der Arzt nach einer Sekunde und die Erleichterung in seiner Stimme war unüberhörbar, „du bist aufgewacht.“
Er hatte keine Ahnung wer der Fremde war, der nun mit zaghaften Schritten auf ihn zukam, als würde er ein verschrecktes Tier beruhigen wollen. Er versuchte sich aufzurichten, aber seine Beine wollten ihm immer noch nicht gehorchen und er stolperte nach vorne, in die Arme des Fremden, der ihn zwar halb auffing, aber dennoch mit ihm zu Boden glitt.
„Vorsichtig, vorsichtig!“, flüsterte der andere eilig, während er selbst die auffälligen Tätowierungen des Arztes auf Hand und Unterarm bemerkte, die ihn hielten, ihn ergriffen und nicht losließen.
„Wer…?“ Er verstummte, als sie beide auf den Dielen hockten und er das Gesicht des anderen aus nächster Nähe sah, in diese seltsam vertrauten grauen Augen sah, die ihn immer noch glasig anstarrten. Obwohl er diesen Mann nicht kannte, war er ihm irgendwie nicht fremd, das wilde schwarze Haar, diese tiefen Augen, dieser Geruch.
Es überraschte ihn, als der andere dessen tätowierte Hand hob und nach ihm ausstreckte. Er wollte zurückweichen, aber etwas ließ ihn innehalten. Zittrig atmete der Fremde vor ihm ein und dann rannen ihm die Tränen übers Gesicht, wie bei einem kleinen Kind.
„Cora“, flüsterte der Mann und obwohl es unmöglich war, obwohl es absolut nicht sein konnte, erkannte Rocinante den anderen.
„Kann es sein?“, flüsterte er und ließ zu, dass der Mann ihn berührte. „Bist du es, Law?“
„Ja, Cora, ich bin es“, schluchzte der andere und im nächsten Moment lag er in Rocinantes Armen und weinte wie das kleine Kind, das er sein sollte.
Er verstand nicht, er verstand einfach nicht. Der Mann in seinen Armen war mindestens so alt wie er, ein richtiger Mann, aber Law war doch gerade erst dreizehn Jahre alt, unschuldige dreizehn Jahre alt.
Doch das Beben des fremden Körpers, das Brechen der schluchzenden Stimme, die Tränen dieser so vertrauten Augen, das alles sagte ihm, dass trotz aller Unmöglichkeit dieser Mann wohl niemand anderes sein konnte als sein kleiner Law.
„Law“, flüsterte er und drückte den anderen noch fester an sich als er die Tränen nicht mehr aufhalten konnte. Er verstand nicht, was passiert war, aber Law lebte, seine Haut schien – abgesehen von den Tätowierungen natürlich– wieder eine normale, eine gesunde Farbe angenommen zu haben, und er war erwachsen, er war erwachsen.
Vielleicht, vielleicht hatte es etwas mit der Operationsfrucht zu tun. Vielleicht hatte die Heilung einen Alterungsprozess hervorgerufen. Er wusste es nicht, er wusste es wirklich nicht, aber für diesen kleinen Moment war es ihm egal, war ihm alles andere völlig egal. Law lebte, das war alles was zählte.
Er konnte fühlen, wie Law die Hände in ihn krallte, als wolle er sichergehen, dass Rocinante wirklich da war, nicht nur ein Gebilde seiner Fantasie. Er griff nach seiner Brust, seinem Oberarm, seiner Schulter, seinem Haar.
Die verweinten Augen sahen zu ihm auf und ein leises Lächeln zog sich über dieses befremdlich vertraute Gesicht. Nun konnte er es ganz klar sehen, es war eindeutig Law.
Es ging ihm gut, er war am Leben und Rocinante merkte, wie es ihm schwerfiel dieses zittrige Lächeln nicht zu erwidern, fast schon ungewollt spiegelte sein Mund das Lächeln des anderen und plötzlich zog Law ihn zu sich hinunter und presste ihre Lippen gegeneinander.
Rocinante erstarrte.
Er hatte keine Ahnung, was gerade passierte. Law – sein süßer, kleiner, lieber Law – stand plötzlich als erwachsener Mann vor ihm, weinte in seinen Armen und nun… nun das?
Er konnte fühlen, wie die fremden Lippen gegen seine rieben, konnte die Hand in seinem Haar überm Nacken fühlen, die sich so verzweifelt festklammerte, spürte die Hand auf seiner Brust, genau über seinem wild pochenden Herzen.
Dann riss Law die Augen auf und wandte sich ab, befreite sich aus Rocinantes Armen und wich vor ihm zurück.
„Ich… ich… es tut mir leid“, flüsterte er ohne Rocinante auch nur anzusehen. „Ich wollte nicht… ich wollte dich nicht so überfallen… ich bin nur…nur…“
Offensichtlich fehlten ihm die Worte; nicht, dass es Rocinante in irgendeiner Form besser ging. Er verstand die ganze Welt nicht mehr. Das alles war wie ein abstruser Traum, fernab von jeglicher Realität. Aber diese Hände gerade, diese Tränen, diese Lippen, all das war echt.
Ohne seinen Satz je zu beenden starrte der andere ihn an und Rocinante hatte das seltsame Gefühl, dass er nun dran war etwas zu sagen, irgendetwas, um die seltsame Stille auszufüllen.
„Schon gut“, murmelte er, ohne wirklich zu wissen, was er damit meinte. „Ich verstehe nur nicht… Was geht hier eigentlich…?“
Das Öffnen einer fernen Tür unterbrach ihn und eilige Schritte kamen den Flur heruntergeeilt.
„Doktor Trafalgar, wo bleiben Sie denn? Die Mittagspause ist vorbei und… oh, Sie sind endlich aufgewacht?“
Im Türrahmen, hinter dem erwachsenen Law – der sich schnell aufrichtete und versuchte die Spuren seiner Tränen zu verwischen – stand eine vom Alter gebückte Dame, die Rocinante mit einem leichten Lächeln ansah, ehe sie schnell zu Law hinüberschaute.
„Wollen Sie, dass ich die Termine absage, Doktor?“
„Nein, nein.“ Law schüttelte den Kopf, ohne sie oder Rocinante anzusehen. „Herr Maumau kann nur heute und vielleicht kommen noch Notfälle rein. Ich habe heute Hintergrunddienst.“
Mit jedem Wort klang er ruhiger und gefasster, als hätte er sich wieder unter Kontrolle, als wäre er wieder Herr seiner Gefühle.
„Tun Sie mir einen Gefallen und geben Sie mir noch fünf Minuten, Frau Paipai. Wenn Herr Maumau kommt, bringen Sie ihn schon mal ins Untersuchungszimmer und klären, ob er seine Medikamente genommen hat. Ich komme dann gleich für die Untersuchung, aber ich brauche noch einen Moment.“
Die alte Frau nickte knapp. „Natürlich, verlassen Sie sich auf mich.“
Sie trat heraus und schloss die Tür hinter sich.
Für einen Moment waren sie beide still, während Rocinante den Mann vor sich begutachtete. Er war groß geworden, wirklich groß, und seine Stimme war tief, wie ein erwachsener Mann klang er und sein Auftreten erst… „wie ein echter Arzt.“
Die grauen Augen schnellten zu ihm hinüber und eine leichte Röte legte sich über Laws Wangen.
„Ich bin ein echter Arzt“, meinte er dann schließlich.
„Du leitest eine Praxis?“, fragte Rocinante die unwichtigste Frage, die er stellen konnte, aber die einzige die ihm gerade in den Sinn kam.
Langsam nickte Law, als hätte auch er eine andere Frage erwartet.
„Nur eine kleine. Doktor Tantan ist letztes Jahr bei einem Unfall verstorben und ihre Tochter ist noch Studentin. Die Inseln hier haben sonst niemanden, daher…“, antwortete er auf die Frage, die eigentlich keinen von ihnen interessierten.
„Und daher hast du entschieden ihnen zu helfen?“
Law zuckte mit den Achseln.
„Ich bin Arzt und die Menschen hier brauchen einen. Bin nur durch Zufall hier vor ein paar Monaten vorbeigekommen. Außerdem ist es hier ruhig und…“ Wieder beendete der andere seinen Satz nicht und biss sich auf die Unterlippe.
Rocinante auf der anderen Seite konnte seine Tränen nicht zurückhalten, als ihm bewusst wurde, dass sein kleiner Law - sein kleiner, jähzorniger, wütender Law - Menschen half einfach nur aus dem Grund, dass sie Hilfe brauchten.
„Das freut mich“, flüsterte er und versuchte wieder aufzustehen. Dieses Mal gelang es ihm etwas besser, doch selbst jetzt zitterten seine Beine noch unter ihm.
„Vorsichtig“, bemerkte Law sofort und zog ihn am Arm zurück aufs Bett. „Du solltest dich noch ausruhen. Du bist gerade erst aufgewacht.“
Rocinante konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen während er sich aufs Bett drücken ließ. Nun waren sie fast auf Augenhöhe während der andere vor ihm die Arme verschränkte.
„Du hörst dich wirklich an wie ein richtiger Arzt.“
„Ich bin ein richtiger Arzt“, wiederholte der andere, nun deutlich gefasster als zuvor. „Ich weiß du hast viele Fragen und ich werde sie dir alle beantworten, aber ich habe jetzt Patienten, die auf mich warten, und du musst dich ausruhen. Heute Abend werden wir über alles reden, in Ordnung?“
Nichts war wirklich in Ordnung, denn Rocinante hatte tatsächlich viele Fragen, aber er entschied, dass es für den Moment wohl günstiger war sich zu fügen, also nickte er und versuchte zu lächeln, doch es fiel ihm schwer.
„Natürlich. Kümmere dich erst einmal um deine Patienten. Ich werde schon nicht weglaufen.“
Der andere murmelte irgendetwas zustimmendes, aber hob seine Augenbrauen an als würde er diese Aussage anzweifeln, ehe er zur Tür ging. Die Hand schon auf der Klinke, verharrte Law.
„Und, ähm, vielleicht bleibst du einfach im Bett. Du brauchst nichts tun, anfassen oder so, bleib am besten einfach im Bett.“
„Was? Wieso?“
Der andere blickte ihn nur kurz misstrauisch über seine Schulter hinweg an.
„Du bist gerade erst wieder da. Ich würde es gerne vermeiden, dich direkt wieder zu verlieren, weil du dich aus Versehen anzündest oder irgendeinen Abhang hinunterfällst.“
Bildete Rocinante es sich ein oder hatte sein kleiner erwachsener Law gerade für einen Moment geschmunzelt, ehe er die Tür hinter sich zugezogen hatte?
Nun da er weg war, blieben Rocinante natürlich noch all die Frage, die er eben zu blöd zu stellen gewesen war. Sein Kopf schwirrte immer noch und es schienen sich nur noch mehr Fragen dazuzugesellen.
Warum war Law plötzlich erwachsen? Wie war er gesund geworden? Wo waren sie gerade? Wie lange war Rocinante bewusstlos gewesen? Was war mit seinem Bruder?
Oh…, weitere Erinnerungen tauchten vor seinem inneren Auge auf. Er hatte es geschafft, damals, er hatte die Operationsfrucht zu Law gebracht und dann… und dann war da sein Bruder gewesen, und Law in der Kiste und… und…
Verwirrt riss er das simple Hemd auf, welches er trug, betrachtete seinen Brustkorb, der mit lauter kleinen, feinen und großen, groben Narben der vergangenen Jahre und Strapazen übersäht war. Doch die Wunden – oder zumindest die Narben – die er erwartet hatte, fehlten. Nichts an seiner Haut erinnerte daran, dass sein Bruder auf ihn geschossen hatte.
Es war unmöglich. Rociante war sich sicher, dass er…, dass er gestorben war. Kopfschüttelnd ließ er das Hemd los und fuhr sich durch Gesicht und Haare. Noch etwas, das unmöglich war, das einfach nicht sein konnte.
Wie sollte er jetzt noch ruhig darauf warten, dass der Mann, der sein kleiner Law war, zurückkommen und seine Fragen beantworten würde? Am liebsten würde er aufspringen und dem anderen nachhetzen.
Aber er erinnerte sich an diesen Blick, an diese verweinten grauen Augen, die bebenden Lippen, die Bitte sich nicht in Gefahr zu bringen, und ihm wurde bewusst, dass er vielleicht derjenige hier war, der nichts verstand und tausende Fragen hatte, aber er wusste nicht, welchen Preis sein kleiner Law hatte zahlen müssen, um ihm antworten zu können. Er hatte keine Ahnung, was Law hatte durchmachen müssen.
Langsam sank er zurück aufs Bett – konnte sich gar nicht erinnern aufgesprungen zu sein – und berührte mit zwei Fingern seine Lippen.
Law hatte ihn geküsst, kein kleiner Schmatzer auf die Wange, kein versehentliches aneinander Vorbeistreifen bei einer Umarmung. Es war ein bewusster Kuss gewesen, dabei war Law doch noch ein Kind, sein kleiner Law, oder?
Unruhig betrachtete Rocinante die geschlossene Tür. Wer war der andere wirklich?
Einen schönen guten Abend euch allen,
ich bin etwas spät dran, weil ich heute Morgen Übungsklausur geschrieben habe und danach etwas raus musste, aber besser spät als nie.
Wünsche euch jetzt einfach viel Spaß ;-)
Kapitel 2 – Erwachsen
Rocinante sprang auf als die Tür aufging, aber es war nur die alte Dame – Paipai, wenn er sich richtig erinnerte – die mit einem kleinen Tablett hereinkam.
„Hallo, mein Lieber“, grüßte sie ihn und stellte das Tablett auf einem Haufen Bücher auf dem Schreibtisch ab, „ich habe Ihnen einen Tee gemacht. Der Doktor bat mich Ihnen zu sagen, dass er gleich da sein wird. Er ist gerade mit unserem letzten Patienten im Untersuchungszimmer.“
„Vielen Dank“, antwortete er und stand auf. Er hatte keine Ahnung wie viele Stunden er gewartet hatte, es könnten nur Minuten oder ganze Tage gewesen sein, aber erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er wirklich durstig war. „Können Sie mir sagen wie viel Uhr es ist, Frau… Paipai?“
„Natürlich, mein Lieber, es ist fast fünf Uhr. Wir machen heute extra etwas früher zu, dennoch, der Doktor hat Sie lange warten lassen, nicht wahr? Aber es hätte ja keiner ahnen können, dass Sie ausgerechnet heute aufwachen.“
Er ließ sich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch fallen – der viel zu klein für ihn war, sodass er viel zu tief fiel – und sah die alte Dame an, die freundlich zurück lächelte.
„Und… und wissen Sie zufällig, wie lange... ich geschlafen habe?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Doktor Trafalgar hat Sie erst gestern hierhin gebracht, aber laut ihm lagen Sie schon lange im Koma. Deswegen sollen Sie sich nicht überanstrengen. Aber ich muss jetzt wirklich gehen.“
Rocinante nickte nur, während er an seinem Tee nippte.
„Oh, ähm Frau Paipai, danke für den Tee“, murmelte er, „aber er ist fast kalt…“
Sie lächelte breit, während sie die Tür zuzog. „Ja genau, das waren die Anweisungen des Doktors. Er sagte so mögen Sie ihm am liebsten.“
So blieb Rocinante zurück mit seinem kaum noch lauwarmen Tee; als ob irgendwer so etwas mögen würde.
Die letzten Stunden hatte er versucht nicht zu viel nachzudenken und nicht zu viele Theorien aufzubauen. Es gab tausend plausible Erklärungen, warum er von den Schüssen keine Wunden davongetragen und überlebt hatte, warum Law plötzlich ein erwachsener Mann – ein echter Arzt! – war und mit Sicherheit auch, warum er Rocinante geküsst hatte, und nichts von dem Unsinn, der in Rocinantes Kopf herumschwirrte, kam auch nur ansatzweise an eine plausible Erklärung heran, also versuchte er diese Verschwörungen zu ignorieren und auf Law – erwachsener Doktor Trafalgar Law – zu warten, der ihm eine vernünftige, plausible Erklärung geben würde.
Also saß er nun auf diesem viel zu kleinen Stuhl und trank seinen kalten Tee und wartete auf Law.
Wieder einmal glitt sein Blick über all die medizinischen Bücher, über den Notizblock, dessen halber Inhalt im ganzen Raum verteilt war, hinüber zu dem großen Bett, das er bis vor wenigen Minuten noch besetzt hatte, bis hin zur offenen Tür, die in eine kleine Küche und einen genauso kleinen Wohnraum hineinführte.
Vielleicht sollte er etwas für Law kochen – nicht, dass er wirklich wusste, wie man kochte, nur gerade genug, um zu überleben – wenn er so drüber nachdachte, war das vielleicht der Grund, warum Frau Paipai ihm gerade eben erst einen kalten Tee serviert hatte.
Je länger er darüber nachdachte, desto mehr fragte er sich, ob sein kleiner, nun erwachsener, Law wirklich dachte, dass man Rocinante noch nicht einmal mit einem zumindest lauwarmen Tee trauen konnte. Zweifelte er wirklich seine Lebensfähigkeit an?
Ach, nein, das war lächerlich.
Ich würde es gerne vermeiden, dich direkt wieder zu verlieren, weil du dich aus Versehen anzündest oder irgendeinen Abhang runterfällst.
Doch, das war es wohl. Kleiner, nun erwachsener, Law hielt ihn wohl wirklich für unfähig, dabei hatte er ihm doch sogar die Operationsfrucht gebracht und… wieder fragte Rocinante sich, was Law durchgemacht hatte. Wie lange war er ohnmächtig gewesen und wie lange hatte Law darauf gewartet, dass er aufwachen würde?
Hektisch sah er sich um, nach irgendetwas, das ihm als Spiegel dienen konnte, stellte die leere Tasse ab, bemerkte kaum, wie sie von einer Buchkannte runter auf den Tisch klapperte. Dann fiel ihm das offene Fenster ein und er hechtete übers Bett, griff den Rahmen und versuchte ihn ruhig zu halten, um sein verschwommenes, schwaches Spiegelbild zu erkennen.
Für einen Moment sah ihn sein Ebenbild an, genauso wie er es in Erinnerung hatte, nur ohne Schminke, dann gab plötzlich der Rahmen nach und er verlor das Gleichgewicht, knallte erst mit der Schläfe gegen die Kante der Fensterbank und rutschte dann an der Wand hinunter, bis er auf dem Bett zum Liegen kam.
„Au“, murrte er, ehe er ein leises Knacksen hörte und plötzlich knallte die Ecke des Fensterrahmens auf seinen Kopf, ehe das Fenster neben ihm zu liegen kam. „AU!“
Vielleicht hatte Law ja doch Recht.
Während er sich aufsetzte und den Kopf rieb hörte er wieder sich nähernde Stimmen und endlich öffnete sich die Türe erneut.
„…mal gesagt, machen Sie jetzt Schluss. Wenn doch noch jemand kommt, werde ich da sein und den Papierkram können wir morgen früh machen.“
Kleiner, erwachsener Law kam herein, zog sich beim Türeschließen bereits den Arztkittel vom Leib warf ihn achtlos auf den Stuhl, auf dem Rociante noch vor kaum einer Minute gesessen hatte, und zupfte sein Poloshirt zurecht. Er war offensichtlich angespannt, doch als sein Blick auf Rocinante fiel weiteten sich seine Augen ein Stück und der Schatten eins Schmunzelns besänftigte seinen harten Kiefer.
„Was ist denn mit dir passiert?“, fragte er, wobei seine Stimme sich eher tonlos anhörte. „Hast du doch versucht zu fliehen und bist abgestürzt?“
„Ich wollte mich im Glas spiegeln, um zu sehen, ob ich gealtert bin“, entgegnete er leicht beleidigt.
„Du weißt schon, dass es dafür Spiegel gibt?“ Nun zeigte der andere tatsächlich ein kleines Grinsen. „Warte, ich wasch mir gerade die Hände, dann bring ich dir einen.“
Mit diesen Worten eilte er bereits in die kleine Küche und stellte den Wasserhahn an.
„Möchtest du etwas essen?“, rief Law über das Wasser hinweg. „Ich habe noch Reisbällchen von gestern da.“
Rocinante murmelte nur etwas Zustimmendes. Der andere benahm sich viel gefasster als er erwartet hatte, deutlich gelassener als er selbst war. Allerdings vermutete er, dass Law etwas mehr Zeit gehabt hatte, um sich auf das bevorstehende Gespräch vorzubereiten.
Vom Bett aus beobachtete er den anderen. Law trug eine simple schwarze Jeans unter seinem ebenso simplen grauen Poloshirt. Unter den Ärmel lugten die Ausläufer von Tätowierungen hervor, die Rocinante selbst vom Bett aus erkennen konnte.
Dann war der andere fertig, verschwand kurz hinter der Tür eines Kühlschranks, ehe er mit einem kleinen Teller und einem Handspiegel wiederkam, den er wo auch immer hergezaubert hatte. Nur kurz sah er Rocinante an, dann wandte er schnell den Blick ab, zeigte, dass er doch nervös war. Eilig stellte er den Teller auf dem Bett ab und reichte Rocinante den Spiegel.
„Ich mach uns noch einen Tee“, murmelte er und verschwand wieder durch den Türrahmen.
„Dürfte ich dieses Mal wenigstens einen Lauwarmen haben?“, versuchte Rocinante zu scherzen, doch der andere entgegnete nichts.
Wie er schon vermutet hatte, zeigte ihm auch der Spiegel nichts neues. Er sah genauso aus, wie er es erwartet hatte, als wäre er keinen Tag gealtert. Missmutig legte er den Spiegel weg, absichtlich mit der Vorderseite nach unten.
Jetzt, wo der andere wieder körperlich anwesend war, fiel es ihm schwer all seine Vermutungen und Theorien zu ignorieren. Also nahm er eines der Onigiri und begann zu essen. Nach dem ersten Biss hielt er inne. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie hungrig er gewesen war und wie lecker der Reis schmeckte. Er hatte das Gefühl Jahre nichts gegessen zu haben.
Also ignorierte er seine wirren Gedanken und verspeiste die kleinen Köstlichkeiten. Er war vielleicht beim dritten oder vierten angekommen, als Law mit zwei Porzellanbechern hereinkam. Einen stellte er vor dem Bett auf einem Bücherstapel ab, den anderen nahm er mit sich zum Bürostuhl und schien ihn problemlos auf seinen überschlagenen Beinen zu balancieren.
„Also“, sagte Law dann und sah Rocinante endlich richtig an, „du hast mit Sicherheit viele Fragen.“
Rocinante rieb sich ein Reiskorn von den Fingern, faltete dann seine Hände und lehnte sich vor. Für einen Moment versuchte er den Wirrwarr in seinem Kopf zu bändigen, wusste aber, dass er nicht erfolgreich sein konnte.
„Welches Jahr schreiben wir?“, fragte er dann, nicht sicher, ob er die Antwort wirklich hören wollte.
„1528“, entgegnete der andere monoton.
„Was? Fünfzehnhundert… Fünfzehnhundertachtundzwanzig?“
Law nickte nur und nahm einen tiefen Schluck von seinem Tee, ohne sich die Zunge zu verbrennen; entweder war der Tee wieder nur lauwarm oder der andere hatte eine verdammte Superkraft.
„Das kann doch nicht sein. Gestern war es noch 1511“, murmelte er, bückte sich nach seinem Tee und nahm auch einen Schluck. Es musste eine Superkraft sein.
„Eigentlich war es auch gestern schon 1528“, bemerkte der andere tonlos, „aber da warst du noch bewusstlos.“
Rocinante starrte auf den heißen Becher in seinen Händen an dessen Inhalt er sich gerade die Zunge verbrannt hatte, ohne den Schmerz überhaupt wahrzunehmen.
„Du willst mir sagen, dass ich… 17 Jahre lang im Koma lag?“
„Nicht ganz so lange, aber ja.“
„Und du… bist jetzt…?“
„Naja, soweit ich mich nicht verrechnet habe werde ich in vier Monaten 30.“
Fassungslos starrte er den anderen an.
„Aber gestern warst du noch 13!“
Nun zeigte der andere wieder ein halbes, aber offensichtlich falsches, Grinsen und strich sich über sein bärtiges Kinn. Er hatte einen Bart!
„Nein, auch gestern war ich schon 29.“
„Aber nicht für mich!“ Er stellte den Becker ab und rieb sich durchs Gesicht. „Was ist nur passiert? Gestern warst du noch ein kleiner Junge, todkrank, und nun… und nun…“
Hilflos gestikulierte er in Richtung des anderen.
„Was ist passiert?“
Law biss sich auf die Unterlippe, stellte seinen Tee hinter sich auf den Tisch und lehnte sich ebenfalls vor.
„Was ist das letzte, woran du dich erinnerst, Cora“, fragte er und sah ihn direkt an. Seine Stimme war ruhig, wie die ganze Zeit schon, aber sein Kiefer bebte vor Anspannung.
Rocinante auf der anderen Seite hatte große Schwierigkeiten sich zusammenzureißen, gerade wenn er an seine jüngste Vergangenheit dachte, die anscheinend bereits 13 Jahre zurücklag.
„Wir waren auf Minion“, sagte er schließlich und hielt Laws Blick stand, „ich habe dir die Operationsfrucht besorgt und dann… hat mein Bruder mich erschossen.“
Für einen Moment dachte er an all die Dinge, die er vor jenem Moment gesagt hatte, all die Lügen, die er Law offenbart hatte, doch dann entschied er, dass jene Dinge warten konnten, bis er zumindest einen groben Überblick über die Sachlage hatte.
Law hatte sich währenddessen erhoben und angefangen mit verschränkten Armen auf und ab zu gehen. Für einige Sekunden war nicht mehr zu hören als das Rascheln der Blätter hinter Rocinantes Rücken und das Klacken von Laws Schuhen.
„Er hat auf dich geschossen“, erklärte Law dann endlich, ohne Rocinante anzusehen und unterbrach seine Grübeleien, „aber er hat dich nicht erschossen, auch wenn die ganze Welt das denkt.“
„Wie bitte?“ Er wollte aufstehen, aber seine Beine zitterten wieder so gefährlich, sodass ihm nichts anderes übrigblieb, als den Rücken des anderen anzustarren, der nun stehen geblieben war.
„Ja, sie alle dachten du wärest tot…, deine Wunden waren auch ziemlich schlimm. Aber… aber weißt du… ich habe ja die Teufelsfrucht gegessen und damit…“ Law holte tief Luft, für einen Moment hatte seine Stimme gezittert, aber als er weitersprach klang er wieder so ruhig wie vorher. „Ich konnte dich retten. Dich und mich, aber du warst ziemlich schwer verletzt und ich hatte meine Kräfte noch nicht unter Kontrolle und habe Fehler gemacht, deswegen… deswegen konnte ich dich zwar heilen, gleichzeitig hatte ich dich jedoch mit meinen Kräften aus Versehen in ein Koma versetzt, einen Timeless Room, und erst vor wenigen Tagen ist es mir gelungen, ihn endlich aufzulösen. Deswegen bist du jetzt endlich aufgewacht.“
„Und keinen Tag gealtert“, murmelte er und betrachtete seine Hände.
„Mhm“, nickte der andere nur zustimmend.
„Und du bist jetzt fast dreißig Jahre alt, ein erwachsener Mann?“
„Scheint so.“ Langsam ging der andere wieder zu seinem Stuhl hinüber und setzte sich hin.
„Und die ganze Welt denkt ich bin tot? Selbst Sengoku?“
Erneut nickte Law und sah zum Boden.
„Ich wusste nicht, ob ich dich überhaupt retten konnte, geschweige denn, ob du je wieder aufwachen würdest, daher habe ich alle in diesem Glauben gelassen. Nach einigen Jahren habe ich es fast selbst geglaubt, anstatt mir noch Hoffnungen zu machen.“
Dunkle Schatten legten sich über das Gesicht des anderen, als er seinen Kopf senkte und sich mit den Händen durchs Haar fuhr. Es machte Rocinante beinahe Angst zu sehen wie dunkel und leer diese tiefen Augen wurden und er fragte sich, was sein kleiner, erwachsener Law in den letzten 17 Jahren hatte durchmachen müssen. Dieser faltete nun seine Hände über Mund und Kinn, immer noch dem Boden zugewandt.
„Es tut mir leid. Das alles ist meine Schuld, hätte ich…“
„Oh nein, nein, Law.“ Er war vom Bett runtergerutscht und nahm die Hände des anderen in seine, während er vor ihm kniete. „Entschuldige dich nicht. Du hast mir das Leben gerettet. Du hast all die Jahre über mich gewacht.“
Der junge Mann, der gestern noch sein kleiner Schützling gewesen nun aber technisch gesehen bereits älter als er selbst war, zuckte zur Seite, als sein Kiefer gefährlich bebte, wohl nicht in der Lage Rocinante anzusehen.
Es tat weh, es tat weh ihn so zu sehen, so voller Leid und Qualen; Dinge, die er nie hätte erleben sollen, vor denen Rocinante ihn hatte beschützen wollen.
„Sieh mich an, Law“, flüsterte er und legte eine Hand an dessen bärtiges Kinn. „Lass mich dich betrachten. Lass mich den Mann sehen, der du geworden bist.“
Er konnte kaum verhindern, dass seine eigene Stimme zitterte und er spürte wie die Tränen in seinen Augenwinkeln brannten, doch immerhin sah Law auf, sah ihn direkt an.
Rocinante schluckte unter diesem intensiven Blick dieser tiefen Augen, in denen sich nun zumindest wieder etwas Licht spiegelte. Law schien den Atem anzuhalten während Rocinante dessen Gesichtszüge inspizierte, die gerade Nase, die strengen Augenbrauen, die schmalen Lippen, das bärtige Kinn, die markanten Wangenknochen, die goldenen Ohrringe, das strubbelige, schwarze Haare.
Er konnte ihn in diesem Gesicht erkennen, seinen kleinen Law.
„Du bist wirklich groß geworden“, meinte er mit einem schwachen Lächeln und spürte wie sich eine Träne ihren Weg bahnte, „ich wünschte nur ich wäre dabei gewesen und hätte dich aufwachsen sehen.“
Nun biss Law sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf, ebenfalls wieder den Tränen nahe.
„Du bist jetzt da“, meinte er und schniefte, offensichtlich um Fassung ringend, „das ist mehr als ich je zu hoffen gewagt habe. Du bist endlich wieder da.“
Mittlerweile hatte Law die Hand von Rocinante umklammert und sich so weit vorgelehnt, dass sie nur noch wenige Handbreit voneinander trennten.
„Ich habe dich so vermisst, Cora. Ich war so allein in dieser Welt.“
Es tat weh, so viele Jahre hatte er ihn allein gelassen. Ihm kam es vor, als hätte er gestern noch den kleinen, kranken Law in seinen Armen gehalten, aber ihm wurde bewusst, dass Law mehr als die Hälfte seines Lebens darauf gewartet hatte, dass er wieder aufwachen würde, dass Law seine Stimme wieder hören würde, sein Lächeln wieder sehen…
Tief atmete Rociante ein und neigte leicht den Kopf.
„Aber ich bin jetzt wieder da, Law, und ich lasse dich nie wieder allein.“ Endlich war er in der Lage ehrlich zu lächeln, endlich konnte er Law das Lächeln zeigen, was er bisher nur hatte erzwingen können und dann sah er, wie die Tränen Laws ungehindert ihren Lauf nahmen. „Ich hab‘ dich lieb, mein Kleiner.“
„Ich dich auch“, flüsterte Law, nun bitterlich am Weinen, aber immerhin mit einem gebrochenen Lächeln, „ich dich auch.“
Es war ein Moment wie die ersten Sonnenstrahlen, die nach einem langen Regen, den wolkenverhangenen Himmel durchbrachen; ein kleines Stück Glück, ein kleines Stück Freude, welches die Trauer und das Leid verdrängten, während er dort vor seinem kleinen, erwachsenen Law kniete, dessen Hände in der seinen hielt und seine andere immer noch am Hals des anderen ruhen hatte, wo er den schnellen Puls spüren konnte.
Doch plötzlich lehnte sich Law diese wenigen Zentimeter, die zwischen ihren Gesichtern noch waren, nach vorne und erneut versuchte er Rocinante zu küssen. Diesmal jedoch wich er aus.
„Aber Law, was…?“
Er unterbrach sich, als Law wie vom Donner gerührt aufsprang und die Hände aus seiner zog.
„Es… es tut mir leid“, meinte Law nur und brachte mehrere Meter Sicherheitsabstand zwischen sie beide. „Das war dumm von mir, völlig unbedacht. Natürlich meintest du nicht das, natürlich meintest du nur…“
„Law.“
Es tat weh. Die Schatten, die gerade von diesem befremdlich vertrauten Gesicht vertrieben worden waren, schienen nun noch dunkler über ihn hereinzubrechen, als er Rociantes Blick auswich.
Er versuchte zu verstehen, was durch Laws Kopf ging, aber auch wenn er den Jungen wie den eigenen Sohn gekannt hatte, so war der Mann doch wie ein Fremder für ihn.
„Nein, nein, Cora. Es tut mir leid“, entschuldigte Law sich erneut und rieb sich fahrig die Hände. „Weißt du, mir ist bewusst, dass ich für dich noch der kleine Junge von damals – von gestern – bin, aber… aber du musst verstehen…“
Law brach ab und holte tief Luft.
„Aber du musst verstehen, dass nachdem was passiert ist, danach musste ich sehr schnell erwachsen werden.“ Er klang nun ruhiger, gefasster. Die Tränen waren bereits versiegt und seine finstere Miene zeigte kaum ein Gefühl, der Mund eine strenge Linie.
Natürlich, er konnte es sich gut vorstellen. Der kleine Law, der gerade noch mit seiner Krankheit zu kämpfen hatte, musste irgendwie versuchen den schwer verwundeten Rocinante vor dessen eigenen Bruder in Sicherheit zu bringen und gleichzeitig am Leben zu erhalten. Die Zeit danach war sicherlich keine einfachere gewesen. Auf der Flucht, um sein eigenes Leben und das von Rocinante am Kämpfen. Die Jahre danach, von denen er noch nicht einmal mehr wusste, als dass er Law allein gelassen hatte, geschweige denn, was dieser allein hatte durchmachen müssen.
Ja, alles was er für den Jungen gewollt hatte waren ein paar Jahre in denen er ein Kind hätte sein können und dieser Mann vor ihm war das traurige Zeugnis, dass Law hatte erwachsen werden müssen in dem Zeitpunkt, in dem Rocinante ihn nicht mehr hatte beschützen können.
„Ich bin kein Kind mehr, Cora, schon lange nicht mehr“, fuhr der andere nun mit einer fast schon erschreckend sachlichen Stimme fort, „und ich weiß es ist nicht fair dir gegenüber, weil ich gestern noch ein Kind für dich war. Aber ich bin nun erwachsen, ich bin schon seit Jahren ein erwachsener Mann, und auch meine Gefühle sind nicht mehr die eines Kindes.“
Endlich verstand er, warum der andere ihn geküsst hatte.
„Es tut mir leid, Cora, aber ich kann dich nicht mehr nur mit der Liebe eines Kindes lieben, schon lange nicht mehr.“ Law klang wehmütig aber ansonsten sehr gefasst, ganz anders als er selbst.
Es tat weh, jedes Wort des anderen tat ihm weh, zeigte ihm, dass er den anderen im Stich gelassen, allein gelassen hatte. Wäre er da gewesen, hätte Rocinante den ersten Schuss abgefeuert, dann hätte Law nicht so schnell erwachsen werden müssen, dann hätte er noch etwas länger ein Kind bleiben können.
„Aber mir ist natürlich bewusst, dass du es nicht erwidern kannst, denn für dich bin ich immer noch ein Kind. Es tut mir leid, ich habe mich von meinen Gefühlen überrollen lassen.“
„Hör auf dich zu entschuldigen.“ Schwerfällig erhob Rocinante sich, konnte den Tränen keinen Einhalt gebieten, während er auf den anderen zuging. „Entschuldige dich nicht dafür, dass ich nicht für dich da war, dass ich nicht auf dich aufgepasst hatte.“
Er beugte sich zu Law hinab und schloss ihn in seine Arme, schloss seinen kleinen, erwachsenen Law fest in seine Arme.
„Entschuldige dich nicht dafür erwachsen geworden zu sein, weil ich versagt habe. Ich werde dich immer lieb haben, mein Kleiner. Gib mir etwas Zeit aufzuholen, gib mir etwas Zeit dich wieder kennenzulernen, aber entschuldige dich nicht, nicht bei mir, nicht für das, was du aufgrund meiner Unfähigkeit hast durchmachen müssen.“
„Aber Cora, ich…“
„Nein, Law“, unterbrach er den anderen bestimmt, „es tut mir leid, dass ich nicht für dich da war, dass ich dich nicht beschützt habe. Mir tut es leid, dass du erwachsen werden musstest, obwohl du noch ein Kind warst und mir tut es leid, dass du denkst dich für deine eigenen Gefühle entschuldigen zu müssen, nur weil ich nicht bei dir war und dir beibringen konnte, dass du dich nie für deine eigenen Gefühle zu schämen brauchst.“
Vorsichtig strich er seinem ehemaligen Schützling durchs Haar.
„Es tut mir leid, mein kleiner Law. Du warst ganz allein in dieser Welt und musstest ohne mich erwachsen werden. Es tut mir leid.“
Kapitel 3 – Zeit
„Noch etwas Tee?“
„Nein danke, mach dir keine Umstände“, entgegnete er und beobachtete Law, der an dem kleinen Herd stand und Fisch briet. Mittlerweile war es draußen dunkel und Mücken tanzten vor dem Fenster, zum Glück hatte Law das Fenster wieder in den Rahmen hängen können.
Es war schwierig eine Unterhaltung am Laufen zu halten. Law vermied es immer wieder ihn anzusehen und Rocinante fürchtete sich vor den Antworten, die seine Fragen bringen würden. Aber er wusste, dass er nicht davonlaufen konnte.
„Also“, meinte er schließlich und beobachtete Law weiterhin, während er auf der Küchentheke saß, die von der Höhe her deutlich angenehmer war als jeglicher vorhandene Stuhl, „ich denke, es ist Zeit, dass wir die letzten 17 Jahre aufarbeiten.“
Der andere nickte, ohne aufzusehen.
„Was willst du wissen?“
„Alles.“
Nun sah Law mit hochgezogener Augenbraue zu ihm hinüber. „Du müsstest es schon etwas präzisieren.“
Rocinante hatte seine Ellenbogen auf den Oberschenkeln abgestützt und seinen schweren Kopf auf seinen Handflächen abgelegt.
„Wie bist du von Minion geflohen? Wie bist du dem Vogelkäfig entkommen?“
Law konzentrierte sich wieder auf seinen Fisch.
„Ich bin nicht entkommen. Ich habe gewartet, bis dein Bruder weg war, und dann habe ich mich… uns in Sicherheit gebracht; das war knapp eine Woche später, so lange habe ich uns auf Minion versteckt.“
„Niemand hat uns entdeckt? Und du hast dich ganz allein um dich selbst und um mich gekümmert?“ Der andere entgegnete nichts, nickte nur und drehte seinen Fisch erneut um, obwohl dieser langsam gut sein musste. „Kein Wunder, dass du so schnell erwachsen werden musstest.“
Nun zuckte Law mit den Achseln. Ihm war das Thema offensichtlich unangenehm und Rocinante wollte ihn nicht noch mehr quälen, also entschied er eine andere Frage zu stellen, die ihn ebenfalls, seit er wusste was passiert war, nicht mehr losgelassen hatte.
„Und was ist mit meinem Bruder?“
Für einen Moment verharrte Law bei seiner Tätigkeit den Fisch endlich aus der Pfanne zu heben.
„Er ist zum Samurai aufgestiegen und hat Dress Rosa eingenommen“, antwortete er schließlich.
„Was?“ Leiser Horror breitete sich in ihm aus, als Rocinante bewusst wurde, dass er ihn hätte aufhalten können, wenn er doch nur geschossen hätte.
„Ja, aber mach dir keine Sorgen, er sitzt mittlerweile in Impel Down, Level sechs. Während des Kriegs vor zwei Jahren hat er zwar versucht auszubrechen, aber das konnten wir verhindern.“
„Wir?“, fragte er nach während Law einen Stuhl heranzog und sich neben ihn an die Theke setzte und zu essen anfing.
„Naja, es waren welche aus der Allianz. Ich selbst war gar nicht vor Ort, hatte ja dem Strohhut versprochen an seiner Seite zu kämpfen.“
Verwundert sah er zum anderen hinab.
„Also das musst du jetzt etwas näher erläutern, Law. Welcher Krieg und welcher Strohhut?“
Der andere sah zu ihm auf.
„In den letzten Jahren hatte sich die Situation immer mehr angespannt. Ich muss dir ja nichts von der Gewalt und der Ungerechtigkeiten erzählen, die diese Welt kontrolliert haben. Die klaren Linien zwischen den guten Marinesoldaten und den bösen Piraten sind mehr und mehr verschwommen und naja, irgendwann ist es eskaliert.“ Law zuckte mit den Schultern und aß weiter. „Glaub mir, ich hatte nicht beabsichtigt Teil des Großen Krieges zu sein, aber es ist wie ich sage, der Strohhut ruft und wir kommen.“
Law nickte in die Tiefen des Raumes hinein und Rocinante erkannte eine friedlich schlummernde Teleschnecke mit einem Strohhut auf einem kleinen Beistelltisch neben einem Sofa, auf dem Decke und Kissen lag.
„Und wie ging dieser Große Krieg aus?“
„Na, wie schon“, murmelte Law, doch seine Stimme klang nun seltsam hohl, „am Ende haben wir gewonnen.“
„Gegen die Marine?“
„Nein, gegen die anderen. Gegen die, die von der alten Weltordnung profitiert hatten und sie nicht ändern wollten. Einige waren Marinesoldaten, andere Piraten und wieder andere weder noch, genau wie auf unserer Seite. Wir waren am Ende die Stärkeren. Wir waren die Siegreichen. Wir waren diejenigen, die eine neue Gerechtigkeit gestalten konnten.“ Für einen Moment schwieg der andere. „Aber manchmal frage ich mich, ob es all die Leben wert war, die dafür gestorben sind.“
Schon lange aß er nicht mehr, starrte etwas an, das nicht in diesem Raum zu finden war und Rocinante kannte diesen Blick, kannte ihn viel zu gut.
„Was denkst du ist ein Leben wert, Cora? Was denkst du ist es wert dafür zu sterben?“
Lange schwieg er und betrachtete die leere Pfanne vor sich, in der das letzte Fett noch vor sich hinarbeitete. Bilder der Menschen, die er verloren hatte, flammten vor seinem inneren Auge auf. Ihr Lächeln, ihre Taten, ihre Tode. Dann dachte er an die Menschen, die sein Leben beeinflusst hatten und hoffte, dass manche von ihnen noch am Leben waren, dachte an den Jungen, der der Mann neben ihm bis zum vergangenen Tag noch gewesen war. Traurig holte ihn die Wahrheit ein, dass er nicht in der Lage gewesen war Law nach dessen furchtbarer Kindheit vor einem brutalen Aufwachsen hatte bewahren können. Die Worte des anderen machte deutlich, dass Law wohl noch schlimmere Dinge erlebt hatte als Rocinante sich womöglich vorstellen konnte.
„Diese Frage kann wohl nur jeder für sich selbst beantworten“, antwortete er schließlich ehrlich. „Für mich ist es ganz klar, dass ich dich jederzeit mit meinem Leben beschützen würde und ich kann nur hoffen, dass die mutigen Kameraden an deiner Seite eure Beweggründe als wichtig genug angesehen haben, um für diese Überzeugung zu sterben.“
„Und was, wenn es nicht ihre Überzeugungen waren? Was, wenn sie es nur getan haben für die Überzeugungen anderer?“
„Dann bleibt uns nur noch der Glaube, dass ihnen die Menschen, die diese Überzeugungen getragen haben, wichtig genug waren, um ihr Leben für diese zu lassen.“
Langsam sah Law zu ihm auf und wieder erkannte Rocinante, dass der andere in seinem Leben mehr hatte durchleiden müssen als er ihm je gewünscht hatte. Dann wandte Law sich wieder seinem Essen zu.
„Kriege sind nie einfach“, meinte er schließlich und schien die Trauer wieder zu vergraben, „auf beiden Seiten gab es viele Verluste, aber wir haben ein neues Zeitalter angebrochen und ich hoffe nur, dass jetzt bessere Menschen an der Macht sind als vorher.“
Rocinante entgegnete nichts, sondern blickte wieder zur kleinen Teleschnecke hinüber. So wie er Law verstanden hatte, würde dieser wohl auch heute noch aufspringen, sobald diese klingeln würde.
„Und wer ist dieser Strohhut?“, fragte er und hoffte für den anderen leichtere Erinnerungen anzusprechen.
„Er ist auch ein Pirat, mittlerweile wohl der Mächtigste der Welt. Aber er ist ein verdammter Vollidiot und wirklich strohdumm. Vor vier Jahren hat er mir geholfen deinen Bruder zu besiegen, ohne ihn hätte ich es wohl nicht geschafft.“ Leise lachte Law auf, schien tatsächlich die dunklen Gedanken für einen Moment zu vergessen. „Ach was sage ich da. Ich bin beinahe gestorben. Den Arm abgerissen hat de Flamingo mir.“
„Was?! Aber… aber du hast doch noch beide?!“
Nun sah Law ihn mit einem leichten Augenrollen an.
„Operationsfrucht?“, entgegnete er nur, als würde diese Aussage alle Fragen beantworten, ehe er weitersprach: „Aber allein hätte ich gegen deinen Bruder wirklich keine Chance gehabt, aber unser Herr Strohhut mit seiner Crew von Wahnsinnigen… tze… du würdest sie mögen.“
Mittlerweile aß der andere seinen Fisch wieder.
„Magst du sie denn?“
„Ich? Ach, Schwachsinn. Der Kapitän ist verrückt, sag ich dir, und sein Vize ist genauso furchtbar, trinkt wie ein Fass ohne Boden und beide sind Kindsköpfe, die jede noch so dumme Herausforderung annehmen, egal wie unbesiegbar der Gegner ist. Und die Navigatorin erst… aber am schlimmsten von allen ist der Koch!“ Law zielte mit seinen Stäbchen genau auf Rocinante. „Gefühlt backt der nur Brot! Als könnte ein Koch nichts anderes machen.“
Leise lachte Rocinante auf, als er sich an diese kleine Abneigung erinnerte, die sie beide teilten und die Law offensichtlich nicht abgelegt hatte. Zumindest eine Kleinigkeit, die sich trotz all der Zeit nicht geändert hatte.
„Was?“
Er lächelte seinen kleinen, erwachsenen Law an. „Es scheint ein bunter Haufen zu sein, und mit denen hast du eine Allianz gegründet?“
Law nickte nur.
„Hätte ich gewusst, was auf mich zukommt, hätte ich es wohl nicht getan“, murrte er und stocherte etwas zu enthusiastisch in den Resten seines Fisches.
„Aber“, sprach er dann langgezogen weiter, „ich kann wohl nicht leugnen, dass sie Großes vollbracht haben und ich kann auch nicht leugnen, dass ich ohne ihre Hilfe heute nicht mehr leben würde.“
Nun lächelte Law wieder ein bisschen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mit einem Haufen Vollidioten anfreunden würde, aber…“
„Freunde? Du hast Freunde gefunden?“
Erneut rollte Law mit den Augen und stand auf, um sein Geschirr abzuspülen.
„Sei nicht so überrascht. Ich bin…“
„Oh, mein kleiner Law hat tatsächlich Freunde! Ich bin ja so froh!“ Er konnte nicht mehr an sich halten und riss den anderen von hinten in eine Umarmung. Die Erleichterung übermannte ihn für eine Sekunde. Nach all den schrecklichen Dingen, die wohl in den letzten Jahren geschehen waren, konnte er nicht anders als tiefe Dankbarkeit für diesen Strohhut und dessen Crew zu empfinden, die sich allem zum Trotz es wohl nicht hatten nehmen lassen, sich mit Law anzufreunden, obwohl er nicht unbedingt ein Sympathieträger war, wie Rocinante nur zu gut wusste.
„Könntest du aufhören mich klein zu nennen? Ich bin rein technisch gesehen älter als du“, grummelte der andere zwischen Rocinantes Armen hindurch und bestätigte seine leisen Gedanken.
„Das mag sein, aber rein technisch gesehen bin ich immer noch größer als du, daher kann ich dich auch klein nennen“, entgegnete er nur mit einem breiten Grinsen und entschied sich seine kleine Freude nicht von dem anderen trüben zu lassen.
„Du und deine Riesengene“, knurrte der andere und befreite sich, um weiterzuarbeiten.
„Erzähl mir mehr von ihnen, Law“, forderte Rocinante hingegen wissbegierig, froh zu sehen, wie sich die Schatten fast gänzlich verzogen hatten, froh zu sehen, dass Law wieder Emotionen zeigte, zumindest wenn er über diesen Strohhut und seine Crew von Wahnsinnigen sprach. „Erzähl mir mehr!“
„Es gibt nicht so viel zu erzählen“, meinte der andere nur mit einem Schulterzucken.
„Ich bin eher so gezwungener Maßen mit den Strohhüten befreundet. Lange Geschichte“, winkte er dann ab, als er Rocinantes fragenden Blick sah, „und meine Crew habe ich vor dem Großen Krieg aufgelöst, weil ich nicht wollte, dass sie mitkämpfen.“
„Warum?“ Er hatte bisher nicht gewusst, dass Law selbst Leute um sich geschart hatte. Es kam ihm beinahe noch unwahrscheinlicher vor, als dass Law generell Freunde gefunden hatte. Hoffentlich würde er sie bald kennen lernen, diese Leute, die bereitwillig seinem Law gefolgt waren.
„Ist das nicht offensichtlich?“ Law schenkte die Pfanne in einer Hand hin und her, verteilte Wassertropfen und Spülmittel in der ganzen Kochnische. „Ich wollte nicht noch jemanden, der mir wichtig ist verlieren.“
Rocinante schwieg. Die Leichtigkeit, welche ihr Gespräch endlich für ein paar wenige Minuten erhellt hatte, verflog augenblicklich. Für einen kurzen Moment hatte Rocinante vergessen, dass 17 lange Jahre ins Land gegangen waren, in denen er Law allein gelassen hatte. 17 Jahre, die vielleicht spurlos an ihm selbst vorbeigegangen waren, aber das galt nun mal nicht für Law.
Zwar hatte Law ihn nicht verloren, aber dafür hatte er ihn jeden Tag doch verloren, jeden Tag, an dem er nicht aufgewacht war. Law hatte jeden Tag damit rechnen müssen, dass dies der Tag war, an dem Rocinante endgültig sterben würde, und das für ganze 17 Jahre lang, neben all den anderen Verlusten, die er hatte durchleiden müssen.
„Und deine Freunde waren damit einverstanden?“
„Ich habe ihnen keine Wahl gelassen. Ich kann sehr überzeugend sein, wenn ich will“, entgegnete der andere nur hohl. „Aber es war besser so. Ich habe noch ab und an mit ihnen Kontakt und sie alle führen ein glückliches, zufriedenes Leben. Wie sie es verdient haben.“
Law nahm einen nassen Lappen und wischte schnell über die Arbeitsflächen, wobei die Küche schon sauber genug wirkte, um eine Operation durchführen zu können. Rocinante auf der anderen Seite ging zurück zu seiner Anrichte und ließ sich wieder darauf nieder.
„Aber was ist mit dir, Law? Lebst auch du ein glückliches und zufriedenes Leben?“
Der andere verharrte in seiner Tätigkeit, dann warf er den Lappen ins Spülbecken und drehte sich zu Rocinante um.
„Was ich dir jetzt sagen werde, wird dir nicht gefallen“, entgegnete er dann sachlich und verschränkte die Arme.
„In Ordnung.“
Für einen Moment sahen sie sich nur wortlos an, Rocinante nicht gewillt den Augenkontakt zu unterbrechen. Es war Law, der schließlich wegsah.
„Die ersten 13 Jahre nach deinem Tod habe ich damit verbracht mir auszumalen, wie ich Rache üben würde. Ich hätte sie nutzen sollen, um mir einen Plan zu überlegen, deinen Willen in die Tat umsetzen zu können, aber auch wenn ich das als Ausrede genutzt habe, so wollte ich doch einfach nur deinen Bruder umbringen für das, was er dir angetan hat.“
Einen Moment lang schwieg Rocinante. Es gierte ihm nach einer Zigarette, aber er wusste, dass er den Arzt vor sich wohl kaum um eine bitten konnte.
„Aber du hast eben gesagt, dass er in Impel Down gefangen gehalten wird. Du hast ihn also nicht getötet.“
Law nickte.
„Habe ich nicht, ich sag’s ja, verdammter Strohhut. Ich selbst war zu schwach, um das zu tun, was ich mir vorgenommen hatte, aber der Strohhut ist niemand, der tötet, wenn er es irgendwie vermeiden kann und selbst deinen Bruder hat er am Leben gelassen.“ Dann seufzte er. „Nachdem wir ihn besiegt hatten, haben die Ereignisse angefangen sich zu überschlagen und wir sind gefühlt von einer Schlacht in die nächste reingerutscht. Ich hatte gar keine Zeit mir darüber bewusst zu werden, was ich mit meinem Leben eigentlich anfangen wollte. Ich hatte eh nicht mehr daran gedacht, heil aus der ganzen Sache rauszukommen.“
Tief atmete er ein und zuckte dann mit den Schultern.
„Aber am Ende habe ich überlebt, trotz allem, und mir ist bewusst geworden, dass…“ Er biss sich auf die Unterlippe und sah dann weg. „… dass ich nur am Leben bin, weil du mich damals beschützt hattest und dass ich diese Leben deshalb nicht einfach so wegwerfen konnte. Nicht nachdem so viele in unserem Namen - in meinem Namen - gestorben sind. Nicht, nachdem du damals… beinahe gestorben bist… und natürlich wurde mir auch bewusst, dass wenn ich aufgeben würde, dass dann keine Chance mehr bestehen würde, dass du wieder aufwachen würdest.“
Zum Ende hin hatte er deutlich schneller gesprochen als zum Anfang noch, doch nun schien er sich wieder gefangen zu haben.
„Nach dem Krieg hatte ich entschieden, dieser ganzen Welt den Rücken zu kehren. Ich war diesen Kämpfen, diesem ganzen Leid und dem ganzen Hass einfach nur müde“, murmelte er und nun sah er Rocinante wieder klar an. „Ich möchte nicht mehr in dauernder Angst um die Menschen leben, die mir wichtig sind.“
Dann ging er zurück zu seinem Stuhl am Tresen und setzte sich neben Rocinante.
„Und was hast du dann gemacht? Nach dem Großen Krieg?“, fragte Rocinante und sah zu ihm hinab. Auch das konnte er nur zu gut verstehen. Auch er war einst jenem Leben aus Verrat, Lügen und Gewalt müde gewesen und hatte sich nichts mehr gewünscht als ein friedliches Leben, in dem er die Augen schließen konnte, ohne Angst davor zu haben, dass er sie womöglich nicht wieder öffnen würde.
Law hatte die Ellenbogen auf dem Tresen abgestützt und Mund und Kinn hinter gefalteten Händen verdeckt.
„Ich bin gereist“, murmelte er dann und sah in den leeren Raum hinein, „ohne ein wirkliches Ziel. Dann bin ich durch Zufall über diese Inseln hier gestolpert und so kam eins zum anderen. Sie brauchten einen Arzt und ich… brauchte eine Aufgabe.“
Für einen Moment schwieg der andere, dann tippte er mit einem Finger leicht gegen seine Nase und Rocinante meinte ein kleines Griemeln in den grauen Augen zu erkennen.
„Ninnin, die Tochter der ehemaligen Ärztin dieser Praxis, ist eine gute Studentin, aber sie hat noch wenig praktische Erfahrung und ich dachte mir, dass ich sie etwas unterweisen könnte. Ich dachte vielleicht ist dieses einfache Leben auf einer Insel mit einem geregelten Tagesablauf, mit einem geregelten Einkommen, mit einer Aufgabe Menschen zu helfen, genau das, was ich brauche, was ich möchte. So wie meine Eltern gelebt haben.“ Nun neigte Law seinen Kopf leicht und sah Rocinante aus den Augenwinkeln an. „Vor kurzem habe ich entschieden, mich hier niederzulassen, und als wäre es ein schlechter Zufall, wusste ich dann, wie ich dich aufwecken kann.“
„Es war ein Zufall?“
„Nein, natürlich nicht“, schüttelte Law den Kopf, als hätte Rocinante etwas Dummes gefragt. „Ich gehe davon aus, dass ich meine eigenen Kräfte blockiert habe, durch das Leben auf der Flucht, als Pirat und so weiter, und als ich hier anfing meine Ruhe zu finden, da hat sich die Blockade gelöst.“
„Hört sich logisch an“, murmelte Rocinante, der von solchen Dingen nicht wirklich viel verstand und daher nur auf Laws Worte vertrauen konnte.
„Wie dem auch sei. Während der Jahre der Unruhen hatte ich dich sicher versteckt, aber die sind nun vorbei und nun bist du hier. Das ist so in etwa die Kurzfassung der letzten 17 Jahre.“
Es fiel ihm immer noch schwer das alles zu glauben, gleichzeitig hatte er den lebendigen Beweis vor sich sitzen. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als die Wahrheit anzuerkennen.
Law stand auf und streckte sich.
„So, ich weiß du hast bestimmt noch eine Menge Fragen, aber wenn ich ehrlich bin, bin ich echt müde. Können wir morgen weiterreden?“
Nun fiel Rocinantes Blick auf die kleine Uhr neben dem Herd; es war bereits mitten in der Nacht und so wie er den anderen verstanden hatte, würde er am nächsten Morgen arbeiten müssen.
„Natürlich, du musst ganz erschöpft sein.“
Der andere schenkte ihm ein so wertvolles, schiefes Lächeln und ging an ihm vorbei, streifte kurz seine Hand über Rocinantes Oberschenkel.
„Ich habe 17 Jahre auf diesen Tag gewartet, Cora, ja, ich bin erschöpft, aber endlich bist du wieder da und endlich scheint diese unerträgliche Last von mir abgefallen zu sein. Jetzt, wo du wieder da bist, möchte ich nicht mehr als bei dir sein und schlafen, endlich schlafen.“
„Das solltest du aber in einem vernünftigen Bett“, entgegnete er schnell als der andere sich anschickte, einfach auf dem kleinen Sofa niederzusinken, ohne sich auch nur umzuziehen.
„Mach dich nicht lächerlich“, meinte Law nur unter einem Gähnen, „ich habe nur das Bett nebenan, und du müsstest dich viermal falten, um auf das Sofa hier zu passen, also…“
„Also legst du dich ins Bett, du hattest einen anstrengenden Arbeitstag!“, unterbrach er den anderen, schritt auf ihn zu und griff ihn am Arm. „Eine jahrelange Anspannung ist heute von dir abgefallen, das heißt du wirst viel und guten Schlaf brauchen.“
„Aber…“
„Nichts da!“, polterte er weiter und zog den anderen in den Raum, in dem er aufgewacht war, und warf Law aufs Bett. „Ich habe 17 Jahre geschlafen und nachdem, was du mir gerade alles gesagt hast, kann ich eh kein Auge zu machen. Also schlaf jetzt, zumindest diese eine Nacht möchte ich derjenige sein, der über dich wacht.“
Ein ihm ungekanntes zärtliches Lächeln glitt über Laws Gesicht, erhellte diese dunklen Züge wie selbst die Erwähnung des Strohhutes nicht gekonnt hatte, und er nickte.
„Nun gut, wie du willst.“ Er zog sich die Jeans im Liegen aus, warf sie unbeachtet zur Seite und zog dann die Decke über sich. „Aber nur damit du Bescheid weißt, ich habe überhaupt kein Problem damit jetzt zu schlafen, also beschwer dich später nicht.“
Seine Augen flackerten bereits und Rocinante wurde bewusst, dass der andere vermutlich wirklich eine Last von 17 Jahren heute abgeworfen hatte und sein Körper sich nun das zurückforderte, was er die letzten Jahre hatte aushalten müssen.
Ungelenk schob er zwei Bücherhaufen zur Seite und setzte sich im Schneidersitz auf den Boden neben das Kopfende des Bettes.
„Keine Sorge, das werde ich nicht. Also schlaf etwas, mein kleiner Law.“
Der andere grub eine Hand aus der Decke hervor und legte sie kurz auf Rocinantes Brust, als wollte er sichergehen, dass das Herz darunter noch schlug, dann sah Law ihn an.
„Cora, darf ich dich küssen…, bitte?“
Er wusste, dass diese Frage gefährlich war, dass er sie durch geschickte Worte umschiffen musste, aber die Sehnsucht in den Augen des anderen machte ihn schwach. Er hatte Law all die Zeit allein gelassen, hatte dieses Kind ein zweites Mal erleben lassen, was es hieß geliebte Menschen zu verlieren, den Schutz dieser Liebe zu verlieren. Er konnte diese Sehnsucht nach Liebe, dieses Verlangen nach der Wärme eines anderen Menschen so sehr wahrnehmen, dass sein Herz darunter beinahe brach.
Vorsichtig nahm er die Hand des anderen von seiner Brust, lehnte sich vor und legte seine Lippen auf Laws, nur für einen kurzen Moment, ehe er sich zurücklehnte.
„Und nun schlaf etwas, mein kleiner Law.“
Wie auf Kommando schlossen sich die strahlenden Augen des anderen und mit einem feinen Lächeln schien er innerhalb von Sekunden einzuschlafen, Rocinantes Hand fest umklammert, als hätte er Angst ihn auch nur eine Sekunde loszulassen.
Kapitel 4 – Angst
Ein Klopfen ließ ihn aufschrecken. Verwirrt sah er sich um, fand sich auf dem Boden zwischen unzähligen Büchern wieder, neben ihm das leere Bett. Er musste eingeschlafen sein.
Auf ein erneutes Klopfen von der Tür erhob er sich eilig, strich sich durchs Haar und sah sich mit schlaftrunkenen Augen um. Wo zur Hölle war Law?
„Hallo?“, kam es von der Tür, „es tut mir leid zu stören, Law, aber es ist bereits Zehn Uhr.“
„Jaja.“ Der Angesprochene kam aus dem Nebenraum, eine Zahnbürste in der einen und ein Handtuch in der anderen Hand, welches er sich durchs strubbelige, nasse Haar rubbelte. „Ich habe verschlafen. Komm nur rein.“
Dann sah Law zu Rocinante hinüber und er konnte sehen, wie die grauen Augen für einen Moment größer wurden ehe der andere lächelte, Zahnpasta über alle Zähne verteilt.
„Morgen, Cora.“ Es klang so sanft, wie die ersten Sonnenstrahlen auf taunassem Gras, als hätte Law jahrelang auf diesen Moment gewartet ihn so grüßen zu können.
Bevor Rocinante auch nur was entgegnen konnte, öffnete sich die Türe und eine junge Frau in Arztkittel und beladen mit mehreren Akten kam herein. Die oberste hatte sie geöffnet und folgte mit einem Finger wohl der Schrift.
„Frau Fumfum habe ich eben heimgeschickt und eigentlich wäre der nächste Termin erst um halb elf, aber Herr Sansan ist gerade hereingekommen. Dieser Splitter, den er gestern nicht ziehen lassen wollte, riesig groß angeschwollen, richtig eklig und der Eiter quillt nur so raus. Ich habe mich nicht getrau…“ Sie verstummte als sie aufsah und Rocinante bemerkte, langsam weiteten sich ihre blauen Augen und sie schob ihre Brille zurecht. „Oh, Sie sind aufgewacht, aber wow, Sie sind ja riesig!“
„Ninnin“, seufzte Law auf und schwang seine Zahnbürste durch die Luft, „ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass du so nicht mit Patienten reden darfst. Nicht alles, was du denkst musst du auch laut aussprechen. Sie sollen sich bei dir gut aufgehoben fühlen und nicht verschreckt oder beleidigt sein, selbst wenn du es nicht böse meinst.“
„Oh, sie hat mich nicht beleidigt, Law. Ich bin groß, nicht so groß wie mein Bruder vielleicht, aber schon größer als…“
„Nicht hilfreich“, knurrte Law und boxte ihm seinen Ellenbogen gegen die Hüfte, ehe er sich wieder Ninnin zuwandte. „Ninnin, das hier ist Corazón. Cora, Ninnin, die Tochter von Doktor Tantan.“
„Die kluge Studentin.“ Rocinante verbeugte sich höflich. „Sehr erfreut.“
„Oh ja, ich ebenfalls!“ Sie machte etwas, was eine Mischung aus Knicks und Verbeugung darstellen könnte. „Ich wusste gar nicht, dass Sie aufgewacht sind, was für ein Glück!“
„Ja“, lachte er und rieb sich den Hinterkopf als er sich wieder aufrichtete, „ein Glück wohl war, wenn auch etwas kurios.“
„Das glaube ich gerne“, nickte sie beflissen und schob ihre Brille wieder hoch. „Wie lange lagen Sie im Koma? Es ist beeindruckend, dass Sie sich bereits wieder so gut bewegen können.“
„Okay, ihr könnt später plaudern, Ninnin“, brachte sich nun Law wieder ein, „gib mir bitte noch fünf Minuten, um mich fertig zu machen. Sag Herrn Sansan, dass der Splitter nun raus muss und bereite schon mal den OP vor, eine lokale Betäubung sollte ausreichen. Ich überprüfe gleich alles und dann legen wir los.“
„In Ordnung.“ Schon rauschte sie wieder zur Tür hinaus.
Erneut seufzte Law auf und fuhr dann damit fort sich die Zähne zu putzen.
„Tut mir leid, hat sie dich aufgeweckt?“, murmelte er schwer verständlich zwischen dem Schaum hervor.
„Alles in Ordnung“, entgegnete Rocinante mit einem schwachen Lächeln und begutachtete den anderen. „Du siehst noch erschöpfter aus als gestern, hast du nicht gut geschlafen?“ Er kannte bereits die Antwort auf diese Frage.
Law zuckte mit den Schultern und verschwand im Raum nebenan. Rocinante folgte ihm und beobachtete den anderen, wie er in einer kleinen Tür neben der Couch in ein winziges Bad kroch, dessen Decke so niedrig war, dass selbst Law sich bücken musste, um sich nicht den Kopf zu stoßen.
„Ist schon okay“, murmelte dieser zwischen dem Wasserstrahl hindurch als er sich Mund und Gesicht wusch, „der Wind war nur laut und hat mich immer wieder aufgeweckt. Aber mach dir keine Gedanken. Frau Paipai hat mit Sicherheit schon Kaffee gekocht.“
Law rieb sich das Gesicht trocken mit dem Handtuch, dass er um die Schultern gelegt hatte, dann gähnte er ungehalten und versuchte sein Haar zu bändigen.
„Sorry, dass ich schon wieder auf dem Sprung bin. Ich hatte dir versprochen, dass wir heute weiterreden. Du hast mit Sicherheit noch einige Fragen.“
„Mach dir keine Gedanken um mich, Law. Ich…“ Er schwieg und betrachtete den anderen für einen Moment, der zu einem kleinen Spind eilte und sich einen frischen Arztkittel rauszog. Er wirkte so erwachsen, so gelassen und so selbstverständlich. Obwohl Rocinante erst am Tag zuvor zu sich gekommen war, schien Law absolut gefasst zu sein. Offensichtlich meisterte er die Situation weit besser als Rocinante selbst.
„Wenn du willst, kannst du dich noch was hinlegen, du warst anscheinend doch so müde, dass du wohl eingenickt bist. Wollte dich nicht wecken“, murmelte Law und sah ihn an während er in den Kittel hineinschlüpfte. „Falls du etwas frühstücken möchtest, Frau Paipai bringt immer Obst und Reisbällchen mit. Steht alles im Aufenthaltsraum, den Gang links runter, dritte Tür rechts.“
Law schritt bereits wieder in den anderen Raum und Rocinante folgte ihm.
„Ich habe leider heute einige Termine und es könnte jederzeit ein Notfall reinkommen, daher weiß ich nicht, ob ich eine Mittagspause schaffe, aber wenn ich Zeit habe komme ich vorbei. Ach, übrigens Klamotten für dich sind in dem linken Spind, sie müssten passen.“ Er rieb sich durchs Gesicht als würde er versuchen eine Liste aufzuzählen. „Und was deinen Namen angeht, ich denke es ist für den Anfang besser, wenn wir…“
„Law“, unterbrach Rocinante ihn nach einem Moment und legte ihm eine Hand auf die Schulter, „ich weiß du hast wenig Zeit, aber kann ich dich etwas fragen?“
Der andere sah zu ihm auf und direkt konnte er die Unsicherheit und sogar etwas Misstrauen in diesen grauen Augen sehen.
„Natürlich.“
„Wie geht es dir?“
„Was? Ich habe doch gesagt…“
Rocinante hob eine Hand und brachte den anderen zum Schweigen, dann setzte er sich aufs große Bett und sah auf.
„Du gehst mit der ganzen Situation sehr gelassen um. Mir ist natürlich bewusst, dass du mehr Zeit als ich hattest dich auf all das hier vorzubereiten, aber dennoch ist es fast schon beängstigend, wie selbstverständlich die Lage für dich zu sein scheint.“ Er schwieg für einen Moment und betrachtete seine eigenen Hände, rieb eine alte Narbe am linken Handballen. „Wenn ich ehrlich bin, mache ich mir Sorgen um dich. Für mich ist die Situation schwierig, fast unglaublich, und ich glaube dir nicht, dass sie für dich einfacher ist, also bitte sag mir ehrlich: Wie geht es dir wirklich?“
Law sah ihn nur an, öffnete und schloss den Mund, ohne auch nur etwas zu sagen. Dann atmete er tief ein, schüttelte den Kopf und fuhr sich durchs Haar, zerstörte die ordentliche Frisur, um die er noch vor wenigen Sekunden gekämpft hatte.
„Es ist schon seltsam“, schnaufte er mit einem leisen Lächeln auf und sah zu Rocinante aus den Augenwinkeln herüber, „trotz all der Zeit kann ich dir nichts vormachen, was? Du durchschaust mich sofort.“
Laut seufzte er auf und trat auf Rocinante zu, sah zu ihm hinab mit tiefen Falten auf der ernsten Stirn und zusammengekniffenen Mund.
„Weißt du, ich bin Arzt. Es ist mein Job selbst in kritischen Situationen besonnen zu handeln und gelassen zu bleiben. Für meine Patienten ist es wichtig, dass ich Ruhe und Sicherheit ausstrahle und ich dachte ich hätte es mittlerweile auch perfektioniert. Aber die Wahrheit ist…“ Law schüttelte erneut den Kopf und verschränkte dann die Arme, als müsste er sich schützen. „…nichts hiervon ist für mich selbstverständlich, ich bin um ehrlich zu sein total überfordert und befürchte jedes Mal, wenn ich den Mund aufmache, etwas Falsches zu sagen.“
Nun wandte er sich ab, rieb sich die Arme und fing an auf und ab zu schreiten, wie er es am vergangenen Tag getan hatte.
„Ich habe Angst, Cora, ich wusste was passieren würde, ich wusste wie schwierig es für dich werden wird. 17 Jahre sind eine lange Zeit und vieles hat sich verändert, aber…“ Seine Stimme zitterte und er hatte Rocinante den Rücken zugewandt, ganz wie am vergangenen Tag, doch diesmal war er sich sicher, dass Law es einfach nicht ertragen konnte ihn anzusehen, aus Angst, was Rocinante antworten könnte. „…aber meine größte Angst ist, dass du mich verlässt sobald du herausfindest was aus mir geworden ist.“
„Oh Law, mein kleiner, süßer…“
„Nein, jetzt fang damit nicht wieder an.“ Doch Laws Stimme klag alles andere als beherrscht. „Das ist der Grund, warum ich vor Patienten so tue als hätte ich alles unter Kontrolle und als könnte mich nichts aus der Fassung bringen.“
Seufzend erhob er sich und legte dem anderen eine Hand auf die Schulter.
„Aber ich bin kein Patient, Law. Ganz gleich was die Welt und deine Kollegen denken, ich bin nicht dein Patient und vor mir brauchst du nie deine wahren Gefühle zu verstecken, okay?“
Der andere nickte leicht, entgegnete jedoch nichts, während seine Schultern unter Rocinantes Griff zitterten und er den schweren Atem des anderen hörte.
„Und egal was kommt, Law, ich werde dich nicht verlassen und ich werde nie aufhören dich zu lieben.“
„Tze“, schnaubte der andere auf. „Sag das doch nicht so. Das ist genau das, was ich meine.“
Nun streifte er Rocinantes Hand ab und wandte sich um; Tränen spiegelten sich in diesen tiefen Augen, doch er schien fast schon wütend.
„Du liebst nicht mich, Cora, du liebst den süßen, kleinen Law von vor 17 Jahren, wie einen kleinen Bruder, vielleicht sogar wie den eigenen Sohn, aber dieser Junge bin ich nicht mehr und ich…“
„Ich weiß“, unterbrach er den anderen und neigte leicht den Kopf. „Glaub mir, ich hatte eine lange Nacht, in der ich beobachtet habe, wie du um deinen Schlaf gekämpft hast, viele Stunden um mir bewusst zu werden, dass du mit Sicherheit nicht mehr der kleine Junge von damals bist.“
Law wollte etwas sagen, aber Rocinante ließ ihn nicht.
„Mir ist sehr wohl bewusst, dass du nicht mehr der süße, kleine Law von damals bist, und es schmerzt mich unglaublich, dass ich nicht da war, um dich zu beschützen. Ich weiß kaum, was du in den letzten Jahren alles hast durchmachen müssen und natürlich weiß ich nicht was für Dinge du getan hast; ich bin mir sicher, dass du auf manches davon nicht stolz bist.“
Nun sah der andere weg, aber Rocinante wich dem Unvermeidlichen nicht aus.
„Vielleicht verabscheust du sogar Dinge, die du getan hast, vielleicht verabscheust du sogar dich selbst. Aber das alles ändert nichts an meinen Gefühlen für dich. Sie mögen nicht das sein, was du dir von mir erwünschst und gleichzeitig magst du glauben, dass du sie nicht verdienst, dass sie nicht dir gelten. Aber ich möchte dir ganz klar sagen, dass es mir egal ist, was du getan hast, welche Taten du begangen hast und was du glaubst geworden zu sein. Das alles ändert nichts daran, dass ich dich immer noch unglaublich lieb hab und nicht im Traum daran denke, dich je wieder zu verlassen, solange du mich bei dir haben willst.“
Law sah mittlerweile zu Boden und stumme Tränen rannen sein Gesicht hinunter.
„Es stimmt, dass ich kaum weiß, wer du bist, Law, und ich werde Zeit brauchen dich neu kennen zu lernen, aber ich sehe dich, hier und jetzt. Ich sehe dich.“
Für einige Sekunden, vielleicht sogar Minuten, erfüllte den Raum nichts außer das leise Weinen des anderen, der vor ihm stand mit bebenden Schultern, während seine Tränen zu Boden tropften.
Rocinante wagte nicht ihn einfach in den Arm zu nehmen, aus Sorge Law würde wieder zurückweichen, ein furchtbares Gefühl, welches er nicht nochmal ertragen wollte. Er wollte nicht, dass Law weinte, er wollte, dass dieser junge Mann - der wohl wirklich nicht mehr sein süßer, kleiner Law war, ihn aber immer noch in sich trug, da verborgen unter der Rationalität eines erfahrenen Arztes, unter der Kälte eines ruchlosen Piraten – er wollte, dass Law lächelte, glücklich war und verstand was es hieß bedingungslos geliebt zu werden, ohne in der ständigen Angst zu leben, diese Liebe zu verlieren.
Er wollte nicht, dass Law sich selbst hasste oder – schlimmer noch – glaubte, dass Rocinante ihn hasste. Alles was Rocinante wirklich wollte war, dass Law glücklich war, ein zufriedenes Leben führen konnte und auch wenn er die Vergangenheit nicht mehr ändern konnte, nicht ändern konnte, dass er Law nicht das Leben hatte geben können, welches der andere verdient hatte, so würde er doch alles tun, um diese Schuld jetzt zu begleichen, wo er wieder an diesem Leben teilhaben konnte.
Irgendwann rieb sich Law mit dem Ärmel seines Arztkittels durchs Gesicht und sah schließlich auf, der leise Schatten eines schwachen Lächelns auf den zitternden Lippen.
„Wie kannst du so etwas so einfach sagen?“, fragte er. „Wie kannst du dir so sicher sein, dass du mich noch leiden kannst, wenn du herausfindest was aus mir geworden ist, dass du mich siehst, obwohl du mich kaum kennst?“
„Aber Law, ich weiß doch genau, wie es dir geht.“ Und nun war er es, der die Tränen nur mühsam zurückhalten konnte während er den anderen anlächelte und endlich das sagte, was er nie hatte sagen wollen. „Ich weiß genau, wie es ist Dinge zu tun, für die man sich hasst. Ich weiß, wie es ist sich selbst verleugnen zu müssen und sich selbst zu verlieren in dem Glauben etwas Richtiges zu tun.“
Für einen Moment zögerte er, spürte wie es ihm nun schwer fiel zu lächeln.
„Und ich kenne die Angst, dass ein Mensch, der mir wichtig ist, sich von mir abwenden könnte, wenn er herausfinden sollte, wer ich wirklich bin, was ich wirklich bin, dass ich einer dieser Menschen bin, die er so sehr hasst.“
Er konnte sehen wie Laws Augen groß wurden und reine Fassungslosigkeit über die befremdlich vertrauten Züge glitten.
„Aber Cora…“, flüsterte er.
„Es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe, Law, die ganze Zeit, die wir zusammen waren, von Anfang an, aber ich wollte wirklich nicht, dass du mich hasst.“
„Aber ich habe dich nie gehasst!“ Plötzlich war es Law, der ihn an sich riss, seinen Kopf in Rocinantes Magengrube bohrte und die Arme um ihn schlang. „Wie kannst du auch nur eine Sekunde glauben, dass ich dich hassen würde. Ich… Ich wusste, dass du ein Soldat bist. Du bist ein so schlechter Lügner, natürlich wusste ich es.“
Law sah zu ihm auf, die Lippen zusammengebissen wie ein bockiges Kind.
„Aber obwohl ich wusste, was für ein schlechter Lügner du bist…, ich hatte dir geglaubt, dass de Flamingo nicht schießen würde.“
Langsam legte er eine Hand auf Laws Kopf, fühlte das noch feuchte weiche Haar, welches der andere früher meist unter einem Hut versteckt gehalten hatte, und spürte wie eine unglaubliche Dankbarkeit sich in ihm breit machte.
Er hatte es damals befürchtet, sich aber bemüht Law nicht in einen weiteren Gewissenskonflikt zu werfen, und als er dann die Wahrheit gesagt hatte, war es Law unmöglich gewesen ihm zu antworten, eingesperrt in einer Kiste und durch die Kraft seiner Teufelsfrucht lautlos gemacht.
Vielleicht hatte Rocinante sogar ganz bewusst auf einen solchen Moment gehofft, auf eine Möglichkeit sein Gewissen zu erleichtern, ohne sehen zu müssen, wie sich das Leuchten dieser tiefen Augen in Hass verwandeln würde.
„Ich auch, Law, ich auch.“ Er beugte sich hinab, sodass sie auf Augenhöhe waren. „Aber weder seine Waffe noch sein Zorn waren so beängstigend wie die Vorstellung, dass du mich hassen würdest. Also glaub mir bitte, ich kann nachvollziehen, was du gerade durchmachen musst. Ich sehe dich.“
Dann drückte er den anderen an sich, erlaubte sich ein weiteres Mal leise zu weinen, sodass der andere es nicht sehen konnte. Er wollte nicht, dass Law seine Tränen sah, er sollte nur noch sein Lächeln sehen, er sollte fröhlich sein, glücklich sein.
„Ich möchte, dass du bei mir bleibst“, flüsterte Law nun gegen seine Brust. „Ich möchte noch einmal ein paar Monate einfach glücklich sein, so wie damals, ohne dass du dich vor deinem Bruder verstecken musst und ich mich vor dem Tod. Ich will Zeit mit dir verbringen, dich wieder kennen lernen, dir alles erzählen was passiert ist und all die Dinge erfahren, die du mir damals nicht erzählen konntest, aber…“
„Dann werden wir genau das tun“, entschied er und lehnte sich zurück, um Law anzusehen. „Wir werden uns alle Zeit der Welt nehmen, ein paar Monate einfaches Glück, ohne Piraten oder Marine, ohne lebensbedrohliche Krankheiten oder Teufelsfrüchte. Einfach nur du und ich, würde dich das glücklich machen?“
Er konnte sehen, dass Law bereits wieder mit den Tränen kämpfte, aber dieses Mal waren es Freudentränen und Rocinante konnte ein Lächeln nicht verhindern, als der andere heftig nickte, anstatt etwas zu sagen, die Lippen fest zusammengepresst, wirkte nun wieder fast wie das Kind, welches er damals zurückgelassen hatte.
„Ja, das ist alles was ich mir seit 17 Jahren wünsche.“
Eine Chance. Es war, als hätte Law ihm eine kleine Chance gegeben etwas von seiner Schuld zu begleichen, etwas von der Last abzuwerfen, die er für immer auf seinen Schultern tragen würde dafür, dass er ihn damals nicht hatte beschützen können, dafür, dass er ihn alleingelassen hatte und wenn Rocinante ganz ehrlich war, so hörte sich diese Idee auch nach einem Leben an, das ihm gefallen würde.
Wenn er ehrlich war, hatte er sich das Leben damals ganz ähnlich ausgemalt, natürlich mit einem jungen Law, der Medizin studieren und nicht bereits praktizieren würde, aber eine friedliche Insel irgendwo dort, wo es schön war, fernab von Intrigen, Kriegen und Verrat. Ein Leben, so wie es seine Eltern hatten leben wollen, ja, das hörte sich wirklich nach Glück an.
Natürlich wusste er, dass er nicht ewig vor seinen Pflichten davonlaufen konnte. Er würde für die Schandtaten seines Bruders einstehen und Sengoku aufsuchen, vielleicht seine Tätigkeit als Soldat wiederaufnehmen, aber… aber er war 17 Jahre wie tot gewesen, für die Welt würde es kaum einen Unterschied machen, ob er einen Monat früher oder später wieder unter den Lebenden wandeln würde.
Während er das warme Lächeln Laws ansah, entschied er, dass er nach all den Jahren ein paar Monate bescheidenes Glück verdient hatte, dass Law ein paar Monate grenzenloses Glück verdient hatte.
Plötzlich ging die Tür auf und Frau Paipai schob den Kopf herein.
„Es tut mir wirklich leid zu stören, Doktor Trafalger, aber…“
„Jaja, ich komme, ich komme.“
Mühsam entzog Law sich seiner Umarmung und sah ihn noch für einen langen Moment an, immer noch dieses wunderbare Lächeln auf den Lippen, welches Rocinante so sehr vermisst hatte, ein Lächeln voller Leben, Liebe und Freude.
„Bis später, Cora.“ Damit eilte er Paipai hinterher, ließ Rocinante mit diesem ungekannten Glücksgefühl zurück.
Doch kaum, dass die Tür zufiel, schwand sein Lächeln. Er war sich sicher, dass Law immer noch etwas vor ihm verheimlichte, aber er würde geduldig sein und wenn Law sich sicher fühlte, würde er ihm schon die Wahrheit sagen.
Vielleicht würde er Rocinante dann auch verraten, warum seine Teufelskräfte nicht mehr funktionierten.
Kapitel 5 – Frühstück
„Oh Gott, sind die lecker!“ Nach einem nervenaufreibenden Morgen hatte Rocinante sich sein Frühstück redlich verdient.
Er hatte nicht erwartet, dass Law so mühelos durch eine einfache Frage seine Ängste darlegen würde, allerdings zeigte das auch nur, wie sehr Law sich danach sehnte sich endlich öffnen zu können.
Es stimmte, obwohl Rocinante den erwachsenen Law kaum kannte, hatte er das seltsame Gefühl, dass er sich seitdem nicht so sehr verändert hatte wie Law selbst wohl befürchtete. Natürlich war er gewachsen - Barthaare und Tattoos taten ihr übriges - und natürlich hatte er sich verändert, aber die Art, wie er immer noch den Blick abwandte, wenn er etwas verheimlichen wollte, die Art wie er sich ganz abwandte, wenn er es nicht ertragen konnte angesehen zu werden, aber insbesondere die Art wie er Rocinante ansah, ganz unverhohlen, als könnte er in die Tiefen seiner Seele sehen, die Art wie er manchmal schmunzelte und die Art wie er sachlich sprach, wenn die Emotionen ihm zu gefährlich wurden.
All das war immer noch da, vielleicht leicht abgewandelt, modifiziert, verstärkt oder abgeschwächt, aber es war immer noch da, Law war immer noch Law.
Aber es stimmte auch, dass Rocinante eine unruhige, lange Nacht gehabt hatte, um über all das nachzudenken. Er hatte schnell bemerkt, dass Law nicht so leicht einzuschlafen schien, wie er vorher behauptet hatte, doch zu Rocinantes leisem Erschrecken war er nicht in der Lage gewesen die leisen und lauten Geräusche der Nacht verstummen zu lassen.
Im ersten Moment war er panisch geworden, hatte Law wecken wollen, dann jedoch bemerkt, dass Law tatsächlich endlich eingeschlafen war und sich doch dagegen entschieden.
Es hatte ihn verwirrt, ihn sehr besorgt, aber wenn er ehrlich war, hatte er in den letzten Stunden bereits seltsameres erlebt, also hatte er entschieden Law schlafen zu lassen und ein Problem nach dem anderen anzugehen.
So hatte er die Zeit damit verbracht Law zu beobachten, immer wieder war er aufgewacht, hatte sich von links nach rechts gewälzt, in den kurzen Phasen des friedlichen Schlafes leise geseufzt. Das war der Moment gewesen, als Rocinante bewusst geworden war, dass sich die Dinge auch in 17 Jahren nicht wirklich verändert hatten. Auch damals hatte er Law gerne bei seinem friedlichen Schlummer beobachtet, auch damals jedes Mal besorgt, wenn er sich vor Schmerzen oder Albträumen gekrümmt hatte und schon damals hatte Rocinante sich für ihn nichts anderes gewünscht, als dass Law friedlich schlafen würde.
Wie damals, wenn Law als Kind von seinen Träumen verfolgt wurde, hatte Rocinante ihm seine Hand dargereicht und wie damals, hatte Law sie, ohne auch nur aufzuwachen ergriffen und hatte danach ruhiger geschlafen.
Irgendwann war Rocinante dann auch eingeschlafen, seine Hand immer noch von Law umklammert.
Nun saß er hier, nachdem er verzweifelt versucht hatte sich in der winzigen Dusche zu waschen – und dabei nur so circa fünf Mal hingefallen war, ehe er entschieden hatte einfach auf den Knien zu bleiben – und über das Hemd mit den rosa Herzen einen kurzen nostalgischen Moment mit ein paar Tränchen gehabt hatte, hatte er entschieden, dass die Reisbällchen vom vergangenen Abend nicht genug waren, um seinen Hunger zu stillen, also war er Laws Wegbeschreibung gefolgt und in einem kleinen Aufenthaltsraum mit duftendem Kaffee und dem Frühstück eines Königs gelandet.
Auch die Stühle hier waren winzig klein, also hatte er sich auf die Rückenlehne eines kleinen Zweisitzers niedergelassen, die Tasse wohlschmeckenden – heißen! – Kaffees auf einem Bücherregal zu seiner Rechten und in seiner Hand ein Teller mit allerlei Köstlichkeiten.
Immer wieder glitt sein Blick hinüber zum Tisch am Fenster. Dort, beinahe unschuldig, lag eine zusammengefaltete Zeitung. Mit den Augen rollend konzentrierte er sich wieder auf seinen Kaffee. Einerseits war er neugierig, was in der Welt noch so alles geschehen war, was er wirklich alles in den letzten 17 Jahren verpasst hatte, aber viel mehr noch beunruhigte es ihn.
Bisher waren die verpassten 17 Jahre nicht viel mehr für ihn als ein seltsamer Traum, in dem Law erwachsen und sein Bruder besiegt worden war. Bisher war das Einzige, was er verpasst hatte Laws Jugend gewesen. Bisher waren Laws dunkle Stimme und seine Sorgenfalten das Einzige was ihm bewies, dass er 17 Jahre verpasst hatte.
Er hatte Angst, dass diese Zeitung ihm beweisen würde, dass es wirklich kein Traum war. Wenn er sie hochheben und das Datum lesen würde, würden die letzten Zweifel – die letzte Hoffnung – durch Tatsachen widerlegt.
Seufzend stellte Rocinante den leeren Teller neben sich auf der Rückenlehne ab. Nein, er würde sich von dieser Angst nicht bestimmen lassen, würde das Unausweichliche nicht herauszögern, nur weil es einfacher war, weil er dann für ein paar Minuten, Stunden, Tage länger einer wahnwitzigen Hoffnung nachlaufen könnte, dass er nicht versagt hatte, Law nicht allein gelassen und seinen Bruder nicht davongekommen lassen hatte.
Nein, er wusste schon seit Stunden, dass er für all das hier verantwortlich war, weil er den Abzug nicht gedrückt hatte, weil er nicht in der Lage gewesen war das zu tun, was ihm aufgetragen worden war. Alles, was Law die letzten Jahre hatte durchmachen müssen, was die Welt wegen de Flamingo hatte erleiden müssen, das alles war seine Schuld und seine Verantwortung und er würde sich dem nicht entziehen, nur weil er zu feige war auf eine Zeitung zu schauen.
Er leerte seine Tasse in einem Zug – und verbrannte sich die Zunge. Warum war der Kaffee noch so verdammt heiß?! – und stieß sich von der Rückenlehne ab. Argwöhnisch schritt er auf den Tisch zu, konnte schon jetzt die Ziffern ausmachen, die das Unvermeidliche bestätigten.
1528
Auf einmal ging hinter ihm die Türe auf.
„Jaja, Ninnin, ich weiß, ich weiß, und… da bist du ja.“
Er wandte sich um. Im Türrahmen stand Law in seinem Arztkittel und sah ganz so erwachsen und professionell aus, wie man sich nun mal einen Arzt wünschte. Was mehr an Beweis hatte Rocinante eigentlich gewollt?
„Law“, entgegnete er mit einem Lächeln und ignorierte solch trübe Gedanken. Er hatte doch gewusst, was passieren würde, es gab keinen Grund sich nun von dem Gefühl der Hilflosigkeit übermannen zu lassen. „Du hast mich gesucht?“
Der Angesprochene zuckte nur mit den Achseln und zog die Türe hinter sich zu.
„Nicht wirklich. Ich habe schon vermutet das du hier bist und da wir gerade einen Moment Pause haben, wollte ich nach dir sehen.“
„Machst du dir etwa Sorgen um mich?“ Rocinante meinte es als unbegründeten Scherz, während er Teller und Tasse einsammeln ging und zur Spüle brachte. Laws ernster Gesichtsausdruck verriet ihm jedoch, dass er genau ins Schwarze getroffen hatte. Law machte sich Sorgen um ihn.
Erneut zuckte der andere nur mit den Achseln und kam zu Rocinante an die Spüle, um sich die Hände zu waschen.
„Frau Paipai sagt, ich soll mir ein paar Tage freinehmen“, murmelte Law dann ohne aufzusehen. „Sie meint es würde mir gut tun, da du endlich aufgewacht bist. Ich glaube ihr ist bewusst, dass du nicht einfach nur irgendein Patient für mich bist. Sie hat für so etwas ein Auge und ist generell sehr…“
„Möchtest du das denn?“, fragte Rocinante, als Law abzuschweifen drohte, und fing an seine Tasse abzutrocknen.
„Ich weiß es nicht“, gestand Law ein, ehe er sich aufseufzend durchs Gesicht fuhr und dann durch den Raum zu einem der Stühle schritt und sich dort niederließ. „Sie hat Recht, dass ich nicht so konzentriert bei der Arbeit bin, wie ich sollte. Ich meine, ich weiß, dass es unsinnig ist, aber ich male mir tausende, aberwitzige Szenarien aus, die passieren könnten, die dir passieren könnten. Wie soll ich mich da auf Papierkram konzentrieren?“
Natürlich war es unsinnig, dass Law so etwas dachte, aber auch wenn Rocinante ihm wirklich versichern wollte, dass ihm nichts passieren würde, so wusste er doch genau, dass rationale Worte irrationale Ängste nicht besänftigen konnten.
Er wollte Law sagen, dass Kinder sich nicht um Erwachsene Sorgen machen sollten, denn das hätte er ihm wohl früher gesagt, aber Law war kein Kind mehr und für 17 Jahre hatte er sich Sorgen um Rocinante gemacht, vielleicht sogar noch länger, und Law hatte auch Recht; Law hatte ihm vertraut, als er ihm gesagt hatte, dass ihm nichts passieren würde, dass sein Bruder bei allem Zorn nicht schießen würde, dass Law sich keine Sorgen um ihn machen müsse und nur für ein paar Minuten in der Kiste ausharren müsse.
Kein Wunder also, dass Law von solchen Ängsten geplagt wurde. Viel erstaunlicher war eigentlich, dass Law so bereitwillig davon erzählte. Aber Rocinante vermutete, dass der Grund dafür ein ebenso simpler war. Damals hatte Law sich ihm irgendwann geöffnet, ihm irgendwann vertraut und trotz allem was geschehen war, trotz allem was aus Law geworden war, diese kleine Vertrautheit schien sich in sein Unterbewusstsein eingegraben zu haben und selbst jetzt noch fortzubestehen.
„Aber auf der anderen Seite“, sprach Law weiter, überschlug die Beine und griff nach einem Reisbällchen, offensichtlich unwissend gegenüber Rocinantes inneren Gefühlschaos, „habe ich auch eine Verantwortung hier. Außerdem…“
Nun unterbrach Law sich und sah aus dem Fenster.
„Außerdem was?“, hakte Rocinante nach und lehnte sich gegen die Wand neben dem Fenster, um Law im Blick haben zu können. Es gierte ihm wieder nach einer Zigarette, aber wie sollte er Law nach einer fragen.
Leise lächelnd schüttelte Law den Kopf.
„Du wirst mich für verrückt erklären, mehr noch als eh schon.“
„Werde ich nicht.“
Der andere sah ihn kurz an und goss sich dann Kaffee an.
„Es ist ziemlich widersprüchlich. Obwohl ich seit 17 Jahren hierauf gewartet habe, darauf gewartet habe, dass du zurückkommst, deine Stimme zu hören, dich lächeln zu sehen, so ist es doch… auch schwer.“ Er trank einen kleinen Schluck. „Auf der einen Seite möchte ich so viel Zeit wie möglich mit dir verbringen, möchte mit dir Lachen und möchte all deine Geschichten hören. Ich möchte, dass es wie früher ist. Aber auf der anderen Seite, habe ich Angst vor den Fragen, die du stellen wirst und dass es nicht so sein wird wie früher.“
„Es wird nicht so sein wie früher“, meinte Rocinante und stieß sich von der Wand ab. Vor Law hockte er sich auf den anderen Stuhl, der einfach viel zu klein und unbequem war, aber zumindest waren sie nun fast auf Augenhöhe, wenn er sich vorlehnte. „Aber das heißt nicht, dass es was Schlechtes werden muss. Du bist nicht mehr der kleine Junge von damals und die Welt hat sich verändert und ich werde mich verändern, das ist nun mal der Lauf der Dinge.“
Er lächelte den anderen an und konnte sehen, dass diese ernsten Mundwinkel auch zuckten.
„Ich möchte auch Zeit mit dir verbringen, deine Geschichten hören und mit dir Lachen, aber ich möchte, dass es dir dabei gut geht. Du musst mir nichts erzählen, woran du lieber nicht denken möchtest, du musst mir nichts offenbaren, was du dich noch nicht traust und wenn du dich sorgst, dass zu viel gemeinsame Zeit auf einmal zu bedrohlich ist, dann müssen wir das nicht machen. Wir haben Zeit, Law, so lange wie du brauchst, so lange wie du willst. Fangen wir mit kleinen Schritten an, eine Kaffeepause hier, ein Abendessen da und du kannst jederzeit, wenn es dir zu viel wird, unterbrechen.“
Lange sah Law ihn einfach nur an und Rocinante fragte sich, ob er sich zu viel herausgenommen hatte, ob er Laws Worte und Blick falsch gedeutet hatte.
„Warst du immer schon so unglaublich verständnisvoll?“, murmelte Law schließlich und neigte leicht den Kopf. „Eigentlich müsste ich solche Sachen zu dir sagen. Eigentlich müsste ich auf dich Rücksicht nehmen. Du bist derjenige, der völlig unvorbereitet in diese Zeit reingeworfen wurde, und trotzdem bist du immer noch der erwachsenere von uns beiden.“
Law rieb sich durchs Gesicht und schüttelte erneut den Kopf.
„Obwohl ich mittlerweile älter als du bin, bist du immer noch der Erwachsene und ich das dumme Kind, auf das du Rücksicht nimmst.“
„Ach, so stimmt das aber auch nicht“, entgegnete Rocinante. „Weißt du, natürlich leide ich, dass ich 17 Jahre verpasst habe, verpasst habe dich aufwachsen zu sehen, verpasst habe was in dieser Welt passiert ist und nicht aufhalten konnte was mein Bruder getan hat, aber mein Leid ist kaum ein Tag alt, was ist das schon verglichen zu deinem jahrelangen Schmerz? Ich bin nicht der erwachsenere von uns beiden, Law, ich bin nur derjenige, der weniger heilen muss von all den Wunden, all dem Leid, und deswegen kann ich auf dich Rücksicht nehmen. Weil mein Schmerz aushaltbar ist, aber ich es kaum ertragen kann, dich so leiden zu sehen.“
Nun sah der andere zu ihm auf, ein beinahe überraschter Ausdruck auf diesem erwachsenen Gesicht.
„Ich weiß gar nicht, was ich darauf antworten soll“, murmelte Law schließlich, ohne den Blick abzuwenden. „Du sagst so etwas immer ganz direkt, so ganz mühelos, als wäre es das leichteste auf der Welt. Du machst es mir wirklich einfach mit dir zu reden, das hatte ich ganz vergessen.“
Und dann lächelte er; ein Lächeln, für das Rocinante alles geben würde, alles tun würde. Er schien wirklich glücklich.
„Das freut mich“, entgegnete Rocinante und lächelte ebenfalls. „Es freut mich, dass es dir trotz allem leicht fällt mit mir zu reden. Du weißt, dass du immer ehrlich mit mir sein kannst und ich verspreche dir, dass ich dich auch nie mehr anlügen werde.“
„Das hört sich gut an.“ Law nahm sich ein zweites Onigiri.
Für einen kurzen Moment schien die Welt ein kleines bisschen besser zu werden. Rocinante hatte das Gefühl, dass sich nach und nach alle Dinge ineinanderfügten. Nach der tiefen Verwirrung und den emotionalen Momenten am vergangenen Tag, schienen sie heute beide nach vorne zu blicken.
Es hatte ihn gefreut – unsagbar glücklich gemacht – von Law zu hören, was dieser sich für seine Zukunft wünschte und dass er wollte, dass Rocinante ein Teil davon war und nun hatte er das Gefühl, dass sich die Dinge vielleicht allmählich normalisieren könnten. Natürlich würden sie nicht von heute auf morgen so werden, wie sie für Rocinante noch bis vor wenigen Tagen gewesen waren, natürlich stand noch viel ungesagtes und ungefragtes im Raum. Aber wenn sie wirklich in der Lage waren offen miteinander umzugehen, einander zu vertrauen, wenn auch Rocinante dieses Mal wirklich sich trauen konnte ehrlich mit Law zu sein… allein die Vorstellung machte ihn unglaublich glücklich, und doch…
„Was ist los, Cora?“
Überrascht sah er auf. Law leckte sich gerade ein Reiskorn von den Fingern und sah ihn aus großen Augen an.
„Du hast wieder diesen Blick drauf“, meinte Law, während er sich über den Tisch beugte und Tasse und Kaffeekanne ergriff, „diesen Blick, wenn du über irgendetwas nachgrübelst, über das du damals nicht mit mir sprechen konntest.“
Oh, und er hatte geglaubt, er wäre derjenige, der den anderen gut kennen würde. Aber wie es schien, kannte Law ihn auch nur zu gut. Es stimmte wohl doch, die großen Augen kleiner Kinder sahen viel mehr, als Erwachsene es wahrhaben wollen würden, und Law war schon immer ein guter Beobachter gewesen.
Tja, da hatte er sich aber selbst ganz schön in die Enge getrieben. Er hatte sich so darüber gefreut, dass Law ihm gegenüber so offen war, war so erleichtert darüber gewesen, dass Law ihn nicht abgewiesen hatte, obwohl er wusste, dass Rocinante ein Soldat war, über all das war er euphorisch geworden und hatte ganz vergessen, dass er derjenige zwischen ihnen beiden gewesen war, der nie ehrlich gewesen war, der erst seinen Bruder und dann Law angelogen hatte. Natürlich hatte Law es damals gemerkt, er war immer schon unglaublich schlau gewesen, viel schlauer als Rocinante selbst.
Er hatte sich eingeredet, dass er es getan hatte, um Law zu beschützen, um ein bisschen seiner kindlichen Naivität retten zu können, aber auch um sich seinem Hass nicht aussetzen zu müssen.
Aber Law war kein Kind mehr, hatte all diese kindliche Naivität aufgegeben, aber am wichtigsten: er hasste Rocinante nicht.
Es war also ganz einfach, wenn er Law zeigen wollte, dass dieser sich ihm öffnen konnte, ganz gleich welche Grausamkeiten und Abgründe er verbarg, dann würde Rocinante dasselbe auch tun müssen. Wenn er wirklich willentlich den erwachsenen Law respektieren wollte und in ihm nicht weiterhin den Jungen von damals sehen wollte, dann konnte er nicht weiterhin ihn ungefragt beschützen und Dinge außen vor lassen. Er musste Law selbst entscheiden lassen, wie viel dieser hören wollte oder eben nicht.
„Und, zu welchem Schluss bist du gekommen?“, murmelte Law in seine Tasse hinein, ihn nicht eine Sekunde aus dem Blick lassend, während Rocinante sich den Kopf zerbrach.
Die Dinge sollten nicht so kompliziert sein, er sollte nicht die ganze Nacht hindurch und nun auch grübeln müssen.
„Ach, ich glaube ich habe mich da in etwas reingeritten“, meinte er schließlich und sah den anderen seufzend an, der immer noch diesen unglaublich neutralen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte, um den Rocinante ihn fast schon ein wenig beneidete. „Ja, es stimmt, ich habe zwar versprochen nichts zu fragen, was du nicht beantworten möchtest. Dennoch gibt es etwas, auf das ich eine Antwort brauche, und du bist vielleicht der Einzige, der sie mir geben kann. Nicht, dass ich jemand anderen fragen könnte“, setzte er kleinlaut hinterher.
„Dann frag doch einfach“, antwortete Law und setzte seine Tasse ab. „Mir war klar, dass du viele Fragen haben würdest und um ehrlich zu sein, hast du davon bisher viel weniger gestellt, als ich erwartet hatte.“
Es stimmte, er hatte unglaublich viele Fragen und er fürchtete sich beinahe vor den Antworten, dennoch wäre dies allein nie ausreichend gewesen, aber er hatte sich zurückgehalten, um es dem kleinen Law nicht noch schwerer zu machen, als die ganze Situation bereits schon war.
Aber vor ihm saß nicht der dreizehnjährige Junge, den er vor der Grausamkeit der Welt hatte beschützen wollen, sondern der erwachsene Law, der vermutlich schon mehr erlebt hatte als Rocinante lieb war, vielleicht sogar mehr als er selbst erlebt hatte.
„Diese Nacht“, sprach er schließlich und betrachtete seine Hand, „hast du sehr unruhig geschlafen und ich wollte die Welt ein bisschen leiser für dich machen, aber ich konnte es nicht.“
Nun sah er den anderen wieder an, der seinem Blick nicht auswich.
„Weißt du etwas darüber? Warum ich meine Teufelskräfte nicht einsetzen kann?“
Er hatte etwas anderes erwartet. Er hatte erwartet, dass Law bleich werden würde, vielleicht wieder den Blick abwenden würde, der andere sah ihn jedoch einfach nur ruhig an, eine leichte Resignation in diesen tiefen Augen.
Dann seufzte Law auf und goss sich Kaffee nach, gerade in diesem Moment sah er noch älter aus er wirklich war.
„Das habe ich schon befürchtet“, murmelte er dann und hielt Rociantes Blick weiterhin problemlos stand, „ich denke du hast deine Teufelskraft verloren, Cora. Es tut mir leid.“
„Verloren?“, wiederholte er ungläubig. „Ich glaube kaum, dass das möglich ist. Von so etwas habe ich noch nie gehört.“
Nun wandte Law doch den Blick ab und betrachtete seine Tasse.
„Während ich versucht habe dich zu retten, ist dein Herz mehrmals stehen geblieben, teilweise auch länger als nur ein paar Sekunden. Natürlich wusste ich es nicht, aber ich hatte die Möglichkeit nicht ausgeschlossen. Ich denke du bist wohl rein technisch gesehen kurz gestorben und anscheinend hat das ausgereicht, um die Kräfte zu verlieren. Es tut mir leid. Das ist meine Schuld.“
Oh.
Wenn Rocinante ehrlich war, wusste er nicht besonders viel über die Teufelsfrüchte und ihre Kräfte, kaum mehr als das was landläufig bekannt war und mit Medizin kannte er sich noch weniger aus, hatte keine Ahnung wie tot man sein musste, um seine Teufelskräfte zu verlieren, aber Laws Worte ergaben Sinn.
„Das heißt also ich habe keine Teufelskräfte mehr?“, murmelte er leise und betrachtete seine Hände.
„Es tut mir leid“, wiederholte Law.
„Das braucht es nicht“, meinte er und sah dann auf. „Ich lebe, du brauchst dich nicht entschuldigen.“
Plötzlich hatte er einen Geistesblitz.
„Heißt das, ich kann auch wieder im Meer schwimmen?“
Nun sah Law ihn verwundert, wohl eher verdutzt, an.
„Wa… wahrscheinlich. Ich gehe davon aus. Warum?“
Die Möglichkeiten schienen grenzenlos. Nicht, dass er je jemand gewesen war, der viel und gerne geschwommen wäre, und doch, manchmal bemerkte man erst, wie gerne man Dinge tat, wenn man sie nicht mehr tun konnte.
Law lachte leise in seinen Kaffee.
„Was?“
„Ach nichts.“ Kopfschüttelnd winkte Law ab, immer noch dieses Grinsen auf den Lippen.
„Nein, sag schon“, drängte er.
Da sah der andere ihn warm lächelnd an und Rocinante spürte, wie das Glück ihn erfüllte. Wer brauchte schon Teufelskräfte, wenn Law ihn so glücklich anlächeln konnte, wenn er Law so glücklich machen konnte?
„Die Insel hier hat einen wunderschönen Sandstrand. Wenn ich mal einen Tag frei habe, sollten wir…“
Er unterbrach sich, als die Türe aufging und Frau Paipai den Kopf hereinsteckte.
„Entschuldigt die Störung, aber Herr und Frau Tautau sind da.“
„Oh, natürlich.“ Law erhob sich während Frau Paipai bereits wieder die Tür schloss.
„Vielleicht hat sie Recht“, meinte Law nun und sah ihn mit einem leichten Schmunzeln an, „vielleicht sollte ich mir mal frei nehmen, damit unsere Gespräche nicht dauernd unterbrochen werden.“
Dieses Mal winkte Rocinante ab.
„Nein, du hast einen wichtigen Job und wir haben Zeit.“ Er erhob sich ebenfalls und folgte Law zur Tür hinaus, wobei er sich durch den niedrigen Türrahmen hindurchducken musste. „Allerdings habe ich die letzten Stunden genug herumgesessen und vor mich hin gegrübelt. Sag, Law, gibt es irgendetwas Sinnvolles was ich tun kann, anstatt nur darauf zu warten, dass du mit der Arbeit fertig wirst?“
Law schüttelte den Kopf, während sie den Flur entlanggingen.
„Mir fällt nichts ein, außerdem denke ich solltest du dich noch etwas ausruhen, immerhin…“
„Ach Unsinn“, unterbrach er den anderen, als sie das Ende des Flurs erreicht hatten und er zum ersten Mal einen Blick in den Eingangsbereich der Praxis werfen konnte, „mir geht es gut, dank dir, und ich glaube für uns beide ist es besser, wenn ich nicht Stundenlang herumsitze und auf dich warte. Du kannst dich wahrscheinlich auch besser konzentrieren, wenn du weißt, dass ich mich mit etwas beschäftigen kann.“
Zwar sah er Law an, aber aus den Augenwinkeln inspizierte er den hellen Raum, die große Eingangstür, den weißen Tresen mit ordentlich sortierten Papierstapeln, die großen Fenster mit den hellen Vorhängen und eine Vielzahl von Türen, die wohl in die verschiedenen Praxisräume führten.
Aus einem dieser Räume kam gerade Frau Paipai.
„Nein, Cora, das ist wirklich nicht nötig. Du brauchst nicht…“
„Sie könnten einkaufen gehen“, war es nun die alte Dame, die Law unterbrach, und diesem einen vielsagenden Blick zuwarf. „Doktor Trafalgar mag zwar ein hervorragender Arzt sein, aber einfache Dinge wie Einkaufen gehen oder Wäsche waschen überfordern ihn. Ich vermute, dass er kaum etwas im Kühlschrank hat und sich gefühlt nur von Kaffee und Fisch ernährt. Äußerst ungesund, gerade für einen Arzt.“
„Frau Paipai“, versuchte Law sie zu unterbrechen, doch die alte Dame ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
„Sie sind jung und es scheint Ihnen wirklich wieder gut zu gehen. Sie sollten etwas an die frische Luft und sich bewegen. Außerdem ist heute Markt.“ Dann wandte sie sich Law zu. „Ich weiß, Sie machen sich sorgen, aber Sie können Ihren Freund nicht in diesem Haus einsperren. Wenn Sie ihm und sich selbst etwas Gutes tun wollen, nehmen Sie sich mal ein paar Tage frei.“
Mit diesen Worten wuselte sie davon in eines der angrenzenden Zimmer.
Law seufzte leicht auf.
„Sie scheint eindeutig den Ton hier anzugeben“, lachte Rocinante und Law nickte ihm nur zu.
„Aber sie hat Recht, wie immer. Es tut mir leid, Cora, das alles ist nicht so einfach wie ich dachte.“ Law massierte sich kurz den Nacken und sah ihn dann an. „Also wenn du wirklich etwas tun möchtest, würdest du mir sehr helfen, wenn du einkaufen gehen würdest; der Kühlschrank ist wirklich so gut wie leer. Auf dem kleinen Tisch neben dem Sofa liegt Geld. Du musst nur der Straße folgen, sie führt dich schon zur Stadtmitte.“
„Dann werde ich das tun.“
Der andere sah kurz weg, nickte dann aber und ging zu dem gleichen Zimmer hinüber, in dem Frau Paipai vor wenigen Sekunden verschwunden war.
„Okay, dann sehen wir uns heute Abend, denke ich.“
„Bis heute Abend, Law.“
Kapitel 6 – Wasser
Der Markt war riesig!
Vielleicht kam es Rocinante auch nur so vor, aber nach der einsamen Kälte auf Minion und der Leere in Laws Zimmer waren hier nun unzählige Menschen unterwegs, drängten sich aneinander, sprachen miteinander und übereinander hinweg. Kinder lachten, Händler priesen ihre Ware an und Käufer feilschten und Rocinante mitten unter ihnen.
Hier und jetzt fiel es ihm schwer zu glauben, dass die Welt sich verändert haben sollte. Dieser Markt wirkte so, wie jeder den er je besucht hatte, die Leute redeten kaum anders und auch wenn anscheinend neue Geschichte geschrieben wurde, so schien sich der Alltag für den gewöhnlichen Bürger kaum verändert zu haben.
Einige Blicke fielen auf ihn, während er von Stand zu Stand ging, Preise verglich und überlegte, was sie eigentlich brauchen könnten. Aber solche Blicke war er gewöhnt, allein durch seine Körpergröße fiel er auf und zwischen den bekannten Gesichtern der Nachbarn bemerkte man einen Fremden eben noch schneller. Doch die Leute waren freundlich zu ihm und sein viel größeres Problem waren die deutlich gestiegenen Preise, die für die Leute hier anscheinen völlig normal waren.
„Früher haben die Orangen aber nicht so viel gekostet, Numnum“, klagte eine alte Dame neben ihm und Rocinante konnte ihr nur schweigend zustimmen.
„Es sind die gleichen Preise, wie sonst auch, Frau Ralral, und jede Woche beschweren Sie sich.“
Er hörte den beiden Streithähnen noch einen Moment zu, ehe der Händler sich ihm zuwandte und ihm viel zu teures Gemüse verkaufte.
Nach einiger Zeit hatte Rocinante alles zusammen, was er gesucht hatte, und für einen Moment stand er einfach nur mitten im Menschengewusel und realisierte was passiert war und was es für ein Wunder war, dass er nicht gestorben war. Die warme Sommersonne schien auf ihn hinab und endlich konnte er die Wahrheit annehmen, wie sie war.
Es schockierte ihn leider nicht annähernd so wie er erwartet hätte, dass sein Bruder tatsächlich auf ihn geschossen hatte, aber es war ein Wunder, dass er überlebt hatte. Law hatte ihn gerettet und damit ein Wunder vollbracht, auf das er 17 Jahre hatte warten müssen.
Konnte es wirklich sein, dass nach alledem was sie durchgemacht hatten, was passiert war, dass die Kämpfe, die Kriege, das Lügen, die Geheimnistuerei, der Verrat, der Hass, das Leid, dass all das vorbei war?
Irgendwann würde Rocinante zurück in jene Welt kehren müssen, zumindest für eine gewisse Zeit, aber bis dahin wollte er Laws – und auch seinen eigenen – Wunsch nachkommen und einfach eine kleine Weile diesen geschenkten Frieden genießen.
Plötzlich fiel sein Blick auf die alte Dame vom Gemüsestand, die mit mehreren Taschen und Körben bepackt dabei war den Markt zu verlassen; die Last schien zu viel für sie, denn alle paar Meter blieb sie stehen und setzte einen der Körbe ab, und da Rocinante an diesem Tag eh nichts mehr vorhatte, als auf Law zu warten, entschied er, sein kleines Glück ein bisschen zu teilen.
„Warten Sie“, rief er ihr nach und eilte auf sie zu, „darf ich Ihnen etwas abnehmen?“
„Oh, junger Mann, das wäre zu freundlich.“ Sie lächelte zu ihm auf. „Allerdings sind Sie ja genauso bepackt wie ich.“
„Ach, eine Tasche mehr oder weniger macht doch nichts.“
„Nun gut, wenn Sie drauf bestehen.“
Sie reichte ihm einen Korb und eine Tasche und gemeinsam setzten sie gemütlich ihren Weg fort, ließen den Markt und die Menschenmenge hinter sich.
„Ich bin froh, dass es Ihnen wieder besser geht. Mein Mann sagte, der junge Herr Doktor hätte heute Morgen endlich wieder Farbe im Gesicht gehabt.“
„Sie… Sie wissen wer ich bin?“, fragte Rocinante verwirrt nach, während sie im gemächlichen Schritt die Gassen der kleinen Stadt entlangschlenderten. Mittlerweile erreichte sie ein sanftes Meeresrauschen.
„Oh natürlich. Wissen Sie auf den Inseln hier passiert nicht oft etwas und wenn dann jemand, wie der junge Herr Doktor sich hier niederlässt… nun ja, es macht schnell die Runde.“
„Jemand, wie?“, frage er nach, als die Häuser nicht mehr so eng beieinanderstanden und Platz für üppige Gärten ließen. Es schien ein wohlhabendes Dorf zu sein. Eines welches er früher unter der Führung seines Bruders vielleicht überfallen hätte, aufgrund der geringen Sicherheitsvorkehrungen. Niemand hier schien mit Angriffen oder Piraten zu rechnen, er konnte nichts erkennen, dass den Hafen vor möglichen Überfällen beschützen würde.
Sie nickte beflissen.
„Ach, wir sind zwar ein ruhiges Völkchen, aber auch wir kriegen die Zeitung. Natürlich wissen wir alle wer der junge Herr Doktor ist. Chirurg des Todes oder so nannten sie ihn früher. Aber vor dem Krieg war vieles anders. Wissen Sie, dass mein Mann bei der Marine war? Harte Zeiten, und damals…“
So redete sie weiter und weiter, manches war interessant anderes eher weniger, aber es war ganz offensichtlich, dass die Inselbewohner sowohl Law als auch ihn eher willkommen hießen als alles andere. Das mochte auch daran liegen, dass Ärzte in dieser Gegend eine Seltenheit zu sein schienen, wie Rocinante erfuhr – offenbar waren die meisten vor einigen Jahren von einem windigen Herrscher verpflichtet worden und die wenigsten waren zurückgekommen – sodass, neben der verstorbenen Ärztin und ihrer Tochter, Law nun der einzige Arzt war an den sich die Bewohner der umliegenden Inseln wenden konnten.
Aus diesem Grund waren die Leute wohl eher dankbar, dass ein ehemaliger Pirat mit besonderen Fähigkeiten sich bei ihnen niedergelassen hatte, anstatt Fragen über die Hintergründe zu stellen. Ein jeder schien auch zu wissen, wer Rocinante war, oder zumindest, dass er der Patient war, den Law vor wenigen Tagen hierhergebracht hatte.
Die alte Frau redete viel und Rocinante fragte wenig, hörte ihr aufmerksam zu während er das Städtchen um sie herum betrachtete. Die saubere Straße mit den zurechtgemachten Blumenkübeln. Die teils eleganten, teils protzigen Häuser mit mal mehr, mal weniger Dekor.
Plötzlich blieb er stehen. Sie waren eine ruhige Landstraße entlanggegangen, zur Linken kleine und größere Häuser, umgeben von bunten Gärten, im Hintergrund die Wipfel eines kleinen Waldes, zur Rechten ein kleiner Wall, wohinter man die Wellen rauschen hören konnte, doch am Ende der Straße stand ein einzelnes Haus und dahinter lag das weite Meer.
„Ach, das gehörte den Lesles“, sprach die alte Frau weiter als sie wohl seinem Blick folgte, „ein hübsches Haus nicht war. Aber wie viele sind auch die Lesles nach dem Krieg weggezogen, es steht mittlerweile seit fast einem Jahr leer. So eine Schande.“
Das ist es!
Er wusste nicht woher, aber in seinen Erinnerungen – nein, seinen Tagträumen von dem Danach - da war es genau das Haus gewesen., d,,
„Oh, ich weiß“, meinte die Frau dann plötzlich begeistert, „fragen Sie doch Herrn Tuntun nach den Schlüsseln. Die Lesles werden nicht wiederkommen und Herr Tuntun hat ihr Haus zwar übernommen, aber ihm fehlt die Zeit sich darum zu kümmern. Wenn ich mich nicht irre wohnt der junge Herr Doktor bisher in den Bereitschaftsräumen der Praxis, aber das ist viel zu eng für zwei Leute auf Dauer. Wenn Sie hier wohnen wollen, brauchen Sie ein richtiges Heim, kein Studentenzimmer.“
„Wie bitte?“ Überrascht sah er zu ihr hinab, aber sie lächelte nur freundlich und vielleicht auch ein bisschen wissend.
„Ach, mein lieber Junge. Warum meinen Sie habe ich Sie um Hilfe gebeten? Ich wollte Ihnen das Haus zeigen.“
„Was?“ Ungläubig schüttelte er leicht den Kopf. Hatte er ihr nicht seine Hilfe angeboten und sie hatte zunächst abgelehnt?
„Sie wissen es vielleicht nicht, aber Nannan Paipai ist meine Schwester und sie hat mich schon vor Tagen darum gebeten ein passendes Heim für den jungen Herrn Doktor zu finden. Sie sagte er käme wohl kaum allein zurecht. Ich hatte erst beabsichtigt ihn in einer liebevollen Familie unterzubringen, aber wie ich sehe scheint ein eigenes Haus wohl angebrachter zu sein, wenn Sie beabsichtigen sollten länger zu bleiben, also voila.“
„Was sind Sie? Eine gute Fee?“, lachte Rocinante als sie ihren Weg wieder fortsetzen, zielgerichtet auf ein kleines Häuschen nur wenige Meter entfernt, welches trotz seiner geringen Größe durch den üppigen Garten und die feine Herrichtung beeindruckte.
Die alte Dame lachte ebenfalls und nahm Rocinante ihre Sachen ab.
„Aber nein, mein Lieber. Es hat auch einen ganz egoistischen Grund. Wir wollen, dass es Ihnen hier gutgeht. Es ist ein großes Glück für uns, dass der junge Herr Doktor sich hier niedergelassen hat und Sie scheinen ein sehr freundlicher junger Mann zu sein, den man gerne in seiner Nachbarschaft hätte.“ Dann deute sie auf ein altes aber gut erhaltenes Haus neben dem leerstehenden. „Dort wohnt Herr Tuntun, ich habe ihn schon vorgewarnt, dass Sie kommen könnten. Also wenn Sie noch einen Moment Zeit haben, gucken Sie es sich ruhig an.“
Sie zwinkerte ihm zu und verabschiedete sich. Verwundert beobachtete er die alte Dame, wie sie den schmalen Pfad aus hellem Kies zu ihrem Heim nahm, dort die augenscheinlich unverschlossene Haustüre öffnete und dann in die Tiefen des Hauses verschwand, deutlich gewandter als er ihr zuvor zugetraut hätte. Noch einen Moment betrachtete er das kleine Häuschen mit den bunten Blumenkästen und den hellen Kies, ehe er sich kopfschüttelnd zum Gehen wandte.
Aller Logik zum Trotz ging Rocinante auf den wahnwitzigen Vorschlag ein.
Am vergangenen Tag erst war er in dieser Zeit aufgewacht, hatte dem erwachsenen Law gegenübergestanden. Vor wenigen Stunden erst hatten sie entschieden, was die nächste Zukunft bringen sollte, und jetzt sollte er sich ein Haus angucken, was der Klüngel des Dorfes schon mehr oder minder für sie ausgesucht hatte?
Er würde gerne sagen, dass er nicht auf so leichte Manipulation hereinfallen würde, aber die anderthalb Zimmer, in denen er die jüngste Zeit verbracht hatte, waren für Law allein schon eng, für Rocinante waren sie winzig, und dieses Haus…
Es erinnerte ihn wirklich an seine Tagträume und auch wenn diese nicht mehr Realität werden konnten, so war die Vorstellung, hier so nahe dem Meer, dem Strand, auf einer friedlichen Insel mit netten – wenn auch leicht aufdringlichen – Nachbarn, zusammen mit Law in diesem Haus zu wohnen alles was er sich wünschen konnte, und er war noch nicht mal drinnen gewesen.
Also ging er zum Haus des Nachbarn, der tatsächlich auch schon auf ihn gewartet hatte und ihm den Schlüssel mit dem Hinweis reichte, dass Rocinante den Schlüssel nur zurückgeben sollte, wenn er das Haus nicht wolle.
Es war ein seltsames Gefühl, wie die Leute ihn hier behandelten, so freundlich und so zuvorkommend; die Dinge passten fast zu gut ineinander und Rocinante hatte große Schwierigkeiten es einfach als glückliche Fügungen zu akzeptieren, viel wahrscheinlicher schien ihm eine Falle.
Die Menschen hier schienen gut informiert über die Geschehnisse der Welt zu sein, außerdem sprachen sowohl die Preise der Waren am Markt als auch die Häuser und die Kleidung ihrer Bewohner dafür, dass die Bürger dieser Insel – oder zumindest dieses Dorfes – eher zur wohlhabenden Kategorie gehörten. Dem widersprach jedoch, dass Rocinante noch nicht einen Polizisten, Wachstelle oder andere Form der Gefahrenabwehr gesehen hatte, und für solche Dinge hatte er ein Auge. Dies bedeutete, dass diese Insel entweder so weit abgelegen von jeglicher Zivilisation lag, dass die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Begegnung mit Piraten einfach sehr gering war, oder aber, dass sie einem mächtigen Knotenpunkt sehr nahe lagen, dessen schützende Hand selbst über diese friedliche Insel reichte.
In Anbetracht des Wohlstands vermutete Rocinante letzteres, dies ließ jedoch die Frage offen, warum eine zentralgelegene, wohlhabende Insel mit gutmütigen Bewohnern Probleme haben sollte einen vernünftigen Arzt zu finden. Es schien beinahe unwahrscheinlich, dass eine gut betuchte Bevölkerung wohl wissentlich einen ehemaligen Piraten mit zweifelhaftem Ruf bei sich aufnehmen würde, geschweige denn willkommen heißen würde.
Nein, je länger Rocinante darüber nachdachte, desto misstrauischer wurde er, was diese Leute in Wirklichkeit von Law wollten. Gleichzeitig wollte er sich von den Jahren der Spionage, der Zeit bei seinem Bruder, nicht kontrollieren lassen. Law hatte ihm gesagt, dass er diese Welt hinter sich gelassen hatte, aber Rocinante selbst war bis gestern noch ein Teil davon gewesen.
Vielleicht waren die Leute hier einfach gutmütig und wohlgesonnen, oder aber sie waren einfach an einen sehr hohen Anspruch gewöhnt, den nur wenige Ärzte neben Law erfüllen konnten, vielleicht war das für sie Grund genug, über seine Vergangenheit hinwegzusehen. Vielleicht betrachteten manche von ihnen Law sogar als Helden, schließlich hatte er damals im Großen Krieg vor zwei Jahren mitgekämpft und die Hoffnung einer besseren Zukunft verteidigt.
Rocinante entschied seine Zweifel zunächst zur Seite zu schieben und an den guten Willen der Inselbewohner zu glauben.
Er wollte dieses ruhige Leben, auf einer friedlichen Insel, wo das einzige Problem die nervigen Nachbarn sein würden, aber dennoch konnte er nicht so einfach seine Gefühle ignorieren. Rational mochte er akzeptieren können was passiert war, aber emotional musste er sich eingestehen, dass er noch nicht auf dieser Insel angekommen war, mit der Möglichkeit auf ein friedliches Leben, zumindest für ein paar Monate, mit Law, der nun nicht mehr ein Kind war, sondern ein erwachsener Mann, der mitten im Leben stand.
Mental mochte Rocinante den Bürgern vertrauen wollen, aber die Anspannung steckte ihm trotzdem in den Knochen, während er die drei Stufen zur Haustüre hinaufstieg. Doch das alles war vergessen, als Rocinante den Schlüssel herumdrehte und die Tür öffnete.
Ein heller Eingangsbereich mit hohen Decken und weiten Fenstern begrüßten ihn. Die Fenster gaben Blick auf eine große Terrasse und dahinter auf das weite, ruhige Meer, auf dem er mit Law für Monate unterwegs gewesen war. Bis auf eine mit einem verstaubten Laken verhangene Kommode war der Raum leer. Langsam setzte er die Taschen ab und trat herein. Die Decke war hoch genug, um Kronleuchter hinabhängen zu lassen, selbst die Türen schienen recht ausladend gebaut, sodass Rocinante sich nicht hindurchbeugen musste und wie der Riese vorkam, der er sonst in den meisten Häusern war. Frau Paipai und ihre Schwester schienen ein gutes Auge für solche Dinge zu haben.
Die angrenzende Küche war ausladend angefertigt worden, wie für einen Menschen, der nach Möglichkeit jede freie Minute hier verbringen wollte. Von der Küche aus kam man in einen offenen Raum, der wohl das Esszimmer darstellen konnte. Auch hier war die Wand zum Meer komplett durch Fenster ersetzt und durch eine gläserne Tür erreichte Rocinante schließlich auch die knarzende Terrasse.
Hier blieb er stehen und genoss das Rauschen der Wellen, den Geruch des Salzwassers. Er fühlte sich seltsam, konnte kaum in Worte fassen, was in ihm vorging. Seine Gefühle verwirrten ihn, seine Rationalität ließ ihn im Stich. Die Situation überforderte ihn, vorgestern war er noch durch den kalten Schnee gewatet, hatte sich um Laws Leben gesorgt, sich der schweren Schuldgefühle auf seinen Schultern über die verworfene Mission wohlbewusst, hatte sich stets gefragt, wann er den hasserfüllten Blick seines Bruders auf sich ziehen würde und wann all diese Lügen ein Ende haben würden. Er hatte sich gefragt, wie lange er still sein musste, nicht sein durfte wer er war und als er endlich sein Schweigen gebrochen hatte…
Langsam zog er Schuhe und Socken aus, ging die fünf Stufen am Ende der Terrasse hinab, fühlte wie sich seine nackten Füße in den nassen, kalten Sand gruben, und nur wenige Schritte später streifte das Meerwasser seine Knöchel.
Leise Tränen bahnten sich ihren Weg.
Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal im Meer gestanden hatte, ohne dass dieses erdrückende Gefühl der Kraftlosigkeit ihn übermannt hatte, aber alles was er jetzt wahrnahm, war ein seltsames Gefühl der Reinheit. Mit jeder Welle schien etwas der Dunkelheit aus seiner Seele gewaschen zu werden.
Es war vorbei!
Sein Bruder war gestoppt worden, seine Machenschaften beendet, die Welt von seiner Gier befreit.
Rocinante musste nicht mehr kämpfen.
Er würde für die Dinge der Vergangenheit die Verantwortung übernehmen, aber er musste nicht mehr kämpfen.
Wie seine Eltern es sich gewünscht hatten, konnte er nun endlich das friedliche Leben eines ganz normalen Menschen führen, nicht auf der Flucht, nicht unter falscher Identität, nicht mit Geheimnissen umgeben. Aber dafür mit Law an seiner Seite. Den Jungen, den er damals aufgenommen hatte, vor der Dunkelheit hatte beschützen wollen, der aber letzten Endes ihn vor seiner eigenen Dunkelheit bewahrt hatte, vor dieser ewigen Stille bewahrt hatte.
Er watete tiefer ins Wasser, ließ zu, dass die Wellen seine Hose durchnässten, bis er schließlich knietief im Meer stand, mit jedem Schritt schien er leichter zu werden anstatt schwerer, freier, befreiter. Seinen Tränen wurden Teil des Meeres, das ihn umarmte, während er sein verschwommenes Spiegelbild in den Wellen betrachtete.
Er würde keine Schminke mehr brauchen, um sich zu verstecken, musste nicht mehr schweigen, um seine wahren Empfindungen zu verbergen. Law war in der Lage ganz aufrichtig mit ihm zu sprechen und mit ein bisschen Übung würde er das auch schaffen. Mit ein bisschen Übung würde er es schaffen den Jungen Law loszulassen, den er beschützen musste vor dessen eigenen aber auch vor Rocinantes Abgründen. Mit ein bisschen Übung würde er dem Erwachsenen Law erlauben können sich von ihm über seine eigenen Abgründe hinweghelfen zu lassen. Rocinante war nun nicht mehr allein mit dieser Last, zumindest wenn er wollte.
Wenn er es zulassen würde, musste er seine Dämonen nicht allein besiegen, er konnte hier, an diesem friedlichen Ort, mit Law ein friedliches Leben führen und einander dabei helfen von ihren alten Wunden zu heilen.
Es stimmte, was Rocinante Law am vergangenen Morgen erzählt hatte, sein Leid schien ihm im Verhältnis zu alledem, was Law hatte durchstehen müssen, unverhältnismäßig klein, und doch… auch er hatte gelitten, all die Jahre, all die Jahre bevor er Law kennen gelernt hatte, und die Zeit, in der er Law hatte leiden sehen müssen, nicht in der Lage gewesen war ihn zu retten, weder vor der Krankheit, die sein Leben bedroht hatte, noch vor der Dunkelheit in seinem Herzen.
Doch all das war nun vergangen, er hatte eine zweite Chance erhalten, in einem neuen Leben, an einem neuen Ort, fernab von all den Dingen, die er hasste, die ihn schmerzten, aber bei Law, mit dem er endlich auf Augenhöhe war, denn nun war Law nicht mehr der Junge, den er vor der Dunkelheit bewahren musste, sondern ein erwachsener Mann, der sich ihr selbst erwehren konnte.
War es naiv zu glauben, dass sie einfach glücklich sein konnten? Vielleicht.
War es anmaßend, dass er für einen Moment ignorierte, dass Laws Gefühle für ihn so anderer Natur waren als seine eigenen und dass er dennoch ein einfaches Leben hier mit ihm führen wollte? Vermutlich.
War es ungerecht und unverdient, dass er nach alledem was er getan hatte hier nun sein Glück finden konnte, geleitet von Menschen, die viel zu freundlich zu jemandem wie ihm waren? Höchstwahrscheinlich.
War es egoistisch, dass er wollte, dass Law bei ihm blieb, obwohl er nun sein eigenes Leben führen konnte und nicht mehr auf Rocinante angewiesen war? Absolut.
Und trotzdem, trotz allem, trotz all den Zweifeln, all den Gewissensbissen, all der Schuld und der Ungewissheit, trotz allem, war sich Rocinante ganz sicher.
Hier, in diesem Haus, auf dieser Insel, wollte er mit Law ein einfaches, bescheidenes Leben führen und vielleicht, nur vielleicht, konnte dieser Traum auch Wirklichkeit werden.
Mit diesem Gedanken entschied er zurück an Land zu gehen, drehte sich um genau in dem Moment, als die nächste Welle kam, und verlor das Gleichgewicht.
Kapitel 7 – Heim
„Was ist denn mit dir passiert?“
Law saß am mit Büchern beladenen Schreibtisch und las die Zeitung, nun jedoch sah er auf als Rocinante zur Türe hineinkam.
„Ich habe ganz offensichtlich verlernt, wie man schwimmt“, entgegnete er missmutig und schloss die Tür hinter sich, obwohl er sich nicht einmal sicher war, ob er es je wirklich gekonnt hatte.
„Du warst im Meer?“, fragte Law mit hochgezogener Augenbraue nach.
Er nickte nur knapp und ging dann am anderen vorbei, um seine Einkäufe wegzuräumen.
„Ich habe mich schon gewundert, wo du bleibst“, murmelte Law, dessen Schritte Rocinante bedeuteten, dass er ihm wohl ins angrenzende Zimmer folgte. „Die Sonne geht schon fast unter, du warst lange weg, zu lange für einen kleinen Einkauf.“
Ich habe mir Sorgen gemacht.
Obwohl Law die Worte nicht sagte, schwangen sie dennoch durch die Luft, ermahnten sie beide, dass diese neue Normalität noch lange nicht erreicht war.
„Ich war nicht nur einkaufen“, entgegnete Rocinante und reichte Law einen der Körbe.
„Das habe ich schon verstanden“, meinte Law und räumte die Sachen ein, „du warst im Meer, samt Klamotten. War das Absicht?“
Die letzte Frage war trotz des trockenen Untertons ganz offensichtlich eine Stichelei und Rocinante entschied sie zu ignorieren, während er den Kühlschrank schloss, zu den Spinden ging und begann sich auszuziehen. Seine Klamotten waren immer noch feucht und verdreckt von Salz, Sand und Schlamm.
Es hatte ihn deutlich mehr Zeit und Anstrengung gekostet sich aus den Fängen des Meeres zu befreien als er Law gegenüber zugeben würde. Tatsächlich hatte er komplett verlernt wie man schwamm und jede neue Welle und der einsackende Untergrund hatten es ihm erschwert. Als er es endlich an Land geschafft hatte, war er erstmal auf dem Boden zusammengesackt und hatte nach Luft gekämpft. Anscheinend war er immer noch etwas angeschlagen von dem jahrelangen Koma, zumindest wollte sein Stolz diese kleine Ausrede glauben.
„Ich geh mich duschen“, murmelte er unzufrieden und rieb sich durchs sandige Haar.
„Cora.“
Er wandte sich um. Law stand zwischen halbausgepackten Körben und Taschen und sah ihn ernst an.
„Was ist passiert? Du benimmst dich seltsam. Ist alles in Ordnung?“
Ich habe mir Sorgen gemacht.
Schon wieder. Er konnte es diesen grauen Augen, diesen ernsten Falten und dem schmalen Mund ansehen. Law machte sich Sorgen um ihn. Erst weil er zu spät zurückgekommen war und nun weil er sich ganz offensichtlich ungewöhnlich benahm.
Es tat weh. Er wollte nicht, dass Law sich um ihn Sorgen machen musste. Er wollte, dass Law nicht nur ihm vertraute, sondern auch darauf vertraute, dass Rocinante unverletzt zurückkommen würde, aber natürlich konnte er das nicht. Denn das letzte Mal, als Law auf ihn gewartet hatte, hatte er Rocinante fast verloren.
Es stimmte, dass Rocinante nicht gut gelaunt war, doch er wusste nicht genau, woran es lag. Natürlich war der Misserfolg im Meer nicht gerade eine Erheiterung – insbesondere weil er die Sachen, die Law sorgsam für ihn besorgt hatte, verdreckt hatte – aber es war auch nicht genug, um sein Glück zu schmälern.
Nein, er wusste, warum er sich so seltsam benahm, hatte es schon auf dem Rückweg gewusst, schon auf dem Markt, schon im Aufenthaltsraum, schon in der vergangenen Nacht.
Zwar hatte Law ihm gesagt, dass er bei Rocinante sein wollte, aber jetzt, da Law gesund und erwachsen war, jetzt da sein Bruder besiegt und unschädlich gemacht worden war, welche Berechtigung hatte er dann noch an Laws Seite zu bleiben neben seinen eigenen egoistischen Gefühlen?
Im Gegensatz zu seinem ehemaligen Schützling hatte er nichts gelernt, mit dem sich auf ehrliche Art Geld verdienen ließ. Alles, was er konnte war das, was ihm als Soldat beigebracht wurde, was sein Bruder ihm beigebracht hatte, aber ihm fehlte jegliches Wissen darüber, wie man ein normales Leben führte.
All das hatte er die letzten Stunden ignoriert, zum Wohle Laws, aber nun, da er nicht mehr für Law Entscheidungen treffen brauchte, in ihm ein Gegenüber hatte, da brachen diese Zweifel über ihn ein wie die Wellen vor nicht allzu langer Zeit.
Ihm wurde bewusst, dass Law ihn immer noch ausdruckslos betrachtete, und dann wurde ihm bewusst, dass er bis auf die Unterhose ausgezogen im Raum stand, und verschränkte schnell die Arme, merkte wie seine Ohrenspitzen warm wurden.
Er wusste nicht, wie er es ansprechen sollte. Er wollte Law weder etwas vorwerfen noch ihn verunsichern, er wollte Law einfach nur glücklich wissen.
„Du sagtest“, sprach er schließlich, „dass es dich glücklich machen würde, wenn wir beide ein friedliches Leben führen könnten, nicht wahr?“
Law nickte, die Augen zu konzentrierten Schlitzen verengt, als würde er mit einem Kampf rechnen.
„Darüber habe ich viel nachgedacht“, fuhr Rocinante fort. „Ich habe mich gefragt, wie das möglich sein soll. Ich kann kaum erahnen, was du in den letzten Jahren alles hast durchmachen müssen, aber ich weiß, dass du dich nach einem friedlichen, ruhigen Leben sehnst und dich deshalb hier niedergelassen hast.“
Law öffnete den Mund, doch Rocinante sprach weiter, während er versuchte seine Gedanken zu ordnen: „Das Problem für mich jedoch ist, dass…“ Er unterbrach sich und schüttelte den Kopf. „Nein, es ist kein Problem. Das was du dir wünschst ist genau das, was ich auch möchte, Law. Aber bis gestern war ich noch nicht da, verstehst du? Bis gestern war ich noch ein Soldat, ein Spion, habe versucht dich zu beschützen und zu retten, ständig auf der Flucht. Bis gestern warst du noch der kleine, kranke Junge, dem ich nicht die ganze Wahrheit sagen konnte, aus Angst, auf den ich Rücksicht nehmen musste, und den ich nicht mit meinen Problemen belasten wollte. Bis gestern war die ganze Welt noch unser Feind und hinter jeder Tür, hinter jedem Lächeln konnten sich mir noch unbekannte Gefahren verstecken. Bis gestern war jegliche Vorstellung von Frieden nicht mehr als ein naiver Tagtraum für mich, Law.“
Für einen Moment sah er den anderen ernst an, welcher mittlerweile den Mund wieder geschlossen hatte und seinen Blick einfach nur erwiderte.
Rocinante tippte sich leicht gegen die Schläfe.
„Hier ist mir bewusst, dass diese Tage nun endlich vorbei sein können. Aber hier…“ Nun legte er die Hand auf seine nackte Brust. „…hier warte ich immer noch darauf, dass mein Bruder jeden Moment durch die Tür kommt, ich mich verrate und dich verliere.“
Law schwieg und sah ihn einfach nur an.
„Ich habe dir heute Morgen schon gesagt, dass diese Situation zumindest ungewohnt für mich ist, ich werde mich erst an all das hier gewöhnen müssen. Nicht nur, an die Zeit, die vergangen ist, nicht nur daran, dass du nun erwachsen bist, sondern auch an dieses neue, mir nun unbekannte Leben.“ Er zögerte einen Moment, doch entschied es einfach auszusprechen. „Aber das kann ich nicht, wenn ich mich nutzlos fühle und den lieben langen Tag darauf warte, dass du von der Arbeit kommst. Du weißt, ich würde alles für dich tun, aber ich bin noch nicht so weit nichts – überhaupt nichts – zu tun.“
Langsam nickte Law und verschränkte dann die Arme.
„In Ordnung. Ich verstehe, dass all das sehr plötzlich für dich kommt und du nicht einfach so mit der Vergangenheit abschließen kannst, dafür ist sie für dich noch viel zu präsent. Ich erwarte auch nichts von dir, ich möchte einfach nur bei dir sein und dass du glücklich bist. Also was bedeutet das? Was hast du vor?“
„Ich brauche eine Aufgabe“, gestand er nun schließlich ein, „genau wie du. Aus diesem Grund hast du dich hier niedergelassen, und ich brauche auch etwas, was ich tun kann. Ich brauche dich nicht mehr zu beschützen und wenn du hierbleiben möchtest, werde ich noch nicht zur Marine zurückkehren, aber ich brauche eine Aufgabe.“
Erneut nickte Law.
„Es muss nichts besonders Wichtiges sein, weißt du. Ich muss nicht Leben retten, aber ich habe nicht vor jeden Tag hier in diesem Zimmer darauf zu warten, dass du nach Hause kommst.“
„Du möchtest Arbeiten gehen?“, fragte Law nun und zog eine Augenbraue hoch. „Das musst du doch nicht mit mir absprechen, Cora, und du brauchst dich auch nicht vor mir zu rechtfertigen. Ich…“
„Das ist es nicht“, winkte er ab und seufzte leise. Anscheinend war er dieses Gespräch völlig falsch angegangen. Er hatte sich bemüht zu zeigen, dass er Law als Erwachsenen sah und hatte ihm seine Gedanken mitgeteilt, aber darüber hatte er ganz vergessen, was er eigentlich hatte ansprechen wollen.
„Was ist es dann?“
Als Antwort bückte er sich nach der nassen Hose und zog den Schlüssel hervor.
„Ein Haus.“
„Ein was?“ Nun schien Law doch verwirrt.
„Die Dorfbewohner scheinen sehr dankbar darüber zu sein, dass du da bist und nach dem Krieg sind hier wohl einige Familien weggezogen, sodass einige Häuser leer stehen.“
Er konnte dem anderen das Misstrauen ansehen, welches er auch gefühlt hatte, als er den Schlüssel erhalten hatte. Law schien nicht zu verstehen, worauf er hinauswollte.
„Die ganze Insel scheint über uns zu reden und es scheint ihnen wichtig zu sein, dass du dich hier wohl fühlst und nicht wieder gehst. Deshalb haben sie mir heute ein Haus angeboten, welches wir übernehmen könnten, in dem wir leben könnten.“
Nun weiteten sich Laws Augen in Verwunderung und Rocinante entschied ein für alle Mal sein eigenes Misstrauen und seine eigenen Zweifel zu ignorieren, zumindest für diesen einen Moment.
„Law, ich möchte, dass wir dort hinziehen“, sagte er nun endlich, was er von Anfang an hätte sagen sollen. „Es ist ein schönes Haus, direkt am Meer, und ein kleiner Pfad führt durch den Wald direkt hierher, es sind keine zehn Minuten. Die Schwester von Frau Paipai hat es ausgesucht. Es muss einiges dran getan werden, aber die Decken und Türen sind hoch und es sind noch einige Möbel da. Ich könnte daran arbeiten während du in der Praxis bist, ein paar Reparaturen werde ich schon hinkriege. Das Dach ist jedenfalls dicht und die Nachbarn haben mir schon ihre Hilfe angeboten. Außerdem…“
„Okay, okay“, unterbrach Law ihn mit einem halben Lachen und hatte beruhigend beide Arme gehoben. „In Ordnung.“
Sein breites Lächeln beflügelte Rocinante als ihm bewusstwurde, wie wichtig es ihm war. Noch mehr jedoch überraschte ihn, wie einfach sich dieses Gespräch anfühlte und wie schnell Law zugestimmt hatte.
„Ich bezweifle zwar wirklich, dass du der geborene Handwerker bist“, meinte dieser dann mit einer Seriosität die Rocinante wundern ließ, ob er ihn neckte oder nicht, „aber die Vorstellung mit dir in ein Heim zu ziehen macht mich sehr glücklich. Also ja, wenn du das möchtest, dann in Ordnung. Lass uns dieses alte Haus herrichten.“
Das war beinahe zu einfach gewesen.
„Du hast es noch nicht mal gesehen?“
„Das brauche ich nicht“, entgegnete Law mit einem Schulterzucken. „Wenn es dir gefällt, dann ist es für mich Grund genug mit dir dorthin zuziehen.“
Dann wandte der andere sich wieder den Einkäufen zu.
„Außerdem habe ich selbst auch schon darüber nachgedacht, dass die Räumlichkeiten hier für dich alles andere als ausreichend sind. Für mich mögen sie groß genug sein, aber wenn du die ganze Zeit gebückt rumläufst oder dich auf zu kleine Möbel quetschst, könnten Fehlbil… Was ist denn das?“
„Nein, Law, warte!“
Doch er war schon zu spät. Law hatte das kleine Paket ausgewickelt und hielt nun die Tabakdose in der Hand, die Rocinante eigentlich hatte verstecken wollen.
„Law, ich weiß, du denkst mit Sicherheit…“
Er unterbrach sich, als Law die Dose aufmachte und tief einatmete, ein seltsam sanftes Lächeln auf den Lippen.
„Es riecht nach dir, Cora“, murmelte Law und sah auf. „Das ist der Geruch aus meiner Kindheit.“
Langsam trat er auf den anderen zu und nahm ihm die Dose aus der Hand.
„Ich sollte wohl eigentlich aufhören zu rauchen, nicht wahr?“, murmelte er und betrachtete sein Suchtmittel. „Als Arzt und nachdem du mir auch noch ein zweites Leben geschenkt hast, wirst du es wohl kaum gutheißen können, wenn ich meine Lunge weiterhin schädige.“
Law sah zu ihm auf und legte dann eine Hand auf Rocinantes Brust.
„Room“, flüsterte er und ein seltsames Gefühl erfüllte Rocinante. Er konnte es nicht genau beschreiben, es war unangenehm, aber nicht schmerzhaft.
„Noch einen Moment“, murmelte Law, augenscheinlich hochkonzentriert, während tausende kleinste elektrische Ladungen durch Rocinantes Körper zu jagen schienen, ausgehend von Laws Hand auf seiner nackten Brust.
Dann flauten das seltsame Gefühl und die elektrische Spannung in seinem Körper ab und Law nahm seine Hand weg.
„Solange es in meiner Macht steht, werde ich nicht zulassen, dass irgendetwas oder irgendwer deiner Gesundheit schadet.“ Law wandte sich ab und fuhr mit dem Wegräumen fort. „Für mich musst du dich nicht ändern, Cora. Wenn du aufhören willst zu rauchen, dann hör auf, wenn nicht, dann nicht.“
„Was hast du gerade getan?“, murmelte Rocinante und strich über die Haut, die Law gerade noch berührt habe.
„Ich habe deinen Körper von Schadstoffen befreit. Natürlich nicht vollständig, eine Reinigung auf molekularer Ebene ist deutlich aufwändiger, aber in ein bis zwei Stunden solltest du einen Unterschied in den Atemwegen merken.“
„Danke, Law.“ Es war seltsam. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, aber…
„Du brauchst dich nicht zu bedanken. Ich habe diese Kräfte nur dank dir, daher werde ich sie auch für dich nutzen.“ Law wandte sich ihm mit einem halben Lächeln zu. „Wolltest du nicht duschen gehen?“
Eine halbe Stunde später wartete Law mit einem simplen Abendessen auf ihn. Nachdem Rocinante sich etwas angezogen hatte, verbrachten sie einen ruhigen Abend mit leisen Gesprächen. Rocinante erzählte von seinen Erlebnissen auf den Markt und Law von seiner Arbeit. Für diesen Abend schien das Leben normal zu sein, für diesen Abend schien alles wie es sein sollte, die verlorenen Jahre und das fremde Leben unwichtig. Für diesen Abend schien es wie früher ohne, dass es wie früher war.
„Frau Paipai hat mich überredet, mir morgen Nachmittag frei zu nehmen. Du könntest mir das Haus zeigen.“
„Das hört sich nach einem guten Plan an.“
„Cora?“
Er sah auf. Law hatte den Kopf leicht geneigt und sah ihn wieder gewohnt ernst an.
„Du hast noch keine einzige Frage gestellt, heute Abend. Du musst dir keine Gedanken machen. Ich werde sie dir beantworten.“
Natürlich, Law hatte es bemerkt.
„Meine Fragen können warten, Law“, meinte er schließlich, „um ehrlich zu sein, wollte ich einfach nur diesen Abend genießen. Die Vergangenheit wird mich früh genug einholen, heute Abend sollte es einfach so sein wie früher.“
Law stand auf und begann abzuräumen.
„Es ist nicht wie früher“, murmelte er nach einem Moment was Rocinante ihm selbst erst am Morgen prophezeit hatte.
„Nein, das ist es nicht.“
„Und irgendwie bin ich da ganz dankbar drum.“
Überrascht sah Rocinante auf.
„Früher hast du anders mit mir gesprochen oder eher, du hast nicht alles gesagt, was du sagen wolltest. Du hast immer versucht mich aufzuheitern und zum Lachen zu bringen, du hast mich beschützt.“ Law sah ihn aus den Augenwinkeln an. „Heute Abend ist schön. Wenn das die Zukunft ist, dann ist sie mir lieber als die Vergangenheit.“
„Wenn du willst, dann ist das hier die Zukunft.“ Rocinante erhob sich und half dem anderen beim Abräumen. „Wenn du willst werden viele Abende so sein, wie dieser hier.“
Wieder lächelte Law, dieses Lächeln, welches Rocinante nie wieder hergeben wollte, nie wieder riskieren wollte. Es stimmte, Law war erwachsen geworden, hatte vieles in der Welt gesehen und war seriöser und berechnender geworden, aber er war immer noch Law und sogleich war er doch so viel mehr geworden.
„Ich glaube“, murmelte Rocinante und betrachtete den leeren Teller in seiner Hand, „ich kann den erwachsenen Law sehr gut leiden.“
Law schien in seinen Bewegungen zu verharren.
„Ich glaube, ich bin jetzt bereit, dich wirklich kennen zu lernen.“
Der andere drehte sich zu ihm um.
„Das war keine Frage“, meinte Law nur.
„Ich werde dir keine Fragen stellen. Ich werde dir zuhören, egal, was du mir von dir erzählen willst und was nicht.“
„In Ordnung“, entgegnete Law und nahm ihm den Teller aus der Hand, „aber dafür wirst du mir alles erzählen, was du mir damals nicht sagen konntest.“
Er ging zum Spülbecken ohne Rocinante anzusehen.
„Wenn du den erwachsenen Trafalgar D. Water Law kennen lernen willst, dann will ich den Fregattenkapitän Don Quichotte Rocinante kennen lernen.“
„Es könnte eine lange Nacht werden.“
„Ich setzte Kaffee auf.“
Und so begann das Gespräch, welches sie beide gefürchtet und erwartet hatten. Für Stunden saßen sie auf dem Sofa neben der Teleschnecke mit dem Strohhut im dämmrigen Licht während Law seinen Kaffee trank und Rocinante seine Zigaretten rauchte.
Rocinante machte den Anfang. Einen Arm auf der Rückenlehne ausgestreckt, die Zigarette in der anderen Hand und den Blick auf die alten Holzbalken an der Decke gerichtet.
Er sprach von seiner Kindheit, von seinen Eltern, seinem Bruder und den anderen Menschen. Er sprach davon wie seine Mutter starb, wie sein Bruder seinen Vater umgebracht hatte und wie Sengoku ihn gefunden hatte. Er sprach davon wie er ab seinem achten Lebensjahr zum Soldaten ausgebildet worden war, von den schönen und den schlimmen Zeiten in der Marine und wie er auf Sengokus Auftrag hin nach 14 Jahren zu seinem Bruder zurückgekehrt war, nicht um ihn zu unterstützten, sondern um ihn eines Tages aufzuhalten. Er sprach davon, wie er ein Jahr später Law kennen lernte und von der inneren Trauer, die das Leiden des Jungen in ihm hervorgerufen hatte. Er sprach von all diesen Dingen, die in ihm vorgegangen waren, als er Law für über zwei Jahre stillschweigend beobachtet hatte und von der Freiheit und dem Glück, welches er erfahren hatte als er und Law für sechs Monate die Welt bereist hatten, verfolgt von Tod, Verrat und Geheimnissen. Er sprach von den illusorischen Hoffnungen, die er für die Zukunft gehabt hatte und von dem Moment, als er endlich die Wahrheit gesagt hatte.
Er wusste nicht, wie spät es war als er endlich geendet hatte, aber das war auch nicht wichtig. Nachdem er geendet hatte, war Law lange Zeit ruhig gewesen, hatte wortlos in seine Tasse gestarrt, sie dann irgendwann leergetrunken und dann hatte er zu reden begonnen. Die Arme auf den Knien abgestützt und seine leere Tasse umklammernd, vorgebeugt und mit Blick auf den Boden.
Auch Law sprach von seiner Kindheit, von seinen Eltern, seiner Schwester und den anderen Menschen. Er sprach davon wie die Soldaten aus den Nachbarländern seine Familie und seine ganze Heimat ausgelöscht hatten. Er sprach von dem Hass, der ihn erfüllt und ausgemacht hatte, ihn bis zu de Flamingo und endlich zu einem Ort gebracht hatte, wo er seinen Hass hatte ausleben können. Er sprach von der Zeit, bevor er Rocinantes Geheimnis gekannt hatte und von der Zeit danach. Er sprach von dem Glück und der Heimat die er gefunden und die de Flamingo ihm dann wieder genommen hatte. Er sprach von der Rache, die er hatte ausüben wollen und dem Schwur alles in Rocinantes Namen zu tun, um dessen Bruder aufzuhalten. Er sprach davon, wie er Freunde und Wegbegleiter fand auf seiner Reise, doch die trotz all ihrer Freundlichkeit und Wärme nicht das Loch in seiner Brust hatten füllen können. Er sprach von den Machenschaften der Welt, in die er sich begeben hatte, um seinen Schwur zu erfüllen und dem Moment als er es endlich geschafft hatte. Er sprach von der Zeit, als die Geschehnisse der Welt sich überschlugen und er jeden Tag damit gerechnet hatte – darauf gehofft hatte – dass dies sein letzter Tag sein würde. Er sprach von dem Moment, als die Welt endlich stehen geblieben war und ihn diese illusorischen Hoffnungen für eine Zukunft erfüllt hatten, und er sprach von dem Moment als Rocinante endlich aufgewacht war, ihn endlich erkannt hatte, zu ihm zurückgekehrt war.
Danach waren sie lange Zeit still. Nur als Rocinantes Hemdärmel Feuer fing unterbrachen sie ihr Schweigen kurz, doch mit Laws beeindruckenden Fähigkeiten war selbst dies nicht mehr als ein Augenrollen wert.
Nun saßen sie wieder da, Rocinante den Blick nach oben gerichtet während Law den Boden anstarrte.
Er wusste nicht worüber der andere nachdachte, aber er selbst war überwältigt von all den Dingen, die während seines jahrelangen Schlafes passiert waren, von all den Dingen, die er verpasst hatte, von dem Mann, der Law in seiner Abwesenheit geworden war. Trotz allem was Law getan hatte, trotz der Last seiner Taten, die er sein ganzes Leben lang nun tragen musste.
„Ich bin wirklich stolz auf dich“, murmelte Rocinante schließlich der Decke entgegen, „so stolz auf dich.“
Law entgegnete nichts, verharrte in seiner Position, sein Gesicht in den Schatten des dämmrigen Lichts verborgen, wie Rocinante aus den Augenwinkeln sehen konnte.
„Als ich meine Mission übernahm war die Aufgabe eine eindeutige: So viele Informationen über meinen Bruder herausfinden, dass wir ihn aufhalten – ausschalten – können, bevor er in seinem Wahn die Welt ins Chaos stürzt.“ Rocinante seufzte. „Aber die Wahrheit ist, lange – viel zu lange – hatte ich diese kleine Hoffnung, dass ich ihn irgendwie doch würde retten können. Mir war bewusst, wie dumm diese Hoffnung war, mir war bewusst, dass ich ihn verloren hatte, aber bis zum Schluss, als er vor mir stand… Trotz allem wollte ich an den letzten Funken Licht in der Dunkelheit meines Bruders glauben.“
Immer noch schwieg Law und Rocinante fühlte die Last auf seinen Schultern.
„Hätte ich mich nicht von meinen Gefühlen verleiten lassen, wäre ich der erste gewesen, der geschossen hätte, dann wäre all das hier nicht passiert. Du hast dir die Last meines Versagens aufgebürdet und hast meinen Bruder zu Fall gebracht, ohne seiner oder deiner eigenen Dunkelheit zu verfallen. Du bist viel stärker als ich es je war und auch wenn es mich mit Demut füllt, so bin ich doch auch stolz auf den Mann, der du geworden bist, trotz meines Versagens.“
Die letzte Asche fiel auf seine Finger als die Zigarette in seiner Hand ganz hinuntergebrannt war.
„Von Anfang an hatte ich gedacht“, sprach nun Law schließlich mit heiserer Stimme, „ich dachte, dass der Schmerz in meiner Brust weniger werden würde, wenn ich deinen Willen ausgeführt hätte. Solange ich deinem Bruder nachstellte hatte ich das Gefühl, dass du irgendwie bei mir wärest, mir nahe wärest und ich dachte, wenn ich ihn töten würde, dann würde der Schmerz endlich aufhören.“
Rocinante betrachtete den anderen, der sich immer noch nicht bewegte.
„Als ich ihm gegenüberstand, da wollte ich ihn wirklich töten, ich wollte das tun was du nicht tun konntest, weil er dein Bruder ist. Aber ich konnte es nicht. Nicht, weil ich an das Gute in ihm geglaubt hatte, sondern einfach, weil ich zu schwach war, weil ich ihn nicht besiegen konnte, obwohl ich wollte.“
Nun endlich neigte Law leicht den Kopf und sah zu ihm hinüber.
„Du bist nicht schwach, Cora, du bist gütig. Selbst in deinem Bruder hast du diesen Hoffnungsschimmer sehen wollen und das, obwohl du gesehen hast, wie er euren Vater getötet hat. Ich bin froh, dass du deinen Bruder nicht umbringen konntest.“ Dann sah er wieder weg. „Schließlich war es genau diese Güte, die auch mich aus der Dunkelheit gerettet hat.“
Er konnte sehen, wie einzelne Tränen Laws Wange hinunterglitten, während dieser erneut auf die Tasse in seinen Händen starrte.
„Wärest du nicht gewesen, wäre ich immer noch dieser hasserfüllte Mensch von damals und im Kampf gegen deinen Bruder hat mich dieser Hass wieder übermannt. Wenn es nicht für den Strohhut gewesen wäre, wäre ich dieser Dunkelheit an jenem Tag wieder verfallen. Du hast alles aufgegeben, um mich zu retten und ich hätte dein Opfer beinahe verraten.“
Law seufzte leise auf.
„Wenn ich eine Sache in den letzten Jahren gelernt habe, dann dass die Eigenschaften, die unseren Charakter ausmachen sowohl Stärke als auch Schwäche sein können, abhängig von der Situation. Deine Güte mag eine Schwäche gegenüber deinem Bruder gewesen sein, aber durch sie hast du mich gerettet. Meine Gefühle für dich haben mich im Kampf gegen de Flamingo blind gemacht, aber nur dank ihnen bist du jetzt hier neben mir. Wir sind nun mal Menschen, wir machen Fehler und handeln nach unseren Gefühlen und unserem Gewissen.“
Überrascht sah er den anderen an.
„Du bist ganz schön weise geworden, nicht wahr?“
Leise lachte Law auf.
„Und doch bin ich ein egoistisches Gör.“
„Wie meinst du das?“
Argwöhnisch beobachtete er den anderen, der erneut aufseufzte und sich dann zurücklehnte.
„Ich bin nicht der Einzige, dem du gefehlt hast, Cora. Damals habe ich mit Sengoku gesprochen; du warst ihm wie ein Sohn. Für ihn bist du immer noch tot und es wäre nur richtig, wenn du zu ihm gehen würdest.“ Law lehnte mit seinem Hinterkopf gegen die Rückenlehne und Rocinantes Arm und neigte nun den Kopf in seine Richtung. „Aber ich will nicht, dass du gehst. Ich weiß, wie egoistisch ich bin, aber ich will dich nicht teilen müssen, zumindest nicht jetzt schon. Ich will nicht, dass du gehst und dich anderen Dingen - anderen Menschen - verpflichtest. Noch nicht, nicht jetzt schon, wenn ich dich gerade erst wieder habe.“
Für einen Moment schien der kleine Junge wieder durchzubrechen und doch sagte Law ganz ehrlich was er wollte. Er hatte auch Recht; die Vernunft sagte Rocinante, dass er besser heute als morgen aufbrechen und seiner Verantwortung entgegentreten sollte, aber…
„Dann werde ich nicht gehen“, entschied er schlicht.
„Was?“
„Er hat mich aufgenommen, als ich nichts mehr hatte, hat mich großgezogen wie sein eigen Fleisch und Blut, und dennoch…“ Er hielt Laws tiefen Blick stand. „Schon damals habe ich meine Mission deinem Wohlergehen untergeordnet, Law, und dennoch habe ich dich im Stich gelassen. Es stimmt, dass ich Sengoku wiedersehen möchte und mich meiner Verantwortung stellen muss, aber hier und jetzt möchte ich zunächst meine Schuld dir gegenüber begleichen und wenn es dein Wunsch ist, dann werde ich bleiben. Wir werden uns die Zeit nehmen, die wir brauchen und dann werde ich mich meiner Vergangenheit stellen.“
Law erhob sich.
„Ich will, dass du bleibst“, sagte er ganz klar und sah zu ihm herab, „aber du schuldest mir nichts. Ich will nicht, dass du bleibst, weil du dich verpflichtet fühlst, sondern weil du es auch willst.“
Leise lachte Rocinante und hob den Hausschlüssel hoch.
„Ich habe uns ein Haus besorgt, natürlich will ich bei dir bleiben.“
Mit einem warmen Lächeln streckte Law sich und sah zum Fenster an der Küchenzeile.
„Die Sonne wird bald aufgehen. Es wäre sinnlos mich jetzt noch hinzulegen. Ich werde duschen und dann den liegengelassenen Papierkram aufarbeiten, ehe Frau Paipai kommt.“ Law lehnte sich vor und strich ihm durchs Haar. „Ich liebe dich, Cora.“
„Ich weiß“, entgegnete er und ließ zu, dass Law ihn küsste. „Ich hab‘ dich auch lieb.“
Law richtete sich wieder auf und schenkte ihm dieses wertvolle Lächeln, welches er nie wieder verlieren wollte.
„Schlaf etwas, Cora, und heute Nachmittag zeigst du mir unser Haus.“
Kapitel 8 – Glück
„An der Gabelung da vorne halten wir uns rechts und dann sind wir schon fast da“, meinte er und deutete nach vorne.
„Und der linke Pfad führt wohin? Ins Innere der Insel?“, fragte Law interessiert und blieb auf Höhe der Gabelung stehen.
„Ähm, einer der Nachbarn – Tuntun? – meinte es führt tiefer in den Wald und dann an eine Bergkette. Soll wohl sehr schön zum Wandern sein und da kommt man auch zu den umliegenden Dörfern und Städten.“
„Ich mag Wandern“, murmelte Law als sie ihren Weg fortsetzten.
Die Ringe unter seinen Augen zeugten von dem fehlenden Schlaf der vergangenen Nacht, aber seit sie den Wald betreten hatten schien er vitaler, als würde die Schatten der Bäume ihm Kraft schenken.
Dann hatten sie den Waldrand erreicht.
„Das ist es“, meinte Rocinante und zeigte auf das Haus, das direkt vor ihnen auftauchte, „wie ich sagte, es sind kaum zehn Minuten.“
Erneut war Law stehen geblieben und als Rocinante sich zu ihm umdrehte, konnte er sehen wie eine Vielzahl von Emotionen über sein Gesicht huschten.
„Willst du es dir ansehen?“
Law nickte nur und schritt weiter.
Rocinante war sich sehr wohl bewusst, dass dieses Haus nicht einfach nur ein Haus war. Keiner von ihnen nahm den Begriff des Heimes für selbstverständlich, zu sehr überschattet von furchtbaren und schmerzlichen Erinnerungen. Aber genau aus diesem Grund war Rocinante auf den wahnwitzigen Vorschlag der Inselbewohner eingegangen. Das hier war ihre zweite Chance auf das Leben, was ihnen vor 17 Jahren verwehrt worden war, was ihnen mit ihren Familien verwehrt worden war. Rocinante wollte, dass das hier ihrer beider Heim wurde.
Er schloss die Tür auf und ließ Law den Vortritt, folgte ihm hinein und beobachtete ihn. Wie er selbst am vergangenen Tag schritt Law aufmerksam durch die Räume, blieb hier und da stehen, sah sich behutsam um, strich mit den Fingern über verhangene Möbel und blanke Wände.
Kein Wort sagte er während er die einzelnen Zimmer begutachtete, bis sie schließlich auf der Veranda vor dem Meer standen.
„Mir war nie bewusst, dass du das Meer so magst“, murmelte er und sah den Wellen zu.
„Wäre dir etwas weiter entfernt vom Meer lieber?“, fragte Rocinante nach.
„Nein“, murmelte Law und wandte sich zu ihm um, „lass uns hier wohnen, Cora.“
Reines Glück breitete sich in ihm aus. Endlich würde dieses friedliche Leben beginnen. Freudige Ungeduld erfüllte ihn.
„Dann komm mit. Ich habe mir schon etwas über die freien Räume überlegt.“ Er griff Laws Handgelenk und zog ihn mit sich mit. „Ich habe mir gedacht, dass das Zimmer zum Wald ein gutes Arbeitszimmer für dich wäre. In die vielen Wandschränke und Regale müssten alle deine Bücher reinpassen und noch viel mehr. Die beiden anderen Zimmer sind zwar deutlich kleiner, aber die sind ja dann nur zum Schlafen und…“
„Du hast dir ja schon wirklich viele Gedanken gemacht.“
Rocinante blieb stehen und sah den anderen an. Law lächelte und diese tiefen Augen funkelten spielerisch. Er neckte Rocinante nicht, sondern schien ehrlich begeistert.
„Erzähl mir mehr.“
Nun schritten sie erneut durch die Räume, doch dieses Mal sprach Rocinante ganz ungehalten über seine Ideen während Law auch die seinen nicht zurückhielt. Sie sprachen über die Arbeiten, die getan werden mussten und was für Möbel sie noch benötigten, wie sie die einzelnen Räume einrichten wollten und mit jeder Minute wurden sie ausgelassener.
Nicht in allen Dingen stimmten sie überein, aber ihre Differenzen konnten ihre Begeisterung nicht schmälern. Im Laufe des frühen Abends kamen verschiedene Nachbarn vorbei, manche, um sie einfach nur kennen zu lernen, andere, um ihre Hilfe anzubieten. Wieder andere, weil sie die Sprechstunde in der Praxis verpasst hatten und ein paar von ihnen ausgestattet mit Einrichtungsgegenständen, Alltagsutensilien oder Werkzeug.
Bevor Law und Rocinante überhaupt wussten was passierte, war es spät in der Nacht und das halbe Dorf half ihnen dabei, dass Haus zumindest so weit herzurichten, dass sie bald umziehen konnten. Der Schreiner Sansan und seine Tochter boten an ein Bett zu schreinern, welches groß genug für Rocinante sein würde und die Söhne des Elektrikers Biubiu überprüften die alten Leitungen des Hauses.
Sie alle ignorierten Laws und Rocinantes Worte der Zurückhaltung und dass solche Gesten nicht nötig wären und so kam es, dass die Arbeiten im späten Abend in eine kleine Feier übergingen. Noch mehr Leute kamen, brachten Speisen, Getränke, Decken und Stühle und die Stimmung war ausgelassen.
Rocinante saß mit einer Zigarette auf dem Geländer der Veranda und beobachtete die Fremden, die sie so herzlich willkommen hießen. Schon jetzt fühlte er sich wie einer von ihnen, wie ein Freund, der nach einer langen Reise zurück nach Hause gekommen war. Die meisten im Dorf schienen eng befreundet zu sein und auch Rocinante wurde so behandelt, als hätte er schon immer dazu gehört.
Während die meisten Law immer höflich mit Doktor oder seinem Nachnamen ansprachen, nannten sie Rocinante einfach Corazon, wie Law ihn Ninnin vorgestellt hatte – die übrigens auch anwesend war und anscheinend keine großen Mengen Alkohol vertrug – und irgendwie gefiel ihm das. Law hatte ihm gesagt, dass der Name seiner Familie durch die Taten seines Bruders für die meisten Menschen mit unangenehmen Erinnerungen verbunden war, aber er fand es gar nicht schlimm, dass die Anwesenden ihn bei diesem Namen riefen. Schließlich war dies der Name, mit dem er Law kennen gelernt hatte. Einst mochte Corazon sein Deckname gewesen sein, ein Name, den er mit Geheimnissen, Intrigen und furchtbaren Taten in Erinnerung gebracht hatte, aber dank Law wusste Rocinante mittlerweile, dass Corazon viel mehr war als nur ein Titel, es war sein Name, sein Wesen; er mochte, dass Leute ihn Corazon – Herz – nannten.
Ja, er fühlte sich glücklich, all diese freundlichen, herzlichen Menschen, die ein friedliches Leben führten und deren größte Unruhe die Ankunft des jungen Arztes und seines seltsamen Mitbewohners war. Manche von ihnen stellten recht neugierige Fragen, manche sogar recht aufdringliche, wurden dann aber meist von ihren Familienmitgliedern oder Freunden direkt eingenordet. Die meisten von ihnen schienen interessiert aber blieben höflich, erzählten eher als dass sie versuchten ihn auszuhorchen.
Alles in allem was es ein sehr schöner Abend und langsam fühlte er, wie die Anspannung der letzten Jahre – die ja nun bereits auch schon wieder Jahre zurücklagen – doch allmählich nachließ, während er sich von Sansan erklären ließ, dass die Inselbewohner ihren Wohlstand insbesondere dem hochwertigen Holz zu verdanken hatten, das sie hier schon seit Generationen anbauten und verarbeiteten. Der alte Mann prahlte, dass das Holz dieser Insel so gut sein, dass selbst Werften auf der anderen Seite der Welt bei ihnen einkauften und dass im Landesinneren mehr Holzverarbeitungsfabriken standen als dieses Dorf Häuser hatte. Mehrfach schlug er Rocinante kräftig aufs Kreuz und beneidete ihm um seine Körpergröße und Kraft die bei einer solchen Tätigkeit nur förderlich sein könnten. Selten hatte Rocinante sich so behütet gefühlt, wie hier zwischen all diesen Fremden, die ihn schon jetzt wie einen der ihren behandelten.
Law hingegen schien mit der ganzen Situation nicht so gut umgehen zu können. So wie die Leute ihn mit Respekt und etwas Distanz behandelten, so hielt auch er seine Distanz zu ihnen, blieb zwar höflich aber zurückhaltend, beteiligte sich weder an Unterhaltungen noch genoss er Speisen oder Getränke. Bis gerade hatte er mit verschränkten Armen an der entfernten Hauswand gelehnt, nun jedoch stieß er sich ab und ging zurück ins Hausinnere.
Nach einem Moment der Überlegung entschied Rocinante ihm zu folgen, doch es kostete ihn deutlich mehr Zeit als er erwartet hatte, sich aus den Gesprächen zu entschuldigen. Als unfreiwilliger Gastgeber war es nicht einfach sich zurückzuziehen, aber irgendwann hatte er es dann doch geschafft.
Law fand er schließlich in der Küche, die nun bereits wieder im funktionsfähigen Zustand war, wo dieser fleißig mit dem Abwasch beschäftigt war.
„Alles in Ordnung?“
Der andere sah auf als Rocinante hineinkam und nickte dann sachte.
„Feiern sind nicht so das meine und diese vielen Gespräche bereiten mir Kopfschmerzen. Tut mir leid.“
„Nicht doch, nicht doch. Du hast die ganze Nacht durchgemacht und musst völlig erschöpft sein.“
Law zuckte mit den Achseln und reichte ihm dann die Sachen zum Abtrocknen.
„Das ist schon okay. Wir haben heute viel geschafft. Es ist zwar immer noch einiges zu tun, aber ich habe mir überlegt morgen nach der Arbeit anzufangen meine Sachen zu packen und herzubringen.“
„Hat Frau Paipai nicht gesagt, dass du dir morgen frei nehmen sollst? Sie scheint sich wirklich Sorgen zu machen, dass du dich überarbeitest“, meinte er und stellte die Sachen nach und nach weg.
„Ja, hat sie und ja, macht sie. Aber hast du nicht eben Ninnin gesehen? Ich denke nicht, dass sie morgen arbeiten kann, daher werde ich das übernehmen.“
„So gewissenhaft.“
„Es ist nun mal mein Job“, entgegnete Law nur mit einem Schulterzucken.
„Aber das ist in Ordnung. Ab Morgen werde ich auch viel zu tun haben. Die Biubius haben mir geholfen eine Liste zusammenzustellen was noch alles nach Dringlichkeit getan werden muss und das junge Mädchen Sansan wollte morgen vorbeikommen und mir helfen. Sie scheint deutlich mehr Erfahrung in solchen Dingen zu haben als ich und das in ihrem Alter. Ihr Vater wollte nach der Arbeit auch helfen kommen.“
Leise lachte Law.
„Du scheinst dich gut mit den Dorfbewohnern zu verstehen, oder?“
„Ist das etwas schlechtes?“
„Nein, nein“, Law trocknete sich seine Hände an Rocinantes Tuch ab. „Es macht mich glücklich dich so fröhlich zu sehen.“
Überrascht sah er zu dem anderen hinab ehe er sich gegen die Küchenzeile lehnte.
„Für einen so fröhlichen und geselligen Menschen wie dich muss die Zeit bei de Flamingo nicht einfach gewesen sein. Ich glaube ich habe dich noch nie so viel lachen und reden gesehen, wie heute Abend. Die Stille muss furchtbar gewesen sein.“
Rocinante sah auf seine eigene Hand hinab, ehe er sie hochhob und mit den Fingern schnipste, wie er es bis vor wenigen Tagen getan hätte, um die Welt zum Schweigen zu bringen.
„Ohne meine Teufelskraft hätte ich mich gewiss verraten“, gestand er leise ein, „aber ja, auch wenn die Zeit mit dir auf See trotz allem eine schöne war, so bin ich doch froh, dass die Zeit des Verschweigens und der Lügen vorbei ist.“
„Ich auch.“
„Law“, flüsterte er, als dieser seinen Oberarm ergriff und er den Blick des anderen sofort erkannte, „ich kann nicht…“
„Ich weiß“, unterbrach Law ihn und griff nach der Hand mit der Rocinante gerade geschnipst hatte. „Ich weiß, dass du nicht so fühlst wie ich, Cora. Das erwarte ich auch gar nicht. Aber bitte… bitte weis mich nicht ab.“
Er wollte auf die Vernunft hören, er wollte mit Law ehrlich über dessen Gefühle sprechen und darüber, dass Rocinante sie nicht auf diese Art erwiderte und dass es sie unglücklich machen würde, wenn sie dies ignorieren würden.
Aber Laws Blick brachte alle seine Vernunft zum Schweigen. Er wusste, dass Law sich nach einer Liebe sehnte, die er nicht geben konnte. Gleichzeitig hatte er sich geschworen, nie mehr der Grund für Laws Leiden zu sein. Er hatte versagt und ihn allein gelassen, nur deshalb war Law nun ein Erwachsener, der ohne bedingungslose Liebe hatte aufwachsen müssen. Rocinante wusste genau, dass egal wie liebevoll und sanft er nun Worte finden würde, er würde Law verletzten, würde ihm Schmerzen bereiten, und Law würde sich zurückziehen, von ihm distanzieren.
Er wusste genau, dass dies hier nicht richtig war, nicht vernünftig war, aber wenn dies die Liebe war, die Law brauchte, um glücklich zu sein, wenn er nur das hier tun konnte, um ihn vor mehr Leid zu bewahren, dann hatte er kaum eine andere Wahl. Er wollte Law nie wieder so voller Hass sehen wie damals, ganz gleich wie alt Law nun war. Er wollte ihn nie mehr gefangen in der Dunkelheit sehen, sondern dass der andere das Licht, was er so strahlend in sich trug, nach außen brachte, damit alle das in ihm sehen konnten, was Rocinante schon immer in ihm gesehen hatte.
Rocinante würde nichts tun, was dieses Licht gefährden könnte, also hingegen jeder Vernunft, hingegen jedes besseren Wissens, beugte er sich hinab und lächelte Law an.
„Ich würde dich nie abweisen, Law.“
Als der andere ihn dieses Mal küsste war es anders, kein kurzes Berühren der Lippen, kaum der Erwähnung wert, sondern mehr, echter. Law griff sein Haar, legte seine andere Hand auf Rocinantes Schulter, als wollte er sichergehen, dass Rocinante sich nicht abwenden würde. Laws Lippen bewegten sich, rieben gegen die seinen, sanft und doch bestimmt.
Rocinante wagte kaum sich zu rühren, wagte kaum zu atmen und dann war es vorbei. Law lehnte die Stirn gegen die seine, im Schatten konnte Rocinante das leise Lächeln sehen, doch viel mehr vereinnahmten ihn diese tiefen Augen, die ihn so intensiv ansahen, dass er vergaß zu atmen.
„Ich liebe dich, Cora“, flüsterte Law und glitt mit seiner freien Hand Rocinantes Schulter und Hals hoch, stricht beinahe zärtlich über seine Wange, „und ich bin sehr glücklich hier mit dir zu sein.“
Er konnte diesem Blick nicht widerstehen. Gefühle von 17 Jahren und noch länger schienen in diesen Augen aufzubrechen und langsam verstand er wirklich was Law gemeint hatte als er gesagt hatte, dass er all die Zeit auf ihn gewartet hatte, dass die Gefühle nicht mehr nur die eines kleinen Kindes waren, dass alle seine Freunde das Loch in seinem Herzen nicht hatten füllen können.
Denn das konnte anscheinend nur er. Nur Rocinante war anscheinend in der Lage Law wirklich glücklich zu machen und auch wenn es ihn verunsicherte – ihm regelrecht Angst einjagte – so erfüllte ihn das auch mit einer Wärme, die er weder erklären noch gutheißen konnte. Damals war es einer seiner größten Ängste gewesen, dass Law ihn hassen würde, sobald er herausgefunden hätte, wer und was Rocinante wirklich war, doch diese Angst hatte Law ihm am vergangenen Tag genommen, hatte ihm offenbart, dass er es immer schon gewusst hatte.
Nun war es eine seiner größten Ängste gewesen, dass er für den erwachsenen Law keinen Wert mehr hatte, jetzt da Law weder Vormund noch Heilung brauchte, vermutlich mächtiger war - vermutlich deutlich mächtiger war – als er selbst und sich nicht mehr verstecken brauchte. Was konnte Rocinante ihm schon bieten als Kind eines zerbrochenen Adels und Soldat, der seiner Behörde den Rücken gewandt hatte?
Er hatte keine speziellen Fähigkeiten, nicht einmal mehr seine Teufelskraft, und hatte Law nun noch nicht einmal die Weisheit des Alters voraus und dennoch, trotz allem schien seine reine Anwesenheit Law glücklich zu machen und das erfüllte ihn mit Dankbarkeit und Demut. Er konnte nicht viel tun, aber er konnte sicherstellen, dass Law dieses Glück nie wieder verlieren würde.
„Ich weiß“, flüsterte er und umrahmte Laws Gesicht mit beiden Händen, „ich bin auch glücklich hier mit dir sein zu können.“
Für einen Moment verharrten sie in dieser intimen Position, doch dann ließ sie ein plötzliches lautes Gelächter von der Veranda her aufschrecken.
„Lass uns zur Praxis zurückgehen“, meinte Law und löste sich von ihm. „Ich bin müde und bei diesem Lärm werde ich kein Auge zumachen können.“
„Ist es denn okay, wenn wir die anderen einfach zurücklassen? Schließlich sind wir die Gastgeber“, erwiderte er als Law ihn bereits mit sich zog und bereute für einen Moment dann doch, dass er seine Fähigkeit verloren hatte, damit hätte er Law so manches vereinfachen können.
„Gastgeber ist jemand, der Leute zu sich einlädt. Wir haben niemanden eingeladen, sie sind einfach gekommen und solange sie alles wegräumen können sie noch so lange feiern, wie sie wollen.“
Lachend folgte er dem anderen.
„Du hörst dich an wie ein alter Mann, Law. Sie haben uns dieses Haus geschenkt und helfen uns auch noch dabei es wiederherzurichten. Du solltest dankbar sein.“
„Ich bin dankbar“, meinte Law schlicht während sie den Wald erreicht hatten, „aber ich bin auch müde und ich mag nicht so viele Menschen um mich herum. Das ist mir zu laut.“
Erst als sie den Wald schon halb durchquert hatten bemerkte Rocinante, dass Law ihn immer noch nicht losgelassen hatte, immer noch seine Hand hielt und das obwohl sie nun im gemäßigten Tempo nebeneinander her schlenderten, über ihnen nur die Baumwipfel und die Sterne der Nacht.
Mit einem leisen Lächeln sah Rocinante in den Himmel, spürte wie Law seine Hand noch etwas fester griff und entschied, dass es für den Moment in Ordnung war.
Irgendwann würde er mit Law darüber sprechen müssen, aber vielleicht sollte er warten, bis Law nicht mehr so zerbrechlich schien, nicht mehr so nahe am Abgrund stand. In ein paar Tagen, Wochen, wenn die Normalität ihres Alltagslebens ihnen Sicherheit und Beständigkeit geben würde, dann würden sie über all das sprechen können und er würde Law helfen glücklich zu werden, auch wenn sie nicht das gleiche für einander empfanden.
Aus dem Augenwinkel sah er zu Law hinab, der laut gähnte und sich mit der freien Hand durchs Gesicht rieb.
Auch Rocinante war glücklich, seine Gefühle mochten nicht die gleichen sein, aber mindestens genauso stark und daher machte es ihn glücklich Law so zufrieden und unbekümmert zu sehen. Vielleicht musste er ihn nicht beschützen, nicht Entscheidungen für ihn treffen, vielleicht musste er ihm nicht die Welt bieten, vielleicht reichte es einfach aus, wenn Rocinante für ihn da war, der Fels in der Brandung, die unerschütterliche Zuneigung, um die Law nie bangen brauchte. Die ehrliche Liebe, die Law nie verlieren würde.
Rocinante war jederzeit bereit für Law sein Leben zu geben und wenn dies seine Aufgabe war, dann würde er sie mit Freuden erfüllen.
„Ich bin wirklich glücklich“, murmelte er dem Himmel entgegen und spürte nur wie Law seine Hand erneut etwas fester drückte und ihn nicht losließ, bis sie schließlich die Praxis erreicht hatten.
Kapitel 9 – Veranda
„Cora!“
Überrascht sah er auf.
Zwischen den Bäumen tauchte Law auf, auf der einen Schulter ein wackeliger Stapel von Kisten, und winkte zu ihm hoch.
„Law!“, rief er freudig, rieb sich den Schweiß von der Stirn und winkte zurück.
Die Mittagssonne schien kräftig und die harte körperliche Arbeit hatte ihn ganz schön erschöpft, aber allein Laws Anblick erfüllte ihn schon mit neuer Energie.
Früh war Rocinante aufgestanden – hatte Law noch schlafen gelassen – und war zu ihrem neuen Heim aufgebrochen, um mit den Arbeiten zu fortzufahren. Gerade kletterte er mit Halhal, die Tochter des Schreiners Herr Sansan, über das Dach und reparierte kleinere Schäden, die noch kein Problem darstellten, aber mit der Zeit das Haus leiden lassen würden.
Plötzlich rutschte Rocinante mit seiner Hand ab und bevor er nach irgendetwas greifen konnte, polterte er das Dach hinunter.
„Corazon!“, rief Halhal nach ihm, konnte ihn jedoch nicht mehr greifen.
„Room! Shambles!“
Im nächsten Moment lag Rocinante unverletzt auf dem Boden und ein einzelnes Steinchen fiel auf ihn drauf.
„Aber was…?“, murmelte er und sah sich verdutzt um.
„Corazon! Ist alles in Ordnung?“, brüllte Halhal zu ihm hinunter.
„Ja, alles okay“, antwortete er nur.
„Du solltest vorsichtiger sein.“ Law blieb neben ihm stehen, setzte den Berg Kisten ab und hockte sich hin. „Du hättest dich verletzen können.“
Ich habe mir Sorgen gemacht.
„Das warst du?“, flüsterte er und Law nickte nur. „Eine mächtige Fähigkeit.“
Mit einem leisen Schmunzeln hielt Law ihm die Hand hin.
„Und du hast mich noch nicht mal kämpfen gesehen.“
Schwerfällig ließ Rocinante sich von dem anderen hochziehen.
„Und ich werde alles in meiner Macht tun, dass du das auch nie mehr wieder brauchst.“
Law schenkte ihm dieses herzliche Lächeln und gemeinsam trugen sie die Kisten, die scheinbar nur Laws Bücher beinhalteten, hinein.
„Ich hatte noch gar nicht mit dir gerechnet“, bemerkte er als er die Kisten abstellte, „erst in zwei-drei Stunden.“
„Wir hatten alle Termine erledigt und das Wartezimmer war leer“, erklärte Law und streckte sich leicht, „daher dachte ich, ich komm dir helfen. Allerdings bin ich in Rufbereitschaft.“
Er zog eine kleine Teleschnecke aus der Hosentasche.
„Zum Glück ist es nicht weit bis zur Praxis, wenn etwas passieren sollte.“
„Sind das alles Bücher?“ Rocinante begann die erste Kiste zu öffnen.
„Die da vorne sind die Klamotten, die ich für dich besorgt hatte, ansonsten fehlen nur noch ein paar Sachen, die ich beim nächsten Mal mitbringe. Jetzt will ich dir helfen.“
Gemeinsam mit Law und seiner beeindruckenden Fähigkeit kamen sie deutlich schneller voran, als Rocinante es erwartet hatte. Insbesondere das zeitaufwendige Hinauftragen der Materialen war nun mit einem Fingerschnippen erledigt und während Rocinante und Halhal auf dem Dach arbeiteten, hatte Law sich daran gegeben, den Boden in Küche und den angrenzenden Wohn- und Essbereich auszubessern.
Auch an diesem Abend kamen wieder die ein oder anderen Dorfbewohner, um ihnen zu helfen, doch dieses Mal deutlich weniger als am vergangenen Tag. Die Biubiu-Brüder und ein weiterer Freund halfen ihnen dabei die beiden Bäder wieder funktionstüchtig zu machen und erklärten ihnen wie die Therme zu bedienen war.
Abgesehen von den Bädern benötigte die Veranda und der Bereich ums Haus herum eigentlich die meiste Arbeit, aber das war etwas was noch bis später warten konnte und was Rocinante über die Tage hinweg erledigen konnte.
Bei Sonnenuntergang waren sie mit den Ausbesserungen des Dachs fertig und auch das große Bad konnte nun genutzt werden, sodass Law doch noch einmal zur Praxis zurückging, um Handtücher und dergleichen zu holen; sie hatten entschieden diese erste Nacht in ihrem neuen Heim zu verbringen.
Der große Bruder von Halhal hatte ihnen in der Zwischenzeit Essen vorbeigebracht und danach verabschiedeten sich die anderen und wünschten ihnen noch einen schönen Abend.
So kam es, dass Law und Rocinante zum ersten Mal alleine auf der knirschenden Veranda saßen, etwas erhellt von dem Licht der Küche, welches durch das Wohnzimmer hinweg zu ihnen nach draußen schien und vor ihnen das dunkle Meer, dessen ruhige Wellen durch die kleine Mondsichel und die abertausenden Sterne erhellt wurde.
„Wir sind weit gekommen“, urteile Law während er an seinem Tee nippte.
„Ja, dank der großartigen Hilfe der anderen, aber ab Morgen sind wir auf uns alleine gestellt“, stimmte Rocinante zu und nahm sich eine der getrockneten Salzpflaumen, die Law ihm mitgebracht hatte. Eine seiner absoluten Lieblingsspeisen, die seiner Meinung nach viel zu schade war, um von Reis eingehüllt zu werden.
„Kelkel sagte doch, er würde in den nächsten Tagen noch vorbeikommen, um das andere Bad richtig anzuschließen und Halhal wollte mit ihrem Bruder noch die Möbel vorbeibringen, die sie extra für uns anfertigen wollten, oder?“
Er konnte Laws Blick auf sich fühlen. Sie hatten Glück, dass die Dorfbewohner so großzügig waren. Möbelstücke, die von ihrer Größe sowohl für Law als auch für Rocinante angenehm waren, kosteten immer ein Vermögen und selbst Law hatte nicht so viel auf der hohen Kante.
„Ja, das stimmt.“ Er lehnte sich zurück und sah zu den Sternen hinauf. „Aber ab morgen liegt es an uns, dieses Haus so herzurichten, dass es unser Heim werden kann.“
Für einen Augenblick schwiegen sie beide und nur das Rauschen der Wellen und das Raunen des Waldes war zu hören. Dann legte Law eine Hand auf Rocinantes.
„Da wo du bist, da bin ich zuhause. Dieses Haus wird ein Heim durch dich.“
Er konnte kaum verhindern, dass er errötete und dass obwohl er doch genau das gleiche gedacht hatte.
„Willkommen Zuhause“, murmelte er und lächelte Law an, dessen Augen sich einen Moment weiteten, ehe dieser auch lächelte und ebenfalls zum Himmel hinaufsah.
„Ich bin wieder da.“
Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug. Jeden Morgen stand Rocinante früh auf und begann damit ihr gemeinsames Heim herzurichten, während Law zur Arbeit ging und sich abends zu ihm gesellte, mit ihm Wände strich, Dielen ausbesserte, Fliesen austauschte und all das tat, was getan werden musste.
Die Abende waren meistens lang und endeten damit, dass sie dreckig oder mit Farbe bekleckst auf dem Boden lagen, zu erschöpft noch duschen zu gehen oder etwas zu essen.
Für einige Tage war Law auch zu einer anliegenden Insel gereist, als mehrere Bewohner dort über die gleichen besorgniserregenden Symptome geklagt hatten und Law eine Ausbreitung auf alle umliegenden Inseln hatte vermeiden wollen.
Rocinante hatte ihn nicht begleitet, zum einen, weil er mit Kelkel das zweite Bad hatte fertigstellen wollen und zum anderen, weil Law hatte verhindern wollen, dass er sich anstecken würde.
Manche Tage hatte Law sich auch frei genommen, gerade wenn Rocinante für manche Dinge Hilfe brauchte.
Mittlerweile waren sie gut vorangekommen und hatten die wichtigsten Arbeiten im Haus erledigt. Dank der hilfsbereiten und großherzigen Nachbarn waren die meisten Räume eingerichtet und das meiste was sie noch gebraucht hatten, hatten sie am Wochenmarkt erstehen können.
„Morgen denke ich werde ich mit der Veranda anfangen“, murmelte Rocinante und verschränkte die Arme unterm Hinterkopf, während das Holz unter ihm zustimmend knarzte. „Wir verbringen so viele Abende hier draußen, nicht dass sie irgendwann unter uns einbricht.“
Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie Law von seinem Stuhl aus über sein Buch hinweg zu ihm hinunter schaute.
„Willst du morgen nicht mal eine Pause machen?“
„Was?“ Überrascht setzte er sich auf. „Du bist doch derjenige von uns, der neben seiner Arbeit in der Praxis auch noch die halbe Nacht beim Renovieren hilft.“
„Ich habe mit Ninnnin und Frau Paipai gesprochen. Sie mochten deine Idee, die Praxis einen Tag zu schließen und abwechselnd Rufbereitschaft zu übernehmen.“
„Wirklich?“
„Ja, also kann es zwar sein, dass ich gerufen werde, aber wenn nicht, kann ich morgen den ganzen Tag mit dir verbringen.“
Law klappte sein Buch zu und legte es auf seiner Armlehne ab, ehe er von seinem Stuhl zu Rocinante auf den Boden rutschte. Unter dem Knarzen des Holzes legte er sich hin.
Rocinante betrachtete ihn noch einen Moment, ehe er es ihm gleich tat und wieder zum sternenerhellten Nachthimmel aufsah.
„Früher haben wir oft unter den Sternen geschlafen“, bemerkte er. „Selbst bei eisigen Temperaturen. Es war viel zu gefährlich erkannt zu werden, aber ich habe mir oft Sorgen gemacht, dass es dir schaden würde.“
„Es war oft kalt“, bestätigte Law neben ihm, „aber ich habe nie gefroren. Du warst immer da und hast mich zugedeckt.“
„Auf Minion war es auch eisig kalt.“
„Das stimmt.“ Law drehte sich auf die Seite und sah ihn an, während Rocinante weiterhin zu den Sternen aufsah. Der andere stützte sein Kinn auf einer Hand ab und schien ihn zu betrachten. „Ich mag das Wetter hier. Der Himmel ist meist klar, aber selbst nachts ist es warm und selbst die kältesten Nächte hier lassen es nicht frieren.“
Rocinante nickte nur zustimmend. Der Tag hatte ihn ausgelaugt, aber sie hatten viel geschafft und er war sehr zufrieden, genoss das Rauschen der Wellen nur wenige Meter entfernt und Laws Stimme direkt neben ihm, sein linkes Bein über Rocinantes Oberschenkel gelegt.
Es war nichts Ungewöhnliches. In den letzten Wochen hatte er oft festgestellt, dass Law ihn augenscheinlich gedankenlos berührte und auch wenn Rocinante es zu anfangs als einen unbeholfenen Ausdruck seiner romantischen Gefühle missverstanden hatte, so wusste er mittlerweile, dass es viel vielschichtiger war.
Trotz der Wochen, die verstrichen waren, brauchte Law immer noch die Sicherheit, die Bestätigung, dass Rocinante wirklich da war, sich nicht plötzlich in Luft auflöste. Jede einzelne Berührung war ein Zeichen von Zuneigung, aber auch Sehnsucht und mehr noch, ein Zeichen der großen Angst verlassen zu werden.
Rocinante hatte entschieden, dass er diese Gefühle annehmen würde, auch wenn er sie nicht erwiderte. Er würde Law nicht zurückweisen, wohl wissend, dass dies vielleicht die klügere, die gesündere, Entscheidung gewesen wäre.
Gleichwohl konnte er auch nicht sagen, dass es für ihn schlicht unangenehm war. Auch er hatte in seinem Leben nur selten Zärtlichkeit und bedingungslose Zuwendung erfahren und wenn Law ihn mit diesen tiefen Augen ansah, dann wusste er sofort, dass er dessen wichtigster Mensch im Leben war.
Es mochte nicht richtig sein, es mochte sich seltsam anfühlen und doch machte es ihn auch glücklich.
Rocinante selbst hielt Abstand von solch romantischen Gesten und Law schien das auch nicht von ihm zu erwarten, erwartete nicht von ihm, dass er dasselbe für ihn empfand, aber wann immer Law ihm gegenüber seine Zuneigung ausdrückte, ließ er es zu und zeigte somit die Form seiner bedingungslosen Liebe, so anders sie auch sein mochte.
Diese seltsame Beziehung hatte sich in den letzten Wochen so entwickelt und obwohl Rocinante große Zweifel plagten, ob es die richtige Entscheidung war, so schien jeder sanfte Kuss, jede zärtliche Berührung, jedes leise Flüstern Law glücklicher zu machen.
Es gab kaum noch einen Moment, in dem die Schatten seine Augen zu verdunkeln schienen und wenn er Rocinante so anlächelte wie gerade, dann waren seine Zweifel plötzlich weit fort und er konnte nicht anders als ebenfalls zu lächeln.
„Ab morgen ist auf Haru für eine Woche Markt. Er findet nur jedes halbe Jahr statt und es kommen Händler aus der ganzen Welt. Viele Inselbewohner haben mir schon geraten dorthin zu gehen, also dachte ich, dass wir ihn morgen besuchen könnten“, erklärte Law nun seinen freien Tag.
„Das ist eine großartige Idee. Ich habe auch noch eine Liste an Dingen, die wir brauchen. Davon können wir mit Sicherheit einiges dort finden.“
Law lachte leise.
„Ich hätte nicht erwartet, dass dieses Renovieren dich so begeistern würde, Cora. Ich dachte nicht, dass dir das Handwerk liegt.“
„Naja, Talent dafür habe ich wirklich nicht“, murmelte Rocinante geknickt und betrachtete seine linke Hand mit den einbandagierten Fingern. Er hatte es doch tatsächlich geschafft jeden einzelnen mit dem Hammer zu treffen – und manchmal auch mit Hammer und Nagel – doch weh taten sie kaum noch, Law hatte nur auf Nummer sicher gehen wollen.
„Aber es macht mir Spaß jeden Tag etwas Sinnvolles zu tun. Am Ende des Tages zu wissen was ich geschafft habe. Außerdem…“, nun sah er Law doch an, „…ist das hier doch unser Heim. Ich möchte, dass es so schön wie möglich ist.“
Dann lachte er und verschränkte die Arme wieder unterm Hinterkopf.
„Und wenn du schon derjenige bist, der das Geld nach Hause bringt, dann kann ich doch zumindest dafür sorgen, dass du es Zuhause schön hast.“
Für eine Weile lagen sie schweigend so da, nicht eine Sekunde schien Law den Blick von ihm zu nehmen, doch Rocinante entschied darauf nicht einzugehen. Er selbst hatte diese Momente auch, meist wenn Law es nicht so ohne weiteres bemerken würde – wobei er es mit Sicherheit trotzdem tat – während er den anderen ausgiebig betrachtete, diesen vertrauten fremden Körper erneut kennen lernte.
„Warum schminkst du dich nicht mehr, Cora?“
Nun neigte er den Kopf leicht, um den anderen ansehen zu können, der sein Kinn immer noch auf seiner Handfläche abgelegt und den Ellenbogen gegen die knarzende Veranda gestützt hatte.
„Bevorzugst du die Schminke?“, entgegnete er.
Law zuckte nur mit den Schultern.
„Früher habe ich dich nur ganz selten ohne gesehen. Meistens nur wenn ich morgens vor dir aufgewacht bin und du dich ausnahmsweise mal abends abgeschminkt hattest. Ich frage mich nur, warum du dich nicht mehr schminkst.“
„Weil es nicht mehr nötig ist.“ Für einen Moment schloss er die Augen und atmete die herrliche Meeresluft ein. „Die Schminke war meine Maske, hinter der ich meine Gefühle verstecken konnte, so wie die Sonnenbrille meines Bruders, obwohl er natürlich seine Gefühle immer ganz offen gezeigt hat.“
Er seufzte leise.
„Ich war leider nie besonders gut darin, meine Gefühle zu verbergen, so wie du oder andere Soldaten, die ich kenne. Wenn ich die Schminke auftrug war es einfacher. Die Schminke und meine Teufelskraft waren meine Tarnung. Ohne Schminke und in Uniform war ich der ehrliche Soldat Rocinante. Die Schminke war eine Verkleidung zum Oberkommandanten Corazón. Aber hier und jetzt bin ich weder das eine noch das andere, hier und jetzt bin ich einfach nur Cora, ohne Uniform, ohne Maskerade, daher schminke ich mich nicht mehr. Hier bei dir kann ich einfach nur ich selbst sein.“
Law lächelte, während er seine freie Hand hochhob und Rocinante über die Wange strich, als würde er die unsichtbaren Konturen seiner Schminke nachfahren.
„Ich mochte die Schminke. Du wirktest immer so als würdest du lächeln, selbst wenn du es nicht tatst.“ Dann lehnte Law sich sachte vor und küsste ihn. „Aber ich mag dein echtes Lächeln viel lieber.“
Rocinante betrachtete die tiefen Augen über ihm, die mindestens so einnehmend waren wie die Sterne im Hintergrund.
„Ich mag dein Lächeln“, flüsterte er, zog eine Hand hinter seinem Kopf hervor und fasste nach Laws Kinn, strich über den weichen Bart, den Kieferknochen entlang bis zum Haaransatz. „Ich mag, wie du mit deinen Augen lächelst.“
Erneut lehnte sich Law über ihn, strich durch sein Haar, über seine Brust, und küsste ihn. Rocinante ließ es geschehen und erlaubte sich zumindest für einen Moment diese Zärtlichkeiten zu genießen, diese Zuneigung zu erfahren.
Er konnte Law nicht lieben, wie dieser ihn liebte, aber das hieß nicht, dass er sich nicht auch nach solchen Berührungen gesehnt hatte. Zumindest für diesen Moment erlaubte er seinen Zweifeln und Gewissensbissen vom Wind davongetragen zu werden während Law ihm so nahe war.
Kapitel 10 – Reisen
„Ach, bin ich erledigt“, die Beine weit von sich gestreckt fläzte Rocinante sich auf dem breiten Sessel des Cafés. Früh am Morgen waren er und Law aufgebrochen, um mit der Fähre von Natsu – der Sommerinsel, auf der sie nun schon seit einigen Wochen lebten – zur Nachbarinsel Haru zu reisen.
Die Überfahrt hatte kaum eine Stunde gedauert und danach hatten sie den gesamten Tag auf dem Markt verbracht, notwendige und weniger notwendige Dinge gekauft, Schausteller beobachtet, Auslagen betrachtet, sich mit allerlei Bekannten und Fremden unterhalten.
Mittlerweile hatten sie beide ihre Füße wundgelaufen und waren zu einer Verschnaufpause eingekehrt, ohne auch nur die Hälfte des riesigen Marktes erkundigt zu haben. Glücklicherweise hatte nicht einmal Laws Teleschnecke geklingelt, sodass sie ihren Ausflug nicht hatten unterbrechen müssen.
„Ich denke nicht, dass es sinnvoll ist sich weiterhin mit den ganzen Einkäufen durch die Massen zu drängen“, wägte Law ab und nippte an seinem Kaffee. „Falls uns noch etwas fehlt, sollten wir am Ende der Woche nochmal kommen. Dieser Verkäufer von den Küchenmessern hat mir gesagt, dass dann meistens deutlich weniger los ist und einige Stände auch Rabatte anbieten.“
„Es ist aber auch alles teuer geworden“, bemerkte Rocinante und beugte sich wieder vor, um nach seinem Tee zu greifen. „400 Berry für eine Tasse Tee, 100 Berry für die Tageszeitung, 800 Berry für…“
„Cora“, unterbrach Law ihn mit einem leisen Lachen, „du beschwerst dich wie diese alten Männer am Stand eben. Das sind völlig normale Preise. Du weißt doch, dass inflationsbedingt die Preise über die Jahre ansteigen.“
„Aber Law, 2.000 Berry…“
„Ich habe dir gesagt, dass ich genug für uns beide verdiene. Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben, Cora“, legte Law sofort den Finger in die Wunde. „Damals hast du dein Geld für uns eingesetzt und jetzt bin ich dran. Die Inseln hier sind wohlhabend und die Leute großzügig, ich verdiene mehr als genug, um uns ein unbeschwertes Leben zu ermöglichen.“
Rocinante schwieg und trank seinen Tee. Law hatte Recht. Es war ganz natürlich, dass die Preise im Verlauf von 17 Jahren ansteigen würden und es stimmte auch, dass Law durch seine Tätigkeit in der Praxis recht gut verdiente. Trotzdem widerstrebte es Rocinante dieses Geld einfach auszugeben.
Er musste gestehen, dass er nie ein vernünftiges Verhältnis zu Geld gehabt hatte. In seinem Leben hatte er entweder Geld im Überfluss oder überhaupt keines gehabt. Bei der Marine hatte er zwar ein Gehalt bekommen, aber da er die Stützpunkte so gut wie nie verlassen hatte, hatte er auch nichts ausgeben können und nach seinem angeblichen Tod war der Rest wohl in die Staatskasse zurückgefallen. Als er zu seinem Bruder zurückgekehrt war hatte es ihn angeekelt wie dieser das Blutgeld verschwenderisch um sich geworfen hatte.
Widerstrebend hatte er einiges mit sich genommen, um auf der langen Reise für Law sorgen zu können, hatte auch gestohlen, wenn es sein musste, so wie damals als Kind.
Heute kam ihm alles unverschämt teuer vor. Zwar war das Geld, welches er ausgab, weder gestohlen noch erschlichen, dennoch missfiel es ihm Laws harterarbeiteten Lohn für überteuerte Güter aus dem Fenster zu werfen.
„Wenn das Thema so schwierig für dich ist, dann guck dich doch nach Arbeit um.“
Überrascht sah er auf. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er wohl ganz seinen Grübeleien verfallen war.
Law nickte nur beiläufig und trank einen Schluck.
„Ich kann mir vorstellen, dass du nicht wirklich gelernt hast, wie ein normaler Mensch mit Geld umgehen sollte. Dein Bruder zumindest hatte seine ganz eigenen Spielregeln und ich bezweifle, dass Weltaristokraten das Konzept von Geld wirklich verstehen.“ Er zuckte mit den Achseln. „Wie gesagt, ich verdiene wirklich genug, dass du es nicht brauchst und für mich müsstest du es auch nicht tun. Aber wenn es dir so schwer fällt das Geld auszugeben, welches ich verdiene, dann überleg doch, ob du dir nicht eine Arbeit suchst. Es muss ja keine Vollzeitanstellung sein, vielleicht nur ein-zwei Tage die Woche, damit du ein Gefühl dafür bekommst.“
„Aber… aber das Haus…“
„Mit den Sachen, die wir heute gekauft haben, werden wir die Innenarbeiten in den nächsten Tagen im groben Ganzen wohl bewältigen können und die Veranda ist so oder so ein aufwendiges Projekt, da machen ein paar Tage mehr oder weniger auch keinen Unterschied. Also was denkst du?“
Law sah ihn gewohnt ernst an.
Rocinante mochte diese erwachsende, kalkulierende Art, die Law schon als kleiner Junge an den Tag gelegt hatte. Law war schon immer jemand gewesen, der Situationen und Probleme im Stillen erfasste und dann nach rationalen, sinnvollen Lösungen suchte, mal mehr mal weniger empathisch.
Er betrachtete die halb leere Tasse in seiner Hand.
„Ich habe noch nie in meinem Leben wirklich gearbeitet“, murmelte er und sah auf, „also ehrliche, richtige Arbeit, nicht als Soldat, nicht als Handlanger eines Piraten. Ich habe doch gar keine Ausbildung, wer würde schon wollen, dass ich für ihn arbeite?“
Erneut zuckte Law mit den Schultern.
„Es gibt unzählige Berufe für die man nicht eine spezielle, jahrelange Ausbildung braucht – wobei das auch eine Möglichkeit wäre, wenn du dich für irgendetwas spezielles interessierst, schließlich bist du ja noch jung – bei vielen Tätigkeiten wird man von den erfahreneren Kollegen eingearbeitet und braucht nicht viele Vorkenntnisse. Wie gesagt, für mich brauchst du das nicht machen, aber wenn du glaubst, dass es dir guttun würde, dann solltest du es tun.“
Es war seltsam von demjenigen als jung bezeichnet zu werden, den er einst auf seinen Schultern getragen hatte, aber Rocinante würde sich dran gewöhnen.
Der Kellner kam herüber und Law zahlte, bevor sie aufstanden, ihre unzähligen Taschen, Körbe und Kisten einsammelten und sich Richtung Hafen aufmachten. Auf dieser Insel war es deutlich frischer als auf Natsu, sodass der Meerwind sie fast schon frösteln ließ, obwohl die frühe Abendsonne noch weit vom Horizont entfernt war.
„Ich glaube, ich möchte mir wirklich eine Arbeit suchen“, entschied er, als sie auf der fast menschenleeren Fähre waren und Law seine vom Schleppen müde Hände schüttelte. „Die Arbeit rund ums Haus macht mir unglaublich viel Spaß; mir war nie bewusst, wie beglückend es sein kann, etwas zu bewerkstelligen, wie befriedigend ehrliche Arbeit sein kann.“
Law nickte nur und ergriff dann ganz unbekümmert seine Hand während sie sich hinsetzten, vor ihnen die weiten des Meeres.
„Dann werde ich Frau Paipai mal fragen, ob sie etwas für dich weiß.“ Er lehnte seinen Kopf gegen Rocinantes Oberarm und drückte seine Hand leicht. „Ich bin mir sicher, du wirst eine tolle Arbeit finden.“
„Schlaf etwas, Law. Du warst heute morgen viel zu früh auf und hast die letzten Tage kaum geschlafen.“
Der andere widersprach ihm noch nicht einmal, sondern schien nur seine Augen zu schließen und wenige Sekunden später wurde sein gleichmäßiger Atem fast von den Wellen, die an der Fähre brachen, übertönt. Rocinante auf der anderen Seite lehnte sich etwas zurück gegen die Rückenlehne – stets darauf bedacht den an ihn geschmiegten Law nicht aufzuwecken – und betrachtete das Meer.
Die letzten Wochen waren fast wie in einem Traum vergangen. Jeden Morgen hatte er von längst vergangenen oder kürzlich geschehenen Weltereignissen aus er Zeitung erfahren – welche Law ihm nicht selten hatte näher erläutern müssen – während er dann den halben Tag darüber nachgegrübelt hatte und seine handwerklichen Arbeiten nachgegangen war.
Vieles war in der Welt geschehen und mit jedem neuen Puzzleteil wurde ihm mehr und mehr bewusst, dass der Mann, der selbst im Schlaf seine Hand so feste drückte, kein unwesentlicher Bestandteil der Geschichte war, auch wenn sein Name nur selten in Artikeln fiel, ganz anders als die Namen der verschiedenen Mitglieder der Strohhutpiratenbande. Ähnlich wie Law schienen sie sich dagegen entschieden zu haben, die neue Weltordnung, für die sie nicht ganz unverantwortlich waren, mitzugestalten, sondern bevorzugten es wohl die ganze Welt zu bereisen.
Dennoch schienen immer wieder Stimmen laut zu werden, die entweder die Strohhüte als Kriegsverbrecher bestraft sehen wollten oder forderten, dass sie die neue Weltordnung gar bestimmen sollten.
Die derzeit Verantwortlichen schienen in der Mehrheit irgendwelche Verbindungen zu dieser seltsamen Piratencrew zu haben und nicht selten las Rocinante den Namen von einst recht unbedeutenden Königreichen, die nun wichtige Aufgaben übernahmen und eine gerechtere Welt anstrebten.
Die meisten Staaten der Welt schienen sich unter die Schirmherrschaft einer neuen Organisation gestellt zu haben, die wohl nach dem Großen Krieg gegründet worden war und die Weltregierung abgelöst hatte.
Unter dem Titel der „Vereinten Völker“, auch kurz genannt „VV“, versuchte diese neue Organisation – bestehend aus ehemaligen Marinesoldaten, Weltregierungspolitikern, Verbrechern und anderen – nun die Welt zu verändern und nur die Zeit würde zeigen, ob sie dies schaffen würde.
Als Zeichen der Kehrtwende wurde der Sitz dieser Organisation auf eine ehemalige Marineinsel nahe der Red Line gelegt, denn auf dieser Insel hatte wohl vor sechs Jahren die Schlacht von Marine Ford stattgefunden, welche mittlerweile nach ganz herrschender Meinung den Grundstein für die danach kommenden Unruhen, und schließlich für den Sturz der alten Regierung, gelegt hatte.
Es schien wohl passend, die internationale Organisation, die die Welt vereinen wollte, an dem Ort aufzubauen, an dem ein neues Zeitalter eingeläutet worden war. Als Helden dieser Wende waren die Piraten Puma D. Ace und Edgard Newgate, auch genannt Whitebeard, in die Geschichte eingegangen.
Doch so viel Zuspruch die neue Weltordnung auch hatte, so viel Zweifel und Widerstand stand ihr auch entgegen und Rocinante verstand nur zu gut, warum Law dieser Bühne den Rücken gekehrt hatte. Jetzt, gerade mal zwei Jahre nach dem Großen Krieg, an dem sowohl Law als auch die Strohhutbande nicht unwesentlich beteiligt gewesen waren, schien die Welt immer noch voller Unruhen und Auseinandersetzungen zu sein.
So friedlich die Inseln, auf denen sie lebten, auch sein mochten, so sehr herrschte in der großen Welt noch Chaos und die neuen Strukturen waren kaum in der Lage der Situation Herr zu werden.
Vielleicht war es deshalb für Rocinante so überraschend gewesen zu erfahren, dass die Insel Natsu, auf der sie die letzten Wochen ein undenkbar glückliches Leben geführt hatten, tatsächlich nicht weit entfernt von der Insel entfernt lag, die Rocinante noch unter dem Namen „Marine Ford“ kannte.
Es gab wohl sogar einen Seezug, der die Nachbarinseln Haru und Fuyu sowohl mit der Red Line als auch mit dem Sabaody Archipel und der Insel mit dem neuen Namen „Kaikkien Maiden“ verband.
Es war wohl richtig, dass zumindest die Nachrichtendienste nicht wussten, wo Law sich derzeit aufhielt, aber Rocinante hatte erwartet, dass Law einen größeren Abstand zu solchen Geschehnissen suchen würde, so wie Strohhüte es wohl immer wieder taten, die wohl vor kurzem den Rivers Mountain überquert hatten.
Allerdings wusste er auch, dass Law nur durch einen Zufall auf dieser Insel geblieben war, weil Ninnins Mutter als letzte Ärztin dieser Region verstorben war und Law eine Aufgabe gesucht hatte. Dennoch fragte er sich, warum die vier Inseln nicht in der Lage gewesen waren selbst jemand fähigen zu finden, insbesondere wenn man das Sabaody Archipel innerhalb einer Tagesreise erreichen konnte.
Allerdings schien die Welt wirklich nicht mehr der Ort zu sein, den Rocinante kannte und die Menschen hier mochten sich wohl sicherer fühlen, wenn einer von ihnen sie umsorgte und sie gaben ihr Bestes, dass sowohl Law als auch Rocinante das Gefühl hatten einer von ihnen zu sein.
Er lugte zu Law neben ihm hinab, der immer noch friedlich schlummerte, und fragte sich mit wessen Glück er diese zweite Chance verdient hatte.
Die Dinge waren anders als er sie sich damals ausgemalt hatte, aber dieses anders hatte auch etwas Schönes an sich. Rocinante hatte sich nie als Laws Vater gesehen, mehr als einen Beschützer – oder vielleicht eine gute Fee mit vielen Federn – aber vielleicht war diese neue Form ihrer Beziehung als Partner auf Augenhöhe genau das, was auch er gebraucht hatte.
Wenn Rocinante ganz ehrlich war, war er früher oft mit Law überfordert gewesen. Er hatte nicht wirklich gewusst, wie man mit Kindern umging und Law war eindeutig kein normales Kind gewesen. Er hatte weder das Geld noch das Wissen gehabt, um gut für sie beide zu sorgen, ganz gleich seiner naiv gutmütigen Absichten. Doch nun schulterte er diese Aufgabe nicht mehr allein. Law hatte zwar die seltsame Angewohnheit alltägliche Dinge wie Schlaf oder Nahrungsaufnahme zu vergessen, aber er stand mit beiden Beinen fest im Leben und für Rocinante, der sich mehr als bewusst war, dass er nicht der passende Erziehungsberechtigte für ein Kind war, war es fast ein Glück, dass er das auch nicht sein brauchte.
In dieser leisen Stille, nie laut ausgesprochen, war er fast dankbar, dass er nun hier saß, Law an ihn gelehnt. Er wusste, dass Law furchtbare Dinge hatte durchmachen müssen, dass die Welt hatte furchtbare Dinge durchmachen müssen, nur weil er damals nicht den Abzug betätigt hatte, aber da er diese Dinge der Vergangenheit nicht mehr ändern konnte, blieb ihm nichts anderes übrig außer in voller Demut dafür dankbar zu sein, dass er nun hier war und Law seine Hand drückte.
Er mochte nicht dabei gewesen sein, als Law hatte erwachsen werden müssen, aber er war jetzt hier und wenn Law so friedlich schlummerte, dann schien es beinahe all das wert gewesen zu sein.
„Ich hab dich lieb, mein Kleiner“, murmelte er und erlaubte sich einen Arm um den anderen zu legen und ihn noch näher an sich zu drücken.
„So, das wäre dann alles“, murmelte Rocinante und stellte die letzte Kiste in Laws Arbeitszimmer ab.
Er war heute nochmal auf den Markt der Insel Haru gefahren, am letzten möglichen Tag, um die Besorgungen zu erledigen, die sie bei ihrem ersten Besuch nicht mehr hatten schleppen können.
Eigentlich hatte Law ihn begleiten wollen, aber ein Notfall hatte ihn davon abgehalten. Deshalb war Rocinante allein gegangen, was ihm zumindest ermöglicht hatte eine Kleinigkeit abzuholen, die er Law schenken wollte, ohne dass dieser dabei war.
„Cora“, hörte er den anderen schon aus der Küche rufen.
„Ich komme, ich komme“, antwortete er, warf noch einen letzten Blick auf das Schwert, welches so unschuldig auf einem Brett im Regal lag, und verließ das Zimmer.
Law war vor ihm Zuhause gewesen und hatte sich die Freiheit genommen Abendessen zu kochen. Unter ihnen zwei Stümpern schien Rocinante tatsächlich derjenige zu sein, der etwas fähiger am Herd war – zu seiner eigenen Überraschung – Law hingegen scheiterte schon an einfachen Dingen. Es gab nur zwei Nahrungsmittel, die er schmackhaft verarbeiten konnte: Reis und Fisch. Doch selbst eine simple Soße brannte ihm meist an und sein Gemüse schmeckte immer recht fad.
Dennoch machte Rocinantes Herz zwei kleine Hüpfer als er in die offene Küche mit Esszimmer trat und der Geruch von gebratener Forelle ihn begrüßte.
Law hatte sich dieses Mal wirklich selbst übertroffen; neben dem gedeckten Tisch – samt Tischdecke und Wein – hatte er sich nicht nur extra an einer kalten Bohnenpaste probiert, sondern auch noch einen Salat zubereitet.
„Du warst lange unterwegs“, bemerkte Law, während er Reis und Fisch anrichtete.
„Ja“, stimmte Rocinante zu und rieb sich den steifen Nacken, ehe er die Bohnenpaste probierte und ein bisschen nachwürzte, „ich kam zwei Minuten zu spät und musste dann die nächste Fähre nehmen. Tut mir leid, dass ich dich warten ließ.“
„Nicht schlimm, so hatte ich wenigstens genug Zeit zum Kochen. Hast du alles bekommen?“
Er nahm die Teller, die der andere ihm reichte, und trug sie zum Tisch.
„So ziemlich, bis auf ein neues Teeset und den Hocker für ins Bad. Ich wollte einen, der nicht ganz so tief ist, wie der jetzige - da kann ich mich auch gleich auf den Boden setzten - aber die haben direkt ein Vermögen gekostet.“
„Cora, du weißt doch was ich…“
„Ich denke ich werde Herrn Sansan fragen, ob er uns einen bauen kann“, unterbrach Rocinante direkt Laws Einwand und öffnete die Weinflasche während Law die restlichen Sachen zu Tisch brachte. „Wahrscheinlich sollte ich ihm eine Niere oder so als Anzahlung bieten, für all die Sachen, die er und seine Familie für uns getan haben. Die Hälfte unserer Einrichtung haben wir von ihnen und ohne Halhal wäre jetzt nicht Wein in unseren Gläsern, sondern Regenwasser vom Dach.“
Keiner von ihnen war ein wirklicher Weinkenner, aber zu besonderen Anlässen öffneten sie schon mal eine Flasche, auch wenn Rocinante nicht wusste, warum der heutige Tag besonders sein sollte, aber alles schmeckte besser als Regenwasser aus der Dachrinne.
„Wage es nicht, deine Organe darzubieten, Cora“, schollt Law ihn nur halb-ernst, „sie haben uns die Sachen geschenkt und uns freiwillig geholfen. Sie waren sehr großzügig, aber wenn man etwas freiwillig gibt, erwartet man normalerweise keine Gegenleistung.“
„Nimm nicht immer alles so todernst, Law. Das war ein Witz“, lachte er und lehnte sich vor, um Laws Mundwinkel nach oben zu ziehen, woraufhin dieser nur mit den Augen rollte.
Und dann genossen sie ihren Abend. Law erzählte von der Arbeit – Frau Paipai schien ganz begeistert von der Idee zu sein, dass Rocinante eine Stelle suchte, und Ninnin war wohl ganz nervös vor ihrem ersten Hintergrunddienst – und Rocinante von seinen Erlebnissen auf Haru.
Während der letzten Woche hatten sie fast alle Renovierungen im Inneren des Hauses abgeschlossen und mittlerweile fühlte es sich auch wirklich nach dem Heim an, dass sie beide daraus hatten machen wollen. Immer wieder war der eine oder andere Nachbar und Inselbewohner vorbeigekommen, zum Helfen oder nur zum Quatschen und so langsam fühlte Rocinante sich hier wirklich wohl.
Auch Law schien sein Leben mehr und mehr zu genießen. Er lachte viel mehr als am Anfang, fast schon wieder so viel wie manche Tage damals, als sie zusammen auf Reisen gewesen waren, meistens nicht laut und schallend so wie Rocinante, aber mit jedem Tag wirkte er glücklicher und entspannter und das machte Rocinante ebenso glücklich.
Er mochte es, wie Law in sein Weinglas prustete anstatt sich lachend im Stuhl zurückzuwerfen und er mochte es, wie Law ihn mit diesem leisen Lächeln beobachtete, wenn Rocinante von seinem Tag erzählte. Er mochte es, wie Law etwas Ernstes sagte oder ihn mit erhobener Hand tadelte, während seine Augen voller Schalk funkelten. Er mochte selbst, wie Law über den Tisch hinweg seine Hand griff und hielt, nachdem sie aufgegessen hatten.
„Lass uns etwas ans Meer gehen“, meinte Law mit einem Schmunzeln, „der Abwasch kann warten.“
Rocinante konnte dem gar nicht widersprechen, als Law ihn vom Stuhl und auf die Veranda zog. Dort ließen sie Schuhe und Socken zurück, krempelten die Hosenbeine hoch und gingen die paar Stufen hinunter.
Hand in Hand gingen sie im Sternenlicht am Strand entlang, lachten und erzählten, und genossen diese einfache, wertvolle Zweisamkeit. Der Sand unter ihren Füßen war kalt, aber das Wasser warm, auch wenn Law vermied mehr damit in Kontakt zu kommen als nötig, und dennoch schien er es angenehm zu finden hier mit Rocinante spazieren zu gehen.
Sie hatten sich schon oft vorgenommen an einem freien Tag mal wandern zu gehen, aber bisher hatten sie es einfach nicht geschafft und das, obwohl der Wald mit den beliebten Wanderrouten direkt neben ihrem Heim lag.
„Ninnin ist eine schnelle Lernerin und sehr ehrgeizig, ich denke sie wird bald auch mehr selbstständig arbeiten können, dann werde ich mehr frei haben“, bemerkte Law als sie entschieden umzukehren, „dann haben wir endlich mehr Zeit als nur die kurzen Abende.“
„Darauf freue ich mich“, gestand Rocinante ein und sah aufs Meer hinaus, „ich freue mich auf jeden Moment, den ich mit dir verbringen kann, Law.“
Sie blieben stehen und Law zog ihn zu sich hinunter, um ihn zu küssen. Mit jedem Tag, der vergangen war, war Law selbstbewusster geworden und Rocinante wehrte sich nicht, genoss die Zärtlichkeit und die Liebe des anderen.
„Ich habe noch etwas für dich, Law“, flüsterte er, während Law ihm über die Wange strich.
Er richtete sich auf und zog ein einfaches weißes Blatt Papier aus seiner Hemdtasche. Als er es zerriss und die eine Seite Law reichte, konnte er an dessen großen Augen erkennen, dass dieser natürlich wusste, was dieses Papier war.
„Ich weiß, dass du dir immer Sorgen machst, wenn ich nicht in Blickweite bin. Ich möchte dir etwas von deiner Sorge nehmen.“
Law nahm das Blatt entgegen und sah es schweigend an.
„Und egal was passieren sollte, mit dieser Vivre Card werden wir uns immer wieder finden.“
Plötzlich sah Law zu ihm auf.
„Hast du vor zu gehen?“
Beschwichtigend hob er schnell beide Hände als der andere sein Geschenk offensichtlich total missverstand.
„Nein, nein! Aber weißt du, irgendwann werde ich Sengoku und meinen Bruder aufsuchen müssen und wer weiß wohin dich deine Arbeit manchmal verschlägt und auf der Grand Line kann vieles passieren.“ Er griff Laws Hand. „Aber ich habe nicht vor dich jemals zu verlassen, Law. Ich bin sehr glücklich hier mit dir.“
„Ich bin auch glücklich.“ Law drückte Rocinantes Hand und schmiegte sich an ihn als sie ihren Weg fortsetzten. „Ich wünschte die Zeit würde stehen bleiben und wir könnten für immer so glücklich sein.“
Es war selten, dass Law seine Rationalität vernachlässigte und Tagträumen nachhing. Es war selten, dass er die Realität ignorierte. Dass er es tat, beunruhigte Rocinante etwas; bildete er sich zu viel ein?
„Wir können nicht ändern was die Zukunft für uns bereit hält, aber wir können uns entscheiden wie wir ihr entgegentreten“, entgegnete Rocinante als in der Ferne ihr Heim auf sie wartete, „und solange wir zusammen sind, werden wir jede Krise meistern können.“
„Ja, du hast Recht.“ Doch Law klang beinahe traurig und danach schwiegen sie.
Im Licht der Sterne fiel es Rocinante schwer zu erkennen, ob es nur die Nacht war oder ob Law wieder drohte von seinen Schatten eingenommen zu werden.
Er vermutete, dass ihr Gespräch über Sorge, Unvorhersehbarkeit und Unsicherheit Law an die Vergangenheit erinnert hatte und an die Menschen, die er verloren hatte.
Nur selten sprach Law über solche Dinge und Rocinante drängte ihn nicht und so schwieg er auch dieses Mal, gab Law den Halt, den er brauchte, ohne etwas einzufordern, denn das war das was er für den anderen tun konnte.
Zurück im Haus entschuldigte Law sich ins Bad zum Duschen, während Rocinante schnell den Abwasch erledigte, ehe er sich im zweiten Bad ebenfalls bettfertig machte. Er überlegte noch auf Law zu warten, bis dieser das Bad verlassen würde, aber er vermutete, dass Law nun lieber seine Ruhe haben würde, also ging er in sein Zimmer, schaltete das kleinen Nachtlicht an und zog sich um.
Gerade hatte er das Fenster zum Meer hin geöffnet, als die Türe hinter ihm aufging.
Kapitel 11 – Moment
Überrascht wandte er sich um.
„Alles in Ordnung?“, fragte er verwundert.
Law stand im Türrahmen, das Haar noch nass von der Dusche, nur den langen Bademantel an, den Rocinante ihm vor ein paar Wochen gekauft hatte.
„Hast du einen Moment, Cora? Bitte setzt dich hin.“ Laws beinahe heisere Stimme ließ ihn aufhorchen; misstrauisch kam er den Worten des anderen nach und ließ sich auf der Bettkannte nieder.
Schon bei ihrem nächtlichen Spaziergang war ihm aufgefallen, dass Law irgendwie anders gewirkt hatte und nun zeigte es sich noch deutlicher als er beobachtete, wie der andere sich über die Tattoos auf seinen Unterarmen rieb.
„Law? Was ist passiert?“
Als er sprach schreckte der andere beinahe auf und sah ihn dann ernst an, ehe er einen Schritt auf Rocinante zutrat. Da er nun saß musste er zu dem anderen aufsehen, der direkt vor ihm stand und sich dann zu ihm hinabbeugte und ihn küsste.
Auch dieser Kuss fühlte sich anders an, drängender, verzweifelter, nicht so sanft und zaghaft oder warm und zärtlich wie sonst.
„Law, was ist denn…?“
Der andere unterbrach ihn erneut mit einem tiefen Kuss und dieses Mal konnte Rocinante auch dessen Zunge an seinen Lippen fühlen.
Er lehnte sich zurück und unterbrach die Berührung. So weit waren sie bisher noch nie gegangen und Rocinante wusste auch nicht, ob er das konnte. Ein Kuss hier, eine Zärtlichkeit da, das war eine Sache, aber noch nie hatte Law Avancen gemacht weiter zu gehen als das.
„Aber Law, was…?“
„Ich weiß“, flüsterte Law und beugte sich zu ihm hinab, lehnte seine Stirn gegen Rocinantes, „ich weiß, dass du mich nicht liebst, wie ich dich liebe, Cora, ich weiß.“
Es tat weh, wie der andere klang und wie traurig sehnsuchtsvoll er ihn ansah. Es tat ihm unglaublich weh, dass er Law nicht das geben konnte, wonach er sich anscheinend am meisten sehnte.
„Das erwarte ich auch gar nicht. Ich erwarte nicht, dass du je solche Gefühle für mich entwickelst, Cora. Aber heute…“ Er zögerte und Rocinante konnte dessen Atem auf seinen Wangen spüren. „… könntest du für heute, nur für heute, so tun als ob?“
Er wusste nicht was hier vor sich ging, aber die Art wie Law beinahe flehte verunsicherte ihn zutiefst, dennoch…
„Bitte, nur für heute, nur für einen Moment“, flüsterte Law und schloss kurz die Augen, ehe er etwas Abstand zwischen sie brachte, „du kannst dir auch jemand anderen vorstellen, wenn es dir…“
„Law“, unterbrach er nun den jungen Mann, den er so sehr liebte, aber eben nicht auf diese Art, „egal was du verlangst, ich werde mir nie jemand anderen vorstellen, wenn du vor mir stehst.“
Er konnte die Tränen in Laws Augen schimmern sehen und wusste, dass er erneut die falsche Entscheidung treffen würde, aber wie sollte er sich Law erwehren, wenn dieser ihn so ansah?
„Wirst du mir sagen, warum?“, fragte er deshalb, als er sich entschied, dass er alles tun würde, um Law glücklich zu machen, so sehr liebte er ihn. Für einen Moment würde er die Grenzen, die er nie vorhatte zu überschreiten, ignorieren.
„Nicht, wenn du es nicht von mir verlangst“, entgegnete Law und hielt seinem Blick stand.
„Ich verlange nichts von dir, Law“, flüsterte er und als Law ihn dieses Mal küsste, ließ er es geschehen.
Dieser Kuss war anders als alle bisherigen; bestimmt, aber sanft schmiegte Law seine Lippen an Rocinantes, fuhr ihm mit einer Hand durchs Haar und mit der anderen über Rocinantes Nacken.
Für einen Moment noch wollte sein Verstand ihm erklären, dass dies hier nicht sein sollte, dass er Laws Gefühle für sich nicht ausnutzen sollte, dass er diesen Schritt nicht gehen sollte, dass er Law helfen sollte, seine Ängste und Traumata auf gesundem Weg zu lösen und nicht mit seinen Gefühlen für Rocinante verdrängen sollte, doch mit jeder Sekunde wurde seine Gegenwehr schwächer.
Am Ende war er doch auch nur ein Mann, der sich nach Körperkontakt und Zärtlichkeiten sehnte und es so schwer hatte anderen Menschen zu vertrauen. Am Ende hatte auch er Sehnsüchte nach Berührungen und Intimität, die er nicht verdrängen konnte.
Dieses Mal ging er auf Laws Zungenkuss ein und ließ zu, dass Law ihm nun noch näher kam. Er schloss die Augen, erlaubte Law zu tun was er wollte, erlaubte sich selbst zu fühlen, wonach sein Körper sich seit langer Zeit sehnte.
Er nahm kaum war, wie Law sein Nachthemd aufknöpfte und es zur Seite zog, merkte kaum, wie Law ihn aufs Bett hinter sich drückte. Alles was er wahrnahm, waren Laws langgliedrige Finger auf seinem Körper, diese rauen und doch sanften Lippen auf den seinen.
Sein Körper erzitterte unter den sanften Berührungen des anderen.
Nach intensiven Sekunden erlaubte Law es ihm nach Luft zu schnappen, während dessen Hände über Rocinantes Brust strichen, ehe Law ihn erst an Ohr, Hals und schließlich am Schlüsselbein küsste, mit den Zähnen leicht seine Haut zwickte.
Rocinante flüsterte den Namen des anderen, als dieser damit fortfuhr seinen Körper zu erkunden, jede kleine Narbe liebkoste.
Zwischendurch flatterten seine Augen auf und er sah über sich nur die simple Zimmerdecke während seine Hände nach Laws Schultern, dessen Haaren, irgendetwas griffen, sich in Stoff, Haare und Haut gruben.
„Entspann dich, Cora“, flüsterte Law und leckte über seine linke Brustwarze, während Finger über Bauchnabel und Lendengegend glitten, „lass mich dich verwöhnen.“
Er war kaum in der Lage mehr als zustimmend zu keuchen. Seine Erfahrungen in diesem Bereich waren begrenzt auf die lang zurückliegenden Tage in der Ausbildung zum Soldaten, aber jede Berührung des anderen jagte einen wohligen Schauer über seinen Rücken und Law wusste augenscheinlich genau, was er tat.
Selbst wenn Rocinante noch gewollt hätte, spätestens jetzt konnte er sich Law nicht mehr erwehren als alles was er noch fühlen konnte Laws Lippen auf seinem Bauch und dessen Hände an seinen Oberschenkeln waren.
Seine Haut schien elektrisiert unter Laws Fingern und obwohl Rocinante sich kaum bewegte, kaum mehr als bei jedem Anfassen erbebte, atmete er schnell und schwer.
Seine Muskeln spannten und entspannten sich und es kostete ihn größte Mühen sich wieder aufzusetzen während Law nicht eine Sekunde von ihm abließ.
Zum ersten Mal ergriff Rocinante die Initiative und zog den anderen wieder zu sich hoch, küsste Law, rieb mit seiner Zunge über dessen Lippen, glitt mit seinen Händen unter Laws Bademantel und über dessen Schultern, diese tiefen Augen manchmal vereinnahmend, manchmal geschlossen.
Dann löste Law sich von ihm, strich mit einer Hand Rocinantes Oberkörper hinab, über den Bauchnabel hinweg und seine Schlafanzughose hinunter.
„Law“, zitterte er vor Erregung und kaum in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen, während der andere ihn von seiner Hose und Unterhose befreite.
Im nächsten Moment küsste Law ihn erneut, vergrub seine Hände in Rocinantes Haar, während er ebenfalls seine Hände um den muskulösen Körper des anderen schlang.
Law kniete vor ihm, seine Knie zur Linken und zur Rechten Rocinantes auf dem Bett. Nun waren sie genau auf Augenhöhe und Rocinante wusste, dass diese Augen ihn noch nie so angesehen hatten und bei allem was ihm heilig war, so war dieser Blick genug, um die allerletzten Zweifel verblassen zu lassen.
Er wollte das hier, er wollte Law so nah sein wie niemand sonst, wollte ihn fühlen wie niemanden sonst.
Es stimmte, dass er nicht die gleichen Gefühle in sich trug wie Law, aber gerade in diesem Moment wollte Rocinante glauben, dass es doch dieselben waren. Für diesen Moment wollte er glauben, dass er dies nie bereuen würde und für diesen einen Moment war es ihm sogar fast egal, falls doch.
„Ich will dich fühlen“, flüsterte Law in sein Ohr und streichelte seine Wange, „Ich will dich tief in mir fühlen.“
Laws Oberkörper rieb an seinen, seine Füße an Rocinantes Oberschenkeln.
„Aber Law…“, versuchte er einen schwachen Einwand, den Law mit einem schnellen Kuss sofort unterband.
„Keine Sorge, Cora.“ Er fuhr sich über die Lippen und sah ihn mit seinen feurigen, tiefen Augen an. „Ich bin vorbereitet.“
Wieder küsste Law ihn, hielt mit einer Hand sein Haar und griff ihn mit der anderen. Dann löste Law auch seine andere Hand und schien nach etwas in den Taschen seines Bademantels zu greifen, doch Rocinante konnte sich kaum darauf konzentrieren, als Law ihn erneut küsste.
Er erbebte, als Law ihn mit beiden Händen ergriff und mit einer kühlen Flüssigkeit einrieb. Schwer atmend hielt er sich an Law fest und schloss die Augen für einen kurzen Moment.
Rocinante hielt beinahe die Luft an und dann konnte er nicht anders als laut aufzustöhnen. Alles, was er sehen konnte waren Laws geschlossene Augen und sein offener Mund. Alles, was er hören konnte waren sein eigener und Laws schneller Atem, ihr Keuchen, geflüsterte Worte. Alles, was er spüren konnte war Law, nur Law, jede Bewegung, jede Berührung, jedes Gefühl, jede Empfindung war Law.
Er hielt den anderen fest, hielt ihn ganz nah an sich, meinte dessen Herzschlag fühlen zu können, konnte dessen Atem in seiner Halsbeuge spüren, die Fingernägel in seiner Schulter.
Es war ihm unmöglich die Augen zu schließen. Er musste Law ansehen, wie die einzelnen Schweißperlen seine Schläfen entlangglitten, wie er die Augen schloss und mit der Zunge seine Lippen benetzte, wie sich sein Adamsapfel bei jedem Atemzug bewegte, wie jeder einzelne Muskel sich anspannte, wie jedes einzelne Haar sich aufzustellen schien.
Nie zuvor war Rocinante bewusst gewesen, wie vollkommen Law war, mit seinem strubbeligen schwarzen Haar, den goldenen Ohrringen, den kunstvollen Linien auf seinem Oberkörper, die Rocinante bisher kaum wahrgenommen hatte.
Gerade in diesem Moment, als Sinnlichkeit und Leidenschaft alle seine Sinne erfüllte, bemerkte er, wie viel mehr Law doch war.
Sein Kopf wollte kluge Erkenntnisse erzielen, aber alles was er wirklich konnte, war diesen Moment der ungehemmten Hingebung zu genießen.
Für diesen einen Moment wusste er, dass Law alles in seinem Leben war, das zählte.
Mit müden Augen betrachtete er die Zimmerdecke über sich.
In den warmen Strahlen der aufgehenden Sonne konnte er jede einzelne Furche in den Balken sehen, die wie Zeugen der Zeit über ihn wachten.
Eine leichte Bewegung lenkte ihn ab.
Law neben ihm rollte sich auf die Seite und wandte ihm nun sein Gesicht zu, immer noch friedlich am schlummern. Immer noch hielt er Rocinantes Hand fest, wie zu dem Zeitpunkt, als sie eingeschlafen waren, irgendwann erst vor wenigen Stunden.
Unter der Bettdecke lugten die oberen Linien von Laws Brusttattoo hervor, von dem Rocinante bisher tatsächlich noch nichts gewusst hatte, aber er hatte noch nicht die Möglichkeit gehabt, es näher zu bestaunen. Leise musste er sich eingestehen, dass Law Tattoos gut tragen konnte.
Er wusste nicht genau, warum Law am vergangenen Abend zu ihm gekommen war, wusste nicht was der Auslöser gewesen war, aber nun schlief er friedlich neben ihm und nichts schien ihn wecken zu können. Rocinante fragte sich, ob Law deswegen immer so schlecht schlief, weil er sonst allein war.
Die Vernunft wollte ihm bereits ein schlechtes Gewissen einjagen, aber er wusste nicht, ob es wirklich ein Fehler gewesen war Law nicht abzuweisen, nicht, wenn dieser nun so zufrieden wirkte.
Außerdem musste er auch eingestehen, dass die vergangene Nacht… gut wäre wohl eine traurige Untertreibung. Vielleicht lag es daran, dass sie einander so vertraut waren oder Law einfach genau gewusst hatte was er tat, aber Rocinante konnte sich nicht erinnern jemals so eine Erfahrung gemacht zu haben. Allerdings lagen seine letzten Male auch schon einige Jahre zurück – von den fehlenden 17 Jahren mal ganz zu schweigen – und ganz objektiv war er ja nie, wenn es um Law ging.
Dieser seufzte gerade wohlig im Schlaf und Rocinante entschied, dass ganz gleich was diese Nacht für Folgen haben würde, sie war kein Fehler gewesen. Law hatte für diesen einen Moment bei ihm gefunden, was er gebraucht hatte und Rocinante selbst hatte eine unvergessliche Nacht erlebt.
Nach einigen weiteren ruhigen Minuten entschied er Law schlafen zu lassen und Frau Paipai Bescheid zu geben, dass der andere später zur Arbeit kommen würde.
Er brauchte überraschend lange, um Laws Griff um seine Hand zu lösen, danach deckte er den anderen noch gut zu und verließ dann so leise er konnte das Zimmer, wobei er jedoch natürlich mit dem kleinen Zeh gegen die Bettkante stoßen musste.
Leise fluchend führte sein erster Weg ihn ins Badezimmer und ein Blick in den Spiegel verriet ihm, dass es mit seiner bleichen Haut schwer werden würde, sämtliche Spuren der vergangenen Nacht auf einer Sommerinsel zu verbergen.
Auf der anderen Seite war es ihm ziemlich gleich, was die Dorfbewohner über seine Beziehung zu Law dachten und vermutlich glaubten sie eh, dass Law und er ein Paar waren. Rocinante selbst wusste nicht wirklich was sie waren, er hatte ihrer Beziehung noch nie einen Namen aufgedrückt.
In Laws Arbeitszimmer nutzte er die alte Teleschnecke, um in der Praxis anzurufen, wo Frau Paipai vermutlich schon seit über einer Stunde Papierkram erledigte. Danach entschied er Frühstück zu machen, eine der Mahlzeiten, die Law in fast schon beiläufiger Regelmäßigkeit vergaß.
Draußen auf dem Geländer der Veranda landete derweil eine der Zeitungsmöven und wartete auf ihren Lohn.
100 Berry – 100 Berry! Früher hatte sie gerade mal 60 gekostet, das war fast doppelt so viel! - später saß Rocinante auf den Stufen, die zum Meer hinabführten, seine morgendliche Zigarette in der einen und die Zeitung in der anderen Hand.
Es gab immer noch viele Artikel, die er nicht verstand, da ihm der nötige Kontext fehlte, aber das hielt ihn nicht davon ab, sie jeden Morgen zu lesen und heute wusste er auch warum.
„Budda“ Sengoku ist zurück – ehemaliger Großadmiral nimmt Beraterposition der VV an
Kapitel 12 – Meer
„Guten Morgen, Cora.“
Als er aufsah, stand Law hinter ihm, eine Tasse Kaffee in der Hand und ein warmes Lächeln auf den Lippen.
„Guten Morgen, Law“, entgegnete er, fast schon nervös über das kommende Gespräch, während Law sich zu ihm gesellte, ihn kurz küsste und sich dann gegen das Geländer der Veranda lehnte.
„Ich war überrascht als ich aufwachte und du nicht mehr im Bett warst. Konntest du nicht schlafen?“, fragte Law sanft ohne den sonst so oft anwesenden belehrenden Unterton.
„Die Sonne hat mich geweckt“, gestand Rocinante ein, „und ich wollte dich schlafen lassen; du wirktest so friedlich. Aber ich habe in der Praxis Bescheid gegeben, dass du später kommst.“
„Ah, vielen Dank dafür“, meinte Law und legte ihm eine Hand auf die Schulter als Zeichen, dass er etwas zur Seite rutschen sollte, damit Law sich neben ihn setzten konnte, „das hatte ich für einen Moment wirklich vergessen.“
Als Law nun neben ihm auf dem Treppenabsatz saß, eng an ihn geschmiegt, da die Stufen eigentlich zu eng für zwei Leute waren, sah Rocinante aufs Meer hinaus und wusste, dass er die vergangene Nacht ansprechen musste.
„Hör mal, Law“, fing er unwohl an, „was gestern…“
„Es tut mir leid, Cora“, unterbrach Law ihn und starrte ebenfalls in die Ferne, „es war mein Fehler. Ich weiß doch, wie du empfindest und doch habe ich mich dir aufgedrängt und…“
„Law, du brauchst dich doch bei mir nicht entschuldigen, wenn ich es nicht gewollt hätte, hätte ich dir das gesagt.“
Der andere sah ihn an und schwieg für einen Moment.
„Also war es dir nicht unangenehm?“
Rocinante lachte auf und lehnte sich zurück. Erinnerungen der vergangenen Nacht fluteten sein Gehirn und er bekam eine Gänsehaut.
„Oh nein, ganz gewiss nicht“, schmunzelte er, „natürlich habe ich meine Zweifel in Anbetracht unserer Gefühle und weil ich dich nicht verletzten will. Aber ich muss gestehen, du weißt wirklich was du tust.“
Auch Law grinste für einen Moment, ehe er wieder ernst wurde, Mund und Kinn hinter seinen gefalteten Händen verbarg und wieder aufs Meer sah.
„Ich will dich auch nicht verletzten, Cora. Auch wenn es dir gefallen hat, so war es doch falsch von mir und ich…“
Rocinante seufzte leise und legte eine Hand auf Laws Knie.
„Weißt du, egal wie oft ich mir gestern gesagt habe, dass ich dich hätte aufhalten sollen, dass es nicht gesund sein könne deine Sorgen mit Sex zu verdrängen, dass es falsch sei, und trotz allem hat es sich richtig angefühlt.“ Er sah den anderen an. „Selbst jetzt, mir wohl bewusst, dass die Dinge komplizierter sind als uns lieb ist, bereue ich es nicht. Ich hab dich lieb, Law, und ich bereue nicht, was die Nacht passiert ist, also mach dir keine Vorwürfe.“
Law nickte nur und lehnte seinen Kopf gegen Rocinantes Oberarm.
„Schon wieder bist du der Erwachsene von uns beiden“, murmelte er wehmütig.
Rocinante nahm es mit einem leisen Lachen an.
„Also, wenn ich an gestern denke, bist du wohl eindeutig der Erwachsenere von uns beiden, oder zumindest der Erfahrenere.“
Nun lachte auch Law auf.
„Das meiste war ein Bluff. Ich habe dir doch gesagt, ich bin Arzt; ich weiß sehr gut meine eigene Unsicherheit zu verstecken.“
Für einen Moment schwiegen sie, dann trank Law seinen Kaffee leer und griff nach der Zeitung.
Rocinante lehnte seinen müden Kopf währenddessen gegen das Geländer neben ihm und genoss die frische Meeresluft.
„Sengoku wird eine beratende Tätigkeit bei den Vereinten Völkern übernehmen“, bemerkte er und sah aufs Meer hinaus.
„Endlich“, murrte Law abwesend während er eine Seite umblätterte, „ich hab ihm damals nach dem Krieg schon gesagt, dass die Welt nun Köpfe wie ihn brauchen würde, aber sie mussten ihn wohl zwei ganze Jahre bearbeiten, bis er eingelenkt hat.“
„Du wolltest, dass er Teil der Wende ist? Aber er war doch Großadmiral der gestürzten Regierung.“
Law zuckte mit den Schultern.
„Mag sein, dass er einst Befehlshaber der Exekutive war, aber nach Marine Ford hat er abgedankt und sich der Ausbildung anderer gewidmet. Auf beiden Seiten hat er viele Befürworter aufgrund seines ausgeprägten Gerechtigkeitssinns und seiner klaren Moral. Er wird ein guter Vermittler zwischen den Fronten sein und sein Alter wird ihm Respekt verschaffen, den viele der Jüngeren nicht haben.“
Rocinante betrachtete Law aus dem Augenwinkel.
„Du scheinst dir ja viele Gedanken darüber zu machen.“
Erneut zuckte Law mit den Schultern.
„Ich war einer von denen, die die alte Ordnung zerstört haben. Ich sollte zumindest etwas meiner Verantwortung tragen.“
„Ist das der Grund, warum du dir einen Ort so nahe Kaikkien Maiden gesucht hast?“
Nun sah Law ihn an.
„Ich habe doch gesagt, dass es ein Zufall war.“
Dieses Mal zuckte Rocinante mit den Schultern, lehnte sich vor und legte seine Ellenbogen auf seinen Oberschenkeln ab. Er starrte auf seine gefalteten Hände und sprach seine Gedanken laut aus: „Wenn Sengoku wirklich bald zu den Vereinten Völkern kommt, dann wird er kaum eine Tagesreise entfernt leben. Du weißt, dass er mir wie ein Vater ist und du hast deinen Einfluss genutzt, um ihm dort eine Position zu verschaffen. Außerdem meine ich mich zu erinnern, dass man früher durch die Meeresströmung Tara innerhalb von kürzester Zeit zwischen Marine Ford und Impel Down hin und her reisen konnte, dort wo mein Bruder gefangen gehalten wird. Möchtest du mir wirklich sagen, dass all das ein Zufall ist?“
Law schnaubte leicht.
„Man sollte dich wirklich nicht unterschätzen, Cora.“
„Ach bitte, das hätte ein Kleinkind erkennen können.“
Der andere nickte sachte.
„Es ist nicht so, dass ich all das genauso geplant habe, aber die Dinge haben sich günstig entwickelt und ich habe das einfach zu meinem Vorteil genutzt. Mir war von Anfang an bewusst, dass du über kurz oder lang dich deiner Vergangenheit stellen wirst und so habe ich zumindest noch die kleine Chance, dass du zurückkommen wirst.“
„Du zweifelst also immer noch an mir.“
Law schnellte zu ihm herum, doch Rocinante betrachtete die gemächlichen Wellen.
„Ich dachte ich hätte dir deutlich genug zu verstehen gegeben, dass ich nicht vorhabe dich je zu verlassen, Law. Es stimmt, dass ich mich meiner Vergangenheit und meinem Bruder stellen muss und es stimmt, dass ich Sengoku wiedersehen will, aber ich bin immer davon ausgegangen, dass du mich begleiten würdest.“ Er schmunzelte über Laws offenstehenden Mund und dessen perplexen Gesichtsausdruck. „Vielleicht war es etwas naiv von mir das einfach so vorauszusetzen.“
Der andere schwieg und betrachtete wieder die Zeitung in seinen Händen.
„Gestern Abend am Meer“, sprach Law schließlich, „als wir über die Ungewissheit der Zukunft sprachen und du mir die Vivre Card gabst, da habe ich Angst bekommen.“
Er biss sich auf die Unterlippe und schaute zum Himmel empor, sich Rocinantes Blick offensichtlich bewusst.
„Mir ist natürlich auch klar, dass es nicht für immer so bleiben kann, wie es gerade ist. Aber gerade ist jeder Tag ein Geschenk und ich will nicht, dass sich die Dinge ändern. Ich will nicht, dass du mich verlässt.“
„Ich habe nicht vor dich zu verlassen, Law“, entgegnete er und legte seine Hand wieder auf Laws Knie. „Selbst wenn sich die Dinge ändern sollten, ich werde dich nicht verlassen.“
„Ich weiß“, murmelte Law und sah ihn schließlich an, „aber ich habe Angst, dass wenn die Welt von dir erfährt, dass du gar keine andere Wahl hast, und jetzt mit Sengoku wieder in greifbarer Nähe wird das wohl schneller passieren, als ich erwartet hatte.“
„Noch ist er nicht da, Law, und noch habe ich nicht vor zu gehen.“ Ungeschickt erhob er sich und rutschte aus Versehen mit einem Fuß ab. Gerade so konnte er sich am Geländer festhalten und kam tänzelnd zum Stehen, ehe er Law eine Hand darbot. „Nun komm, lass uns den Tag beginnen. Frau Paipai macht sich mit Sicherheit schon Sorgen, wo du bleibst und ich wollte heute den neuen Hocker fürs Bad bei Herrn Sansan holen. Dafür werde ich übrigens etwas Geld mitnehmen, er meinte zwar, dass es ein Geschenk sei, aber genug ist genug.“
Law ließ sich aufhelfen und legte dann beide Arme um Rocinantes Nacken, unterbrach sein Geschwafel mit einem kaum wahrnehmbaren Schmunzeln. Aufgrund der paar Stufen zwischen ihnen war Law nun in der Lage ihn zu küssen, ohne dass Rocinante sich hinunter beugen brauchte wie sonst.
„Ich liebe dich, Cora“, flüsterte Law ihm ins Ohr und strich durch sein Haar.
„Ich weiß, und nun geh dich umziehen, du bist spät dran.“
Er beobachtete wie Law ihm noch kurz zuwinkte und dann ins Haus verschwand.
Nun verstand er, warum Law ausgerechnet gestern zu ihm ins Zimmer gekommen war. Seine Angst Rocinante bald und unerwartet zu verlieren war immer noch größer als sein Vertrauen in sie beide.
Seufzend folgte er dem anderen ins Haus. Auch wenn er sich wirklich danach sehnte seinem Vorgesetzten und Ziehvater wiederzusehen, so würde er darauf noch warten müssen. Er wusste, dass ein Wort genügen würde und Law würde ihn gehen lassen, ihn auf seinen Wunsch hin sogar begleiten, aber auch wenn Rocinante nun langsam so weit war, so wusste er, dass Law 17 lange Jahre mehr zu verarbeiteten hatte und daher würde er ihm die Zeit geben, die Law brauchte.
Außerdem hatte Law recht: Jeder Tag auf dieser Insel war ein Geschenk und Rocinante würde jeden einzelnen an Laws Seite genießen.
„Ach, ich habe keine Lust mehr! So schwer kann das doch nicht sein!“ Frustriert schlug er die Wasseroberfläche, die sich mit salzigen Spritzern ins Gesicht revanchierte.
„Ich habe dir schon mal gesagt, dass es einfacher ist, wenn du dir jemanden holst, der dir hilft“, rief Law vom Treppenabsatz der Veranda und senkte seinen Blick wieder auf die Zeitung in seiner Hand. „Außerdem ist es gefährlich als Nichtschwimmer alleine ins Meer zu gehen.“
„Ich bitte dich, Law. So schwer kann das doch gar nicht sein, außerdem haben wir noch viel Zeit bis die Ebbe einsetzt.“
„Aber dir ist schon bewusst, dass wenn dir irgendetwas passiert, ich rein gar nichts tun kann. Meine Kräfte sind im Wasser nicht halb so effektiv und schwimmen kann ich erst recht nicht.“
Augenrollend wandte er sich zum anderen herum.
„Deswegen das Tau“, murrte er und deutete auf das dicke Seil, welches er um seinen Oberkörper geknotet hatte und dessen anderes Ende am Geländer der Veranda befestigt war, direkt neben Law, der unglaubwürdig übertrieben desinteressiert Zeitung las, offensichtlich besorgt. „Wobei es mich viel mehr stört, als dass es mir hilft.“
„Und nochmal“, schnaubte Law und sah wieder auf, „wenn du untergehst oder dieses Seil reißt, werde ich rein gar nichts tun können. Ich kann nicht schwimmen, Cora.“
Seine Schultern dehnend ging Rocinante erneut in die Ausgansposition und schwamm los.
„Warum glaubst du, will ich es so dringend lernen“, murrte er leise zu sich selbst während er die ersten Schwimmzüge vollzog.
Wie die vergangenen Male auch waren die ersten paar Züge recht sicher und dennoch begann er mehr und mehr abzusinken, als würde die Kraft der Teufelsfrucht ihn immer noch hinunterziehen und das obwohl er seine Kräfte verloren hatte.
Wie jeder bisherige Versuch war auch dieser fruchtlos und das obwohl Rocinante mittlerweile alles in seiner Macht getan hatte, um sich gut vorzubereiten.
Es stimmte wohl, dass er sich Hilfe holen sollte, aber irgendwie wollte er das nicht. Er war ein gestandener Mann, Marinesoldat und Spion, er würde nicht an einer Kinderaufgabe scheitern.
„Ninnin ist eine hervorragende Schwimmerin und sie würde dir mit Sicherheit liebend gerne helfen. Ich könnte sie anrufen“, bot Law an.
„Lass das arme Mädchen doch mal ihren freien Tag genießen“, widersprach Rocinante und verschluckte sich prompt am Meerwasser.
„Ich würde mir wünschen wir würden unseren freien Tag genießen“, entgegnete Law nun, stand auf und trat ans Ufer. „Ich kann mir wirklich besseres vorstellen als dir beim Ertrinken zuzusehen.“
Entnervt seufzte Rocinante auf und richtete sich wieder auf, um Law ansehen zu können. Der andere war ungewohnt gereizt. Rociante vermutete, dass es etwas damit zu tun hatte, dass die Praxis neuerdings einen Tag die Woche zu hatte und Law und Ninnin abwechselnd Rufbereitschaft übernahmen. Heute war Ninnins erster Tag, an dem sie ganz auf sich gestellt sein würde und Law nur dann anrufen sollte, wenn es um Leben oder Tod gehen würde.
Natürlich war Law angespannt, aber er kanalisierte diese Anspannung in noch mehr Sorge um Rocinante, als ob er sich nicht bereits genug über ihn den Kopf zerbrechen würde.
Seine Sorge war absolut unbegründet. Es war ein warmer Sommertag, wie jeder andere auch und bis auf ein laues Lüftchen und ein paar größere Wolken am Horizont war der Himmel klar und das Meer ruhig.
„Ich werde nicht ertrinken und wenn es dich so nervös macht, dann geh etwas anderes machen und dich ablenken. Ich werde heute schwimmen lernen!“, entschied er, sah den anderen weiterhin ernst an und verschränkte die Arme.
„Und wer soll dich rausziehen, wenn doch etwas passiert?“, entgegnete Law nicht im mindesten beeindruckt.
„Es wird nichts passieren, Law. Ich stehe in hüfttiefem Wasser und der Strand ist nur…“
„Schon bessere Schwimmer sind ertrunken, Cora, und…“
Er unterbrach den anderen mit einer wegwerfenden Handbewegung und faltete dann die Arme: „Und was? Es gehört zum allgemeinen Lebensrisiko, das man beim Schwimmen auch ertrinken könnte, aber am Meer zu wohnen und nicht schwimmen zu können, grenzt schon fast an Dummheit. Glaubst du wirklich, dass…?“
„Cora, komm aus dem Wasser!“
„Law, hör mir zu, du brauchst mich nicht wie ein kleines…“
„Ich habe gesagt, du sollst aus dem Wasser…!“
„Und ich habe dir gesagt… Oh, verdammt!“
„Cora!“
Im nächsten Moment jagte eine riesige Welle über seine Schultern hinweg und stieß ihn um.
Für einen Sekundenbruchteil verlor er die Orientierung. Um ihn herum war nur Wasser, er schnappte nach Luft, doch da war keine. Seine Hände griffen nach etwas zum Festhalten, doch fanden nichts, das Salz brannte in seinen Augen als er hwktisch versuchte herauszufinden wo oben und wo unten war. Doch dann konnte er das Ziehen des Seils unterhalb seiner Brust fühlen. Alles ging schnell und doch hatte er das Gefühl Ewigkeiten unter Wasser zu sein und nach Luft zu gieren, bis er endlich wieder Boden unter den Füßen fand. Hustend stieß er sich durch die Oberfläche, als das salzige Meerwasser seine Kehle aufraute.
„Cora!“, konnte er Law laut brüllen hören, als die Überreste der Welle gegen seinen Bauch klatschten und er taumelnd wieder zum Stehen kam.
Kaum einen Atemzug später jagte die nächste Welle über seine Schultern, doch dieses Mal war er besser vorbereitet – oder vielleicht war diese Welle auch nicht so stark wie die erste – und blieb in einer aufrechten Position, spannte die Schultern an als das Wasser ihm wieder den Sand unter den Füßen wegriss und erst Richtung Strand drückte und dann wieder zurückzog, fort von Land und Sicherheit. Obwohl er versuchte sich nach vorne zu kämpfen hatte er das Gefühl weiter und weiter fortzutreiben anstatt näher zu kommen.
Plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper und sein Blick fiel auf Law, der das Tau fest in beiden Händen hielt und bereits knietief im Meer auf ihn zu watete.
„Cora!“
„Was tust du da?“, rief Rocinante und wagte sich einige Schritte nach vorne, während die nächste Welle an ihm abprallte, auch diese schien etwas schwächer als die Vorangegangene. „Geh zurück an den Strand! Du kannst nicht schwimmen!“
„Du doch auch nicht!“, brüllte Law, während die dritte Welle seine Oberschenkel streifte und er zusammenzuckte, aber immer noch das Seil festhielt, ihn immer noch zu sich heranzog.
„Aber ich habe keine Teufelskräfte!“ Nach dem Schock der ersten Welle hatte Rocinante sich mittlerweile wieder gesammelt und eilte Law entgegen, kämpfte um jeden Schritt während Law in stetig näher zog.
Das Wasser zog sich zwischen seinen Beinen wieder zurück und er wusste, dass bald die nächste Welle kommen würde, aber vermutlich würde sie nicht stärker sein als die Vorangegangenen. Durch seine Körpergröße konnte er den Wellen besser widerstehen, außerdem…
„Cora, beeil dich!“ Law kam ihm immer noch entgegen, sein Gesicht unter Anstrengung verzehrt, eine Hand nach ihm ausgestreckt, nur noch wenige Armlängen zwischen ihnen. Sein Blick sagte Rocinante, dass seine Vermutung wahrscheinlich falsch war.
Ohne sich auch nur umzudrehen hastete er weiter, das niedrigere Wasser leistete ihm weniger Widerstand, aber der Grund unter seinen Füßen gab wie Treibsand nach. Was, wenn er es nicht rechtzeitig schaffen würde?
Nein, für solche Gedanken hatte er keine Zeit. Er schnaubte auf als Law erneut am Tau ruckte und dann begann er zu rennen, erreichte Law, zog ihn an sich und wollte weiter Richtung Strand.
Aber er schaffte keine zwei Schritte, da brach die nächste Welle über sie hinein. Obwohl er kaum noch ein Meter im Wasser stand, riss die Welle ihn von den Füßen, doch dieses Mal erlaubte er sich nicht orientierungslos zu werden, als er Law mit einer Hand an sich presste und mit der anderen Hand gezielt nach dem Boden vor ihm griff.
Sand entfloh seinen Fingern, während die Welle ihn zurückzuziehen drohte, aber seine Füße fanden tief einsinkend im weichen Untergrund wieder Halt und er kämpfte gegen den Sog, während das Tau um seinen Oberkörper mitgezogen wurde und ihm noch mehr Widerstand leistete. Er konnte hören, dass Law erst laut hustete und dann etwas zu ihm sagte, aber was konnte er nicht verstehen.
Ohne auch nur einen weiteren Herzschlag zu verschwenden hechtete er weiter, ließ mit jedem Schritt mehr und mehr Wasser hinter sich, sank nicht mehr so tief ein und endlich erreichte er schwer atmend den Strand, gerade rechtzeitig ehe eine erneute Welle seine Knie umschlang, selbst hier noch hoch genug, um die Treppenstufen der Veranda zu erreichen.
Erst an der Treppe angekommen erlaubte er sich Law loszulassen und ihn auf die oberen Stufen zu setzten, wo dieser sich keuchend gegen das Geländer lehnte und nach Luft rang, hustete und Wasser ausspuckte.
Nun wandte Rocinante sich um, als eine weitere Welle seine Unterschenkel umspielte.
Die Wolken, die vor gefühlten Sekunden noch in weiter Ferne gewesen waren, hatten nun fast die Insel erreicht und das einst ruhige Meer wurde nun von meterhohen Wellen beherrscht.
„Ein Sturm“, murmelte er, noch immer überrumpelt von dem, was gerade passiert war, „so plötzlich und mit so hohen Wellen?“
„Nun ja, das ist eben die Grand Line“, murrte Law hinter ihm und hustete. „Selbst eine friedliche Sommerinsel kann ihre Tücken haben.“
Die Wellen schienen immer höher zu werden.
„Wir sollten reingehen“, meinte Rocinante und wandte sich vom Meer ab, „ich glaube nicht, dass die Wellen hoch genug werden, um das Haus zu gefährden – zumindest habe ich beim Renovieren nichts gesehen, dass einen so hohen Pegel vermuten lässt – aber der Strand wird mit Sicherheit geflutet in den nächsten Minuten.“
Er sah zum Himmel auf.
„Außerdem wird es wohl bald anfangen zu regnen.“
Mit einer Hand zog er Law hoch, löste dann das Tau um seinen Torso und folgte Law dann die paar Stufen hinauf ins Innere ihres Heimes. Innerhalb weniger Sekunden schien die Luft frischer und wilder zu werden.
Es war der erste Sturm, den er auf Natsu erleben würde.
Kapitel 13 – Badezimmer
„Wir sollten direkt duschen gehen“, murrte Law als Rocinante die Tür zur Veranda zuzog und noch einen Moment das nahende Unwetter betrachtete, „ich bin voller Sand und Meerwasser und du siehst auch nicht viel besser aus.“
Er folgte Law in das große Bad, wo dieser anfing, seine klatschnassen Schuhe auszutreten. Ein leises Prasseln sagte ihnen, dass der Regen eingesetzt hatte.
„Da sind wir gerade noch rechtzeitig reingegangen“, murmelte Rocinante und fuhr sich durchs sandige Haar.
„Zieh dich aus und setzt dich hin“, entgegnete Law nur grob, offensichtlich verstimmt.
Rocinante wusste genau, dass es unklug war mit Law zu streiten, wenn er eine solche Laune hatte, also zog er seine Badehose aus und setzt sich auf den Holzhocker, den er erst am vergangenen Tag von Herrn Sansan gekauft hatte. Es war etwas ungewohnt für ihn, noch nicht mal ein Handtuch um die Hüften zu tragen, aber es war nicht so als hätte Law nicht bereits jeden Punkt seines Körpers erkundet, mit mehr als nur den Augen.
Der andere trat hinter ihn, stellte das Wasser an und begann ihn abzubrausen. Erst jetzt bemerkte Rocinante das leichte Brennen der Schürfwunde auf seiner Brust, die das Tau hinterlassen hatte.
„Das war naiv von dir“, begann Law dann erwartungsgemäß seine Standpauke, „naiv und leichtsinnig. Als Nichtschwimmer einfach ins Meer zu gehen, kurz bevor ein Sturm…“
„Ach, komm schon“, murrte er, wollte sich umdrehen, doch Law hielt ihn mit einer bestimmenden Hand auf der Schulter fest, „du wusstest auch nicht, dass ein Sturm kommen würde. Es ist die Grand Line, solche Dinge passieren, aber wir wussten beide nicht, dass so ein Sturm auf Natsu so schnell überhaupt möglich ist, also tu nicht so…“
„Das ändert nichts daran, dass es naiv von dir war ohne einen erfahrenen Schwimmer einfach so tief ins Wasser zu gehen“, unterbrach Law ihn nun wiederum und shampoonierte sein Haar mit deutlich zu kraftvollen Handbewegungen, „du hättest ertrinken können, verdammt noch mal, selbst ohne Sturm. Ein jeder Idiot weiß, wie gefährlich das Meer sein kann und du…“
„Wenn ich naiv war, dann warst du schlichtweg dumm!“ Nun erhob er sich doch und drehte sich zu dem anderen um. „Es mag naiv von mir gewesen zu sein zu glauben, dass ich allein das Schwimmen lernen würde, aber es war schlichtweg dumm von dir, die Wellen zu sehen und trotzdem ins Wasser zu laufen.“
Law stellte das Wasser ab und wollte etwas erwidern, doch Rocinante sprach weiter, nicht gewillt, sich wie ein kleines Kind belehren zu lassen.
„Ich bin groß, ich bin kräftig, ich konnte gegen die Wellen ankämpfen, und ich hatte ein verdammtes Seil um den Bauch, an dem du nur hättest ziehen brauchen, ohne dich selbst in Gefahr zu begeben. Was ich getan habe war naiv und ich habe mit dem Storm nicht gerechnet, aber du hast uns beide in Gefahr gebracht, als du auf mich zu gerannt bist. Hätte die Welle dich erreicht, bevor ich dich greifen konnte, hätte sie dich mit ins Meer gezogen und dann hätte ich nichts tun können, weil ich noch nicht schwimmen kann. Also sei so sauer wie du willst, aber ich habe wenigstens Sicherheitsvorkehrungen getroffen, während du einfach nur blindlings in dein Verderben gelaufen bist.“
Diese Seite zeigte er Law selten.
Es stimmte, dass Rocinante eher ein gutmütiger, gutgelaunter Zeitgenosse war. Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Vergangenheit mochte er an der Leichtigkeit des Lebens festhalten und sich sein Lächeln nicht vergraulen lassen. Er hatte selbst erlebt, wie es sich anfühlte, wenn jemand nur Hass und Elend verbreitete, also wollte er immer jemand sein, der Liebe und Glück in die Herzen und ein Lächeln auf die Gesichter anderer brachte.
Aber das bedeutete nicht, dass er einfältig war. Er hatte sich bewusst dazu entschieden ein fröhlicher Mensch zu sein, aber das bedeutete nicht, dass er nicht ernst sein konnte. Er hatte sich bewusst dazu entschieden, die meisten Situationen mit etwas Schalk und einem Grinsen zu lösen, aber das bedeutete nicht, dass es Momente gab, die selbst er nicht zum Lachen fand.
Law gegenüber zeigte er das selten, dem ernsten, verkopften Law, der viel zu wenig lachte und träumte, aber…
„Weißt du, du bist nicht der Einzige hier, der jemanden liebt und sich andauernd Sorgen macht. Du bist nicht der Einzige, der Angst hat jemanden zu verlieren. Ich mag vielleicht ungeschickt und naiv sein, aber ich kann dir versichern, dass ich nie mein Leben absichtlich aufs Spiel setzte.“
Law hielt seinem Blick stand, aber sein Gesicht war eine ausdruckslose Miene.
„Du hingegen magst vielleicht bedachter und gewissenhafter handeln als ich, aber du vernachlässigst dich andauernd und auch wenn dir das egal ist, ich leide darunter und heute hätte ich dich beinahe verloren, weil du rücksichtslos gehandelt hast und ich es nicht hätte ausbaden können.“
„Aber Cora, ich…“
„Weißt du nicht, warum ich so dringend schwimmen lernen will?“, unterbrach er den anderen und schlug mit der Faust gegen seinen nackten Oberschenkel. „Ist dir nicht klar, dass ich das hauptsächlich mache, um dich retten zu können, solltest du je ins Meer fallen?“
Laws Augen weiteten sich eine Spur und er versuchte nicht mal etwas zu entgegnen.
„Ich mag ein fähiger Kämpfer sein, Law, aber ich bin nicht dumm. Mit deinen Kräften und deiner Erfahrung bist du mir zweifelsfrei überlegen. Ich kann dich nicht beschützen und das brauch ich auch gar nicht und dafür bin ich dankbar. Aber ich habe meine Teufelskräfte verloren und mittlerweile glaube ich, dass ich das nur habe, um in der einen Sache auf dich aufzupassen, wenn du es nicht kannst.“
Er holte tief Luft.
„Ich mag das Meer, aber nicht so sehr, dass ich wirklich in einem Sturm schwimmen lernen muss. Zum Teufel, die Hälfte der Piraten und der Soldaten, die ich kenne, kann nicht schwimmen. Aber die Vorstellung, dass du ertrinkst, weil ich nicht im Meer schwimmen kann…“ Tief holte er Luft und sah dann weg, als seine Unterlippe zu zittern begann.
„Cora, ich…“, begann Law deutlich sanfter als zuvor, doch er unterbrach ihn mit einem Wink, ehe er den anderen wieder ansah.
„Ich weiß, ich bin derjenige, der dich allein gelassen hat, Law. Ich bin derjenige, der dir versprochen hat, dass alles gut gehen würde, und das tat es nicht. Das tut mir leid. Aber jeden Tag versuche ich es gutzumachen, indem ich das Leben, das du mir geschenkt hast, wertschätze und achte. Ich mag schusselig sein, aber ich passe auf mich auf. Du hingegen…“ Er schüttelte den Kopf. „Du hast mir damals gesagt, dass du dir fast gewünscht hättest, du wärest im Großen Krieg gefallen, aber dass du das Leben, welches ich beschützt habe, nicht einfach wegwerfen wolltest.“
Law nickte nur sachte und sah ihn wieder so ausdruckslos an.
„Warum lebst du dann immer noch so als wäre es dir egal, ob du heute oder morgen stirbst?“
„Das tue ich doch gar nicht“, widersprach Law nun. „Falls es dir nicht aufgefallen ist, ich habe ein Heim zusammen mit dir aufgebaut. Ich leite eine Praxis und wir haben sogar Freunde im…“
„Du schläfst zu wenig.“
„Was? Was hat das…?“
„Und du vergisst andauernd zu essen. Du arbeitest viel zu viel und machst nie eine Pause, wenn du erschöpft bist. Du sagst selten, wenn dir etwas zu viel ist und fragst nie um Hilfe. Du vernachlässigst dich selbst und ignorierst deine eigenen Bedürfnisse. Und heute wärest du beinahe gestorben, weil du…“
„Ich wollte dich retten!“ Law trat auf ihn zu und schlug ihn leicht gegen den Brustkorb. „Ich dachte du wärest am Ertrinken und wollte dich…“
„Nein!“ Er beugte sich zum anderen hinab, so dass sie auf einer Augenhöhe waren. „Wenn du mich hättest retten wollen, hättest du am verdammten Seil gezogen oder versucht mich mit deiner Teufelskraft aus dem Wasser zu holen. Nein, du bist wie ein Irrer ins Salzwasser geeilt, obwohl du wusstest, was für Folgen es für dich haben würde, obwohl du wusstest, dass du im Wasser rein gar nichts tun kannst.“
„Ich habe nicht nachgedacht“, brüllte Law nun, stieß ihn leicht weg und trat selbst einen Schritt zurück. „Verdammt, Cora, ich dachte du würdest sterben! Ich habe nicht darüber nachgedacht, was das Sinnvollste wäre, sondern bin einfach losgerannt. Ich habe dich schon einmal verloren, glaubst du ich könnte das ein zweites Mal?!“
Für einen Moment sah er den anderen einfach nur an, dann neigte Rocinante leicht den Kopf und nickte.
„Und glaubst du, ich könnte dich verlieren?“, entgegnete er ruhig.
„Was?“
„In all deinen klugen und rationalen Gedanken, hast du dich je gefragt, was ich fühlen würde, wenn ich dich verlieren würde? Hast du dich nur einmal gefragt, was ich gedacht haben muss, in dem Moment, als du auf mich zu gerannt bist? Kannst du dir vorstellen, welche Angst ich hatte dich zu verlieren? Wissend, dass ich kaum in der Lage war mir selbst zu helfen, aber chancenlos sein würde, wenn eine Welle dich erfassen würde? Du weißt, wie es sich anfühlt, mich zu verlieren, Law. Ich weiß es nicht, aber ich weiß, wie es sich anfühlt, dich beinahe zu verlieren, glaub mir, ich weiß das wirklich verdammt gut, und jedes verdammte Mal wird die Angst und der Schmerz schlimmer.“
Endlich kroch eine Emotion über dieses ruhige Gesicht; Fassungslosigkeit spiegelte sich in diesen tiefen Augen.
„Du hast mich einst gefragt, was ein Leben wert ist, Law, und ich habe dir gesagt, dass das jeder nur für sich selbst entscheiden kann. Ich habe dir gesagt, dass ich mein Leben jederzeit für deines geben würde, aber warum meinst du ist das so?“
Nun bebte Laws Unterkiefer und er wandte den Blick ab, rieb sich über die Tattoos auf seinem Unterarm, biss sich auf die Unterlippe.
„Ich habe keine Ahnung, was ein Leben wert ist, Law. Aber ich weiß ganz genau, dass meines ohne dich keinen Wert mehr hat.“
Einzelne Tränen rannen Laws Gesicht hinunter und er schüttelte den Kopf.
„Also bitte, mir zur Liebe, geh nicht so nachlässig mit dir selbst um.“
Er schritt auf den anderen zu und legte eine Hand an dessen Wange. Zögernd sah Law auf, nicht in der Lage den Tränen Einhalt bieten zu können.
„Ich weiß, dir fällt das schwer zu glauben, Law, aber so wichtig, wie ich dir bin, so wichtig bist du mir auch, vielleicht noch um ein Vielfaches mehr, denn ich habe dich in deiner Trotzphase erlebt.“ Er schmunzelte und Law schnaubte kurz zittrig auf. „Alles, was du nicht willst, dass mir zustößt, will ich nicht, dass dir zustößt. So sehr du vermeiden möchtest, dass ich traurig bin, so sehr möchte ich vermeiden, dass du traurig bist, verstehst du das?“
Law biss sich wieder auf die Unterlippe und nickte während Rocinante eine Träne wegwischte.
„Und nichts würde mich trauriger machen als dich zu verlieren, okay?“
Nun weinte Law noch mehr, nickte und sah zu Boden, zitternd als würde er jede Sekunde zusammenbrechen.
„Okay“, flüsterte Rocinante und drückte den anderen an sich, eine Hand in seinem sandigen Haar, den anderen Arm um seine Schultern gelegt. „Ich hab dich lieb, Kleiner, und ich will nicht, dass dir je etwas passiert. Ich will, dass du ein glückliches, zufriedenes, langes Leben führst.“
Laws Schultern bebten und er krallte sich in Rocinantes Rücken.
Schmunzelnd tätschelte er Laws Kopf. Es schien als wäre er zum ersten Mal wirklich zum anderen durchgedrungen.
Er ging in die Knie, um zum anderen aufsehen zu können und schob die Hände weg, mit den Law sein Gesicht versuchte zu verdecken wie ein kleines Kind.
„Und ich möchte, dass du vernünftige Mahlzeiten isst. Du hast mir immer viel zu wenig Gemüse auf dem Teller, und das als Arzt.“
Law nickte und schluchzte kaum hörbar auf.
„Sieh mich an Law.“ Als der andere seiner Aufforderung folgte, zeigte er ihm das größte Grinsen, das er bieten konnte. „Und ich möchte, dass du lächelnd durchs Leben gehst.“
Tief holte Law Luft, sah zur Decke hoch und nickte dann langsam. Kurz schloss er die Augen, doch als er sie öffnete, lag ein zittriges Lächeln auf seinem Gesicht.
„Genau so“, lobte er und strich dem anderen über die verweinte Wange.
„Ich liebe dich, Cora“, flüsterte Law mit gebrochener Stimme, „und ich hatte so Angst dich zu verlieren.“
„Ich weiß“, antwortete er und zog Law erneut in eine Umarmung zu sich auf den Boden. „Ich hatte auch Angst.“
Dann erhob er sich und zog den anderen auch auf die Beine.
„Da komm, ich habe noch Schaum im Haar, so kann ich nicht in die Badewanne.“ Mit einem Schmunzeln ließ er sich wieder auf dem Hocker nieder während Law das Wasser anstellte.
„Ich denke, ich werde Ninnin fragen, ob sie mir das Schwimmen beibringt“, sprach er bewusst unbeschwert während Law damit fortfuhr sein Haar zu waschen.
Den Kopf im Nacken und die Augen geschlossen, genoss er das warme Wasser und das Prasseln des Regens über ihm, als auch sein eigenes Herz sich wieder beruhigte. Manchmal vergaß er, so erwachsen und klug Law schon als Kind gewesen war, so kindlich und unerfahren war er noch, wenn es um Gefühle ging.
„Das würde mich freuen“, murmelte Law, dessen Stimme deutlich gefasster klang als Rocinante erwartet hatte, „ich kann sie morgen fragen, wenn du möchtest.“
„Ja, das wäre sehr nett von dir, Law.“
„Wobei sie mich bei diesem Sturm vermutlich heute noch anrufen wird, sobald die ersten Notfälle reinkommen“, bemerkte der andere dann mit einem unzufriedenen Unterton.
„Ach, das glaube ich nicht“, winkte Rocinante ab und begann seinen Körper einzuseifen. „Anders als wir, wissen die Inselbewohner vermutlich, dass ein paar Wolken am Horizont bedeuten, dass bald ein Sturm kommt und treffen Vorkehrungen. Frau Paipai wird uns wohl eine Tracht Prügel androhen, sollten wir so etwas dummes nochmal machen.“
Law grummelte nur etwas Zustimmendes, reichte Rocinante die Brause und begann sich hinter ihm auszuziehen.
„So, ich bin fertig, jetzt bist du dran“, meinte er immer noch betont gutgelaunt und stand auf, doch dann vergaß er sein Lächeln.
Law stand nur noch in Unterhose vor ihm und zum ersten Mal konnte er ausgiebig das Brusttattoo des anderen betrachten. Es war ihm schon an jenem Abend aufgefallen, als Law zu ihm ins Zimmer gekommen war, aber obwohl er damals die eleganten Linien bewundert hatte, so hatte er sich nicht damit auseinandergesetzt, was sie bedeuteten, dafür war in der Hitze des Gefechts keine Zeit geblieben.
Der andere stand vor ihm und hielt mucksmäuschenstill, ein seltsamer Gesichtsaufdruck den Rocinante nicht deuten konnte.
Er machte einen Schritt nach vorne und berührte die schwarzen Linien, fuhr das Herz auf der Brust nach und verharrte über den Totenkopf, der wohl Laws Jolly Roger darstellte.
„Auf Minion“, sprach Law schließlich mit heiserer Stimme, „nachdem du aufgebrochen warst, um die Operationsfrucht zu holen, da habe ich unglaublich gefroren. Ich habe die Decke um mich gekrallt, doch mein Körper hat gezittert und ich dachte meine Zähne würden bersten, so heftig klapperten sie.“
Rocinante wurde kalt während Law wegsah und langsam die Arme um sich legte.
„Dann habe ich mir vorgestellt, dass du mich wieder in deinen warmen Armen in Sicherheit trägst und mir war nicht mehr kalt.“ Law zögerte. „Als du wiederkamst, waren deine Hände ganz kalt und es ging dir nicht gut und trotzdem war mir warm als du bei mir warst.“
Law zitterte am ganzen Körper, es tat ihm offensichtlich weh darüber zu sprechen, es schien ihm fast körperlich Schmerzen zu bereiten.
„Law, du musst nicht…“
„Danach war mir immer kalt“, sprach Law kopfschüttelnd weiter und rieb sich über seine Unterarme. „Mir war immer kalt, meine Hände waren immer kalt, ich konnte nicht schlafen, es war immer zu kalt. Dann habe ich mir immer vorgestellt, dass du mich wieder im Arm halten würdest, und die Kälte verging. Ich stellte mir vor, wie du mich hieltst und mir wurde warm, ich konnte einschlafen.“
Law sah langsam auf, selten waren seine Augen so klar und offen wie jetzt.
„Von da an stellte ich mir immer wieder vor, dass du mich umarmen würdest, doch als ich älter wurde, wurden meine Erinnerungen schwächer. Ich wusste nicht mehr wie es sich anfühlte von dir umarmt zu werden, ich wusste nicht mehr wie du riechst, selbst deine Stimme vergaß ich.“ Eine einzelne Träne rann sein Gesicht hinunter. „Ich wollte verhindern noch mehr zu vergessen, dein Lächeln zu vergessen. Ich wollte deine Umarmungen wieder spüren, nicht mich daran erinnern, wie du mich als Kind umarmt hast, sondern wie du mich jetzt als Mann umarmen würdest.“
Dann wandte Law sich ab.
„Aber das war nicht möglich, ich wusste, dass ich… ich wusste nicht, ob du mich je wieder in den Arm nehmen würdest, also…“ Er zuckte mit den Schultern. „Das hier sollte die Erinnerung sein, dass du mich nie losgelassen hast, dass auch wenn mir kalt war, du bist zum Ende bei mir sein würdest.“
Plötzlich sah Law ihn an und ein schwaches Lächeln erhellte seine Züge.
„Ach Cora. Es tut mir leid, ich hätte nicht…“
„Schon gut“, unterbrach er den anderen und rieb sich die Tränen aus dem Gesicht, „es tut mir leid, Law, es tut mir unglaublich leid.“
Er zog den anderen in eine feste Umarmung.
„Ich werde dich nie wieder loslassen, ich werde dich…“
„Ist schon gut, Cora.“ Law klopfte ihm auf die Schulter. „Aber jetzt machst du dich wieder dreckig.“
„Ist mir egal.“
Laws Finger kämmten durch sein Haar während Rocinante nicht aufhören konnte zu weinen.
„Danke, dass du es mir gesagt hast“, flüsterte er in Laws Halsbeuge.
„Danke, dass du nicht gefragt hast.“
Er sah den anderen an, strich ihm über die Wange und machte einen Schritt zurück, um ihn besser betrachten zu können. Doch er trat auf die Seife und jede elegante Antwort, die er sich zurecht gelegt hatte, endete in einem überraschten Aufschrei als er pudelnudelnackt zu Boden klatschte.
Kapitel 14 – Sturm
„Ach, was ich dir noch erzählen wollte“, murmelte er mit geschlossenen Augen als Law sein Haar trocken rubbelte, „weißt du noch als ich gestern den Hocker bei Sansan abgeholt habe.“
„Hmm“, brummte Law hinter ihm zustimmend.
Rocinante streckte seine Beine aus und lehnte sich gegen Laws Knie. Law saß auf dem Sofa, welches Rocinante vor ein paar Wochen mit Halhal, der Tochter des Schreiners Sansan, selbst bezogen hatte. Vor ihnen nur die Wände aus Glas und dahinter ein Sturm, den sie beide auf dieser Insel noch nie gesehen hatten.
„Er hat mir eine Stelle angeboten.“
„Was? Warum hast du noch nichts gesagt?“
„Du warst in deinem Arbeitszimmer“, entgegnete er und lehnte sich noch weiter zurück, um zum anderen aufsehen zu können.
„Ich habe nur etwas gelesen.“
„Das hättest du auch hier machen können. Geschlossene Tür beim Arbeitszimmer bedeutet Kein Zutritt und du hast die halbe Nacht durchgelesen.“
Law ließ das Handtuch auf Rocinantes Gesicht fallen.
„Du hast diese dumme Regel erfunden. Ich habe nie gesagt, dass du mich im Arbeitszimmer nicht stören darfst.“
Lachend lehnte er sich vor und stand auf.
„Und deinen Zorn riskieren? Oh nein, eine Woche finstere Blicke hat mir gereicht. Du bist sooo nachtragend, Law, weißt du das?“
Der andere zog nur eine Augenbraue hoch.
„Ich habe 13 Jahre lang deinen Bruder verfolgt, nachtragend beschreibt es noch nicht mal im Ansatz. Aber wir schweifen ab. Sansan hat dir eine Stelle angeboten, was für eine?“
„Als Lademeister“, antwortete er und ging zur Küche hinüber, wo eine kleine Schachtel getrockneter Salzpflaumen auf ihn wartete. Daneben lagen seine Zigaretten.
„Was?“
„Ja, Sansans Familie ist ganz groß im Holzhandel. Sein Bruder betreibt eine Holzverarbeitungsfabrik im Inneren der Insel, aber Sansan hat seine Schreinerei vor ein paar Jahren nach hier an den Hafen verlegt, als die Tante zu alt dafür wurde. Er hat die Überwachung des Be- und Entladens der Schiffe zusätzlich zu seiner normalen Arbeit übernommen, aber er sagt es liegt ihm nicht.“
„Und er hat an dich gedacht?“ Law stand ebenfalls auf und ging zum Fenster hinüber.
„Frau Paipai hat ihm wohl erzählt, dass ich mich nützlich machen will und da hat er erwähnt, ich hätte ihn bei den Renovierungsarbeiten beeindruckt, wie ich alles strukturiert und mit den Nachbarn zusammengearbeitet habe. Er meinte es wäre selten, dass jemand gut anweisen und gleichzeitig selbst mit anpacken könnte. Außerdem glaube ich hat es ihm geschmeichelt, dass wir fast alle unsere Möbel von ihm genommen haben.“
„Nun ja, es ist verständlich, dass er nicht zwei Jobs auf einmal machen kann“, stimmte Law zu. „Lademeister ist kein einfacher Beruf und man trägt viel Verantwortung. Ein guter Lademeister braucht nicht nur Führungsqualitäten und Arbeitsmoral, sondern auch einen guten Sinn für Verhandlungen und einen ruhigen Kopf selbst in stressigen Situationen. Er hat ein gutes Auge, er könnte keinen besseren als dich finden.“
„Danke für die Blumen“, lachte Rocinante und ging zum Sofa zurück, wo er sich hinfläzte, während Law den Regen beobachtete, „aber ich habe auf dem Gebiet absolut keine Erfahrung. Ich habe noch nie ehrliche Arbeit erledigt und von Holz habe ich überhaupt keine Ahnung.“
Law zuckte mit den Schultern. „Hattest du nicht sowohl in der Marine als auch während der Zeit als Pirat Untergebene?“
„Ja, aber…“
„Und hast du nicht einen Großteil der Verhandlungen in de Flamingos Namen geführt, obwohl du angeblich stumm warst?“
„Aber Law, das…“
„Und warst du nicht derjenige, der sich mit jedem gottverdammten Arzt auf der Grand Line angelegt hat, weil du wusstest, dass du Recht hattest und sie Unrecht?“
„Law, was soll das?“ Kopfschüttelnd zündete er sich eine seiner Zigaretten an.
Der andere kam wieder zu ihm herüber.
„Ich glaube einfach, dass Sansan niemand besseren hätte finden können. Natürlich wird er dich anleiten müssen und dir beibringen müssen, was du wissen musst. Aber du bist aufrichtig, loyal, hart arbeitend und behandelst jeden Menschen mit Respekt. Außerdem bist du ein knallharter Verhandlungspartner und niemand wird deine Autorität in Frage stellen.“ Law beugte sich hinab und drückte seine Zigarette aus, ehe Rocinante auch nur den ersten Zug nehmen konnte. „Aber wir hatten hierüber gesprochen. Keine Zigaretten im Haus; wenn du rauchen willst, geh raus.“
„Hey!“, entgegnete er gespielt fassungslos. „Draußen regnet es wie aus Eimern. Ich könnte weggeweht werden. Außerdem brauche ich eine, um mich von dem Schock heute Morgen zu erholen.“
„Deine Abhängigkeit ist nicht mein Problem und wenn du so dringend eine gebraucht hättest, hättest du sie dir bei deinem stundenlangen Bad anzünden können, wo ich es nicht bemerkt hätte.“
Law nahm ihm Zigarette und Feuerzeug ab und trug sie wieder zur Anrichte.
„Also was denkst du?“, murmelte Rocinante nun wieder ernst. „Meinst du, ich sollte annehmen?“
„Das musst du entscheiden“, antwortete Law und setzt sich neben ihn, lehnte seinen Kopf gegen Rocinantes Oberarm. „Ich glaube, dass du hervorragend geeignet wärest für diesen Job, aber ob er dir gefällt und du das wirklich tun möchtest, das weißt wohl nur du selbst.“
Rocinante schwieg und betrachtete seine Hand, die Law umschloss, sah die kleinen Tätowierungen auf Handrücken und Fingern.
„Von wie vielen Tagen die Woche sprechen wir überhaupt?“, fragte Law nach.
„Zwei bis vier Tage, je nachdem wie viele Schiffe die Woche kommen und wie pünktlich sie sind. Aber wenn, würde ich den ersten Monat eh umsonst arbeiten, als Dankeschön für die ganzen Möbel, die er und seine Familie uns gegeben haben.“
„Hört sich für mich so an, als hättest du schon längst eine Entscheidung getroffen.“
Er entgegnete nichts.
„Ich habe übrigens auch eine Entscheidung getroffen.“
„Was?“ Nun sah er den anderen überrascht an. „Worüber?“
„Nach deinem Vorschlag über die Neustrukturierung der Praxis habe ich viel nachgedacht und du hast Recht, es ist eine Verschwendung unserer Ressourcen, wenn Frau Paipai, Ninnin und ich jeden Tag in der Praxis sind. Es gibt natürlich bestimmte Phasen, wenn wir jede Hand Hilfe gebrauchen können, aber es ist für keinen von uns gut, wenn wir nicht auch die nötigen Pausen machen. Wer überarbeitet ist macht Fehler und unsere Fehler können Menschen ihr Leben kosten.“
„Hört, hört. Was ist dein neuer Plan?“
Er warf seine Beine über die Armlehne zu seiner rechten, sodass er etwas herunterrutschten und seinen Kopf auf Laws abgelegen konnte. Dieser drückte ihn weg, so dass er in Laws Schoß plumpste.
„Wir bündeln die wöchentlichen Termine auf drei Tage, an den anderen dreien fahren wir abwechseln zu einer der drei Nachbarinseln und der andere übernimmt hier die Rufbereitschaft und derjenige, der nur zur einer Insel gefahren ist, übernimmt am letzten Tag den Hintergrunddienst.“
„Oh wow“, murmelte Rocinante und tat so als würde er an seinen Fingern abzählen, „das würde ja bedeuten, dass du nicht nur einen, sondern bis zu zwei Tage die Woche frei haben würdest. Alles in Ordnung? Bist du krank?“
Law knuffte seine Seite.
„Ich bin kein Workaholic, ich gehe meiner Arbeit nur gewissenhaft nach. Außerdem“, unterbracht er den Einwand den Rocinante erheben wollte, „hast du Recht mit dem, was du gesagt hast.“
Überrascht, eher schon erschrocken, sah Rocinante zu dem anderen auf.
„Du hast Recht mit allem was du gesagt hast. Ich habe nicht auf mich geachtet. Nachdem du dein Leben riskiert hast, um mich zu retten, habe ich dieses Leben was ich dir zu verdanken habe mit Füßen getreten.“
„Aber Law…“
„Ich werde von nun an besser auf mich aufpassen, Cora. Ich will nicht, dass du wegen mir traurig bist. Ich will nicht, dass du dir wegen mir unnötige Sorgen machst. Du hast Recht, gerade als Arzt sollte ich wissen, wie wichtig es ist ungesunde Angewohnheiten abzulegen.“
„Ach, darüber hast du also stundenlang in der Badewanne… warte mal, ist das der Grund, warum du mir eben meine Zigarette geklaut hast? Weil du…“
Fast schon unschuldig sah Law zu ihm hinab.
„Rauchen ist ungesund, Cora, und ich zwinge dich nicht aufzuhören, aber wenn ich schon auf mich Acht gebe und gucke, dass ich meine sechs Stunden Schlaf – “ „Sieben bis acht Stunden Schlaf sind gesund.“ „ – kriege und drei gesunde Mahlzeiten am Tag, dann werde ich garantiert nicht zulassen, dass ich durchs Passivrauchen an Lungenkrebs verrecke.“
„Du bist so gemein“, murmelte Rocinante nicht mal ansatzweise versuchend ernst zu klingen. „Aber ich freue mich, wenn wir demnächst mehr Zeit miteinander verbringen können.“
Law nickte und begann durch Rocinantes Haar zu streichen.
„Ninnin entwickelt sich wirklich gut. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so schnell so selbstständig arbeiten könnte, sonst würde ich diesen Schritt nicht gehen und natürlich muss sie erstmal zustimmen und wir müssen sehen, ob sie so viele Tage auf sich gestellt auch schafft, aber Frau Paipai war ganz begeistert; hat sogar angeboten, Ninnin die ersten Reisen zu begleiten, damit zumindest einer mit Erfahrung dabei ist.“
„Wann hast du das denn mit Frau Paipai abgesprochen?“
„Na, während du noch in der Badewanne hocktest. Sie hat angerufen, um nachzufragen, ob es uns gut gehen würde. Sie meinte zwar, dass nur Vollidioten die Anzeichen des Sturms heute Morgen nicht erkannt hätten, aber…“
„Hast du ihr gesagt, dass wir genau solche Vollidioten sind?“
„Bist du wahnsinnig? Ihr Blick der Enttäuschung ist so schlimm, dass selbst dein Bruder sich für sein Fehlverhalten schämen würde.“
Leise lachte Rocinante auf.
„Vielleicht sollte ich sie dann mitnehmen, wenn ich nach Impel Down reisen werde. Vielleicht bewirkt sie ja noch ein Wunder. Hat sie gesagt, wie lange das Unwetter anhalten wird.“
„Sie sagte, wenn es bei Sonnenuntergang noch regnet wird das Unwetter noch drei ganze weitere Tage bleiben, wenn nicht, ist es bei morgen früh verzogen.“
„Das ist ja schön und gut, aber hast du mal rausgeguckt. Wir haben noch nicht mal Nachmittag und es ist stockduster.“
„Apropos Nachmittag und gesunder Lebensstil, sollen wir uns irgendetwas zu Essen machen? Ich habe nicht gefrühstückt und werde langsam hungrig.“
Laut seufzend sank Rocinante noch tiefer in das bequeme Polster.
„Aber ich bin doch gerade erst aus der Badewanne gekommen. Nach dem Baden soll man ruhen.“
„Faulpelz“, schollt Law ihn spielerisch, ehe er Rocinante von seinen Beinen schob und sich selbst aufrichtete. „Dann bleib liegen. Ich mach uns irgendetwas, aber beschwer dich später nicht, wenn es dir nicht schmeckt.“
Der andere küsste ihn auf die Stirn und ging dann Richtung Küche.
„Würze alles einfach doppelt so viel wie du denkst, dass es ausreichen würde, und es wird schon klappen.“
Wohlig in ihrem warmen Heim, mit Law an der Küchenzeile, er selbst in seinem kuscheligen Bademantel und dem Sturm vor der Türe, nickte Rocinante ein.
„Es hört auf zu Regnen.“
„Hmm?“ Law sah von seinem Buch auf und zu ihm hinüber.
„Ja, ich kann sogar ein paar Streifen Himmel erkennen – denke ich – das heißt also, dass es ab morgen wieder gutes Wetter sein wird.“
„Gut, ich kann echt drauf verzichten, durch so einen Sturm zur Praxis zu hetzten.“
„Gib es zu. Du bist erleichtert, dass Ninnin nicht einmal angerufen hat, noch nicht einmal, um eine Frage zu stellen.“
„Tze, vermutlich hat sich bei dem Wetter keiner getraut sie anzurufen.“
Rocinante wandte sich von der gläsernen Wand ab und ging auf Law zu, der sein Buch zuklappte und zur Seite legte.
„Du gehst zu Bett?“
„Ja, ich will morgen früh direkt zu Herrn Sansan und mit ihm sprechen“, entgegnete er und beugte sich hinab, damit Law ihn küssen konnte.
„Zieh das blaue Hemd an, das mit dem weißen Einsatz am Kragen.“
„Glaubst du, dass ich so etwas nötig haben werde?“
Law grinste.
„Nein, aber du wirst danach zur Praxis kommen, um Ninnin um Schwimmunterricht zu bitten und um mir die Neuigkeiten von deiner neuen Arbeit zu berichten, und ich mag das Hemd an dir.“
Rocinante zog nur eine Augenbraue hoch.
„Trotz deines schrecklichen Geschmacks sind fast alle meine Klamotten die, die du mir anfangs gekauft hast. Ich bin davon ausgegangen, dass du sie alle an mir magst.“
„Ein Kerl mit einem rosa Schalfanzug mit Herzchen drauf hat kein Recht meinen Klamottengeschmack zu kritisieren.“
„Corazón bedeutet wortwörtlich Herz, also ziehe ich an was ich möchte und über die Unterhose mit den Herzen hast du dich nicht beschwert.“
„Touché.“
Er entschied Laws fast schon böses Grinsen zu ignorieren und ging zur Tür.
„Wenn du später kommst, lass bitte das Licht aus, sonst wache ich auf, okay?“
„Wie bitte?“ Law sah ihn verwundet an und Rocinante seufzte erneut.
„Glaubst du wirklich, dass ich dich nach der Geschichte von heute Mittag jemals wieder alleine in deinem großen, kalten Bett schlafen lasse?“
„Cora…“
„Du hast gesagt, du kannst nicht schlafen, weil dir immer kalt ist, aber gestern Morgen hast du geschlafen wie ein Baby. Mein Bett ist groß genug und wir haben früher oft beieinander geschlafen, um uns zu wärmen. Aber“, hob er mahnend einen Zeigefinger, „kommt nicht auf die Idee irgendetwas unanständiges zu versuchen. Ich will nur schlafen und habe morgen ein wichtiges Gespräch, also wehe du weckst mich auf.“
„Aye, aye“, schmunzelte Law, ehe er aufstand, zu ihm kam und ihn zu sich herunterzog, um ihn zu küssen. „Danke.“
„Ich hab dich lieb, Kleiner.“
„Ich liebe dich auch.“
Kapitel 15 – Veränderungen
„Cora!“
Überrascht wandte er sich um. Law kam den Hafen entlang, eine Brotdose unterm Arm, die in ein mit Herzen besticktes Tuch eingewickelt war.
„Liuliu, kannst du gerade übernehmen?“, fragte Rocinante und drückte sein Klemmbrett seinem Zuarbeiter in die Hände. „Stell sicher, dass sie dieses Mal alles richtig vertäuen. Die Platten haben einen Wert in Millionenhöhe, wenn auch nur eine splittert wird dein Vater dir das vom Gehalt abziehen.“
Der Jungspund nickte nur ernst und nahm das Klemmbrett entgegen, während Rocinante zur Landebrücke hinübereilte.
„Was machst du denn hier, Law?“, fragte er mit einem breiten Lächeln als er den anderen erreichte. „Seid ihr schon durch für heute?“
„Tut mir leid, dich bei der Arbeit zu stören“, murmelte Law und eine leichte Röte kroch über seinen Nasenrücken, „aber du hast dein Mittagessen vergessen, es stand noch in der Küche.“
„Und du bringst es mir extra? Oh Law!“ Freudig umarmte er den anderen und brachte sie beinahe beide zu Fall. „Das ist lieb. Allerdings werde ich wohl kaum die Zeit haben etwas zu Essen. Alle drei Schiffe müssen heute noch raus und…“
„Du hast gestern schon nichts zu Mittag gegessen und als du nach Hause kamst warst du so erschöpft, dass du kaum etwas zu Abend gegessen hast.“ Law zeigte sich gewohnt unerbittlich.
„Und das kommt ausgerechnet von dir? Seit wann bist du der Experte? Nur weil du jetzt mal ein paar Wochen früher ins Bett gehst und mehr als nur Kaffee zum Frühstück hast.“ Er grinste leicht als Law unbeeindruckt zurückstarrte. „Ich habe dir gesagt, dass die Tage heftig werden, wenn alle Schiffe gleichzeitig ankommen, aber der Vorteil ist, wenn wir heute alles schaffen, habe ich morgen frei.“
Law sah immer noch nicht überzeugt aus, aber anscheinend wollte er nicht weiter diskutieren, sondern hob nur ergebend beide Hände und betrachtete das Schiff.
„Die Arbeit macht dir Spaß, oder?“
Er entgegnete nichts, sah Law einfach nur an.
„Okay, dann geh zurück, Cora. Je länger ich dich aufhalte, desto später wirst du nach Hause kommen.“
Rocinante beugte sich hinab und ließ zu, dass Law ihn kurz küsste.
„Bleib im Zweifel nicht zu lange auf, um auf mich zu warten, okay?“
Law rollte mit den Augen.
„Als würde ich zu Bett gehen, bevor du da bist. Wenn du willst, dass ich zeitig Schlafen gehe, dann komm zeitig nach Hause.“
Schallend lachend ging Rocinante zurück aufs Schiff und ging sicher, dass er jedem erzählte, dass Law ihm extra sein Mittagessen vorbeigebracht hatte, nur um es dann am Ende mit der halben Besatzung zu teilen, als sie mit den Arbeiten am zweiten Schiff fertig waren.
Eiligen Schrittes ließ er den Marktplatz des Dorfes hinter sich. Es war schon dunkel, aber mittlerweile kannte er den Weg wie seine Westentasche. Sie hatten es tatsächlich geschafft alle drei Schiffe innerhalb von zwei Tagen erst zu entladen und dann mit den neuen Waren zu beladen. Aufgrund der Auslastung von Hafen und Arbeitskraft sollten eigentlich nie mehr als zwei Schiffe auf einmal zu versorgen sein. Aber durch ein Missverständnis war es diese Woche anders gekommen und das bedeutete, dass sie alle hart hatten anpacken müssen.
Zu Rocinantes Glück hatten sich die drei Neffen Sansans wohl einen Fehltritt geleistet und zu erzieherischen Maßnahmen hatte ihr Vater sie an beiden Tagen mit den Waren mitgeschickt, damit sie Rocinante zur Hand gehen würden.
Der älteste von ihnen – Liuliu – hatte bereits das ein oder andere Mal mit Rocinante zusammengearbeitet, da er später die Firma seines Vaters übernehmen sollte, aber die anderen beiden waren leider nicht so verlässlich. Trotzdem war Rocinante dankbar für jede Hilfe, da sie es so tatsächlich geschafft hatten die Arbeit von vier Tagen in zwei zu absolvieren und das bedeutete, dass er den Rest der Woche frei hatte.
Das war auch gut so, denn Law hatte in letzter Zeit ausgesprochen wenig zu tun und daher hatten sie überlegt am nächsten gemeinsamen freien Tag endlich Wandern zu gehen. Etwas, was sie immer noch nicht geschafft hatten, obwohl sie nun schon mehrere Monate auf Natsu verbracht hatten.
Immer war ihnen etwas dazwischengekommen. Erst hatte Rocinante vernünftig schwimmen lernen wollen – er wusste nicht, wie es sein konnte, dass er wochenlang kaum Fortschritte gemacht hatte, aber zwei Einheiten mit Ninnin ausgereicht hatten, dass er die Grundlagen hinbekommen hatte – und dann hatten sie noch die Veranda und alles Weitere rund ums Haus ausbessern wollen.
Die größte Veränderung war jedoch Rocinantes Anstellung gewesen, und zwar nicht nur für ihn. Er selbst hatte sehr schnell festgestellt, dass die Arbeit ihm lag und sogar Spaß machte. Sansan hatte schon nach der ersten Woche gescherzt, dass er Rocinante nicht mehr viel beibringen brauchte, aber sehr schnell hatte er diesen Scherz in die Realität umgesetzt und nach knapp zwei Monaten hatte Rocinante das Gefühl, nie etwas anderes getan zu haben, so selbstverständlich fielen ihm die Abläufe nun und so gut kannte er schon die einzelnen Hafenarbeiter und Crewmitglieder der verschiedenen Schiffe.
Seine Aufgaben lagen nicht nur darin das Be- und Entladen zu überwachen, sondern auch wichtige Absprachen vorzunehmen, Material zu überprüfen und sicherzustellen, dass Verträge eingehalten worden und wenn möglich Fehler direkt selbst zu lösen. Manchmal packte er auch selbst mit an, gerade an Tagen wie diesen, wenn jedes Paar Hände Gold wert war, aber das machte er gerne. Alles in allem hatte er sich sehr schnell an die Arbeit gewöhnt und von seinem ersten, ausgezahlten Gehalt hatte er Law zum Essen eingeladen.
Law auf der anderen Seite schien seine Probleme zu haben, nett ausgedrückt. Zwar unterstützte er Rocinante und wollte ihn wirklich ermutigen, aber es war mehr als offensichtlich, dass er es hasste nach Hause zu kommen und Rocinante war nicht da. Viel zu oft kam er zum Hafen, meistens unter fadenscheinigen Ausreden, um sicherzustellen, dass es Rocinante gut ging – die Vivre Card schien ihn kein bisschen zu beruhigen – und egal wie spät es wurde, Law wartete auf ihn.
Es war Rocinante unangenehm, er mochte es wirklich nicht, dass seine Abwesenheit so schwer für Law zu ertragen war. Gleichzeitig fand er schon, dass Law ein bisschen übertrieb. Aber er gestand ihm zu, dass er sich bemühte und wahrscheinlich einfach noch ein paar Wochen brauchte, um sich an diese Veränderung zu gewöhnen.
Wie erwartet grüßte ihn Licht aus dem Esszimmer und als Rocinante hineinkam stand Law an der Anrichte, eine riesige Schüssel Salat neben ihm. Sobald sein Blick auf Rocinante fiel, schien sein Gesicht aufzuleuchten und ein kleines Schmunzeln glitt über seine Lippen.
„Wie siehst du denn aus?“
„Wie ein Mann, der den ganzen Tag gearbeitet hat, vielen Dank auch.“
„Geh dich duschen, Cora, das Essen kann nicht kalt werden.“
Mit den Augen rollend ließ er sich auf die Anrichte fallen.
„Muss ich? Ich bin so müde, ich will eigentlich nur etwas essen und dann ins Bett.“
Unbeeindruckt musterte Law ihn.
„So kommst du mir nicht ins Bett.“
„Es ist immer noch mein Bett.“
„So kommst du mir nicht in dein Bett.“
Für einen Moment funkelten sie einander an, dann lenkte Rocinante ein.
„Meinetwegen, aber du bist es schuld, wenn ich im Bad einschlafe und ertrinke.“
„Solltest du es schaffen beim Duschen zu ertrinken, nachdem du extra schwimmen gelernt hast, werde ich dich auslachen und auf deinen Grabstein schreiben Hier ruht ein Vollidiot.“
„Tze“, winkte er nur ab und begab sich ins Bad.
Er mochte, wie sich die Dinge mit Law entwickelten. Am Anfang war es für sie beide schwierig gewesen, aber jetzt war dieses Leben hier zusammen auf dieser Insel genau das, was sie wohl beide erhofft hatten.
Natürlich hatte Rocinante in gewissen Bereichen Zugeständnisse gemacht, aber es war nicht so, als würde er davon keine Vorteile erhalten. Für sie beide schien ihre Beziehung trotz allem sehr eindeutig zu sein. Law erwartete nicht mehr als Rocinante geben konnte und Rocinante nahm an was auch immer Law ihm darbot.
Sie sprachen sehr offen miteinander, in den letzten Wochen hatte Law auch immer öfter über Dinge gesprochen, die während Rocinantes Abwesenheit geschehen waren und so langsam schien er diese Dinge zu verarbeiten, so langsam schien er wirklich glücklich zu werden.
Manchmal fragte Rocinante sich, ob Law nicht seine anderen Freunde vermisste, so wie er Sengoku wiedersehen wollte, aber solche Fragen stellte er nicht. Law würde reden, wenn er dazu bereit war und Rocinante drängte ihn nicht.
Hinter ihm ging die Tür auf und Law kam herein.
„Was wird das denn, wenn’s fertig ist?“, meinte Rocinante nur mit hochgezogenen Augenbrauen, während er sich weiter auszog.
„Ich will dir die Haare waschen“, sagte Law ganz unschuldig, „und wenn du doch so müde ist, ist dir das doch mit Sicherheit Recht.“
„Du hast dreckige Hintergedanken, ich kann es dir ansehen“, entgegnete er mit einem Augenrollen und ließ sich auf den Hocker nieder.
„Und wenn, wäre das so schlimm?“, flüsterte Law in sein Ohr, ihn fast nicht berührend glitten seine Hände über Rocinantes Schultern, seinen Hals hinauf. „Würde es dir missfallen?“
„Ich bin müde, Law“, murmelte er, konnte jedoch nicht verhindern gegen diese Hände zu sinken, „die letzten zwei Tage waren anstrengend, ich brauche heute wirklich keine Freizeitaktivitäten mehr.“
Law stellte das Wasser an und begann sein Haar abzubrausen.
„Und was ist, wenn ich dich noch mal verwöhne? So wie beim ersten Mal? Das mochtest du, oder?“
„So eine Nacht werde ich heute ganz gewiss nicht durchhalten, Law.“
„Ich rede nicht von der ganzen Nacht, nur vom aller ersten Mal. Ich verwöhne dich und du entspannst.“
Rocinante griff nach Laws Handgelenk mit der Brause und sah dann zu ihm auf.
„Ich habe dir doch schon mal gesagt, wenn wir das machen, dann richtig. Ich werde dich nicht ausnutzen, erst nicht für eine schnelle sexuelle Befriedigung.“
Law über ihn neigte leicht den Kopf, beugte sich dann vor und legte seine Unterarme auf Rocinantes Schultern ab, umarmte ihn halb von hintern, während die Brause nur Rocinantes Füße duschte.
„Und ich habe dich schon mal gesagt, dass du mich nicht ausnutzt. Ich schlafe mit dir, weil das mich sehr glücklich macht. Aber das tut es nicht, wenn es dich nicht auch glücklich macht.“
Rocinante legte seine freie Hand auf Laws Kopf und strich ihm durchs Haar.
„Es ist jedes Mal das gleiche“, murmelte er unzufrieden, „du machst dir Sorgen, dass ich es nur mache, um dich nicht zu verletzten und ich mache mir Sorgen, dass ich deine Gefühle für mich ausnutze.“
Law lehnte seinen Kopf gegen Rocinantes und nickte sachte.
„Das stimmt wohl, aber so sind die Dinge nun mal, so fühlen wir nun mal, und solange wir darüber sprechen ist alles in Ordnung.“
„Wann bist du denn plötzlich erwachsen geworden?“, lachte er leise und lehnte sich gegen den anderen.
Obwohl ihre Beziehung auf den ersten Blick ganz simpel und schlicht wirkte, war sie doch auch kompliziert und beide hatten Angst etwas falsch zu machen. Nur weil sie mittlerweile keine Geheimnisse mehr voreinander hatten, wussten sie damit umzugehen.
„Eigentlich ist es doch ganz einfach“, murmelte Law in seine Halsbeuge, „Ich brauche mir keine Sorgen um dich zu machen, weil du ja auch was davon hast und jederzeit Nein sagen könntest und du brauchst dir keine Sorgen zu machen, weil ich genauso gut deine Gefühle für mich ausnutzen könnte.“
Erneut lachte Rocinante auf.
„Das ist etwas zynisch ausgedrückt, Law.“
„Lass mich dein Haar waschen, Cora.“
Er ließ den anderen machen. Er mochte es, wenn Law durch sein Haar fuhr, es entspannte ihn wie kaum etwas anderes.
„Hast du dich schon entschieden, wann du Sengoku aufsuchen möchtest?“, fragte Law und da war also der Grund für die unterschwellige Anspannung.
„Bald“, entgegnete er sanft. „Aber du bist noch nicht bereit.“
„Ich?“, hakte Law nach und massierte das Shampoo ein. „Dabei geht es doch nicht um mich.“
„Doch, das tut es“, widersprach er im gleichen Tonfall wie zuvor. „Du bist mir das wichtigste, Law, und solange deine Angst noch dein Vertrauen überschattet, solange werde ich nichts riskieren.“
„Ich verstehe nicht, wovon du redest“, grummelte Law nun und wusch das Shampoo aus. „Ich vertraue dir, das weißt du, und ich werde mir wohl immer Sorgen um dich machen, gerade wegen deiner Tollpatschigkeit. Aber das bedeutet nicht, dass du deswegen nicht gehen solltest.“
„Aber du vertraust noch nicht darauf, dass ich zurückkommen werde, Law, daher werde ich noch nicht gehen, außer du kommst mit.“
Law seufzte leise.
„Ich weiß nicht, ob das klug wäre. Ich bin ein ehemaliger Pirat und halte mich eigentlich aus den Dingen der Öffentlichkeit heraus, aber wenn ich mit dir nach Kaikkien Maiden reisen würde, würde das mit Sicherheit viel Aufsehen erregen.“
„Na und?“ Er nahm die Brause entgegen und begann seinen Körper abzuwaschen. „Ich will es nur Sengoku und meinem Bruder selbst sagen, was die Welt denkt ist mir egal.“
Der andere schwieg für einen Moment.
„Ich bin noch nicht bereit, Sengoku wieder entgegenzutreten“, meinte er dann schließlich. „Ich habe ihn all die Jahre was dich angeht belogen. Er wird wütend sein.“
Rocinante erhob sich und griff nach dem Handtuch, welches Law ihm darbot. Er war zu müde, um noch baden zu gehen.
„Er wird dankbar sein, Law, vielleicht verwirrt am Anfang, so wie ich, aber dankbar.“
Law nickte nur, ohne ihn anzusehen.
„Aber wie gesagt, du bist noch nicht soweit, daher werde ich noch nicht gehen. Wir haben keine Eile, oder?“
Nun zeigte der andere ein halbes Lächeln.
„Law, lass uns das Abendessen überspringen und direkt zu Bett gehen.“
„Was? Wie war das mit den drei Mahl…“
„So wie du gerade guckst, möchte ich mich ganz eng an dich kuscheln und an deiner Seite einschlafen und morgen mache ich uns ein festliches Frühstück.“
Das Lächeln wuchs und Law nickte nur.
„Du bist so ein Softie, Cora.“
„Na, das ist schon okay. Ich habe kein Problem damit ein Softie zu sein. Außerdem steht pink mir verdammt gut und Schminke übrigens auch.“
Er zog sich den Bademantel über und nahm Law an der Hand.
„Komm, lass uns schlafen gehen.“
„Lass mich wenigstens noch vorher den Salat kühl stellen.“
Kapitel 16 – Weg
„Da vorne müssen wir rechts“, erklärte Law und schaute von seiner Karte auf, „und dann müssten wir gleich an den See kommen. Es ist nicht mehr weit.“
„Das sagst du nun schon etwa zum zwanzigsten Mal“, grummelte Rocinante und stützte sich an einem Baum ab.
Dies war bei weitem die längste Wanderroute, die Law in den letzten Wochen je ausgesucht hatte. Bisher waren sie immer ein bis zwei Stündchen unterwegs gewesen, heute jedoch hatte Law ihn in aller Herrgotts Frühe aus dem Bett gescheucht und seit knapp sechs Stunden liefen sie nun gefühlt ein Berg steil hinauf. Allein bei dem Gedanken, dass sie das auch alles wieder zurücklaufen mussten, wurde ihm schlecht.
Er mochte die längeren Beine haben, aber Law hatte eindeutig die bessere Kondition, oder ihm lag das Wandern einfach mehr.
„Sollen wir eine Pause machen?“, fragte Law geduldig und schmunzelte leicht.
„Nein, außer dein nicht mehr weit ist in Wahrheit noch über eine Stunde.“
„Komm, lass uns zusammen gehen.“ Law reichte ihm eine Hand und gemeinsam setzten sie ihren Weg fort.
Rocinante selbst konnte sich fürs Wandern nur bedingt begeistern, ein schöner langer Spaziergang gefiel ihm durchaus, aber er sah keinen Sinn darin einen riesigen Berg hoch zu stapfen, nur um auf der anderen Seite wieder runter zu watscheln. Außerdem waren die Wege meist unbeständig und uneben, unzählige Male war Rocinante schon hingefallen und nur Laws schnelles Eingreifen hatte meist Schlimmeres verhindert.
Allerdings wusste er, dass es Law gefiel und da er nun mal gerne Zeit mit Law verbrachte, und dieser ansonsten selten etwas einforderte was ihm gefiel, tat er es ihm zur Liebe.
In einvernehmlichem Schweigen schritten sie nebeneinander her.
Ach, eigentlich, wenn er ehrlich war, fand er den ganzen Ausflug nicht so schlimm. Der Wald im frühen morgen war faszinierend gewesen, der Sonnenausgang überm Meer von dem kleinen Plateau aus wunderschön und Laws funkelnder Blick schlichtweg atemberaubend.
„Da vorne ist es“, murmelte Law, doch alles was Rocinante ausmachen konnte, waren raue Steine und dahinter das Blau des Himmels, im Hintergrund ein paar Bergspitzen.
Doch dann blieb er stehen.
„Wow.“
„Nicht wahr?“
Vor ihnen erstreckte sich das ganze Landesinnere der Insel, eingerahmt von den hohen Bergen, die ins Meer mündeten, mit Ausnahme des kleinen Dorfes am Hafen außerhalb der Bergkette, wo sie sich niedergelassen hatten.
Rocinante überblickte gerade Meilen aus der Sicht eines Vogels. Zu seiner Rechten entsprang ein Fluss der gefühlt nur eine Armlänge entfernt in einen riesigen, glitzernden See mündete, am Fuße des Berges.
Das Grün der Bäume schien im sanften Sommerwind zu tanzen und die Tupfer einzelner Blumen stach aus dem Meer aus Gras hervor. In der Ferne konnte er die einzelnen Ortschaften ausmachen, manche näher manche weiter weg.
Und dahinter war das Meer. Nein, das falsch. Überall war das Meer, die Wellen, die von hier aus nicht mehr als eine Ahnung waren, brachen sich in der gleißenden Mittagssonne. Rocinante meine den Schatten einer riesigen Seekuh zu sehen, ehe er die Umrisse der Frühlingsinsel Haru erspähte und dort, kaum mehr als eine Ahnung am Horizont konnte er sie sogar erkennen, selbst von hier erkennen, die Red Line.
„Cora, komm.“ Überrascht unterbrach er sein Staunen, als Law ihn hinter sich her winkte und ihn zu der kleinen Quelle hinüberführte, die nur Meter unter ihnen zu einem reißenden Fluss heranwuchst. Zwischen den vereinzelten Grasflächen ließen sie sich nieder und packten ihr Mittagessen aus.
Sie sprachen nicht, was auch gar nicht nötig gewesen wäre, sondern betrachteten die Welt um sie herum, die kleinen und großen Wunder der Natur.
Selbst nachdem sie gegessen hatten, konnten sie sich noch nicht dazu bringen wieder zu gehen, zeigten einander Sachen, die sie entdeckt hatten und redeten über dies und das, Law strahlte und lachte wie nie zuvor und jetzt wusste Rocinante, dass er Gefallen am Wandern finden konnte, zumindest solange Law bei ihm war.
Irgendwann begannen sie dann doch wieder ihren Abstieg und Rocinante verwarf den eben gefassten Gedanken wieder ganz schnell.
Aber dann bemerkte er, dass Laws Lächeln geschwunden war, sein Blick abwesend auf den Boden gerichtet.
„Law, alles in Ordnung?“, fragte er und griff nach der Hand des anderen.
„Natürlich“, entgegnete dieser fast zu schnell. „Ich bin nur etwas erschöpft. Vielleicht habe ich doch nicht genug geschlafen.“
Es war eine Lüge, Rocinante erkannte es sofort.
„Du weißt es“, murmelte er, „du weißt, dass ich mich eben entschieden habe, dass es Zeit ist.“
Law verharrte einen Moment ehe er weiterging, den Blick fest auf den Weg vor sich gerichtet.
„Du hast die Red Line gesehen“, bemerkte er schlicht.
„Das habe ich.“
Law nickte.
„Das ist gut. Ich habe schon ein ganz schlechtes Gewissen es Sengoku solange verschwiegen zu haben. Ich denke auch, dass es langsam an der Zeit ist.“
„Wie gesagt, Law, ich würde mich freuen, wenn du mitkommen würdest. Es wäre maximal für eine Woche.“
Law schüttelte den Kopf und eilte den Pfad entlang.
„Nein, nein, ich kann Ninnin nicht solange allein mit der Praxis lassen. Außerdem…“
„Law.“ Er war stehen geblieben und da er den anderen noch festhielt, zwang er Law ebenfalls dazu. „Ninnin ist mittlerweile richtig gut. Sie braucht keinen Babysitter mehr und hat dich während ihrer letzten Dienste nicht ein einziges Mal angerufen. Ich denke nicht, dass sie etwas dagegen hat, wenn du mich begleitest. Also bitte…“
Langsam sah Law auf, konnte seine Unsicherheit oder was auch immer es war nur mehr schlecht als recht verbergen, ehe er schließlich schwach lächelte.
„In Ordnung“, meinte er und nickte, „lass uns gemeinsam fahren. Wann möchtest du aufbrechen?“
Langsamer als zuvor setzten sie ihren Weg fort.
„Naja, ich muss es ja erst mal mit Sansan absprechen. Liuliu wird mich vertreten können, denke ich, er macht sich ganz gut.“ Er überlegte einen Moment. „Es wäre am besten, wenn ich morgen mit Sansan spreche und wir dann direkt übermorgen aufbrechen, okay?“
Law nickte nur.
„Hey, du brauchst nicht nervös sein. Sengoku wird nicht wütend sein und ich habe dir doch versprochen, dass ich dich nicht zurücklassen werde.“
„Ich weiß“, flüsterte Law, „aber egal was passiert, bitte vergiss nicht, dass ich dich liebe, Cora.“
Diese Worte machten ihm fast Angst, aber er vermutete, dass Law noch größere Angst hatte, vor dem was kommen würde.
„Als würde ich das je vergessen, Law“, entgegnete er sanft, „und egal was passiert, vergiss du nicht, dass ich dich lieb hab, Kleiner.“
„Wann wirst du je aufhören mich Kleiner zu nennen?“ Nun klang Law wieder etwas mehr nach ihm selbst.
„Wenn du größer bist als ich, ganz einfach.“
Der andere schenkte ihm nur ein Augenrollen und gemeinsam setzten sie ihren Marsch fort.
Der nächste Morgen kam schnell.
Heute würde Rocinante alles für ihre Reise am nächsten Tag regeln müssen und vermutlich nochmal mit Law sprechen müssen.
Am ganzen vergangenen restlichen Tag war dieser seltsam still gewesen, vermutlich sehr nervös vor der morgigen Reise. Im Bett hatte er sich nahezu an Rocinante gekrallt, wie ein kleines Kind nach einem Albtraum, so wie er es schon monatelang nicht mehr getan hatte.
Es verunsicherte Rocinante aber es bestärkte ihn auch darin, dass sie diese Hürde hinter sich bringen mussten, je schneller, desto besser, und dann konnten sie ihr glückliches Leben fortsetzen.
Schlaftrunken setzte er sich auf. Er musste gestehen, dass er auch nervös war, allerdings war es eher freudige Erwartung davor Sengoku endlich wiederzusehen. Doch er konnte Law gut verstehen, denn auch er fürchtete sich vor dem was kommen mochte, oder eher, vor dem Moment, in dem er seinem Bruder gegenüber stehen würde. Aber Law hatte auch Recht, es war Zeit, dass sie sich der Vergangenheit stellen würden.
Zu seiner Überraschung lag Law nicht mehr neben ihm. Wahrscheinlich hatte er nicht gut schlafen können und besprach die nächsten Tage nun mit Ninnnin und Frau Paipai.
Seufzend streckte Rocinante sich und stand ebenfalls auf. Je früher er die Formalitäten hinter sich bringen würde, desto früher würde er mit Law reden können.
Doch nachdem er das Bad verlassen hatte, konnte er Law weder in der Küche noch auf der Veranda finden. Ein schneller Blick ins Arbeitszimmer verriet ihm, dass der andere auch nicht dort war.
Verwirrt – und leicht besorgt, wie er nun mal war – überprüfte er auch Laws ehemaliges Schlafzimmer, welches ebenso verlassen dalag wie ein Lagerraum, der es seit Monaten war, ehe er entschied die Praxis anzurufen.
Zu seiner Überraschung meldete sich Ninnin. Auf seine Frage hin, verneinte sie, dass Law da wäre. Allerdings hatte er sie wohl in den frühen Morgenstunden angerufen und ihr gesagt, dass die Praxis für die kommenden Tage in ihrer Verantwortung läge.
Es sollte Rocinante beruhigen, dass Law augenscheinlich die Dinge direkt geklärt haben wollte und sich auf die Abreise vorbereitete, aber ein beklemmendes Gefühl in der Magengegend sagte ihm etwas anderes.
Erneut sah er auf der Veranda, am Strand und in der Küche nach, doch Law konnte er nirgendwo finden und es passte nicht zum anderen, ihm noch nicht mal einen Zettel da zu lassen, wenn er einkaufen ging oder ähnliches.
Plötzlich fand Rocinante sich im Büro des anderen wieder, unwissend warum seine Füße ihn hergetragen hatten, doch dann sah er es.
Der Schreibtisch – normalerweise belagert mit unzähligen Büchern, Mitschriften, Papierbergen und was nicht sonst noch – war komplett leergeräumt, einzig und alleine die kleine Teleschnecke für die Rufbereitschaft und ein kleiner Fetzen Papier lagen dort, welcher stetig auf Rocinante zu krabbelte.
„Law?“
Dann sah er auf und bemerkte, dass das Schwert des anderen, welches so unschuldig im Regal geschlummert hatte, fehlte.
Panik überkam ihn und im nächsten Moment rannte er den Weg zum Hafen hinunter.
Doch natürlich wusste er, dass er viel zu spät sein würde. Am Pier nach Luft schnappend sah er aufs offene Meer hinaus.
Law war fort.
Sein Herz drohte zu zerspringen, aber er zwang sich zu ruhigen Gedanken, er musste eine Lösung finden und er wusste genau, was er zu tun hatte. Er durfte nicht emotional werden! Solche Momente verlangten Entscheidungen, Taten, nicht Gefühle, nicht seine Gefühle.
Er eilte zum Haus zurück, rief dort Sansan an und sagte ihm, dass er aufgrund eines Notfalls für ein paar Tage ausfallen würde. Dann schritt er zurück in Laws Arbeitszimmer und griff nach der berühmten Teleschnecke. Sie hatte kein Ziffernblatt, also hoffte er einfach, dass er gerade das richtige tat.
Für mehrere Sekunden piepte die Schnecke leise vor sich hin und Rocinante war schon drauf und dran aufzulegen und seinen Plan B zu verfolgen, doch endlich wurde abgenommen.
Eine dunkle, leicht genervt klingende Stimme antwortete: „Ja?“
Wäre Rocinante irgendwer anders – und hätte er nicht gerade ganz eigene Probleme – hätte diese Stimme ihn vielleicht eingeschüchtert, aber gerade jetzt machte sie ihn nur wütend.
„Ist da das Schiff der Strohhüte?“
„Hmm?“
„Bist du einer der Strohhüte habe ich dich gefragt?“
Für eine Sekunde war es still auf der anderen Seite.
„Du hast hier angerufen, du solltest es also wissen“, entgegnete der Fremde missmutig.
„Ich bin nicht zu Scherzen aufgelegt“, knurrte er.
„Ich auch nicht“, grummelte der andere ebenso finster, „und da wir gerade von Auflegen sprachen…“
„Warte!“ Er packte die Sprechmuschel fester. „Ich bin ein Freund von Law, ich brauche eure Hilfe.“
„Hä?“, kam es langezogen von der anderen Seite. „Law steckt in Schwierigkeiten?“
„Ich glaube ja.“
„Du glaubst?“ Der andere klang nun noch misstrauischer als zuvor. „Du wusstest nicht, welche Nummer du anrufst, du weißt nicht wer ich bin und du glaubst…“
Der andere unterbrach sich als weitere Stimmen hinzukamen, die plötzlich wie auf Geheiß verstummten.
„Also noch einmal“, sprach der andere nun weiter, „du glaubst, Law steckt in Schwierigkeiten und willst unsere Hilfe?“
„Was? Trafo steckt in Schwierigkeiten?!“, fragte eine laute Stimme dazwischen, welche dann von einer weiteren zum Schweigen gebracht wurde.
„Genau“, stimmte Rocinante zu und fragte sich, ob er gerade mit dem sagenumwobenen Strohhut höchstpersönlich sprach.
„Wie heißt du?“
„Das kann ich nicht sagen.“
„Warum sollten wir dir dann glauben?“
„Ihr habt keinen Grund mir zu glauben. Aber als Law mir von euch erzählte, sagte er, dass der Strohhut ruft und wir kommen. Daher hoffe ich jetzt einfach, dass ihr kommt, wenn er eure Hilfe braucht.“
Wieder schwieg der andere, strapazierte Rocinantes Geduld, ehe er im Hintergrund leise Stimmen hörte, anscheinend waren einige der Crew unterschiedlicher Meinung.
„Okay“, sagte der Mann mit der dunklen Stimme wieder, „warum hast du uns angerufen?“
„Ich will wissen, ob Law euch gegenüber irgendetwas erwähnt hat, als ihr ihn das letzte Mal gesehen habt, das einen Hinweis darauf geben könnte in was für Problemen er steckt.“
Erneut erhielt er nicht mehr als ein paar vereinzelte Stimmen, die das murmelnd verneinten, doch dann antwortete eine Frau: „Nun ja, von seiner Wortwahl ausgehend können wir wohl vermuten, dass er nicht erwartet hat uns lebend wiederzusehen.“
„Was?“, entkam es Rocinante einstimmig mit einigen anderen Stimmen.
„Ja, eventuell ist er mittlerweile tot.“
„Robin!“
„Was?“ Er fühlte sich machtlos auf der anderen Seite der Leitung. „Wie meinst du das?“
Erneut sprach die Frau: „Er hat nichts Eindeutiges gesagt, aber… ich habe den Blick erkannt.“
„Na toll“, knurrte der Mann, der zuerst gesprochen hatte, „noch so einer.“
„Was soll das heißen?“, fragte Rocinante verwirrt.
„Das soll heißen, dass wir kommen“, antwortete sein Gesprächspartner während im Hintergrund einige laute Stimmen unverständlich miteinander redeten, ehe sie nach und nach leiser wurden. „Befehl des Käpt‘ns. Wo müssen wir hin?“
Perplex über den plötzlichen Sinneswandel betrachtete Rocinante die Teleschnecke.
„Nach Kaikkien Maiden.“
„Das trifft sich hervorragend“, murrte der andere entgegen seiner schroffen Stimme, „das war gerade so oder so unser nächstes Ziel. Warte mal gerade…“ er konnte sich entfernende Schritte hören, das Knallen einer Tür und dann kamen Schritte wieder näher.
„Wir sollten in zwei Tagen da sein und ich warne dich, Freund von Law, sollte das ein Trick sein, wirst du es bereuen.“
„Wir sehen uns in zwei Tagen“, entgegnete er nur und legte auf.
Für einen Moment atmete er noch tief durch, dann eilte er durchs Haus, packte die nötigsten Sachen und machte sich auf den Weg.
Von Anfang an hatte er es gewusst, hatte gewusst, dass Law ihm etwas verschwieg, hatte es auf alles Mögliche geschoben, dass Law ihn beschützen wollte, dass Law nicht wollte, dass er herausfand wer er wirklich war, dass Law die Vergangenheit vergessen wollte, dass Law sich Sengoku nicht stellen wollte, aber in dem Moment, als er die Vivre Card gesehen hatte, wusste er, dass das alles nicht stimmte.
Law war in Schwierigkeiten und Rocinante hatte das einzige Vernünftige getan, was ihm eingefallen war. Er hatte Laws Freunde – zumindest die, die er kontaktieren konnte – zur Hilfe gerufen. Was für einen Feind sich auch immer entgegenstellen würde, er war sich ziemlich sicher, dass die stärkste Crew der Welt ein guter Verbündeter sein würde.
Aber das änderte alles nichts daran, dass er keine Ahnung hatte wo Law war, aber er hatte eine Vermutung wer die Antwort kennen würde, denn da war die zweite Ungereimtheit in Laws Verhalten.
Gerade noch rechtzeitig erreichte Rocinante die erste Fähre des Tages nach Haru und zündete sich ungeduldig eine Zigarette an.
Law hatte ihn absichtlich davon abgehalten Sengoku und seinen Bruder aufzusuchen, hatte es seit Monaten herausgezögert und nun, da er wusste, dass er es nicht mehr abhalten konnte, ohne dass es auffallen würde, war er gegangen.
Das hieß einer der beiden musste irgendetwas wissen und er würde herausfinden was.
Auf seinem Filter herumkauend starrte er aufs offene Meer hinaus, erlaubte seinen Gefühlen nicht die Oberhand zu erlangen, denn dann wäre er nicht mehr in der Lage das zu tun, was er tun musste.
„Aber ich schwöre bei Gott, Law“, knurrte er, „wenn das hier alles vorbei ist, dann machen wir endlich reinen Tisch, du Vollidiot!“
Kapitel 17 – Lüge
Die Sonne war noch hinter den Wellen versteckt als er mit dem Nachtzug Kaikkien Maiden erreichte.
Der vergangene Tag war die reinste Hölle gewesen. Er hatte nichts tun können, außer abzuwarten und nun war er hier und obwohl er diesen Tag schon seit Monaten erwartet hatte, konnte er auf seine eigenen Gefühle jetzt keine Rücksicht nehmen. Heute ging es nicht um ihn und seine Gefühle – heute durfte es nicht um ihn gehen – heute musste er Antworten finden, denn nur so konnte er Law finden und retten, falls er wirklich in Gefahr sein sollte, was nun mal wahrscheinlich war.
Er hatte erst überlegt einzubrechen, aber er kannte die Gegebenheiten nicht und wusste nicht, was die Welt in den vergangenen 18 Jahren für Waffen entwickelt hatte, also hatte er sich für den Haupteingang entschieden.
Den wenigen Frühaufstehern folgend kam er zur Eingangskontrolle.
„Ausweis“, murrte die Türsteherin ihn kühl an.
„Ich habe keinen“, entgegnete er kalt.
„Dann kann ich Sie nicht reinlassen.“
„Können Sie Sengoku eine Nachricht von mir überbringen?“
Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Sehe ich aus wie eine Postmöwe?“
„Es ist wichtig. Es geht um Leben oder Tod.“
Nun rollte sie mit den Augen.
„Entschuldigen Sie, aber es geht immer um Leben oder Tod. Wenn ich jeden, der…“
„01746.“
„Was?“
Er hatte sich also nicht geirrt, ihre Körperhaltung, die akkurate Perfektion, mit der sie ihre Uniform trug.
„Ein Marinecode, bitte übermitteln Sie ihn Sengoku.“
Noch einen Moment länger sah sie ihn an, dann nickte sie und trat zur Seite.
„Ich verstehe, wenn Sie mir bitte folgen würden.“
Überrascht über ihre plötzliche Hilfe, folgte er ihr nur zu gerne. Anscheinend war das Glück wieder auf seiner Seite. Die Leute schienen in den letzten zwei Jahrzehnten viel freundlicher und hilfsbereiter geworden zu sein als noch zu seiner Zeit.
Er folgte ihr durch den Eingangsbereich, ein paar Stufen hoch und eine Tür hindurch und plötzlich packten ihn mehrere Hände von hinten.
Er versuchte sich zu wehren – konnte kaum glauben, dass er sich von so einer offensichtlichen Finte hatte reinlegen lassen – doch gab nach als die Frau vor ihm ihre Waffe auf ihn richtete.
„Sie sind verhaftet.“
„Was?!“
„Führt ihn ab.“
„Warte! Was? Nein, hören Sie mir bitte zu. Sagen Sie Sengoku…“
Die beiden Wachen hinter ihm zerrten ihn fort. Die Waffe an seinem Rücken machte ihm deutlich, dass Wehren vermutlich keine gute Idee war, also ließ er zu, dass sie ihn in eine Art Verhörraum brachten und dort mit seltsamen Handschellen an einen Tisch ketteten.
Da saß er dann nun, unfähig irgendetwas zu machen und sich keines Fehlers bewusst. Er hatte nichts Verbotenes getan. Soweit er wusste hatten die Marinecodes zwar keine Wirkung mehr, aber er war davon ausgegangen, dass ein ehemaliges Mitglied der Marine vielleicht die Bedeutung hätte erkennen können, hätte heraushören können, dass sein Marinecode der einer Spezialeinheit war.
Verdammt! Was sollte er denn jetzt tun?! Er konnte sich nicht leisten hier eingesperrt zu sein. Mit jeder Sekunde sank die Chance, dass er Law wiederfinden würde, lebend wiederfinden würde.
Aber er wusste nicht was er tun sollte. Seine Fähigkeiten waren innerhalb des knappen Jahres so sehr eingerostet, dass er nicht bemerkt hatte, dass ihm aufgelauert wurde, er hatte es noch nicht mal geschafft sich die Schlüssel zu holen. Er betrachtete die metallenen Fesseln um seine Handgelenke, vielleicht konnte er sie mit Haki aufbrechen.
„Das würde ich nicht tun“, bemerkte ein junger Mann mit runder Brille, der gerade hereinkam, und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Bei jeglicher Gewalteinwirkung kriegen Sie einen heftigen Stromschlag, kann ich nicht empfehlen.“
„Das hier ist ein Versehen.“
„Ist es das?“, meinte der andere nur, setzte sich ihm gegenüber hin und legte eine Mappe auf den Tisch. Es erinnerte Rocinante stark an die Verhöre aus seiner Vergangenheit, aber noch nie hatte er dabei die Handschellen angehabt.
Der Mann im Nadelstreifenanzug sah ihn einen Moment an.
„Wer sind Sie?“, fragte er dann.
„Kann ich nicht sagen.“
„Was wollten Sie hier?“
„Mit Sengoku sprechen“, antwortete Rocinante die Wahrheit.
„Woher kennen Sie Sengoku?“
„Kann ich nicht sagen.“
„Warum nannten Sie den Marinecode 01746?“
„Kann ich nicht sagen.“
„Warum wollten Sie mit Sengoku sprechen?“
„Weil ein Freund von mir in Gefahr ist und ich glaube, dass Sengoku der Einzige ist, der helfen kann.“
„Ein Freund?“, hakte der andere nach. „Wie heißt der Freund?“
Einen Moment zögerte Rocinante, doch dann wurde ihm wieder bewusst, dass Law kein Feind der Gerechtigkeit mehr war, obwohl ehemaliger Pirat, und dass jede Sekunde kostbar war. Rocinante konnte vielleicht nicht seine eigene Identität preisgeben, aber es gab für ihn keinen Grund Laws zu verheimlichen.
„Trafalgar Law“, sagte er schließlich.
„Trafalgar Law?“, wiederholte der andere mit hochgezogener Augenbraue, woraufhin Rocinante nur nickte. „Warum können Sie mir nicht sagen, wer Sie sind?“
„Ich bin unter anderem zur Verschwiegenheit verpflichtet bis ich meinem Vorgesetzten Bericht erstattet habe, aber selbst, wenn ich diesen Befehl missachten würde, Ihre Nachforschungen zu meiner Person würden meiner Aussage widersprechen und daher würden Sie mich wohl eines möglichen Betruges überprüfen müssen. Ich kann aber die Zeit für eine solch langwierige Prozedur nicht opfern, solange Law in Gefahr ist.“
Der andere neigte leicht den Kopf.
„In was für einer Gefahr steckt Trafalgar Law?“
„Ich weiß es nicht, aber da er mich davon abhalten wollte mit Sengoku zu sprechen, gehe ich davon aus, dass dieser mögliche Antworten hat.“
„Er wollte Sie davon abhalten? Trafalgar? Und er ist jetzt derjenige, der in Gefahr steckt? Warum hätte er Sie davon abhalten sollen ihm zu helfen?“
Nicht eine Sekunde wich er diesen klaren Augen aus, als der andere seine Brille hochschob und ihn ernst ansah.
„Weil er ein Dummkopf ist, der sich mehr um andere sorgt als um sich selbst und mich nicht in Gefahr sehen will.“
Der andere schwieg für eine Sekunde und kratzte sich an seinem Stirnband, zeigte eine Narbe, die darunter verborgen war.
„Warum sollte die Wache Sengoku den Marinecode weitergeben?“
„Weil er dann verstanden hätte.“
„Hätte er dann gewusst wer Sie sind?“
„Nein, aber er kennt den Code.“
„Und deswegen gehen Sie davon aus, dass er zu Ihnen gekommen wäre?“
„Ja.“
Der andere stand auf und begann durch den Raum zu gehen, etwas an seinem Gang war seltsam, uneben, aber was genau konnte Rocinante nicht ausmachen.
„Nun gut, wie erklären Sie sich folgende Situation? Gestern Morgen erhielten wir einen anonymen Hinweis, dass in den nächsten Tagen jemand hier auftauchen würde, der über einen Marinecode versuchen würde an Sengoku heranzukommen und jetzt sind Sie hier.“
Rocinante schnaubte auf.
„Was für ein Scheißkerl.“
„Sie wissen wer das war?“
„Zählen Sie eins und eins zusammen, das war Law.“
„Warum sollte er das tun?“
„Das habe ich Ihnen doch gerade gesagt. In was für einem Schlamassel er auch immer stecken mag, er versucht es allein zu regeln und damit mir nichts passiert, setzt er mich hier fest.“
Der andere blieb schließlich stehen und sah ihn mit verschränkten Armen an.
„Wissen Sie was der Marinecode bedeutet?“
Rocinante antwortete nicht.
„Sie könnten uns beiden das hier deutlich einfacher machen, wenn Sie einfach die Wahrheit sagen würden.“
„Kann ich nicht.“
„Weil Sie zur Verschwiegenheit verpflichtet sind? Oder weil Sie befürchten, dass ich Ihre Aussage für eine Lüge halten würde?“
„Weil es sein kann, dass das was ich als Wahrheit akzeptiert habe, eine Lüge ist.“
Er konnte sehen, dass der Regierungsangestellte eine neue Frage stellen wollte, aber dieses Mal war er schneller.
„Wir könnten es uns beiden auch deutlich einfacher machen, wenn Sie einfach Sengoku herholen würden.“
Der andere kratzte sich wieder an seinem Stirnband, schob seine Brille weiter nach hinten.
„Verstehen Sie meine Abneigung Ihnen genau das zu geben was Sie wollen, ohne wirklich zu wissen, was Sie in Wahrheit vorhaben?“
„Dann zeigen Sie ihm ein Bild von mir“, sprach er kalt aus, „und dann soll er entscheiden, ob er herkommen will.“
„Warum sollte ich darauf eingehen?“
„Wenn er nicht kommt, beantworte ich alle Ihre Fragen.“
„Ihnen ist schon bewusst, dass dieser Deal mich eher dazu bewegt Ihrer Bitte nicht nachzukommen?“
„Wissen Sie was, ich habe keine Zeit für irgendwelche Verhörspiele. Sie scheinen Ihren Job gut zu machen und zu wissen was Sie tun, aber mit jeder Sekunde hier spielen wir um Laws Leben, also bitte…“
„Er kommt.“
„Was?“
Überrascht sah er auf, als der andere eine Hand sein Ohr legte.
„Natürlich haben wir Sengoku direkt ein Bild von den Überwachungsbändern zukommen lassen, nachdem Sie so versessen nach ihm verlangt haben, und ich habe gerade die Meldung bekommen, dass er auf dem Weg ist und ich Ihnen sagen soll, dass Sie nichts tun sollen, bis er da ist.“
Er konnte dem anderen ansehen, dass er verwirrt über den seltsamen Befehl war.
Rocinante war allerdings nicht minder verwirrt; wie hatte der Beamte seine Weisung erhalten?
Doch als der andere die Hand sinken ließ, konnte er eine winzige Teleschnecke über dessen Ohr sehen, die sich farblich perfekt an sein Stirnband angepasst hatte.
Nun, da er nichts tun konnte als warten, betrachtete er den anderen genauer. Er war jung, jünger als Rocinante selbst, aber auch er hatte diese Körperhaltung.
„Sie sind ein ehemaliger Soldat?“, fragte er, um die Stille zu überbrücken und vielleicht ein paar Informationen zu erhalten, nun da der andere sein Verhör unterbrechen musste und vielleicht unvorsichtig wurde.
Der andere nickte nach einer Sekunde.
„Ich war Kapitän zur See“, antwortete er schließlich.
Er wäre also Rocinante übergeordnet gewesen, wenn die Marine noch bestehen würde.
„Aber das ist lange her. Ich habe gesehen, dass die Marine als Exekutivorgan der Weltregierung einem kranken System diente und da ich mich der Gerechtigkeit verschrieben habe, habe ich dieses System gestürzt.“
„Sie sind also ein Verbündeter des Strohhuts?“
Für einen Moment blitzten diese zu ehrlichen Augen auf, doch dann öffnete sich die Türe und der ehemalige Kapitän war vergessen.
„Aber…“
Rocinante kämpfte mit seinen Tränen als sein Vorgesetzter und Ziehvater vor ihm stand. Er war alt geworden; fast zwanzig Jahre und eine Vielzahl von Kriegen und Verlusten hatten ihn gezeichnet und plötzlich bereute Rocinante ihn nicht schon viel früher besucht zu haben.
Sengoku sah ihn noch einen Moment fassungslos an, dann wandte er sich dem Beamten zu.
„Ich danke Ihnen, Corby, Sie können gehen. Schalten Sie die Aufnahmen ab und geben Sie mir den Schlüssel.“
„Sind Sie…? Jawohl, Sir.“
„Sie brauchen nicht zu salutieren, solche Tage sind vorbei.“
„Natürlich, Sir.“
Rocinante schwieg, während die Tür hinter dem Beamten ins Schloss fiel.
„Also“, sprach Sengoku äußerst kühl, „was sind Sie?“
„Was?“
„Diese Handschellen sind aus einem speziellen Material, welches sich verfärbt bei Kontakt mit Teufelsfruchtnutzern. Sie haben Ihre Fähigkeit also nicht Teufelskräften zu verdanken. Was dann?“
Plötzlich verstand er. Für einen Moment wurde ihm eiskalt.
„Ich verstehe“, entgegnete er hohl, „natürlich. Law hat dich glauben lassen ich sei tot und daher denkst du nun ich sei ein Hochstapler, der deinen verstorbenen Ziehsohn imitiert, um an dich dranzukommen.“
Aufseufzend lehnte er sich zurück. So hatte er sich das alles nicht vorgestellt.
„Was hast du uns nur eingebrockt, Law?“, murrte er.
Der alte Mann sah ihn lange an. Was er auch immer dachte war unerkennbar für Rocinante. Er musste sich verändert haben, früher hätte er mit fordernder Stimme nach der Wahrheit verlangt. Er war immer leicht reizbar gewesen und hätte ihn vermutlich gegen die nächstbeste Wand geklatscht, aber nun…
„Sie behaupten also, dass Sie kein Hochstapler sind?“
„Müssen wir die Fragerei jetzt nochmal durchgehen, Sengoku? Mein Name ist Don Quichotte Rocinante, meine Marinecode ist 01746, du hast mich im Alter von acht Jahren aufgenommen und zum Soldaten erzogen. Ich war Fregattenkapitän und bin dann in geheimer Mission bei meinem Bruder…“
„Es reicht.“ Nun konnte er die leise Wut hören, die er schon erwartet hatte. „Mir ist gleich, wie Sie an die Geschichte von Don Quichotte Rocinante drangekommen sind, aber…“
„Law ist in Gefahr!“ So gut er konnte erhob er sich, aber der Tisch war am Boden festgeschweißt, sodass er nur gebückt stehen konnte. „Er hat mich manipuliert, damit ich nicht vorher mit dir in Kontakt treten würde, aber du weißt irgendetwas, sonst hätte er mir nicht diese Falle gestellt, also…“
„Was für ein Schwachsinn! Was bilden Sie sich…“
„Ich sage die Wahrheit!“ Er machte einen Schritt nach vorne und konnte fühlen, wie der Stromschlag durch seine Glieder peitschte. „Du musst mir glauben!“
„Ich muss rein gar nichts!“
„Ich habe überlebt! Law hat die Operationsfrucht auf Minion gegessen und mich gerettet. Er hat einen Fehler begangen und ich lag für Jahre im Koma aber…“
„Schwachsinn!“
„Es ist…“
„Es ist eine Lüge.“ Nun trat Sengoku auf ihn zu und plötzlich war er wieder der Vorgesetzte, den Rocinante kannte. „Trafalgar Law hat Don Quichotte Rocinante nicht gerettet. Sein Bruder Don Quichotte de Flamingo hat ihn erschossen.“
„Nein, das versuche ich ja dir zu erklären, es…“
„Und wollen Sie wissen, woher ich das weiß? Weil ich da war und seinen Leichnam gesehen habe.“
„Was?“
„Wenn Sie so genau wissen, wer Rocinante war, dann wissen Sie auch was er mir bedeutet hat. Wie können Sie es wagen hierher zu kommen, seinen Namen und sein Gesicht zu nutzen und mir kackendreist ins Gesicht zu lügen, dass er überlebt haben könnte, wenn ich derjenige war, der seinen kalten Leichnam weggetragen hat, wenn ich derjenige war, der ihn beerdigt hat?!“
Rocinante taumelte zurück und fiel auf den Stuhl, merkte kaum den erneuten Stromstoß.
„Aber… aber das ist unmöglich“, flüsterte er.
„Da sind wir das erste Mal einer Meinung.“
„Nein, ich… Law sagte, er hätte mich gerettet… er sagte, Doffy hätte auf mich geschossen, aber mich nicht erschossen…“ Er rieb mit den Unterarmen über seine Brust, als er sich an die Pistolenschüsse erinnerte. „Er sagte, er hätte mich mehrmals fast verloren… mein Herz wäre stehen geblieben und deswegen wären… meine Teufelskräfte verschwunden… aber… aber das ist…“
„Was?“
Überrascht sah er auf.
Sengoku sah ihn misstrauisch an und da wurde Rocinante die eine Sache bewusst, die nur Law, Sengoku und er selbst gewusst hatten. Wieder einmal entschied er seine Emotionen fürs erste zur Seite zu schieben und erst einmal das Problem direkt vor ihm zu lösen.
„Ich hatte von der Lautlos-Frucht gegessen, aber ich kann es dir nicht mehr beweisen, da ich die Kräfte verloren habe.“ Er schnipste mit seinen Fingern. „Siehst du? Aber vielleicht würdest du mir eh nicht glauben, weil ich ja diese komischen Handschellen trage.“
„Woher wissen Sie das alles?“, fragte Sengoku nun.
„Weil ich die Wahrheit sage, oder zumindest das, was ich für die Wahrheit hielt. Ich bin Rocinante und Law hat mich irgendwie ins Leben geholt und jetzt ist er weg und ich bin hier.“
„Der Überfall“, flüsterte Sengoku, strauchelte einige Schritte zurück und rutschte an der Wand schließlich zu Boden, „die geschändeten Grabmale letztes Jahr. Aber das ist unmöglich, solche Kräfte gibt es nicht. Niemand kann die Toten…“
Dann sah der alte Mann ihn an.
„Rocinante?“, fragte er auf einmal fast zögerlich. „Bist das wirklich du?“
Als er die Tränen in den Augen des alten Mannes sah, konnte er die seinen nicht mehr aufhalten.
„Ja, ich… Fregattenkapitän Don Quichotte Rocinante meldet sich von der Mission zurück. Ich habe versagt. Es tut mir leid.“
Und dann weinte er als die Arme des Mannes, der ihm immer wie ein Vater gewesen war, ihn endlich umarmten.
Kapitel 18 – Taten
„Ich kann es immer noch nicht glauben. Das ist doch unmöglich“, murmelte Sengoku und reichte ihm eine Tasse grünen Tee, ehe er eine Schale Algencracker auf den Tisch stellte. „Du siehst immer noch genau so aus, wie damals.“
„Naja, das ist ja jetzt auch keine Überraschung mehr“, meinte Rocinante unwirsch und versuchte die fehlenden Puzzleteile zu erahnen, „ich bin ja auch siebzehn Jahre lang nicht gealtert. Kein Wunder, Tote altern nicht.“
„Rocinante…?“
Aufgebracht stand er auf, fuhr sich durchs Haar und begann im Raum auf und abzugehen.
Nachdem Sengoku ihm endlich geglaubt hatte und sie einige Sekunden des emotionalen Wiedersehens verbracht hatten, waren sie nun in dessen Büro auf irgendeinem Schiff, welches sie nach Impel Down bringen würde. Rocinante wollte keine Zeit verlieren, er hatte geglaubt, dass Law ihn nicht mit Sengoku hatte sprechen lassen wollen, da dieser die Antwort hätte, was mit Law passiert war. Nun wusste er aber, dass Law hatte vermeiden wollen, dass Sengoku seine Lügen entlarven würde.
Das bedeutet, dass wenn überhaupt sein Bruder noch Antworten haben könnte.
„Verdammt!“, fluchte er lautstark. „Wie einen Idioten habe ich mich reinlegen lassen, mich von ihm an der Nase herumführen lassen. Ich habe ihm geglaubt, dass er einfach nur Angst davor hatte dir gegenüberzustehen. Ich hätte wissen müssen, dass seine Teufelskräfte nicht in der Lage sind, die Zeit einzufrieren. Ich wusste doch ganz genau…“
„Rocinante.“ Er unterbrach sich, als die starke Hand seines Ziehvaters auf seiner Schulter lag. „Du sagtest Law ist in Gefahr, deswegen bist du hier.“
Er sah den anderen an und nickte.
„Law hat mir erzählt, er hätte mich am Leben erhalten - in einem Timeless Room, oder so hat er es genannt - aber das war offensichtlich gelogen. Er hat mich angelogen und er wusste, dass du die Wahrheit wusstest. Deswegen hat er mich davon abgehalten dich schon viel früher zu besuchen, weil du seine Lüge offengelegt hättest. Mein Bruder hat mich getötet.“
Tief einatmend ließ er sich wieder auf den Sessel fallen und griff nach seinem Tee. Sengoku setzte sich ihm gegenüber.
„Und du sagst Law hätte dich zurück ins Leben gerufen? Das ist unmöglich. Seine Teufelskraft mag jemandem ewiges Leben schenken können, aber er kann die Toten nicht zurückholen, selbst Law nicht.“
„Meinst du ich weiß das nicht? Ich habe ihm damals schließlich diese Frucht geholt. Ich weiß genau, wo die Grenzen dieser Kraft liegen. Aber seine Kraft ist nicht die einzige, die mit dem Leben spielen kann. Es gibt mit Sicherheit noch andere Teufelskräfte und er… oh nein, er wird das ewige Leben für mein Leben eingesetzt haben.“
Sengoku seufzte auf.
„Okay, lass mich eine Sekunde aufholen. Du sagst also du wärest vor einem Jahr –“ „Vor fast elf Monaten. „– okay, also vor circa elf Monaten bist du zu dir gekommen und Law hat dir erzählt, er hätte dir mit seinen Fähigkeiten das Leben gerettet, aber du wärest nicht gealtert und warst bewusstlos oder so.“
Rocinante nickte.
„Und nachdem du das alles begriffen hattest und so weiter hat Law dich davon abgehalten mich zu besuchen, weil er wusste, dass ich seine Lügen sofort aufdecken würde und jetzt eines Morgens war er einfach weg und du denkst ihm ist etwas passiert?“
„Ich weiß er ist in Gefahr. Mir war immer bewusst, dass er etwas vor mir geheim hielt, aber je mehr ich ihn gedrängt hätte, desto weniger hätte er mir gesagt und ich meine, er hatte mehrere Kriege hinter sich und eine traumatische Kindheit und Jugend, natürlich würde er seine Geheimnisse haben.“
„Aber das bedeutet noch nicht…“
„Ich habe ihm eine Vivre Card angefertigt, er hat sie mir als Nachricht hingelegt und sein Schwert mitgenommen. Ich habe ihm am Tag zuvor gesagt, dass es an der Zeit ist mich endlich mit dir zu treffen und am nächsten Tag ist er weg. Wann auch immer wir über die weitere Zukunft gesprochen haben wurde er abweisend und traurig. Ich dachte weil er Angst hätte, dass ich wieder verschwinden würde, aber jetzt weiß ich, dass er von Anfang an wusste, dass er nicht da sein würde. Es ging nie darum, dass ich mich irgendwann meiner Vergangenheit stellen würde, sondern darum, dass er irgendetwas getan hat, dass sicherstellen würde, dass er diese Zukunft nie erleben würde. Das Einzige was mir da in den Sinn kommt ist das Offensichtlichste: Er hat seine Fähigkeit des ewigen Lebens für mein Leben verkauft.“
Der alte Mann nickte und nahm einen tiefen Schluck.
„Selbst wenn es einen Teufelsfruchtnutzer geben würde, der in der Lage wäre Tote zurück ins Leben zu holen, warum reisen wir dann jetzt nach Impel Down?“
„Weil ich nur eine Person kenne, die wissen könnte, wen wir suchen.“
„Du sprichst von deinem Bruder?“
„Natürlich, kaum einer ist so besessen von Leben und Tod wie Doffy. Wenn es einen Menschen gibt, der so etwas kann, dann weiß er es. Vielleicht war er sogar derjenige, der Law damals von dieser Person erzählt hat.“
Ernst sahen sie einander an, ehe Sengoku den Kopf schüttelte.
„Er wird nicht sprechen. Seit er im Gefängnis sitzt hat er nicht ein hilfreiches Wort gesagt, zu niemandem. Law hätte ihm vielleicht etwas Interessantes entlocken könne, aber er hat sich geweigert ihn noch mal wiederzusehen.“ Er nahm sich einen Cracker. „Nicht, dass ich es ihm verübeln konnte. Ich war nur einmal da unten. Nur, um mich zu vergewissern, dass er sicher verwahrt wird, nachdem er einmal versucht hatte auszubrechen, und ich hatte nicht vor noch einmal darunter zu fahren.“
Rocinante trank seinen Tee leer.
„Die Chance ist gering, aber ich habe keine andere Möglichkeit.“ Er rieb sich durchs Gesicht. „So habe ich mir das Ganze nicht vorgestellt, weder mit ihm noch mit dir. Wenn Law nur nicht…“
„Nur nicht was?“, unterbrach Sengoku ihn. „Sag bloß, du bist wütend auf ihn, weil er Dinge im Alleingang macht und sein Leben für andere aufs Spiel setzt.“
„Ja! Ich bin fuchsteufelswild! Ich meine, ich kann sogar nachvollziehen, warum er so etwas tun würde, aber mich im Dunkeln zu lassen, mir noch nicht mal die Wahrheit zu…“
„Und von wem hat er das wohl?“
„Wie bitte?“ Er starrte Sengoku an, der unbeeindruckt noch einen Cracker nahm. „Wovon redest du?“
„Ich rede von dem Mann, der seine Mission und seine Lebensaufgabe aufgegeben hat, um irgendein Kind zu retten. Ich rede von dem Mann, der dieses Kind angelogen hat, dass alles gut gehen würde, wohl wissend, dass sein Bruder ihn umbringen würde. Ich rede von dem Mann, der gestorben ist, um einem todgeweihten Kind das Leben zu retten.“
Fassungslos starrte er den anderen an.
„Du bist wütend, dass Law dich unwissend lässt, während er sein Leben für dich gibt? Du meinst, nachdem seine einzige Bezugsperson ihm beigebracht hat, dass man genauso mit Menschen umgeht, die man liebt?“
„Was, aber das war etwas…“
„Etwas vollkommen anderes? Rocinante, bitte, er handelt genauso, wie sein großes Vorbild, du.“
„Schwachsinn, ich bin nicht sein Vorbild, ich…“
Ich hab dich lieb, Kleiner.
Für mich ist es ganz klar, dass ich dich jederzeit mit meinem Leben beschützen würde.
Ich weiß genau, wie es ist Dinge zu tun, für die man sich hasst. Ich weiß, wie es ist sich selbst verleugnen zu müssen und sich selbst zu verlieren in dem Glauben etwas Richtiges zu tun.
Es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe, Law, die ganze Zeit, die wir zusammen waren, von Anfang an, aber ich wollte wirklich nicht, dass du mich hasst.
„Oh, verdammt.“
Es tut mir leid, Cora, aber ich kann dich nicht mehr nur mit der Liebe eines Kindes lieben, schon lange nicht mehr.
Ist das nicht offensichtlich? Ich wollte nicht noch jemanden, der mir wichtig ist verlieren.
Die ersten 13 Jahre nach deinem Tod habe ich damit verbracht mir auszumalen, wie ich Rache üben würde.
Aber meine größte Angst ist, dass du mich verlässt, sobald du herausfindest was aus mir geworden ist.
„Oh, verdammt!“ Er rieb sich durchs Gesicht. „Er hat eins zu eins gemacht, was ich getan habe.“
„Genau“, stimmte Sengoku zu. „Er rettet dein Leben auf genau die gleiche beschissene Art und Weise, wie du es damals getan hast.“
„Mit dem Unterschied, dass er ein sterbenskrankes Kind war und ich ein doppelt so alter Undercover-Agent bin.“ Seufzend massierte er sich die Schläfen. „Aber das ist immerhin etwas.“
„Ist es das?“
Er nickte nur und erhob sich erneut, schritt wieder durch den Raum, wie ein Pferd, welches schon zu lange im Stall warten musste.
„Ich vermute, dass Law sich nicht grundlos in dieser Gegend so nahe der Red Line niedergelassen hat und wenn ich Recht habe, und mein Bruder etwas weiß, dann ist es vielleicht noch nicht zu spät.“
„Was hast du vor?“
„Ich habe die Strohhüte angerufen.“
Sengoku sah ihn mit großen Augen an.
„Ich dachte mir, dass wer auch immer der Gegner ist, es kann mit Sicherheit nicht schaden die wohl stärkste Piratencrew der Welt auf meiner Seite zu haben.“
„Du kennst die Strohhüte?“
„Nein, aber ich weiß, dass sie Freunde von Law sind und so wie ich das verstehe, schätzen sie diesen Begriff.“
„Sie sind auf dem Weg nach Impel Down?“
„Nein, sie wollten so oder so nach Kaikkien Maiden.“
„Oh verdammt“, murrte Sengoku, „er mag zwar Garps Enkel sein, aber ich kann ihn wirklich nicht leiden.“
Rocinante blieb stehen.
„Aber sie sind doch Laws Freunde.“
Nun sah ihn der andere kühl an.
„Na und? Ich kann Law auch nicht leiden. Das Einzige, das ihn und mich verbindet, bist du. Er ist der Grund, warum ich dich verloren habe.“
„Nein.“
Sengoku neigte leicht den Kopf.
„Willst du abstreiten, dass du nur gestorben bist, weil du wegen ihm deine Tarnung vernachlässigt hast?“
„Das will ich nicht. Aber ich trage die Verantwortung für meine Entscheidungen, Sengoku, nicht Law. Und wo wir schon bei schlechten Vorbildern sind, wer glaubst du hat mir beigebracht, dass man Kinder aus der Dunkelheit retten muss?“ Rocinante wandte sich ab. „Law war wie ich, aber ich war nicht halb so gut wie du. Du hast mich gerettet und aufgezogen, warst mir wie ein Vater all die Zeit. Ich hingegen…“
Tief holte er Luft.
„Ich hingegen habe versagt. Die meiste Zeit war ich absolut überfordert mit ihm und wusste nicht wirklich, ob ich überhaupt das richtige tue. Ja, ich habe ihm das Leben gerettet, aber glaub mir, ich weiß genau, welchen Preis ich dafür zahlen musste. Ich habe ihn alleingelassen in dieser gottverlassenen Welt, habe ihn im Stich gelassen, ihn regelrecht der Grausamkeit dieser Welt zum Fraß vorgeworfen. Ich habe dich enttäuscht, meine Mission verraten, meinen Bruder nicht aufgehalten. Ich habe versagt, ich habe in allem versagt.“
Er konnte hören, wie der andere sich erhob und zu ihm herüberkam.
„Weißt du, ich kann Law wirklich nicht leiden. Er ist ein dreister Bengel, was er mehr schlecht als recht hinter falscher Höflichkeit zu verstecken versucht.“
Rocinante wollte nicht zulassen, dass Law schlecht gesprochen wurde, aber Sengoku ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Aber ich weiß, wie wichtig du für ihn warst und was auch immer er getan hat, ich bin ihm dankbar, dass du jetzt vor mir stehst. Ich kann Law nicht leiden, weil du für ihn dein Leben aufgegeben hast, weil ich dich für ihn verloren habe. Aber es macht mich glücklich zu wissen, dass jemand anderes dich so sehr liebt wie ich. Du verdienst es so sehr glücklich zu sein, Rocinante, und auch wenn ich dich verloren habe, sag mir, war es das wert? Warst du damals, als du für Law die Mission aufgabst, glücklich?“
Er konnte die Tränen nicht aufhalten als er dem Boden zunickte.
„Und warst du das vergangene Jahr an seiner Seite glücklich?“
Er vergrub sein Gesicht in seiner Armbeuge und schluchzte laut auf.
„Ja! Ich war sehr glücklich.“
Starke Hände griffen seine Schultern.
„Wie kannst du dann auch nur glauben, dass du mich je enttäuschen könntest?“ Sengokus Stimme klang warm und stark, ganz anders als Rocinante, der sich kaum noch auf seinen Beinen halten konnte. „Du hast ein Leben gerettet, Rocinante. Das Leben eines Jungen, den die Welt aufgegeben hatte, und du hast nicht nur sein Leben gerettet, sondern auch seine Seele. Du hast ihm zu dem Mann gemacht, der er heute ist. Ein Mann, der alles tun würde, um seine Freunde zu beschützen. Wie könntest du mich enttäuscht haben? Ich bin so stolz auf dich.“
Die Tränen rannen ungehindert sein Gesicht hinunter.
„Aber… aber die Mission…“
„Rocinante, ich weiß wer du bist. Du bist ein großherziger, freundlicher Mensch, ich hätte dich nie auf diese Mission gehen lassen dürfen. Es war grausam dich zu deinem Bruder zu schicken, du musst unsagbar gelitten haben gegen deinen eigenen Bruder vorgehen zu müssen, all die Grausamkeiten nicht nur sehen sondern selbst auch ausführen zu müssen. Aber all das Leid hat dich nicht kalt und unbarmherzig werden lassen, wie so viele andere, sondern noch herzlicher und mitfühlender. Du warst schon immer ein großartiger Soldat, aber damals hast du bewiesen, dass du noch viel mehr bist. In einer Welt voller Grausamkeit, Hass und Egoismus bist du immer gütig, liebevoll und selbstlos geblieben. Ich könnte nicht stolzer sein als auf den Mann, der du geworden bist.“
Doch nun zitterte die Stimme des anderen auch.
„Und ich bin so dankbar, dass ich die Chance bekommen habe, es dir zu sagen. Keine Aufgabe, keine Mission, nichts auf der Welt könnte mir so wichtig sein, wie dass du glücklich bist und lebst, Rocinante.“
Seine Knie gaben nach und er sackte auf den Boden.
Er hatte immer gewusst, dass er sich irgendwann seinen Taten stellen musste, hatte es damals schon gewusst und es hatte immer wie ein dunkler Schatten über ihm geschwebt. Damals und auch das vergangene Jahr hatte die Schuld und auch die Scham über sein Versagen – sein willentlich herbeigeführtes Versagen – ihn innerlich zerfressen.
Und jetzt, in dieser Stunde, wenn er in Begriff war sein Licht in der Dunkelheit zu verlieren, nahm Sengoku ihm die Last seiner Taten von den Schultern und zog ihn mit sich an die Oberfläche.
„Es tut mir leid“, flüsterte er unter Tränen, „das alles tut mir so schrecklich leid!“
Sengoku umarmte ihn und drückte ihn an sich.
„Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen, Rocinante. Ich bin nur dankbar, dass du jetzt hier bist. Ich bin nur dankbar, dass du am Ende doch von deiner Mission zurückgekommen bist. Willkommen Zuhause, mein Sohn.“
Kapitel 19 – Begegnung
„Bist du dir sicher?“
„Ja, bleib hier.“
Rocinante riss die Tür auf und trat in den dunklen Gang. Nur ein paar Fackeln erleuchteten die kargen Steinwände und die Luft roch alt und modrig. Hallende Schritte führten ihn an leeren Zellen vorbei, die ihm nachstarrten wie die toten Augen wilder Tiere.
Ein Jahr lang hatte er sich auf diesen Moment vorbereitet und doch konnte nichts ihn auf das vorbereiten, was kommen würde.
Ganz am Ende des Ganges wartete eine riesige Zelle auf ihn und dort fand er den einzigen Gefangenen des Flures vor.
„Ah, welches Insekt hat sich in mein Reich verirrt?“ Kalt lachte der Gefangene auf, während Rocinante stetig näher kam. „Da muss jemand ganz schön verzweifelt sein, um zu mir zu kommen. Sonst meidet ihr mich doch wie das Volk den Blick des Königs. Es war schon lange keiner mehr hier unten. Welches Jahr schreiben wir?“
„Du bist kein König eines Reiches, sondern ein Gefangener einer Zelle und wir schreiben das Jahr 1529.“ Rocinante trat vor die Gitterstäbe. „Aber ja, ich bin verzweifelt und bin hierhergekommen, um dich um Hilfe zu bitten, großer Bruder.“
Die Fackeln des Ganges warfen kaum mehr als groteske Schatten in die Zelle, sodass er den anderen kaum ausmachen konnte, der an der entgegengelegenen Wand mit einer Vielzahl von Fesseln festgekettet war. Er war hager, ausgemergelt, das Haar ungepflegt und zottelig, hing ihn bis zu den Schultern hinab, ließ ihn fast wie einen Fremden wirken. Sein Gesicht war in den Schatten verborgen, aber seine Stimme zeigte, dass selbst vor ihm das Alter nicht Halt gemacht hatte. Selbst sein mächtiger Bruder musste sich der Zeit beugen und war älter geworden. Kein Wunder, Law war erwachsen geworden, Sengoku ein alter Mann und selbst sein Bruder war nun 45 Jahre alt, während die Zeit für Rocinante stehen geblieben war.
Er konnte sehen, dass der andere den Kopf leicht neigte, das Licht der Fackeln brach sich in den gesplitterten Gläsern seiner Sonnenbrille.
„Was soll das?“, fragte der andere mit einem Feixen. „Wollt ihr mir mit dem Gesicht meines toten Bruders Informationen entlocken? Dann sollte ihr euch besser erkundigen. Ich habe meinen Bruder damals eigenhändig ermordet. Es gibt nichts, was ich diesem Verräter sagen würde, also spar dir die Maskerade.“
Aber die Wahrheit ist, lange – viel zu lange – hatte ich diese kleine Hoffnung, dass ich ihn irgendwie doch würde retten können.
„Warum denkst du bin ich hier, Bruder?“
Der andere lachte leise auf.
„Bruder? Nun gut, meinetwegen, hier unten ist es oft langweilig, also spielen wir dein Spiel.“
„Es ist kein Spiel, nur eine einfache Frage.“
„Weil du endlich eingesehen hast, dass deine großartige Gerechtigkeit, die Vereinten Völker, ein Irrsinn ist. Die menschliche Natur ist egoistisch und verschlagen, auf den eigenen Vorteil bedacht und habgierig. All die da draußen machen sich etwas vor, wenn sie glauben, dass ein Krieg und ein paar nette Worte dies ändern würden und du weißt es. Wer in dieser Welt überleben will muss zu den Mächtigen und den Starken gehören. All diese naiven Worte über Freundschaft, Nächstenliebe und Güte, sie sind nichts wert am nächsten Tag. Diese neue Weltordnung wird fallen, so wie jede andere zuvor, denn die Menschen sind nicht für Frieden geschaffen.“
Nun blitzten die Zähne eines breiten Grinsens in der Dunkelheit auf.
„Du bist hier, weil du weißt, dass sie untergehen werden, diesen Vereinten Völker, und du weißt nicht auf welche Seite du dich stellen sollst. Auf die der Guten, die für Gerechtigkeit und Hoffnung draufgehen werden, oder einfach auf die derjenigen, die überleben wollen. Fufufu. Dein Gewissenskonflikt ist vergebens, die mit einem schwachen Willen sind schlussendlich eh immer diejenigen, die zuerst sterben.“
Wäre ich der erste gewesen, der geschossen hätte, dann wäre all das hier nicht passiert.
„Du liegst falsch“, entgegnete Rociante und ließ die Worte des anderen ihn nicht erreichen. „Was mit den Vereinten Völkern passiert ist für meinen Besuch nicht von Belang.“
„So? Was dann, Bruder?“
Rocinante seufzte.
„Ich wollte dich schon seit langer Zeit besuchen, aber Law zur Liebe habe ich es hinausgezögert.“
„Law?“ Zum ersten Mal klang der andere wirklich neugierig.
„Ja, Law. Derjenige, der dafür gesorgt hat, dass du hier eingesperrt bist.“
Selbst in den Schatten konnte er die Zornesader sehen, die sich auf der Stirn des anderen abbildete.
„Wer bist du?“ Diese Frage klang eher wie eine Drohung.
„Das weißt du genau.“
„Nein! Ich habe meinen Bruder getötet, erschossen. Er ist tot!“
Ich bin froh, dass du deinen Bruder nicht umbringen konntest.
„Ich erinnere mich“, sprach er gefasst weiter und ließ sich von seinen Erinnerungen nicht übermannen, „damals auf Minion. Du hattest deine Waffe auf mich gerichtet und ich die meine auf dich. Ich hatte mir festgenommen, dich zu erschießen, aber ich konnte es nicht, obwohl ich wusste, dass du nicht zögern würdest mich zu erschießen.“
Er fragte sich, was der andere wohl gerade dachte.
„Aber das Schlimmste an der ganzen Situation war, dass ich Law angelogen hatte. Ich hatte ihm gesagt, dass du mir nichts tun würdest, weil wir doch Brüder sind, und er hat mir geglaubt. Er saß hinter mir in dieser Kiste und musste mitanhören, wie du mich erschossen hast und das ist meine Schuld, weil ich dich nicht töten konnte.“
„Was zur…?“
„Du musst mir nicht glauben. Ich hatte nicht vorgehabt, dass unser erstes Treffen nach so vielen Jahren so verlaufen würde, aber heute fehlt mir die Zeit dich von der Wahrheit zu überzeugen. Alles was ich von dir wissen will ist, ob du jemanden kennst, der eine Teufelskraft besitzt, mit der man die Toten auferstehen lassen kann.“
Der andere schwieg für einen Moment, neigte den Kopf von der einen zur anderen Seite und zurück.
„Was für eine Strategie soll das hier sein? Sich als meinen toten Bruder auszugeben, um an Informationen zu kommen, die es nicht gibt.“
„Was?“
„Ich weiß nicht, was du mit deinem komischen Auftritt bezwecken willst, Bruder, aber obwohl es einige Teufelskräfte gibt, die das Leben beeinflussen können, so gibt es keine, die Tote zurück ins Leben holen könnte, mit Ausnahme der Totenreichfrucht, aber dies gilt nur für den Nutzer selbst. Du verschwendest meine Zeit, dein Spiel langweilt mich, also verschwinde.“
„Nein, du weißt etwas“, entgegnete Rocinante kühl und verschränkte die Arme. „Ich gehe davon aus, dass nach Sengoku dich niemand mehr besucht hat. Das heißt seit drei Jahren hast du mit niemandem mehr gesprochen. Sie haben dir dein Zeitungsprivileg entzogen, so dass du noch nicht einmal die Neuigkeiten der Welt hattest, um die Zeit totzuschlagen. Du hast keine Ahnung gehabt, seit wie vielen Stunden, Tagen, Wochen, Monaten du hier schon allein und einsam vor dich hin vegetierst. Du hast dich gefreut als du gehört hast, dass jemand kommt. Du hast dich über diese Ablenkung gefreut, selbst wenn sie noch so langweilig wäre, würdest sie der zeitlosen Ewigkeit deiner Zelle dennoch vorziehen.“
„Hör auf!“, knurrte der andere.
„Das heißt entweder du weißt etwas oder du zweifelst.“
„Hör auf!“
„Wenn du etwas wissen würdest, dann würde dich das in eine Machtposition setzten, deine Reaktion jedoch sagt mir…“
„HÖR AUF!“ Laut klirrten die Ketten, als der andere sich in seinem Gefängnis wandte. „Verschwinde! Lass mich in Ruhe!“
„Sag mir was ich wissen will und ich gehe.“
„Die Teufelsfrucht, die du suchst, gibt es nicht!“ Der andere atmete schwer, seine angeketteten Hände zu Fäusten geballt.
„Dann lass mich meine Frage anders formulieren: Gibt es jemanden, der im Eintausch für das ewige Leben einen Toten widerbeleben könnte?“
„Law!“ Es war das Grollen eines Biestes. „Seine Kraft gehört mir!“
„Nein, Bruder, er hat sie jemandem anderen versprochen und ich will wissen wem.“
Immer noch atmete der andere schwer, schien vor Wut zu zittern, Ketten klirrten. Selbst jetzt, in diesem bedauerlichen Zustand, hatte er noch etwas Königliches an sich, etwas Beeindruckendes, und dass, obwohl er sich so unbeherrscht benahm wie ein trotziges Kind.
„Und wenn ich dir sage wer, dann verschwindest du?“
„Das ist der Deal.“
„Und du kommst nie wieder?“
Deine Güte mag eine Schwäche gegenüber deinem Bruder gewesen sein, aber durch sie hast du mich gerettet.
„Ich hätte dann keinen Grund mehr.“
Der andere knurrte ihn regelrecht an.
„In Ordnung.“
„Ich höre.“
„Die Chefin.“
„Wer?“
Der andere neigte den Kopf zur Seite.
„Niemand kennt ihren wahren Namen. Man nennt sie die Chefin und sie hat die Fähigkeit nahezu alles möglich zu machen, solange man den Preis bezahlen kann. Sie ist eine eiskalte Geschäftsfrau ohne Moral oder Gewissen.“
„Wo finde ich sie?“
„Nah, normalerweise findet sie dich. Aber man munkelt, dass sie nahe der Red Line lebt, nahe Mary Joa, logischerweise. Wie könnte man besser Milliarden scheffeln, als mit Vertragspartnern, die alles haben wollen, aber denen Geld egal ist?“
Vor seinem inneren Auge konnte er sehen, wie die fehlenden Puzzleteile ineinander klickten. Endlich wusste er, was das große Bild ergab.
Für einen Moment starrte er seinen älteren Bruder an, der ihn damals erschossen hatte, weil Rocinante ihn verraten hatte.
„Hast du je…?“
„Das reicht jetzt.“ Der andere klang wieder drohend. „Du wolltest wissen wer sie ist und ich sagte dir sogar, wo sie zu finden ist. Ich habe meinen Teil des Deals eingehalten, und jetzt verschwinde.“
Rocinante nickte.
„In Ordnung und vielen Dank. Ich werde jetzt gehen.“
Wir sind nun mal Menschen, wir machen Fehler und handeln nach unseren Gefühlen und unserem Gewissen.
„Aber es tut mir leid, ich habe dich angelogen – wieder mal – sobald ich mich um diese Sache gekümmert habe, werde ich wiederkommen und wir werden reden und ich werde nicht nach nur einer Antwort gehen. Also bis dann, großer Bruder.“
Lautstarke Flüche, Gebrüll und Geschrei folgte ihm als er den kalten Gang hinunterging, sich nicht ein einziges Mal nach seinem Bruder umdrehend.
„Und?“, fragte Sengoku ihn, als er den Aufzug erreicht hatte.
„Ich brauche eine Teleschnecke.“
„Wir haben eine an Bord.“
Er verschränkte die Arme als sie sich wieder zur Oberfläche begaben. Sengoku war besonnen genug, nicht zu fragen.
Eine Stunde später wählte er eine alt vertraute Nummer.
„Praxis Natsu, wie kann ich Ihnen…?“
„Frau Paipai.“
„Corazón, was ist los? Ninnin hat gesagt Doktor Trafalgar hätte sie angerufen und gesagt, sie müsse seine Termine übernehmen, und Sie verschwinden am gleichen Tag, ohne auch nur die Haustür abzuschließen. Was ist passiert?“
„Law steckt in Schwierigkeiten, aber ich kümmere mich drum. Dafür brauche ich aber Ihre Hilfe.“
„Natürlich.“
„Kennen Sie eine Frau aus der Umgebung, die eine exzellente Geschäftsfrau ist, vielleicht sogar von einer großen Firma, vielleicht redet man immer von ihr als Chefin?“
„Oh, Sie reden bestimmt von Momo’s Arbeitgeberin.“
Bingo!
„Sie wissen, wer sie ist?“
„Ja natürlich. Sie lebt auf Aki. Ihr Familienname ist Doto oder so. Sie ist Erbin eines reichen Familienunternehmens, sehr zurückgezogen. Momo, mein Neffe, arbeitet für sie. Sie scheint eine sehr großzügige Arbeitgeberin zu sein.“
„Ich danke Ihnen.“
„Corazón, sagen Sie, muss ich mir Sorgen machen?“
Er zögerte, doch dann lächelte er sein Lächeln.
„Nein, Frau Paipai, Sie wissen doch, ich passe auf Law auf.“
Doch als er auflegte verschwand sein Grinsen.
„Rocinante…“
„Nicht“, unterbrach er Sengoku, der gerade zu Tür hereinkam. „Ich will jetzt nicht über meinen Bruder reden oder über irgendetwas anderes.“
„Rocinante, wir werden Law schon…“
„Er könnte bereits tot sein, Sengoku. Er könnte bereits eine halbe Stunde nach Aufbruch gestorben sein und wenn ich Vollidiot nicht die Fähre nach Haru, sondern nach Aki genommen hätte, hätte ich ihn aufhalten können.“
„Du wusstest es nicht.“
„Aber ich hätte es wissen müssen. Verdammt noch mal, Lügen und Geheimnisse sind meine Spezialität, ich hätte erkennen müssen, was Law vorhat. Ich hätte…“
„Rocinante!“
Fast automatisch ging eine Anspannung durch seinen Körper, die nur ein Vorgesetzter hervorrufen konnte.
„Ich werde meine Worte von heute Morgen nicht wiederholen. Du kannst die Vergangenheit nicht ändern und du weißt nicht, was dich in der Zukunft erwarten wird. Also konzentriere dich auf die Gegenwart, du wirst es brauchen.“
Er sah den anderen an.
„Was meinst du damit?“
„Die Strohhüte haben soeben Kaikkien Maiden erreicht und erwarten uns.“
Die Gruppe seltsamer Gestalten, die ihn erwartete, begutachtete ihn argwöhnisch. Sie schienen ein bunt zusammengewürfelter Haufen zu sein und er wusste nicht, ob das Skelett oder der Cyborg ihn mehr faszinieren sollte.
Dann fiel sein Blick auf den augenscheinlichen Anführer der Truppe – auch wenn Rocinante nichts erkennen konnte, was auf den namensgebenden Strohhut hinweisen würde - der einen halben Schritt vor den anderen stand, offensichtlich jederzeit für einen Angriff bereit.
„Du bist also Laws Freund“, murrte der Grünhaarige und Rocinante erkannte seine Stimme. Er war derjenige, mit dem er über die Teleschnecke gesprochen hatte.
„Ja. Mein Name ist Don Quichotte Rocinante, ich glaube meinen Bruder habt ihr bereits kennengelernt.“
Fassungslosigkeit begrüßte ihn, bei manchen auffällig, bei anderen kaum sichtbar.
„De Flamingo hatte einen Bruder?“, fragte ein… Waschbär?
„Corazón“, antwortete ein Blondschopf mit Zigarette im Mund, „so nannte Law ihn, wenn ich mich nicht irre.“
Jetzt bemerkte Rocinante, dass auch der Blonde ihn misstrauisch beäugte, nicht so offensichtlich wie der, den er als Kapitän ausmachte, aber auch nicht so unauffällig wie die Frau mit den schwarzen Haaren.
„Corazón ist tot“, entgegnete der Anführer schlechtgelaunt, „also bist du…“
„Ich versichere euch, dass dies Don Quichotte Rocinante, auch genannt Corazón, ist“, unterbrach Sengoku nun den anderen und verbeugte sich knapp.
„Warte, warte, warte!“, brüllte plötzlich ein schwarzhaariger Lockenkopf. „Law hat einen Toten zurück ins Leben geholt?“
Rocinante nickte. „Ich sagte ja, er steckt in Schwierigkeiten.“
Plötzlich glitt ein dreckiges Grinsen über das Gesicht des Anführers.
„Na, da wird es ja doch noch interessant.“
Eine Frau mit kurzem orangenfarbenem Haar stieß ihren Ellenbogen in die Seite des Anführers.
„Law ist in Gefahr und du denkst wieder mal nur ans Kämpfen.“
„Wo ist denn euer Kapitän“, unterbrach Sengoku die zwei anderen und Rocinante schaute überrascht auf. Von der Ausstrahlung und der Aura her, hätte er wetten können, dass der Grünhaarige mit den Schwertern eindeutig der Kapitän der Crew war.
„Corby besuchen“, entgegnete der Grünhaarige mit einem Schulterzucken.
„Bist du nicht auch ein Freund von ihm, Lorenor?“
Oh, er hatte den Namen schon mal in der Zeitung gelesen. Das war also der beste Schwertkämpfer der Welt.
„Nah, ich war neugieriger auf Laws Freund“, grinste Lorenor Zorro nur und sah dann Rocinante direkt an, „hätte ja auch eine Falle sein können.“
„Mensch, Spinatschädel, seit der Sache auf Mystoria bist du so misstrauisch, das nervt. Nicht jeder Fremde ist automatisch ein Feind.“
„Halt die Klappe, Kartoffelschäler, ich habe mich nur auf einen Kampf gefreut, mehr nicht. Außerdem bist du der Idiot, der seit Mystoria…“
„Also Corazón“, unterbracht die Frau mit den orangenen Haaren die beiden Streithähne, „ich darf dich doch Corazón nenne, oder? Was ist der Plan?“
Unwohl wandte er sich ihr zu.
„Sollten wir nicht auf einen Kapitän warten.“
„Nein“, entgegneten alle anderen Anwesenden – inklusive Sengoku - einstimmig und rollten gleichsam mit den Augen.
Kapitel 20 – Wert
„Corazón, Tee?“
Überrascht wandte er sich um als der Blondschopf – Sanji war sein Name – ihm einen Porzellanbecher reichte.
„Vielen Dank.“
Er stand am Bug des Schiffes und beobachtete den Strohhut und zwei seiner Crewmitglieder beim Kartenspielen. Die anderen Crewmitglieder waren übers Schiff verteilt.
Am vergangenen frühen Abend waren sie zur Insel Aki aufgebrochen. Zu Rocinantes großer Verwunderung war die Navigatorin dieses Schiffes – Nami – in der Lage Inseln selbst ohne Eternal Port anzuvisieren. Von so etwas hatte er vorher noch nie gehört und er fragte sich, wer diese Leute überhaupt waren.
„Alles in Ordnung?“, fragte Sanji nun nach. „Nami sagte wir werden so in zwei bis drei Stunden ankommen. Glaubst du wir sind noch rechtzeitig?“
Rocinante zuckte mit den Schultern. Es war früher Nachmittag, zwei Tage nachdem Law ihn verlassen hatte.
„Ich weiß es nicht. Allerdings habe ich meine Zweifel, dass euer Schwertkämpfer den Kampf bekommen wird, den er sich erhofft.“
Der andere lachte leicht, entgegnete jedoch nichts.
„Als wir telefonierten, sagte er so etwas wie noch so einer, was meinte er damit?“
Der Smutje schmunzelte leise und sah ihn an.
„Es scheint so zu sein, dass diejenigen von uns, die sich ihrer Vergangenheit stellen müssen, immer davon ausgehen, dass die beste Art, die Freunde zu beschützen, die ist, sie im Unwissenden zu lassen und die Dinge allein regeln zu wollen.“ Immer noch schmunzelnd schüttelte der andere den Kopf. „Und ein jeder von uns musste feststellen, dass das absoluter Schwachsinn ist und man nur erreicht, dass sich die Freunde noch mehr um einen sorgen. Das meinte der Spinatschädel wohl damit, noch so einer, dem man erklären muss, dass Freundschaft so nicht abläuft.“
„Eine kluge Beobachtung“, bemerkte Rocinante und trank einen Schluck Tee.
„Ach, der soll von seinem hohen Ross herunterkommen. Er ist nicht besser als wir anderen.“
Dankbar über die Ablenkung ließ Rocinante sich darauf ein.
„War er auch so einer?“
Sanji schnaubte leise.
„Wir alle haben viel Scheiße gebaut, glaub mir, aber dieser Mistkerl hat echt den Vogel abgeschossen. Auch wenn ich sagen muss, dass Law ihn vielleicht sogar noch übertrumpft hat.“
Nun lachte Rocinante auch leise, aber es war hohl und gelogen.
„Tja, ich würde ja sagen, es ist schon ziemlich spektakulär von den Toten aufzuerstehen, aber selbst das scheint ja in eurer Crew nicht ungewöhnlich zu sein.“
„Zumindest nicht das Ungewöhnlichste“, stimmte der andere ihm zu.
Rocinante wusste nichts mehr zu sagen und starrte aufs Meer hinaus. Er hatte kaum schlafen können – Quatsch, kein Auge hatte er zu gemacht – und mit jeder Sekunde, die verging, wurde er ruheloser. Was wenn…, was wenn…?
„Danke übrigens.“
Er wandte sich zum Smutje um.
„Dass du uns angerufen hast. Law ist unser Freund, wir alle wollen helfen.“
Law hatte also wirklich gute Freunde gefunden.
Rocinante seufzte.
„Die Wahrheit ist, ihr wart die einzigen, die ich zu erreichen wusste. Von seiner eigenen Crew hat Law mir so gut wie nichts erzählt. Ich glaube ich kenne noch nicht einmal alle ihre Namen, geschweige denn, wo sie sich derzeit aufhalten. Law hatte gesagt, dass er jederzeit gehen würde, wenn diese Teleschnecke klingeln würde, also hatte ich einfach nur die Hoffnung, dass ihr das auch tun würdet.“
Der andere neben ihm nickte und verschränkte die Arme, dunkle Schatten legten sich über sein sonst recht freundliches Gesicht.
„Ja, das damals war grausam.“
Kriege sind nie einfach, auf beiden Seiten gab es viele Verluste.
„Was?“
„Oh, du wusstest es nicht?“ Sanji sah ihn leicht überrascht an und sah dann weg.
„Was ist mit seiner Crew passiert?“, hakte Rocinante nach.
Meine Crew habe ich vor dem Großen Krieg aufgelöst, weil ich nicht wollte, dass sie mitkämpfen.
Der andere zögerte, zuckte jedoch dann mit den Achseln.
„Vor drei Jahren, während wir uns auf die Schlacht vorbereitet haben, was später als der Große Krieg bekannt werden würde, gab es Unruhen in Impel Down. Wir waren viel zu weit entfernt, um einzugreifen. Aber Law hatte vorher schon entschieden, dass seine Crew nicht mit ihm an vorderster Front kämpfen würde; die Details weiß ich nicht, nur, dass es wohl ein riesiger Streit war.“
Ich habe ihnen keine Wahl gelassen.
„Er hatte sie zusammen mit einigen anderen unserer Verbündeten zu unserem Kontrollpunkt nahe der Red Line geschickt, für den Fall, dass andere den Krieg ausnutzen würden, um Unruhe zu stiften.“
Aber manchmal frage ich mich, ob es all die Leben wert war, die dafür gestorben sind.
„Marine Ford“, vermutete Rocinante.
„Nun ja, eigentlich war es das Sabaody Archipel, aber das macht ja keinen großen Unterschied.“ Sanji seufzte. „Wie gesagt, ich weiß nichts Genaues, aber bei der Revolte von Impel Down drohte auch de Flamingo auszubrechen und Laws Crew entschied auf eigene Faust ihn aufzuhalten.“
Law hätte ihm vielleicht etwas Interessantes entlocken könne, aber er hat sich geweigert ihn noch mal wiederzusehen. Nicht, dass ich es ihm verübeln konnte.
„Die meisten von ihnen haben diesen Kampf nicht überlebt und die wenigen, die es taten, werden wohl ihr Leben lang davon gezeichnet sein.“ Der andere schwieg für einen Moment. „Wir erhielten die Nachricht, dass die Revolte gestoppt wurde, während der Schlacht. Was es gekostet hatte, erst danach.“
Nach dem Krieg hatte ich entschieden, dieser ganzen Welt den Rücken zu kehren.
„Ich würde gerne sagen, dass wir richtig gehandelt hätten. Aber das haben wir nicht. Der Krieg war schlimm gewesen und viele waren gestorben oder schwer verletzt. Als Law sich von uns verabschiedete mit den Worten, nach Impel Down zu reisen, hat das keiner von uns in Frage gestellt. Das war das letzte Mal, dass wir ihn gesehen haben. Er war wie vom Erdboden verschwunden.“
Rocinante schwieg, wusste nicht, was er sagen sollte.
Plötzlich rief ihnen die Navigatorin zu, dass sie ihr Ziel so gut wie erreicht hatten und sich vorbereiten sollten.
Tief einatmend entschied er, seine Gefühle für den Moment zu verdrängen. Er würde einen klaren Kopf brauchen, egal was ihn erwarten würde, und egal was in der Vergangenheit passiert war, das konnte er nicht ändern, er musste sich jetzt auf die Gegenwart konzentrieren.
Und trotzdem…
Aber es war wohl besser so. Ich habe noch ab und an mit ihnen Kontakt und sie alle führen ein glückliches, zufriedenes Leben. Wie sie es verdient haben.
Gemeinsam mit dem Strohhut, dem Schwertkämpfer, dem Smutje, der Navigatorin und dem… Waschbär… stand Rocinante vor der riesigen, schwarzen Flügeltür.
Für den Fall, dass dies ein Hinterhalt war, sollten die anderen der Crew zurückbleiben als ihre Sicherheit, dennoch hatte sich weder der Kapitän noch sein griesgrämiger Schwertkämpfer davon abhalten lassen, Rocinante zu begleiten. Als Reaktion darauf, war auch der Smutje mitgekommen und Rocinante erinnerte sich daran, wie dieser Mystoria erwähnt hatte. Der… Waschbär hatte darauf bestanden mitzukommen, falls Law verletzt sein würde und die Navigatorin hatte behauptet, dass sie mitkommen würde, um ein schlimmeres Chaos zu verhindern, was auch immer sie damit meinte, während sie ihre Crewmitglieder warnend anfunkelte.
Rocinante war das alles ziemlich gleich, oder viel mehr, das alles war nicht mehr von Belang, je nachdem was er hinter dieser Tür vorfinden würde.
Entschieden klopfte er an und fast zeitgleich gingen die Flügeltüren wie von Geisterhand auf. Dahinter standen mehrere Angestellte, die sich verneigten, vorneweg ein breitschultriger Mann, der nicht aussah, als wäre er die hellste Leuchte.
„Sie werden bereits erwartet“, bemerkte ebendieser, trat einen Schritt zur Seite und gab den Weg ins Innere der Villa frei.
Er folgte dem Angestellten und ignorierte die Kabelleien der Strohhüte hinter sich.
Dann betrat er endlich einen großen Saal, den er nur als überdimensionalen Konferenzraum beschreiben konnte, zu seiner Linken ein langgezogener Tisch, doch ihm gegenüber, am anderen Ende des Raumes, auf einem simplen Stuhl, ein Weinglas in der Hand, saß wohl…
„Die Chefin.“
„Don Quichotte Rocinante, auch genannt Corazón, ich habe dich erwartet“, begrüßte sie ihn mit einem Schmunzeln. „Nach allem, was ich von dir gehört habe, freue ich mich wirklich darauf, dich kennen zu lernen. Auch wenn mir lieber gewesen wäre, du hättest die Aushilfen Zuhause gelassen.“
Sein Herz raste, aber davon ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen.
„Du hast von mir gehört?“, entgegnete er ruhig während hinter ihm der Strohhut irgendetwas laut bemerkte und dann von einem Crewmitglied gemaßregelt wurde.
Ihr Lächeln wuchs.
„Natürlich, du musst jemand ganz besonderes sein. Allerdings… hattest du nicht gesagt, dass er nicht kommen würde, Trafalgar?“
Die Türe zu ihrer Linken öffnete sich wie von Zauberhand.
„Ich habe nur gesagt, dass ich ihm nichts gesagt habe. Für seinen Dickkopf kann ich nichts.“
„Law!“ Rocinante rannte auf den anderen zu, doch der Strohhut war schneller, schleuderte sich selbst durch den Raum und prallte an einer unsichtbaren Wand direkt vor Law ab.
„Was zur…?“
„Law!“
„Lass ihn gehen!“
Bevor Rocinante überhaupt wusste, was geschehen war, stand die Navigatorin neben dem Strohhut, der… Waschbär neben ihm, der Schwertkämpfer und der Smutje zur Linken und Rechten der Chefin, die Spitze eines Schwertes unterhalb ihres Kinns, ein Bein drohend erhoben.
Sie alle waren in Kampfhaltung und Rocinante wusste plötzlich, warum sie als stärkste Crew der Welt angepriesen wurden, und sie waren noch nicht mal vollzählig.
Aber eigentlich war ihm all das egal.
Im Türrahmen, hinter einer unsichtbaren Wand, stand Law, ohne ihn anzusehen, den Kopf gesenkt, das Gesicht unter seiner Mütze verborgen, aber offensichtlich am Leben. Wäre die Lage nicht so ernst würde er in Tränen ausbrechen und Law ordentlich den Kopf waschen.
Die fremde Frau lachte leise und stellte ihr Weinglas auf ihrer Armlehne ab.
„Momo, zieh dich zurück, es ist alles unter Kontrolle.“
Erst jetzt bemerkte Rocinante, dass sich auch der breitschultrige Mann in Bewegung gesetzt hatte und sofort innehielt. Er hatte noch nicht mal darauf geachtet, dass der andere mit ihnen gekommen war, so abgelenkt war er gewesen.
„Bist du dir da sicher?“, murrte der Schwertkämpfer, dessen Klinge aufblitzte.
„Also meine Lieben, nur um das klarzustellen. Nicht alle Menschen nutzen ihre Fähigkeiten, um handgreiflich zu werden.“ Plötzlich schwand ihr Lächeln und eine eisige Atmosphäre fegte durch den Raum. „Und dafür solltet ihr dankbar sein.“
Einen Moment noch lag Rocinantes Blick auf Law, der sich nicht rührte, wie von unsichtbaren Fesseln gehalten, dann jedoch wandte er sich der Chefin zu.
„Ich bin nicht hier, um zu kämpfen“, entgegnete er, „sondern um zu verhandeln.“
„Oh!“ Offensichtlich begeistert stand sie auf und klatschte die Hände zusammen, unbeeindruckt von der Waffe an ihrer Kehle. „Ganz nach meinem Geschmack.“
Beinahe überschwänglich wandte sie sich Law zu, die Hände immer noch gefaltet als wäre sie ganz entzückt.
„Ich weiß, was du an ihm findest.“
Rocinante wusste nicht, was er erwartet hatte, aber das hier war es wohl nicht.
Ohne sich von den Piraten stören zu lassen, drückte sie Schwert und Smutje mit je zwei Fingern zur Seite und ging auf Rocinante zu.
„Hey“, knurrte der Schwertkämpfer, doch sie unterbrach ihn mit erhobener Hand.
„Ich habe kein Interesse an physischen Kämpfen, Strohhutbande. Wenn ihr deshalb gekommen seid, rate ich euch nun zu gehen.“ Dann sah sie Rocinante an. „Wenn ihr jedoch gekommen seid, um zu verhandeln, dann seid ihr an meinem Tisch willkommen.“
Sie wandte sich um und schritt durch den Raum.
„Und was ist, wenn wir nicht verhandeln, sondern einfach nur Law mitnehmen wollen?“, fragte nun der Smutje.
„Das könnt ihr tun“, entgegnete sie schlicht. „Aber irrt euch nicht. Zur Fälligkeit seiner Verbindlichkeit wird Trafalgar zurückkehren und sie erfüllen.“
„Warum sollte er das tun?“, widersprach nun die Navigatorin.
„Weil er ansonsten den Vertrag bricht und wer den Vertrag bricht stirbt und verliert das, was er zu Unrecht erlangt hat.“
„Was?“ Rocinante vergaß einen Moment zu atmen. „Und so einen Vertrag bist du eingegangen, Law?“
Der andere sah ihn nicht an, hatte seinen Blick immer noch unter dem Schatten seiner Mütze versteckt, als wäre er nicht mehr als eine Puppe an unsichtbaren Fäden.
„Also gut“, sprach Rocinante weiter und entschied sich einem Problem nach dem anderen zu stellen, „lass mich mit dir verhandeln, Chefin, aber zuvor will ich mit ihm reden können und sichergehen, dass er unverletzt ist.“
„Warum solle ich ihn verletzten?“, entgegnete sie mit hochgezogener Augenbraue, winkte jedoch ab. „Meinetwegen. Ich lasse uns schon mal Wein bringen und ihr anderen könntet euch an den Tisch begeben. Trafalgar, du kannst kommen.“
Es war, als würde Glas lautlos zerspringen, doch als die tausend Scherben den Boden berühren sollten, verschwanden sie einfach. Law, jedoch, bewegte sich nicht einen Millimeter.
Ganz anders Rocinante. Er schritt an den anderen vorbei, die ihn alle mit großen Augen ansahen, und blieb genau vor Law stehen, als wäre die unsichtbare Wand noch intakt.
„Bist du unversehrt?“, fragte er, sich wohl bewusst, dass seinen Emotionen ihn zu überwältigen drohten. Er musste einen kühlen Kopf bewahren, ein Fehler und er würde Law verlieren. „Antworte mir!“
„Cora, es… es tut…“
„Danach habe ich nicht gefragt. Bist du unverletzt?“
Er konnte sehen, wie Law bebte, nicht wagte aufzusehen, die Hände zu Fäusten geballt.
„Ja, ich bin unverletzt.“
„Gott sei Dank!“ Er riss den anderen in eine Umarmung, drückte ihn an sich, hielt dessen Kopf gegen seine Brust gedrückt. „Ich hatte solche Angst um dich.“
Law in seinen Armen begann zu zittern, doch Rocinante wusste, dass wenn Law jetzt brechen würde, dann würde er auch nicht mehr an sich halten können. Also legte er seine Hände auf Laws Schultern und brachte ihn auf eine Armlänge Abstand.
Diese vertrauten, tiefen Augen schimmerten vor ungeweinter Tränen und Rocinante wusste genau, was er jetzt tun musste. Tief seufzte er, nahm Law seine Mütze ab, fuhr durch sein weiches Haar und dann lächelte er.
„Gut, Chefin“, sprach er dann kühl, stülpte Law wieder seine Mütze auf, griff ihn am Handgelenk und schleifte ihn mit sich zum Tisch, „lass uns verhandeln.“
Die Angesprochene saß am Tischende, ein Glas Wein in ihrer Hand.
Von den Strohhüten auf der anderen Seite, saßen nur der Kapitän, die Navigatorin und der… Waschbär. Smutje und Schwertkämpfer standen hinter ihnen wie zu schlecht bezahlte Bodyguards.
Er drückte Law in einen Stuhl und setzte sich daneben.
„Lass uns gleich zum Geschäftlichen kommen“, murrte er kühl und sah sie an. „Was verlangst du?“
Schmunzelnd trank sie einen Schluck ihres Weines.
„Du bist wirklich ein Mann nach meinem Geschmack. Ein Geschäftsmann der direkt zum Punkt kommt. Was ich verlange? Gar nichts. Nur der Vertrag muss eingehalten werden.“
„Gut, dann lass mich meine Frage anders formulieren: Was muss ich tun, um Laws Position in diesem Vertrag einzunehmen?“
„Was?“
„Cora! Du kannst doch nicht…“
Er unterbrach die Strohhüte und den Mann an seiner Seite mit einem einzigen Blick, ehe er sich wieder der Herrin des Hauses zuwandte.
„Also?“
Ihr Lächeln schwand und es wirkte, als würde sie die Situation nun endlich ernst nehmen.
„Also, auch wenn ich wirklich liebend gerne mit jemandem wie dir einen Vertrag abschließen würde, so geht das nicht, mein Lieber.“
„Wieso?“, hakte er nach.
„Aus genau drei Gründen.“ Sie hielt ebenso viele Finger in die Höhe. „Erstens: Deine generelle Existenz ist Vertragsgegenstand und es verstößt gegen Treu und Glauben sowohl Vertragspartner als auch Vertragsgegenstand zu sein. Zweitens: Es ist mir unmöglich mit jemandem einen Vertrag zu schließen, dessen Lebenszeit ich zuvor beeinflusst habe, um Sittenwidrigkeit zu verhindern. Drittens: Natürlich könnte grundsätzlich eine andere Person als Bürge Trafalgars Verbindlichkeit erfüllen. Das Problem ist jedoch, dass der Tausch nicht ein Leben für ein Leben war, sondern die Wiederbelegung eines Toten gegen das ewige Leben, umgesetzt durch die Fähigkeiten der Operationsfrucht. Da Trafalgar der einzige Nutzer dieser Frucht ist, ist die Erfüllung der Verbindlichkeit für jedermann sonst tatsächlich unmöglich. Aus diesem Grund kann kein anderer seinen Platz als Vertragspartner einnehmen.“
Tief holte Rocinante Luft.
„Also ich hab das nicht kapiert“, jammerte der Kapitän der Strohhüte, „aber um ehrlich zu sein ist das mir auch ziemlich egal. Kannst du nicht einfach nett sein und Trafo gehen lassen?“
Erheitert kicherte die Frau am Tischende und wandte sich dem Strohhut zu.
„Also, Kleiner, nehmen wir mal für einen kurzen Moment an, ich wäre wirklich bereit aus der Güte meines Herzens auf das zu verzichten, was mir rechtmäßig zusteht.“ Ihre Tonlage machte deutlich, dass allein dieser Gedanke lächerlich war. „Ich könnte es nicht. Ich habe von der Tauschfrucht gegessen. Ein Tausch, der mit meiner Fähigkeit abgeschlossen wurde, muss vollzogen werden, selbst wenn eine oder sogar alle Parteien es nicht mehr wollen. Also selbst wenn mich euer kitschiges Auftreten hier so sehr rühren würde, dass ich grundlos auf meinen Anspruch verzichten wollen würde, so ist es nicht möglich.“
Einen Moment überlegte Rocinante.
„Dann lass uns einen weiteren Tausch machen“, bot er an. „Den Anspruch auf ewiges Leben durch Laws Teufelskräfte für was auch immer du willst.“
Ihre Augen blitzten auf und ihr Grinsen wuchs.
„Interessant, mein Lieber, ich muss schon sagen mit dir zu verhandeln macht deutlich mehr Spaß als mit deinem Günstling. Allerdings kannst du mir nicht genug bieten.“
„Ich kann dir mein Leben bieten.“
„Cora!“
„Ein Leben für die Unsterblichkeit? Als würdest du einen Eimer Wasser für das Meer anbieten.“
„Ich habe Informationen und Wissen…“
„Das mich nicht im Mindesten interessiert.“
„Wir haben Gold“, rief der Kapitän der Strohhüte dazwischen, „Unmengen an… Au!“
„Es ist wertvoll!“, knurrte Rocinante und lehnte sich vor. „Ich weiß von Dingen, die…“
„Genug“, unterbrach sie ihn mit Leichtigkeit. „Lasst mich euch meine Teufelskraft erklären. Ich glaube damit sparen wir uns eine Menge Zeit.“
Sie stand auf und schritt vor ihnen auf und ab.
„Meine Fähigkeit ermöglicht es mir einen äquivalenten Tausch durchzuführen. Das bedeutet, dass die Dinge auf beiden Seiten der Waage, objektiv gleichwertig sein müssen.“ Sie lächelte kurz. „Allerdings lässt diese Form viele unzufriedenstellende Lücken. Leben gegen Leben ist nicht abwägbar, der objektive Wert mancher Güter ist nicht bestimmbar und so weiter. Aus diesem Grund habe ich den äquivalenten Tausch modifiziert. Er ist ebenfalls möglich, wenn die Tauschgegenstände nach den subjektiven Werten der Vertragsparteien gleichwertig sind.“
„Hört sich nach Betrug an“, murrte der Schwertkämpfer.
„Ich hab es nicht kapiert“, murmelte der Kapitän.
„Dann lasst mich euch ein Beispiel geben“, sagte sie und plötzlich erschien eine gespenstisch aussehende Waage aus Nebelschwaden auf dem Tisch zwischen ihnen.
„Nehmen wir doch als Beispiel…“ Sie betrachtete einen jeden von ihnen, ehe sie ihren Zeigefinger ausstreckte. „… dich.“
Der Schwertkämpfer knurrte nur als Antwort.
„Also fangen wir an. Sagen wir ich hätte ein Macaron von der Konditorin Kanpeki selbst zubereitet, und du würdest es unbedingt haben wollen.“
„Oh!“, entkam es dem Smutje.
„Was ist damit, Sanji?“, hakte die Navigatorin nach.
„Kanpeki ist die Göttin der Macarons. Sie starb schon vor über 50 Jahren und ihre Fähigkeiten gelten als so legendär, dass es den Mythos gibt, dass Menschen, die von ihrem Essen gekostet haben, danach lieber verhungerten als Speisen minderer Qualität zu essen.“
„Ich sehe, ein Mann von Bildung“, lächelte die Chefin. „Es stimmt, also so ein Macaron wäre heutzutage in etwa genau so viel wert, wie die Schwerter, die du an deiner Hüfte trägst, Lorenor Zorro.“
Auf der einen Seite der Waage tauchte das Abbild des winzigen Gebäcks auf und auf der anderen Seite das dreier Schwerter. Die Seite des Macarons krachte auf die Tischplatte, ohne auch nur ein Geräusch von sich zu geben.
„Ich dachte sie sind gleichwertig“, murmelte die Navigatorin.
„Rein objektiv ja“, stimmte die andere Frau zu, „aber rein subjektiv wäre mir dieses Macaron noch wichtiger als eurem Schwertkämpfer seine Schwerter.“
„Wag es nicht“, knurrte ebendieser.
Abwehrend hob sie beide Hände.
„Ihr seht, objektiver und subjektiver Wert sind relevant. Meine Fähigkeit lässt mich alles Vorstellbare, sowohl materiell als auch immateriell tauschen, solange beide Tauschgegenstände objektiv oder subjektiv gleichwertig sind. Wie ihr an diesem Beispiel erkennt, ist ein einzelnes kleines Macaron mir subjektiv mehr wert, als alles was Lorenor Zorro mir bieten könnte. Ganz egal, ob es seine Schwerter, sein ehemaliges Kopfgeld, seine Arbeitskraft, seine Schwertkampffähigkeiten oder die Treue zu seinem Kapitän wä…“ Sie unterbrach sich, als die Waage plötzlich auf die andere Seite kippte und das Macaron in der Höhe schwebte.
„Oh“, flüsterte sie, „interessant. Was wäre dir wohl deine Treue für deinen Kapitän wert, Lorenor Zorro?“
Ihr Blick hatte etwas Begieriges angenommen.
„Ewiges Leben? Weltfrieden? Nein, nein, du bist einfacher gestrickt, viel simpler; die verlorenen Jahre deines…“
„Genug“, unterbrach Rocinante und verwischte die Waage aus Nebelschwaden, die sich zu bewegen begonnen hatte, während der Schwertkämpfer nach seinen Waffen griff. „Du sagtest, ich könnte dir nicht genug bieten. Aber deiner Wortwahl nach gibt es etwas, was dir subjektiv gesehen mindestens so viel wert ist wie das ewige Leben, nicht wahr?“
Nun funkelte sie ihn an.
„Mein Lieber, wenn das hier vorbei ist, müssen wir Geschäftspartner werden.“ Ihr Grinsen wuchs. „Es gibt genau eine einzige Sache, für die ich den Anspruch auf ewiges Leben eintauschen würde. Aber du kannst es nicht besorgen.“
„Wer dann?“
Sie breitete ihre Arme aus.
„Warum, glaubst du, habe ich deinen Aushilfen erlaubt mitzukommen?“
Kapitel 21 – Sterben
„Was soll das bedeuten?“
Unterm Tisch umklammerte Rocinante Laws gefaltete Hände mit seiner, mit der anderen pochte er auf den Tisch.
Gerade hatte sie ihm das gesagt, was er hatte hören wollen. Es gab einen Weg Laws Schicksal abzuwenden und was auch immer es brauchte, Rocinante würde es tun.
Doch die Chefin sah ihn gar nicht mehr an, sondern hatte ihren funkelnden Blick auf den Kapitän der Strohhutbande gelegt.
„Sein Name lautet Keiyaku Ihan.“
„Was?“
„Bringt ihn hierher, in diesen Raum, bevor meine Forderung gegenüber Trafalgar fällig wird, und ich trete meinen Anspruch auf ewiges Leben ab.“
Für einen Moment waren alle ruhig.
„Wer ist denn dieser Keiyaku? Eine verflossene Liebe?“, murrte der Smutje und zündete sich eine Zigarette an.
„Ach, mitnichten“, entgegnete sie, doch zum ersten Mal klang sie abweisend. „Er war einst ein Geschäftspartner, der mich hintergangen hat.“
„Und warum sollen wir die Drecksarbeit erledigen?“, knurrte der Schwertkämpfer. „Wenn du so mächtig bist, wie du tust, dann zerr ihn doch selbst her.“
„Das würde ich gerne – glaub mir, du hast keine Ahnung, wie gerne ich das selbst tun würde – aber aufgrund unserer vertraglichen Vereinbarungen kann ich das nicht. Ich kann mich ihm nur nähern, wenn er in diesen Raum kommt.“
„Und was hast du mit ihm vor?“, fragte nun die Navigatorin.
„Ich möchte einfach nur, dass er seine vertragliche Verbindlichkeit erfüllt, vor der er sich schon seit Jahren drückt. Aber das ist für euch nicht von Belang. Hauptsache ihr bringt ihn her.“
„Und warum kann ich das nicht tun?“, hakte Rocinante nach.
Sie sah ihn unbeeindruckt an.
„Ach, Süßer, nun enttäuschst du mich aber doch. Ich sagte doch bereits, dass…“
„Du sagtest, dass du keinen Tausch mit mir eingehen kannst, weil du meine Lebenszeit beeinflusst hast, aber…“
„Wie unhöflich mich einfach zu unterbrechen. Glaub mir, ich kenne Typen wie dich, mein Lieber, und du wirst mit deinen Argumenten und deinem Verhandlungsgeschick bei Keiyaku Ihan nicht weit kommen. Du wirst ihn nicht überzeugen können, ganz gleich was du tust. Er wird nicht freiwillig herkommen, sondern nur mit der Anwendung grober Gewalt, und dafür scheinst du nicht der Richtige zu sein.“ Sie grinste wieder. „Ihr auf der anderen Seite…“
„Wir machen es!“ Der Strohhut war aufgestanden. „Und ich werde den Vertrag mit dir eingehen.“
„Was?“
„Hast du überhaupt verstanden, wie das funktioniert, Ruffy?“
Er schüttelte den Kopf.
„Nicht so wirklich. Aber ich habe verstanden, dass sie Trafo gehen lässt, wenn wir diesen Igel herbringen, daher…“
„Das kann ich nicht von euch verlangen“, entgegnete Rocinante und erhob sich ebenfalls. „Chefin, du sagtest du könnest auf deinen Anspruch nicht verzichten, weil der Vertrag erfüllt werden muss. Aber kannst du ihn nicht einfach rückabwickeln? Kein Vertrag bedeutet keinen Anspruch und keine Fälligkeit.“
Sie hielt seinem Blick stand, ihr Gesicht ernst.
„Kein ewiges Leben und kein auferstandener Toter, meinst du das?“
„Nein!“ Law war aufgesprungen und griff nach seinem Arm. „Das lasse ich nicht zu! Glaubst du ich würde wollen…?“
„Es ist mir gerade ziemlich egal, was du willst und was nicht, Law.“ Er sah noch nicht mal zu dem anderen hinab, sondern hielt die Chefin im Blick. „Sollten die Strohhüte auf diesen Vertrag eingehen und Keiyaku Ihan nicht bis zur Fälligkeit hierherbringen können, müsstest du deine Verbindlichkeit einlösen und würdest sterben.“
Law wollte ihn unterbrechen, aber Rocinante ließ ihn nicht.
„Oder du verweigerst dich und wir beide sterben. So oder so, wer weiß wo dieser Kerl sich befindet und wahrscheinlich hast du dir bei deinem Deal ein Jahr mit mir ausgehandelt. Das heißt wir hätten kaum mehr als einen Monat, um diesen Typen zu finden und hierzubringen, was vielleicht gar nicht möglich ist, und wenn wir versagen sollten, werden nicht nur du und gegebenenfalls auch ich sterben. Wenn Keiyaku Ihan nicht innerhalb der Fälligkeit in diesem Raum auftaucht, wird auch derjenige sterben, der diesen Tausch eingeht.“
Der ein oder andere im Raum stieß einen überraschten Laut aus, doch er sah nur das anerkennende Schmunzeln in ihrem Gesicht, nicht, dass das ihm irgendetwas brachte.
„Nüchtern betrachtet, ist die preiswerteste Variante den Vertrag zwischen dir und ihr rückabzuwickeln und sie für das eine Jahr, das sie mich leben ließ, zu entschädigen, schließlich sollte ich eigentlich gar nicht am Leben sein.“
„Aber Cora, du…“
„Aber dieses Gedankenspiel ist müßig, denn es ist nicht möglich, oder?“
Nun neigte sie leicht den Kopf und zeigte ihm ihr Lächeln.
„Also mal ganz abgesehen davon, dass Trafalgar sich eine solche Entschädigung kaum leisten könnte, so ist es nicht möglich einen mit meiner Fähigkeit geschlossenen Vertrag rückabzuwickeln. Und in Anbetracht wie interessant diese Verhandlung hier ist, tut es mir fast schon leid dich enttäuschen zu müssen.“
„Sicher“, murrte Rocinante sarkastisch.
„Das ist mir egal!“ Jetzt stand dann auch der Strohhut auf. „Wir machen diesen Deal und wir holen diesen Igel. Wir kriegen das schon hin.“
„Du Vollidiot!“, knurrte die Navigatorin und klatschte gegen seinen Hinterkopf. „Hast du nicht zugehört? Wir haben kaum einen Monat Zeit und wer weiß, wo sich dieser Kerl versteckt hat.“
„Also eigentlich“, bemerkte die Chefin mit erhobenem Zeigefinger, „ist es nur noch eine Woche. Für ein ganzes Jahr hat es für Trafalgar nicht gereicht. Aber ich weiß immer und zu jeder Zeit, wo Keiyaku Ihan sich aufhält und ich kann euch versichern – gerne auch als Voraussetzung für das Zustandekommen eines wirksamen Tauschvertrages – dass er sich derzeit auf dem Sabaody Archipel befindet.“
„Warte mal.“ Die Navigatorin starrte die andere Frau ernst an. „Das ergibt doch alles keinen Sinn. Wieso ist ein einzelnes Treffen mit irgendeinem Kerl dir genauso viel wert wie das ewige Leben? Und wenn beide Sachen dir genau gleich viel wert wären, warum hilfst du uns dann überhaupt? Du machst auf mich nicht den Eindruck, als würdest du uns einfach aus Gutmütigkeit helfen. Dir ist vermutlich total egal, wenn wir alle draufgehen, solange du das bekommst, was dir zusteht. Warum also gibst du uns überhaupt die Möglichkeit den Vertrag zu ändern, auch wenn dir dann das ewige Leben durch die Lappen gehen könnte? Kann es sein, dass dir dieses Treffen vielleicht noch wichtiger ist als das ewige Leben?“
„Du bist gar nicht schlecht, Süße“, nickte die Chefin dann und direkt war ihr keckes Schmunzeln wieder am Platz. „Also gut, ich gebe es zu. Natürlich will ich das ewige Leben, aber Kinder, wie viele Menschen glaubt ihr sind bereit etwas von ihrer Lebenszeit zu opfern für etwas was sie wirklich wollen?“
Ihr Blick lag unmissverständlich auf dem Kapitän der Strohhüte.
„Ich habe schon mehr Jahre gelebt als ihr alle zusammen und ich werde noch mehr Jahre leben, als ihr alle zusammen und irgendwann wird Trafalgar so oder so sterben, es wird einen neuen Nutzer der Operationsfrucht geben und ich werde an meine Ewigkeit kommen.“ Sie lächelte immer noch. „Aber wenn Keiyaku Ihan stirbt…“
„Kann er seine Verbindlichkeit nicht mehr erfüllen“, beendete der Smutje den Satz.
„Genau. Daher… haben wir einen Deal?“
„Eine Woche, um irgendeinen Mistkerl auf dem Sabaody Archipel hierhinzubringen oder Trafo, Ruffy und gegebenenfalls Corazòn werden sterben?“, murrte der Schwertkämpfer.
„Aber da wir es schaffen werden hört sich das nach einem guten Deal für mich an“, entschied der Kapitän mit einem breiten Grinsen.
„Ihr könnt euch gerne in Trafalgars Räumlichkeiten zurückziehen. Wenn ihr irgendetwas braucht, wendet euch an Nana, aber stört mich nicht. Ich habe zu arbeiten.“
Hart schlug Momo die schwere Holztüre hinter der Chefin zu als sie den Konferenzraum verließ.
Vor kaum einer Minute waren die Strohhüte aufgebrochen.
Der Vertrag, den der Kapitän mit der Chefin abgeschlossen hatte, war denkbar simpel und hatte kaum zehn Minuten weiterer Verhandlung bedurft.
Rocinante hatte entschieden, sie nicht zu begleiten. Zum einen war er sich ziemlich sicher, dass diese Crew seltsamer Gestalten alles andere als auf ihn angewiesen sein würde und zum anderen wurde er hier dringender gebraucht.
Er folgte Law durch die Türe, durch die der andere zuvor aufgetaucht war, in einen angrenzenden Raum und schloss sie hinter sich.
„Du warst eben ganz schön still“, sprach er als Law mitten im Raum stehen blieb, „normalerweise lässt du nicht so stillschweigend andere über dein Schicksal entscheiden.“
Der andere reagierte nicht. Wenn Rocinante sich nicht bald etwas einfallen lassen würde, würden die nächsten Tage ziemlich furchtbar werden.
„Law, egal was in einer Woche passieren wird, die nächsten sieben Tage werden du und ich in diesen… großzügig ausgestatteten Räumen aufeinander hocken und…“ Er zögerte, wusste jedoch genau was er zu sagen hatte. „… wie du dir sicherlich denken kannst, würde ich jede Form der Unterhaltung tagelangem Schweigen vorziehen.“
Das Zittern des anderen zeigte ihm, dass er das Richtige gesagt hatte. Es gefiel ihm nicht, Laws Schuldgefühle gegen ihn auszunutzen, aber er zweifelte, dass er anders erfolgreich sein würde.
„Würdest du dich zumindest umdrehen und mich ansehen, wenn ich mit dir spreche?“
Endlich reagierte Law. Ganz langsam drehte er sich um.
„Danke, Law.“ Rocinante versuchte sich an einem schwachen Lächeln. „Und jetzt sag mir wie es dir geht. Du siehst furchtbar aus, hast wahrscheinlich die letzten Tage kaum etwas gegessen und kein Auge zu gemacht. Ich habe dir doch schon so oft…“
„Was zur Hölle…?“ Nun sah Law auf, seine Stimme zitterte wie seine zu Fäusten geballten Hände. „Was soll das werden, wenn‘s fertig ist?“
„Ich erkundige mich nach dir. Ich habe mir höllische Sorgen um dich gemacht.“
„Was?!“ Law trat einen Schritt zurück, offensichtlich verwirrt. „Nein, das ist nicht richtig.“
„Was ist nicht richtig? Dass ich mir Sorgen gemacht habe, nachdem ich morgens aufwache und du verschwunden warst? Tut mir leid, ich weiß ja nicht was du erwartet hast, aber so läuft das nun mal unter…“
„Nein“, murmelte Law und schüttelte den Kopf, „warum bist du so ruhig? Warum brüllst du mich nicht an? Warum bist du nicht…?“
„Wütend?“, beendete er die Frage, woraufhin Law nur stumm nickte.
„Die Wahrheit ist, Law“, seufzte er und begann durch den Raum zu wandern, „ich war wütend, unfassbar wütend und ich hatte mir geschworen, dir gründlich den Kopf zu waschen, nachdem das hier alles vorbei sein würde. Aber als ich dich dann endlich gesehen habe, unverletzt, da war ich einfach nur dankbar und hätte direkt heulen können.“
Er blieb stehen und bemühte sich die Tränen zurückzuhalten.
„Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.“ Nun sah er wieder zu Law hinüber, der zu Boden starrte, sein Gesicht verborgen unter seiner Mütze. „Also nein, ich bin nicht wütend und ich werde dich erst recht nicht anbrüllen. Ich bin nur dankbar, dass ich dich nicht verloren habe.“
Laws Schultern zitterten und glitzernde Tropfen, die zu Boden fielen, waren stille Zeugen davon, dass er weinte.
„Und was hätte ich dir vorwerfen können, Law?“, flüsterte er. „Dass du mich angelogen hast? Dass du mich beschützen wolltest? Dass du dachtest du müsstest all das hier allein durchstehen? Wie kann ich dir das vorwerfen, wenn ich derjenige war, der dich glauben ließ, dass man so mit Menschen umgeht, die man liebt?“
Law weinte immer noch, sah nicht auf, schluchzte leise.
„Die Wahrheit ist, ich habe damals nicht besser gehandelt als du, Law. Ich habe dich angelogen, wohl wissend, dass mein Bruder mich töten würde. Mir war bewusst, dass ich entweder dich oder mich würde retten können und ich habe nicht eine Sekunde gezögert in meiner Wahl, weil ich dich beschützen wollte, und ich bin noch nicht mal ehrlich mit dir gewesen. Du hast genau das gleiche getan. Du warst bereit mein Leben mit deinem Tod zu erkaufen und um mich zu beschützen, hast du mich angelogen und bist ganz allein hierhergekommen, um den Tod ins Angesicht zu sehen.“ Er trat auf den anderen zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Und das war der Grund, warum ich gehofft habe, dass du noch am Leben bist, Law.“
Plötzlich sah der andere auf und Rocinante konnte eine einzelne Träne nicht aufhalten, als er das eine eingestand, was er bisher niemandem gesagt hatte, sich noch nicht mal erlaubt hatte zu denken.
„Weil auch ich bis zur letzten Sekunde gehofft hatte, dass kommen und mich retten würde.“
„Cora?“
Er nahm Laws Gesicht in seine Hände, strich mit den Daumen über die verweinten Wangen.
„Ich weiß genau, wie du dich fühlst, Law, und ich weiß, warum du Tage vor der Fälligkeit deiner Schuld hierhin gereist bist, warum du mich so ganz offensichtlich davon abgehalten hast, Sengoku oder meinen Bruder zusehen. Du hast dir eingeredet, dass du das alles getan hast, damit ich mich nicht einmischen würde, damit du nicht den traurigen Blick in meinen Augen siehst, wenn du es mir sagen würdest. Genauso, wie ich dir erst die Wahrheit gesagt habe, als ich wusste, dass ich dir nicht mehr in die Augen würde sehen müssen. Aber die Wahrheit ist, so wie ich diesen Lauf der Waffe angesehen und auf ein Wunder gehofft habe, so hast du gehofft, dass ich rechtzeitig eins und eins zusammenzählen und dich finden würde.“
Obwohl sie so unterschiedlich waren, Law so ernst und erwachsen, Rocinante eher entspannt und lebensfroh, so hatten sie am Ende doch genau den gleichen Weg gewählt. Vielleicht weil Rocinante es Law vorgemacht hatte, vielleicht aber auch einfach, weil sie beide so starke Gefühle hatten. Sie beide waren bereit alles zu tun, um die Menschen zu retten, die sie liebten, und anscheinend waren sie beide auch nicht bereit in einer Welt so leben, in der sie es nicht geschafft hatten.
„Keine Sorge, Law. Ich will nicht sterben und ich wollte nie sterben. Aber ich will auch nicht, dass du stirbst und ich will, dass du auch nicht willst, dass du stirbst. Du hast mich gerettet, Law, und deswegen bin dieses Mal ich gekommen, um dich zu retten.“
Law Lippen bebten und immer neue Tränen fanden ihren Weg.
„Ich will nicht sterben, Cora“, flüsterte Law und senkte seinen Kopf vor Tränen. „Ich will nicht sterben!“
Er nahm den anderen in den Arm, erlaubte sich ungesehen zu weinen und hielt Law ganz feste an sich.
„Du wirst nicht sterben, Law. Du hast tolle Freunde. Sie werden zurückkommen und du wirst leben.“
Kapitel 22 – Wahrheit
Er hasste die Stille.
Er hatte gehofft, dass Law nach seinen ehrlichen Worten etwas auftauen würde, etwas offener werden würde, aber natürlich war das etwas schwierig mit einem verdammten Damoklesschwert über dem Kopf.
Die letzten Tage hatten sie kaum ein vernünftiges Gespräch zustande gebracht und Rocinante hatte es gehasst. Aber worüber hätten sie sprechen sollen? Die Arbeit, die sie gerade vernachlässigten? Die Abendessen mit den Nachbarn, die sie hätten absagen sollen? Die Dinge, die sie schon so lange hatten tun wollen, aber nie die Zeit dafür gefunden hatten? All das war während der letzten Tage bedeutend unbedeutend geworden. Über eine Zukunft zu reden, die nicht eintreten würde, brachte keiner von ihnen übers Herz, und Rocinante hatte nicht die Kraft immer und immer wieder den Verlust zur Sprache zu bringen, den er vielleicht erfahren würde.
Er wusste, dass eine gute Chance bestand, dass die Strohhüte erfolgreich sein würden, aber die letzten Tage hatten ihn ausgemergelt. Er war erschöpft von dem Leid, das er erwartete, und er war erschöpft von den Schatten, die in Laws tiefen Augen gefangen waren. Bald würde diese kräftezehrende Warterei ein Ende finden, aber darauf freuen konnte er sich nicht.
In seinem tollen Plan die Strohhüte zu involvieren, hatte er übersehen eine Möglichkeit der Kommunikation einzuplanen, hatte die verdammte Teleschnecke mit dem Strohhut in Laws Büro zurückgelassen, in ihrem Heim auf Natsu vergessen, wie ein Idiot nicht darüber nachgedacht, die einzige Möglichkeit der Kommunikation mitzunehmen. Aber das konnte er jetzt nicht mehr ändern, hatte nicht ändern können, dass er und Law nun sieben Tage in diesen goldenen Vogelkäfig hatten überstehen müssen, unwissend, ob es überhaupt noch Hoffnung für sie gab oder ob es an der Zeit war Lebewohl zu sagen.
Dementsprechend waren ihre seltenen Gespräche kaum mehr als fahle Wortwechsel gewesen, nicht in der Lage über alltägliche Dinge oder schöne Erinnerungen zu sprechen, nicht bereit über das zu sprechen, was ihnen bevorstand, nicht in der Lage, wirklich das anzusprechen, was sie fühlten, dachten und ansprechen mussten.
Das Interessante an der ganzen Situation war, nicht nur Law hatte gelogen, Rocinante tat es auch, immer und immer wieder, in der Hoffnung das Leben des anderen zu erleichtern, ihn zu beschützen, ihn nicht leiden zu lassen. Aber auch, um sich selbst zu schützen, sich selbst das Leben leichter zu machen, auch um sich selbst nicht mehr als nötig leiden zu lassen.
Rocinante hatte Law gesagt, dass er leben wollte und das stimmte auch. Er wollte leben, er wollte ein verdammt glückliches Leben an Laws Seite leben, morgens neben ihm aufwachen, sich von ihm aus dem Bett ziehen lassen, Frühstück machen, zum Hafen arbeiten gehen, von Law das Butterbrot nachgetragen kriegen und dann abends mit ihm auf der Veranda sitzen und über Gott und die Welt reden oder vielleicht einfach nur Arm in Arm schweigen.
Früher hatte Rocinante sich ein ganz ähnliches Leben vorgestellt, der junge Law vergraben unter seinen Büchern, um der beste Arzt der Welt zu werden, Sengoku, der mit einem pinken Fahrrad und Stützrädern vorbeikommen würde, wie ein herzlicher Großvater – ja, er wusste auch, dass diese Fantasie etwas weitgegriffen war, aber er wollte wirklich immer schon mal Fahrrad fahren lernen – und Rocinante, der irgendeinen Job übernommen hätte, um für Law sorgen zu können. Manche Nacht hatte er sich ausgemalt, wie er in einer Bar arbeiten würde, er konnte mit Sicherheit super Drinks mixen, oder aber in einem Bekleidungsgeschäft. Er hatte sich tausend Dinge ausgemalt, aber eine der Sachen hatte sich nie geändert, eine Sache hatte er nicht einmal in Frage gestellt.
Ab dem Moment, in dem er entschieden hatte, dass er für Law seine Mission aufgeben würde, ab dem Moment hatte er sich ein Leben ohne Law nicht mehr vorstellen können, egal ob auf der Flucht vor seinem Bruder oder in einem friedlichen Leben auf irgendeiner Insel.
Er wusste, dass Law ihn am Anfang nicht gemocht hatte – kein Wunder, Rocinante hatte keine Ahnung gehabt, wie man wirklich mit Kindern umging, und Law war alles andere als ein gewöhnliches Kind gewesen – aber das hatte sich mit der Zeit geändert, als Law angefangen hatte die Schatten hinter sich zu lassen.
Seit diesen schönen Tagen waren viele, viele Jahre ins Land gezogen und die Dinge hatten sich geändert.
Law war kein kleiner Junge mehr und ihre Beziehung hatte sich verändert, so wie der Rest der Welt sich verändert hatte, wie selbst Rocinante sich verändert hatte. Aber dennoch war die Welt ihm davon gerannt. Der Mann, der ihn wie den eigenen Sohn großgezogen hatte, war nun ein alter Mann, sein Bruder war nun alt genug, dass er auch Rocinantes Vater hätte sein können. Alle waren sie weitergegangen in ihrem Leben, hatten sich weiterentwickelt, und Rocinante hatte das Gefühl, dass er in diese Welt nicht mehr hineingehörte, niemandem aus seiner Zeit mehr hatte, mit einer Ausnahme.
Der Einzige, der nicht weitergerannt war, sondern die Tür die ganze Zeit offen gehalten hatte, auch wenn es mit Sicherheit weder gesund noch richtig gewesen war, war Law gewesen. Law hatte die Vergangenheit nicht loslassen können, ganze 17 Jahre lang, hatte fast alles in seinem Leben verloren und bei allem, was er hätte tun können, hatte er entschieden, Rocinante zurückzuholen, um mit ihm Hand in Hand weiterzugehen.
Sie beide hatten ihre Probleme, sie beide hinkten der Zeit hinterher, aber mit Law zusammen fühlte es sich eher so an, als würden sie sich von der Zeit nicht treiben lassen, als würde sie sich einfach ihre Zeit nehmen.
Rocinante hatte gewusst, dass Law ihm Dinge verschwiegen hatte – als jemand, der sein Leben lang Geheimnisse mit sich herumgetragen hatte, hatte er dafür einen Riecher entwickelt – und trotzdem hatte er die Zeit auf Natsu mit ihm genossen. Es waren glückliche Tage gewesen und Rocinante war jederzeit bereit gewesen, die Vergangenheit endlich loszulassen, er hatte nur auf Law gewartet, auch bereit zu sein.
Mittlerweile wusste er, warum Law noch nicht bereit gewesen war. Solange dieses Damoklesschwert des baldigen Todes über ihm hing, war es unmöglich für ihn endlich loszulassen und daher hatte Law gelogen, um Rocinante für ein paar glückliche Monate glauben zu lassen, dass sie gemeinsam in die Zukunft gehen würde.
Aber auch Rocinante hatte gelogen, natürlich wollte er leben, er wollte wirklich, wirklich leben und dennoch… Rocinante hatte sich einst geschworen, dass er Law nicht sterben lassen würde, dass er sein Leben retten würde und das hatte er getan.
Dieses Mal war er nicht in der Position Laws Leben zu retten, so sehr er das auch hasste, alles was er tun konnte, war hier mit Law zu warten und ihm beizustehen, mit ihm diese quälenden Minuten, Stunden und Tage der Stille auszuhalten und ihn nicht alleine zu lassen. Am Ende der Frist wollte er Law nehmen und mit ihm nach Hause gehen. Aber er war kein Idiot, er wusste ganz genau, dass die Dinge sich auch anders entwickeln konnten. Er wusste ganz genau, dass Law am Ende dieser Frist sterben könnte und so wie damals, hatte Rocinante sich auch dieses Mal etwas geschworen. Er hatte sich geschworen, dass er diese Insel nicht ohne Law verlassen würde.
„Cora“, hörte er den anderen flüstern während er einen tiefen Zug seiner Zigarette nahm, „heute bist du deutlich schweigsamer als sonst.“
Oh, wie er die Stille hasste. Sie ließ ihn Dinge denken, die er nicht denken wollte. Natürlich wusste er all das trotzdem, aber es in klaren Worten zu denken, machte es viel realer.
„Tut mir leid, Law“, murmelte er, ohne seinen Blick vom Meer zu nehmen, „ich weiß, ich habe dir gesagt, dass du dem Leben mit einem Lächeln begegnen sollst und ich wollte, dass du mich immer mit einem Lächeln in Erinnerung behalten würdest, aber ich kann heute nicht lächeln. Nicht, wenn ich dich heute verlieren könnte.“
Heute war der Tag; wenn die Strohhüte bei Mitternacht nicht mit Kaiyaku Ihan durch die Türe kommen würden, würde er Law verlieren.
„Du weißt, dass ich es liebe dich lächeln zu sehen, Cora.“ Er hasste es, wenn Law so klang, so gefasst und schwermütig. Law hatte sein Schicksal akzeptiert und nun wollte er dafür sorgen, dass Rocinante dieses Schicksal ebenfalls akzeptierte. „Aber ich will nicht, dass dein Lächeln erzwungen ist. Ich bevorzuge ehrlich Traurigkeit und Verzweiflung vor jedem gelogenem Lächeln.“
Anstatt zu antworten nahm Rocinante noch einen Zug seiner Zigarette. Er hatte in den vergangenen Tagen mehr geraucht als in den letzten Monaten, aber darüber machte er sich keine Gedanken.
„Es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe“, sprach Law ruhig weiter. „Ich wollte die Zeit mit dir genießen und einfach nur glücklich sein. Ich wusste, dass du nicht glücklich sein würdest, wenn du es gewusst hättest, und ich wollte nicht, dass die vergangenen Monate so sein würden, wie die letzten Tage.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Law. Du warst nicht der Einzige, der gelogen hat.“ Immer noch konnte er den anderen nicht ansehen. „Ich habe von Anfang an gewusst, dass du etwas verbirgst, aber ich hatte entschieden nicht zu fragen, nicht zu drängen, wider besseren Wissens. Ich habe mir eingeredet, dass ich es tat, um dir das Leben einfacher zu machen, aber die Wahrheit ist, es war der einfachere Weg.“
„Das stimmt nicht, Cora.“ Law legte ihm eine Hand auf die Armbeuge. „Du warst großzügig und wolltest mich nicht unnötig leiden lassen und ich habe das gegen dich verwendet. Ich habe deine Güte ausgenutzt. Es war nicht deine Schuld.“
Keiner von ihnen sagte etwas und Rocinante wünschte er wäre in der Lage den anderen nun anzulächeln und ihm zu sagen, dass alles gut werden würde. Aber es wäre eine Lüge und je länger er darüber nachdachte…
„Law, kann ich dich um etwas bitten?“
„Natürlich, Cora.“
Er zögerte für einen Moment.
„Sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten und wir das hier unbeschadet überstehen…“
„Cora, wir beide wissen, dass solche Gespräche…“
„Nein, hör mich an. Ich will keine großen Pläne schmieden. Was kommt, das wird kommen und ich bin vorbereitet. Aber…“ Er schloss die Augen, um die Tränen zu verdrängen, die schon seit Tagen darum kämpften endlich rauszukommen. „Aber mir ist aufgefallen, dass unsere ganze Beziehung auf Lügen aufgebaut ist.“
„Aber, Cora, ich sage nicht, dass…!“ Law klang aufgebracht, selten wütend.
„Und ich sage das nicht als Schuldzuweisung, Law. Es ist eine simple Beobachtung und du weißt, dass ich Recht habe. Selbst als wir uns kennenlernten, habe ich dich angelogen, du dachtest ich wäre ein treuer, stummer Gefolgsmann meines Bruders, der keine Kinder leiden kann und grausam ist, sogar grausamer als mein Bruder. Wir beide lügen, immer und immer wieder, nicht um den anderen zu schaden, sondern um den anderen schützen zu wollen oder weil wir uns selber schützen wollen, und ich verstehe das. Wie gesagt, ich habe dir das beigebracht, aber… aber… Ich will, dass du glücklich bist, ich will, dass du lächelst, aber wenn du in Wirklichkeit traurig bist, Angst hast, wütend bist oder was auch immer, dann will ich das wissen, dann will ich, dass du mir das zeigst. Wenn ich doch da bin, dann brauchst du all das doch nicht allein mit dir ausmachen, nur weil du nicht willst, dass ich mir Sorgen mache, und…“
„Du hast Recht“, meinte Law als Rocinante kaum noch sprechen konnte. „Die Wahrheit ist, ich war immer dankbar, dass du nicht gefragt hast, nicht gedrängt hast, aber ich hätte von mir aus dir die Wahrheit erzählen sollen. Ich will nicht mehr lügen, Cora, und auch wenn ich den Strohhüten vertraue, so will ich nicht mit der Wahrheit warten, bis es vielleicht zu spät ist.“
„Was meinst du damit?“ Er konnte den anderen nicht ansehen, wollte nicht, dass Law sah, wie schwer ihm es fiel sich zusammenzureißen.
„Genau das, was ich gesagt habe. Du hast Recht. Immer wieder haben wir gelogen, für uns selbst und für einander, und wohin hat uns das geführt? Du bist gestorben ohne, dass ich etwas tun konnte und ich habe mein Leben für deines verkauft, ohne dir überhaupt eine Wahl zu lassen. Selbst wenn wir das hier überstehen, was kommt als nächstes? Es ist an der Zeit ehrlich miteinander umzugehen. Ich will nicht mehr lügen.“
Er schwieg. Er wusste genau, worauf dies hinaus laufen würde. Law würde ihm nun seine Gefühle erneut gestehen und ihm genau erklären, warum er getan hatte, was er getan hatte. Law würde ihm erklären, dass er gelogen hatte, um Rocinante zu beschützen, weil er ihn liebte, ihn nicht traurig sehen wollte, und dass sein Leben ohne Rocinante nichts wert sein würde.
Law würde ihm nun erklären, dass er, nachdem er alles verloren hatte, sich ein Jahr Glück an Rocinantes Seite gewünscht hatte und auch wenn er viel von Rocinante verlangen würde, nun glücklich sterben konnte, wissend, dass er seine Schuld beglichen hatte. Er würde so einen Schwachsinn sagen, wie dass Rocinante eine größere Bereicherung für die Welt wäre als er selbst, dass er ja noch Sengoku hätte und eine Aufgabe als ehemaliger Soldat, und dass es in Ordnung wäre, wenn Law sterben würde, dass sein Tod die Schuld begleichen würde, die er in sich trug. All diese Dinge würde er jetzt sagen, in der Hoffnung, dass Rocinante ihm vergeben würde, ihm ermöglichen würde einen Abschluss zu finden.
Und wenn Rocinante ehrlich sein würde, würde er ihm den Mund verbieten, ihm genau erklären, was das für eine Scheiße war und es ihm verdammt nochmal egal wäre, warum Law getan hatte, was er getan hatte, aber dass er nicht bereit war, Law zu verlieren.
Aber Rocinante würde nicht ehrlich sein, er hatte damals Law dazu gezwungen ihm einen Abschluss zu geben, indem er ihm alles offenbart hatte, ohne seine Reaktion sehen zu müssen. Law hatte er diesen Ausweg verwehrt, indem er hergekommen war. Also würde er sich diesen Schwachsinn nun in Ruhe anhören und dann so tun, als würde er Law vergeben und als würde Law sich keine Sorgen um ihn machen müssen.
Rocinante würde ihn ein letztes Mal anlügen, für den Fall, dass er Law verlieren würde, und sollte alles unerwarteter Weise doch gut gehen, dann hatte er noch ein Leben lang Zeit, es wiedergutzumachen.
„Ich habe dich angelogen, in mehr als nur einer Sache“, begann Law nun die Rede, die Rocinante nicht hören wollte, „und ich weiß nicht, ob ich die Zeit habe, dir alles zu erklären, aber lass es mich versuchen.“
Er schloss seine Augen, wollte nicht wissen, was Law ihm noch verschwiegen hatte.
„Ich habe dir einst gesagt, dass ich noch Kontakt zu meinen Crewmitgliedern pflege und dass sie alle ein glückliches und zufriedenes Leben führen, wie sie es verdient haben. Das war eine Lüge, die meisten von ihnen sind tot.“
Für einen Moment vergaß er zu atmen und sah den anderen fassungslos an, der nun seinerseits aus dem Fenster aufs Meer hinausstarrte.
„Es stimmte, dass ich sie vor dem Großen Krieg weggeschickt hatte, aber was ich nicht gewusst hatte, war, dass sie sich um den Aufruhr Impel Downs kümmern würden. Ich hatte mich vor langer Zeit von ihnen abgesetzt, um de Flamingo allein zu verfolgen, und sie wollten verhindern, dass er ausbrechen würde. Nur wegen mir haben sie sich ihm entgegengestellt und…“ Law schlug leicht gegen die Fenster. „Ich habe sie damals noch nicht mal aufgesucht. Ich konnte es nicht. Ich war nicht mal dabei, um sie zu beerdigen. Aber ich habe dir das nicht sagen können, ich weiß noch nicht mal warum. Aber… aber das ist die Wahrheit und danach habe ich…“
„Ich weiß“, flüsterte Rocinante und sah aufs Meer hinaus, „ich weiß was geschehen ist. Sanji hat es mir erzählt und den Rest konnte ich mir denken.“
Law schwieg.
„Und dann hast du entschieden, dass du…“
„Nein. Ich habe gar nichts entschieden. Ich bin vor allem davongelaufen, hatte wohl gehofft, dass mich irgendwer umbringen würde, vielleicht aus Rache für irgendetwas, vielleicht auch einfach nur aus dem Zufall heraus. Aber was ich dir sagte, dass ich nur zufällig über Natsu gestolpert bin, das stimmte. Ich habe nur zufällig von ihr und ihren Fähigkeiten gehört und ab dann… der Wunsch dich nochmal lächeln zu sehen war das Letzte was mich am Leben hielt.“
Was sollte er darauf antworten? Was sollte er nur sagen?
„Die Wahrheit ist, ich habe dir das von meiner Crew nicht erzählt, weil ich nicht wollte, dass du mich so ansiehst“, murmelte Law nun.
Er sah den anderen an, der immer noch seinem Blick auswich.
„Dass ich dich wie ansehe?“
„So wie du es immer tust, wenn du dir Sorgen um mich machst. So wie du es getan hast, wann immer ich früher vor Schmerzen gezittert habe oder wenn du dachtest ich würde schlafen. So wie du es getan hast als du nach 17 Jahren in einer fremden Welt aufgewacht bist und dir nur Gedanken darum gemacht hast, wie es mir ergangen ist. So wie du mich die letzten sieben Tage angesehen hast.“
„Du hattest Angst, dass ich dich dazu zwingen würde, die Überlebenden deiner Crew aufzusuchen. Du hattest Angst mir zu sagen, dass mein Bruder alle die du liebst umgebracht hat.“
Law nickte nur.
„Und deshalb hast du mich darüber angelogen.“
Law nickte erneut.
Seufzend begann Rocinante durch den Raum zu wandern. Er hatte etwas anderes erwartet. Er hattet erwartet, dass Law sich sein Gewissen hatte reinwaschen wollen, aber das hatte Law nicht getan. Law war seinem Wunsch gefolgt und war nun bereit ihm endlich die ganze Wahrheit zu sagen.
„Soll ich weitermachen?“, flüsterte Law, anscheinend unsicher über Rocinantes Schweigen.
„Nein, jetzt bin ich dran“, entgegnete er und wandte sich dem anderen zu, der ihn zum ersten Mal seit langer Zeit ansah. „Du hast gelogen, ich aber auch.“
„Ich weiß, Cora.“
„Nein, du weißt nicht. Ich rede nicht von dem vergangenen Jahr, von Dingen, die ich ignoriert, verschwiegen oder absichtlich falsch dargestellt habe. Ich habe dir gesagt, dass ich leben will und das stimmt auch“, fügte er schnell hinzu als Laws Augen sich weiteten und der andere den Mund öffnete. „Ich will leben, ich will das perfekte unperfekte Leben leben, und für all die Fehler meiner Vergangenheit einstehen.“
Er ging auf den anderen zu.
„Aber – und ich weiß, dass du das nicht hören willst – ich kann dieses Leben nicht ohne dich leben.“
„Cora, ich…“
„Ich weiß, du hast dein Leben für meines verkauft und es mag unglaublich egoistisch sein, aber Law, diese Welt hier ist nicht mehr die meine, ich gehöre hier nicht mehr hin und ohne dich hat meinen Leben hier keinen Wert mehr. Also bitte“, sprach er weiter, als Law erneut versuchte ihn zu unterbrechen, „bitte zwing mich nicht, ohne dich weiterleben zu müssen.“
Er konnte den Horror in Laws Augen sehen, der den Mund öffnete und schloss, ohne irgendetwas zu sagen.
Damals hatte Rocinante gelogen, um genau diesem Blick zu entgehen. Aber Law hatte entschieden nun endlich ehrlich zu sein und wie sollte Rocinante ihn dann guten Gewissens weiterhin anlügen?
Also stand er da, hielt Laws verzweifeltem Blick stand, als dieser verstand, was Rocinante ihm sagen wollte.
„Bist du dir sicher?“, flüsterte er atemlos. „Cora, du warst fast ein Jahr nur mit mir zusammen, aber die Welt ist groß und mit der Zeit…“
„Du meinst nach 13 Jahren, nach 17? Wie viele Jahre hast du gebraucht, Law? Und wie viele glaubst du würde ich brauchen? Ich kannte dich kaum und wollte dein Leben retten, dann kannte ich dich und konnte mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen. Ich war glücklich, dass ich mit meinem Tod dein Leben retten konnte. Ich glaube nicht, dass ich je darüber hinwegkommen würde dich zu verlieren.“
Law biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf, rieb sich durchs Gesicht, rieb sich die Tattoos auf seinem Unterarm.
„Das wollte ich so nicht“, meinte er beinahe fahrig, „ich wollte nicht, dass du…“
„Ich weiß. Du hast unterschätzt, was du mir bedeutest. Es tut mir leid.“
Erneut schüttelte Law den Kopf, wandte sich dann wieder dem Meer zu und verschränkte die Arme.
„Ich will nicht, dass du stirbst, Cora.“
„Ich will auch nicht sterben. Aber ich will auch nicht, dass du stirbst.“
Kurz sah Law zu ihm hinüber, dann starrte er wieder aufs Meer hinaus, aber er hielt ihm eine Hand hin und Rocinante ergriff sie.
Law zog ihn zu sich und sah ernst zu ihm hinauf.
„In Ordnung.“ Dann nickte er aufs Meer. „Dann lass uns hoffen, dass sie erfolgreich waren.“
Dort am Horizont zeichnete sich das Schiff der Strohhüte ab.
Kapitel 23 – Leben
„Sie sind da“, knurrte Law und riss die Türe auf, „sagen Sie der Chefin Bescheid.“
Nana, die Angestellte, deren Aufgabe es gewesen war Law und Rocinante die vergangenen Tage zu versorgen, nickte und eilte von dannen.
Law streckte seine Hand nach Rocinante aus und gemeinsam gingen sie in den Konferenzraum, in dem sich ihr Schicksal entscheiden würde.
„Ich liebe dich“, flüsterte Law, ohne ihn anzusehen.
„Ich weiß“, er beugte sich zu dem anderen hinab und küsste ihn, „ich hab dich auch lieb, Kleiner.“
Dann traten sie ein. Er wusste nicht, ob es ihn überraschen sollte oder nicht, aber natürlich war die Chefin schon anwesend.
Die vergangenen Tage hatte sie sich nicht einmal blicken lassen, aber ihm war das nur recht. Er mochte sie nicht – kein Wunder, schließlich war sie der Grund, warum er um Law bangte – und dennoch erwischte er sich, wie er Mitgefühl für sie empfand.
Sie saß nicht auf ihrem throngleichen Stuhl, sondern stand an einem der Fenster mit gefalteten Armen und sah aufs Meer hinaus. Zum ersten Mal wirkte sie nicht wie diese unnahbare Geschäftsfrau, sondern fast wie ein normaler Mensch.
Dann bemerkte sie ihre Gäste und was auch immer an Verletzlichkeit dagewesen war verschwand in einem Herzschlag, als sie ihr altbekanntes Lächeln aufsetzte.
„Es ist Zeit“, sprach sie klar aus, ging zum Konferenztisch hinüber und trank einen tiefen Schluck aus ihrem Weinglas, „und für euer Wohl hoffe ich, dass eure Freunde erfolgreich waren.“
„Für unser Wohl?“, entgegnete Rocinante unbeeindruckt, obwohl sein Herz viel zu schnell schlug und Law seine Hand umklammert hielt. „Wir sind dir doch egal, hier geht es doch viel mehr um deine Chance, oder nicht?“
„Oh, wie gemein“, lachte sie. „Ich habe es dir doch schonmal gesagt, du bist mir sympathisch, Süßer. Im Gegensatz zu deinem Günstling bist du sehr gut in Verhandlungen, gleichzeitig bist du viel zu ehrlich und offenherzig, um jemanden zu hintergehen, selbst wenn du es wolltest. Dich als Geschäftspartner zu haben würde mir gefallen.“
„Kein Interesse“, entgegnete er schlicht, zu angespannt für höfliche Konversation.
„Ich weiß“, winkte sie schmunzelnd ab, „du wirkst wie ein Mensch, der bereits einmal seine Prinzipien verleugnet hat und dies seitdem bereut, das wäre mir zu viel Gewissen.“
„Können wir nicht schweigend warten“, murrte Law.
„Oh, er spricht. Bei unserer letzten Unterhaltung warst du nicht besonders gesellig.“
„Wenn du das ewige Leben willst, solltest du verdammt nochmal aufhören mir auf die Nerven zu gehen, Weibsstück.“
„Law, bitte nicht solche Ausdrücke!“
Doch die Chefin lachte über Rocinantes Entsetzen hinweg.
„Na, als würden die emotionalen Ausbrüche eines Bengels mich erschüttern. Aber, Kleiner, du solltest mir nicht drohen. Schließlich bin nicht ich diejenige, die darunter leidet, wenn du deine… Oh, ich verstehe.“ Sie sah zwischen Rocinante und Law hin und her. „Welch dramatische Wendung. Jetzt würde ich mir beinahe wünschen, sie würden versagen, nur um dieses Ende zu sehen.“
„Du hast einen eigenwilligen Geschmack“, bemerkte Rocinante trocken und hielt Law mit einem Quetschen seiner Hand davon ab, etwas Unverschämtes zu sagen.
„Ach, Süßer, komm mal in mein Alter, dann beginnt man die Dinge etwas anders zu sehen.“
Bevor noch einer von ihnen etwas sagen konnte, wurden sie von unverständlichem Gezeter unterbrochen. Sekunden später wurde die Tür aufgerissen und der Schwertkämpfer der Strohhutbande kam herein, einen wild fluchenden Mann auf einen Stuhl gefesselt auf seinen Rücken, den er einfach mitten in den Raum warf.
„So“, knurrte er und seine Stimme zeigte, dass er unglaublich genervt war, „das ist er. Wir gehen jetzt.“
Hinter ihm kamen entgegen seiner Worte die verschiedenen Strohhüte hinein, doch das war Rocinante einerlei.
Es fiel ihm schwer zu atmen. Konnte es sein, dass…?
Er konnte fühlen, wie Law seine Hand noch etwas fester drückte, aber er wagte nicht ihn anzusehen, noch nicht.
„Nein!“, rief der Mann in Ketten. „Ihr wisst nicht was ihr tut! Bitte, bitte, hört mich doch an. Ihr…“
„Jetzt reg dich mal nicht so auf“, murrte der Smutje und zündete sich eine Zigarette an. „Ich habe dir doch gesagt, sie will nur mit dir reden.“
„Ach ja, was das angeht…“ Die Chefin stellte ihr Weinglas ab und schritt auf den Gefangenen zu, der nicht aufhörte, um Hilfe zu flehen. „… das war eine Lüge.“
Plötzlich zog sie eine Waffe und richtete sie auf den Gefangenen.
„Was?“, rief plötzlich der Strohhut und eilte auf sie zu. „Aber du hast doch…!“
„Schweigt!“ Mit erhobener Hand unterbrach sie den Strohhut, der plötzlich gegen eine ihrer Glaswände lief. „Ich weiß, ihr lebt alle in eurer kunterbunten Traumwelt, in der Freundschaft immer siegt und die Guten am Ende überleben. Ihr denkt, wenn ihr bereit seid alles zu geben, dann wird am Ende schon das Happy End auf euch warten, und auch wenn das für euch stimmen mag, das ist nun mal nicht die Realität.“
Der Mann vor dem Lauf ihrer Waffe flehte weiterhin um sein Leben, während die anderen Anwesenden die Chefin fassungslos ansahen.
„Ist es denn wirklich nötig ihn umzubringen?“, fragte Rocinante dann ernst. Erinnerte sich sehr wohl an die Taten seines Bruders und an genau solche Situationen. Nicht selten hatte er selbst die Waffe gehalten, nicht selten hatte er abgedrückt. „Was hat er denn so Schlimmes getan, dass er…“
„Das geht euch nichts an“, meinte sie gelassen. „Das hier hat mit euch nichts zu tun.“
Sie wandte sich den Strohhüten zu.
„Ihr wolltet eure Freunde retten und der Preis war euch gleich. Habt ihr wirklich geglaubt, ich würde das ewige Leben dafür aufgeben, um ein-zwei nette Worte auszutauschen? Tze, dann seid ihr noch naiver als man erzählt.“ Dann zeigte sie mit ihrer freien Hand auf den Strohhut. „Du hast deinen Teil des Vertrages erfüllt und ich trete den Anspruch auf das ewige Leben durch Trafalgars Teufelskräfte hiermit an dich ab. Eure Leben wurden verschont. Ihr könnt jetzt also alle nach Hause gehen und euer Friede-Freude-Eierkuchen-Leben weiterführen.“
„Und was ist, wenn wir nicht gehen?“, widersprach der Strohhut und ging in Kampfposition, wie zugleich seine Crewmitglieder und – zu Rocinantes Überraschung – auch Law an seiner Seite, der sich halb vor ihn stellte.
Die Chefin rollte mit den Augen, während der Mann vor ihr leise wimmerte.
„Ich habe kein Interesse daran gegen euch zu kämpfen, allerdings würde ich es tun, wenn es sein muss. Aber nichts, was ihr jetzt tun werdet, wird Keiyaku Ihans Tod verhindern. Also, bleibt hier und seht ihn sterben oder geht, das ist mir gleich.“
„Nein“, entgegnete der Strohhut, „das werde ich nicht zulassen. Du hast gesagt, du würdest…“
„Ich habe gelogen, Monkey D. Ruffy. Menschen lügen, um das zu erhalten was sie wollen, du bist vielleicht zu einfältig dafür, aber glaub mir, jeder der Menschen um dich herum hat schon mal gelogen, auch dich schon mal angelogen, also halt mir keine Predigt. Aber falls es dich beruhigt, er hat es verdient.“
„Niemand verdient den Tod.“
„Niemand? Nicht mal Don Quichotte de Flamingo oder Marshall D. Teach? Was ist mit Kaido oder Sakazuki? Niemand von diesen vieren ist gestorben oder – vielmehr – wurde von Anwesenden in diesem Raum hier getötet?“ Sie lächelte nicht als sie den Strohhut und den neben ihm stehenden Schwertkämpfer anstarrte. „Wollt ihr mir sagen, dass das etwas anderes ist? Dass das Blut an euren Händen ein anderes ist? Oder das Blut an den Händen von Nico Robin, Don Quichotte Rocinante, Trafalgar D. Water Law, Vinsmoke Sanji?“
Nicht eine Sekunde nahm sie ihre Waffe hinunter.
„Ihr seid nicht die Guten dieser Geschichte, auch wenn ihr euch das gerne einredet, auch wenn ihr für eure Taten bestimmt gute Gründe hattet, auch wenn ihr euch nach eurem Happ End sehnt. Aber das hier ist nicht eure Geschichte, in dieser Geschichte seid ihr nur Randfiguren, nur Mittel zum Zweck, und es gibt kein Happy End.“
Ein Schuss fiel und plötzlich war es still. Der Kopf des gefesselten Mannes kippte zur Seite, ein Loch in seiner Stirn.
„Ihr wolltet euer Happy End und das war der Preis dafür. Also geht jetzt und hört auf mich voll zu heulen. Die Welt ist nicht fair und ich habe wichtige Termine, also verschwindet und stehlt mir nicht weiter meine Zeit.“
Sie machte auf dem Absatz kehrt und schritt zur Tür in einen angrenzenden Raum.
„Momo, begleite unsere Gäste nach draußen und dann räume hier auf.“
Es sollte ein Erfolg sein und doch hielt es niemand für einen Sieg. Ein Mann war gestorben, nicht der, der geplant war und dennoch ein Leben weniger.
Vielleicht wäre es für manche von ihnen einfacher, wenn sie gewusst hätten, wer dieser Mann gewesen war, ob die Chefin einen verdammt guten Grund gehabt hatte, ihn zu töten, er durch seine schlimmen Taten diese Ende heraufbeschworen hatte.
Aber das wussten sie nicht und sie würden es wohl auch nie herausfinden.
Manche von ihnen hatten wahrscheinlich die Idee die Chefin herauszufordern und vielleicht würden sie einen Kampf gegen sie gewinnen oder zumindest herausfinden, warum sie getan hatte, was sie getan hatte.
Aber unausgesprochen war da dieses Gefühl zwischen ihnen allen, dass niemand von ihnen das Recht zu richten hatte.
Rocinante hockte auf der Wiese der Thousand Sunny, dem Schiff der Strohhüte, gegen die Knie von Law gelehnt, der auf der Rundbank um den Hauptmast saß. Bis vor wenigen Sekunden hatten die Crewmitglieder, stehend, sitzend, rumlaufend, laut und leise durcheinander gesprochen, nur wenige hatten geschwiegen.
Keiner schien mit der Situation zufrieden. Obwohl sie Law gerettet hatten, hatten sie den Tod eines anderen zu verantworten und keiner schien in der Lage, dieses Gefühl abzuschütteln.
Nach einer Weile hatte der Smutje Tee herumgereicht, dann war plötzlich jedoch der Kapitän der Bande aufgestanden und einfach gegangen, sein Gesicht unter dem Schatten seines Strohhutes verborgen.
Der Schwertkämpfer war ihm zum Heck des Schiffes gefolgt und immer wieder hallten die lauten Stimmen der beiden zu ihnen hinüber. Es war offensichtlich, dass sie stritten, doch keiner der anderen schien einschreiten zu wollen. Diese Crew hatte eine ganz eigene Dynamik und Rocinante wollte sich nicht einmischen.
Er hatte sich bereits aufrichtig bei ihnen bedankt – und Law auch mal zu einer Verbeugung bewegt, unerzogener Bengel – und sich entschuldigt für das, was geschehen war.
Durch die Gespräche der anderen war ihm bewusst geworden, dass sie alle schon Schlimmeres durchgemacht hatten und sie auch damit gelernt hatten umzugehen, und doch sah keiner von ihnen aus, als würden sie das Geschehene schnell beiseite schieben.
Law hinter ihm sprach mit den anderen deutlich direkter als Rocinante erwartet hatte. Es war offensichtlich, dass sie viel zusammen erlebt hatten und einander blind vertrauten. Die Navigatorin hatte ihm tatsächlich eine Ohrfeige verpasst für seinen Alleingang und der… Waschbär hatte sich mehrfach überzeugen wollen, dass weder Law noch Rocinante verletzt waren.
Nun warteten sie darauf Natsu zu erreichen und Rocinante wusste nicht was er tun sollte. Er war erschöpft, unsagbar erschöpft. Für Tage hatte er mit der Angst leben müssen, Law verlieren zu können, hatte fast schon befürchtet ihn beinahe zu verlieren und nun war das vorbei, aber der fahle Beigeschmack nahm ihm jedes Glücksgefühl.
Er würde mit Law reden müssen über die Gegenwart und die Zukunft, aber auch das machte ihm Angst. Law hatte nicht weitergedacht als bis zum heutigen Tag und Rocinante wusste nicht weiter.
Er hörte, wie Law sich ungezwungen mit den anderen unterhielt, seine kühle und harsche Art von niemandem missbilligt, und sie über dies und das redeten. Er hörte, wie die anderen Law für sein plötzliches Verschwinden schalten und dafür, wie dumm er gewesen war auf eigene Faust zu handeln.
Wann immer einer der Strohhüte sich an Rocinante wandte lächelte er freundlich und antwortete, hörte sich die Geschichten an, die man ihm erzählte und sagte seine Meinung, wenn man ihn fragte.
Aber hauptsächlich hielt er sich zurück. Er hatte wahrgenommen, wie freundlich sie ihn behandelten, keiner von ihnen schien auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es sein Bruder gewesen war, der so viele schreckliche Dinge getan hatte, gegen den sie gekämpft hatten und der einige ihrer Freunde das Leben gekostet hatte.
Irgendwann wurden die lauten Stimmen vom Heck leiser und Natsu kam in Sicht. Der Schwertkämpfer tauchte wieder auf und belehrte Law wie ein entnervter großer Bruder bis der Smutje ihn damit stoppte, dass sie Law das alles schon gesagt hätten.
Als sie Natsu erreicht hatten verabschiedeten sie sich und die Strohhüte erwähnten, dass sie für ein paar Tage auf Kaikkien Maiden sein würden und sich freuen würden, wenn man sich nochmal sehen würde.
In Stille warteten sie bis das kleine Schiff halb vom Sonnenuntergang verschluckt wurde, ehe sie den Hafen entlanggingen, schweigend die Hand des anderen haltend.
„Cora“, sprach Law dann endlich, als sie den Nebenpfad um das Dorf herum nahmen, „bitte sprich mit mir. Ich mag es nicht, wenn du so still bist.“
Er blieb stehen.
„Cora?“ Law drehte sich zu ihm um.
Ganz langsam spürte er wie sich die Tränen ihren Weg bahnten. Er wollte sich zusammenreißen, wollte, dass es aufhörte, aber er konnte nicht. Wie ein gebrochener Damm brachen die Tränen aus ihm heraus und er stand dort, mitten im Wald, und weinte wie ein kleines Kind.
„Cora“, flüsterte Law.
Er versuchte sich zu beruhigen, aber er konnte es nicht, versuchte zu sprechen, aber seine Stimme brach unter Schluchzern und als Law die Hände nach ihm ausstreckte, sank er in dessen Arme.
Seine Knie gaben nach und sie rutschten zu Boden, wo er in Laws Pullover weinte, der ihn einfach nur hielt und über sein Haar strich.
„Ist schon okay, Cora“, flüsterte er so warm und liebevoll, wie er nur mit Rocinante sprach, „ist schon okay.“
Er versuchte zu Nicken, aber nicht mal dafür wollte ihm sein Körper gehorchen.
„Die letzten Tage waren schlimm, nicht wahr, Cora? Es tut mir leid, dass du all das alleine durchstehen musstest, Sengoku und deinen Bruder alleine aufsuchen musstest, dachtest du hättest mich verloren. Es tut mir leid.“
Er konnte nicht aufhören zu weinen.
„Ist schon okay, Cora. Komm schon, sie mich an.“
Zitternd hob er den Kopf. Law umrahmte sein Gesicht mit beiden Händen und rieb seine Wangen mit beiden Daumen.
„Ich werde nie wieder gehen, Cora. Ich lasse dich nie wieder alleine.“
Und dann lächelte Law.
Epilog
„Was tust du denn da? Du solltest schon längst im Bett sein.“
Er sah auf als Law über die Veranda kam und mit ihm sprach.
„Noch nicht“, murmelte er und sah wieder aufs Meer hinaus.
„Du brauchst dir keine Gedanken mehr zu machen. Der Strohhut hat den Vertrag erfüllt und somit wird…“
„Komm her, Law“, unterbrach er ihn und zog ihn zu sich auf die Treppe hinunter.
Folgsam setzte der andere sich neben ihm.
„Du bist kalt“, murmelte Law und griff nach seinen Händen, „dabei ist es so warm. Wieso ist dir kalt?“
Für eine Sekunde betrachtete er ihrer beiden Hände, Laws tätowierte sonnengebräunte Hand in seiner bleichen, vernarbten.
„Mir ist nur kalt, wenn ich müde bin“, gestand er leise ein.
„Dann solltest du ins Bett gehen“, wiederholte Law. „Es ist mitten in der Nacht und die letzten Tage waren…“
„Ich will sichergehen, dass wir morgen nebeneinander aufwachen, daher will ich warten, bis dieser Tag hier vorbei ist.“
Er deutete auf den Wecker, den er aus seinem Zimmer geholt und zwischen seinen Füßen platziert hatte.
Law schwieg, zog Rocinantes Hand zu sich auf den Schoß und fuhr die vielen kleinen, feinen Narben mit seinem Daumen nach.
„In Ordnung“, meinte er dann und lehnte sich gegen Rocinante, „warten wir bis Mitternacht. Aber dann gehen wir ins Bett; ich bin auch ziemlich müde.“
Eine ganze Weile lang sahen sie in der Stille aufs Meer hinauf.
„Ich sollte eigentlich Frau Paipai anrufen“, bemerkte Rocinante, „sie macht sich mit Sicherheit große Sorgen um uns.“
„Ich werde sie morgen früh anrufen“, entgegnete Law ehe sie wieder schwiegen.
Irgendwann begannen sie dann doch zu sprechen und endlich brach das Eis. Law sprach über all das, was er ihm bisher verschwiegen oder falsch erzählt hatte und Rocinante erzählte ihm von den Tagen seiner Angst und seiner Suche.
Mit jedem Wort lächelten sie mehr und entspannten sich, fingen wieder an miteinander zu reden und auch zu lachen, als endlich die Last der vergangenen Tage von ihnen abfiel.
Gerade erzählte Rocinante davon, wie er verhaftet und verhört worden war, als der Wecker zu seinen Füßen klingelte und sie beide kurz erstarrten.
„Mitternacht“, murmelte Law.
„Nein, eine Minute vor Mitternacht“, entgegnete Rocinante, stellte den Wecker aus und sah den anderen ernst an, ehe er dann doch lächelte, „ich wollte sichergehen, dass…“
„Sag es nicht.“
Law küsste ihn und er drückte den anderen fest an sich, zog ihn in seine Arme, und so bemerkten sie beinahe nicht, dass Mitternacht kam und ging.
„Siehst du? Es ist alles in Ordnung“, bestätigte Law und lächelte ihn an. „Es ist vorbei.“
Rocinante nickte und griff wieder nach Laws Hand.
„Dann wird es jetzt Zeit unsere Zukunft zu planen.“
Law zögerte für einen Moment.
„Okay. Du hast vor Natsu zu verlassen?“
Er nickte.
„Zumindest für eine Weile.“
„Was hast du vor?“
„Ich möchte mit dir zu Sengoku. Ich möchte, dass du ihn ganz offiziell triffst.“
Law schnaubte leise.
„Ich habe ihn schon getroffen, aber nun gut, meinetwegen, ich glaube ich schulde ihm eine Entschuldigung.“
„Keine Sorge, ich glaube nicht, dass er wütend auf dich ist.“
Der andere zuckte nur mit den Schultern.
„Und was dann? Gehen wir dann zu deinem Bruder?“
„Ja, das werden wir, oder zumindest ich. Ich werde dich nicht zwingen ihn zu sehen.“ Er sah Law an. „Aber zuvor möchte ich deine Crewmitglieder kennenlernen und mich bei ihnen bedanken, dass sie all die Zeit auf dich aufgepasst haben.“
Der andere holte tief Luft und nickte dann.
„Ja, ich denke es ist an der Zeit, dass auch ich mich meiner Vergangenheit stelle.“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Aber, um ehrlich zu sein, ich habe Angst. Über drei Jahre habe ich sie nicht mehr gesehen, ich weiß noch nicht mal wie schlimm ihre Verletzungen waren und wie es ihnen jetzt geht. Vielleicht hassen sie mich und es wäre ihr gutes Recht.“
„Das kann sein“, stimmte Rocinante zu, „aber was auch immer passiert. Ich werde bei dir sein.“
Er beugte sich zu dem anderen hinab.
„Ich hab dich lieb, Law.“
Lächelnd strich Law ihm über die Wange.
„Ich liebe dich auch.“
„Sonst noch etwas?“
„Nein, das wäre alles. Vielen Dank, Momo, und eine gute Nacht.“
Hinter ihrem Rücken fiel die Tür ins Schloss. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen und sie freute sich auf ihr Bett.
Bedächtig wandte sie sich um und sah auf die Stelle in der Mitte des Raumes, die jetzt so sauber geputzt war, dass sie im Mondlicht glitzerte, doch vor wenigen Stunden hatte dort noch Ihan gelegen.
Endlich war der Vertrag, der sie gefesselt hatte, wie dieser Mann gefesselt gewesen war, gebrochen. Endlich war sie frei, endlich war er tot. Sie schüttelte den Kopf. Es gab nichts zu bereuen, nicht, dass sie jemand war, der bereuen würde.
Ein frischer Windstoß unterbrach ihre melancholischen Gedanken.
„Welch erwarteter Besuch“, bemerkte sie mit einem Schmunzeln, ohne sich umzudrehen, „ich wusste, dass du kommen würdest.“
„Tze, sicher.“
Nun wandte sie sich doch um.
„Oh doch. Weißt du, die Leute glauben, dass mein Erfolg an meiner Fähigkeit liegt – und damit liegen sie auch nicht ganz falsch – aber in Wahrheit ist nicht meine Teufelskraft meine Überlegenheit, sondern meine Gabe. Ich kann Menschen lesen und weiß was sie begehren. Ich wusste, dass du kommen würdest. Nachdem ich all diese Dinge über deinen Kapitän gesagt habe, wusste ich, dass du gar keine andere Wahl haben würdest.“
Er knallte seinen Tauschgegenstand auf den Tisch und sah sie kalt an.
„Das ist mir egal“, knurrte er, „deswegen bin ich nicht hier.“
Sie betrachtete das Gut auf dem Tisch und sah ihn dann mit hochgezogener Augenbraue an.
„Es ist kein ewiges Leben“, erklärte er mit seiner rauen Stimme, „aber das Nächstbeste. Dafür will ich…“
„Ich weiß, was du willst, mein kleiner, loyaler Krieger.“ Sie schritt auf ihn zu. „Meinetwegen. Lass uns einen Vertag eingehen, mein Lieber.“
Er verzog keine Miene und starrte sie einfach nur schweigsam an.
„Ich denke, es wäre sinnvoll, wenn wir uns gut miteinander stellen würden.“
„Es ist mir egal, was du denkst.“
„Oh, du und ich, wir werden noch viel Spaß miteinander haben.“
„Ich habe nicht vor noch einmal einen Vertrag mit dir einzugehen.“
„Ich weiß“, bemerkte sie und hielt ihm ihre Hand hin, „dass haben sie nie.“
Er schlug ein und sie besiegelten ihren Deal.
Dann wandte er sich zum Gehen.
„Aber lass dir das gesagt sein, mein Lieber, sie alle kommen wieder, früher oder später.“
Kurz sah er sie über seine Schulter hinweg an.
„Na dann, bis später.“
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JoKarter • Am 09.11.2020 um 18:40 Uhr | |||
Der Story-Arc hat mich damals auch schwer beschäftigt und inspiriert , indem was gerade nicht erzählt wurde, wird doch unsere Phantasie zu Hochleistungen getrieben. | ||||
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Kapitel: | 25 | |
Sätze: | 4.003 | |
Wörter: | 74.419 | |
Zeichen: | 427.507 |