Storys > Geschichten > Fantasy > Geisterlichter

Geisterlichter

232
1
20.12.18 12:13
12 Ab 12 Jahren
Heterosexualität
Fertiggestellt

Autorennotiz

Ein kleines Weihnachtsspecial!

Die Charaktere dieser Geschichte entstammen meinem Roman „Der Schleier der Welt“, den ihr beim Bundeslurch-Verlag bestellen könnt. Dabei spielt diese Geschichte allerdings 7 Jahre vor dem ersten Band der Reihe. Vorkenntnis ist daher nicht erforderlich.

bundeslurch-verlag.de/shop/der-schleier-der-welt

 

 

 

Sean schürzte unsicher die Lippen. Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. „Du musst wirklich nicht hier bleiben.“
Sarah erwiderte seinen Blick. Ihre braunen Augen wirkten warm. „Sean.“ Sie schien nicht sicher zu sein, ob sie ihn umarmen sollte oder die Augen verdrehen wollte. Schließlich lächelte sie sanft und streckte sich, um ihn auf die Wange zu küssen. „Das Wetter ist mies. Es wäre unverantwortlich jetzt noch nach Edinburgh zu fahren. Davon abgesehen wäre der Abend doch eh gelaufen.“ Damit ging sie an ihm vorbei zum Herd. Etwas unsicher überprüfte sie das Gas und sah begann dann die Küchenschränke zu öffnen.
Manchmal fragte er sich, womit er sie verdient hatte. Er spürte Wärme in seiner Brust und merkte, wie sich ein Lächeln auf seinen Wangen ausbreitete. In Wahrheit war er dankbar, dass sie hier war. Er wollte dieses Weihnachten nicht allein verbringen. Also ging er zu ihr hinüber. „Was kann ich dir geben?“
„Was habt ihr da? Ich meine, es ist Heiligabend. Du musst doch irgendetwas essen.“
Sean zuckte mit den Schultern. Wieder bemerkte er, wie er sich unwillkürlich über die Lippen leckte. Die Wahrheit war, dass er seit er hier war, meistens nur aufgewärmte Dosengerichte gegessen hatte. Ab und an einen rohen Hasen, den er in Wolfsgestalt gegessen hatte. Es reichte, um nicht zu hungern und viel Geld hatte er ja nicht. Außerdem konnte er kaum seine Eltern um Geld beten.
Leicht beschämt räusperte er sich und ging zum kleinen Vorratszimmer, in dem auch ihr alter und mittlerweile laut brummender Kühlschrank stand. Von allem, was er wusste, hatte das letzte Rudel hier draußen nicht einmal Strom gehabt.
Er öffnete den Kühlschrank, in dem er ein paar Pizzen aufbewahrte.
Er hatte nicht damit gerechnet, dass Sarah hier bleiben wollte. Eigentlich hatte er gedacht, dass sie Abends zu ihren Eltern zurückwollen würde. Es war immerhin Heiligabend. Wie konnte er sie überhaupt hier behalten? Er seufzte und fühlte sich mies.
Das war alles seine Schuld!
„Na ja, ich habe Pizza“, meinte er entschuldigend.
Sie kam zu ihm und lehnte sich gegen ihn, um in das kleine Gefrierfach zu schauen, das anders als der Rest des Kühlschranks gefüllt war. Im Rest fand sich noch etwas Sahne, eine Tupperdose mit Erbsen, ein paar Karotten, Zwiebeln, etwas Brot, Butter und Milch. Er wusste außerdem, dass Tina im Schrank über dem Herd ein paar Kräuter aufbewahrte, deren Namen er nicht kannte. Er wusste nicht mal, ob sie zu mehr als nur Tees taugten.
Sarah seufzte mit gespielter Genervtheit. „Sag einmal, wie hast du es überhaupt geschafft, hier in den letzten Wochen nicht zu verhungern? Das ist doch nicht zu glauben.“
Er zuckte unschlüssig mit den Schultern. Was hatte er auch machen sollen? Seit ihn seine Eltern rausgeworfen hatten … Manchmal hatten Thia, Tina und Matthew ihnen etwas mitgebracht. Er hatte auch ein paar Nächte bei Matthew übernachtet, doch auch wenn er William – Matthews Vater – respektierte, so fühlte er sich länger in seiner Anwesenheit unwohl. Der alte Wolf war streng und hatte viele Erwartungen an seinen Sohn und auch an das Rudel. Er hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er Sean für seine Situation vollkommen selbst verantwortlich machte – womit er nicht Unrecht hatte.
Und so blieb er vorerst hier, wohl wissend, dass es keine dauerhafte Lösung war.
Er musste irgendwann eine eigene Wohnung finden, auch wenn er keine Ahnung hatte, wie er es sich leisten sollte oder wie er einen Job finden sollte. Die meisten normalen Menschen fanden ihm mindestens verdächtig.
Als er nichts erwiderte, seufzte Sarah nur erneut. „Ich schaue mal, was ich machen kann. Habt ihr zumindest Kartoffeln da?“
Er zögerte. „Äh, ja.“ Damit ging er zur Küche zurück, um ihr den Schrank neben dem Herd zu zeigen, in dem ein ganzer Sack Kartoffeln lag.
„Eier?“
Er zeigte auf den anderen Schrank. Auch wenn er sich nicht gänzlich sicher war, ob die Eier noch haltbar waren.
„Okay. Dann bring mir einen Topf und eine Pfanne“, wies sie ihn an und ging zum Herd, um mit diesem zu experimentieren.
Sean wusste, dass es bei ihr zuhause nur einen Elektroherd gab. Wahrscheinlich hatte sie noch nie an einem Gasherd gekocht.
So begann Sarah zu kochen. Sie band sich ihr dunkelblondes Haar zu einem Zopf und tat sicherer, als sie ganz offenbar war. Sie war keine besonders geübte Köchin, aber deutlich besser als er. Zumindest war er nicht auf die Idee gekommen sich selbst etwas zu kochen. Daheim hatte doch meistens seine Mutter für ihn gekocht.
Während sie Kartoffeln kochte, wies sie ihn an, Zwiebeln zu schneiden, die Kartoffeln zu pellen, als diese gewaschen waren und ihr diverse Dingen anzureichen, während sie sich um Topf und Pfanne kümmerte.
Gerade als er am kleinen Küchentisch saß die Kartoffeln schälte, die noch immer heiß waren, ließ ihre Stimme ihn aufsehen. „Sean?“ Ihre Stimme klang fragend und ein wenig ängstlich.
Er hob den Kopf. „Ja?“
Ihr Blick war aus dem Fenster, der über der Spüle war, gerichtet. Ihre Stirn war in Falten gelegt. Sie schien sich nicht sicher zu sein, was sie dachte.
Vorsichtig stand er auf und stellte sich hinter sie. „Was ist?“, fragte er und legte einen Arm um sie. Er folgte ihrem Blick.
„Siehst du das auch?“, fragte sie.
Sean brauchte einen Moment um zu erkennen, wovon sie sprach. Da hinten im Wald, da war ein Licht. Ein kleines, weißlich blaues Licht. „Wahrscheinlich ein Irrlicht“, meinte er. In der Nähe des Häuschens kamen immer wieder einmal Fae durch den Wald. Dabei war nichts besonderes. Die meisten von ihnen, ignorierten sie und machten keine Probleme.
Sarah schien unsicher, nickte aber dann. „Gibt es dir hier draußen öfter?“
„Ja. Aber mach dir keine Sorgen. Das sind nur einfache Fae. Sie tun nichts.“ Er umarmte sie zärtlich und küsste sie von hinten auf die Wange. „Fae sind meistens harmlos.“
Für einen Augenblick schwieg Sarah. Sie schien zu schlucken, nickte dann aber. „Okay.“ Dann seufzte sie. „Sorry. Dieser Kram … Wirkt auf mich halt immer noch etwas komisch.“
Sean lächelte. „Hey, mach dir keine Gedanken deswegen.“ Er seufzte. „Das Zeug ist komisch. Es macht keinen Sinn.“ Noch einmal seufzte er und kam sich dabei albern vor. „Ich bin daran halt nur gewöhnt.“
Sarah nickte und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Pfanne zu, in der die Butter mittlerweile geschmolzen war und angefangen hatte zu brutzeln.
Nach einer Minute verschwand das Licht und der Wald lag wieder dunkel vor dem Fenster. Eine dünne Schneeschicht bedeckte den Boden, aber nicht genug, als dass man wirklich von einer weißen Weihnacht hätte sprechen können. Überall schauten Grasbüscheln, gefallene Blätter und Äste aus dem glitzernden Weiß hervor.
Während Sarah die Zwiebeln anbriet, die Kartoffeln in die Pfanne schnitt, Mehl und Butter im Topf anschwitzte, später noch die Erbsen darin kochte und zuletzt noch Ei unter die Bratkartoffeln mischte, war im Wald nichts mehr zu sehen. Keine Lichter, keine Bewegung, nur Stille. Wie man es im Wald vor einem „Werwolfsbau“ erwarten würde.
„Magst du den Tisch decken?“, fragte Sarah.
„Klar.“ Er ging in das Esszimmer, das neben der Küche lag, und kramte Geschirr aus dem kleinen Schrank dort hervor. Das Geschirr war früher sicher einmal Wertvoll gewesen. Es war aus Porzelan und teilweise sogar kunstvoll mit grünen Bildern bemalt, doch mindestens drei Generationen Werwölfe hatten es in Mitleidenschaft gezogen. Es zeigte mehrere Risse und an einigen Stellen waren Ecken ausgeschlagen.
Dennoch gab sich Sean Mühe, Teller und Gläser halbwegs ordentlich auf den Esstisch, der gut drei Mal so groß wie der Küchentisch war, zu stellen. Nach einiger Suche fand er auch noch einen Kerzenständer und Kerzen im Wohnzimmer.
„Du gibst dir ja richtig Mühe“, meinte Sarah lächelnd, als sie Topf und Pfanne rüberbrachte. „Hast du Untersetzer?“
„Das ist doch das mindeste, was ich tun kann.“ Er ging erneut zum kleinen Schrank hinüber und schaute. Untersetzer gab es nicht. Dafür aber Geschirrtücher, die die Aufgabe nach mehrfachen Falten auch übernehmen konnten. „Es tut mir leid, dass es nicht mal einen Baum oder so etwas gibt.“
„Das ist doch nicht schlimm.“ Sie lächelte ihn an und legte ihre Hand auf die seine. „Ist doch egal.“
Nein, war es nicht. Doch er wollte darüber keinen Streit anfangen. Wenn er jetzt mit ihr Stritt, wusste er nicht, ob er seine Wut unter Kontrolle behalten würde und er wollte auf keinen Fall, dass ihm ihr gegenüber so etwas geschah, wie mit seinem Vater. Er seufzte stattdessen leise. „Du bist super, weißt du das?“
Sie lächelte verlegen. „Ich gebe mir Mühe.“
„Ich meine es“, versicherte er.
Daraufhin beugte sie sich zu ihm hinüber und küsste ihn sanft auf die Lippen. „Ich weiß.“

Zwei Stunden später, nachdem sie gegessen und danach abgespült hatten, hatten sie es sich mit einem alten Fell und mehreren Decken vor dem Kamin bequem gemacht. Sie hatten auch Betten, in dem kleinen Häuschen, doch keins von diesen war besonders breit. Sie boten einfach nicht genug Platz für sie beide – davon abgesehen, dass der Kamin die einzige Heizmöglichkeit im Raum war.
Das Wohnzimmer, in dem es noch ein Sofa gab, das im Erker unter dem Fenster stand und im Notfall auch Platz für eine Person zum Schlafen bot, sowie zwei Stühle, einen kleinen Runden Tisch und ein mitgenommenes Bücherregal, was der größte Raum im kleinen Haus. Da es außerdem – zumindest seit der Anbau mit dem Badezimmer hinzugekommen war – die wenigste Außenwand im Verhältnis zum Raum hatte, war es verhältnismäßig gut isoliert.
Wäre das Feuer nicht gewesen, wäre das Zimmer dunkel gewesen.
Sarah, die ihren Kopf halb auf seinem Arm gebettet hatte, sah in die Flammen. Sie schien bereits im Halbschlaf zu sein.
Noch immer fühlte Sean sich schlecht, dass sie hier mit ihm war. Sie sollte bei ihrer Familie sein. Es war Weihnachten und es war schlimm genug, dass er niemanden hatte, mit dem er feiern konnte. Außer ihr.
Sie ließ ein leises Seufzen hören. „Glaubst du, du kannst mit deinen Eltern sprechen?“, flüsterte sie und ließ ihn damit aus seinen Gedanken aufschrecken.
Er verzog den Mund, auch wenn sie es nicht sah. „Nein.“ Es war besser, wie es war. Er konnte nicht zulassen, dass so etwas noch einmal geschah. Und sein Vater machte ihn immer wieder wütend.
„Ich würde mitkommen“, bot sie an.
Nun war es Sean, der seufzte. „Du musst dir darüber keine Gedanken machen.“ Auch wenn das leichter gesagt, als getan war.
Sie kuschelte sich etwas enger an ihn heran und schwieg.
Wieder herrschte Stille, durchbrochen nur vom Knistern des Feuers und vom Heulen des Windes im Waldes. Irgendwann driftete er in einen wohligen Halbschlaf.
„Sean!“, riss Sarahs Stimme ihn aus dem Schlaf.
Er blinzelte und sah sich um. Das Feuer war mittlerweile heruntergebrannt und das Zimmer war beinahe komplett finster. Wäre er kein Werwolf gewesen, so wäre die Dunkelheit kaum durchdringbar gewesen. Doch registrierte er ihren schnellen Herzschlag und die Anspannung in ihrer Stimme. „Was ist los?“
Sie wirkte unsicher. Ihre Augen wanderten zur Seite. „Da draußen ist etwas.“ Bei diesen Worten schien sie bemüht ihre Stimme ruhig klingen zu lassen, auch wenn etwas Unsicherheit dennoch in ihrem Ton mitklang. Sie wollte nicht wie ein Angsthase wirken.
Er sah in die Richtung des Erkers, der rechts neben dem Kamin lag. Hier war das einzige Fenster des Raumes. Da die kleine Jagdhütte weit draußen im Wald war, weit ab von den üblichen Wanderwegen und weit ab von anderer Leute Augen, gab es nicht einmal Jalosien oder Vorhänge. Sein erster Instinkt war, sie zu beruhigen. Da war nichts ungewöhnliches, doch für jemanden, der noch nie hier draußen übernachtet hatte, konnte das Heulen des Windes und das Knarzen des Waldes unheimlich klingen.
Er wollte nicht auf sie herabreden. Wie konnte er sie beruhigen?
Da knarzte ein Baum. Wahrscheinlich Schnee, der auf die Äste drückte.
Er hielt inne, lauschte noch weiter. Er setzte an: „Wahrscheinlich ist es nur …“ Doch dann hörte er etwas, das ihn unterbrechen ließ. Ein Klopfen. Drei dumpfe Schläge gegen Holz. Eins. Zwei. Drei. Gefolgt von einem pfeifenden Atemzug.
„Was war das?“, fragte Sarah.
Sean schlug die Decken zur Seite, unter denen sie gelegen hatten. Er sah sich um und schnüffelte. Nicht, dass er besonders gut darin war, Dinge aufzuspüren. Matthew und Thia waren darin immer besser gewesen als er.
Es konnte kein Geist sein. Das Haus war magisch geschützt. Geister konnten sich hier nicht niederlassen. Nichts konnte ungebeten hier herein kommen, was nur die Annahme zuließ, dass die Geräusche von draußen kamen. Doch Geister, zumindest Gespenster, waren selten geneigt, einfach in einem Wald zu spuken. Auch Poltergeister und andere dämonische Wesen bevorzugten bewohnte Gebäude oder andere Orte, an denen Menschen zumindest einmal gelebt hatten.
Ein Licht schien von draußen durch das Fenster. Ein bläulich schimmerndes Licht.
„Sean?“, fragte Sarah leise.
Er runzelte die Stirn. War es das Irrlicht von vorher? Nein. Irrlichter klopften nicht. Klopfen ging mit dämonischen Wesen einher oder mit jenen Fae, die zu Streichen aufgelegt waren und daher Dämonen imitierten.
„Es ist wahrscheinlich ein Fae“, sagte er.
Sie sah ihn unsicher an. „Kommt so etwas öfter vor?“ Es war aus ihrer Stimme deutlich zu hören, dass sie auf ein „Ja, mach dir keine Sorgen, die sind halt so“ als Antwort hoffte.
Doch Sean wollte nicht lügen. Er wollte sie aber auch nicht weiter beunruhigen. „Manchmal.“ Er ging zur Tür hinüber, um den alten Lichtschalter umzulegen.
Nichts geschah.
Oh, verdammt.
Er schloss die Augen und zählte innerlich bis zehn. Wut ballte sich in seinem Magen zusammen, doch er durfte diese nicht herauslassen. Er würde Sarah verletzen. Vielleicht war es nur ein Problem mit dem Anschluss. Es war nicht leicht gewesen, hier draußen überhaupt Strom zu bekommen. Es kam öfter vor, dass die Dinge nicht so funktionierten, wie sie sollten.
Noch immer war warme Glut im Kamin. Hoffentlich genug, um nachlegen zu können. Also kniete er sich an den Kamin.
„Ist das auch der Fae?“, fragte Sarah unsicher und rückte näher an ihn heran.
„Vielleicht. Vielleicht nur ein technisches Problem.“ Er legte Holz nach und stocherte dann mit dem Schürhaken in der Glut, um das Feuer wieder zu entfachen. Es dauerte eine Weile, bis die ersten Flammen um die Holzscheite züngelten.
Ein erneutes Klopfen erklang. Dieses Mal schien es, als käme es vom Esszimmer. Eventuell konnte Sarah es nicht einmal hören.
Wahrscheinlich schlich das Wesen, was auch immer es war, um das Haus herum. Sollte er nachschauen gehen? Vielleicht war es besser. Das letzte, was er gebrauchen konnte, war, dass sich eine Fee an seinem Wagen vergriff.
„Sean, red mit mir“, flüsterte Sarah.
„Ich werde nachschauen gehen“, meinte er. „Und den Generator anschmeißen.“ Immerhin stand im Hinterraum der Garage ein alter Dieselgenerator mit genug Treibstoff, um zumindest über die Nacht zu reichen.
Sarah sah für einen Moment in die Flammen. „Soll ich mitkommen?“
„Du bist hier drin sicher“, antwortete er, wohl verstehend, was sie eigentlich fragte. „Das Haus ist magisch geschützt. Hier kann nichts passieren.“ Es war wahrscheinlich ohnehin nur ein dummer Streich. Er lächelte aufmunternd und küsste sie auf die Stirn. „Vertrau mir.“
„Das sagen sie in Horrorfilmen immer, bevor sie etwas dummes machen und später von ihren Freunden aufgespießt im Wald gefunden werden.“ Sie sah ihn missmutig an, die braunen Augen besorgt.
„Die meisten Leute in Horrorfilmen, sind selbst keine Monster“, erwiderte er lächelnd und richtete sich auf.
Er trug nur Boxershorts und T-Shirt – was keine gute Grundlage war, um in den Schnee hinaus zu gehen. Für einen Moment hielt er inne und überlegte. Dann ging er zur Tür und in den Flur hinaus, wo er sich erlaubte, dem inneren Stürmen etwas nachzugeben. Er ließ den Wolf genug Freiraum, als dass Fell seine Züge bedeckte. Er merkte, wie sich sein Körper verformte. Immerhin ein Trick, den er halbwegs beherrschte.
Im Körper, der halb Wolf, halb Mensch war, und durch dichtes Fell vor der Kälte geschützt, öffnete er das Schloss an der Tür, dann die Tür selbst. Schnauze voran streckte er sich aus der Tür. Er knurrte. Vielleicht reichte das ja, um einen etwaigen Fae zu verschrecken.
Die meisten, die Streiche spielten, mieden physische Konfrontationen.
Er hörte nichts, außer die üblichen Waldgeräusche. Noch einmal schnüffelte er, roch aber nichts außer Schnee. Und so ging er hinauf, spürte den Schnee unter den Füßen, die halb zu Pfoten verformt waren.
Gerne hätte er gerufen, doch war er nicht fähig, in dieser Gestalt zu sprechen. Also knurrte er erneut und richtete die Augen auf den Wald.
Da war nichts. Nichts zu sehen, nichts zu hören. Nichts.
Er schloss die Tür. Brummend ging er auf alle Viere und rannte um das Haus herum. Ein Mal. Zwei Mal. Da war nichts. Keine Spur. Irgendetwas musste da sein. Während das Klopfen sich noch anders erklären ließ: Das Licht musste eine Quelle gehabt haben.
Noch einmal sah er sich um, entdeckte aber nichts.
Schließlich ging er in die Garage, wo nur sein Wagen – ein alter, schwarzer () – stand. Er schnüffelte, um sicher zu gehen, dass sich nichts bei seinem Wagen versteckte. Doch nichts roch ungewöhnlich.
Also fischte er den Schlüssel für den Hinterraum Hinter den angesammelten Holzscheiten hervor und steckte ihn in das Schloss. Er zögerte. Später sollte er den Schlüssel besser mit reinnehmen. Er konnte nicht riskieren, dass sich jemand – oder etwas – am Benzin verging.
Er stieß die Tür auf und ging in den kleinen Raum, der kaum mehr als ein Holzverschlag war. Hier standen einige Kanister mit Benzin und ein Generator, der vom letzten Rudel vor ihnen angeschafft worden war.
Für seine Werwolfaugen reichte das schwache atmosphärische Licht, das vom Schnee reflektiert wurde, um selbst hier noch etwas zu sehen.
Er füllte drei der Kanister in den Tank und machte sich dann daran, den Generator zu starten. Wie immer bei der Kälte brauchte er mehrere Versuche, bei denen der Generator zwar stotterte, jedoch nicht zu laufen begann.
Ein weiteres Klopfen.
Sean knurrte. Er hasste das Gefühl, dass jemand einen Spaß zu seinen Kosten trieb. Wenn er diesen Fae oder was auch immer es war in die Klauen bekommen würde …
Er versuchte erneut den Motor zu starten. Wieder nur ein Stottern.
Drecksteil! Er trat dagegen, gerade noch beherrscht genug, um kein Loch in die äußere Wand des Tanks zu treten.
Dann versuchte er es erneut und endlich, ja, endlich begann der Generator zu surren.
Ein Klappern. Einige der Holzscheite in der Garage waren zu Boden gefallen. Dann folgte ein Laut. Ein Kichern. Verspielt. Amüsiert.
Unwillkürlich sträubte Sean sein Fell und sprang aus dem Verschlag hervor. Er sah sich in der Garage um, doch erneut war da nichts, außer sechs Scheite, die auf dem Boden lagen. Ganz, als wären sie schon immer dort gewesen.
„Zeige dich!“ Das hätte er am liebsten gebrüllt, doch stattdessen ließ er ein knurrendes Bellen hören. Er sprang aus der Garage hervor und dann auf das Dach der Gerade herauf. Wer auch immer das war, wer auch immer …
Ein Klopfen, dieses Mal von unter ihm. Wer auch immer es war: Er trieb eindeutig seinen Spaß mit ihm.
Sean zog die Lefzen hoch und spannte sich an. So leicht würde er sich nicht verarschen lassen. Er würde denjenigen zu packen bekommen, würde ihn zerreißen. Dann würde derjenige schon sehen, was er davon hatte, sich mit einem Werwolf anzulegen.
Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Dann hörte er etwas. Leise, sehr leise. Das Geräusch von Stoff, der leicht über den Schnee schleifte. Es kam von schräg unter ihm. Vorm Haus. Dann ein erneutes Klopfen und Sarahs Stimme, die aus dem Wohnzimmer heraus klang: „Sean?“
Vorsichtig kletterte er auf das Dach der kleinen Hütte. Seine Bewegungen waren geschmeidig und dankbarer Weise war die Schneeschicht auf dem Dach so dünn, dass er keine Schneebrocken aus ihr löste. Auf allen vieren kletterte er nach vorne, gerade als ein kleines, vielleicht Faustgroßes Licht in den Wald hinein huschte.
So leicht würde es ihm nicht davon kommen!
Er stieß sich vom Dach ab, landete im Schnee und setzte dem Licht hinterher. Die Hybridgestalt war groß, erlaubte es ihm weite Sprünge zu machen und das Licht innerhalb von einer, vielleicht zwei Sekunden einzuholen. Er holte mit seiner Klaue aus und schlug danach.
Ein spitzer, hoher Schrei erklang, als ein kleines Männchen sichtbar wurde und auf das knappe Stück Wiese, das die Hütte umgab, flog.
Das Männchen war vielleicht einen Meter groß. Wahrscheinlich nicht ganz. Es trug eine dunkle Kutte und hatte unnatürlich lange Arme, die unter dieser hervorschauten. Sein Haar war licht, sein Gesicht wirkte alt und verschlagen. Die Augen glühten violett.
„Was glaubst du eigentlich, was du da machst, Wolf!“ Es sprang auf und schlug den Schnee von seiner Kleidung. Es war unverletzt. Wahrscheinlich hatte es gezaubert, um sich zu schützen.
Sean konnte nicht antworten, knurrte nur. Das Wesen war fraglos ein Fae. Ein Fae, dass ihm einen Streich gespielt hatte. Ein Fae, der Sarah Angst gemacht hatte. Ein Fae, der auf ihrem Land war.
Er spannte die Lechzen an, zeigte seine Zähne und sprang auf den Mann zu, der erschrocken aufschrie und eilig versuchte im Wald zu verschwinden.
Er war schnell und schien über dem Schnee zu schweben, doch konnte er mit den Reflexen eines Werwolfs nicht mithalten. Auf halben Weg zum Wald bekam Sean den Umhang zu fassen und presste den Mann mit der Klaue auf die Wiese. Er knurrte. Jetzt hatte er ihn.
„Tu' mir nichts. Tu' mir nichts“, jammerte der Mann mit fiepsiger Stimme. „Ich habe mir nur einen Scherz erlaubt, ehrlich. Ich habe euch hier gesehen, in einem Haus und …“
Etwas traf Seans Rücken, verbrannte ihn. Kleine blaue Irrlichter tanzten um ihn herum – offenbar ein Zauber.
Glaubte das Männchen wirklich, dass er damit einen Werwolf besiegen konnte? Der Zauber würde verschwinden, wenn der Mann tot war. Und das schien dieser auch jetzt zu begreifen, als Sean die Klauen in seine Kehle bohrte.
„Sean!“, erklang eine Stimme. Sarah. Die Stimme klang nicht durch die Wände des Hauses oder die Tür, sondern schallte über die Wiese.
Etwas regte sich in ihm.
Er wollte diesem kleinen Männchen, das versucht hatte ihn zum Narren zu halten, die Kehle ausreißen. Er wollte … Doch er hielt inne.
Mühsam drehte er den Kopf und sah zu Sarah, die in ihrem hellen Nachthemd und mit übergezogenen Schlappen in der Tür stand und zu ihm hinübersah. Sie wirkte unsicher. Schien Angst zu haben. Angst vor dem Männchen oder Angst vor ihm?
Er schnaubte. Dann knurrte er das Männchen an, ließ es aber los.
Es blutete am Hals und schien für einen Moment wie erstarrt. Dann aber verschwamm seine Gestalt. Es schien zu verschwinden. Ein Unsichtbarkeitszauber, fraglos.
So gern hätte er es zerrissen. Doch Sarah konnte ihn nicht so sehen.
Er atmete ein. Er atmete aus. Er unterdrückte das innere Tier, den Wolf und spürte seine Gestalt schrumpfen. Die Kälte biss ohne das Fell in seine Haut.
Noch einmal atmete er tief durch. Dann stand er auf. Der Schnee biss in seine Füße.
Mit einem wütenden Schnauben wandte er sich dem Wald zu. „Lass dich hier nicht noch einmal blicken, hörst du?“, brüllte er. „Das nächste Mal mache ich Ernst.“
„Sean.“ Sarah kam unsicher ein paar Schritte auf ihn zu, als er sich zu ihr umdrehte.
Er ging zu ihr, schloss die Augen und lehnte sich gegen sie. Er wollte ihr doch keine Angst machen. Er wollte nicht, dass sie ihn als Monster sah.
Sarah strich über seinen Rücken. „Was war das?“, fragte sie.
Er brauchte eine Weile, um sich genug zu sammeln, als dass er sprechen konnte. Er stand nur da, atmete, sog ihren vertrauten Geruch ein. „Ich weiß nicht. Ein Fae. Vielleicht ein Kobold.“
Für einen Moment schwieg Sarah. „Warum hat er das gemacht?“
„Ich weiß nicht“, murmelte Sean und legte die Arme um sie. „Vielleicht einfach nur ein Streich. Manche Kobolde sind so. Vielleicht … Keine Ahnung. Stört er sich, dass wir da sind. Vielleicht meint er auch, dass wir ihm was Schulden.“
Kurz überlegte Sarah. „Du meinst Milch und Brot?“ Natürlich hatte sie zumindest die Geschichten gehört.
„Zum Beispiel.“ Er brummte. Er spürte, dass sie zu zittern begann. „Lass uns reingehen.“
Sie nickte und löste sich von ihm. „Sollten wir ihm nicht dann einfach etwas hinstellen? Milch, Brot? Ich meine, es kann doch nicht schaden, oder?“
Sean seufzte. Natürlich konnte es nicht schaden. Doch sie waren das Rudel, das hier lebte. Wenn sie einem Fae nachgaben, was würde dann als nächstes passieren? Würden die Feen ihnen dann auf der Nase rumtanzen? „Und dann?“
„Dann nichts“, meinte sie und atmete erleichtert auf, als sie die Tür erreichten. Sie war nur angelehnt. „Sean, sie es doch so. Es ist Weihnachten.“
Sie gingen ins Haus, traten in den holzvertäfelten Flur. Seine Füße schmerzten vor Kälte. Er hielt inne. „Ja“, seufzte er dann. „Vielleicht hast du Recht.“ Er wollte kein Monster sein.
Sarah lächelte. Noch immer zitterte sie. Noch immer kroch Gänsehaut über ihren Körper.
Sean machte das Licht an. Jetzt funktionierte es – dem Generator sei dank. Das hieß, sie sollten auch warmes Wasser haben. „Vielleicht sollten wir erst warm duschen.“
Sie sah ihn an, schien ihn zu mustern. „Ach, lass uns erst etwas rausstellen. Es spart uns nur weiteren Ärger.“ Damit schlüpfte sie aus den offenen Schuhen und ging in die Küche. Sie machte doch immer, was sie wollte.
Als er ihr folgte, sah er, wie sie etwas Milch in einen kleinen Topf gab. Während sie darauf wartete, dass die Milch warm wurde, schlug sie die Arme um sich, schien zu frieren.
Er seufzte. „Komm.“ Damit stellte er sich hinter sie und zog sie an sich. Auch er war unterkühlt, würde jedoch bald wieder warm werden.
Sarah schwieg. Sie sah auf den kleinen Milchtopf auf dem Herd und zögerte. „Hättest du ihn umgebracht?“
Was sollte er denn darauf sagen? Sollte er lügen? Er holte tief Luft. „Ja.“
„Warum?“
„Weil …“ Es war schwer zu erklären. „Ich kann es mir nicht leisten, dass mich ein kleiner Kobold verarscht.“ Was würden die anderen Werwölfe denn sagen? Es würde seinen Ruf nur noch weiter herunterziehen.
„Aber wenn es nur ein Streich war …“
„Er hat dir Angst gemacht“, murmelte er und vergrub seine Nase in ihrem Haar.
Wieder seufzte Sarah. „Es ist aber schon gut. Er hat mir ja nichts getan.“
Was sollte er dazu noch sagen? „Ja …“
Sie drehte sich zu ihm um und küsste ihn. Dann sah sie ihn an. Unsicherheit lag in ihrem Blick, aber auch etwas Mitleid.
Er hasste Mitleid.
„Sean“, flüsterte sie. „Es ist schon gut.“
Vielleicht hatte sie Recht. Vielleicht betrachtete er all das falsch. Vielleicht … Er lehnte seine Stirn gegen die ihre und erlaubte sich, für einen Moment ihre Nähe zu genießen. Dann seufzte er schwer. „Okay.“ Er zwang sich zu einem Lächeln. „Dann lass uns die Milch rausstellen und dann …“
„Dann eine warme Dusche“, meinte sie und küsste ihn noch einmal. „Wenn du magst, kannst du mitkommen.“
Dieses Angebot ließ sein Lächeln aufrichtig werden. „Was für eine Frage“, meinte er, lachte leise und küsste sie dann seinerseits. Dann holte er noch einmal tief Luft. „Danke, dass du hier bist. Wirklich.“

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

1
Elenyafinwes Profilbild
Elenyafinwe
M
Am 10.01.2019 um 21:09 Uhr
Hallo,
mir hat deine kleine und wirklich sehr weihnachtliche Geschichte sehr gut gefallen! :) Es passt natürlich sehr zur weihnachtlichen Zeit, dass sie dem Kobold am Ende eine kleine Leckerei mit auf den Weg gegeben haben. Ich frage mich, ob daraus vielleicht mehr erwachsen ist in späteren Zeiten.
Man merkt, dass die Geschichte im Kontext einer größeren Geschichte steht, sie steht aber gut für sich allein, finde ich. Das bringt auch gleich mit sich, dass die Figuren mehr sind als nur das, was hier präsentiert wird, und über die Kurzgeschichte hinweg existieren.
Du hast einen sehr einfühlsamen Schreibstil, der schön auf die Befindlichkeiten der Protagonisten eingeht. (Und da wir Weihnachten 2018 auch keinen Baum hatten, kann ich das auch noch sehr gut nachfühlen.)
Alles in allem lesenswert!
lg Auctrix
Mehr anzeigen
NelaNequins Profilbild
NelaNequin (Autor)Am 12.01.2019 um 18:00 Uhr
Vielen lieben Dank für deinen Kommentar :)

Autor

NelaNequins Profilbild NelaNequin

Bewertung

Eine Bewertung

Statistik

Sätze: 418
Wörter: 4.731
Zeichen: 26.759

Kurzbeschreibung

Seit seine Eltern Sean rausgeworfen haben, lebt er in der Jagdhütte seines Rudels. Da seine Freunde die Feiertage bei ihren Familien verbringen, sieht er einem einsamen Weihnachtsfest entgegen, doch er hat die Rechnung nicht mit Sarah gemacht. Sarah lässt es sich nicht nehmen ihn zu besuchen, ihm Gesellschaft zu leisten. Sarah lässt es sich nicht nehmen, die Weihnachtsnacht mit ihm zu verbringen. Doch was ein romantischer Abend hätte werden können, nimmt eine unvorhergesehene Wendung, als seltsame Lichter im Wald erscheinen und eine seltsame Gestalt ihr Unwesen treibt ...

Kategorisierung

Diese Story wird neben Fantasy auch im Genre Liebe gelistet.