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Der Weiße Falke

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28.10.23 18:33
12 Ab 12 Jahren
Heterosexualität
Fertiggestellt

Als in Hannai Faron der Großartige, der letzte Nachkomme der Goldenen Könige, gerade das zwölfte Jahr seiner Regierung begonnen hatte, trafen sich die Oshey-Stämme an einem geheimen Ort in der Wüste, um unter ihren Fürsten wie jedes Jahr einen zu wählen, der sie führen sollte. Die Ältesten und Fürsten der dreißig Stämme berieten sich fünf Tage und am sechsten Tag verkündeten sie, daß sie Hermil Tashrany zu ihrem Führer durch das Jahr des Falken gewählt hatten. Alle sahen das als gutes Zeichen, denn das Wappen der Tashrany ist ein auffliegender Falke und der Fürst der Tashrany war bei allen Stämmen als furchtlos und ehrenhaft im Krieg und als weise und fromm in den Dingen des Friedens bekannt. Die anderen Fürsten huldigten Hermil Tashrany und beschenkten ihn und schworen ihm Treue für das Jahr seiner Führung.

Am Abend des sechsten Tages jedoch fiel ein leuchtender Stern vom Himmel herab und verwandelte sich in einen großen Falken mit blendend weißem Gefieder und goldenen Augen. Der setzte sich auf den dargebotenen Arm des Fürsten der Fürsten, tat den Schnabel auf und sprach: "Du, der du über das Jahr des Falken herrschen wirst und den Falken in deinem Wappen trägst, höre meine Worte. Ich bin ein Sendbote der Götter und bringe dir ihre Botschaft, die lautet: FALKE DER WÜSTE, FÜHRE DIE SÖHNE DER GOLDENEN STADT ZURÜCK AUF DEN WAHREN WEG DEN DIE GÖTTER IHNEN EINST WIESEN. UND NIMM DIES ALS ZEICHEN UNSERES BUNDES." Da fiel aus dem Schnabel des Falken ein rot funkelnder Edelstein in den Sand, so groß wie die Faust eines Mannes.

Als aller Augen sich dem leuchtenden Edelstein zuwandten, flüsterte der Falke Hermil Tashrany, dem Fürsten der Fürsten, einige Worte zu und fuhr laut fort: "Wenn du aber diese geheimen Worte aussprichst und dabei diesen Edelstein, den ich dir von den Göttern brachte, in den Händen hältst, so werden die Götter dir in allen ehrenhaften Unternehmungen zur Hilfe kommen." Dann erhob sich der weiße Falke mit rauschenden Flügeln in den dunklen Himmel und verschwand zwischen den Sternen.

Die Ältesten und Fürsten aber, die die Worte des Falken gehört hatten, waren darüber sehr verwundert und fragten einander, was sie bedeuten mochten. Da trat einer der Ältesten vor und sagte: "Was die Götter dir brachten, Hermil Tashrany, ist das Zeichen der Königswürde der Goldenen Stadt. Wenn dir dieser heilige Edelstein seinen Beistand gewährt, kannst du sicher sein, zu Recht Anspruch auf den Goldenen Thron Hannais zu erheben. Laß mich dir die Geschichte eines Edelsteins erzählen, der das Herz Hannais genannt wird", bat der Alte und Hermil Tashrany nickte. So wurden Kissen und Tee gebracht und die Ältesten und Fürsten ließen sich nieder, um den Worten des alten Mannes volle Aufmerksamkeit schenken zu können.

*

"DIE GESCHICHTE VOM HERZ HANNAIS",

begann der Alte, "trug sich zu vor sehr langer Zeit. Kurz nachdem der Ungenannte die Erde aus Amas Fluten gehoben hatte, lebte ein junger Mann namens Hannai am Rande der Wüste. Er verrichtete täglich seine Gebete und lebte streng nach den Geboten der Götter, und er studierte die Schriften der Weisen und Heiligen. Man brachte ihm, was er zum Leben brauchte als Dank dafür, daß er den Leuten in den nahegelegenen Dörfern und den Fremden, die zu ihm kamen, Ratschläge in Glaubensfragen gab. Der Ruf seiner Gelehrsamkeit war sogar bis zum König von Berresh gedrungen und auch die Oshey wandert zu ihm, um seinen Rat einzuholen.

Die Götter sahen seinen Lebenswandel mit Wohlgefallen, Chelem jedoch, der stets das Verderben der Menschen sucht, wollte diesen frommen Einsiedler vom Wahren Weg abbringen und so den Göttern seine Macht, selbst über ihre treusten Diener, zeigen. So schickte er einen seiner Dämonen an den Rand der Wüste, dorthin, wo Hannai lebte, um den Einsiedler von seinem Glauben abzubringen. Und der Dämon kam zu dem Einsiedler und sprach so zu ihm: "Ich habe gehört, daß ihr sehr fromm seid. Doch habt ihr jemals von den Göttern etwas für eure Treue erhalten? Ich an eurer Stelle hätte mich längst von diesen undankbaren Göttern abgewandt, die durch ihre Regeln Unbequemlichkeiten bereiten, jedoch keinen Nutzen bringen. Angeblich ist ihre Macht unendlich groß, doch sie können euch nicht einmal eine Frau schicken, die euch versorgt und Kinder gebärt. Wenn ihr jedoch den Herrn verehrt, dem ich diene, so wird er sich für jeden noch so kleinen Dienst dankbar und erkenntlich erweisen und ihr könnt unter den schönsten seiner Dienerinnen eine für euch erwählen."

Da sagte der Einsiedler: "Dein Herr ist der Dämonenfürst, der immer versucht, die Menschen von ihrem Glauben abzubringen, um so ihrer Seelen habhaft werden zu können. Und dann macht er seine seelenlosen Sklaven aus ihnen, ihm ganz und gar verfallen. Niemals werde ich mit einer solchen zusammenliegen und nicht einmal dir länger zuhören, denn mit jedem deiner Worte lästerst du den Göttern, deren Gesetzen du selbst vielleicht einmal gehorchtest, bevor du dem verderblichen Zauber der Dämonen Chelems verfallen bist!"

Da schrie der Dämon auf, weil er plötzlich an sein früheres Menschsein erinnert worden war und den Verlust seiner Seele als unheilbare Wunde zu spüren begann, und er verschwand aus dem Hause des Einsiedlers. Hannai jedoch erinnerte sich an die Worte des Dämonen und obwohl sein Glaube unerschütterlich war, sehnte er sich doch schon lange nach einer Frau. Denn es heißt in den Schriften ZEUGE KINDER, AUF DAS SIE DEIN WERK FORTFÜHREN. Und so betete Hannai zu den Göttern, ihm eine Frau zu schicken, ebenso standhaft im Glauben wie er selbst, die die Mutter seiner Kinder werden sollte, auf daß auch seine Kinder niemals den Wahren Weg verließen.

Die Götter hörten sein Gebet und Orem, der Herr der Nacht, sprach: "Ich will ihm eine Unirdische schicken und ihn so für seine Treue belohnen." So kam es, daß mit Einbruch der Nacht, als Orem seinen sternenbesetzten Mantel über die Welt gebreitet hatte, eine junge Frau von außerordentlicher Schönheit, mit dem silbrig glänzenden Haar und den goldenen Augen der Unirdischen, das Haus Hannais erreichte. Der Einsiedler ließ die Frau herein, und als er sie im Licht seiner Lampe sah rief er aus: "Meine Gebete sind erhört worden! Götter, ich danke Euch und niemals wird meine Treue zu Euch schwanken!"
Und so wurde eine Unirdische die Mutter von Hannais Kinder, die alle von der gleichen Frömmigkeit durchdrungen waren, die auch ihren Vater auszeichnete. Und Hannai unterwies sie in den Geboten der Götter und in den Schriften der Weisen und Heiligen.

Als einige Jahre vergangen waren, sandte Chelem jedoch erneut einen Dämon aus, Hannai vom Wahren Weg abzubringen. Der Dämon trat vor den weisen Mann hin und sagte: "Ihr seid ein Mann von höchster Gelehrsamkeit und Weisheit, was von aller Welt anerkannt wird. Doch eure Götter haben euch wohl vergessen, daß ihr in einer solch armseligen Hütte euer Leben fristet. Ihr, als der Verkünder ihrer Worte, solltet in einem Palast leben. Würdet ihr jedoch den Herrn verehren, dem ich diene, würdet ihr einen solch prachtvollen Palast besitzen, daß keine sterbliche Zunge seinen Reichtum und seine Schönheit besingen könnte."

Da sprach Hannai: "Dein Herr ist der Dämonenfürst. Und was würden mir alle Reichtümer der Welt in Chelems Reich nützen, denn dort scheint keine Sonne, in deren Licht das Gold funkelt und die Edelsteine blitzen. Dort ist Reichtum so wertlos wie Sand." Da schrie der Dämon auf, denn diese Worte zeigten ihm, daß die Reichtümer, die er in seinem Dienst für Chelem zusammengerafft hatte, stumpf wie Blei waren und jeden Wert verloren hatten. Und so hatte Hannai den zweiten Dämon glücklich vertrieben.

Hannai aber sprach zu seiner Frau: "Sicher gibt es noch andere Menschen, die wie wir den Einflüsterungen Chelems standhalten, doch wie lange noch? Bräuchten wir nicht ein Bollwerk, um die Dämonen für immer fernzuhalten? Ich werde um eine Stadt beten und dabei an das Wort denken DIE MACHT DER GÖTTER WEIST DEN DÄMON IN DIE SCHRANKEN." Und so betete Hannai um eine Stadt für alle Gläubigen, in der die Sünde niemals Einzug halten würde und wohin den Dämonen Chelems der Weg verwehrt war.

Die Götter hörten dieses Gebet und Ulamar, der über die Schätze der Erde gebietet, sprach: "Hannai äußert einen ehrenhaften Wunsch, wenn er anderen Gläubigen eine sichere Heimstatt bieten will. Meine Diener werden ihm eine Stadt errichten, neben der die Städte irdischer Könige armselig wirken." Und so erwuchs aus dem Sand eine prächtige Stadt, umgeben von einer starken Mauer aus Granit, die Wände der Häuser aus feinem Sandstein und die Dächer aus vergoldetem Kupfer. Der Königspalast jedoch wurde aus weißem Marmor errichtet mit einem Dach aus purem Gold und im Thronsaal stand ein Thron, der aus den Strahlen der Sonne geflochten schien.

Als Hannai die Antwort auf sein Gebet erblickte, rief er aus: "Oh, allmächtige Götter, ich danke Euch. Auf ewig werden die Bewohner dieser Stadt dem Wahren Weg folgen und die Götter preisen für ihre Großzügigkeit!" Und es kamen viele Gläubige aus aller Welt zu der Stadt, die dort entstanden war, wo zuvor das Haus Hannais gestanden hatte und bald nannte man die Stadt Hannai, die Goldene oder auch Die Goldene Stadt. Und je mehr Menschen kamen, desto reicher wurde sie und die Wüste wurde fruchtbar gemacht. Der weise Hannai jedoch wurde der König der Stadt, die seinen Namen trug.

Als wieder einige Jahre vergangen waren, schickte Chelem jedoch erneut einen Dämon aus, der Hannai vom Wahren Weg abbringen sollte, doch da der Dämon die Stadt nicht betreten konnte, mußte er warten, bis Hannai sie verließ. Und als König Hannai einmal auf die Jagd ritt, trat der Dämon ihm in den Weg und sagte: "Herr, ihr seid weise und fromm und ihr nennt eine außerordentlich reiche Stadt euer Hoheitsgebiet. Doch was passiert, wenn ihr einmal sterbt? Könnt ihr sicher sein, daß eure Söhne euer Werk so weiterführen, wie ihr es vorgesehen habt? Niemals werden die Götter euch Unsterblichkeit verleihen, um auf eure Nachkommen zu achten. Würdet ihr jedoch den Herrn verehren, dem ich diene, wäre euch ein Dasein bis zur Vereinigung des Ungenannten mit Ama gewiß."

Da sprach der König: "Dein Herr ist der Dämonenfürst. Doch Unsterblichkeit unter seiner Herrschaft ist kein ewiges Leben sondern ewige Sklaverei und Verdammnis im Reich der Geisterwesen." Und da schrie der Dämon auf, denn er erkannte plötzlich, daß er selbst nicht lebte sondern nur ein Geist war und er verschwand.

Als der König in die Stadt zurückkehrte, dachte er jedoch bei sich: "Wahrhaftig, meine Weisheit ist die größte unter den Sterblichen, selbst meine Kinder kennen die Schriften der Weisen und Heiligen nicht so gut wie ich. Ja, einige meiner Untertanen verehren mich schon als einen Gott, also werde ich die Götter um die Unsterblichkeit bitten, die mich ihnen ähnlicher macht." Und der König ging in den prächtigen Tempel, den er den Göttern hatte bauen lassen und betete zu ihnen: "Mein ganzes Leben lang diente ich Euch in Demut, doch nun möchte ich Euch bitten, mich über die Masse zu erheben und vor den Menschen auszuzeichnen, als den wahren Verkünder Eurer Worte. Ich habe eine unsterbliche Gattin, doch ich selbst bin ein armseliger Wurm vor Eurem Angesicht. Darum bitte ich Euch, mich zu erhöhen und mir die Unsterblichkeit zu verleihen."

Die Götter hörten diese Worte. Niemals zuvor hatte ein Mensch um die Unsterblichkeit gebeten. Der Ungenannte geriet darüber in Zorn, doch da der König bis dahin stets treu den Göttern gedient hatte, wollte Er ihm einen Wunsch gewähren und so erschien Sein Schatten vor Hannai und sprach zu ihm: "Die Einflüsterungen Chelems haben dich unersättlich gemacht. Du glaubtest, seinen Dämonen widerstanden zu haben, doch das stimmt nicht. Ich werde dir Unsterblichkeit verleihen, weil du uns Göttern immer treu gedient hast, doch lasse ich dir nicht deine Menschengestalt. Dich und deine Gattin werde ich in weiße Pfauen verwandeln und so kannst du bis in die Ewigkeit hier in dieser Stadt bleiben, die deinen Namen trägt. Deinen Kindern jedoch lasse ich dein Herz." Und als der Ungenannte diese Worte gesprochen hatte, verwandelte Er Hannai und seine Frau, die Unirdische, in zwei weiße Pfauen, Hannais Herz jedoch verwandelte Er in einen blutroten Edelstein, den Er dem ältesten Sohn des Königs brachte, als Sein Schatten ihm im Traum erschien.

Und der Ungenannte sprach zu Hannais Sohn: "Dein Vater glaubte, den Verlockungen Chelems widerstanden zu haben, doch der Samen den der Böse ihm einpflanzte, war fruchtbar. Achte darauf, daß es dir nicht ebenso ergeht. Du bist nun König der Stadt und dieser Edelstein sei für dich und deine Nachkommen das Zeichen der Königswürde und Unterpfand unseres Bundes. Die Worte, die ich dich lehren werde, werden dir die Hilfe der Götter sichern, wenn du bei der Anrufung diesen Edelstein in der Hand hältst. Doch denke daran, dieser Bund währt nur, solange in Hannai die Gebote der Götter befolgt werden und ihre Bewohner auf dem Wahren Weg wandeln."

Der Sohn Hannais war also der erste der Goldenen Könige und er gab auch den Befehl, die weißen Pfauen, die nun im Garten des Palastes wohnten, immer ehrerbietig zu behandeln. Dieser Edelstein, Fürst der Fürsten, den ihr jetzt in der Hand haltet, ist ohne Zweifel das Herz Hannais." Damit endete der Alte.

Da sagte ein anderer, der Fürst der Yoshany: "Faron mag der Nachkomme Hannais sein, doch er, der sich selbst der 'Großartige' nennt, lästert gegen die Götter. Und seit er über Hannai herrscht, hielt dort die Sünde Einzug, wohin den Dämonen Chelems zuvor der Weg verwehrt war." Und der Fürst wandte sich an Hermil Tashrany und sagte zu ihm: "Nehmt die Aufgabe der Götter an und mit ihrer Hilfe werdet ihr über den unwürdigen König triumphieren und die Stadt unter eurer Herrschaft auf den Wahren Weg zurückführen."

Als Hermil Tashrany diese Worte vernommen hatte, schwieg er lange, doch dann betrachtete er den von den Göttern gesandten Stein und murmelte die geheimen Worte, die der Falke ihm zugeflüstert hatte, und der Stein erstrahlte in einem Feuer, heller als jede Fackel. "Dies sei mein Banner in diesem heiligen Feldzug", rief der Fürst der Fürsten, stand auf und hob den Stein hoch, so daß die versammelten Fürsten und Ältesten ihn brennen sehen konnten. "Schon morgen werde ich mit fünfhundert Männern durch die Wüste nach Hannai ziehen!" Und der Rat der Oshey hörte seine Worte und versprach Gefolgschaft.

Am Morgen standen bei den Zelten fünfhundert schnelle Reitkamele und fünfzig starke Lastkamele mit Vorräten und ein weißer Falke wies Hermil Tashrany, dem Fürsten der Fürsten, und seinen Oshey-Kriegern den Weg durch die Wüste. Und dort, wo sie auf ihrem Weg rasteten, da trat reines süßes Wasser aus den Felsen hervor, so daß sie keinen Durst litten. Endlich erreichten die fünfhundert Oshey-Krieger den Rand der Wüste und vor ihnen lag Hannai, dessen goldene Dächer in der untergehenden Sonne funkelten, als bestünden sie aus reinem Licht. Da sprach Hermil Tashrany ein Dankgebet an die Götter, die ihn so gut geleitet und seinen Weg beschützt hatten, und da es Nacht wurde, legte er sich nieder und schlief.

Am nächsten Tag jedoch zog Hermil Tashrany mit seinen fünfhundert wohlgewappneten Kriegern vor das Südtor der Sadt, das auch das Zypressentor genannt wird. Es war so früh am Tage, daß die Tore der Stadt noch verschlossen waren und nur ein einzelner Wächter trat an die Brüstung der Stadtmauer und musterte das bewaffnete Heer mit Geringschätzung. "Was ist euer Begehr?" fragte er den Fürsten der Fürsten.

Da erhob Hermil Tashrany die Stimme und sprach: "Die Götter haben mich gesandt, Hannai wieder auf den Wahren Weg zurückzuführen. Also werde ich mit meinen Kriegern durch dieses Tor marschieren, geradewegs zum Palast Eures Königs, und ihm im Namen der Götter befehlen, den Goldenen Thron für mich zu räumen."

Als der Wächter die Worte des Fürsten der Fürsten hörte, lachte er nur laut und ließ das Tor verschlossen. Dann rief er nach den anderen Wächtern der Stadt, damit sie die Oshey-Krieger in die Wüste zurücktrieben. Mit Pfeilen und Steinen zielten die Wächter von der Mauer herab, doch kein einziges Geschoß traf sein Ziel, auf wundersame Weise wurden alle fehlgelenkt. Jeder Pfeil der Oshey jedoch bohrte sich durch ein sündiges Herz. Am Abend aber zog Hermil Tashrany sich zurück, damit seine Krieger in der Nacht neue Kräfte schöpften, dann dankte er den Göttern für ihren Beistand, legte sich nieder und schlief.

Am Morgen des zweiten Tages begab sich Hermil Tashrany erneut vor das Zypressentor und wieder verlangte er im Namen der Götter Einlaß, doch statt des Gelächters des Torwächters war es diesmal ein auf sein Herz gezielter Pfeil, der seinem Rufe antwortete. Und noch während der Pfeil durch die Luft flog, stürzte aus dem Himmel ein weißer Falke herab und ergriff den Pfeil mit seinen Fängen und schützte so das Leben des Fürsten der Fürsten. Dann schrie der Falke laut und der Kampf um die Stadt wurde fortgeführt. Am Abend jedoch zogen sich die Oshey erneut zurück und Hermil Tashrany dankte den Göttern für ihren hilfreichen Beistand. Dann legte er sich nieder und schlief.

Am Morgen des dritten Tages trat Hermil Tashrany wieder vor das Zypressentor und verlangte mit lauter Stimme den Thron der Stadt. Da öffneten sich die Tore und heraus stürmten die Krieger der Stadt und ihren voran ihr König, Faron der Großartige. Da holte der Fürst der Fürsten das Herz Hannais hervor und stürmte dem König entgegen und sprach zu ihm, indem er ihm den flammenden Stein der Götter entgegenhielt: "Seht das Zeichen, das die Götter mir sandten, um die Goldene Stadt wieder auf den Wahren Weg zurückzuführen. Keiner meiner Krieger wird in diesem Kampf um die Stadt Schaden erleiden, denn die Götter schützen uns. Darum hört, was ich euch zu sagen habe: Wollt ihr euer Leben behalten, so zieht aus der Stadt und euch wird nichts geschehen. Wollt ihr mir den Thron Hannais jedoch nicht freiwillig überlassen, so werdet ihr sterben und alle eure Krieger mit euch."

Als der König das Herz Hannais in den Händen des Oshey sah, da erbleichte er und seine Hände zitterten, und er gab seinen Kriegern ein Zeichen, die Waffen sinken zu lassen. Dann sagte er: "Geh in die Stadt Hermil Tashrany, sie gehört dir. Doch laß auch meine Weiber und meine Kinder mit mir ziehen und meine Getreuen, damit ich nicht allein in die Verbannung gehen muß."

Da versprach Hermil Tashrany ihm, seine Wünsche zu erfüllen und zog mit seinen fünfhundert Kriegern in die Stadt ein, um ihren Goldenen Thron zu besteigen.

So steht es im Buch der Stadt geschrieben, mit goldener Tinte und reicher Zier, zum Ruhme der Götter und des ersten Königs aus dem Geschlecht der Tashrany, Hermil Tashrany, dem Falken der Wüste.

* * *

Im Inneren Bezirk des Palastgartens war von der Hitze des Tages nur wenig zu spüren. Der glühende Wind aus der Wüste wurde durch den großen See des Gartens, über den er strich, auf erträglichere Temperatur abgekühlt, die Springbrunnen bewirkten ein Übriges. Der Innere Bezirk, eine verwinkelte Anlage aus Terrassen und säulengetragenen Dächern in einem der großen Innenhöfe des Palastes, beherbergte die Ruheräume des Königs von Hannai, Nisan von Berresh, der sich der Prächtige nennen ließ, sowie die seiner Frauen und Kinder. Eine Anlage, die streng bewacht wurde und allein für ihre Bewohner und einige wenige, sorgfältig ausgewählte Diener zugänglich war.

In einem der Gemächer des Harems, durch einen dünnen seidenen Vorhang vor dem Holzgitter, das Ausblick in den Garten gestattete, in orangenes Halbdunkel getaucht, saß in perlenbestickten Gewändern eine junge Frau von erlesener Schönheit, die den goldgewirkten Schleier nach hinten über ihr Haar gelegt hatte. Neben ihr saß ein ebenso junger Mann in einfachen, fast ein wenig schäbig wirkenden dunklen Gewändern, deren Schnitt ihn als einen Angehörigen der nomadischen Oshey auswiesen, die in der Wüste lebten, die sich südlich von Hannai bis zu den fernen Gebirgszügen erstreckte. Seine Füße steckten in abgetragenen Reiterstiefeln, die mit den Mustern verziert waren, mit denen Oshey-Gerber ihre Werkstücke zu versehen pflegten, und auch sein lockiges schwarzes, blauglänzendes Haar war das eines Oshey. Seine Augen jedoch waren ungewöhnlich für einen Oshey: in seinem dunkelhäutigen Gesicht brannten sie golden wie zwei Topase.

Der Jüngling flüsterte dem Mädchen etwas zu, das sie, leicht errötend, lächeln ließ, dann umarmte er sie und sie kuschelte sich an seine Brust. An einem Finger der Hand, mit der er ihren Kopf streichelte, blitzte ein goldener Ring auf, die Fassung enthielt jedoch nur das Bruchstück eines Saphirs.

Er küßte das Mädchen zart auf ihre geschlossenen Augenlider, während sie ihm Liebesworte zuflüsterte, doch plötzlich hielt er in seinen Liebkosungen inne und hob lauschend den Kopf. "Sei still, Sira. Ich höre jemanden", raunte der junge Mann seiner Geliebten ins Ohr und löste behutsam seine Umarmung.

Auch Sira spitzte jetzt die Ohren und auch sie hörte die sich nähernden Schritte nun deutlich. Sie kamen vom Garten her und ihr vertrauter Rhythmus ließ Sira erschreckt aufstöhnen. "Du mußt hier weg", flüsterte sie aufgeregt ihrem Liebsten zu und zog geschwind den goldverzierten Schleier wieder vor ihr liebliches Gesicht. Sie sprang auf und sah sich nach einem Fluchtweg für den Jüngling um, doch der einzige war die Tür, die zur Terrasse führte und von wo sich unaufhaltsam die Gefahr näherte. Einen Moment stand sie ruhig, die Hände krampfhaft ineinander verschlungen, dann packte sie den Arm ihres Geliebten, der inzwischen ebenfalls aufgestanden war und zog ihn zu einer Tür aus hölzernem Gitterwerk, die hinter einem dichten Vorhang fast völlig verborgen gewesen war. "Dort hinein", zischte sie und schob ihn in das dahinterliegende Gemach, kaum daß sie die Tür einen Spalt weit geöffnet hatte.

Der junge Mann sah sich flüchtig in dem lichtdurchfluteten Raum um. "Wer wohnt hier?" fragte er flüsternd, als Sira die Tür schon wieder hinter ihm schließen wollte.

"Eine Frau meines Vaters", erwiderte sie geringschätzig. "Sie wird nicht vor dem Abend hierher kommen. Ich werde so bald wie möglich jemanden schicken, der dich hinausführt." Mit diesen Worten wurde die Tür geschlossen und der Jüngling hörte, wie sie ihren Vater, Nisan den Prächtigen, begrüßte. Dann schienen beide den Ruheraum der Prinzessin zu verlassen.

Der junge Mann sah sich in seinem vornehmen Versteck um. Die Tür in den Garten war mit ähnlichen Schnitzereien verziert wie in dem angrenzenden Zimmer: Szenen aus den Gärten der Freude. Gegenüber der Tür, durch die er den Raum betreten hatte, war eine weitere Tür, verhängt mit einem durchscheinenden Vorhang, dessen goldene Stickereien im Sonnenlicht glänzten. Der blauseidene Vorhang des holzvergitterten Fensters zum Garten war beiseite gezogen und vor dem Fenster stand ein niedriger Tisch, auf dem Schreibutensilien und einige Bücher lagen. Wie auch in Siras Räumen lagen überall auf den dicken Seidenteppichen runde Lederpolster und seidene Kissen, wie es in den Zelten der Oshey üblich und in Hannai zur Zeit Mode war. Der Jüngling zog sich eines der dicken Lederpolster ans Fenster, setzte sich und sah in den Hof hinaus. Auf dem Rasen, rund um den Springbrunnen, stolzierten einige der prächtigen weißen Pfauen, von denen man sich erzählte, es handele sich bei ihnen um die Nachkommen des ersten Königs und der ersten Königin von Hannai, die diese in ihrer Vogelgestalt zeugten, die ihnen vom Ungenannten als Belohnung ihrer Frömmigkeit verliehen worden war, bevor Er sie in die Gärten der Freude führte. Einer der Hähne raschelte mit seinen langen Schwanzfedern und spreizte sie dann zu einem in der Sonne perlmuttern schimmernden Rad, das er mit stolz geschwellter Brust und zitternden Federn vier Weibchen in seiner Nähe präsentierte.

"Ein prachtvoller Anblick, nicht wahr?" fragte plötzlich eine leise Frauenstimme und der Jüngling erstarrte vor Schreck. "Nur keine Angst", sagte die Frau sanft. "Ich werde euch nicht verraten, wenn ihr mir erzählt, was ihr im verbotenen Teil des Palastes sucht... ich bin Patrais von Letran, die siebte Frau des Königs. Wer seid ihr?"

Der junge Mann schluckte schwer und drehte sich zu der Frau um. Ein dichter granatapfelfarbener Seidenschleier, mit Silberfäden durchwoben und mit silbernen Blüten bestickt, reichte der zierlichen Frau bis zu den Knien, ihr bodenlanges Seidengewand hatte die Farbe von poliertem Gold. Der Jüngling sprang auf und verbeugte sich tief. "Ich heiße Hermil Tashrany... ich bin nur ein Sohn der Wüste, doch in meinem Herzen brennt ein Feuer, das sich mit der Sonne messen könnte. Es zieht mich hin zu einer, die hier in diesem Palast, hinter diesen Mauern lebt."

Die siebte Frau des Königs neigte leicht ihren Kopf. "Ich bin geehrt, einen Oshey willkommen heißen zu dürfen, der ein Namensvetter eines so großen Mannes der Geschichte ist. Darf ich fragen, wer eure Angebetete ist?"

Hermil Tashrany errötete tief. "Es ist... es ist die Prinzessin Sira, die dritte Tochter des Königs, hohe Dame." Hermils schweißnasse Finger verkrallten sich im festen Stoff seiner einfachen Beinkleider.

Mit leichter Hand berührte Patrais von Letran den jungen Mann am Oberarm. "Bewahrt eure Ruhe, denn noch ist meine Neugierde nicht gestillt... wie habt ihr die Prinzessin kennengelernt. Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß sie zu euch in die Wüste kam und sagte: Besucht mich im Palast meines Vaters."

Hermil Tashrany trat der Schweiß auf die Stirn. "Nein, hohe Dame, so war es natürlich nicht. Aber wenn ihr erlaubt, werde ich euch die Geschichte unserer Begegnung erzählen, die eine wundersame Fügung der Götter war, wie ihr sicher bestätigen werdet, habt ihr sie erst gehört."

Patrais von Letran sank in einer Wolke aus golden schimmernder Seide auf eines der Sitzpolster und gebot Hermil mit einer Handbewegung, mit seiner Erzählung zu beginnen.

Aufatmend nahm auch Hermil Tashrany wieder Platz und erzählte:

*

"DIE GESCHICHTE VON HERMIL TASHRANY UND SIRA VON BERRESH.

Obwohl ich meine leibhaftigen Eltern nicht kenne, gibt es doch einen Mann, den ich meinen Vater nenne und dieser Mann, der mich zusammen mit seinem leibhaftigen Sohn aufzog als wäre ich von seinem Blut - und tatsächlich stamme ich sogar vom gleichen Stamm - ist der Fürst der Tashrany. Mein Vater, der Fürst, lehrte mich zu reiten und zu jagen und unterwies mich in den Kampfspielen der Oshey aber auch in den Schriften der Weisen und Heiligen, so daß ich schließlich zum Manne wurde und, wie es heißt, einer Zierde meines Stammes.

Als ich vor einigen Wochen zur Jagd ritt, sah ich am Himmel einen weißen Falken, der auf mich herniederstieß, als sehe er in mir das Objekt seiner Jagd. Ich griff nach dem Bogen, um mich seiner zu erwehren, doch da fing der Vogel sich mit seinen Flügeln plötzlich ab, als hätte er meine Absicht geahnt und kreiste wenige Handspannen über meinem Kopf. Vorsichtig legte ich den Bogen quer vor mich, behielt ihn jedoch in der Hand, bereit, jederzeit einen Pfeil von der Sehne schnellen zu lassen, noch bevor der Vogel mich erreichen könnte.

Dreimal kreiste der Vogel über mir, dann tat er plötzlich den Schnabel auf und sprach zu mir in der Sprache der Menschen: "Höre meine Worte, Sterblicher", und seine mächtige Stimme ließ mir das Blut in den Adern stocken. "Nicht weit von hier ist eine Oase, an der die Karawanenstraße nach Norden entlangführt. Banditen lauern dort und wenn du nicht eingreifst, werden sie dein Schicksal töten und du wirst dein Leben lang nur ein einfacher Sohn der Wüste bleiben, obwohl du zu Größerem geboren bist."

"Wie kann ein Schicksal getötet werden?" fragte ich, aber der Vogel hatte seine Botschaft gesprochen, schrie nach Falkenart auf und schwang sich hoch in die Lüfte, so daß meine Augen ihn bald verloren hatten. Doch da dieser Vogel sicherlich ein Bote der Götter gewesen war, hatte ich ihm zu gehorchen, und so rief ich nach meinen Jagdgefährten, erzählte ihnen von dem Vogel und seiner Rede und beriet mich mit ihnen.

"Laß einen von uns als Boten zu den Zelten eilen", riet mir einer meiner fünf Gefährten. "Die anderen werden dir folgen und mit dir gegen die Banditen kämpfen."

Dieser Rat war gut und so rief ich: "Dann laßt uns eilen", und wie der Wind ritten wir fünf zu der Oase an der Karawanenstraße und hinter uns erhob sich der Sand wie eine riesige Säule, während der sechste zu den Zelten eilte und bald mit weiteren Kämpfern folgen würde.

Endlich erreichten wir die Oase, die scheinbar friedlich dalag. Doch als wir näherkamen, sahen wir da im Sand Fetzen von Stoff liegen, an einigen Stellen war der Sand von Blut gerötet und ein Mann lag auf der Erde mit durchschnittener Kehle und dem Wappen des hannaischen Königs an seinem Umhang, dem galoppierenden Rappen.

Von der Wasserstelle her kam Kampfeslärm und so preschten wir los, die blanken Klingen in der Hand. Die Banditen schwangen sich auf ihre Pferde und eilten davon, denn nur wenige wagen es, sich im Schwertkampf mit einem Oshey zu messen. Einer von ihnen jedoch riß ein pfirsichfarbenes Stoffbündel vom Boden hoch, bevor er sich davon machte. Wir wollten sie ziehen lassen, denn außer dem Toten am Rande der Oase waren die Männer der Karawane nur verwundet, da rief einer, statt uns für die Hilfe zu danken: "Sie haben die Prinzessin!"

Dieser Ruf durchfuhr mich wie ein Speer und ich wußte, daß diese Prinzessin mein Schicksal war, und ich trieb mein Pferd an, die Banditen einzuholen, denn das vermeindliche Stoffbündel mußte die Prinzessin gewesen sein. Drei meiner Begleiter folgten mir, der andere kümmerte sich um die Verletzten. Es war eine lange Jagd über die Wellen jenes Meeres, das die Heimat der Oshey ist, und endlich hatten wir sie erreicht, denn ihre Pferde waren schwach und in keiner Weise zu messen mit dem Maß, das ein Züchter der Oshey anzulegen gewohnt ist. Schließlich erreichte ich jenes Pferd, das statt eines Reiters derer zwei trug, denn es war hinter den anderen zurückgefallen.

"Entwindet euch ihm, Prinzessin!" rief ich und ich sah, wie aus dem formlosen Bündel pfirsichfarbener Seide plötzlich ein Wirbelwird wurde, doch der Griff des Banditen war eisern und so mußte ich ihn weiter verfolgen, bis mein Pferd Seit' an Seite mit dem seinen lief. Ich zog mein Schwert und stach nach dem Banditen, so sah er sich gezwungen, sich zur Wehr zu setzen, und der zarte Arm der Prinzessin entglitt seinem Griff. Mit wirrem Haar fiel sie zu Boden, doch da war schon einer meiner Begleiter herangekommen, zog sie zu sich hoch in den Sattel und eilte mit ihr zurück zur Oase. Der Kampf mit dem Banditen war nicht schwer, denn die Männer des Königs hatten ihm einen harten Kampf geliefert und so konnte auch ich bald zur Oase zurückkehren.

Als ich mich wieder der Wasserstelle näherte und vom Pferd sprang, kam die Prinzessin auf mich zu. Inzwischen hatte sie ihre Kleidung wieder geordnet und ihr blütengleiches Antlitz mit den obsidianschwarzen Augen, das ich nur für einen kurzen Augenblick gesehen hatte, war wieder verschleiert. Sie verbeugte sich vor mir und sagte: "Ich danke euch für meine Rettung, Hermil Tashrany. Gebt mir die Ehre, zusammen mit euren Begleitern mit mir zu speisen", und ich dankte und folgte ihr in ein inzwischen errichtetes Zelt, in dem mit duftendem Öl gefüllte Lampen brannten und auf den Tischen Köstlichkeiten aus aller Welt warteten.

Als meine Begleiter und ich uns gesetzt und die Hände in einer dargebotenen Silberschale gewaschen hatten, tranken wir zusammen Tee und schließlich erhob die Prinzessin wieder ihre Stimme und sagte zu mir: "Von dem Mann, der mich zur Oase zurückbrachte, erfuhr ich bereits euren Namen Hermil Tashrany, und ich hörte, welche wunderbare Fügung euch zur rechten Zeit die Oase erreichen ließ. Ich bin Sira von Berresh, die dritte Tochter des Königs von Hannai, Nishan des Prächtigen. Höret nun, wieso ich fern von Hannai über die Karawanenstraße ziehe und mich Gefahren wie diesem Überfall aussetze, hört:

*

VOM TRAUM DER SIRA VON BERRESH.

Vor einigen Wochen träumte mir drei Nächte hintereinander folgendes: ein schwarzer Hengst auf einer vertrockneten Weide sah in geringer Ferne eine Weide von sattem Grün. Er besann sich nicht lange und machte sich auf den Weg dorthin. Alle, die er auf seinem Weg traf und die ihn nach seinem Vorhaben befragten, warnten ihn vor der fetten Weide, doch der stolze Hengst achtete nicht auf die Warnungen und erreichte die fruchtbare Weide schließlich. Dort war niemand, der ihm das Grasen verbot und so begann er, das saftige Gras zu rupfen und zu kauen, bis er satt war und seine anfängliche Wachsamkeit zu satter Schläfrigkeit geworden war. Da stürzte sich plötzlich ein weißer Falke auf den Rappen hinab und hackte ihm beide Augen aus, bevor er ihn von der Weide vertrieb.

Drei Nächte hintereinander wachte ich voller Angst und Schrecken auf und endlich, nachdem ich meinen Vater lange gebeten hatte, erlaubte er mir, zum Orakel Orems zu reisen, damit die Priester des Herrn der Nacht mir diesen Traum deuteten. Zwei Wochen dauerte unser Weg durch die Wüste, bis wir den Tempel endlich erreichten und als ich den Priestern meinen Traum erzählt hatte, da berieten sie sich eine Woche lang, bis sie ihn deuten konnten und sie sagten mir: "Deinem Vater droht Unheil und Tod, denn die Götter selbst zürnen ihm. Nur einer vermag diesen Zorn abzuwenden und dessen Zeichen ist: zwei Sonnen unter dem nachtschwarzen Himmel."

Ich fragte die Priester, ob sie mir nicht mehr sagen könnten, denn wo sollte je eine Sonne unter einem nachtschwarzen Himmel scheinen, geschweige denn zwei, doch die Priester schickten mich zurück und so machte ich mich schweren Herzens wieder auf den Weg. Endlich näherten wir uns dieser Oase und als wir sie erreichten, da stürmten auf einmal die Banditen hervor. Doch ihr kamt zur rechten Zeit, gesandt vom Boten des Ungenannten und als ihr den verfolgtet, der mich rauben wollte, da glühten eure Bernsteinaugen wie zwei Sonnen und das Haar, das euch in die Stirn wehte, war so schwarz wie die dunkelste Nacht unter dem Mantel Orems."

Und jetzt höre, was weiter geschah, hohe Frau. Die Prinzessin bat mich, sie nach Hannai zu geleiten und auf dem Weg merkten wir, daß unsere Herzen einander zugeneigt waren. Als ich ihr sagte, ich würde bei ihrem Vater um ihre Hand bitten, da bestärkte sie mich und das sicher nicht allein in der Hoffnung, daß ich als ihr Gatte ihren Vater gewiß vor dem Zorn der Götter bewahren würde. So kamen wir endlich nach Hannai und durch die Vermittlung der Prinzessin empfing mich der König.

Er war freundlich und sagte: "Ich höre, du rettetest meine Tochter aus der Hand von Banditen, Hermil Tashrany. Dafür sollst du reich belohnt werden", und er winkte seinen Wesir heran.

Da verneigte ich mich tief und sagte: "Ich bin der zweite Sohn des Fürsten der Tashrany und keine Belohnung wäre mir so wertvoll wie eure dritte Tochter, die Prinzessin Sira, zu der ich eine tiefe Zuneigung empfinde, seit ich sie ..."

Doch kaum hatte ich diese Worte gesprochen, da rief der König laut nach seinen Wachen. "Ein Oshey wagt es, mit diesen Worten vor mich zu treten? Diese Chelembrut aus der Wüste wagt es? Sperrt ihn in meinen tiefsten Kerker und laßt ihn dort verhungern!"

Und so wurde ich weggeführt, ohne meiner Liebsten ein Abschiedswort sagen zu können. In der Nacht jedoch tat sich die Kerkertür einen Spalt weit auf und hinein schlich eine Dienerin meiner Geliebten. "Die Wachen sind betäubt", sagte sie flüsternd. "Folgt mir, ich werde euch sicher aus dem Palast führen." Und so wurde ich befreit. Seit diesem Tag jedoch schlich ich mich so oft es möglich war in die Frauengemächer des Palastes, um jeden Tag wenigstens ein paar Augenblicke bei meiner Geliebten weilen zu können. Heute aber überraschte uns das plötzliche Erscheinen des Königs und so versteckte ich mich hier in diesem Gemach." Der junge Mann senkte den Kopf und erwartete seine Strafe.

"Hat die Prinzessin meinem Gebieter denn nicht erzählt, daß ihr die Rettung vor dem Zorn der Götter seid?" fragte die siebte Frau des Königs leise.

Traurig schüttelte Hermil Tashrany seinen Kopf. "Sie hat es getan, aber der König glaubt nicht, daß die Götter überhaupt irgendetwas bewirken können, das seinem eigenen Willen zuwiderläuft." Schicksalergeben hob Hermil Tashrany die Hände.

"In der Tat, solcherart ist sein Wesen", sagte Patrais von Letran fast zu sich selbst und fragte dann beiläufig: "Woher habt ihr diesen Ring?"

Hermil Tashrany warf achtlos einen Blick auf den Goldring an seiner Rechten und fuhr mit dem Daumen der Linken über die Bruchkante des blauen Steinsplitters. "Er ist nichts wert. Wie ihr seht, fehlt die Hälfte des Steines. Es ist ein Andenken an meinen Vater... meinen leiblichen Vater."

Die Frau des Königs wiegte ihren Kopf. "Erzählt mir auch die Geschichte dieses Ringes und wenn sie mir gefällt, werde ich euch ungesehen aus dem Palast führen."

Die Augen des jungen Mannes wurden groß. "Oh, wahrhaftig?"

"Wahrhaftig."

Und der Jüngling begann:

*

"DIE GESCHICHTE VOM ZERBROCHENEN RING.

Ein Oshey-Krieger, der die Mitte seines Lebens schon hinter sich gelassen hatte, kam vor einigen Jahren zu unseren Zelten und fragte nach dem Fürsten der Tashrany. In seinen Armen trug er ein kleines Kind mit schwarzen Locken und bernsteinfarbenen Augen, das er Hermil Tashrany nannte.

Der Fürst bat den alten Krieger in sein Zelt, bot ihm Tee und Speisen und fragte schließlich nach seiner Geschichte. Da begann der Mann:

*

"DIE GESCHICHTE DES NESHRIM TEMHALY,

denn das ist mein Name, und vor langer Zeit, als ich nur wenig älter war als der Junge, den ich nun zu seinem Stamm gebracht habe, diente ich dem letzten wahren König Hannais, Kermul Tashrany, den man den Gerechten nannte. Doch als er gestürzt wurde von dem Hund, der aus Berresh herangekrochen kam, da ging ich davon, um nie mehr von Hannai hören zu müssen und dem Usurpator, der sich auf dem Goldenen Thron breitgemacht hatte.

Ich zog nach Norden und bot den Fürsten dort mein Schwert an. Der erste Fürst, bei dem ich mich als Kämpfer um seine Ehre verdingte, verlor mich schon bald bei einem Spiel an einen anderen Fürsten und ich kam zum Herzog von Kurruck, dessen Schloß auf einer Klippe über dem Nordmeer steht. Schon wenig später war allen Fürsten in der Umgebung des herzoglichen Schlosses bekannt, daß der neue Kämpe des Herzogs unschlagbar und ein Zauberer mit dem Schwert sei, und nur selten ergab sich die Notwendigkeit, für den Herzog die Klinge zu ziehen.

Die Jahre vergingen und obwohl der Herzog mich eher als seinen Besitz denn als seinen Kämpfer ansah, ging es mir in diesen Jahren nicht schlecht. Ja, ich begann sogar, die Schmach zu vergessen, die der Hund aus Berresh der Goldenen Stadt angetan hatte. Eines Tages jedoch rief man mich, gegen einen Jüngling zu kämpfen, der gegen eines der zahllosen Gesetze des Herzogs verstoßen hatte, indem er, als einfacher Spielmann, eine Klinge von über anderthalb Spannen Länge trug und noch dazu ein zweites Schwert.

Ich kleidete mich also in die schwarzen Gewänder, die der Herzog für mich hatte anfertigen lassen, denn er war sich des einschüchternden Eindruckes bewußt, den ich damit auf die Nordlinge machte, denen schwarzes Haar und dunkle Haut sehr fremdartig erscheint. Als ich den Kampfhof des herzoglichen Schlosses betrat, hatte sich dort schon eine Menge Schaulustiger gesammelt, die nach dem Blut des Spielmanns lechzten wie eine Horde Hyänen. Als ich mich in die Mitte des Platzes stellte, eine Hand am Heft meines langen Schwertes, seufzte die Menge vor Erwartung, doch ich verachtete mich, denn es ist nicht die Sache eines Kriegers, gegen einen Spielmann zu kämpfen, auch wenn der ein Gesetz gebrochen haben mochte.

Aus der Tür, die zur Schloßküche führte, trat der Majordomus des Herzogs und ihm folgte ein schmächtiger, bartloser Jüngling mit silberblassem Haar und solchen bernsteinfarbenen Augen wie sie auch dieses Kind in meinem Arm hat und die einem Falken alle Ehre machen würden. Die Haut des Spielmanns war dunkler, als es so weit im Norden üblich ist und sein langes, schmales Schwert, mit Sicherheit der Stein des Anstoßes, war unzweifelhaft das Werk eines Oshey-Schmiedes. Der Jüngling sollte mir zeigen, ob er das Schwert zu Recht trug und ich schwor mir, es ihm nicht leicht zu machen!

Als der Majordomus das Zeichen zum Beginn des Kampfes gab, griff ich an, doch der Jüngling, der zwei Köpfe kleiner war als ich, parierte mit Leichtigkeit, als handele es sich um eine Beleidigung seiner Fähigkeiten, daß ich als sein Gegner ausersehen war. Ich merkte schnell, daß der junge Spielmann das Schwert durchaus zu Recht trug und mit großer Wahrscheinlichkeit bei den größten Schwertmeistern der Oshey gelernt hatte. So wünschte ich mir bald, den Majordomus oder den Herzog selbst vor meiner Klinge zu haben anstatt dieses Meisters des Schwertkampfes.

Wenige Augenblicke später war ich entwaffnet und über den Rücken meiner rechten Hand lief ein langer jedoch nicht sehr tiefer Schnitt. Ich mißgönnte dem Jüngling seinen Sieg nicht, doch es war das erste Mal gewesen, daß ich in einem Kampf unterlegen war und der Herzog, der von einem Balkon aus zugesehen hatte, empfand diese Niederlage wohl als eine persönliche Beleidigung.

"Zeig diesem Knirps, was ein echter Kampf ist!" rief der Herzog in den Hof hinunter. "Heb dein Schwert auf! Worauf wartest du noch?!"

Mit einem Blick entschuldigte ich mich bei meinem jungen Gegner, der mein Sohn hätte sein können und hob mein Schwert auf. Doch ehe ich mich versah, war ich erneut entwaffnet und die Schwertspitze meines Gegners war nur durch den Stoff meines Hemdes von meiner Kehle getrennt.

Herausfordernd rief der Spielmann zum Herzog hinauf: "Seht ihr jetzt, daß ich der Bessere bin?"

Auch ich sah wieder nach oben und bemerkte, daß sich der kahle Kopf des Herzogs vor Wut rot verfärbte. "Töte ihn, Spielmann, dann kannst du mein Kämpe werden!" rief er zornig herunter.

"Ich will etwas anderes!" rief der Jüngling zurück und sein Schwert verharrte regungslos an meiner Kehle. "Ich will diesen Mann!"

Aus den Augen des Herzogs sprühte der Zorn, doch er nickte und zog sich vom Balkon in das Innere des Schlosses zurück. Die Menge der Zuschauer verlief sich murrend.

Geschwind ließ der Jüngling sein Schwert zurück in die Scheide gleiten, reichte mir das meine und zog mich mit sich in die Küche. Nahe am Herd lag ein geflickter lederner Umhang und eine reich mit Intarsien verzierte Laute - Lilien und Sternblumen schmückten ihren Schallkörper und Efeu ihren Hals. Auf einem formlosen Lederbeutel ganz in der Nähe saß ein kleiner Junge, dieser, den ihr hier seht, in einer Hand ein Stück Käse an dem er kaute, in der anderen den Griff eines kurzen, für ihn jedoch viel zu großen Schwertes mit silberbeschlagener Scheide. Da die Augen des Knaben das gleiche Bernsteingelb wie die Augen des Jünglings hatten, dachte ich mir, daß sie wohl Brüder sein müßten.

In ruhiger Eile packte der Jüngling seine Habe zusammen, hing sich Beutel und Laute an bestickten Riemen auf den Rücken und nahm den Knaben auf die Arme. "Wenn ihr Hannai retten wollt, kommt mit mir und tut, worum ich euch bitte", sagte der Jüngling zu mir und verließ schon die Küche. Und bevor ich wußte, wie mir geschah, nickte ich und folgte so wie ich war dem schnellen Schritt des Jünglings, der seinen Weg offenbar klar vor sich sah.

Den Tag über wanderten wir fast schweigend nach Süden, dann, in der Nacht, machten wir eine Rast und entzündeten ein Feuer. "Hört mir gut zu, denn mir bleibt nicht mehr viel Zeit", begann der Jüngling und zog einen für seine Hand viel zu klobigen Goldring mit einem großen, rundgeschliffenen Sternsaphir, tiefblau und makellos, von einem Finger und gab ihn mir. "Prägt euch das Aussehen dieses Steines gut ein. Dieser Knabe heißt Hermil Tashrany. Bringt ihn zu seinem Stamm. Einst wird die Zeit kommen, da er mehr über seine Herkunft und sein Schicksal erfahren muß, doch das wird erst geschehen, wenn dieser Ring, den ihr in der Hand haltet, wieder ganz ist." Da zuckte plötzlich ein einzelner Blitz aus dem Himmel herab und spaltete den Stein. Eine Hälfte fiel heraus, die andere Hälfte jedoch blieb fest in der Fassung. Der Jüngling nahm das Saphirstück an sich. "Bringt diesen Jungen zum Stamm der Tashrany und bittet seinen Fürsten, dieses Kind wie sein eigenes aufzuziehen. Übergebt auch den zerbrochenen Ring und dieses Schwert, damit beides einst an diesen Knaben weitergegeben wird, als eine Erinnerung an seinen Vater." Und mit diesen Worten gab mir der Spielmann das kurze, silberverzierte Schwert, das ich hier in der Hand halte." Und der alte Krieger legte vor dem Fürsten der Tashrany ein sorgfältig gearbeitete Schwert städtischer Machart auf die Teppiche. Dann legte er den beschädigten Ring neben das Schwert und sagte: "Und dies ist der Ring, von dem ich erzählte."

Der Fürst der Tashrany besah sich Schwert und Ring und der alte Krieger fuhr fort: "Nach den Worten des Spielmanns dachte ich, er sei der Vater des Jungen und so fragte ich: "Wer seid ihr, damit ich dem Fürsten der Tashrany euren Namen sagen kann."

Da antwortete mir der Spielmann: "Ich bin gesandt worden, Hannai zu retten. Mein Name ist unwichtig." Und plötzlich umströmte den Jüngling blendend weißes Licht. Wie ein Ertrinkender griff er nach der Laute, die neben ihm lag. "Versprecht mir noch eines", sagte er flehend und es klang wie aus weiter Ferne. "Wenn ihr den Stamm der Tashrany erreicht habt, gebt Nachricht nach Letran, an eine Frau namens..." Aber den Namen sagte der Jüngling nicht mehr. Er und die Laute, die er in der Hand gehalten hatte, waren verschwunden und ein weißer Falke flog kreischend von dem Ledermantel auf, auf dem der Jüngling am Feuer gesessen hatte." Und mit diesen Worten beendete der alte Krieger seinen Bericht.

"Das muß ein Bote des Ungenannten gewesen sein", sagte da einer der Ältesten des Stammes, denn der Rat der Tashrany hatte zusammen mit dem Fürsten die Geschichte des Neshrim Temhaly angehört. "Man sagt, die Unirdischen hätten silbriges Haar und verstünden sich meisterlich auf alle Künste der Irdischen. Außerdem erscheinen sie den Sterblichen oft in Gestalt eines weißen Falken, wie ihr Gebieter, der Ungenannte selbst."

Und ein anderer der Ältesten ging zu dem alten Krieger hin und sah dem Knaben, den er in seinen Armen hielt, ins Gesicht. "Dieser Junge... seine Falkenaugen zeigen, daß auch er das Blut der Unirdischen in sich hat... mein Fürst, wenn ich dir raten darf, nimm diesen Knaben als dein eigenes Kind an und lehre ihn alles, was du weißt. Sicher steht ihm ein bedeutendes Schicksal bevor, da er den Namen eines unserer bedeutendsten Fürsten trägt."

Da nickte der Fürst der Tashrany und tat, wie der Älteste ihm geraten hatte. Neshrim Temhaly jedoch, der den Jungen zu seinem Stamm gebracht hatte, verabschiedete sich schon bald wieder von den Tashrany und zog weiter zu seinem eigenen Stamm, mit einem schnellen Reitkamel, daß ihm der Fürst der Tashrany geschenkt hatte.

Diese Geschichte erzählte mir mein Vater, als ich alt genug war, ihren Sinn zu verstehen und wie ihr seht, trage ich den Ring mit dem zerbrochenen Stein und das Schwert, in einer roten Lederscheide, verziert mit silbernen Beschlägen und mit einem Griff, der ebenfalls mit rotem Leder umwunden ist, liegt bei meinen Besitztümern in meinem Zelt. Seid ihr zufrieden mit meiner Geschichte, hohe Frau?" fragte Hermil Tashrany.

"Mit euch scheint es tatsächlich eine ganz sonderbare Bewandnis zu haben", sagte Patrais von Letran daraufhin nachdenklich. "Ich glaube sogar, euer Schicksal ist mit dem meinen verbunden, denn aus meiner Geschichte könnt ihr wohl auch etwas über eure Herkunft entnehmen."

"Erzählt es mir!" rief da Hermil Tashrany aufgeregt, so daß die Frau des Königs ihn ermahnen mußte: "Pst! Seid leise! Wenn einer der Haremswächter euch bei mir findet, kann ich nicht mehr für eure Sicherheit garantieren."

Hermil Tashrany schwieg betroffen und die Frau des Königs legte die schmalen Hände aneinander um sich zu sammeln. Dann begann sie:

*

"DIE GESCHICHTE DER PATRAIS VON LETRAN.

Meine Mutter lebte in Letran. Sie war die Gildemeisterin der Kräuterfrauen und überall für ihre Heilkunst bekannt. Ihr müßt wissen, daß der Name Patrais in Letran recht ungewöhnlich ist, denn es ist ein Oshey-Name und nur wenige Oshey dringen bis Letran in den Norden vor.

Eines Tages nun fragte ich meine Mutter: "Warum hast du mich Patrais genannt? Andere Mütter geben ihren Töchtern den Namen einer Ahnin, aber keine Frau in unserer Familie hieß Patrais."

Daraufhin lächelte meine Mutter versonnen und begann: "Ich werde dir die Geschichte der Frau erzählen, nach der du benannt worden bist.

*

DIE GESCHICHTE DER PATRAIS TASHRANY.

Vor einigen Jahren klopfte es des Nachts an meine Tür. Draußen stand eine elend und zerlumpt aussehende kleine Gestalt mit kurzem rotem Haar, die mich mit kläglicher Stimme um Hilfe bat. Ein Kind, das sich verlaufen hat, dachte ich und als ich den Schmerz in seinen Augen sah, der alles Leid der Welt wiederzuspiegeln schien, ließ ich es herein. Ich nahm ihm den zerlumpten Ledermantel ab und seinen Beutel und sah, daß an einem anderen, sorgfältig bestickten Riemen eine Laute hing, die mit wunderbaren Intarsien verziert war: mit Lilien und Sternblumen und am Hals mit Efeu."

Und so, wie meine Mutter die Laute beschrieb, muß es genau diejenige gewesen sein, von der auch Neshrim Temhaly sprach, der euch zu den Zelten der Tashrany brachte. Doch meine Mutter erzählte auch von den beiden Schwertern: "Eines war schmal und sehr lang, das andere war kurz, in einer Scheide aus rotem Leder und mit silbernen Ornamenten verziert. Und an seiner Hand trug das Kind einen dicken aber schlichten Goldring, in den ein großer, rundgeschliffener Sternsaphir gefaßt war.

"Wer bist du?" fragte ich, denn die Schwerter, der Ring und die kostbare Laute schienen mir seltsam angesichts der schäbigen Kleidung des Kindes.

"Ich bin Patris", sagte das Kind leise und dann, voller Erschütterung flüsterte es wie zu sich selbst: "Er hat ihn ermordet. So beiläufig, als würde er irgendein Insekt zerquetschen... seinen eigenen Neffen hat er getötet. Oh, Götter, wann hört dieses Morden auf?" Sichtlich erschöpft und wie ein Häuflein Elend saß das Kind am Herd und starrte in die Flammen, als gäbe es nichts mehr auf der Welt, für das es sich zu leben lohnte. Seine Stirn war fiebrig und als ich mich anschickte, es zu entkleiden, um Brust und Rücken mit einer Salbe einzureiben, ließ das Mädchen es willenlos mit sich geschehen. Ich bereitete ihm einen Schlaftrunk und richtete ein Nachlager. Doch es dauerte noch fast bis zum Morgen, bis das Mädchen endlich einschlief und noch schlafend beklagte es die Ungerechtigkeit der Welt und sprach von dem Mord an einem, den es Lanas nannte.

Am nächsten Morgen schließlich, als ich dem Mädchen eine Suppe zu seiner Stärkung ans Lager brachte, fragte ich beiläufig, ob es mir nicht seinen Kummer erzählen wolle, sicherlich würde es ihm dann gleich viel besser gehen. Und sie sah mich aus großen, verängstigten Augen an, als hätte ich sie mit meinen Worten wie mit einer Waffe bedroht. Und da schien die Morgensonne ihr direkt ins Gesicht und ich sah, daß ihre Augen eine ganz ungewöhnliche Farbe hatten, wie altes Gold und doch auch wie eine lodernde Flamme, doch das Licht in ihnen war bis auf ein kümmerliches Flämmchen erloschen. Auch ihr Haar war ungewöhnlich, merkte ich jetzt. Es hatte zwar einen statten Rotton, wie das Haar vieler, die aus dem Osten oder Norden kommen, doch an seinem Ansatz an der Stirn und an den Schläfen schimmerte es silbern, wie gebleichte Seide. Und so wollte ich wissen: "Wer bist du? Du hast dich Patris genannt, doch das ist ein Jungenname. Woher kommst du, daß du in diesem jämmerlichen Zustand bist, und schließlich, wer ist Lanas, um den du trauerst, wie um einen Bruder?"

Die Angst wich langsam aus ihrem Blick, als erwache sie aus einem Alptraum, doch lange sagte sie nichts und ich fürchtete, sie mit meinen Fragen verschreckt zu haben. Doch dann begann sie: "Ich nenne mich Patris und Lanas nannte ich meinen Bruder. Doch das ist genauso falsch wie die Farbe in meinem Haar. Ich heiße Patrais Tashrany und komme aus Hannai."

"Es ist ein langer Weg von Hannai bis Letran", sagte ich leise und Patrais Tashrany nickte. Wieder schwieg sie, doch dann sah sie mich flehend an und sagte: "Laßt mich euch alles über mich erzählen. Zu viele sind gestorben und ich werde scheitern, wenn ihr mir nicht helft."

Ich setzte mich neben das Lager auf einen Hocker. "Erzähl, mein Kind und wenn ich kann, werde ich dir helfen."

Patrais Tashrany setzte sich auf und begann: "Dann höre also:

*

DIE GESCHICHTE VON NEFUT DEM LÖWEN.

Mein Vater Nefut war der Sohn einer Sklavin, die Resan von Berresh, dem König von Hannai, einst geschenkt worden war, nachdem er die Regierung übernommen hatte. Wenige Tage nach ihrem Erhalt schenkte Resan die Sklavin weiter an einen verdienten Kämpfer unter seinen Gefolgsleuten und dieser galt als der Vater meines Vaters.

Mein Vater wuchs heran und auf Drängen seiner Mutter erlaubte es ihr Gebieter endlich, zu seiner Erziehung Lehrer unter den Weisen der Oshey auszuwählen und auch einen Schwertmeister, damit er die Kunst des Kampfes erlerne. Noch bevor er ganz zum Manne gereift war, galt er am Hofe des Königs schon als großer Held und wurde bald Nefut der Löwe genannt, denn während einer Jagd, die der König für seinen Sohn Ashan und die Söhne seiner Getreuen veranstaltet hatte, rettete mein Vater dem Prinzen Ashan das Leben, indem er dessen Pferd im letzten Moment von einer Schlucht zurückriß. Dabei wurde der Schwertarm meines Vaters so schwer verletzt, daß ihm der Arm schließlich abgenommen werden mußte.

Nie jedoch war mein Vater deswegen verbittert, obwohl der Schwertkampf sein größtes Vergnügen gewesen war. Doch den Prinzen Ashan verehrte er über alles und stolz trug er den juwelengeschmückten Dolch, den der König ihm für seine tapfere Tat geschenkt hatte. Nefut der Löwe lernte, mit der Linken das Schwert zu führen und schon bald hatte er wieder einige Fertigkeit mit der Waffe erlangt.

Eines Nachts, Jahre nach jedem heldenhaften Unfall und zwei Tage vor seiner Hochzeit mit der ältesten Tochter einer befreundeten Familie, hatte er jedoch einen sonderbaren Traum: unversehrt, mit beiden Armen, jedoch ohne irgendwelche Kleidung stand er in einem großen blühenden Garten und über ihm kreisten hoch im blauen Himmel weiße Falken. Tiefer Friede erfüllte meinen Vater und der Wunsch, ewig in diesem Garten zu bleiben und dem Flug der Falken zuzusehen wurde so übermächtig, daß er sich ins Gras legte und gerade hinauf in den Himmel sah. Da ließ sich einer der Falken aus dem Himmel fallen und noch bevor er den Boden erreichte, verwandelte er sich in eine grazile Frau von unsagbarer Schönheit, allein mit langem wie Silber glänzendem Haar bekleidet und mit bernsteinfarbenen Augen, die einem Falken zu gehören schienen. Und ohne ein Wort zu sprechen legte sie sich zu ihm und nahm seinen Samen in ihren Schoß auf.

Voller Trauer erwachte mein Vater aus diesem Traum, denn mit der Schönheit dieser unirdischen Erscheinung konnte sich keine sterbliche Frau messen und nirgends in der Welt der Menschen würde solcher Friede zu finden sein, wie ihn der blütenübersäte Garten geboten hatte. Doch Nefuts Braut war für einen Menschen von außerordentlicher Schönheit und so verblich der Traum, auch wenn mein Vater ihn niemals vergaß.

Ein Jahr ging dahin und ein zweites und der Vater meines Vaters starb, ebenso wie Resan von Berresh und Resans Sohn Ashan wurde König von Hannai und machte Nefut zu seinem geehrten Vertrauten und Berater. Die Frau Nefuts jedoch empfing nicht, aber da mein Vater sie wahrhaftig liebte, machte er ihr keinen Vorwurf, ja er dachte noch nicht einmal daran, eine weitere Frau zu nehmen. Da hatte er jedoch erneut einen wundersamen Traum, der ihn wieder in jenen Garten führte, in dem er bei einer Unirdischen gelegen hatte. Und wieder stand er nackt dort, doch diesmal fehlte sein Arm und über ihm kreiste diesmal nicht die Menge der weißen Falken sondern nur ein einzelner und als der meines Vaters ansichtig wurde, da stürzte er auch schon zur Erde und verwandelte sich noch im Fluge zu jeder Frau, die zwei Jahre zuvor bei ihm gelegen hatte.

In ihren Armen hielt sie ein Kind, das wie die Frau Augen wie ein Falke hatte und auch das silbrig schimmernde Haar der Unirdischen, seine Haut jedoch war dunkel wie die seines Vaters. Die Unirdische reichte meinem Vater dieses Kind und sagte: "Das Blut der Sterblichen fließt in seinen Adern, daher kann es nicht länger bei mir bleiben. Sie ist deine Tochter und am Morgen werde ich sie zu dir bringen. Erzähle deiner Frau von deinen Träumen und berichte auch deiner Tochter von mir. Wenn sie herangewachsen ist, schicke sie zu mir zurück, sie wird den Weg finden." Und mein Vater erwachte.

Sogleich berichtete er seiner Frau von diesem Traum und jenem, der zwei Jahre zurücklag und seine Frau hörte ihm ruhig zu und sagte dann: "Ich werde deine Tochter aufziehen, als hätte ich selbst sie geboren."

Da sprach mein Vater: "Vor der Welt soll sie als dein leibliches Kind gelten und so wird niemand erfahren, daß du unfruchtbar bist."

Als der Morgen angebrochen war, kam zum Hause meines Vaters eine alte Frau und in einem Korb trug sie ein Neugeborenes, ein kleines Mädchen mit silbrigem Haar und bernsteinfarbenen Augen. Und als man die alte Frau einließ, sagte sie kein Wort sondern stellte Nefut dem Löwen nur den Korb vor die Fuße und verließ das Haus so schweigend, wie sie es betreten hatte. Und am Hofe in Hannai wurde bekannt gemacht, daß die Frau des königlichen Beraters eine über alle Maßen schöne Tochter geboren hätte, die Patrais heißen solle.

Die Mutter meines Vaters, die nach dem Tode ihres Gebieters in das Haus ihres Sohnes gezogen war, bestand darauf, daß auch ihre Enkelin von den Weisen der Oshey erzogen und daß auch sie in der Kunst des Schwertkampfes unterwiesen werden sollte, obwohl sie ein Mädchen war. Viele Jahre vergingen und ich wuchs heran. Man unterrichtete mich und erzog mich zu gottgefälligem Handeln und lehrte mich all jene Künste, die einem Mädchen nicht anstanden, wie man sagte. Lange Zeit zerrissen sich die Diener den Mund darüber, daß die Tochter Nefuts in den Männern vorbehaltenen Künsten unterwiesen werde, doch mit der Zeit gewöhnten sie sich daran ebenso, wie an mein helles Haar und meine gelben Augen.

Dann kam jedoch der Tag, an dem die Mutter meines Vaters spürte, daß sie dem Tode näher war als jemals zuvor, und so rief sie nach ihrem Sohn. Am Abend jenes Tages starb meine Großmutter, mein Vater jedoch ging ohne ein Wort aus dem Haus und kam erst sehr spät in der Nacht wieder, zusammen mit einem großen, schlanken und sehr elegant gekleideten Mann. Mich beeindruckte die Erscheinung des fremden Mannes und ich schlich ihnen nach, um zu belauschen, was mein Vater mit diesem Mann zu bereden hatte.

"Kennt ihr den großen Edelstein, der das Zepter des hannaischen Königs schmückt?" fragte mein Vater den unbekannten Mann.

"Wer kennt diesen Edelstein nicht?" fragte der Mann zurück und hob eine seiner scharf konturierten schwarzen Augenbrauen, die wie die Schwingen eines stolzen Raubvogels über seinen schwarzen Augen schwebten.

Mein Vater schwieg dazu und zeigte dem Mann eine Papierrolle. Er erklärte: "Das ist ein Plan der Geheimgänge des königlichen Palastes. Es gibt einen Gang, der zur königlichen Schatzkammer führt, in der die Herrscherinsignien verwahrt werden. Der Gang und die Kammer sind allein durch eine Tür voneinander getrennt, die einfach zu öffnen ist."
"Wollt ihr den Edelstein stehlen lassen?" fragte der Mann neugierig und deutlich interessiert.

"Ich will meinem König und Freund", mein Vater betonte dieses Wort auf eine außerordentliche Weise, "mit dieser Übung beweisen, wie schlecht geschützt und leicht zugänglich die Schätze der Stadt sind, die am besten gehütet werden müßten... bevor ich euch jedoch über den Öffnungsmechanismus der Tür aufkläre, müßt ihr wissen: mit der Annahme der Hälfte eures Lohnes verpflichtet ihr euch, mir den Stein morgen zu dieser Stunde ins Haus zu bringen. Dann erhaltet ihr auch die andere Hälfte der sechshundert Goldstücke."

Es verschlug mir den Atem, denn selbst für meinen Vater, der als außerordentlich wohlhabend galt, war diese Summe ein Vermögen. Dieses Unternehmen mußte meinem Vater sehr am Herzen liegen. Papier raschelte und ich sah, wie mein Vater den Plan der Geheimgänge auf einem Tisch ausbreitete, mühsam mit einer Hand, aber er ließ sich nicht von seinem Besucher helfen. Mit seinem Zeigefinger deutete er auf die Karte: "Prägt Euch diesen Zugang und den Weg genau ein, denn die Karte bleibt bei mir. In der Mitte der bewußten Tür ist ein Eisenring, der den Schließmechanismus in Gang setzt. Er muß drei mal nach links und eine halbe Drehung nach rechts gedreht werden." Während der fremde Mann sich über die Karte beugte, holte mein Vater einen prallen Lederbeutel aus seiner Geldschatulle, die die versprochenen dreihundert Goldstücke enthalten mußte, die Hälfte der Summe, die er für den Diebstahl zu zahlen bereit war. "Laßt das Zepter selbst unberührt", ermahnte mein Vater den Mann. "Es geht mir nur um den Stein." Dann rief er einen Sklaven, der den Mann hinausgeleitete. In dieser Nacht lag ich noch lange wach und fragte mich, was meine sterbende Großmutter meinem Vater wohl erzählt haben mochte.

Am nächsten Tag war mein Vater sehr unruhig und immer wieder ging er hinaus in den Garten und sah in den Himmel, nach dem Stand der Sonne, als erwarte er sehnsüchtig den Anbruch der Nacht. Als es schließlich dunkel wurde, verschlimmerte sich seine Unruhe noch und endlich wurde es Nacht, doch der fremde Mann, der für meinen Vater den Stein aus dem Zepter des Königs hatte stehlen sollen, war noch nicht gekommen. Schließlich ging ich zu Bett und als ich mit Sonnenaufgang erwachte, kam die Frau meines Vaters in mein Zimmer und sagte zu mir: "Dein Vater will, daß ich dir erzähle, was er von seiner Mutter erfuhr. Er selbst ist bereits zum König gegangen.

Von seiner Mutter erfuhr dein Vater die Geschichte deines Großvaters, deines wahrhaftigen Großvaters, denn weder der Mann, dessen Sklavin deine Großmutter war, noch Resan von Berresh, wie einige Gerüchte besagen, war der Vater deines Vaters, sondern Kermul Tashrany, der letzte der Oshey-Könige Hannais, zeugte ihn. So ist der wahrhafte Name deines Vaters also Nefut Tashrany und der deine ist Patrais Tashrany. Und nun höre die wundersame Geschichte, die deine Großmutter zu erzählen hatte:

*

DIE GESCHICHTE VOM VERMÄCHTNIS DES LETZTEN OSHEY-KÖNIGS VON HANNAI.

Vor fast vierzig Jahren herrschte Kermul Tashrany, den das Volk den Gerechten nannte, über Hannai und seine jüngste Frau war jene, die deine Großmutter wurde. Eines Tages jedoch kam der König und sein Wesir zu ihr und fragten sie: "Erwartet ihr ein Kind des Königs?"

Und die Frau wunderte sich, wie sie es wissen konnten, denn sie selbst wußte es erst seit kurzem mit Gewißheit und wollte es dem König in dieser Nacht offenbaren. "Woher wißt ihr, daß ich ein Kind von meinem Gemahl erwarte?" fragte sie darum und der König sagte: "Ein weißer Falke hat es mir im Traum offenbart. Und er sprach auch von einer giftigen Schlange hier im Palast, die alles daran setzt, mich vom Goldenen Thron zu stürzen."

"Denkt ihr etwa, ich könnte diese Schlange sein?" fragte die junge Frau da erschrocken, denn sie wünschte dem König, den sie sehr liebte, nichts als Gutes.

Doch der König beruhigte sie. "Die Schlange ist mein neuer Ratgeber, der sich Prinz Resan von Berresh nennt. Viele meiner Getreuen hatte er schon auf seine Seite gezogen, bevor ich oder mein Wesir es bemerkten. Doch jetzt ist sein Plan zu weit gediehen, als daß man das Unglück noch sicher abwenden könnte, das Hannai droht. Nicht einmal mit der Hilfe der Götter läßt sich jetzt noch etwas daran ändern. Nur die Zeit hat die Macht, alles wieder in die richtigen Bahnen zu lenken... aber nun höre meinen Plan, geliebte Gattin und Mutter meines Erben. Resan von Berresh hat mich und meinen Wesir zu einer Jagd eingeladen, von der ich gewiß nicht lebend zurückkehren werde, und auch meinen Kindern und Frauen, sowie allen, die sich auf meine Seite stellen, droht Gefahr. Doch allein Dich kann ich retten und unseren ungeborenen Sohn, so wirst du meine Rache an Resan von Berresh sein, denn er vergeht sich gegen die Götter, wenn er einen Tashrany vom Thron stürzt und seine Frauen und Kinder ermordet.

Breche noch heute abend zusammen mit meinem Wesir nach Osten auf. Er bringt dich zu einem Mann, der sein verschworener Bruder ist und der dich hierher zurückbringen wird, sobald Resan von Berresh als König auf dem Goldenen Thron sitzt. Er wird als Gesandter eines Nachbarlandes auftreten und dich als Geschenk seines Königs an Resan von Berresh übergeben. Wenn Resan von Berresh dir beiwohnt, sage, das Kind, das du nun unter dem Herzen trägst, sei von seinem Samen und sorge dafür, daß unser Sohn in allem unterrichtet wird, was sich für einen Tashrany geziemt. Von seiner wahren Herkunft berichte unserem Sohn jedoch erst, wenn du merkst, daß sich dein Ende naht. Und nun höre noch die geheimen Worte, die zusammen mit dem Edelstein im Zepter des hannaischen Königs seit Jahrhunderten dem Gerechten die Hilfe der Götter sichern." Und der König lehrte seine jüngste Frau die heiligen Worte, damit sie diese an ihren Sohn weitergeben könne und nun lehrte mich die Frau meines Vaters dieselben heiligen Worte.

"Es geschah tatsächlich alles so, wie der König befürchtet und geplant hatte", fuhr die Frau meines Vaters fort. "Er und sein Wesir und alle seine Getreuen, die nicht vorher geflohen waren, wurden getötet und mit ihnen ihre Frauen und Kinder. Nach dieser blutigen Machtübernahme kam der Eidbruder des Wesirs mit der Frau des getöteten Königs zurück nach Hannai, stellte sich als Abgesandter eines benachbarten Königreiches vor und überreichte dem König als Geschenk seines Fürsten eine wunderschöne Sklavin aus dem Harem seines Herrn.

Der Usurpator, der sich nun Resan der Eroberer nannte, war in der Tat sehr angetan von der Schönheit seiner neuen Sklavin, doch nach wenigen Tagen sah er sich gezwungen, Versprechen denen gegenüber einzulösen, die auf seiner Seite gekämpft hatten und so wurde die Sklavin an einen Getreuen des König weitergegeben, der seit dem als Vater deines Vaters galt."

Die Frau meines Vaters schwieg dann eine Weile und ihr Gesicht war traurig. "Es war das Schlimmste, was man deinem Vater sagen konnte", sagte sie dann seufzend. "Nefut riskierte also für den Sohn des Mörders seines leibhaftigen Vaters sein Leben und verlor bei dieser Rettung seinen Schwertarm. Dein Vater sagte mir, er würde vor den König treten und den Thron von ihm zurückfordern, doch welche Chance hat er ohne den Edelstein aus dem Zepter des Königs, auch wenn er die heiligen Worte kennt? Man wird ihn verlachen oder sogar töten für seinen Hochmut und uns wird es nicht besser ergehen."

Da umarmte ich die Frau meines Vaters und sagte um sie zu trösten: "Aber er hat doch einen Mann beauftragt, den Edelstein aus dem Zepter zu stehlen."

Da sah mich die Frau meines Vaters mit Tränen in den Augen an. "Ach, mein Kind, das macht alles nur umso schlimmer, denn der Mann, den er beauftragte, hat ihn betrogen. Auch ich wußte von dem geplanten Diebstahl, doch der Mann kam nicht zur festgesetzten Stunde und dein Vater bracht auf, ohne den Schutz, den ihm die Hilfe der Götter geboten hätte."

Da flog plötzlich die Tür zu den Frauengemächern auf und eine Dienerin lief mit wehenden Gewändern herein. "Herrin, ein Diener eures Gemahls kam soeben aus dem Palast des Königs und hat Nachricht für euch."

Da eilte die Frau meines Vaters hinaus und ich folgte ihr, um zu hören, wie es meinem Vater ergangen war. Der Diener war erschöpft, von seiner Stirn tropfte der Schweiß und er keuchte, als er sagte: "Herrin, ich belauschte die Rede, die mein Gebieter, euer Gemahl, vor dem König und seinem Hofstaat hielt. Sie war flammend und voller Haß, er beschimpfte den König als den Sohn eines gemeinen Mörders, den er lieber in den Abgrund hätte stürzen lassen sollen, als ihn zu retten und dabei den Schwertarm zu verlieren. Und er beschuldigte die Berater des Königs, offenen Auges den Sohn eines Verbrechers auf dem Goldenen Thron - den doch die Götter selbst geschaffen haben - zu dulden. Wenn man ihm den Stein aus dem Zepter brächte, würde er allen zeigen, daß er die Macht habe, die Götter um Hilfe anzurufen, wie es zuletzt Kermul Tashrany, der letzte Oshey-König Hannais vermocht habe. Diese Herausforderung nahm König Ashan an und er rief nach seinem Zepter. Er werde allen beweisen, daß Nefut der Löwe lauter brüllte, als ihm anstand, doch da bemerkte man, daß der Stein aus dem Zepter gestohlen worden war. Da rief mein Herr: "So hat der Dieb also uns alle betrogen!" und stürzte sich in sein Schwert, um von eigener Hand zu sterben.

Ich eilte sofort hierher zurück, denn auch euch und eurer Tochter droht Gefahr, Herrin. Die Männer des Königs sind bereits unterwegs." Der Diener meines Vaters hatte seinen Bericht beendet und, am Ende seiner Kräfte, stürzte er zu Boden und rührte sich nicht mehr.

Die Frau meines Vaters jedoch befahl sofort, einfache Kleidung für einen Knaben meiner Statur zu bringen und ging daran, mir eigenhändig die langen, hellen Haare abzuschneiden und den verbliebenen Rest mit einer Tinktur dunkelrot zu färben. Sodann befahl sie mir, die Knabenkleidung anzuziehen, gürtete mich mit dem Schwert, das mein Vater für mich hatte anfertigen lassen, nachdem ich meine Lehrer in ihrer Kunst übertroffen hatte, und schickte mich aus dem Haus meines Vaters. "Suche deine wahre Mutter auf. Bei den Unirdischen wirst du in Sicherheit sein und vielleicht gebierst du den Tashrany eines Tages den Sohn, der Hannai mit Hilfe der Götter auf den Wahren Weg zurückführt."

Dies war die Geschichte Nefut Tashranys, den man den Löwen nannte und der mein Vater war. Und es war auch der Anfang meiner Geschichte. Nun wißt ihr, wer ich bin, doch die Frau meines Vaters irrte sich, als sie sagte, ich würde die Unirdischen finden. Seit Monaten suche ich jetzt und alles was ich fand war eine kurze Liebe, beendet durch einen grausamen Mord."

Da strich ich Patrais Tashrany über die fiebrige Stirn und bat sie, zu essen und zu schlafen und mir ihre weitere Geschichte mit frischen Kräften am nächsten Tag zu erzählen.

Als ich am nächsten Morgen wieder nach ihr sah, empfing sie mich mit einem kleinen Lächeln und ich merkte, daß es ihr viel besser ging. Ich setzte mich wieder und sie begann:

*

"Laßt mich nun DIE GESCHICHTE VON LANAS DEM ROTEN erzählen.

Nachdem ich das Haus meines Vaters verlassen hatte, lief ich einfach nur fort und merkte schon bald, daß ich mich in der großen Stadt Hannai, von der ich nur wenige Straßen der vornehmen Südstadt kannte, verlaufen hatte. Ich setzte mich an einem Brunnen in den Schatten der Bäume und war der Verzweiflung nahe. Ich mußte daran denken, daß ich weder meinen Vater noch seine Frau jemals wiedersehen würde, denn beide waren tot oder doch so gut wie tot. Allein die Hoffnung blieb mir, eines Tages meine leibliche Mutter zu finden, die Unirdische, die bei meinem Vater gelegen hatte. Und vielleicht gelang es mir auch, Rache zu nehmen an jenem Dieb, der meinen Vater betrogen und damit in den Tod getrieben hatte.

Da sah ich plötzlich die Wachen des Königs, wie sie jeden auf dem Brunnenplatz lange befragten und ich wußte, daß sie nach mir, nach der Tochter des Verräters Nefut suchten. Ich schlich mich davon und drückte mich in eine enge Gasse, um dort den forschenden Blicken der königlichen Wachen zu entgehen, dabei stieß ich plötzlich gegen jemanden, der mir entgegen kam. In der Düsternis der Gasse konnte ich nicht viel von ihm erkennen, nur daß er groß war und starke Hände hatte, mit denen er mich an den Schultern packte und schüttelte. Er fragte barsch: "Was willst du hier, kleine Ratte?"

Ich stotterte herum und versuchte, mich dem unbarmherzigen Griff zu entziehen, aber der Mann presste mich einfach gegen die Wand und befahl: "Chelem! Sei still!"

Noch nie hatte jemand in meiner Gegenwart geflucht oder in einem solchen Ton mit mir gesprochen. Ich war so verblüfft, daß ich tatsächlich verstummte. Der Mann schob mich vor sich her aus der Gasse, wieder zurück auf den Brunnenplatz, wo die Wachen des Königs noch immer alle befragten. Einer der Wächter kam auch auf mich und den Mann zu. "Habt ihr einen kleinen Jungen mit weißen Haaren und gelben Augen gesehen?" fragte der geharnischte Mann.

Ich hielt den Kopf gesenkt, um mich nicht durch die Farbe meiner Augen zu verraten, denn Haarfärbemittel sind kein ungebräuchliches kosmetisches Hilfsmittel. Ich machte mich darauf gefaßt, an den Wächter ausgeliefert zu werden, doch der Mann, der mich noch immer fest im Griff hatte, antwortete dem königlichen Wächter frech: "Und hast du den Kerl gesehen, dessen Pferd nach meinem Bruder ausgetreten hat? Der Kleine ist noch immer ganz verstört." Der Mann schob mich dem Wächter hin, aber der kümmerte sich nicht um mich.

"Dein Bruder interessiert mich nicht, Kerl", schnappte der Wächter ungehalten. "Sieh zu, daß du besser auf ihn Acht gibst!" Als der Schritt der genagelten Stiefel sich entfernte, wagte ich zögernd, den Kopf zu heben. Der Mann lockerte seinen Griff, drehte mich zu sich um und besah sich forschend meine Augen. "Gelbe Augen? Nein, mein kleiner Bruder hat Augen wie zwei Topase... und was machst du mit diesem langen Schwert, kleiner Mann?" Er befingerte mein schmuckloses Oshey-Schwert und murmelte etwas von guter Arbeit.

Inzwischen musterte ich meinen 'Retter'. Er war ganz in rot gekleidet, schlank und hochgewachsen und mochte seiner Haar- und Hautfarbe nach fast ein Oshey sein. Und er war sicherlich kaum siebzehn Jahre alt und damit nur wenig älter als ich selbst. An einem quer über seine Brust laufenden, reich bestickten Lederriemen hing eine Laute, von der ich über seiner rechten Schulter nur das oberste Wirbelpaar sah, ein zweiter Riemen gehörte zu einem Ledersack und an einem rot gefärbten Gürtel hing ein kurzes Schwert in einer silberbeschlagenen Scheide, wie es bei den jungen Männern aus Hannais vornehmen Familien Mode war. Seine schwarzen Augen unter den geschwungenen Augenbrauen betrachteten mich prüfend, dann neigte er leicht seinen Kopf und sagte: "Ich bin Lanas der Rote. Wohin unterwegs, kleiner Freund? Ich ziehe nach Norden."

Und da mir diese Richtung so gut wie jede erschien, sagte ich: "Mein Name ist Pa..tris", denn mir fiel ein, daß ich nicht meinen wahren Namen nennen konnte, ohne mich als Frau zu demaskieren. "Laß mich mit dir kommen."

Lanas der Rote kannte sich offenbar in Hannai aus, denn am frühen Nachmittag hatten wir die Stadt bereits weit hinter uns gelassen, ohne auf einen der königlichen Wächter gestoßen zu sein, die überall in der Stadt nach mir suchten. Auf unserem Weg zog Lanas seine Laute nach vorne und spielte mit leichter Hand die schönsten Melodien, die ich je gehört hatte. Auch die Laute selbst war eines der schönsten Instrumente, die ich je zu Gesicht bekommen hatte. Wie ihr seht, ist der Schallkasten mit Lilien und Sternblumen eingelegt und um den Hals des Instrumentes windet sich Efeu, so naturgetreu gefertigt, als wären die Pflanzen tatsächlich aus dem Holz hervorgewachsen. Und in Lanas Händen war der Klang der Laute manchmal wie das Rauschen eines leichten Regens oder wie das Flüstern des verwehenden Sandes in der Wüste, manchmal jedoch auch wie ein Sturm oder wie das Brausen des Meeres, wenn die Wellen mächtig gegen die Felsen westlich von Hannai peitschen. Unser Weg über Land war anstrengend, doch er machte mir auch Freude, denn in der Gesellschaft des Spielmannes begann ich, die Ereignisse zu vergessen, die mich aus Hannai fortgeführt hatten.

Ich sprach Lanas gegenüber nie von meiner wahren Vergangenheit. Ich ließ ihn in dem Glauben, daß ich tatsächlich ein Junge sei, und als Lanas mich nach meiner Herkunft fragte, erzählte ich ihm, ich sei der Sohn eines Kaufmannes aus Tetraos, denn ich kannte ein wenig von dieser Stadt, in der eine Schwester meines Vaters wohnte. Ich behauptete, mein Vater hätte mich bei einem Kollegen in Hannai in die Lehre gegeben, da er es nicht für sinnvoll gehalten habe, seinen Sohn selbst auszubilden. Das lange Oshey-Schwert sei ein Abschiedsgeschenk meines Lehrmeisters gewesen.

"Du bist doch kaum den Kinderschuhen entwachsen, bartloser Knirps", sagte Lanas als Antwort auf meine erfundene Geschichte lachend, doch er fragte nicht weiter nach. Statt dessen erzählte er mir, er sei der beste Schüler eines berühmten hannaischen Diebes, der Hemafas heiße und unter den angesehensten Bürgern in der Südstadt lebe, ganz in der Nähe des königlichen Palastes. Dieser Hemafas sei tatsächlich sogar sein Onkel, da er der Bruder oder zumindest Halbbruder von Lanas verstorbener Mutter sei. Über seinen Vater sagte er nur: "Nach allem was ich weiß, könnten wir tatsächlich Brüder sein, Patris."

Nach einigen Tagen der Wanderschaft durch kleine Dörfer und Ortschaften, während der wir stets in den besten Herbergen übernachteten, erreichten wir schließlich Tetraos. Es ist ein buntes Gewimmel von Menschen aus aller Welt, denn hier enden die Karawanenstraßen, die aus dem Süden und Osten durch die Wüste führen, sowie die Bergstraßen aus dem Norden. Nach Westen hin erstreckt sich das endlose Meer und hinter dem Horizont liegen die merkwürdigsten Länder, von denen die Tetrosi die wundersamsten Geschichten zu erzählen wissen, von riesigen Ungeheuern mit hundert Köpfen und von feuerspeienden Drachen.

Der Markt von Tetraos jedoch übertrifft jedes Wunder, von dem die Erzähler berichten könnten, denn hier gibt es die Wunder leibhaftig zu bestaunen und zu kaufen: Tänzerinnen aus dem Fernen Osten sieht man dort, die kleine, leise klingelnde Silberglöckchen an den Hand- und Fußgelenken tragen, Tierbändiger aus dem Norden mit wilden Tieren, die Kunststücke vorführen und Akrobaten aus dem tiefsten Süden von jenseits der Wüste, so dunkel, daß selbst ein Oshey neben ihnen wie der Tag neben der Nacht aussieht. Auch Oshey sah ich auf diesem Markt. Sie verkauften ihre Lederwaren und Schwerter und als ich sie entdeckte, da stieg die Trauer in mir hoch, und ohne daß ich es sofort merkte, liefen mir die Tränen aus den Augen, die ich bei der Nachricht vom Selbstmord meines Vaters nicht geweint hatte.

Als ich spührte, wie die Tränen über meine Wangen rannen, wischte ich sie schnell fort, damit Lanas sie nicht bemerkte, doch er achtete gar nicht auf mich, denn zwischen einem Gewürzstand und dem Stand eines Bauern, der Hühner und Enten verkaufte, bewegte sich zum Schlag zweier Trommeln eine in schimmerndes, blau eingefärbtes Schlangenleder gekleidete Tänzerin. Um ihren Arm wandt sich eine grüngeschuppte Schlange, die immer wieder ihre gespaltene Zunge hervorschnellen ließ und bedrohlich zischte, wenn einer der Zuschauer sich der Tänzerin zu sehr näherte. Da ich mich von meinen trüben Gedanken ablenken wollte, wandte ich mich nun auch der Schlangentänzerin zu, da sah ich aus dem Augenwinkel eine elegante Gestalt an mir vorübergehen, die mir aus dem Hause meines Vaters noch gut in Erinnerung war: der Dieb, der meinen Vater betrogen hatte.

Sofort griff ich nach meinem Schwert und schickte mich an, ihm zu folgen, da hielt Lanas mich plötzlich zurück. Sein ansonsten so gleichbleibend unbekümmertes Lächeln war der Blässe der Angst gewichen, und er zog mich mit sich in die entgegengesetzte Richtung, so daß ich den Dieb im Gewühl der Menschenmenge schnell aus den Augen verlor.

"Was ist?" stellte ich Lanas zornig zur Rede. Denn die Wahrscheinlichkeit, dem Manne, der den Tod meines Vaters zu verantworten hatte, noch einmal zu begegnen, war verschwindend gering.

Lanas aber lächelte schon wieder. "Nichts, gar nichts", versicherte er mir verdächtig schnell und wies auf einen Stand mit Süßwaren hin. "Willst du nicht etwas haben?"

Doch ich lehnte brüsk ab und drehte mich weg von ihm. Ich dachte allen Ernstes daran, Lanas auf dem Markt von Tetraos stehen zu lassen und mir meinen weiteren Weg allein zu suchen. Lanas versuchte, mich zu beschwichtigen. "Da war jemand, dem ich nicht so gerne über den Weg laufen wollte... zwischen ihm und mir ist noch eine... ziemlich große Rechnung offen", gab er dann mit einem schiefen Grinsen und einer bedeutsamen Handbewegung zu. Ich ließ mich von seinem Charme einwickeln und ging weiter mit ihm über den Markt und bestaunte all das, was sich vor uns in farbenprächtigen Wundern entfaltete.

Als der Tag sich zum Abend neigte, erreichten wir schließlich ein prächtiges Gasthaus. Mit stolz gestrafften Schultern und weit ausholenden Schritten, so daß ich ernstlich Mühe hatte, ihm auf den Fersen zu bleiben, betrat Lanas wieder einmal eine Herberge und verlangte das beste Zimmer für sich und seinen kleinen Bruder. Und wieder einmal war der Wirt überzeugt - obwohl wir doch zu Fuß und ohne Dienerschaft reisten -, es mit einer bedeutenden Persönlichkeit zu tun zu haben und er ließ sogleich das beste Zimmer herrichten und ein feudales Abendmahl bereiten.

Als wir nach dem Essen schließlich unser Zimmer betraten und ich mich sofort auf eines der beiden Betten legte, setzte Lanas sich an die Kante meiner Schlafstatt und fragte: "Wollen wir morgen nicht deinen Vater besuchen?"

Ich sah ihn voller Schreck an. Wie sollte ich ihm erklären, daß der einzige Kaufmann in Tetraos, den ich kannte, der Mann meiner Tante war und der gar nicht entzückt darüber sein würde, wenn ich plötzlich bei ihm auftauchte und den Zorn Ashan von Berresh' auf sein Haus zog. Lanas bemerkte meinen Gesichtsausdruck sofort und lachte leise. "Ich habe mir schon lange gedacht, daß du gelogen hast, junger Mann. Deine Geschichte war nicht überzeugend, aber offensichtlich hattest du es eilig, aus Hannai zu verschwinden. Was immer du auch angestellt haben magst, der König schien sehr erbost darüber zu sein und daher muß mehr in dir stecken, als es von außen den Anschein hat." Er streichelte mein kurzgeschnittenes, rot gefärbtes Haar und sah in meine Augen. "Sie sind wie Bernsteine", sagte er leise. "Wie flüssiges Gold, oder die Topase, die die Sonnenkrone der Hohepriesterin Tyrimas schmücken." Er sprach sehr leise, wie zu sich selbst und seine Stimme war wie das Säuseln einer sanften Brise vom Meer her, wie das leise Rauschen eines nächtlichen Regens im heißesten Sommer. Wie eine Verdurstende sog ich den Klang seiner Stimme in mich auf, ohne auf den Sinn der Worte zu achten.

"Wie alt magst du sein?" fuhr er ebenso leise fort. "Ein halbes Kind noch und doch sicher schon so alt wie ich es war, als mein Onkel mich in die Geheimnisse der Liebe einwies... deine Haut ist so weich wie Blütenblätter und deine Lippen sind wie eine Knospe, die eine Blüte verspricht, wie sie nur einmal in hundert Jahren erblüht. Ach, wie oft habe ich mir gewünscht, einmal diese Lippen zu küssen und über diese Haut zu streichen, dieses seidige Haar zu fühlen, wenn du schlafend neben mir lagst, von dem Frieden erfüllt, der den Sterblichen allein im Traum gewährt ist."

Noch bevor ich begriff, was Lanas von mir wollte, hatte er schon seine Lippen auf die meinen gelegt. Sie waren heiß wie glühende Eisen und sanft wie kostbare Seide auf dem meinen und sein Kuß war so süß und so entflammend wie der Wein aus dem Kelch des Ungenannten. Ewigkeiten schienen zu vergehen, die Welt um uns herum verbrannte und entstand aus ihrer Asche neu, da rückte Lanas plötzlich von mir ab und sagte fast vorwurfsvoll: "Aber du bist ja ein Mädchen!" Er sah mich einen Moment prüfend an, während ich zwischen den Gärten der Freude und dem Dämonenreich Chelems schwebte. Schließlich hob er eine seiner eleganten Augenbrauen und flüsterte mir zu: "...und von einer Schönheit, wie sie für gewöhnlich nur den Göttern eigen ist." Und um uns herum versank die Nacht erneut in den Flammen unserer Leidenschaft.

Auf unserem weiteren Weg nach Norden wurde aus dieser Leidenschaft tiefe Liebe, dennoch verriet ich Lanas nichts über meine tatsächliche Herkunft, denn ich wollte unser Glück nicht trüben. Nach einigen Wochen näherten wir uns Letran und als wir die Stadttore endlich erreichten, dämmerte über den Bergen bereits der Abend. Inzwischen glaubte ich Lanas, daß er tatsächlich ein Meisterdieb war, denn ich sah manches Mal, wie er den Wirt mit dessen eigenem Geld bezahlte. Irgendwem hatte er auch den Saphirring gestohlen, den ich hier habe. In einer Nacht steckte er ihn mir auf einen Finger und ich gab ihm dafür einen silbernen Armreifen, den mir mein Vater einst schenkte und den ich trotz meiner Verkleidung zum Jungen behalten hatte. Nahe den Stadttoren fanden wir eine Herberge, in der noch ein angemessenes Zimmer frei war und wir begaben uns zu Bett, denn der Weg war anstrengend gewesen. Wie wir es seit unserer ersten Liebesnacht hielten, spielte Lanas mir ein leises Schlaflied auf seiner Laute, bis der Herr der Träume seinen Mantel über mich gebreitet hatte, dann legte auch er sich zur Ruhe.

Ein leises Geräusch weckte mich. Lange konnte ich noch nicht geschlafen haben, denn der Mond stand noch nicht am Himmel. Ich lag auf der Fensterseite des Bettes und so sah ich, wie eine schlanke Gestalt durch das offene Fenster in den Raum hineinstieg. Ich wollte schon aufspringen und diesen Eindringling mit lautem Geschrei verjagen, da sah ich, daß der Mann ein langes blankes Schwert in der Hand hielt, zur Spitze hin leicht gebogen, wie es die Oshey-Schwerter zu sein pflegen. Ohne zu zögern ging der Eindringling auf das Bett zu, stellte sich auf Lanas' Seite an das Fußende und stieß einen leisen melodischen Pfiff aus.

Lanas fuhr aus dem Schlaf hoch, erblickte die Gestalt, die am Ende unseres Bettes stand und brachte erschrocken ein halbersticktes "Chelem! Du!" hervor.

*

"Ja, ich, dein lieber Onkel", erwiderte darauf der Mann mit leiser Stimme und ich erkannte den Mann, den mein Vater in Hannai mit dem Diebstahl des Edelsteins aus dem Zepter des Königs beauftragt hatte. Die Augen fest auf den Eindringling gerichtet, der meinen Vater betrogen und seinen Tod verschuldet hatte, tastete ich lautlos nach meinem Schwert.

"Wo ist der Stein", fragte der Mann inzwischen.

"Was für ein Stein, Hemafas", fragte Lanas mit erzwungener Heiterkeit.

"Mein lieber Schwestersohn, ich meine den Edelstein aus dem Zepter des hannaischen Königs", erklärte Hemafas mit trügerisch sanfter Stimme und plötzlich blitzte sein scharfes Schwert in voller Länge auf.

Ich hörte, wie Lanas schwer schluckte, dann sagte er: "Ich weiß nichts von diesem Edelstein, Hemafas."

So schnell, daß ich der Bewegung mit meinen Augen kaum folgen konnte, stand Hemafas plötzlich neben Lanas und die Spitze seines Schwertes ruhte auf der Brust seines Neffen.

"Er... er ist in meinen Beutel eingenäht... in den Boden", sagte Lanas angsterfüllt, aber Hemafas machte keine Anstalten, nach Lanas Beutel zu greifen, der neben ihm auf dem Boden lag. "Ich hatte dir befohlen, ihn mir sofort zu bringen. Deinetwegen wurde ein Vertrag gebrochen." Hemafas Stimme war kalt wie Eis geworden und Lanas stöhnte leise auf, als die Spitze des langen Schwertes seine Brust ritzte.

Das Gehörte hatte mich erstarren lassen. Wie gelähmt lag ich da, das Heft meines Schwertes spührte ich unter meinen Fingerkuppen, und mit einer einzigen Bewegung hätte ich Hemafas durchboren oder ihm doch zumindest das Schwert aus der Hand schlagen können, aber ich tat nichts.

"Du weißt, was mit denen passiert, die einen Vertrag brechen", bemerkte Hemafas fast beiläufig und Lanas bejate mit erstickter Stimme. "Gib mir den Stein", befahl Hemafas nun und Lanas tastete neben dem Bett nach dem Beutel. Noch immer die Schwertspitze auf der Brust, suchte er mit zitternder Hand im Inneren des Beutels und hielt Hemafas schließlich einen fast faustgroßen glitzernden Stein entgegen.

Mit einer kraftvollen Bewegung durchbohrte Hemafas die Brust seines Neffen mit dem langen Schwert und aus Lanas' erschlaffender Hand nahm er den Edelstein. Zwei Augenblicke später hatte er das Zimmer schon wieder durch das Fenster verlassen und ich hatte nichts getan, um meinem Geliebten zu helfen. Erst als Hemafas verschwunden war, brach der Bann, der mich an das Bett gefesselt hatte und ich drehte mich zu Lanas, in der Hoffnung, irgendetwas für ihn tun zu können, aber der Blick seiner Augen war bereits gebrochen und nie wieder würden seine flinken Finger in die Taschen fremder Leute gleiten, über die Saiten seiner Laute oder über meinen Körper.

Ohne recht nachzudenken, nahm ich Lanas Beutel und seine Laute und ich nahm auch sein Schwert mit, denn ich war gewiß, von seinem Samen empfangen zu haben und ich wollte für mein Kind ein Andenken an seinen Vater haben. Dann floh ich aus der Herberge durch die unbekannten Straßen des nächtlichen Letran und schließlich endete mein Weg vor eurer Tür." Patrais Tashrany verstummte und ihr Blick zeigte, daß ihre Gedanken bei ihren Erinnerungen weilten.

Nachdem ich diese Geschichte gehört hatte, verstand ich, warum das junge Mädchen so verstört gewesen war, und ich ließ sie allein, damit sie die nötige Ruhe hatte, mit ihrer Vergangenheit Frieden zu schließen.

Einige Tage später ging es ihr schon viel besser, aber sie bat mich, bei mir bleiben zu können, bis das Kind geboren war. Sie verstand genug von Kräutern und dem Herstellen von Arzneien und Tinkturen, um mir zur Hand gehen zu können und so verging die Zeit. Patrais Tashrany wurde meine gelehrige Schülerin und sie begann, mich Tante zu nennen. Abends spielte sie oft auf der Laute ihres Geliebten, traurige Lieder, doch allmählich wurden sie lebhafter und bald übte sie im Garten meines Hauses mit ihrem langen Schwert, obwohl ihr Leib sich von dem Kind, das in ihr wuchs, rundete.

Als ihre Zeit gekommen war, gebar Patrais Tashrany einen Sohn, der ihre bernsteinfarbenen Augen hatte, doch schwarzes Haar und dunkle Haut, ganz in der Art der Oshey, wie sie mir versicherte, und sie gab dem Kind den Namen Hermil, nach einem berühmten Fürsten ihres Stammes.

Wenige Monate nach der Geburt ihres Sohnes sagte Patrais eines Tages: "Es wird Zeit, daß ich mich wieder auf die Suche nach meiner Mutter mache, Tante. Ich werde versuchen, mein Kind zu den Zelten seines Stammes zu senden, in seine wahre Heimat. Bis die Zeit reif ist, muß Hermil das lernen, was sich für einen Oshey geziemt und wo könnte er das besser lernen, als in den Zelten der Tashrany. Ich weiß nicht, ob ich dich jemals wiedersehen werde, Tante, aber ich werde alles versuchen, dir über meinen Sohn und mich Nachricht zukommen zu lassen." Und am nächsten Tag verließ Patrais Tashrany mein Haus, und ich sah sie nie wieder."

"Doch wie kamst du dazu, mich nach dieser Frau zu nennen?" fragte ich meine Mutter ungeduldig, denn sie schien ihre Geschichte beendet zu haben und meine Neugierde war noch keineswegs gestillt.

Meine Mutter lächelte daraufhin versonnen. "Vor deiner Geburt geschah etwas Seltsames, vielleicht war es eine Botschaft von Patrais Tashrany, das ist:

*

DIE GESCHICHTE VOM WEISSEN FALKEN.

Etwa ein Jahr nachdem Patrais Tashrany mit ihrem Sohn Hermil mein Haus verlassen hatte, flog eines abends ein weißer Falke durch das offene Fenster und setzte sich vor mir auf die Lehne des Stuhles, auf dem Patrais Tashrany oft gesessen und auf ihrer Laute gespielt hatte. Sein Gefieder war strahlend und makellos und seine Augen erinnerten mich an die Augen von Patrais und ihrem Sohn. An einem seiner Fänge trug er jedoch ein kleines Lederbeutelchen, so dachte ich, das Tier wäre wohl seinem wohlhabenden Besitzer entflogen. Doch da tat der Vogel den Schnabel auf und sprach in Menschensprache zu mir, da wußte ich, daß dieser Falke ein Bote der Götter war. Und was der Falke sagte, war dies:

"Du wirst eine Tochter bekommen. Nenne sie Patrais und eines Tages wird sie ihrer Schönheit wegen die Frau eines Königs werden. Gib ihr den Inhalt dieses Beutels, wenn es soweit ist. Sie soll ihn gut hüten, denn einmal wird der Tag kommen, an dem sie ihn weitergeben muß, um das Schicksal eines Königreiches zu erfüllen." Da ließ der Falke den Lederbeutel behutsam fallen und flog wieder zum Fenster hinaus. Als ich den Beutel öffnete, fand ich darin einen blauen Stein mit gezackter Bruchkannte, es handelte sich um die Hälfte jenes rundgeschliffenen Sternsaphirs, den Patrais Tashrany in ihrem Ring getragen hatte."

Meine Mutter zeigte mir den Stein, um ihre Geschichte zu beweisen und sie gab ihn mir, als mich die Diener Nisan des Prächtigen nach Hannai brachten, damit ich die siebte Frau des Königs würde, denn tatsächlich war der Ruhm meiner Schönheit bis an den Rand der Wüste nach Süden gedrungen."

Patrais von Letran, die siebte Frau des Nisan von Berresh, senkte den verschleierten Kopf und schwieg eine Weile, dann erhob sie sich und sah hinaus in die beginnende Dunkelheit, in der die weißen Pfauen um den Brunnen wie Lichter leuchteten. "Es ist schon spät", sagte sie dann leise. "Kommt jetzt. Ich habe versprochen, euch einen sicheren Weg aus dem Palast zu zeigen, Hermil Tashrany."

Die Frau des Königs erhob sich und ging zu der Tür hinter dem goldbestickten, durchscheinenden Vorhang, doch sie öffnete nicht diese Tür, sondern ihre Hände tasteten die Fugen der Steinwand entlang, es klickte gedämpft und plötzlich glitt lautlos ein Stück der scheinbar massiven Mauer beiseite, hinter der sich ein dunkler schmaler Gang erstreckte. In einer Mauernische stand eine Öllampe und Zündzeug bereit. Mit geschickten Fingern entzündete Patrais von Letran die Lampe und ging in die Dunkelheit des Ganges hinein. Hermil Tashrany folgte ihrer Silhouette, die durch das Lampenlicht, das durch ihren silberdurchwirkten Schleier schien, wie in rotgoldenen Nebel gehüllt war.

Mit sicherem Schritt ging die Frau voran und führte Hermil Tashrany durch schmale, winkelige Gänge, treppab und treppauf, vorbei an weiteren Tunneln die sich gelegentlich nach rechts und links erstreckten. "Ihr habt eine schicksalsträchtige Vergangenheit, Hermil Tashrany", sagte die Frau des Königs mit gedämpfter Stimme ohne sich umzudrehen. "Glaubt ihr nicht auch, daß ihr dieser Vergangenheit etwas schuldig seid?" Hermil Tashrany wußte nichts darauf zu antworten.

Plötzlich blieb Patrais von Letran stehen. An der Wand des Ganges war ein großer verrosteter Ring angebracht. Sie drehte ihn mehrere Male und zog dann einen Teil der Mauer wie eine Tür auf. "Schaut", sagte sie zu Hermil Tashrany und breitete mit einer Handbewegung ein glitzerndes und funkelndes Wunder vor Hermil Tashrany aus. "Dies ist die Schatzkammer des Königs. Schon lange befindet sich der Edelstein, den euer Großvater hatte stehlen lassen, wieder an seinem angestammten Platz, im Königszepter von Hannai. Nehmt ihn als euer rechtmäßiges Erbe, denn im Kampf um den Goldenen Thron werdet ihr die Hilfe der Götter brauchen."

Verwundert sah Hermil Tashrany die Frau an, ihr Gesicht war hinter dem Schleier nur als Schemen zu erahnen, und die im Lampenlicht funkelnden silbernen Blüten mit denen der Schleier bestickt war, blendeten ihn. "Aber ich kenne die geheimen Worte nicht", sagte er abwehrend.

Aber die Frau des Königs ging schon in die Schatzkammer. "Ihr werdet sie sicherlich erfahren", versprach sie ihm. "Die Zeit für einen erneuten Machtwechsel ist günstig, Hermil Tashrany. Der König ist krank und er hat keinen Sohn. Seht nur die Schätze, die Nisan der Prächtige angehäuft hat, bezahlt mit dem Blut seiner Untertanen. Den Großenkel Kermul des Gerechten wird man in Hannai mit Freuden willkommen heißen."

"Aber..." begann Hermil wieder und gegen seinen Willen hatte er schon einen Schritt hinein in die Schatzkammer getan, damit sein Flüstern die Ohren seiner Führerin erreichte.

Patrais von Letran drehte sich zu ihm um. "Kein aber!" sagte sie bestimmt. "Der Goldene Thron gehört euch, daran kann kein Zweifel bestehen. Nehmt den Edelstein aus dem Zepter und...", mit der freien Hand zog die Frau des Königs ein ledernes Beutelchen aus den Falten ihres Gewandes hervor, "nehmt das. Der fehlende Teil des Sternsaphirs aus eurem Ring. Ohne Zweifel steht auch er euch zu."

Einen Dank murmelnd nahm Hermil Tashrany das Lederbeutelchen entgegen und steckte es in seinen Gürtel. Doch das hannaische Königszepter, das zwischen ihm und Patrais von Letran auf ein seidenes Kissen gebettet auf einem Tisch lag, sah er nur mit gemischten Gefühlen an. Der im leicht flackernden Lampenlicht blitzende rote Edelstein war mit dünnen Golddrähten an der Spitze des etwa ellenlangen goldenen Stabes befestigt, um den sich juwelen- und perlengeschmückte Bänder wanden. Sicher ließ sich das Herz Hannais leicht aus seiner einfachen Fassung lösen.

"Nehmt ihn", drängte die Frau des Königs Hermil, der schließlich zugriff und den faustgroßen Edelstein aus den Drahtschlaufen drehte. Hermil war erstaunt, wie schnell es dieser Frau gelungen war, seine Skrupel bezüglich des Diebstahls so gründlich einzuschläfern, denn bevor er es recht merkte, hatte er den Stein schon sicher in seinem Gürtel verwahrt und ging hinter Patrais von Letran durch den Geheimgang, und die wieder sorgfältig verschlossene Tür zur Schatzkammer lag bereits einige Meter hinter ihnen.

Nach einiger Zeit Weges durch die schmalen, bisweilen niedrigen Gänge, den sie schweigend zurücklegten, hielt Patrais von Letran schließlich wieder an. Mit ihrer freien Hand tastete sie die Wand entlang und wieder ertönte ein gedämpftes Klicken. Durch die Öffnung sah Hermil Tashrany die Sterne am nächtlichen Himmel. "Dieser Ausgang befindet sich außerhalb der Palastmauern. Wir stehen im Sockel des Tempels des Ungenannten", erklärte die Frau des Königs, dann sah sie in den Nachthimmel und das Licht des Mondes verzauberte ihr verschleiertes Gesicht für einen Moment zu dem von einem rosenfarbenen Halo umgebenen Antlitz einer Unirdischen. "Erfüllt euer Schicksal gut, Hermil Tashrany", ermahnte sie ihn mit leiser Stimme. "Dann kehrt hierher zurück, denn die Prinzessin Sira wird euch wohl voller Ungeduld erwarten." Ohne weitere Worte des Abschieds trat Patrais von Letran in den Geheimgang zurück und verschloß die Tür.

"Ich danke euch, hohe Dame", sagte Hermil Tashrany, aber er sprach bereits zu einer scheinbar massiven Marmormauer.

* * *

"Der König wünscht euch zu sprechen, Herrin", kündigte eine Dienerin mit einer tiefen Verbeugung an. Gleich darauf betrat ein in einfache weiße Seidengewänder gekleideter junger Mann die Terrasse. Sein einziger Schmuck war ein schlichter breiter Goldring mit einem makellosen rundgeschliffenen Sternsaphir am Mittelfinger seiner Linken, außerdem hing ein kurzes Schwert mit einer silberbeschlagenen roten Lederscheide an seiner Seite.

"Seid mir gegrüßt, Hermil Tashrany, Eroberer von Hannai", sagte die Frau und erhob sich mit raschelnden Seidengewändern von dem Sitzpolster im Schatten. Ihr feiner dunkelgrauer Schleier wehte leicht in der kühlen Brise, die vom Meer herwehte, nur sein Saum war sparsam mit silbernen Mustern bestickt.

"Seid gegrüßt, Patrais von Letran", sagte der König und verneigte sich vor der Frau seines Vorgängers. "Ja, ich habe Hannai erobert, mit eurer Hilfe. Wenn ihr wünscht, erzähle ich euch, auf welch wunderbare Weise es mir gelang, den Goldenen Thron wieder für die Tashrany zu gewinnen."

Patrais von Letran lud ihren hohen Gast ein, sich zu ihr auf eines der Kissen im Schatten zu setzen, doch der König verweilte einige Momente am Rande der Terrasse und ließ seinen Blick über den Garten schweifen, die Springbrunnen und die weißen Pfauen, die in der Morgensonne über den Rasen stolzierten und von denen einer voll Inbrunst um ein Weibchen warb. "Es hat sich nichts geändert... ein prachtvoller Anblick", sagte er leise.

"In der Tat", pflichtete Patrais dem König von Hannai bei. Sie winkte der Dienerin, für den König Tee und Früchte bereitzustellen.

Der König setzte sich und dachte mit halb geschlossenen Augen zurück an jenen Tag, an dem er, wenige Meter von hier, Patrais von Letran das erste Mal gesehen und von ihr so viel über seine Vergangenheit erfahren hatte. "Hört", begann er:

*

"DIE GESCHICHTE DER EROBERUNG HANNAIS.

Nachdem ihr mich durch die geheimen Gänge aus dem Palast geführt hattet, suchte ich zuerst nach meinem Pferd, das ich dort an der Palastmauer zurückgelassen hatte, wo mich die Dienerin meiner Geliebten heimlich einzulassen pflegte. Dann machte ich mich sofort auf den Weg zu den Zelten meines Stammes, denn mit dem Edelstein aus dem Zepter des Königs durfte man mich in Hannai nicht finden. Kurz bevor die Tore der Stadt geschlossen wurden, erreichte ich das Südtor und eilte hinaus in die Wüste, deren Sand im Mondlicht wie Silber schimmerte.

Ich ritt schnell, um noch vor Tagesanbruch eine Oase zu erreichte, da war mir plötzlich, als ob eine Stimme meinen Namen riefe. Ich achtete zunächst gar nicht darauf, doch die Stimme rief erneut und drängender und so zügelte ich mein Pferd. Da flog ein weiß leuchtender Falke heran und als ich den Vogel sah wußte ich, daß es derselbe war, der schon einmal zu mir gesprochen hatte. "Was willst du von mir?" fragte ich ihn daher.

Ohne Scheu ließ sich der Falke auf meinem Sattelknauf nieder, plusterte sein Gefieder und sagte dann: "So hast du also dein Schicksal gefunden. Der Stein, den die Götter einst dem Manne brachten, der den gleichen Namen trug wie du, nützt dir jedoch nichts ohne die heiligen Worte, mit denen du die Götter zur Hilfe rufen kannst. Und ohne die Hilfe der Götter wirst du selbst mit dem größten Heer, das die Oshey aufbieten können, Hannai nicht einnehmen können. Ja, es wird dir nicht einmal möglich sein, von den Oshey Gefolgschaft zu erlangen."

"Aber woher soll ich die heiligen Worte erfahren?" fragte ich den Falken. "Meine Mutter war die letzte, der sie bekannt waren, doch nun sind sie verloren."

Aber der Falke lachte und sprach: "Wie könnte es dein Schicksal sein, nach drei unrechtmäßigen Königen als erster Tashrany wieder auf dem Goldenen Thron zu sitzen, wenn die Worte verloren wären? Sieh dir deinen Ring an."

Ich tat, wie der Vogel mir befohlen hatte, doch ich sah nichts Ungewöhnliches an dem Ring. "Was ist mit meinem Ring?" fragte ich darum.

Und der Falke sagte: "Ein Stück des Steines fehlt und jetzt ist es an der Zeit, die beiden Teile des Saphirs wieder zusammenzufügen."

Also zog ich das Lederbeutelchen, daß ihr mir gegeben hattet, aus meinem Gürtel und legte die Hälfte des Steins zurück in die Fassung. Kaum hatte ich das getan, da verwandelte sich der weiße Falke in einem grellen Blitz, der in den Ring fuhr und als ich nicht mehr durch die plötzliche Helligkeit geblendet war, da sah der Stein in meinem Ring aus, als wäre er niemals gespalten gewesen. Der Falke jedoch saß wieder auf meinem Sattelknauf und raschelte mit seinen leuchtenden Federn. "Jetzt höre, was der Ring zu dir spricht und merke dir die Worte gut, denn eines Tages wirst du sie an den ersten Sohn weitergeben, den Sira von Berresh dir gebären wird."

Und tatsächlich erklangen aus dem Stein seltsame Worte und ich behielt sie gut im Gedächtnis. Kaum jedoch hatte der Ring seine Botschaft verkündet, da flog der leuchtende Falke empor und verschwand in der Nacht, ein Stern unter Sternen. "Kommst du noch einmal zu mir?!" rief ich ihm nach, doch ich erhielt keine Antwort.

Einige Tage später erreichte ich die Zelte meines Stammes und ich ging zum Fürst der Tashrany, den ich meinen Vater nenne. Als er mich sah, umarmte er mich voller Freude, denn meine Jagdbegleiter, die zusammen mit mir die Prinzessin Sira nach Hannai geleitet hatten, hatten die Kunde von meiner Einkerkerung schon unter den Tashrany verbreitet. "Wie bist du entkommen?" fragte der Fürst der Tashrany und ich setzte mich zu ihm und erzählte ihm von meiner Liebe zur Prinzessin Sira und von dem Zorn ihres Vaters, als ein Oshey vor ihn getreten war, um seine Tochter zur Frau zu erbitten. Und ich erzählte von meiner heimlichen Befreiung durch die Prinzessin und von den wenigen Stunden, die ich täglich heimlich bei meiner Geliebten in den Frauengemächern des Palastes verbracht hatte.

Und dann erzählte ich ihm von euch und dem, was ihr mir erzähltet, und ich sagte: "Ich bin Hermil Tashrany, Sohn der Patrais Tashrany, die die Tochter von Nefut Tashrany war, der der Sohn von Kermul Tashrany war, der als letzter Nachkomme von Hermil Tashrany auf dem Goldenen Thron saß und Hannai weise und gerecht regierte." Ich zeigte dem Fürsten der Tashrany als Beweis den Ring, dessen Stein nun unversehrt war und den er selbst nur zerbrochen kannte. Und ich zeigte ihm den großen, rot funkelnden Edelstein aus dem Zepter des Königs von Hannai, das Herz Hannais. "Und höre", fuhr ich fort, "was ein Bote der Götter, ein weißer Falke zu mir sagte: ES IST DEIN SCHICKSAL, NACH DREI UNRECHTMÄSSIGEN KÖNIGEN ALS ERSTER TASHRANY WIEDER AUF DEM GOLDENEN THRON ZU SITZEN."

"Und du bist entschlossen, dein Schicksal zu erfüllen?" fragte da einer der Ältesten, die meiner Erzählung im Zelt meines Vaters zugehört hatten.

Da wandte ich mich an ihn und sagte: "Wenn die Götter beschlossen haben, daß dies mein Schicksal sei, so werde ich es auch erfüllen. Und dazu werde ich Sira von Berresh zu meiner Königin machen und ihr erster Sohn wird mein Erbe sein, sowohl ein Tashrany als auch ein Nachkomme der von Berresh und niemand wird es wagen, an seinen Ansprüchen auf den Goldenen Thron zu zweifeln."

Da erhob ein anderer Ältester die Stimme und sagte: "Du willst also die Großenkelin des Mannes zu deiner Königin machen, der Kermul Tashrany ermorden ließ. Die Götter werden das niemals zulassen!"

Doch ich erwiderte: "Aber der Falke verhieß mir, daß ich den ersten Sohn, den Sira von Berresh mir gebären wird, die geheimen Worte lehren werde, die es einem Tashrany ermöglichen, mit diesem Edelstein", und ich hob ihn hoch, um ihn allen zu zeigen, "die Götter um Hilfe anzurufen. Ich kenne die heiligen Worte und so wird sie einst mein Sohn kennen, den Sira von Berresh mir als meine Königin in die Arme legen wird."

Da sagte der Älteste: "Der weiße Falke mag in der Tat ein Bote der Götter gewesen sein, doch denke daran, daß Chelem, den der Ungenannte aus den Reihen der Götter verstieß, seine Dämonen in jeder Gestalt auf der Welt überall hin schicken kann. Von deinem Ring erfuhrst du die Worte, sagst du, doch weißt du auch, daß es gerade kostbare Edelsteine sind, mit denen die Dämonen ihre Opfer fangen, solche Steine wie dieser makellose Sternsaphir, der von so erlesener Größe ist."

Und der erste Älteste wiederum sagte: "Du bist zu jung, um ein wahrhaft weiser König zu sein. Deinem Vater, unserem Fürst, stände dieses Amt besser an. Überall bei den Stämmen ist er für seine Weisheit und seinen Mut geachtet und schon fünf mal bestimmte der Rat der Oshey ihn zum Fürst der Fürsten."

Und wieder ein anderer sagte: "Wenigstens sollte eine Frau der Tashrany deine Königin werden, denn zumindest der Sohn des Königs sollte genügend Tashrany-Blut in sich haben, um sich wahrhaft Oshey nennen zu können. Wenn man dem Bericht der Patrais von Letran glauben kann, bist du nur der Bastard eines hannaischen Diebes!"

"Doch meine Mutter war eine wahrhafte Tashrany und von unirdischer Herkunft", warf ich ein. "Und ich werde euch beweisen, daß ich würdig bin, König von Hannai zu werden, denn die Hilfe der Götter ist mir gewiß. Seht!" Und leise sprach ich die heiligen Worte, und das Herz Hannais entflammte in meiner Hand wie eine Fackel, doch ich verbrannte mich nicht. "Seht ihr nun, daß die Worte meines Ringes tatsächlich die heiligen Worte waren und nicht die Einflüsterungen eines Dämons? Seht ihr nun, daß ich würdig in den Augen der Götter bin? Und wer seid ihr, daß ihr die Weisheit der Götter in Frage stellen könnt?"

Und da zog der Fürst der Tashrany, der Mann, der mich als seinen Sohn erzogen hatte, sein Schwert und legte es mir zu Füßen. "Hört die Worte des Fürsten der Tashrany: ich werde Hermil Tashrany folgen und ihm zu seinem Recht verhelfen. Und noch zu dieser Stunde werde ich in alle Himmelsrichtungen Boten entsenden, zu den anderen Stämmen der Oshey, mit der Nachricht, daß ein Nachkomme Kermul Tashranys wieder Anspruch auf den Goldenen Thron erhebt." Und seine Gefolgsleute und sein Rat bezeugte seine Worte und nun schworen mir alle die Treue für den bevorstehenden Kampf.

Am nächsten Tag erhoben sich überall am Horizont große Staubsäulen, denn die Krieger der anderen Oshey-Stämme eilten herbei und mit ihnen der Fürst der Fürsten, der Fürst der Darashy. Und wie der Fürst der Tashrany verbeugten sich die Fürsten der Stämme vor mir und dem brennenden Edelstein und gelobten Treue für den bevorstehenden Kampf.

Unter dem Banner der Tashrany, dem auffliegenden Falken, und unter dem Banner Hannais, dem weithin leuchtenden Edelstein, den die Götter einst meinem längst verstorbenen Vorfahren und Namensvetter zum Geschenk machten, um Hannai zurück auf den Wahren Weg zu führen, machte ich mich auf nach Hannai und mit mir zogen über tausend Krieger der Oshey.

Nach einigen Tagen erreichten wir am frühen Morgen die Stadt und ich sah, wie die Sonne sich über die weißen, von goldenen Dächern gekrönten Türme und Kuppeln erhob. Da nahm ich den brennenden Edelstein und ritt, wie einst jener Hermil Tashrany vor mir, zum Zypressentor, das sich mächtig vor mir erhob. "Wächter der Goldenen Stadt, hörst du mich?" rief ich laut und zwischen den Zinnen der Mauer wurde ein im ersten Sonnenlicht blinkender Helm sichtbar. "Wächter der Goldenen Stadt, siehst du, was ich in der Hand halte?" Und ich hob die Hand, in der ich den Edelstein hielt.

"Eine Fackel", antwortete da der Wächter von der Mauer herab.

"Nein, Wächter der Goldenen Stadt. In meiner Hand halte ich das Herz Hannais, das ich, wie einst mein Ahn, von den Göttern erhielt. Wie dieser Ahn heiße ich Hermil Tashrany und mit mir kam eine Armee von über tausend Kriegern aus der Wüste."

Ich sah, wie der Wächter sich über die Brüstung beugte, um mich und die vermeindliche Fackel genauer in Augenschein zu nehmen. "Was willst du, Hermil Tashrany?" fragte er dann.

"Ich fordere den Goldenen Thron für die Tashrany zurück, den Resan von Berresh einst meinem Urgroßvater gestohlen hat!" rief ich zu ihm hinauf. Der Wächter zog sich daraufhin zurück und wenig später öffnete sich langsam das Stadttor.

*

Dahinter standen die Krieger des Königs, als hätten sie mich bereits erwartet, doch sie griffen nicht an, sondern senkten ihre Lanzen und begrüßten mich als den Erben Kermul Tashranys. Und ein Priester des Ungenannten trat vor mich hin und sagte: "Sei gegrüßt, Hermil Tashrany. So haben denn die Götter unsere Gebete erhört und haben dich zu uns geschickt, damit du uns von Nisan von Berresh befreist, der sich selbst der Prächtige nennt, die Stadt aber verkommen läßt; der uns auspreßt bis aufs Blut und überhöhte Steuern fordert, nur um seinen Palast vergolden zu lassen. Denn wisse: ein weißer Falke verkündigte dem Hohepriester vor wenigen Tagen, daß ein Mann kommen werde, wie einst ein anderer vor ihm, mit einem Namen, der verbunden sei mit dieser Stadt, und der uns aus der Sklaverei befreien werde, die Nisan von Berresh uns auferlegt."

Da hob ich den Edelstein hoch über meinen Kopf und sagte mit lauter Stimme: "Da, seht das Zeichen der Götter. Ich bin tatsächlich der, der euch als Erretter geschickt wurde, denn auch zu mir sprach ein weißer Falke als Bote der Götter. Und nun laßt uns zum Palast des Königs ziehen, damit ich von ihm den Goldenen Thron fordern kann und wieder Wohlstand in der Goldenen Stadt herrsche!"

Da jubelten die Krieger des Königs mir zu und überall auf dem Weg zum Palast priesen die Bürger der Stadt die Götter und ihren Vorbedacht, einen Nachkommen Kermul Tashranys zur rechten Zeit nach Hannai zu schicken. Unser Weg führte uns durch viele Teile der Stadt, die ich noch nicht kannte, und das Herz wurde mir schwer, als ich sah, was aus der Goldenen Stadt geworden war, die die Dichter der Oshey in ihren Liedern als den funkelnden Edelstein inmitten fruchtbarer Ebenen preisen. Allein der kleine Teil der Südstadt, in dem der Königspalast steht und die Paläste der königlichen Vertrauten und Begünstigen, hatte sich seinen früheren Glanz erhalten.

Als ich den Palast erreichte, da folgte mir schon die halbe Stadt und neben den Kriegern der Oshey liefen die Krieger des Königs und so erstiegen wir die Treppe zum großen Tor des Palastes. Und auch dieses Tor tat sich vor uns auf und so standen wir endlich vor dem Goldenen Thron, der tatsächlich aus purem Gold ist und auf dem Nisan von Berresh in steifen, aus Gold gewirkten Gewändern saß. Und an seiner Seite standen sein Wesir und die wenigen Getreuen, die von seiner Politik profitierten.

Als der König sah, daß das Feuer in meinen Händen nichts anderes war als der Edelstein aus seinem Zepter, da erhob er sich und sagte: "So bist du also der Dieb, der heimlich in meine Schatzkammer eindrang." Und er trat mir entgegen und griff nach dem Schwert an seiner Seite.

Doch ich sah, daß der König tatsächlich krank war, wie ihr mir sagtet. Allein durch sein prächtiges Gewand wurde er aufrecht gehalten, sein Gesicht war ausgezehrt, purpurne Flecken zogen sich über seine Hände und seinen Hals und seine Augen glitzerten in einem irren Fieber. So trat ich vor ihn hin, den Edelstein in der Hand haltend und sagte zu ihm: "Ich erlaube euch, nach Berresh zurückzukehren, dorthin von wo eurer Großvater einst kam. Und mit euch dürft ihr alles nehmen, was ihr für die Reise braucht und alle die dürfen euch begleiten, die dies wünschen, seien es eure Frauen und Kinder oder eure Getreuen. Euer Vermögen jedoch verfällt an die Stadt."

"So sei es", erwiderte Nisan von Berresh mit matter Stimme und ließ sein Schwert auf den marmornen Boden des Thronsaales fallen. Doch da eilte sein Wesir heran, nahm das Schwert auf und zog es gegen mich.

"Nisan von Berresh ist ein kranker Mann", sagte der Wesir vorwurfsvoll. "Was für Mut braucht es, ihn von seinem Thron zu vertreiben? Doch ich werde nach ihm König sein, denn ich bin mit seiner ältesten Tochter verheiratet, der Prinzessin Naras. Und mit mir habt ihr kein so leichtes Spiel!" Und noch während er sprach, schlug der Wesir mit dem Schwert seines Königs nach mir und verwundete mich am Arm. "Wo sind nun eure Götter um euch zu beschützen?" fragte der Wesir hämisch, als er mich bluten sah, und schlug erneut mit dem Schwert zu, ich jedoch hielt ihm den Edelstein entgegen und das Schwert zerbarst daran. Der Stein jedoch war unversehrt und strahlte nur umso heller.

Da reichte ich den Stein dem Fürsten der Tashrany, der neben mir stand und ich zog mein Schwert. "Gebt diesem Mann ein Schwert", rief ich in die Menge, "denn er will gegen mich um den Goldenen Thron kämpfen." Und einer der Oshey-Krieger gab dem Wesir sein Schwert und der Kampf begann. Schon als der Wesir das Schwert ergriff, sah ich, daß er damit umzugehen wußte. Und obwohl ich mir der Unterstützung der Götter gewiß war, so verspührte ich doch auch Furcht, denn er war älter als ich und damit auch viel erfahrener.

Nach der Manier der städtischen Schwertmeister ließ der Wesir die Klinge herumwirbeln, so daß ihre polierten Seiten im durch die Fenster scheinenden Sonnenlicht immer wieder aufblitzten. Dabei umkreiste er mich lauernd. Ich bemühte mich, seinen Bewegungen zu folgen, doch der Wesir war so schnell, daß ich glaubte, es mit einem Dämon Chelems zu tun zu haben. Und plötzlich verließ das Schwert des Wesirs seine kreisende Bahn und schoß auf mich zu. Fast fürchtete ich, zu spät reagiert zu haben, doch da hatte ich mein Schwert zwischen uns gebracht und als Stahl auf Stahl prallte, sprühten die Funken.

Ein feines Lächeln umspielte die Lippen des Wesirs. "Noch steht das Glück auf eurer Seite, doch am Ende ist es mit dem Erfahrenen." Und wieder wirbelte sein Schwert herum, um erneut unerwartet zuzustoßen und wieder konnte ich seine Klinge um Haaresbreite abwehren. Und plötzlich änderte der Wesir seine Taktik und die Schläge prasselten scheinbar von allen Seiten auf mich ein, doch wie durch ein Wunder wob meine eigene Klinge ein undurchdringliches Netz um mich, das jeden seiner Schläge abwehrte. Durch einen Sprung zur Seite konnte ich einem Stoß ausweichen, ein Schritt nach hinten bewahrte mich ein anderes mal vor dem Tode und die ganze Zeit schien es mir, als lenke ein anderer meine Bewegungen, als träumte ich nur, diesen Kampf zu führen.

Und dann sah ich plötzlich einen weißen Falken auf der Lehne des Goldenen Thrones sitzen, als handele es sich bei ihm um einen Teil der aufwendigen Verzierungen. Aber anders als bei den anderen Falken, hatten seine Augen nicht die Farbe von Bernstein sondern waren so rot wie das Blut, das aus der Wunde an meinem Arm sickerte. Und plötzlich erhob sich der Falke mit lautem Schrei, flog hinauf bis unter die Kuppel des Saales und wie ein Pfeil schoß er wieder nach unten, auf den König zu, der gebeugt wie ein alter Mann nur wenige Schritte vom Thron entfernt stand.

Niemand außer mir schien den Falken zu bemerken und obwohl ich mit den Augen dem Flug des Vogels folgte, parierte ich auch gleichzeitig die Angriffe des Wesirs und schützte mich vor seinen Schlägen. Doch plötzlich erinnerte ich mich an den Traum, den Sira von Berresh gehabt hatte: von dem weißen Falken, der dem schwarzen Hengst die Augen aushackte und das Wappen Nisans, der galoppierende Rappe auf dem grünen Feld, das an der Wand über dem Thron hing, stach mir geradezu ins Auge.

Ich vergaß den Angriff des Wesirs und sprang zur Seite, um mich schützend vor Nisan von Berresh zu stellen. Der Wesir hielt verdutzt inne und der Falke verharrte mit einem wütenden Kreischen in der Luft, denn mich wollte er nicht verletzten. "Ich habe gesagt, daß dieser Mann in Frieden gehen kann!" rief ich dem Falken zu, der wieder unter der Kuppel kreiste, um einen neuen Angriff zu starten. Ich richtete drohend mein Schwert auf ihn und alle im Thronsaal sahen erstaunt zu dem Vogel, der erneut mit rot blitzenden Augen versuchte, an mir vorbeizukommen. Noch einmal kreischte der Falke blutrünstig, doch dann ließ er ab von seinem Opfer und flog aus dem Saal hinaus.

Der Wesir wollte nach dieser unwillkommenen Unterbrechung den Kampf wieder aufnehmen, doch Nisan von Berresh schob mich zur Seite und sagte zu seinem Wesir: "Stecke das Schwert ein und halte Frieden! Du schworst mir einst Treue bis in den Tod. Doch mein Feind war es, der mich vor dem Zorn der Götter bewahrte." Und alle die den König kannten waren höchst erstaunt, als sie diese Worte hörten, denn nie hatte man Nisan von Berresh so sprechen hören.

Und der König fuhr fort: "Noch vor wenigen Tagen glaubte ich nicht, daß die Götter Gewalt über den Herrscher Hannais hätten und ich lachte über die Furcht meiner Tochter, als sie mir von einem Traum berichtete, in dem ein weißer Falke einem schwarzen Hengst die Augen aushackte. Und als sie mir endlich den Mann brachte, der mich vor dem Zorn der Götter bewahren würde und dieser mich um die Hand meiner Tochter bat, da verbannte ich ihn in meinen tiefsten Kerker... und allein die Götter wissen, wie er sich daraus befreit hat." Und ein sanftes Lächeln, das völlig im Widerspruch zu dem stand, was ich von dem König kannte, erhellte sein Gesicht, als er seine welke Hand auf meinen Arm legte und sagte: "Heute magst du noch jung sein, aber wenn du es fertig bringst, einem Mann wie mir die Ehrfurcht vor den Göttern und den Glauben an sie wiederzugeben, was wirst du erst vollbringen, wenn du mein Alter erreicht hast? Dir gebührt der Goldene Thron allein schon für dieses Verdienst." Dann sah Nisan von Berresh hinüber zum Fürsten der Tashrany, der den glühenden Edelstein vorsichtig in beiden Händen trug. "Und wohl auch nach deiner edlen Abstammung, die anderen Männern fehlt", und ein vernichtender Blick des ehemaligen Königs traf nun den Wesir, der noch immer das Schwert halb erhoben hatte. "Ich werde mit meinen Getreuen nach Berresh ziehen. Du aber nimm meine Tochter Sira mit meinem Segen zur Frau und regiere Hannai als ein so weiser und gerechter König, wie du gegen mich gehandelt hast." Und dann ging Nisan von Berresh zu seinem Wesir und entwand dessen Hand das Schwert. Als der König langsamen Schrittes den Thronsaal verließ, senkten alle Krieger ihre Waffen, um ihn zu ehren."

In Erinnerung versunken wanderte Hermil Tashranys Blick wieder durch den Garten.

"Letztlich also doch ein großer König, trotz seiner Habgier", sagte Patrais von Letran leise. Und dann fragte sie den jungen König: "Wollt ihr mir nicht auch von euren Hochzeitsvorbereitungen erzählen?"

Hermil Tashranys Gesicht strahlte als er nickte, und er begann: "Gleich nachdem ich den Goldenen Thron gewonnen hatte, ließ ich den Edelstein, das Herz Hannais, als Zeichen für den Bund mit den Göttern, den die Stadt nun erneut eingegangen ist, wieder am Zepter anbringen. Außerdem ließ ich den von den Usurpatoren angebrachten Schmuck des Thrones beseitigen und einschmelzen, um das Gold für die Wiederherstellung der früheren Pracht der Stadt zu verwenden, denn bis zur Hochzeit soll Hannai wieder in seinem alten Glanz erstrahlen. Und ich ließ das Banner derer von Berresh mit einem auffliegenden weißen Falken ergänzen, denn bald werden ja Tashrany und von Berresh gemeinsam über die Stadt herrschen und nach uns Männer, in deren Adern das Blut beider fließt.

Unter den Söhnen der Männer, die Nisan von Berresh treu gedient hatten, fand ich einen, der ehrlich und gottesfürchtig ist, gewissenhaft im Umgang mit Geld und vorausschauend in Sachen der Politik und des Krieges, diesen machte ich zu meinem Wesir. Und zu meiner Leibgarde machte ich einhundert Krieger der Oshey, die mir weiterhin die Treue schworen.

Ich schickte berittene Boten zum Orakel Orems, damit sie einen günstigen Termin für die Hochzeit berechnen. Dann kaufte ich tausend makellos weiße Tauben, um sie dem Ungenannten zu opfern und ich weihte eine goldene Schale mit einem Durchmesser von zehn Spannen der Tyrima, der Herrin der Sonne und der Wahrheit und ließ sie in den hiesigen Tempel bringen, und ich ließ zehn wilde Raben und zehn Eulen aus dem Norden bringen für den Tempel Orems, den Herrn der Nacht und der Träume. Dann befahl ich, für den Tag der Hochzeit alle Häuser Hannais mit Blumen zu schmücken und die Straßen mit Goldstaub zu bestreuen. Schließlich ließ ich verkünden, daß jedem Bettler der Stadt, der am Tage meiner Hochzeit zum Palast käme, vier Silberstücke geschenkt würden.

Zur Hochzeit habe ich alle Fürsten der Nachbarschaft mit ihrem Gefolge eingeladen: den König von Tetraos, den König von Nemis, den König von Berresh und seinen Cousin, Nisan von Berresh, den Vater meiner Braut. Und meine Geschenke an sie sind prächtige Pferde aus der Zucht der Oshey, schnelle Reitkamele und ausdauernde Lastenkamele. Und auch die Fürsten der Oshey habe ich eingeladen mit ihrem Gefolge und meine Geschenke an sie sind kostbare Seide und junge Palmen, Zedern und Pinien, um sie in den geheimen Gärten der Oshey zu pflanzen.

Jetzt bleibt uns nur noch, bis morgen zu warten, denn das ist der Hochzeitstag, den die Priester Orems als günstig errechneten." Die Falkenaugen des jungen Königs musterten Patrais von Letran. "Ihr werdet uns doch die Ehre eurer Anwesenheit geben, nicht wahr?"

Patrais von Letran seufzte leise. "Ich will zurück nach Letran, jetzt wo ich frei bin, meiner Wege zu gehen, denn Nisan von Berresh hat alle seine Frauen freigegeben... doch euch zu Ehren werde ich erst morgen abend abreisen."

"Meine getreusten Krieger werden euch als Wache begleiten", versprach Hermil Tashrany, aber die Frau schüttelte entschieden den Kopf. "Nein, laßt mich allein ziehen. Nur um eine Sänfte möchte ich euch bitten."

"Aber...", begann der junge König protestierend. Doch Patrais von Letran legte ihre schmale Hand leicht auf den Arm des Königs und er verstummte. "Fühlt euch mir gegenüber zu nichts verpflichtet, Herrscher über Hannai. Indem ihr den Goldenen Thron bestiegen habt, ist alle Schuld getilgt. Versprecht mir nur, so fortzufahren, wie ihr eure Herrschaft angetreten habt: ehrenhaft und den Göttern gefällig... und vielleicht nennt ihr einen eurer Söhne nach eurem Vater, dem Meisterdieb mit dem traurigen Ende..."

"Lanas", fiel Hermil Tashrany ihr ins Wort.

"Ja, richtig. Doch nun geht zu eurer Geliebten. Sicher erwartet sie euch bereits voller Ungeduld."

Und Hermil Tashrany eilte mit wehenden Gewändern davon, um Sira von Berresh nicht länger warten zu lassen.

* * *

"Zum Osttor", wies Patrais die Sänftenträger an, da rief eine Frauenstimme. "Wartet, Herrin. Ich bringe euch noch ein Abschiedsgeschenk des Königs."

Patrais zog den hellgelben Seidenvorhang ein Stück zur Seite und sah hinaus in den Hof. Eine Dienerin hielt eine wohlgeformte Laute in den Händen, nach der aus dem Norden stammenden Mode weiß lackiert und mit Blüten und Vögeln aller Art bemalt.

Die Dienerin reichte Patrais die Laute in die Sänfte. "Und ihr habt eure Laute vergessen", sagte sie fast ein wenig vorwurfsvoll. "Ich weiß doch wie gerne ihr spielt." Dann zog das Mädchen einen breiten Goldring aus ihrem Gewand, in den ein großer, rundgeschliffener Sternsaphir gefaßt war. "Dies schickt euch der König mit den Worten: Als Dank für eine Hälfte das Ganze."

Patrais strich mit einer Hand über den Hals der Laute und nahm mit der anderen den Ring entgegen. "Bestellt ihm meinen herzlichen Dank. Ich wünsche den Segen der Götter auf ihn und die Seinen." Dann zog sie den Vorhang der Sänfte wieder zu. "Auf zum Nordtor", befahl sie erneut und diesmal wurde die Sänfte mit einem leichten Ruck angehoben und sanft schaukelnd bewegte sie sich vorwärts.

Patrais steckte den zu großen Ring mit einer nach alter Gewohnheit aussehenden Bewegung auf den Daumen ihrer Rechten und streichelte geistesabwesend den makellosen dunkelblauen Stein, in dessen Tiefe, wie eine Blüte aus Mondlicht, der sechsstrahlige Stern schwebte. Dann schlug sie den Schleier über den Kopf zurück und nahm die Laute zur Hand, um leise zu spielen. Am Hals war der Lack schon fast bis zur Durchsichtigkeit abgegriffen und wie hinter einem Schleier wurden dunkel eingelegte Intarsien sichtbar, eine Efeuranke, die sich bis zu den Wirbeln um den Hals der Laute wand. "Oh, Lanas", flüsterte Patrais und in ihren bernsteinfarbenen Augen schwammen die Tränen.

Plötzlich krachte es laut und durch das dünne Holzdach der Sänfte fiel ein langer, schmaler Gegenstand, eine schwarz lackierte, unverzierte Holzscheide, in der ein Oshey-Schwert steckte. Den Schwertknauf zierte eine kleine, schwarzgrundige Gemme, die einen auffliegenden Falken zeigte.

Die Sänfte war abrupt zum Stillstand gekommen, sie wurde abgesetzt und einer der Träger fragte besorgt: "Herrin, ich hoffe, Euch ist nichts passiert."

Patrais verschleierte sich und zog den Vorhang eine Handbreit beiseite. Sie sah hinaus und in das bestürzte Gesicht des Trägers. "Nein, mir ist nichts passiert. Aber wie kommt dieses Schwert hierher?"

"Nun, Herrin..." begann der Träger ratlos, da schob ihn ein großer, sehr vornehm aussehender Mann mittleren Alters beiseite. "Ihr müßt verzeihen, hohe Dame, ein schreckliches Mißgeschick. Das Schwert gehört mir, ich ließ es mir von meinem Diener vom Dach herunterwerfen, aber er zielte so unglücklich... ich bin untröstlich, hohe Dame. Selbstverständlich komme ich für die Reparatur der Sänfte auf, doch ich weiß nicht, wie ich den Schrecken, den ihr erlitten haben müßt, wieder gutmachen kann." Der Mann lächelte gewinnend und seine scharf gezeichneten Augenbrauen entfalteten sich wie die Schwingen eines Raubvogels über seinen schwarzen Augen.

"Allein meine Sänfte hat Schaden erlitten", sagte Patrais leise und schien den Mann durch ihren Schleier hindurch aufmerksam zu mustern. "Sorgt für die Reparatur, so will ich gerne den Schrecken vergessen."

"Gewiß, hohe Dame", erwiderte der Mann sofort. "Und tut ihr mir die Güte an, solange meine Gastfreundschaft anzunehmen. Mein Name ist Hemafas aus Menrish und mein Haus steht ganz zu eurer Verfügung." Der Mann verbeugte sich mit einer eleganten, fließenden Bewegung und reichte Patrais den Arm, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein.

Etwas zögernd nahm Patrais die Hilfe an und stieg aus. Noch immer hatten sie die Südstadt nicht hinter sich gelassen, auf den steinernen Straßen schimmerte der Goldstaub im Licht der schon dem Horizont zustrebenden Sonne und die Mauern der Häuser waren mit farbenfrohen Blütengirlanden behängt. "Ich bin Patrais von Letran", sagte Patrais und neigte leicht ihren Kopf. "Es ist mir eine Ehre, eure Gastfreundschaft annehmen zu können." Dann drehte sie sich um zu ihrer Sänfte, um das fremde Schwert herauszuholen. Noch einmal besah sie sich den Schwertknauf. "Der auffliegende Falke... ein ungewöhnliches Wappen für einen Städter", sagte sie dann und reichte das Schwert seinem Besitzer.

Hemafas aus Menrish lächelte. "Aber es ist ein sehr edles. Auch unser König trägt dieses Wappen. Heute hat er geheiratet, hohe Dame, ja vielleicht wart ihr selbst bei der Feier zugegen." Seinen fragenden Blick ignorierte Patrais. So bot Hemafas aus Menrish seinem Gast erneut den Arm, um sie durch ein prachtvolles Holztor in sein Haus und einen verschwenderisch begrünten Innenhof mit einem plätschernden Brunnen zu führen. "In Kürze wird eure Sänfte repariert sein, hohe Dame", versicherte Hemafas aus Menrish, dirigierte mit knappen Handbewegungen die Dienstboten, die Patrais' Gepäck brachten, hierhin und dorthin und nahm dem Sänftenträger, der die weißlackierte Laute hielt, das Instrument ab und legte es neben dem Divan, zu dem er Patrais geführt hatte, auf einen niedrigen Tisch.

Hemafas aus Menrish klatschte in die Hände und gleich kamen drei Dienerinnen, eine mit einer Messingschüssel voll Wasser, die zweite mit einem kostbaren Damasttuch zum Abtrocknen der Hände und die dritte mit dem Tee, um die Gastfreundschaft zu besiegeln. Weitere Erfrischungen wurden rund um die Laute auf dem kleinen Tisch abgesetzt und schließlich setzte Hemafas aus Menrish sich an das andere Ende des Divan.

"Ich hoffe, die Früchte munden euch, hohe Dame. Sie stammen aus dem fernen Süden, von jenseits der Wüste." Hemafas beugte sich vor, um die Laute vom Tisch aufzunehmen und so für eine weitere Schale mit Süßigkeiten Platz zu machen. Wie zufällig strich er dabei mit dem Daumen über die Saiten, lauschte auf den Klang und betrachtete das gemalte Blumenmuster.

Patrais musterte aufmerksam das Profil ihres Gastgebers und fand in seinem Gesicht deutlich den Oshey-Erbteil, tatsächlich schien es ihr fast, als säße der junge König neben ihr, älter und vom Leben gezeichnet. "Gehören die Tashrany zu euren Ahnen, Hemafas aus Menrish, daß ihr ihr Wappen an eurem Schwert tragt?" fragte sie beiläufig, während sie unter dem dichten weißen Seidenschleier an ihrem Tee nippte.

Der vornehme Mann lächelte breit. "Nun, das ist durchaus möglich. Über meine Ahnen weiß ich nicht viel. Doch unter meinen Nachkommen ist ein Tashrany, das weiß ich bestimmt."

Patrais stellte die Teeschale ab und sah für einen Moment versonnen hinüber zu dem nun im Zwielicht der Öllampen glitzernden Springbrunnen. Auch um den Divan waren Lampen aufgestellt worden und ihr Schein spiegelte sich in den schwarzen Augen ihres Gastgebers. "Auch zu meinen Nachkommen gehört ein Tashrany", sagte sie sehr leise, "doch ich glaube kaum, das es jemand weiß."

Hemafas aus Menrish schien sie nicht gehört zu haben, spielte eine kurze Melodienfolge auf der Laute, die er bewundert hatte und legte sie dann zwischen sich und Patrais auf den Divan. Doch dann sagte er, fast ebenso leise: "Ihr scheint mir zu jung, um bereits eigene Nachkommen zu haben... aber sagen nicht die Priester des Ungenannten, daß von allen Seinen Geschöpfen allein die Unirdischen alterslos sind? Denn während die Menschen unvollkommen sind und daher vergänglich, sind die Unirdischen so rein, daß sie den Anblick des Ungenannten ertragen und ihm ewig dienen. Und während die Menschen ihr ganzes Leben lang den Trugbildern Chelems und den Angiffen seiner Dämonen ausgesetzt sind, wohnen die Unirdischen in den Gärten der Freude, dem Ort, an dem der Friede herrscht, nach dem die Menschen ihr Leben lang suchen und der ihnen doch nur im Traum gewährt wird, wenn Orem mit ihnen Mitleid hat." Fast schien es, als habe Hemafas aus Menrish in frommer Einfalt die Sprüche der Priester wiederholt, doch sein in sich gekehrter Blick ließ vermuten, daß schwere Erinnerungen ihn heimsuchten.

"Ja, so sagen die Diener des Ungenannten", sagte Patrais im Gesprächston. "Und sie versprechen jenen, die sich an die Gebote der Götter halten, die Gärten der Freude für ihr jenseitiges Leben."

Hemafas aus Menrish sah seinen Gast nun wieder direkt an. "Darf ich euch eine Geschichte erzählen, hohe Frau? So kann ich euch die Zeit vertreiben, die es braucht eure Sänfte zu reparieren." Als Patrais zustimmend den Kopf neigte, begann er:

*

"DIE GESCHICHTE VON HEMAFAS AUS MENRISH.

Ich bin der Sohn einer armen Frau aus der Weststadt. Sie gab sich für Geld den Händlern und Karawanenwächtern hin, die durch die Stadt kamen und einer von denen ist wohl mein Vater. Als ich einige Jahre alt war, gebar meine Mutter noch eine Tochter, die schon als Kind über alle Maßen schön war und ich schwor mir, ihr das Schicksal meiner Mutter zu ersparen. Ich versprach ihr, sie in Seide zu kleiden und ihr goldbestickte Sandalen zu kaufen, wie die vornehmen Damen der Südstadt sie tragen und ich träumte von einem Haus, prächtig wie der Palast des Königs, mit Brunnen aus purem Gold und einem Harem voller exotischer Schönheiten. So begann ich um dieses Zieles willen, die reichen Leute, die sich in die Weststadt verirrten, zu bestehlen. Ich war sehr geschickt darin, Ringe und Ohrgeschmeide an mich zu bringen und so konnte ich meiner Schwester schließlich einen langen, golddurchwirkten Schleier kaufen, der einer Prinzessin würdig gewesen wäre.

Als ich gerade herangewachsen war, kam ein eleganter, reich gekleideter Mann zu meiner Mutter und sagte: "Höre, Frau, ich komme aus Menrish hierher und bemerke, mit welcher Kunstfertigkeit dein Sohn die Leute bestiehlt. Ich bin ein Meisterdieb und Fürst der Diebe von Menrish und wie ich einst von meinem Meister unterrichtet wurde, will ich deinen Sohn zu mir holen und ihn alles lehren, was ich gelernt habe, denn ich sehe, daß er selbst das Zeug zu einem Meister der Diebeskunst hat." Meine Mutter willigte ein, denn der Meisterdieb benahm sich wie ein hoher Herr und das beeindruckte sie sehr.

So ging ich mit dem Meisterdieb nach Menrish und er lehrte mich alles, was ein Dieb nur wissen muß. Fast konnte ich - wie man so sagt - einem reitenden Krieger das Pferd stehlen. Doch mein Meister brachte mir auch die vornehmen Umgangsformen bei und die Tischmanieren und er lehrte mich die Gebote der Götter und Lesen und Schreiben.

Nach vielen Jahren endlich sagte er: "Nun ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich dich wieder nach Hannai zurückschicke, denn du hast alles gelernt, was ich dich lehren kann. Zwei Ratschläge, die ich von meinem Meister erhielt und die sich für mich als wertvoll erwiesen, will ich dir jedoch noch auf den Weg geben: Stelle dich gut mit den Höchsten, denn sie sind es, die unserer Künste am meisten bedürfen. Einen Reichen verlangt es nach immer mehr Reichtümern und oft genug sind allein wir imstande, ihnen dazu zu verhelfen. Mein zweiter Ratschlag aber ist: Halte alle deine Versprechen stets ein, wem du sie auch gegeben hast, denn Damor, der seine Hand über die Diebe hält, ist doch nicht mit den Ehrlosen." Und so kehrte ich in prächtigen Seidengewändern und mit goldenen Ringen an den Fingern auf einem stolzen Rappen zurück nach Hannai.

Als ich nun gegen Abend das Nordtor der Stadt ereichte, das auch das Tor der Tränen genannt wird seit den vielen Feldzügen, die Resan der Eroberer in den Norden unternahm, eilte ich durch die Straßen zur Weststadt, um nach so vielen Jahren meine Mutter und meine Schwester endlich wiederzusehen. Doch auf dem Weg rief mich an einer Straßenecke eine Frau an: "Habt ihr nicht ein wenig Geld für mich, damit ich mir zu Essen kaufen kann, hoher Herr?"

Im schwindenen Tageslicht sah ich, daß die Frau jung und sehr schön war, aber in Lumpen gekleidet und ausgezehrt vom Hunger. Mitleid überkam mich, denn solches Elend hatte ich nicht einmal während meiner Kinderzeit erdulden müssen. So führte ich sie in eine Herberge und bestellte uns zu Essen. Ich war nicht sehr hungrig, sie jedoch aß, als hätte sie niemals zuvor gegessen und sie bemerkte nicht, daß ich sie betrachtete. Das Lampenlicht zauberte blauen Schimmer auf ihr schwarzes Haar und auch ihre Augen waren schwarz wie die Nacht, ihr Gesicht aber war hell wie der Mond und ihre Haut wie Seide. Mit jedem Bissen erholte sie sich zusehens und als ich sie ansah, entflammte ihr Anblick meine Leidenschaft. Und als ihre Augen die meinen trafen, da las ich in ihnen, was sie in meinen sah und in dieser Nacht lag ich bei ihr.

Am Morgen jedoch sagte ich: "Erlaube mir, dich in erlesene Stoffe zu kleiden und dich mit Edelsteinen und Gold zu überhäufen, damit du niemals mehr Hunger erleiden mußt. Ich werde Dich zur Frau nehmen und dir einen Palast bauen, neben dem selbst der Palast des Königs ärmlich wirkt." Und wir scherzten und lachten, doch dann sagte sie: "Wie kann nur ein hoher Herr wie ihr es seid, solchen Spott mit mir treiben."

Ich aber beteuerte meine Ehrenhaftigkeit und ich versprach ihren Eltern kostbare Hochzeitsgeschenke und ihr eine Morgengabe, die einer Königin würdig gewesen wäre. Aber sie antwortete mir: "Meinen Vater kenne ich nicht und meine Mutter starb vor einem Jahr. Allein einen älteren Bruder habe ich, doch viele Jahre habe ich nichts von ihm gehört, denn er zog in die Fremde und vielleicht ist auch er schon tot."

Ich bedauerte sie aufrichtig. Aber dann wurden wir wieder fröhlich und ich ließ einen Schneider für sie kommen und Seidenhändler und ich kaufte eine Sklavin als Dienerin für sie. Dann jedoch ließ ich meine Geliebte in der Herberge zurück und ritt in die Weststadt, denn ich wollte meine Mutter und meine Schwester besuchen, ihnen sagen, daß ich nun reich war und daß ich eine Frau gefunden hatte, die ihnen eine gute Tochter und Schwester sein würde. Aber als ich das Haus in der Weststadt erreichte, in der meine Mutter mit ihren Kindern von jeher gelebt hatte, fand ich es verkommen und verlassen und als ich die Nachbarn nach meiner Mutter und meiner Schwester fragte, da sagten sie: "Deine Mutter ist schon lange gestorben und deine Schwester ist fortgegangen, wahrscheinlich ist auch sie längst tot." Ich trauerte um meine Familie, doch dann kehrte ich zu meiner Geliebten in die Herberge zurück.

Wenig später machte ich meine Geliebte vor den Göttern zu meiner Frau und ich kaufte ein Haus in der Südstadt für uns, dieses, in dem wir hier sitzen, hohe Dame. Ich kleidete meine Frau in Seide und schenkte ihr goldbestickte Sandalen, ganz so, wie ich es einst meiner schönen Schwester versprochen hatte.

Eines Tages nun offenbarte meine Frau mir, daß sie von meinem Samen empfangen hatte und als ihre Zeit gekommen war, gebar sie mir einen gesunden und kräftigen Sohn. Sie jedoch siechte dahin und keine der Kräuterfrauen und Heilerinnen vermochte zu sagen, was ihr fehlte. Ich ließ Ärzte aus dem Süden kommen, doch auch sie konnten nicht helfen und so schickte ich nach einem Priester des Ungenannten und er kam an das Krankenlager meiner Frau und sprach lange mit ihr.

Schließlich kam er zu mir und sagte: "Deine Frau hat große Schuld auf sich geladen, daher strafen die Götter sie mit dieser Krankheit." Doch ich wußte, daß sie alle Gebote der Götter einhielt und das keine Frau je zärtlicher und aufrichtiger zu ihrem Mann gewesen war, als sie zu mir. "Welche Schuld kann sie auf sich geladen haben?" fragte ich darum, denn mir schien, daß nur ein böser Fluch Chelems auf meiner Frau ruhen konnte.

Der Priester des Ungenannten aber sagte: "Sie war nicht aufrichtig zu dir, als du sie zu deinem Weibe wähltest, denn sie erkannte dich als ihren Bruder als sie dich das erste Mal sah und sagte es dir nicht. So lagst du bei deiner leiblichen Schwester und zeugtest einen Sohn mit ihr."

Da fiel ich vor dem Priester des Ungenannten auf die Knie und weinte bittere Tränen, denn ich verstand nun, warum ich diese Frau vom ersten Augenblick an geliebt hatte. Sie war mir vertraut seit meiner Kindheit, doch die Dämonen Chelems hatten mich geblendet, so daß ich sie nicht als meine Schwester erkannt hatte. Und ich flehte den heiligen Mann an, mir zu sagen, wie ich diese Schuld nur tilgen könne. Und der Priester des Ungenannten erwiderte: "Deine Schwester büßt ihre Schuld durch ihren Tod, denn niemand kann ihr mehr helfen. Du jedoch mußt deinem Sohn deine Vaterschaft auf immer verleugnen, denn niemals darf dieser Knabe von der Schande seiner Herkunft erfahren. Erziehe ihn als den Sohn deiner Schwester, als deinen Neffen." Schweren Herzens folgte ich dem Gebot des Priesters und ich opferte den Göttern und flehte um ihren Segen für meinen Sohn, den ich meinen Neffen nannte.

Mit den Jahren wuchs mein Sohn heran und ich knüpfte viele Kontakte zu den einflußreichen Persönlichkeiten bei Hofe und machte mich in der Südstadt als geschickt und ehrenhaft bekannt. Da ich viele Aufträge bekam, vermehrte sich mein Reichtum rasch, mein Sohn jedoch bat mich, ihn in meiner Kunst auszubilden und so wurde er mir ein gelehriger Schüler. Als er zum Jüngling heranreifte, wurde er immer mehr seiner Mutter, meiner geliebten Schwester ähnlich und ich liebte ihn, wie ich sie geliebt hatte, doch ich durfte ihm nicht offenbaren, daß ich sein Vater war.

Trotzdem lastete der Fluch der Dämonen weiter auf mir und den Meinen. Lange war mir mein Sohn ein treuer und zuverlässiger Gehilfe gewesen, doch eines Tages kehrte er von der Durchführung eines wichtigen Auftrages nicht zurück. Den Edelstein, den er für einen Mann vom Hofe hatte stehlen sollen, nahm er an sich und verließ die Stadt, anstatt ihn mir zu übergeben. Seine Verfehlung brachte sogar den Tod über meinen Auftraggeber und so machte ich mich auf die Suche nach meinem Sohn, denn diese Schuld mußte er tragen.

Es fiel mir leicht, ihn aufzuspühren, denn er hatte kaum Mühe aufgewand, sich zu verbergen, obwohl er wissen mußte, was ihm von mir drohte. Und endlich stand ich an seinem Nachtlager, nahm den Stein, um ihn zurück nach Hannai zu bringen, und tötete meinen Sohn mit eigener Hand. Doch als ich mein Schwert durch seine Brust bohrte, da sah ich auf dem Bett neben seinem toten Körper einen weißen Falken mit blitzenden bernsteinfarbenen Augen sitzen und der erhob die Stimme und sprach: "Dieser Mann ist der Vater eines zukünftigen Königs. Wenn dieser König einst seinen Thron eingenommen und sich eine Königin erwählt hat, wird man dieses Leben von dir zurückfordern."

Als ich den Boten des Ungenannten dort auf dem Bett sitzen sah, durchfuhr mich eisige Furcht und ich floh mit dem Edelstein zurück nach Hannai. Ich übergab ihn seinem früheren Besitzer und wurde reich dafür belohnt und seit dem lebe ich in Luxus und unbeschwert, doch so manche Nacht weine ich um meinen Sohn, dem ein Dämon Chelems eingeflüstert hatte, den Stein zu behalten.

Heute nun wurde die Hochzeit unseres neuen Königs gefeiert und als ich ihn mit dem Hochzeitszug durch die Straßen reiten sah, zerriß es mir fast das Herz, denn es schien mir, als sei mein Sohn von den Toten zurückgekehrt. Ich weiß, dies ist der König, den mein Sohn zeugte und jener Falke auf meinem Schwert führte mich zu euch, hohe Frau, an diesem Tag, der mein Schicksal entscheidet. Ich bin sicher, daß ihr jenes Leben von mir fordern werdet, Patrais von Letran, denn ihr kanntet wohl meinen Sohn, da ihr seine Laute besitzt... auch wenn sie bemalt wurde, so erkenne ich sie doch wieder, denn ich ließ sie einst für meine Frau anfertigen." Hemafas aus Menrish sah seinen schweigenden Gast forschend an und versuchte zu ergründen, was hinter dem für ihn undurchdringlichen Schleier aus kostbarer Seide vor sich ging.

Schließlich senkte Patrais ihren Kopf und sagte mit gedämpfter Stimme: "Vielleicht wollte ich ein Leben von euch fordern, Hemafas aus Menrish, Vater meines Geliebten. Doch in mir ist kein Zorn mehr über jene Tat, die mir so schrecklich erschien, als sie geschah. Doch ihr sollt meinen wahren Namen erfahren: Ich heiße Patrais Tashrany und ich bin die Mutter des Königs, dessen Vater euer Sohn war. Und doch ahnt Hermil Tashrany nicht, daß er in mir seine leibliche Mutter kennengelernt hat." Patrais löste ihren Schleier und legte ihn sich um die Schultern, so daß ihr schmales Gesicht mit den leuchtenden Bernsteinaugen darin sichtbar wurde und ihr feines Haar, das schimmerte wie flüssiges Mondlicht.

Unbewegt starrte Hemafas ihr ins Gesicht und flüsterte dann: "Wer könnte bei eurem Anblick glauben, daß ihr eine sterbliche Frau wärt? Ihr könnt sicher unter dem Angesicht des Ungenannten wandeln und seine Vollkommenheit bewundern. Euch stehen die Gärten der Freude jederzeit offen." Und er verstummte.

Patrais Tashrany jedoch legte ihre schmale Hand leicht auf die Hand ihres Gastgebers, die auf dem Schallkörper der Laute ruhte. "Nein, ich bin keine Unirdische. Wäre ich es, so wäre mein Zorn ebenso vollkommen, wie meine Erscheinung. Es fließt sterbliches Blut in meinen Adern, das Blut der Tashrany, und dieser Erbteil verwehrt mir den Weg in die Gärten der Freude. Ich bin sterblich wie ihr..." Patrais verstummte und betrachtete den Vater und Lehrmeister ihres Geliebten.

"Ich fordere das Leben", sagte sie dann entschlossen und Hemafas schrak auf aus seinen Gedanken. "Ich fordere Euer Leben in seiner ganzen Länge, um mir vom Lehrmeister zu holen, was mir der unzuverlässige Schüler nicht mehr geben konnte!"

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Kapitel: 9
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Kurzbeschreibung

Setz dich auf den Rand eines Brunnens und höre dem Märchenerzähler zu, wie er halb wahre und halb erfundene Geschichten über Menschen, Götter und Dämonen erzählt.