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Shards of Fate

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24.10.24 12:19
16 Ab 16 Jahren
In Arbeit

Diese Bewegungen, diese Gestalt… Sie war für mich so natürlich wie ein Atemzug, den ich nicht brauchte. Und doch fühlte es sich fremd an, als ich meine göttliche Gefilde verließ und lautlos einen Fuß auf den Boden setzte, der sanft schimmerte. Natürlich war ich Licht gewohnt. Leben. Ohne Licht konnte kein Schatten existieren und so war es auch meine Pflicht, ihm den Raum in meinem Reich einzugestehen den es hatte. Getragen von Menschen. Erleuchtet von Sternen, die sich ihre Nester in meinem Firmament bauten. Es störte mich nicht, denn ich war unendlich und es gab genug Platz. Nacht für Nacht erlaubte ich Zerthys dieses Leuchten und Tag für Tag zog ich meine Schatten zurück, damit die Sonne unserer Herrscherin sie nicht verbrannte.
Doch es mussten schon viele Jahrtausende vergangen sein, seit ich das Pantheon betreten hatte. In einer Machtgestalt, die den Sterblichen so ähnelte, denen wir mit unserem Tun dienten und die sie doch niemals sehen durften. Aber diese Hände, dieser Mund und diese Gestalt machten es einfacher, mit den anderen Göttern zu sprechen.
Natürlich war ich nicht nervös, als ich durch die Hallen schritt, ohne dass auch nur ein Laut meine Ankunft ankündigte. Dennoch war ich froh um den weiten, lichtschluckenden Umhang und die Kapuze, die mich vor den hellsten Strahlen schützte, als die anderen Götter feindselig zischend vor mir zurückwichen. Langsam senkte ich den Blick. Es waren meine Augen, so dunkel wie die Nacht und so finster wie der Tod, über den ich herrschte, die Unbehagen bei ihnen auslösten. So bemühte ich mich niemanden aus diesem Kreise anzusehen – besonders nicht die geisterhaften Diener, die sich um ihre Götter kümmerten. Sie waren so zerbrechlich. Noch ein Schritt war es, der mich von meinem seit Jahrtausenden verlassenem Sitz am Kreise des Pantheons trennte, doch ich führte ihn nicht zuende, als sich mir jemand in den Weg stellte.
„Du bist hier nicht erwünscht, Dunkler.“, zischte eine Stimme. Sie erklang nicht direkt, sondern füllte den Raum meiner Gedanken mit seiner Präsenz. Ein weiterer Weg, um die Geistwesen zu schützen, den ich beinahe vergessen hätte. Die Schatten in meiner Gesellschaft hatten weder Augen noch Ohren und so konnte ich in meinem Reich sprechen, wie ich es wünschte. Hier jedoch besann ich mich auf meine eigene Gedankenstimme, wispernd, leise und tragend, als ich Veythor antwortete.
„Ich hörte, am heutigen Tag sprecht ihr über mein Reich, die Ruhestatt der Toten. Und doch erhielt ich keine Einladung. Ist es da nicht mein Recht, für das Wohl der mir anvertrauten Seelen zu sprechen? Wenn ich befürchten muss, dass ihr ohne mich Entscheidungen trefft?“
Ein Raunen erfüllte den Raum, als hätten sie nicht erwartet, je wieder meine Stimme zu hören. Zerthys war es, der seinem Bruder im Blute beschwichtigend die Hand auf die Schulter legte.
„Lass es ruhen“, sprach der Sternenträger auf seinen impulsiven Bruder ein und zog ihn mit einer seiner Ruhe widersprechenden, unterwürfigen und von Feindseligkeit durchtränkten Verbeugung aus meinem Weg. Mehr brauchte ich nicht zu tun, mehr nicht zu sagen. Als einer der Ältesten unter den Göttern besaß ich eine natürliche Autorität – doch auch den Hass jener, die den Pantheon mit mir teilten. Sie konnten nicht anders und ich verübelte es ihnen nicht, lag es doch in der Natur der Dinge, Fremdartigkeit und Finsternis abzustoßen. Lieber badeten sie im Licht der reinen Wahrheit, das unsere Herrscherin Cahaya auf uns scheinen ließ. Jenem Licht, dem ich schon immer ausgewichen war. Mein Wesen barg zu viele Geheimnisse in seinem Schatten, die dieses Licht noch nie erblickt hatten. Nur heute, geschützt von einem Artefakt meines klugen jüngeren Freundes und dem Mantel der Nacht, würde ich vor der Sonne sprechen.
Noch immer konnte ich das Gemurmel hören, die Blicke spüren, während ich an meinen Platz trat und das Amulett umfasste. Doch nicht alle waren feindselig. Sytharis, der sich heute für seine männliche Gestalt entschieden hatte, schien sich sogar über meine Anwesenheit zu freuen und schickte eine kleine, rot getigerte Lichtkatze in meine Richtung. Die Katze, die ich nun neugierig betrachtete, setzte sein Pfötchen auf meinen Arm und hinterließ einen Abdruck, bevor sie in einem Flimmern verging.
Natürlich fiel der Abdruck wie Staub von meinem Mantel ab, doch die Geste brachte mich zum Lächeln. Ein ungewöhnliches Zeichen der Zuneigung, das ich so nicht erwartet hatte. Natürlich sah der Gott das Lächeln nicht - die Kapuze meines Mantels verhüllte mein Antlitz - aber ich wandte den Kopf in seine Richtung und nickte ihm langsam zu, bevor ich wieder meinen Arm betrachtete. Wie schade, dass es sich nur um einen so kurzlebigen Zauber gehandelt hatte. Ich war die Finsternis, das Firmament und der Tod, dennoch erkannte ich Schönheit, wenn sie vor mir stand. Aber hoffentlich war Sytharis sich bewusst was es bedeutete, wenn er offen bekannte, dass er mir nicht ablehnend begegnete. Er würde sich den Anderen gegenüber erklären müssen, nicht wahr? Ich konnte nur hoffen, dass es ihm nicht schadete. Doch was machte ich mir eigentlich Sorgen? Sytharis, der Gott der Liebe, Poesie, Schönheit und noch so vielem mehr hatte ein überaus einnehmendes Wesen und würde sich sicher nicht so schnell unterkriegen lassen. Erneut zuckte ein Lächeln über meine Lippen, als besagter zweigeschlechtlicher Gott - jetzt als Frau - damit fortfuhr, die Stimmung zu lockern und die Götter um sie herum in ihren Bann zu ziehen. So leicht war es, meine Anwesenheit zu vergessen, dass die Zeit bis zur Ankunft unserer Herrscherin wie im Fluge verging.
Es begann mit einem Brüllen.
Das Rauschen mächtiger Flügel durchschnitt die Luft und wir Götter hoben die Köpfe, als ein roter Schimmer über uns erschien. Wieder brüllte der Drache, kündigte an, was wir bereits alle erwartet hatten, und ich senkte den Blick in dem Moment, in dem das Licht auf seinem Rücken sichtbar wurde. So konnte ich nur hören und spüren, wie der rot gefiederte Amphitere sich in die offene Halle stürzte und seinen schlangengleichen Leib auf den Boden setzte, auf dem wir alle wandelten. Jeder kannte den Begleiter der Herrscherin. Das einzige mystische Wesen, das gottberührt war und das Himmelreich betreten konnte. Doch ich hatte ihn bisher immer nur aus der Ferne gesehen und betrachtete mit gesenktem Kopf das schöne Gefieder, das ich von hier aus sehen konnte. Es schimmerte in den Farben des Feuers - ich konnte Rot erkennen, aber auch Weiß, Gold und Schwarz. Eine Farbenpracht, die ich bewunderte. Meine eigene Schwärze schimmerte nur subtil, nicht so kraftvoll wie diese schöne Kreatur, und so versank ich einen Moment lang in der Betrachtung ihres Begleiters.
Bis ich den Kopf abwenden musste, weil ein viel helleres Licht sich nun näherte. Um mich zu schützen, zog ich die Kapuze tiefer in mein Gesicht und umfasste erneut das Amulett, das mich vor ihrem Schein bewahrte.
“Willkommen”, sprach eine ruhige Stimme und ich wusste, dass es sich dabei um unsere Herrscherin handeln musste, denn ich hatte sie noch nie vernommen. Cahaya sprach mit einer Kraft, die den ganzen Raum erhellte, und wo ihr Licht hinfiel, erwärmte sich die Luft. Als wäre die Sonne persönlich herabgestiegen und hätte sie mit ihrer Anwesenheit in ihr Licht gebadet, und doch schien sie weniger hell zu strahlen als ich angenommen hatte. Zügelte sie ihre Macht? Von Fern hatte ich sie bereits sehen können, und ihr Strahlen hatte den ganzen Himmel erfüllt. Vielleicht tat sie es, um uns Anderen die Gelegenheit zu geben, uns mit ihr verständigen zu können.
“Und Willkommen, Schatten. Ich habe es zwar nicht erwartet, aber es ist schön, dass Du uns beiwohnst.” Überrascht drehte ich leicht den Kopf und verstärkte meinen Griff um das Amulett, bevor ich in ihre Richtung nickte, ohne den Blick zu heben. Sie klang nicht, als würde meine Anwesenheit sie stören. Als würde meine Finsternis ihr Licht nicht beleidigen, sondern als wäre ich ein Teil dieser Runde. Als würde ich hierher gehören. Ich konnte natürlich ihre Überraschung hören, doch sie hielt sich auch subtil.
“Hab Dank”, erwiderte ich schlicht und konnte schon von hier das leise Zischen hören, weit hinten in meinem Kopf. Den anderen Göttern gefiel es nicht, dass ich ihr gegenüber das Wort ergriffen hatte.
“Mir wurde zugetragen”, fing die Sonnengöttin nun an und beendete damit sowohl das kleine Zwiegespräch, als auch den Unmut unseres Kreises, “dass es Unruhen an der Grenze zum Menschenreich gegeben hat. Zerthys, Du hast als Erster davon berichtet. Was können die Sterne uns erzählen?” Zerthys, jener Gott, der seine Sternbilder in meinem Firmament verteilte, erhob sich und legte die Hand über der mitternachtsblauen Robe über sein Herz. Leicht deutete er eine Verneigung in ihre Richtung an und hob dann den Blick, um zu unserer Herrscherin aufzusehen. Etwas, das ich niemals wagen würde.
“Die See ist unruhig, Große Sonne. Die Menschen richten ihren Blick nicht mehr in den Himmel, um sich zu orientieren, und die Gebete an meine Wenigkeit werden rarer. Sie fürchten sich vor etwas, aber ich konnte noch nicht ausmachen, worum es sich dabei handelt.” Seine Antwort war klar und er sprach wahr, dennoch konnte ich für einen kurzen Moment spüren, dass sein Blick auf mir ruhte. Der Nächste, der das Wort ergriff, war allerdings nicht ich. Stattdessen erhob sich nun Tylion. Der Gott des Meeres und der Fruchtbarkeit, der Heilung und der Gnade.
“Ich spürte vor wenigen Tagen in der Zeitrechnung der Menschen die Ankunft einer fremden Kreatur in meinem Reich, oh Leuchtende. Unsere Gläubigen haben Angst. Es versenkt ihre Schiffe und scheint sich der Insel zu nähern.” Mit jedem der Worte ergriff mich dieselbe Unruhe, die ich auch bei den anderen Göttern spüren konnte. Fremde Kreaturen im Meer? Und sie näherten sich jenem Ort, den kein Gott je betreten durfte? Daher also hatten sie mich nicht zu dieser Unterredung eingeladen. Sie fürchteten, ich könnte mich gegen sie gewandt und den Wesen des Totenreichs Zugang zu den Sterblichen ermöglicht haben. Eine alberne Vorstellung aus meiner Sicht, doch nicht abwegig für diejenigen, die bereits seit Äonen ihre Meinung über mein Reich gefestigt hatten. Es war gut, dass ich hier war. In dem Moment, in dem die zehn Götter des Pantheons - zwölf, zählte man mich und die Herrscherin mit, doch wir beide blieben still - zu diskutieren begannen und immer öfter mein Wirken als Idee unter ihnen herumging, erklang meine Stimme in ihren Köpfen.
“Cahaya”, richtete ich das Wort leise an unsere Herrscherin und sorgte damit dafür, dass sämtliche Anwesenden verstummten vor Schreck. Wie konnte ich es wagen, erneut mit ihr zu sprechen? Keine Demut in der Stimme zu tragen, sondern nur einen sanft erklingenden Respekt? Noch immer hob ich den Kopf nicht zu ihr hinauf, wagte es nicht, in ihr Antlitz zu blicken oder meines zu enthüllen, doch ich wandte mich in ihre Richtung. “Bist Du ebenfalls der Meinung, ich käme meinen Aufgaben nicht nach?” Natürlich erfüllte ich meine Pflicht. Das Reich der Toten war versiegelt und nur ich kannte den Weg hinein, führte ich doch zahllose Wesen durch diese Tore. Was darin lauerte, durfte das Licht der sterblichen Welt oder die himmlischen Gefilde niemals berühren und es war meine Aufgabe, dafür zu sorgen. Doch die anderen Götter konnten das Ausmaß dieser für sie fremden Welt nicht erfassen, ebenso wenig, wie ich das Ausmaß ihrer Macht sehen konnte. Sollte unsere Herrscherin den Sorgen der Götter also Glauben schenken, konnte ich es ihr nicht nachsehen und würde mich einer Strafe fügen. Denn sie war die Macht, die uns alle zusammenhielt. Der Ursprung unserer Welten, die Mutter des Schicksals. Es gab nichts, was ich ihr hätte entgegensetzen können oder wollen. Dennoch harrte ich in der Stille gebannt aus, wartete schon beinahe besorgt auf ihre Antwort. Doch das Schweigen zog sich, die Göttin schien über meine Worte und die des restlichen Pantheons genau nachzudenken. Immer mehr kroch die Furcht in mein Herz. Was würde mit mir geschehen, sollte sie zu meinem Verderben urteilen? Was würde mit der Finsternis geschehen, mit den Schatten, die ich beschützte? All die Geheimnisse der Sterblichen würden ans Licht gezerrt werden. Jene Dinge, die sie nur den beruhigenden Umarmungen der Nacht anvertrauten. Ich sorgte mich um meine Gläubigen, doch auch um den Rest der Menschheit, reichte mein Einfluss doch weiter als meine Kirche. Doch natürlich würde Die Leuchtende nicht zulassen, dass ihnen etwas zustieß. Vielleicht war es Zeit für einen neuen Schatten. Da sie noch immer schwieg, schloss ich langsam die Augen und hob den Kopf in Erwartung ihrer Strafe.
“Ich glaube dir, Schatten.” Diese Worte waren so überraschend wie erlösend, dass ich beinahe ihren Blick gekreuzt hätte. Doch so schnell ich auch die Augen öffnete, so sehr blendete mich auch ihr Licht und ich senkte sofort wieder den Kopf. “Die Sterblichen bleiben weiterhin in Gefahr. Wir wissen nun, dass das Reich der Toten weiterhin verschlossen ist, doch wir müssen diese Kreatur finden. Es ist nicht der Tod, der mir Sorgen bereitet. Es sind jene Dinge, die sich auf der Insel befinden. Unser Schutz hält das Wesen noch zurück, doch für wie lange?” Sorge sprach aus der Herrscherin, während ich noch mit der Erleichterung zu kämpfen hatte. Ich fürchtete den Tod nicht. Wie könnte ich, wenn ich sein Wächter war? Doch ich fürchtete den Käfig, und dieses Schicksal nun nicht zu ereilen war beruhigend. Aber ich hörte ihrer einzigartigen Stimme auch aufmerksam zu, denn sie hatte recht. Es musste etwas geschehen, bevor es zu spät war. Veythor war es, der sich als nächstes erhob. Flüssig klang seine Stimme, verführerisch glatt wie der weiche Nektar der Jahrtausendblüten. Keine Spur der Verachtung lag mehr in seinem Tonfall, den er zuvor noch mir zugedacht hatte.
“Mir scheint, wir sollten jemanden auf die Erde schicken, Große Sonne. Jemand, der sich dieser Kreatur annehmen und sie ins Himmelreich bringen kann, damit wir ihren Ursprung finden können”, sprach er und verbeugte sich derweil. “Ich biete an, mich selbst auf diese Reise zu begeben. Als Wesen des Wassers werde ich sie schneller ausfindig machen können als die Gestalten, die der Rest des Pantheons auf der Erde annimmt.” Erneut brach Gemurmel unter den Anwesenden aus. Götter, die zufrieden mit diesem Angebot waren und jene, die besorgt den Ereignissen lauschten.
“Mit Verlaub, Bruder”, erklang nun der erste Protest und ich drehte den Kopf in Zerthys Richtung, der sich leise räusperte. “Doch diese Kreatur hat das Reich Tylion’s invasiert. Sicher wäre es nur recht und billig, wenn er sich dieser Bedrohung annimmt, ist er doch weitaus gewandter im Umgang mit solchen Gefahren als Du.”
“Recht hat er”, stimmte Tylion zu, und auch andere Götter taten ihre Zustimmung dazu kund. “Meine Zähne werden das Biest besser verwunden können als deine Flossen.” Mein Kopf war noch immer gesenkt, doch die zur Faust geballte Hand konnte ich erkennen und Veythor verneigte sich erneut, bevor er sich wieder setzte. Zum Schweigen gebracht von seinem Bruder, war seine Wut bis hierhin spürbar und Sytharis in weiblicher Gestalt legte ihm beschwichtigend eine Hand auf seinen Arm. Wäre sie nicht gewesen, würde dieser Kreis viel schneller in Streit ausarten, den Cahaya mit ihrer Autorität hätte unterbinden müssen.
“Ich danke Dir für das Angebot, Veythor”, sprach Die Leuchtende nun und mir war, als könne ich das Lächeln in ihrer Stimme hören. “Tylion ist gewandter in seinem Element, doch ich möchte auch nicht, dass er sich allein dieser Gefahr stellt. Wir sind Götter, doch auch wir sind sterblich, sollten die richtigen Waffen uns finden. Bitte begleite das Krokodil, auf das er nicht einsam durch die Gezeiten streifen möge.” Besänftigt durch Sytharis’ Geste und Cahaya’s Worte, neigte Veythor den Kopf und auch Tylion fügte sich ihrem Willen. Es war beeindruckend, wie unsere Sonne den Raum allein mit ihrer Stimme zu beherrschen vermochte und auch ich fand mich gefangen im Bann ihrer Macht wieder. Vielleicht war das der Grund, aus dem ich mir wünschte, diese göttliche Versammlung möge noch weiter anhalten. Doch mein Wunsch, so unüblich wie unangebracht, wurde nicht erhört und die Große Sonne beendete das Treffen rasch, nachdem diese Lösung vorgebracht und akzeptiert worden war. Ebenso lautlos wie zu meiner Ankunft erhob ich mich von meinem Platz, neigte vor den anderen Göttern, aber besonders vor der Sonnengöttin Cahaya respektvoll den Kopf und hüllte mich in meinen schützenden Mantel, während die anderen es mir gleichtaten. Beinahe konnte ich den Seufzer der Erleichterung spüren, der den Raum erfüllte, als meine Anwesenheit sich dem Ende zuneigte und ich die Halle verließ. Nur eine Stimme ließ mich noch innehalten, als ich bereits den Korridor betreten hatte und dabei war, die Schatten meiner Selbst um mich zu sammeln.
“Bitte wartet noch, Schatten.”
 

Keuchend holte ich Luft, während ich mich eher reflexartig als aktiv gesteuert in meinem Bett zum Sitzen aufrichtete. Mehrmals musste ich blinzeln, um mein Zimmer richtig wahrzunehmen. Es war so… dunkel hier. Dunkel trotz der Sonne, die bereits aufgegangen war und das Zimmer mit Licht einhüllte. Aber mein Traum war so hell gewesen, dass mir erstmal alles dunkel vorkam. Noch immer in einer Zwischenwelt zwischen dem Traum und der Wirklichkeit gefangen, blickte ich verwirrt auf meinen eigenen Arm, der überraschend falsch aussah. Obwohl ich diesen Arm mein Leben lang anschaute, war er heute Morgen so wenig am Leuchten. Eben gerade war er noch blendend hell gewesen.

„Ayana?“, riss mich ein Klopfen gefolgt von meinem Namen aus der verwirrten Starre und mit dem zucken meines Kopfes zur Tür, verschwand auch der letzte Rest des Traumes – oder war es eine Vision gewesen?

„Ähm. Ich bin gleich soweit.“; rief ich zurück und schlug die Decke vollständig zurück, die durch mein Aufsetzen schon zur Hälfte gefallen war.

„Denk an die richtige Gewandung, der Sonnenpriester wird mit uns speisen heute“, rief Elaria durch die Tür und dann hörte ich wie ihre Schritte wieder verschwanden. Der Sonnenpriester persönlich würde also mit uns speisen. Wie aufregend. Doch ich hatte das bereits erwartet. Seit einer Woche waren wir nun im Hauptsitz der Kirche des Lichts und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis das Oberhaupt der Kirche sich selbst ein Bild von mir machen wollen würde. Von der Gesegneten.

Normale Gesegnete wurden nicht sofort den hohen Autoritäten ihrer Kirchen vorgeführt, aber normale Kirchen hatten schließlich auch mehrere Gesegnete. Und wenn man, wie ich, die erste gottesberührte Person seit mehreren hundert Jahren war, dann war es wohl verständlich, dass alle hohen Tiere in der Kirche sich selbst von der Echtheit meiner Zeichnung überzeugen wollten.

Mit zügigen Bewegungen wusch ich mich, zog meine Unterkleider an und bürstete durch mein langes, braunes Haar, um es dann routiniert zu einem langen Zopf zu flechten. Seit sechs Jahren war ich nun schon die einzige Gesegnete der Heiligen Cahaya. Seit sechs Jahren wurde ich regelrecht von der Kirche des Lichts gefangen gehalten. Natürlich stimmte das nicht. Sie schützten mich und nutzten dafür alle Ressourcen, die sie hatten und ich sollte dankbar sein und meistens war ich das auch. Meistens konnte ich über die Behandlung wie eine Prinzessin und den Schutz hinwegsehen und die fehlende Entscheidungsfreiheit ausblenden.

Über meinen Unterkleidern trug ich für gewöhnlich eine schlichte weiße Robe, mit dem Symbol der Göttin auf der Brust und einer Kordel als Gürtel. Doch für den Sonnenpriester würde ich das festliche Gewand anziehen. Jede Kirche hatte Gewänder für Gesegnete, doch normalerweise war man mit solchen Kleidern nicht einzigartig wie ich nun in meinem weit ausschweifenden weißen Kleid aus mehreren Lagen Stoff, von denen die oberste Lage in langen Streifen am Rock herabfiel und entlang der ganzen Länge in kleinen und großen Kreisen das Symbol der Göttin mit goldenem Band eingestickt worden war.

Ich sah aus wie eine Prinzessin. Oder wie eine Braut. Genau in dem Moment, als ich die weißen Armbänder anzog, die den herunterhängenden weißen Tüll mit der Schulterpartie verbanden, klopfte es nochmal.

„Ayana? Bist du fertig?“, fragte Elaria nun deutlich weniger entspannt als eben noch. Als Adeptin traf man wohl nicht jeden Tag das Oberhaupt der eigenen Kirche. Ich öffnete die Tür von innen und wäre fast mit ihr zusammengestoßen, als ich sie anlächelte.

„Ich bin soweit“, antwortete ich ihr unnötigerweise, da sie mich bereits mit großen Augen anstarrte.

„Ich hoffe das ist so alles richtig?“ fragte ich, um ihr aus dem Staunen zu helfen. Ich wusste, wie man dieses Kleid korrekt trug, aber so hatte sie die Gelegenheit ihr Wissen anzuwenden. Sie musterte mich fachmännisch und nickte dann. „Perfekt.“ Auch sie erlaubte sich ein Lächeln.

„Nun dann, Gesegnete der Göttin des Lichts?“, fragte sie und nutzte absichtlich meinen ‚Titel‘.

„Der Sonnenpriester wartet nicht gern.“ Sie nickte mit ihrem Kopf einladend und ging dann vor mir weg, während ich ihr im Abstand von einem Schritt folgte.

Ich kannte mich hier noch immer nicht aus. Eine Woche hatte nicht gereicht, um mich in den vielen Zimmern im Hauptsitz der Kirche zurechtzufinden. Die Tempel und Kirchen, in denen ich zuvor länger untergebracht gewesen war, waren deutlich kleiner und hatten sich schnell wie eine Art zuhause angefühlt. Doch hier? Alles war pompöser, größer und verwinkelter. Als wäre das absichtlich so konstruiert worden.

Vor einer großen Flügeltür aus dunklem Holz mit schweren Metallnieten blieb Elaria stehen. Sie drehte sich um, lächelte kurz, senkte dann den Blick und trat mir aus dem Weg. Göttin, war ich dankbar, dass Elaria mit uns hergekommen war.

Ich atmete einmal tief durch, hob den Blick, richtete meinen Zopf und öffnete dann die Tür.

In den Empfangssaal, in dem sonst sehr wenig Möbel standen, war eine Tafel aufgebaut worden, mit acht Stühlen an dem länglichen Tisch und allerhand Speisen aufgereiht. Fisch, Eier, Brot, sogar Beeren in kleinen Schalen konnte ich sehen und einer meiner Mundwinkel zuckte leicht. Erst auf den zweiten Blick bemerkte ich die anwesenden Personen. Von allen Kirchenbediensteten fiel vor allem der Mann auf, den ich sofort als Sonnenpriester erkannte, auch wenn wir uns noch nie begegnet waren.

Zielsicher ging ich also auf den ganz in weiß gekleideten Mann zu, dessen Gottheitszeichen auf einer um den Hals gelegten Stoffbahn gezeigt wurde und dessen ganzes Gewand mit allerhand Edelsteinen und Gold- und Silberstoffen bestickt worden war. Dass er beim Gehen nicht klimperte war ein Wunder. Er lächelte warm, bereitete die Arme aus, als ich vor ihm stand und seine Stimme war tiefer, als ich sie erwartet hatte.

„Da ist sie ja! Herzlich Willkommen im Haupttempel der Kirche des Lichts, Ayana, Gesegnete der Göttin.“ Seine Hände fanden mein Gesicht und er umfasst es mit beiden Händen, während er mir direkt in die Augen sah. Ein wenig merkwürdig, aber ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt.

„Ihr“, seine Stimme war voller Pathos, „Seid der Hoffnungsschimmer, auf den wir seit Jahrhunderten gesetzt haben, mein Kind.“ Erst dann ließ er mein Gesicht los. „Wir werden euch schützen, über euch wachen und euer Geschenk würdigen und ehren. Hell leuchte das Licht!“

„Denn dann leuchtet sie in dir.“; antwortete ich routiniert gemeinsam mit sieben weiteren Stimmen in diesem Raum. Der Leitsatz der Kirche. „Ich freue mich sehr, euch kennenzulernen Sonnenpriester. Es ist eine große Ehre.“ Ich hatte geübt was es zu sagen galt, aber ich meinte es durchaus so. Die Oberhäupter der Kirchen waren mächtig und auch wenn die Kirche des Lichts an Macht eingebüßt hatte, so konnte dieser Mann Wunder vollbringen, da war ich mir sicher.

„Lasst uns speisen“, lud Sonnenpriester Aetherion den Raum und auch mich ein und deutete auf die Tafel, zu der nun auch der Rest der Gruppe ging. Ich lächelte Elaria kurz zu, hegte aber keine Hoffnung während dem Essen mit ihr sprechen zu können. Und ich wurde nicht enttäuscht. Natürlich wurde ich neben Aetherion platziert, gegenüber von Hohepriesterin Lythira, die auf seiner anderen Seite Platz genommen hatte. Eine kühle Frau, zurückhaltend für diese Kirche, die sehr auf die Regeln bedacht war.

Dieses Kleid war für das Stehen und hübsch Aussehen geschneidert worden und ganz gewiss hatte niemand auch nur einen Gedanken daran verschwendet, wie man darin aß. Ich hatte sehr große Mühe damit mit den Stoffbahnen, die überall lose an mir herabhingen, nichts umzustoßen, oder den reinen Stoff zu ruinieren, weshalb ein entspanntes und angenehmes Essen nicht denkbar war. Trotzdem sagte ich nichts, sondern versuchte der inhaltslosen Gesprächsführung zu folgen.

„Wir bemühen uns sehr, dass eure Anwesenheit hier besser geheim gehalten wird als in Falwyth.“, wurde mir versichert. „Nicht einmal die königliche Familie wird von euch erfahren. Ich selbst werde mich darum kümmern. Habt ihr eure Lehrer mitgebracht? Gerade hier in der Hauptstadt wäre ein Universalgelehrter wohl nur in der Kirche Silvans zu finden und so sehr ich den Gott der Wissenschaft schätze, so fürchte ich zählt Verschwiegenheit nicht zu seinen primären Tugenden.“ Er runzelte die Stirn, während Lysandor – ein Priester des Tempels – auf meiner anderen Seite „Oder zu den sekundären, oder zu überhaupt irgendwelchen“, murmelte und ich ganz kurz Schmunzeln musste.

„Ich habe keine Lehrer, aber ich lerne sehr gut aus Büchern, Erhabener Glanz“, antwortete ich ihm, während ich mich darauf konzentrierte, ein Stück Forelle unfallfrei in meinen Mund zu befördern. „Und Bücher haben wir zwar einige mitgenommen, aber Priester Lysandor war so freundlich mich in die Bibliothek einzuweisen.“ Ich nickte dem jungen Mann neben mir freundlich zu und er errötete und fand plötzlich sein Frühstück viel interessanter, als auch Aetherion ihn musterte.

„Vielleicht fällt mir noch eine bessere Lösung ein, mein Kind“, dachte er laut nach, während ich ein genervtes Zucken mit dem Augenlid vermeiden musste. Ich hasste es, ‚mein Kind‘ genannt zu werden. Verniedlichend, herabwürdigend, als würde man mich nicht ernst nehmen.

Offizielle Essen wie dieses hatten die Angewohnheit, für alle Beteiligten anstrengend zu sein. Und ich war nicht die Einzige die erleichtert war, als die Tafel aufgehoben und dieser offizielle Termin für beendet erklärt wurde. Zum Abschied versicherte mir der Sonnenpriester noch, ich könne mich jederzeit an ihn wenden, wenn ich nur irgendeinen Wunsch hätte, dann wuselte er in Begleitung seiner Schreiber und Assistenten hinaus.

Elaria begleitete mich zurück zu meinem Zimmer und diesmal wirkte sie weniger verschwiegen als heute Morgen. „Ist er nicht beeindruckend?“ fragte sie mich schwärmend, während sie zum dritten Mal meinen Rock hochhob, weil ich Gefahr gelaufen war darauf zu laufen. „So einfühlsam, so nett und hilfsbereit.“ Fast hätte ich die Augen verdreht. Aetherion war mir auch durchaus sympathisch gewesen, aber musste sie sich deswegen benehmen wie ein verliebtes Schulmädchen?

Plötzlich hatte ich eine Hand von ihr in meinem Haar. „Ist das ein grauer Ansatz?“, fragte sie mich amüsiert. „Ist es so anstrengend gesegnet zu sein, Ayana?“, scherzte sie weiter, während wir gemeinsam mein Zimmer betraten. Ich machte eine wegwischende Handbewegung, ohne selbst nachzusehen. Ich wollte nur raus aus diesem Kleid, vielleicht würde das endlich diesem Unwohlsein entgegenwirken, was sich seit dem Aufwachen aus diesem merkwürdigen Traum in mir ausbreitete. Wenn ich mich doch nur erinnern könnte. „Bei dem ständigen Ortswechsel ist es ein Wunder, dass ich noch Haare habe, die nicht grau sind“, antwortete ich ihr grinsend, während ich mich schon aus den ersten Lagen des Stoffes schälte. Elaria fing den weißen Stoff auf, ehe ich ihn unsanft zu Boden werfen konnte. „Du bist nun Mal was Schützenswertes“, sagte sie beschwichtigend und am liebsten hätte ich mit den Augen gerollt. Es musste viel leichter sein, all diese Entscheidungen zu akzeptieren, die stets über uns und nicht mit uns getroffen wurden, wenn man so einen reinen und festen Glauben an die Leuchtende hatte, wie Elaria ihn besaß.

Es gab nicht mehr viele Anhänger der Kirche des Lichts. Nicht mehr, seit die Göttin vor sehr langer Zeit verschwunden war. Weg war sie natürlich nicht – jeden Morgen beim Sonnenaufgang bewies sie das – doch das machte es für die damaligen Anhänger sogar noch schlimmer. Die niemals fehlende Präsenz ihrer Göttin zu spüren und gleichzeitig zu merken, wie wenig Cahaya noch bereit war auf die Welt der Menschen einzuwirken. Nicht so wie die anderen Götter, allen voran der Schatten. Die Kirche des Lichts wurde schwächer, die des Schattens stärker – viele hielten das für eine gefährliche Entwicklung.

Und die Experten und Forscher wiederholten seit Hunderten von Jahren, es drohe keine neue Apokalypse und auch wenn die Macht der Lichtgöttin abnahm, sei das nicht bedenklich. Nun und daher waren wir nun hier. In einer der wenigen Tempel der Lichtgöttin, der noch gepflegt wurde. Mit den Kirchenämtern und Priestern, die geblieben waren. Und viele waren es nicht. Die große Universität in der Stadt – der Haupttempel von Wissenschaftsgott Silvan – hatte mehr Mitglieder und Kirchenbedienstete als alle Tempel der Cahaya im ganzen Reich gemeinsam. Gesegnete von Silvan waren fast alltäglich. Und bestimmt wurden sie nicht vor der Öffentlichkeit versteckt und verehrt wie ein lang ersehntes Wunder. Ich seufzte.

„Haben wir zufällig heute frei?“, fragte ich Elaria, während ich in die deutlich bequemeren Kleider schlüpfte, mit denen ich auch auf der Straße nicht aufgefallen wäre – also so lange nicht, bis sie mir den weißen Überrock überstreifte, auf den das Symbol der Göttin gestickt war. Dezent, aber immer noch eine Art Erkennungszeichen.

„Guter Scherz.“

„Hätte ja sein können.“; seufzte ich spielerisch. Ich hatte nichts gegen den Unterricht einzuwenden, auch wenn er mir seit einiger Zeit vorkam, als würde ich nichts wichtiges mehr lernen. Reichlich arrogant vielleicht und gewiss stimmte das auch nicht, aber meine Gefühlswelt war im Moment ohnehin durcheinander.

„Priester Lysandor bereitet gleich den Gottesdienst für den Sonnentag vor und bittet um meine Hilfe und deine Anwesenheit.“ Elaria war sehr diplomatisch und nur unsere langjährige Bekanntschaft verriet mir den Frust in ihrer Stimme. „Weihrauch schwenken, Bücher halten und Kerzen anzünden für dich, also?“ Meine Stimme war mitfühlend und spiegelte eine Spur ihres Frustes. Sie warf die Hände in die Luft. „Ja!“ rief sie aus und schob schmollend ihre Unterlippe vor. „Seit 3 Jahren bin ich keine Novizin mehr. Trotzdem mache ich überwiegend Novizen-Aufgaben.“

„Das ist wirklich doof.“, stimmte ich ihr mitfühlend zu. „Wenn du magst kann ich kritisch nachfragen, warum du nicht auch einen Teil vom Gottesdienst machen kannst?“ fragte ich sie, halb in dem Willen, sie möge nein sagen. Es war zwar möglich auf diese Art die Kirchenstrukturen zu beeinflussen, aber häufig langwierig und letztes Mal hatte ich mir damit einen Vortrag von Hohepriester Aleric eingehandelt, der mich höflich und dringend bat mich nicht in die Hierarchie einzumischen.

Doch Elaria lächelte schon wieder. „Nein, aber danke“, sagte sie, steckte mir eine goldene Haarspange in Form einer Sonne ins Haar, die sofort anfing zu leuchten als sie meine Kopfhaut berührte, und nahm meine Hand. „Du setzt dich brav in die Kirchenbank und hörst dir die Gebete an. Vielleicht nimmt die Göttin Kontakt zu dir auf.“

Sechs Jahre. Seit sechs Jahren wohnte ich Gottesdiensten bei in der Hoffnung, Cahaya würde mich erleuchten oder etwas Derartiges. Seit sechs Jahren vergeblich. Trotzdem nickte ich. Elarias Hoffnungen in die Göttin war ohnehin nicht erschütterbar und das wollte ich auch gar nicht. Schließlich hatte sie mich gesegnet, oder? Es war also nicht unmöglich, dass sie nochmal mit mir in Kontakt treten würde. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen sie versuchte es durch Träume.

„Nicht immer war die Leuchtende verbannt, müsst ihr wissen. Nicht immer war sie dazu verdammt aus der Ferne über uns zu wachen“, begann der Priester in einem sanften, friedlichen und doch predigenden Tonfall, während er in der Mitte des Stuhlkreises stand und beide Hände in dem weißen Gewand gen Himmel gestreckt hatte, Gesicht und Blick ebenso. Ich hielt auf der einen Seite Elarias Hand und auf der anderen Seite die eines Gläubigen, der nicht im Kirchendienst stand, aber am Gottesdienst teilnahm. Wir schauten ebenfalls gen Himmel und das inzwischen so vertraute Bild des brennenden Phönix in der bunten Sonne hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Als würde ich nach Hause kommen.

„Früher, so lehrt uns die heilige Forterzählung, konnte auch die Leuchtende angerufen werden, wie alle Götter. Sie konnte uns mit einem Besuch beehren, war greifbar.“ Ich hatte den Text so oft gehört, dass ich selbst dieses Gebet hätte leiten können. Doch natürlich war das verboten.

„Jahrtausendelang war sie eine freie Göttin.“ Lysandor machte eine Pause, während ich gemeinsam mit der Gemeinde „Und sie wird es wieder werden“ antwortete. Das klang ehrfürchtig im Chor und ich spürte das erste Kribbeln, dass ich immer spüren konnte, wenn diese Geschichte gebetet wurde.

„Vor dem Verrat des Pantheons an ihr. Ein Verrat aufgrund einer Besessenheit, die heilbar gewesen wäre. Immer schon war die Leuchtende als mächtigste aller Götter für Sonne, Sommer, Licht und Wärme zuständig. Sie schenkt uns Freude, Helligkeit, Kerzenschein, Sonnenaufgang, Dämmerung, den kommenden, warmen Sommer und einen großen Teil des Frühlings. Schon seit Anbeginn der Zeit wurde sie darin gestört. Gestört vom Schattenhaften.“ Ich hörte knirschende Zähne, wütendes Scharren mit den Füßen auf den großen Natursteinplatten und spürte, wie meine Hände auf beiden Seiten etwas fester gedrückt wurden. Eine übliche Reaktion an dieser Stelle. Die Kirche der Leuchtenden und die des Dunklen standen in einem kampflosen Krieg zueinander. Ihr Hass war beispiellos und nur durch die radikalen Auswüchse der Sekten übertroffen. Meine eigene Wut wurde von dem erneut aufkeimenden Verlangen unterbrochen, dass ich seit dem Traum hatte und das zunehmend stärker zu werden schien. Mit einem leichten Kopfschütteln schüttelte ich diese unpassende Emotion ab und konzentrierte mich auf die Wut auf den Dunklen. Auf den Verräter an der Lichtgöttin. Als ich Lysandor wieder zuhören konnte, war er schon einige Zeilen weiter im Gebet.

„Man munkelt, damit er überhaupt in der Lage ist unserer heiligen Sonne entgegen zu treten. Die Macht ist stark, auf beiden Seiten meine Freunde. Doch denkt daran, unsere Göttin hat unser Flehen erhört. Eine Gesegnete weilt unter uns und auch wenn dunkle Zeiten kommen, wird sie als Licht für uns leuchten.“ Ich hörte leises Murmeln und runzelte die Stirn. Dieser Text war abgewandelt worden. Natürlich kam ich normalerweise nicht im Gebet vor, doch Lysandor hielt sich hier nicht an den traditionellen Text. Ich blickte zu ihm und bemerkte, dass auch er mich offen ansah, in meine Augen blickte und lächelnd den Glaubensschwur ans Ende des Gebets setzte.

„Hell leuchte das Licht“, die Gemeinde nahm wie immer den Ball an und antwortete im Chor. „Denn dann leuchtet sie in dir.“ Nur diesmal war ich bei diesem Satz stumm geblieben.

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Kapitel: 2
Sätze: 360
Wörter: 6.049
Zeichen: 35.146

Kurzbeschreibung

Einst gab es die Götter von Sonne und Dunkelheit anders, als wir sie heute kennen. Nicht immer waren sie getrennt. Dies ist die Geschichte eines tragischen Liebespaars. Sie lebten in perfektem Gleichgewicht und ohne sich je mehr als nur flüchtig gesehen zu haben. Doch dann, während der versteckten Sonne, trafen sich die beiden zum ersten Mal und auf den ersten Blick war es um sie geschehen. Es heißt, die beiden Götter verliebten sich unsterblich und vergaßen darüber ihre Aufgaben für die Welt. Die Ernte verdarb, das Wasser wurde knapp, Hunger breitete sich aus. Das Pantheon tat sich zusammen, erhörte die Gebete, sah das Flehen und trennte das glückliche Liebespaar. Die Welt gewann ein Gleichgewicht und verlor eine große Liebe.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Fantasy auch in den Genres Liebe und Schmerz & Trost gelistet.