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Statistik
| Kapitel: | 2 | |
| Sätze: | 43 | |
| Wörter: | 668 | |
| Zeichen: | 4.158 |
1- "Perfektionismus" - das Streben nach Fehlerlosigkeit.
Perfektion ist ein seltsames Phänomen. In gewissem Maße trägt jeder Mensch den Wunsch nach Perfektion in sich. Doch wie ergeht es jenen, deren gesamte Persönlichkeit vom Perfektionismus durchdrungen ist? Diese Menschen führen, trotz des äußeren Glanzes, oft das schwierigste Leben von allen, ein Leben, das kaum jemand freiwillig wählen würde.
So makellos ihr Auftreten auch wirken mag und so sehr andere sie dafür beneiden, im Inneren kann der Perfektionismus zu einer persönlichen Hölle werden. Denn was geschieht, wenn Perfektion nicht erreicht werden kann? Wie soll ein Perfektionist mit dieser Erfahrung umgehen lernen?
Grundsätzlich versucht er alles, um gar nicht erst in eine Situation zu geraten, in der er scheitern könnte. Doch sobald es dennoch passiert, beginnt eine Abwärtsspirale, aus der er kaum noch entkommen kann. Wenn etwas nicht so verläuft, wie sich ein Perfektionist es vorgestellt hat, setzt häufig zuerst eine Phase der Taubheit ein, ein Zustand des Nicht-Wahrhaben-Wollens und der völligen Inakzeptanz.
Darauf folgt tiefe Trauer. Eine Trauer, die für Außenstehende irrational oder übertrieben erscheinen mag, die für den Perfektionisten jedoch absolut real und kaum erträglich ist. Danach tritt Wut auf – Wut auf sich selbst, aber auch auf die Welt, auf alles und jeden. Doch das eigentliche Opfer dieser Wut bleibt immer man selbst.
Erst später stellt sich, oft erschöpft, eine Art Akzeptanz ein, verbunden mit Versuchen der Kompensation. Diese kann unterschiedliche Formen annehmen: Überarbeiten bis zur völligen Erschöpfung, Essensverweigerung oder im Gegenteil impulsives Essen, Rückzug aus sozialen Kontakten oder das Streben nach emotionaler Betäubung. Werden alle diese Phasen durchlaufen, entsteht ein perfekter Teufelskreis, ein Startpaket, das den Weg hinaus umso schwerer macht.
2-„Makellos“ - ohne jegliche Fehler
Wie kann es eigentlich sein, dass wir in so einer aufgeklärten Gesellschaft immer noch Schönheitstrends nachrennen? Charakter und Wissen ist so viel bedeutsamer. Wer sich das denkt, versteht die tiefe dieses Problems nicht. Ein zehnjähriges Mädchen spielt mit einer Barbie, betrachtet sich im Spiegel und fragt sich: „Warum bin ich nicht so dünn?“ Der zwölfjährige Junge sieht im Fernsehen Superman, sieht an sich hinab und denkt: „Warum bin ich nicht so breit?“ Das vierzehnjährige Mädchen blättert im Wartezimmer in der Vogue, sieht Bella Hadid und fragt sich: „Warum habe ich nicht so lange Beine?“
Der sechzehnjährige Junge scrollt durch TikTok, Bild für Bild, Körper für Körper, und denkt: „Warum bin ich nicht so trainiert?“ Das ist die Realität. Wir wachsen in einer Welt auf, die uns von klein auf ein einziges Bild einhämmert: das Bild der Perfektion.
Dünne Taille. Breite Schultern. Unendlich lange Beine. Makellose Haut. Ein Körper, der aussieht, als sei er in einem Labor entworfen worden. Wir sind umgeben von Idealen, denen niemand entsprechen kann und doch versucht es jeder. Man entkommt dem nicht. Egal wohin man schaut: Perfektion. Perfektion. Perfektion.
Und irgendwann wird der Satz „Nur der Charakter zählt“ zu einem leeren Lippenbekenntnis, zu einer Floskel ohne Bedeutung. Denn was zählt schon Charakter, wenn das Äußere zum ultimativen Maßstab erklärt wurde? Und genau an diesem Punkt beginnen viele Jugendliche abzurutschen. Jungen stürzen sich in übermäßiges Training, zählen Kalorien auf Essstörung-Niveau, ernähren sich nur noch von High-Protein-Produkten. Mädchen verlieren ihre Energie, ihre Gesundheit – ihre Periode. Jungen entwickeln Stimmungsschwankungen, verlieren Konzentration und Lebensfreude. Die Medien zeigen ihnen in Minutenclips, wie man angeblich zum perfekten Ideal gelangt. Aber sie verschweigen die Kosten. Sie verschweigen, dass dieser „perfekte“ Körper nur durch Filter, Photoshop und Bearbeitungs-Apps überhaupt existiert.
Dass sie einer Fiktion nacheifern. Einer Lüge. Doch irgendwann spielt selbst dieses Wissen keine Rolle mehr. Die Sehnsucht nach Perfektion übertönt jeden Verstand. Und so wächst eine Generation heran, die sich an einem Ideal misst, das nie menschlich war und nie menschlich sein wird.