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Variationen vom Mann

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16.03.24 11:00
18 Ab 18 Jahren
Fertiggestellt

Ich weiß nicht, ob Sie es wussten: Manche Männer halten das, was zwischen ihren Beinen baumelt für das Zepter und die Kronjuwelen zur Weltherrschaft. Ein Umstand, der mich nicht all zu sehr nach dem Frohsinn des Gemeinschaftsgefühls sehnen lässt, das aus der gemeinsam erlittenen Demütigung besteht, als „Frau im besten Alter“ in einer Partnerbörse wie „Elitäre Partner“ oder „Fuffzich Plus“ nach einem Mannsbild Ausschau zu halten. Freundin Ina versucht es mit Motivation:“Wenn du dich nicht ein bisschen zugänglicher zeigst, befindet sich deine Libido bald im Zustand der Mumifizierung. Geh aus mein Herz und suche Freund: Im Internet. Biete dich feil, auf Tinder: Eine verhängnisvolle Liebschaft hier, ein kleiner Verlegenheitsgeschlechtsverkehr da …!“

Ich bin ein phantasiebegabter Mensch. Wenn ich mich durch so manche Profile in Internet-Partnerbörsen scrolle, bekomme ich gleich Bilder im Kopf … beispielsweise von Olaf aus Sachsen. Der trägt über seinem gestrickten Pullunder eine akkurat gescheitelten Frise, die vor Jahrzehnten schon unmodern war. Womöglich trägt er im Bett dazu auch noch die obligatorischen, selbstgestrickten Socken von der Muddi … überhaupt: Als Sachse sollte man nicht Olaf heißen. Das verbietet sich einfach von selbst.

Ein anderes Profil irritiert mich, es ist das von Helge, einem in die Jahre gekommenen Alt-68er. Sein schütteres Haar fusselt hinten lang, vorne ist viel Platz für seine Denkerstirn. Helge wohnt in Berlin, am Prenzelberg, ernährt sich vegan, macht Yoga und Tantra … das klingt verdächtig nach Frauenversteher. Das macht mir Angst. Womöglich entpuppt er sich postkoital als emotional unterkühlt und will sich mit mir das „DAS KETTENSÄGEN-MASSAKER VON BULLERBÜ“ reinziehen. Da ist man doch enttäuscht.

Ganz weit vorn auf der Top Ten meiner Lieblingsalbträume steht auch ein Date mit dem moppeligen, vollbärtigen „Kuschelbär“, der sich selbst als „sympathischen Kumpeltyp“ anpreist. Da tauchen bei mir traumatisierende Bilder von einem ersten Beschnuppern in einem Café auf, wo ich perplex einem stark körperbehaarten und streng riechenden Hugo F. aus K. gegenüberstehe. Der aussieht, als würde er sich seit Monaten ungewaschen hinter heruntergezogenen Jalousien mit frühreifen Bitches via Webcam verlustieren. Was mich etwas beruhigt – da so die Gefahr gering ist, dass Hugo F. mich gleich nach dem ersten Drink in radikaler Akzeptanz und nassforscher Freier-Manier klarmachen will. Hugo ist so an minderjährige Sexdienstleisterinnen aus dem Erotikbusiness gewöhnt, dass ich - wie alle erwachsenen Frauen - für ihn höchstens die Erotik eines Stubenbesens ausstrahle.

Dann lieber was Gediegnes: Akademieleiter Jürgen P. aus R. Der viel reisende Geschäftsmann gibt sich gebildet, wohlhabend, belesen und kulturell interessiert … und mir schwant, wonach er Ausschau hält: Vermutlich gibt es zwischen seinen Geschäftsterminen und Flügen Hamburg-Berlin noch ein kleines Zeitfenster für einen „Fuck to go“. Ich sehe ihn bildhaft vor mir: In meiner Küche, wo er vor seinem mitgebrachten Flipchart referiert, wie er sich den Ablauf unseres Treffens vorstellt: Dreißig Minuten präkoitales Lechzen beim Italiener. Danach Minnetanz in einem der angesagtesten Clubs der Stadt, später Fellatio im Taxi … und final Fifty Shades of Jürgen P., der mich in meinem Appartement mit Kabelbinder an den Heizkörper tackert. Nach kurzem Nickerchen folgt seine postkoitale Bettflucht ins Bad - und Jürgen P. hätte seinen Seitensprung in sechs Stunden, dreißig Minuten erledigt und geschickt in seinen durchgetakteten Tagesplan eingefädelt. Sein Anforderungsprofil: Ein stets verfügbares Betthupferl nach anstrengenden Geschäftsterminen, das ihm nach gezielten Schlägen auf seinen Popo noch flink ein zartes Schweinelendchen in die Pfanne haut. Vertrautheit beim Fremdgehen ist Jürgen P. Aus R. ungeheuer wichtig. Und die Mutter seiner Kinder …

Entnervt scrolle ich weiter und weide mich zur Beruhigung an Profilen rüstiger Rentner, die Naturaufnahmen deutscher Mittelgebirge posten. Da ist Rolf aus Reutershagen, der gerne in hornhautumbrafarbenen Übergangsjacken den deutschen Forst durchwandert und „vielseitig interessiert“ ist. Politisch fühlt er sich umfassend durch das Reutershagener Tageblatt informiert, vor allem die Todes- und Partnerschafts-Anzeigen studiert er mit regem Interesse und auch die bunten Seiten vom Discounter. Einmal im Monat geht er Kegeln und einmal die Woche zum Shanty-Chor. Von seiner zukünftigen Lebensgefährtin erhofft er sich unter der Woche betreutes Wohnen, einschließlich putzen und Eintöpfe „wie von Muttern“ - und samstags, nach dem Baden und der Sportschau, legt er im Schrebergarten das Uraltvideo „Beim Jodeln juckt die Lederhose“ ein, gönnt sich ein Mettbrötchen mit Zwiebeln, vier Bier und zwei Viagra und mir ein kurzes Intermezzo in Sachen Erotik. Und für die schönsten Wochen im Jahr: Betreutes Bahnfahrten zum Dauercampingplatz seines Vertrauens ...

Dann doch lieber was Jüngeres. Ein gestandenes Mannsbild. So einen, der Holz sägen und Dübeln kann. Wie der Pseudo-Handwerker Udo. Eigentlich hat er Pädagogik studiert, aber das ganze Prüfungsgedöns hätte ihm irgendwie nicht zugesagt. Deshalb hat er jetzt auf Öko-Landwirt umgesattelt … Sein „vor kurzem erstandenes Anwesen“ wird sich womöglich als real existierende Bauruine in den trostlosen Weiten Mecklenburg-Vorpommerns erweisen - ein heruntergekommenes, sanierungsbedürftiges Jahrhundertwende-Wrack ohne Warmwasser und Heizung. Dort renoviert und saniert sich Udo seit Jahren den Wolf. Natürlich alles Bio und ohne Fachkenntnisse. Unter Missachtung sämtlicher Sicherheits- und Bauvorschriften stemmt und bohrt und flext er dort vor sich hin und Nachmittags rodet er mit Pferd und Pflugschar den Acker hinter dem Haus. Udo ist vermutlich Selbstversorger, weil er bis zum Arsch verschuldet ist. Er sucht eine Frau, die mit anpacken kann. Vor allem beim Schlachten: Das Schwein Eberhard und die Gans Alberta, die man gemeinsam ein Jahr lang liebevoll gehegt und gepflegt hat ...

Mein erschöpftes Fazit: Wenn ich nur die Hälfte der Top Ten der männlichen Profile und Nachtschattengewächse bei „Elitäre Partner“ oder „Fuffzich Plus“ durchgescrollt habe, fehlt mir die Kraft für all die real existierenden, netten Ü-50-Burschen im echten Leben. Sollte es - entgegen alle Erwartungen - doch mal zu einem echten Date im wahren Leben kommen, setze ich lieber auf mein Geschick zum raffinierten Kaschieren, seine Kurzsichtigkeit und den Weichzeichner flackernden Kerzenscheins ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Sätze: 54
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Diese Story wird neben Kultur, Kunst, Literatur auch in den Genres Medien, Internet, Ironie und Humor gelistet.